Paulo Coelho Globo 409 Seite 1 Die fünf Regeln des Sun Tzu Die im Jahr 490 vor Christus von Sun Tzu verfasste „Die Kunst des Krieges“ stellt fünf Kampfesregeln auf. 1. Der Glaube: Bevor man in die Schlacht zieht, ist es notwendig, an den Sinn des Kampfes zu glauben. Rabbi Zuya, ein tiefgläubiger Mann, wollte die göttlichen Mysterien begreifen und beschloß daher, Moses nachzueifern. Jahrelang verhielt er sich so wie Moses aber das erhoffte Ergebnis, zu sein wie Moses, stellte sich nicht ein. Eines Abends schlief er vom vielen Bibelstudium erschöpft und im Gefühl ein, sein Ziel nicht erreichen zu können. Im Traum erschien ihm Gott: „Warum bist du so mutlos, mein Sohn“, fragte er. „Meine Tage auf Erden sind gezählt und ich bin weit davon entfernt, wie Moses zu sein“, antwortete Zuya. „Ich habe mit aller Kraft gekämpft, jedoch vergebens.“ „Wenn ich einen zweiten Moses brauchte, hätte ich ihn geschaffen“, sagte Gott. „Wenn du vor mir erscheinst, um gerichtet zu werden, werde ich dich nicht fragen, wieso du nicht wie Moses warst, sondern wie du selber warst. Versuche ein guter Zuya zu sein.“ 2. Der Gefährte: Suche dir Verbündete und lerne gemeinsam mit ihnen zu kämpfen, denn niemand gewinnt allein einen Krieg. Ein Bäcker wollte einen großen Guru besser kennenlernen und lud ihn zum Abendessen ein. Am Vortag war dieser als Bettler verkleidet in die Bäckerei Paulo Coelho Globo 409 Seite 2 gegangen, hatte sich ein Brot genommen und angefangen es zu essen. Der Bäcker hatte ihn aus dem Laden geworfen. Am nächsten Tag kamen der Guru und ein Schüler in das Haus des Bäckers und fanden dort einen reich gedeckten Tisch vor. Während der Mahlzeit fragte der Schüler: „Wie kann man einen guten von einem schlechten Menschen unterscheiden?“ „Man braucht nur diesen Bäcker anzusehen. Er ist imstande, zehn Goldstücke für ein Bankett auszugeben, weil ich berühmt bin, aber außerstande, einem hungrigen Bettler ein Stück Brot zu essen zu geben.“ 3. Die Zeit: Eine Schlacht im Winter ist anders als eine Schlacht im Sommer. Ein Kamelhändler kam in ein Dorf, wo er schöne Tiere zu einem guten Preis verkaufte. Alle kauften, nur Hoosep nicht. Einige Zeit darauf kam ein anderer Verkäufer mit aufgezeichneten Kamelen zu einem weit höheren Preis ins Dorf. Diesmal kaufte Hoosep ein paar Tiere. „Du hast keine Tiere gekauft, als sie fast geschenkt waren, und kaufst jetzt welche zum doppelten Preis“, kritisierten ihn seine Freunde. „Die billigen waren damals für mich zu teuer, weil ich wenig Geld hatte“, antwortete Hoosep. „Diese mögen teurer scheinen, aber für mich sind sie billig, denn jetzt habe ich mehr als genug, um sie zu kaufen.“ 4. Der Raum: In einer Schlucht kämpft man anders als auf einer Ebene. Ich ging durch eine kleine Straße im Norden Paulo Coelho Globo 409 Seite 3 Spaniens, als ich in einem Garten einen Bauern liegen sah. „Sie zerdrücken die Blumen“, sagte ich. „Nein“, sagte er. „Ich versuche ihren Duft ganz in mich aufzunehmen.“ 5. Die Strategie: Der beste Krieger ist derjenige, der seine Schlacht plant. Einige Ninja-Krieger gehen auf ein frisch ausgesätes Maisfeld. Den Befehlen ihres Ausbilders folgend springen sie über die Stellen, an denen Samen ausgebracht worden sind. Tagtäglich kehren die Ninja-Krieger an diesen Ort zurück und springen. Der Schössling wird zu einer kleinen Pflanze – und sie springen darüber hinweg. Sie langweilen sich nicht. Sie finden nicht, daß sie ihre Zeit verlieren. Der Mais wächst, und die Sprünge werden immer höher. Und als die Pflanzen ausgewachsen ist, können die NinjaKrieger immer noch über sie hinwegspringen. Warum? Weil sie das Hindernis gut kennen, denn sie haben es lange beobachtet. Übersetzung: Maralde Meyer-Minnemann