2017 Überlegungen für eine bundesweite Kampagne zur Einführung eines gleichberechtigten kommunalen Wahlrechts - unabhängig vom Pass und zur Aktivierung der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund (auf der Grundlage des ersten bundesweiten Treffens am 20.01.2017 in Nürnberg) Anlass Am 24. September 2017 finden die nächsten Bundestagswahlen statt und politische Beteiligung/ Teilhabe wird auch unter den Migrant*innen Thema sein. Sowohl für die Alt- als auch Neu-Zugewanderten. Mit einer bundesweiten Kampagne wollen wir das Thema kommunales Wahlrecht und die politische Partizipation der Migrant*innen - inklusive der 5,8 Millionen Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund - auf die politische Agenda zu setzen. Hintergrund Seit den 1960er Jahren und dem wachsenden Anteil von Bürger*innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit gibt es Versuche, die politische Integration dieser neuen Bürger*innen zumindest auf der kommunalen Ebene gleichberechtigt zu gestalten. Während entsprechende Gesetze z.B. der Bundesländer Schleswig-Holstein und Hamburg von 1989 vom Bundesverfassungsgericht 1990 gestoppt werden, beschließt 1992 der Bundestag (97%-Ja) und der Bundesrat einstimmig Änderungen des Grundgesetzes - Maastricht-Vertrag, Unionsbürgerschaft - und führt das aktive und passive Wahlrecht für EU-Staatsangehörige ein. Damals 25% und heute 44% der nicht-deutschen Staatsangehörigen sind damit bei den Wahlen der kommunalen Parlamente wahlberechtigt und als Gemeinderäte und in Parteien aktiv. Weder ist dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit noch die kommunale Demokratie entwertet worden, vielmehr sind mehr Bürger*innen gleichberechtigt an der Lösung ihrer Themen beteiligt. Allerdings, statt wie andere EU-Staaten, die Gelegenheit zu nutzen und in einem Zug alle Bürger*innen mit dem gleichen Wahlrecht - und der gleichen demokratischen Verantwortung - auszustatten, wurde in Deutschland eine Zwei-Klassen-Gesellschaft und ein Drei-Klassen-Wahlrecht etabliert, bei der 56% der nicht-deutschen Staatsangehörigen weiter politisch ausgegrenzt werden. In 15 EU-Länder dürfen alle EU- und Drittstaatsangehörige mindestens kommunal wählen. (http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/184447/aktuelle-entwicklungen) Deutschland, das so stolz auf das Grundgesetz, auf die Achtung der Menschenrechte und der Demokratie ist… ist jedoch nicht dabei. Das macht Deutschland als Vorreiter und Behüter der Europäischen Demokratie 1 unglaubwürdig. Deshalb ist es höchste Zeit, diese demokratische Rückständigkeit abzubauen und mindestens das kommunale Wahlrecht einzuführen. Ein weiterer Faktor, den wir nicht außer Acht lassen dürfen, ist die Zunahme von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus und die Salonfähigkeit ausländerfeindlicher Äußerungen in der deutschen Politik. Diese gilt es zu bekämpfen und dafür gibt es auch einen gemeinsamen Nenner mit den demokratischen Parteien, weshalb Sie das Thema der politischen Partizipations- und Beteiligungsmöglichkeiten auf ihre Agenda setzen sollen. In 2017 scheint das Thema wieder politische Aufmerksamkeit zu gewinnen. Die Politik hat das Thema und auch die Migrant*innen als Wählergruppe „wiederentdeckt“. Immer mehr Parteien und Stiftungen setzten sich mit den Möglichkeiten der politischen Partizipation auseinander. Zuletzt wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung durch eine 38-köpige Expertenkommission unter dem Vorsitz der Integrationsbeauftragte des Bundes, Aydan Özoguz ein Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft erarbeitet. In diesem Leitbild steht „Eine gerechte Gesellschaft bedeutet, dass alle teilhaben können. Wir können und müssen die Teilhabe von Menschen mit Einwanderungsgeschichte erleichtern. Die Einwanderungsgesellschaft braucht leichtere Zugänge zur deutschen Staatsbürgerschaft und bessere demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten für Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft.“ Das wäre eine Grundlage für das weitere Handeln. (http://library.fes.de/pdf-files/dialog/13185.pdf) Möglicherweise besteht eine historische Chance, die wir gemeinsam nutzen können. Statt „wir“ und „ihr“ gestalten Bürgerinnen und Bürger mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam ein demokratischeres Land. Ansatz 1. Gemeinsam vorgehen 2. Bundesweit, so flächendeckend wie möglich 3. Wiedererkennungseffekt: mit gemeinsamen Kampagnen-Elementen 4. Als politischer Akteur sichtbar machen und Wähler*innenpotenzial aufzeigen 5. Niederschwellig und symbolisch 6. Koordination auf Länderebene, Durchführung vor Ort 7. Parteipolitisch neutral Seit Jahrzehnten gibt es in einzelnen Kommunen und Bundesländern Einzelpersonen, Organisationen, Bündnisse, Migrant*innenselbstorganisationen und -vertretungen, die auf das demokratische Defizit aufmerksam machen. Der politische Weg zur Einführung des kommunalen Wahlrechts - wie schon zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für EU-Staatsangehörige - führt über Entscheidungen im Bundestag und Bundesrat. Kein Zeitpunkt für das bundespolitische Thema ist passender als erstens Wahlen und zweitens die des Parlaments in Deutschland. 2 Zeitlich versetzt wurden bisher Unterschriften gesammelt, Plakat- und online-Aktionen durchgeführt, Resolutionen in Kommunen abgegeben, Tagungen abgehalten, Rechtswege geprüft, demonstriert, symbolisch gewählt oder politische und mediale Lobbyarbeit eingesetzt. Eine bundesweite Kampagne aus den Kommunen und Bundesländern stärkt das Anliegen und den demokratischen Fortschritt. Und vernetzt die Verbände und Organisationen der Migrant*innen. Methode – symbolische Wahlen Neben den klassischen Mitteln - Medienarbeit/ Erklärungen, Lobbyarbeit, social media - werden mit dem Rückenwind des Wahlkampfes symbolische Wahlen für die Nicht-Wahlberechtigten vorbereitet und beworben. Der Wahlkampf für das Wahlrecht nutzt die Elemente einer Wahl - Wahlaufrufe, Wahlveranstaltungen, Wahlstände, Wahlprüfsteine, Wahlwerbespot, Wahlsong - zur Aktivierung. Höhepunkt ist die symbolische Wahl nach denselben Verfahren und denselben Listen wie bei den offiziellen Wahlen. Den symbolisch gewählten Abgeordneten werden nach der Wahl, als Wählerauftrag, die Stimmzettel der symbolischen Wahl feierlich und öffentlich überreicht. Symbolische Wahlen sind eine lebendige, relativ neue und doch erprobte Methode vor Ort, die „Betroffene“ beteiligt, aktiviert und sichtbar macht. Eine große Stärke dieser Kampagne könnte sein, dass bundesweit möglichst flächendeckend am selben Tag niederschwellige und symbolische Aktionen mit Wiedererkennungseffekt stattfinden. So wird die Botschaft sichtbar und gut vermittelt. Wer macht´s? 1. Gruppe: Migrant*innenvertretungen (Integrationsbeiräte o.ä.), die die demokratische Lücke überbrücken und Organe der Kommunen sind. Beiräte sind bundesweit unterschiedlich weit entwickelt, werden gefördert oder behindert. Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat (BZI), Landesverbände oder auch einzelne Organisationen und Vereine, die das Thema vorantreiben wollen. Die Grenzen sind fließend zur 2. Gruppe: Migrant*innenselbstorganisationen - lokal, auf Landes- oder Bundesebene. Und zivilgesellschaftliche und gesellschaftspolitische Organisationen, z.B. Gewerkschaften, Gruppen, Initiativen, die das Anliegen und demokratische Vorstellung teilen. Wie geht’s? Vernetzungskommittee aus Beteiligten finanzielle Beteiligung (je nach Möglichkeit, an Finanzen soll die Aktion nicht scheitern) 3 politische Forderungen: Vereinbarung über gemeinsamen Nenner, gemeinsames Design für Kampagne: Plakate, online-Auftritt, Materialien (Wahlprüfsteine, Wahlaufruf) Wiedererkennungseffekt eine Hauptmethode: symbolische Wahlen, aber diverse Durchführung ( z.B. nur Plakate) und eigenes Vorgehen (Veranstaltungen …) Ziel Ziel 1: Wahlrecht: Öffentliche Wahrnehmung, Debatten, mittel- und langfristig 2/3 Mehrheit im Bundestag und Bundesrat Ziel 2: Menschen mit Migrationshintergrund werden aktiviert, ihr Wahlrecht zu nutzen und als Wählende wahrgenommen zu werden. Dann werden auch ihre Themen mehr bedient (erleichterte Einbürgerung, klare doppelte Staatsangehörigkeit, Änderungen Aufenthaltsgesetz (Familiennachzug), mehr Handeln gegen Diskriminierung bei Arbeits- und Wohnungssuche, im Bildungssystem etc.) Zielgruppe Migrant*innen mit und ohne Wahlrecht Politik, Medien, Gesamtgesellschaft Slogan (bisheriges Brainstorming) Wählen ohne Wahlzettel Jede Stimme zählt hier lebe ich, hier wähle ich Demokratie braucht jede Stimme, Kommunales Wahlrecht für alle Mitmachen! Wählen! Hier wo ich lebe will ich wählen Wahlrecht ist auch Menschenrecht wir wählen Das Thema des kommunalen Wahlrechts ist nach wie vor und immer intensiver politisch und medial auf der Tagesordnung. Die Parteien entdecken sich die neue potentielle Wählerschaft (siehe z.B. Umfrage der CSU-nahe Hanns-Seidel Stiftung in Bayern: https://www.hss.de/fileadmin/user_upload/HSS/Dokumente/170201-Praesentation-HSS-Migranten-inBayern.pdf Es dient Parteien, um ihre Position zu den Themen Migration/ Integration und Partizipation deutlich zu machen und um Wählergruppen zu gewinnen - mit der Befürwortung und genauso mit der Ablehnung. 4 Unser Ziel ist es, das Thema für die Politik nicht mehr vermeidbar und ausblendbar zu machen. Jede Partei muss dazu Position beziehen. Für uns gilt: Wir wollen nicht Parteien bedienen, sondern demokratische Gleichberechtigung und Beteiligung herstellen. Für die Vorlage: Clemens Hauser (Freiburger Wahlkreis 100%) und Réka Lörincz (AGABY) 5