Anorexia nervosa

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Adipositas und Essstörungen: zur
Notwendigkeit eines spezialisierten
Behandlungskonzepts
Prof. Dr. Martina de Zwaan
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
Bad Bramstedt, 24.5.14
Diagnostik und Epidemiologie
DSM-5
ICD-11
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
M. de Zwaan
Studie zur Gesundheit Erwachsener in
Deutschland (DEGS)
• 23% der Männer und 24% der Frauen sind adipös.
• Die Prävalenz hat besonders bei Männern im jungen
Erwachsenenalter weiter zugenommen.
Robert Koch-Institut Berlin 2012
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
M. de Zwaan
Adipositas Grad 3 in der Deutschen Bevölkerung
3
bis 24
Prozent pro Altersgruppe
2,5
25-34
35-44
45-54
55-64
65-74
ab 75
2,2
2
1,8
1,5
1,3
1,2
0,9
1
0,7
0,5
0,4
0,7
0,5
0,5
0,4
0
0
BMI 40+ aktuell
BMI 40+ aktuell
2009
2011
BMI 40 +
0,7%
1,6% max. BMI
de Zwaan, Verhaltenstherapie 2012
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
1,5%
3,6% max. BMI
„Binge-Eating“ - Essanfall
-Geschichte-
Das Auftreten von Essanfällen bei Übergewichtigen wurde
erstmals 1959 von Albert Stunkard beschrieben.
DSM IV (1994): Forschungskriterien der „Binge-Eating“-Störung
(BES) werden in den Appendix bzw. unter der Kategorie „nicht
näher bezeichnete Essstörungen“ („EDNOS“) aufgenommen
(307.50).
DSM-5 (2013): die BES wird zur eigenständige Essstörung. Die
Forschungskriterien wurden übernommen.
Im ICD-10 keine Erwähnung (unter F 50.9 kodierbar)
ICD-11?
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Kriterien der „Binge-Eating“-Störung
A. Wiederholte Episoden von Essanfällen, gekennzeichnet durch
1) ungewöhnlich große Nahrungsmengen
2) Kontrollverlust
B.
Essanfälle gemeinsam mit mindestens 3 der folgenden Symptome
1) wesentlich schneller essen als normal
2) bis zu unangenehmen Völlegefühl
3) große Nahrungsmengen, auch wenn kein Hunger
4) alleine essen aus Verlegenheit
5) Ekelgefühle, Deprimiertheit, große Schuldgefühle nach dem Essen
C.
Deutliches Leiden wegen der Essanfälle
D.
DSM-5:
an 1 Tag/Woche
für 3 Monate
Essanfälle durchschnittlich mindestens an
2 Tagen/Woche
für 6 Monate
E.
Essanfälle ohne regelmäßigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen
Verhaltensweisen
(DSM-5)
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
BES - Einfluss auf Gewichtsverlauf
Nach 5 Jahren (in der Allgemeinbevölkerung):
– es kommt zu einer deutlichen Zunahme des
Übergewichtes bei Personen mit BES.
Fairburn et al., Archives of General Psychiatry, 2000
BES – Epidemiologie
Kessler et al., WHO, Biol Psychiatry 2013,73,904-914.
Lebenszeitprävalenz
Allgemeinbevölkerung
Weibliches Geschlecht
Jüngeres Alter
1,9% (0,2-4,7 - 14 Länder)
OR 2,4
Teilnehmer an Gewichtsreduktionsprogrammen
vor Adipositaschirurgie
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
16-30%
median 20%
Komorbidität des BES
Komorbidität
Übergewichtige Frauen mit BES im Vergleich zu
übergewichtigen Frauen ohne BES:
• Mehr essstörungsspezifische Psychopathologie (Sorgen um
Gewicht, Figur, Essen).
• Mehr allgemeine Psychopathologie (Selbstwert, Depression,
Angst, Substanzmissbrauch, Persönlichkeitsstörungen)
de Zwaan et al., Compr Psychiatry, 2004
Eating Disorder Examination - Q
-vor AdipositaschirurgieBES (n=19)
keine BES (n=91)
6
*
5
*
4
3
**
2
1
0
gezügeltes Essen essensbezogene
Sorgen
de Zwaan et al., Compr Psychiatry, 2004
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Sorgen um
Gewicht
Sorgen um Figur
Adipöse Patienten mit Essstörung haben
mehr psychische Probleme (Lebenszeitstörungen)
keine Essstörung (n=73)
% Pat.
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Depression
Angst
Mühlhans et al., Gen Hosp Psychiatry, 2009
Essstörung (n=73)
Abhängigkeit
irgendeine
psychische
Störung
Adipositaschirurgie; alle Störungen: p<0.001
Lernkurve BE+ (n=29) vs. BE- (n=89)
Iowa Gambling Task (IGT)
Adipöse Pat. mit Binge Eating habe eine schlechtere Lernkurve als Pat.
ohne Binge Eating: Sie bleiben bei unvorteilhaften Entscheidungen.
Müller et al., Compr Psychiatry 2013
Leitlinien zur Therapie der BingeEating-Störung
State-of-the-Art
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Behandlungsziel bei der „Binge-Eating“Störung (BES)
1. Behandlung der Symptome der BES (Essanfälle,
essstörungsspezifische Psychopathologie)
2. Behandlung komorbider psychischer Störungen/
Symptome (z.B. Depression, soziale Angst, Impulsivität)
3. Behandlung des Übergewichts/der Adipositas
4. Prävention beziehungsweise Rückfallprophylaxe
Herpertz et al., Dtsch Ärzteblatt 2011
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Deutsche S3 Leitlinien: BES
-Psychotherapie-
Psychotherapie ist Therapie 1. Wahl (A).
• Die KVT verfügt über die sichersten Wirksamkeitsbelege (A).
• IPT ist ebenfalls wirksam (B)
• Es besteht auch begrenzte Evidenz, dass die tiefenpsychologisch
fundierte Psychotherapie wirksam ist (0).
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Deutsche S3 Leitlinien
Reduktion der Anzahl der Essanfälle
Post-Vergleich zwischen Interventions- und Kontrollgruppen
1,5
Effektstärke
>.2 = kleiner, > .5 mittlerer und > .8 großer Effekt.
1
.82
0,5
.52
0
Psychotherapie (5)
Vocks et al., Meta-Analyse, IJED 2009
Pharmakotherapie (6)
Aufrechterhaltung der BES
• Negativer Affekt
• Affektregulationsstörung
• Hänseleien aufgrund des Gewichts
• Negatives Körperbild
• Erhöhte Impulsivität
• Unregelmäßiges Essverhalten
• Interpersonelle Probleme, z.B. gestörte Familieninteraktion
Hilbert, 2013
Kognitive Verhaltenstherapie
-Elemente-
Exposition in der Therapie der BES
• Nahrungsmittelkonfrontation
• Spiegelkonfrontation
CBT vs. IPT (Gruppentherapie) bei BES (n= 162)
EDE Subskalen
CBT und IPT zeigten gleiche Effekte im Hinblick auf Kern- und assoziierte Symptome der BES, der
Gewichtsverlust war signifikant, aber aus klinischer Sicht gering. Nach einem Jahr hatten Pat. ohne BED mehr
Gewicht verloren als Pat. mit BED
Wilfley et al. 2002
Therapie der „Binge-Eating“-Störung
„Das Anliegen der meisten Patienten mit BES zielt in
der Regel auf die Behandlung der zumeist
gleichzeitig vorliegenden Adipositas ab, also auf eine
Gewichtsreduktion.“
Herpertz et al., DÄB 2011
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Gewichtsreduktion
Gewichtsreduktion wäre einfach….
• Nahrungsumstellung (Kalorienreduktion)
• Bewegungssteigerung
• Verhaltensänderung („lifestyle“)
Trotz der Vielzahl an Diätbüchern zeigt die epidemisch
steigende Zahl Adipöser, dass diese Programme
versagt haben.
Haslam & James, Lancet, 2005
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Auswirkungen einer vorübergehenden
hypokalorischen Diät auf das Körpergewicht
15
Lockerung der Diät
oft Überschießen
Hypokalorische Diät
Ursprungsgewicht
10
Jojo-Effekt
Versagen in
> 90% der Fälle
5
Neues Gewicht, Stabilisierung
Gewichtsstabilisierung ist das Problem
Bischoff et al., Int J Obes 2012;36:614-624
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Gewichtsreduktionsprogramme und BES
• Kein Unterschied zwischen Übergewichtigen/Adipösen mit
und ohne BES
– im Ausmaß der Gewichtsabnahme
– in der Therapieabbruchsrate,
– nach konservativer und operativer Behandlung
• Es kommt sogar zu einer signifikanten Reduktion der
Essanfälle
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Gewichtsreduktion bei BES
• Essanfälle treten bei Gewichtswiederzunahme häufig
erneut auf.
• Essanfälle haben eine negativen Effekt auf die
Gewichtsstabilisierung.
• Bei Pat. mit häufigem Jojo-Effekt und frühem Beginn der
Essanfälle sollten primär die Essanfälle behandelt
werden (Level II).
Einfluss von Psychotherapie von BES auf das
Gewicht (Post-Vergleich zwischen Interventions- und Kontrollgr.)
1
0,9
Effektstärke
>.2 = kleiner, > .5 mittlerer und > .8 großer Effekt.
0,8
0,7
0,6
0,5
0,4
0,3
0,2
0,1
0
.09
Psychotherapie (4)
Vocks et al., Meta-Analyse, IJED 2009
.10
.01
Pharmakotherapie (6)
S3 Leitlinien: BES
- Einfluss von Psychotherapie auf das GewichtDie Patienten müssen darüber informiert werden, dass alle
psychotherapeutischen Ansätze nur einen geringen
Effekt auf das Körpergewicht haben.
• ABER: Patienten, deren Essstörung in Remission ist,
verlieren mehr an Gewicht und können das Gewicht
besser halten.
• UND: erfolgreiche Reduktion der Essanfälle verhindert
möglicherweise eine weitere Gewichtszunahme.
Magenband
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Magen-Bypass
Schlauchmagen
Wird der postoperative Gewichtsverlauf von
präoperativem „binge eating“ negativ beeinflusst?
Autoren
Technik
N
Katamnese
BE(S) sagt Gewichtsverlauf
voraus
Busetto et al., 1996
Bypass
80
12 Mo
Nein
Hsu et al., 1996
Gastroplastik
24
3,5 J
Nein
Hsu et al., 1997
Bypass
27
21 Mo
Ja
Powers et al., 1999
restriktiv
72
5,5 J
Nein
Dymek et al., 2001
Bypass
32
6 Mo
Ja
Busetto et al., 2002
Banding
260
3J
Nein
Sabbioni et al., 2002
Gastroplastik
82
2J
Nein
Boan et al., 2004
Bypass
40
6 Mo
Nein
Green et al., 2004
Bypass
65
6 Mo
Ja
Burgmer et al., 2005
Banding
118
> 12 Mo
Nein
Busetto et al., 2005
Banding
379
5J
Nein
Malone & Alger-Mayer, 2005
Bypass
109
12 Mo
Nein
Bocchieri-Ricciardi et al., 2006
Bypass
72
18 Mo
Nein
Sallet et al., 2007
Bypass
216
2J
Ja
Kalarchian et al., 2008
Bypass
207
6 Mo
Nein
White et al., 2009
Bypass
361
1 J und 2 J
Nein
de Zwaan et al., 2010
Bypass
59
2J
Nein
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Postoperatives Essverhalten
Nach Adipositaschirurgie ist es schwer zwischen “normalem” und
“pathologischem” Essverhalten zu unterscheiden.
– Objektiv große Nahrungsmenge?
– „binge-eating“
„loss of control eating“
Die Patienten sind gezwungen ein Essverhalten zu entwickeln, das gekennzeichnet ist durch:
– Restriktion der Nahrungsmenge
– Restriktion der Nahrungsauswahl
– Ritualisiertes Verhalten in der Art der Nahrungsaufnahme (z.B. Kauen).
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
„Loss of control eating“ prä- und postoperativ
(Bypass, n=361, EDE-Q)
Essanfälle ("loss of control eating")
70
62
Patienten (%)
60
50
36
40
39
31
30
20
10
0
prä OP
•
•
6 Mo post OP
12 Mo post OP
24 Mo post OP
Präoperatives binge eating ist prädiktiv für postoperatives LOC eating
Postoperatives LOC eating ist mit geringerer Gewichtsabnahme assoziiert
White et al., J Clin Psychiatry 2010
Klinik für Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
Prozent BMI Abnahme wird durch häufiges LOC
eating neg. beeinflusst (n=59, Bypass, 24 Monate post OP, EDE)
% BMI Abnahme
50
45
40
35
**
30
25
20
15
10
5
0
kein LOC
de Zwaan et al., SOARD, 2011
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
<1 LOC/Wo
EDE-Interview
>=1 LOC/Wo
Wird der postoperative Gewichtsverlauf vom
Wiederauftreten von Essanfällen negativ beeinflusst?
Autoren
Technik
N
Katamnese
BE(S), LOC sagt
Gewichtsverlauf voraus
BPD
16
2J
Ja
Pekkarinen et al., 1994
Gastroplastik
27
5,4 J
Ja
Hsu et al., 1996
Gastroplastik
24
3,5 J
Ja
Mitchell et al., 2001
Bypass
78
14 J
Ja
Kalarchian et al., 2002
Bypass
99
2-7 J
Ja
Guisado & Vaz, 2003
Gastroplastik
140
18 Mo
Ja
Larsen et al., 2004, 2006
Banding
157
>2J
Ja
White et al., 2009
Bypass
361
1 und 2 J
Ja
de Zwaan et al., 2011
Bypass
59
2J
Ja
Rowston et al., 1992
Die Gewichtsabnahme ist meist aber immer noch beträchtlich!!
LOC=loss of control eating
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
S3 Leitlinien
Adipositaschirurgie
• Die „Binge-Eating“-Störung stellt heute keine generelle
Kontraindikation gegen bariatrische Maßnahmen mehr
dar.
• “Loss of control“ eating sollte postoperativ identifiziert
und ggf. behandelt werden.
Psychosomatik und
Psychotherapie
M. de Zwaan
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