Paulo Coelho Globo 378 Seite 1 Blickkontakt Anfangs war Lex Maars nur ein beharrlicher Mann. Fünf Jahre lang lud er mich regelmäßig brieflich über meine Agentin zu einem seiner Vorträge in seiner Heimatstadt in Holland ein. Meine Agentin antwortete ihm fünf Jahre lang, daß mein Terminkalender voll sei. Ehrlich gesagt, war mein Terminkalender nicht immer voll, aber ein Schriftsteller ist nicht notwendigerweise ein guter Vortragsredner. Außerdem ist, was ich sagen möchte, bereits in meinen Büchern und Kolumnen enthalten – daher vermeide ich, Vorträge zu halten. Lex fand heraus, daß ich für einen holländischen Fernsehsender ein Programm aufnehmen würde. Als ich zur Aufzeichnung der Sendung das Hotel verlassen wollte, wartete er unten am Eingang auf mich. Er stellte sich mir vor und bat mich mit folgenden Worten, ihm zu gestatten, mich zu begleiten: „Ich bin jemand, der das Wort › nein‹ durchaus akzeptieren kann. Nur glaube ich, daß ich bislang mein Ziel auf die falsche Weise zu erreichen versuchte. Man muß für seine Träume kämpfen, aber man muß auch wissen, daß es besser ist, wenn bestimmte Wege dorthin sich als unmöglich herausstellen, damit man seine Energien für andere Wege aufsparen kann.“ Ich hätte einfach „nein“ sagen können (ich habe dieses Wort schon häufig gesagt und zu Hören bekommen), aber ich beschloß, eine diplomatische Lösung zu finden: ihm nicht erfüllbare Bedingungen zu stellen. Ich sagte ihm, ich würde den Vortrag unentgeltlich halten, allerdings dürfe das Eintrittsgeld zwei Euro Paulo Coelho Globo 378 Seite 2 nicht übersteigen und im Saal dürften sich höchstens 200 Personen befinden. Lex stimmte zu. „Sie werden mehr ausgeben als einnehmen“, warnte ich ihn. „Meinen Berechungen nach werden allein das Flugticket und der Preis für die Hotelübernachtung dreimal so hoch wie Ihre Einnahmen sein. Dazu kommen noch die Werbekosten und die Saalmiete…“ Lex unterbrach mich, das alles sei nebensächlich, was er in seinem Beruf erlebe, veranlasse ihn dazu, diesen Vortrag zu organisieren. „Ich organisiere Veranstaltungen, weil ich weiterhin glauben möchte, daß der Mensch auf der Suche nach einer besseren Welt ist. Ich muß etwas dazu beitragen.“ Was denn sein Beruf sei, wollte ich wissen. „Ich verkaufe Kirchen.“ Seine Antworte verblüffte mich: „Ich bin vom Vatikan beauftragt, Käufer auszuwählen, weil es in Holland bereits mehr Kirchen als Gläubige gibt. Und da wir in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben und mit ansehen mußten, wie heilige Orte in Nachtclubs, Eigentumswohnungen, Boutiquen sogar Sexshops verwandelt wurden, haben wir das Verkaufssystem geändert. Das Projekt muß von der Gemeinde genehmigt werden, und der Käufer muß sagen, was er mit der Immobilie vorhat: Wir akzeptieren im allgemeinen nur Vorschläge, die ein Kulturzentrum, eine Wohltätigkeitsorganisation oder ein Museum vorsehen Sie fragen sich jetzt wohl, was das mit Ihrem Vortrag und den anderen Vorträgen zu tun hat, die ich zu organisieren versuche? Die Menschen begegnen einander Paulo Coelho Globo 378 Seite 3 nicht mehr. Und wenn sie einander nicht mehr begegnen, können sie nicht wachsen.“ Und, indem er mir fest in die Auge sah, schloß er: „Begegnungen. Genau das habe ich bei Ihnen falsch gemacht: Anstatt Ihnen ständig E-Mails zu schicken, hätte ich Ihnen gleich zeigen sollen, daß ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin. Als ich einmal von einem bestimmten Politiker keine Antwort erhielt, habe ich an seine Tür geklopft, und er hat zu mir gesagt: >Wenn Sie etwas wollen, müssen zu erst einmal Ihre Augen zeigen.< Seither halte ich es so und habe nur gute Erfahrungen damit gemacht. Wir können über alle Kommunikationsmittel der Welt verfügen, aber nichts, wirklich gar nichts, kann den Blickkontakt ersetzen.“ Selbstverständlich habe ich die Einladung angenommen. P.S. Als ich diese Stadt für jenen Vortrag besucht habe, bat ich darum, einige zum Verkauf stehende Kirchen sehen zu dürfen, weil ich wußte, daß meine Frau, eine bildende Künstlerin, seit langem den Wunsch hatte, ein Kulturzentrum zu schaffen. Ich fragte nach dem Preis eines Gotteshauses, das normalerweise Sonntags 500 Gemeindemitglieder faßte: Es kostete 1 € (EINEN EURO!), wobei die Erhaltungskosten allerdings astronomische Größenordnungen erreichen konnten. Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann