www.zentralklinik.de Differenzierte Therapie von gastro-entero-pankreatischen neuroendokrinen Tumoren Allgemeine Tumorbiologie der NETs moren werden zufällig im Rahmen einer Blinddarmentfernung detektiert und erfordern nur Die neuroendokrinen Tumoren (NETs) umfassen selten eine Nachresektion unter onkologischen eine sehr heterogene Gruppe von Tumoren und Gesichtspunkten oder gar eine systemische (z.B. können in ihrem klinischen Verlauf sehr stark va- Chemo-)Therapie. Die NETs des Rektums (End- riieren. Die Spanne reicht vom eher benignen, darms) werden oft durch eine Polypektomie, also gutartigen, gut differenzierten neuroendokrinen Polypenentfernung, im Gesunden komplett ent- Tumoren ohne invasives Wachstum oder Metas- fernt, allerdings ist zu beachten, dass sobald der tasen bis zum rasch wachsenden, bösartigen, ge- Tumor tiefer in die Darmwand eingewachsen ist ring differenzierten neuroendokrinen Karzinom, und die sogenannte Submukosa, die nächst tie- das sich biologisch ähnlich wie ein kleinzelliges fergelegene Schicht der Darmwand infiltriert hat, Lungenkarzinom verhält. Diese letztgenannten oft bereits Lymphknotenmetastasen vorhanden Tumoren sind sehr aggressiv und führen trotz ei- sind. Dagegen ist die Erkrankung bei NETs an- ner starken Chemotherapie fast immer sehr bald deren Ursprungs bei Diagnosestellung meist ge- zum Tod. neralisiert, und es liegen häufig Fernmetastasen (am häufigsten in der Leber oder im Knochen) vor. Die konservative Therapie muss sich daher Grundlegende Überlegungen zur Therapie meist auf einen palliativen Ansatz beschränken, das heißt, man kann die Erkrankung nicht hei- Die Therapie der NETs muss somit sehr diffe- len, aber die Lebensqualität deutlich verbessern renziert betrachtet werden und richtet sich nach und die Erkrankung oft sogar über Jahre stabil Tumorstadium, Differenzierungsgrad, Ursprung, halten. Eine derartige Therapie erfordert jedoch funktioneller Aktivität und (Somatostatin-) Rezep- ein abgestuftes und differenziertes Vorgehen torbesatz. Idealerweise werden die NETs in ei- unter der Beachtung der Lebenssituation des nem frühen Stadium der Erkrankung chirurgisch Patienten. Die außerordentliche Variabilität des komplett entfernt und dadurch geheilt. Dies ist Tumorwachstums im Verlauf der Erkrankung jedoch nur bei den NETs der Appendix (des Blind- kann bedeuten, dass die Tumoren auch im Spon- darms) regelhaft der Fall, die meisten dieser Tu- tanverlauf mehrere Jahre (!) stabil bleiben, sehr DIFFERENZIERTE THERAPIE [S. 1/5] Zentralklinik Bad Berka GmbH • Zentrum für neuroendokrine Tumore telefon 036458 5-2601 • e-mail [email protected] www.zentralklinik.de selten sogar spontane (partielle) Remissionen „Biotherapie“ mit Somatostatin-Analoga aufweisen (also kleiner werden), um dann wieder zu wachsen. Diese Beobachtungen führten Die Expression von Somatostatinrezeptoren dazu, dass einige Behandler am Anfang der Er- durch neuroendokrine Tumoren ist die Grundla- krankung den Spontanverlauf über drei bis sechs ge für eine „Biotherapie“ mit Somatostatin-Ana- Monate abwarten und erst bei einer nachgewie- loga. Somatostatinrezeptoren (SSR) werden in senen Progression, also einem Fortschreiten der fünf Isoformen von NETs und anderen Tumoren Erkrankung, therapeutisch intervenieren. Nach exprimiert (SSR1-SSR5). Diese Rezeptoren sind unseren Erfahrungen und den Empfehlungen G-Protein-gekoppelt und bewirken eine Abnah- anderer großen Zentren sollte eine gezielte The- me an sekundären Transmittern wie cAMP oder rapie möglichst frühzeitig beginnen, solange die Calcium in der Zelle und damit eine Verminde- Tumorlast noch gering ist, da mit jeder Progres- rung der Sekretion. Diese Eigenschaft macht sie sion der Erkrankung weniger Therapiemodalitä- insbesondere zur Therapie sog. „funktionell ak- ten zur Verfügung stehen. Prinzipiell sollte sich tiver“ NETs sehr nützlich. Zur Zeit stehen zwei jeder Therapeut (und auch der Patient mit einer Somatostatin-Analoga zur Verfügung; Octreotide NET-Erkrankung) bewusst sein, dass der Krank- (Sandostatin®) und Lanreotide (Somatoline®). heitsverlauf sich über Jahre bis Jahrzehnte, oft Die Somatostatin-Analoga sind zugelassen für mit wenig Einschränkungen in der Belastbarkeit, die Therapie funktioneller NETs zur Verminde- hinziehen kann und häufig multiple verschiedene rung der Sekretion von Hormonen und Boten- Therapiemodalitäten abgestuft erforderlich sind, stoffen und führen hier bei der Mehrzahl der Pa- um die Tumorlast zu begrenzen. Dieses Vorge- tienten zu einer Verminderung der Beschwerden hen erfordert eine hohe Individualisierung der wie Flush oder Diarrhoe. Zusätzlich werden die Therapie einerseits und umfangreiche Erfahrung Somatostatin-Analoga häufig zur Kontrolle des vonseiten der behandelnden Ärzte andererseits Tumorwachstums eingesetzt. Zwei große Studi- (Abstimmung des Vorgehens im interdisziplinä- en (PROMID und CLARINET) konnten die antipro- ren Tumorboard !), da hier die üblichen „standar- liferative Wirkung der Somatostatinanaloga auf disierten“ Vorgehensweisen, z. B. in der onkologi- das Wachstum von neuroendokrinen Tumoren schen Therapie häufiger solider Tumoren, nicht des Gastrointestinaltraktes zeigen. Die derzeit angewandt werden können. verfügbaren Somatostatin-Analoga binden vor allem an den Somatostatinrezeptor 2 (SSR2) und weniger stark an den SSR5 und SSR3. Ein in Prü- DIFFERENZIERTE THERAPIE [S. 2/5] Zentralklinik Bad Berka GmbH • Zentrum für neuroendokrine Tumore 036458 5-2601 • e-mail [email protected] telefon www.zentralklinik.de fung befindliches Somatostatin-Analogon, ge- kleinzelligen Lungenkarzinome. nannt SOM230 (Pasireotide) bindet an alle fünf Von den gut differenzierten neuroendokrinen SSRs und kann damit eine stärkere Wirkung bei Karzinomen sprechen nur die NETs des Vorder- funktionellen Syndromen entfalten als die kon- darms (Lunge, Magen, Zwölffingerdarm, Bauchs- ventionellen Somatostatin-Analoga. Eine Prüfung speicheldrüse) auf eine Polychemotherapie an, der antiproliferativen Aktivität von SOM230 bei hierzu werden auf Streptozotozin basierende NETs steht noch aus. Eine Kombination der So- Kombinationen mit Doxorubicin oder 5-Fluoro- matostatin-Analoga mit Interferon bringt für die uracil eingesetzt. Das Ansprechen auf eine Che- meisten Patienten keinen zusätzlichen Nutzen, motherapie (stabile Erkrankung bei zuvor nach- so dass diese Kombination zunehmend seltener gewiesener Progression oder partielle Remission) eingesetzt wird. Vor dem Einsatz von Somatosta- bei diesen Tumoren liegt bei circa 50 Prozent. tin-Analoga in antiproliferativer Absicht sollte der Rektumkarzinome sind ebenfalls eingeschränkt nuklearmedizinische Nachweis von Somatosta- empfindlich für eine Chemotherapie, während tinrezeptoren erfolgen (siehe Abschnitt „Diagnos- die häufigen Dünndarm-NETs nur ein Anspre- tik von gastroentero-pankreatischen Tumoren“), chen von weniger als 20 Prozent zeigen, weshalb bei funktionellen Syndromen ist ein Therapiever- eine Chemotherapie für diese Tumorentität nicht such auf jeden Fall gerechtfertigt. empfohlen wird. Einsatz der Chemotherapie Einsatz der Radionuklidtherapie Die Chemotherapie spielt eine entscheidende Rol- Die Expression von SSRs auf den NETs ist auch le bei den schnell wachsenden, entdifferenzier- die Grundlage der Peptidrezeptor-vermittelten ten neuroendokrinen Karzinomen (WHO-Klasse Radionuklidtherapie (PRRT) oder kurz Radio-Re- III oder G3). Hier kommen vor allem Kombinati- zeptortherapie. Bei diesem Verfahren wird über onen aus einem Platinpräparat (Cisplatin oder einen Chelator (= DOTA) ein Betastrahlen emittie- neuerdings vermehrt Carboplatin) mit Etoposid rendes Therapienuklid an ein Somatostatin-Ana- zum Einsatz. Diese Tumoren sprechen in der logon gebunden (Octreotate = DOTA-TATE oder Regel gut auf die initiale Chemotherapie an, die Tyrosin-Octreotid = DOTA-TOC). Je nach Tumor-/ Tumoren wachsen aber schnell wieder nach und Metastasengröße wird 90Yttrium (Betastrahler werden als Zweitlinientherapie behandelt wie die mit einer Reichweite von ca. 12 mm im Gewebe) DIFFERENZIERTE THERAPIE [S. 3/5] Zentralklinik Bad Berka GmbH • Zentrum für neuroendokrine Tumore 036458 5-2601 • e-mail [email protected] telefon www.zentralklinik.de oder 177Lutetium (Betastrahler mit niedriger Jahren zeigen eine Ansprechrate (Kombination Reichweite von ca. 2 mm) als Therapienuklide von kompletter und partieller Remission sowie eingesetzt. Dabei wird 90Yttrium präferentiell für Stabilisierung bei zuvor bestehender Progressi- größere Tumoren und 177Lutetium häufig für on) von deutlich über 80 Prozent. Ein primäres kleinere Tumoren eingesetzt. Beide Radiophar- Fortschreiten der Erkrankung trotz PRRT tritt bei maka können auch mit Erfolg nacheinander ein- weniger als 15 Prozent der Patienten auf und ist gesetzt werden, ein Vorgehen, das erstmalig in mit einer sehr schlechten Prognose verbunden. unserer Klinik zur Anwendung kam. Wegen der Wenn die Patienten auf die Therapie ansprechen, höchsten Affinität zum SSR2 erscheint DOTA-TA- ist die Zeit bis zur nächsten Progression im Mittel TE derzeit als optimales Peptid für die Therapie. 40 Monate und das Überleben mehr als 48 Mona- Die kommerzielle Einführung von 90Yttrium-DO- te im Schnitt. Die Ergebnisse der Peptid Rezeptor TA-TOC ist geplant, erste Zulassungsstudien sind vermittelte Radionuklidtherapie wurden kürzlich europaweit geplant. Aufgrund der potentiellen in einer großen Studie (NETTER-1) bestätigt. Es Nebenwirkungen, die besonders die Nierenfunk- kann erwartet werden, dass bald ein Radionuklid tion und das blutbildende Knochenmark betref- (177Lutetium-DOTATATE Luthatera®) für die fen, ist es wichtig, die Patientengruppen genau zu Peptid Rezeptor vermittelte Radionuklidtherapie definieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von gelassen werden wird. einer Therapie profitieren. Die Menge der ap- Am besten sprechen pankreatische NETs – insbe- plizierten Radioaktivität („Therapiedosis“) hängt sondere Glukagonome (Abb. 1) und – Gastrinome dabei von der Somatostatinrezeptor-Expression, sowie NETs des Mitteldarms („Karzinoide“) auf der Tumorlast, der Nierenfunktion und dem hä- eine PRRT an, aber auch andere neuroendokri- matologischen Status ab. Die Toxizität der PRRT ne Tumorentitäten mit einem hohen SS-Rezep- kann durch mehrfache Applikation kleinerer torbesatz wie z.B. Paragangliome /Phäochromo- Mengen an Radioaktivität (anstatt einer großen zytome, Aesthesioneuroblastome und invasive Menge in einer Sitzung) abgemildert beziehungs- Glomustumoren. Interessanterweise ist die Wirk- weise weitgehend vermieden werden („Bad Ber- samkeit der Radio-Rezeptortherapie nicht ein- kaer PRRT“-Konzept). Die klinische Wirksamkeit deutig abhängig von der Proliferationsrate, so- der Radio-Rezeptortherapie konnte in großen fern eine hohe SS-Rezeptor-Expression vorliegt. Studien belegt werden. Unsere eigenen Ergeb- Damit stellt die PRRT bei geeigneten Patienten nisse bei über 1100 behandelten Patienten mit die derzeit wirksamste palliative Tumortherapie NETs (3500 Therapiekurse) in den letzten 12 dar. Beachtet werden muss die potentielle hä- DIFFERENZIERTE THERAPIE [S. 4/5] Zentralklinik Bad Berka GmbH • Zentrum für neuroendokrine Tumore 036458 5-2601 • e-mail [email protected] telefon www.zentralklinik.de matogene und nephrogene Toxizität (also Wir- Regel gut verträglich und können bei erfolgrei- kung auf Niere und blutbildendes Knochenmark) cher Behandlung über mehrere Jahre eingenom- der PRRT, vor allem bei durch eine Chemothe- men werden. Für die Therapie (und Diagnose) der rapie vorbelasteten Patienten. Eine klinisch be- NETs existieren europäische Leitlinien, die gut deutsame Funktionsverschlechterung der Niere ausgearbeitet sind und eine Übersicht über die kann durch geeignete Maßnahmen (Gabe von verschiedenen Therapiemodalitäten und die Be- basischen Aminosäuren zum Nierenschutz) wei- handlung der einzelnen NETs bieten. Diese Leit- testgehend vermieden werden, was eine fort- linien können über www.neuroendocrine.net dauernde Überwachung nach der Therapie er- heruntergeladen werden. fordert. Wegen der Wirkung auf das blutbildende Knochenmark sind regelmäßige Blutbildkontrollen notwendig. „Molekulare Therapie“ Eine gezielte Therapie der NETs durch molekular definierte Wirkstoffe wäre analog der Therapie der chronischen myeloischen Leukämie oder den gastrointestinalen Stromatumoren durch Imatinib eine wünschenswerte Option. Der Nachweis einer Aktivierung der mTORKinase und der VEGF-Rezeptoren in den NETs bietet die Basis für eine Therapie mit Everolimus (Afinitor) als mTOR-Inhibitor und Sunitinib (Sutent®) als VEGF-Inhibitor, der auch andere potentiell aktivierte Tyrosinkinasen inhibieren kann. Diese Substanzen sind für pankreatische neuroendokrine Tumore zugelassen, eine Zulassung von Everolimus (Afinitor®) für neuroendokriner Tumor des Gastrointestinaltraktes und der Lunge wird für 2016 erwartet. Diese Medikamente sind in der DIFFERENZIERTE THERAPIE [S. 5/5] Zentralklinik Bad Berka GmbH • Zentrum für neuroendokrine Tumore 036458 5-2601 • e-mail [email protected] telefon