Klausur in zwei Wochen Einführung in die Morphologie Flexion Anke Lüdeling Wintersemester 2002/2003 Flexion: Überblick Form: Item and Arrangement Item and Process Word and Paradigm Lemma/Lexem: abstrakte linguistische Einheit, die einer bestimmten Wortart angehört Unterscheidung Lemma – Morphem Funktion: Flexion und Syntax Unterscheidung Flexion – Wortbildung Lemma – Wortform – grammatisches Wort Lemma – Wortform – grammatisches Wort Lemma, Wortform, grammatisches Wort, Zitierform, Flexionskategorien, Paradigmata morphologische Modelle Bitte mailen Sie mir eventuelle Fragen und Punkte, die wir noch mal üben sollen bis Mittwoch 29.01.03, 12 Uhr zu! Lemma kann beliebig komplex sein nicht alle Morpheme gehören einer Wortart an (theorieabhängig!, vgl. Diskussion über Wortart bei Affixen) Zitierform Beispiele: TISCH, LANDTAGSKANDIDAT, SCHLAFEN, GRÜN, NASSKALT Vorsicht: diese Bezeichnungen sind arbiträr, man könnte auch sagen: das Lemma, das die Bedeutung tisch(x) und die Lautform <tıP> hat Konvention: Zitierform die Zitierform ist die Grundform, wie sie im Wörterbuch nachgeschlagen werden kann für Verben: Deutsch, Französisch, Englisch, Türkisch, ...: Infinitiv Latein, Griechisch, ...: 1.Pers.Sg.Präs.Ind. für Nomina Deutsch, Latein, ...: Nominativ Singular Ergativsprachen: Absolutiv Singular wichtig ist, dass man aus der Zitierform/den Zitierformen alle anderen Flexionsformen ableiten kann 1 Lemma – Wortform – grammatisches Wort Wortform: eine flektierte Form eines Lemmas jede Wortform wird nach allen vorhandenen Flexionskategorien markiert Flexionskategorien gelten für alle Lemmata einer bestimmten Wortart in einer gegebenen Sprache aus den Flexionskategorien & seinen Werten ergibt sich das Paradigma Flexionskategorien wichtige Unterscheidung: inhärente Flexion: hängt lexikalisch am Lemma, nicht kontextabhängig; ein Nomen im Dt. z.B. hat inhärent (lexikalisch) ein Genus und eine Flexionsklasse kontextuelle Flexion: je nach Kontext veränderbar, bei Nomina im Dt. zB Kasus und Numerus Kontextuelle Flexion: Kongruenz Kongruenzeigenschaften (agreement properties) asymmetrisch: die Flexion des einen Elements hängt von einem anderen ab Kongruenz ist aber auch symmetrisch: beide Elemente (das abhängige und das bestimmende) teilen die Eigenschaften Flexionskategorien im Deutschen ¾ Flexionskategorien für Nomina: Kasus, Numerus, Genus, Flexionsklasse dh, jedes Wortform eines Nomens muss immer für Kasus und Numerus etc. spezifiziert sein Flexionskategorien für Verben: Finitheit, Tempus, Numerus, Person, Modus, Flexionsklasse, (Genus Verbi) Flexionskategorien für Adjektive: Genus, Kasus, Numerus, Definitheit, Flexionsklasse, (Gradation) Kontextuelle Flexion kontextuelle Flexion teilt sich auf in Kongruenzeigenschaften abhängige (regierte) Flexion Kontextuelle Flexion: Kongruenz in einer Nominalphrase kongruieren zB Artikel und Adjektiv(e) in Kasus, Genus & Numerus mit dem Kopfnomen: eine kleine Tasse ein kleiner Becher Subjekte im Dt. kongruieren in Numerus mit dem Verb ich schlafe – wir schlafen 2 Kontextuelle Flexion: regierte Flexion bei der regierten Flexion (governed properties) bestimmt ein Element Flexionseigenschaften des anderen Elements, ohne die zu teilen zB Tempus Deutsch: Präsens, Imperfekt, Futur, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur 2 (wobei Perfekt, Plusquamperfekt, Futur, Futur 2 periphrastische Kasus sind, dh, sie bestehen aus zwei/drei Teilen) Altgriechisch: Präsens, Imperfekt, Futur, Aorist, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur 2 für jede Flexionskategorie sind bestimmte Werte definiert zB Kasus Präpositionen regieren einen Kasus mit regiert Dativ (mit dir) ohne regiert Akkusativ (ohne dich) Verben regieren Kasus ihrer Argumente Werte für Flexionskategorien Werte für Flexionskategorien Deutsch: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ Latein: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Ablativ, Vokativ Finnisch (insg. 15): Nominativ, Genitiv, Inessiv (in), Elativ (heraus aus), Illativ (hinein), Adessiv (auf), ... Werte für Flexionskategorien zB Numerus Deutsch: Singular, Plural Altgriechisch, Arabisch, ...: Singular, Plural, Dual Fiji, austronesische Sprachen: Singular, Plural, Dual, Trial (Aorist hat mehrere Funktionen: punktuelle vergangene Ereignisse, auf die Gegenwart wirkende Erfahrung, ... (Ars Graeca 1981)) weitere Flexionskategorien & Werte es gibt noch viele weitere Flexionskategorien – hier eine Auswahl Verben Aspekt Englisch: progressiv vs simple talk – be talking (was ist mit Deutsch am arbeiten sein) Kikuyu (Stump 1998, 28f) ... Kikuyu-Aspekt continuous: tũraagũraa nyama ‚we are buying meat‘ habitual: tũgũraga nyama ‚we buy meat‘ projected: tũũkũgũra nyama ‚we are going to buy meat‘ completive: twagũra nyama ‚we have bought meat‘ (gerade eben) initiative: tũgũriite nyama ‚we have bought meat‘ (Resultatszustand ist gültig) experiential: twanagũra ‚we have (at some point) bought meat‘ 3 weitere Flexionskategorien & Werte ... Verben ... Polarität (negativ – positiv) Kikuyu (Stump 1998, 29): tũ-kagwaata ‚we will take hold‘ tũ-ti-kagwaata ‚we will not take hold‘ Voice (genus verbi; Aktiv, Medium, Passiv) Sanskrit (Stump 1998, 29) Nomina: Definitheit, semantische Klasse (zB Belebtheit), ... (semantische Klasse kann mit Genus zusammenfallen, muss aber nicht) Kausativität, Objektkongruenz, ... Paradigma SINGULAR NOMINATIV PLURAL NOMINATIV Nomen im Dt.: Aktiv, wenn Subjekt Agens, aber nicht Benefaktor odanam apnoti ‚s/he obtains porridge (for someone else) Medium, wenn Subjekt gleichzeitig Agens und Benefaktor odanam apnute ‚s/he obtains porridge (for herself/himself)‘ Passiv, wenn Subjekt Thema odanam apyate ‚porridge is obtained‘ Paradigma weitere Flexionskategorien & Werte inhärent: Genus, Flexionsklasse, kontextuell: Kasus, Numerus dh pro Genus und Flexionsklasse (im folgenden vernachlässigt) SINGULAR GENITIV PLURAL GENITIV SINGULAR DATIV PLURAL DATIV SINGULAR AKKUSATIV PLURAL AKKUSATIV Paradigma, Beispiele Synkretismus, Form vs. Funktion Masc: Tisch Fem: Uhr Neut: Haus Tische Uhren Häuser Tisches Uhr Hauses Tische Uhren Häuser Tisch Uhr Haus Tischen Uhren Häusern Tisch Uhr Haus Tische Uhren Häuser nicht alle Wortformen sind eindeutig! → Synkretismus (soweit ich weiß, gibt es im Deutschen kein Nomen mit 8 verschiedenen Formen) die Flexionskategorien Numerus und Kasus können nicht eindeutig Morphen zugeordnet werden (keine 1:1 Abbildung von Form und Flexion, Portemanteaumorpheme) 4 Grammatisches Wort eindeutige Zuweisung einer Wortform zu einer Zelle im Flexionsparadigma Funktionen von Flexion Markierung von syntaktischen Funktionen (Subjekt, Objekt etc.) Flexionsmorphologie Wortstellung Partikeln (Präpositionen) Markierung von Kongruenz Flexionsmorphologie Wortstellung Partikeln Funktionen von Flexion der kleine Mann, ein kleiner Mann ein kleiner Mann sieht eine große Frau grammatische Wörter Masc: Tisch, Nominativ Singular Fem: Uhr, Nominativ Singular Neut: Haus, Nominativ Singular Tische, Nominativ Plural Uhren, Nominativ Plural Häuser, Nominativ Plural Tisches, Genitiv Singular Uhr, Genitiv Singular Hauses, Genitiv Singular Tische, Genitiv Plural Uhren, Genitiv Plural Häuser, Genitiv Plural Tisch, Dativ Singular Uhr, Dativ Singular Haus, Dativ Singular Tischen, Dativ Plural Uhren, Dativ Plural Häusern, Dativ Plural Tisch, Akkusativ Singular Uhr, Akkusativ Singular Haus, Akkusativ Singular Tische, Akkusativ Plural Uhren, Akkusativ Plural Häuser, Akkusativ Plural Funktionen von Flexion der Mann begrüßt die Frau die Frau begrüßt den Mann den Mann begrüßt die Frau Maria begrüßt Peter Mary greets Peter Seneca Lucilio suo salutem the woman greets the man the man greets the woman Literatur Ars Graeca Grammatik (1981) Ferdinand Schöningh, Paderborn Stump, Gregory T. (1998) Inflection. In: Spencer, Andrew & Zwicky, Arnold (eds) The Handbook of Morphology. Blackwell, Oxford 5