Religions for Peace / Weltkonferenz der Religionen für den Frieden Der Gewalt entgegentreten – gemeinsam den Frieden sichern Die Kyoto-Erklärung zur Friedenserziehung Kyoto/Japan, 28. August 2006 1. Zu Beginn des dritten Jahrtausends steht die Friedenserziehung der Religionen vor großen Herausforderungen weltweit: Zu viele Kinder und Heranwachsende leiden unter ungerechten sozialen Strukturen: haben keinen Zugang zu schulischer und beruflicher Ausbildung, sind in extremen Situationen umgeben von Gewalt in Kriegs- und Nachkriegssituationen, sind gezwungen zu Kinderarbeit, Kindersklaverei, Prostitution. Zu vielen Kindern und Heranwachsenden fehlt die Erfahrung von Liebe, Geborgenheit und Schutz. Sie sind der Verbraucher-Ideologie ausgesetzt, werden vernachlässigt, benutzen Drogen und erliegen der Verlockung der Gewalt. Zu vielen Kindern und Heranwachsenden fehlt eine fundamentale religiöse und kulturelle Orientierung: die Kenntnis sowohl der eigenen religiösen und kulturellen Tradition als auch der anderer Religionen und Weltanschauungen. Sie sind deshalb verbreiteten Vorurteilen, Stereotypen und Feindbildern zwischen kulturellen und religiösen Gruppen ausgeliefert. Zu vielen Kindern und Heranwachsenden fehlt die nötige ethische Erziehung: Sie werden nur dann für ein Zusammenleben ausgerüstet sein, das unserem Planeten die Zukunft sichert, wenn sie ihre Mitmenschen achten, sich verantwortlich fühlen für alle belebte und unbelebte Natur, sensibel sind gegenüber Hass, Gewalt und allen Entwicklungen, die Leben und Gemeinschaft bedrohen. II. Friedenserziehung kann auf den spirituellen, ethischen und sozialen Potentialen der Religionen aufbauen: Trotz einer Geschichte, die voll ist von Spannungen, Konflikten und Kriegen gibt es in den Religionen eine tiefe Motivation für den Frieden – nicht nur für persönlichen und inneren Frieden, sondern auch für die aktive Überwindung von Aggressionen und den Aufbau einer effektiven Zusammenarbeit für einen umfassenden Frieden. Nahezu alle großen Friedensbewegungen des 20. Jahrhunderts – zum Beispiel das gewaltfreie Handeln in der Gandhi-Bewegung, die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King, die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika und die Wende in der DDR – sind von religiösen Kräften getragen bzw. mitgetragen worden. Eine besondere Erkenntnis der Religionen liegt darin, dass der Friede „von innen“ kommen muss, dass das „offene Herz“ eine Vorbedingung für aktive Friedensarbeit ist. 2 Die Religionen können Lebenssinn stiften und ein Weltverständnis vermitteln, das nicht nur auf kurzfristige Ziele ausgerichtet ist. Die Ethik der großen Religionen hat eine globale, nicht nur eine partikulare Dimension. Die Erklärung zum Weltethos des Weltparlaments der Religionen (1993) zeigt das sehr deutlich. Die Religionen können das Lernen für eine Kultur der Gewaltfreiheit und der Achtung vor allem Leben fördern – und das in interreligiöser Zusammenarbeit. Die Religionen können das Lernen für eine Kultur der Solidarität und eine gerecht Wirtschaftsordnung fördern – und das in interreligiöser Zusammenarbeit. Die Religionen können das Lernen für eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit fördern – und das in interreligiöser Zusammenarbeit. Die Religionen können das Lernen für eine Kultur der Gleichberechtigung und der Partnerschaft von Mann und Frau fördern – und das in interreligiöser Zusammenarbeit. III. Die Religionen müssen Vorschläge zur Umsetzung ihrer Potentiale für Friedenserziehung machen: Gegründet in der Beziehung zu einem Letztgültigen, einem unbedingten Anliegen, das menschliche Grenzen übersteigt, können sie Kraft geben, in langfristiger Perspektive, nicht nur kurzfristig zu arbeiten – und das sollte für alle religiösen Erziehungsbemühungen gelten. Von ihren Erfahrungen her können sie aktiv werden in der Vorbeugung von Konflikten, in der Konfliktlösung und in der Versöhnungsarbeit nach Konflikten – und dafür muss die erzieherische Arbeit ausgeweitet werden. Es ist wichtig, eine gute Balance zwischen dem Vertraut-machen mit der eigenen religiösen Tradition und der Kenntnis anderer Religionen und Weltanschauungen zu finden. Das gilt für Konzepte konfessioneller wie auch überkonfessioneller religiöser Erziehung. Wo immer die Gelegenheit zu direkter Begegnung zwischen Religionsgemeinschaften gegeben ist, sollte dies genutzt werden, um eine authentische Darstellung und Wahrnehmung der jeweiligen Glaubensvorstellungen und religiösen Praxis zu ermöglichen. Die Religionsgemeinschaften sollten für die Vermittlung religiöser Kenntnisse und interreligiösen Verstehens auch im öffentlichen Bildungswesen eintreten und ebenso für eine Erziehung zu gewaltfreier Kommunikation und Konfliktlösung sowie für Umwelterziehung und Erziehung zu sozio-ökonomischer Verantwortung. - Eine Grundbedingung ist hier die Achtung für die Überzeugungen der Anderen und die Bemühungen, ihr Selbstverständnis ernst zu nehmen. - Eine weitere Notwendigkeit besteht darin, sorgfältig die reale Situation der Kinder und Heranwachsenden wahrzunehmen und ihre eigene Kreativität zur Geltung kommen zu lassen. Kinder können selbst Erzieher sein. - Als besonders anregend erweist es sich, Jugendliche zu sozialen Aktivitäten zusammen zu bringen: Jugendliche können Jugendliche inspirieren und „lehren“. - Es gibt viele ermutigende Beispiele interreligiöser Friedenserziehungsprojekte in verschiedenen regionalen und kulturellen Kontexten, die zu furchtbarem Austausch zwischen Erziehern und pädagogischen Einrichtungen führen können (ein Beispiel: 3 der Austausch zwischen dem Friedensdorf Neve Schalom in Israel und nordirischen integrativen Erziehungsprojekten). Es ist eine Aufgabe und besondere Chance für Religionen für den Frieden/WCRP – durch ihre Ständige Kommission für Friedenserziehung (Peace Education Standing Commission/PESC) wie auch durch ihre internationalen, kontinentalen, nationalen und lokalen Gremien – die sich ausweitenden Netzwerke für religiöse/interreligiöse Erziehung, Friedenserziehung, soziale Erziehung, Menschenrechtserziehung und Umwelterziehung zu unterstützen. Dabei ist deutlich, dass bei allen Initiativen die Kontexte, das jeweilige Umfeld, seine kulturellen, sozialen und erzieherischen Bedingungen beachtet werden müssen. Japan als das Land der 8. Weltversammlung von Religions for Peace zeigt z.B. ein unverwechselbares Eigenprofil hinsichtlich seines pluralen, vor allem von Shinto und verschiedenen buddhistischen Richtungen, aber auch von Säkularität geprägten Umfeldes. Es muss ein intensiverer Austausch entwickelt werden bezüglich der grundlegenden Konzeptionen und Ziele der Friedenserziehungsprojekte, ihrer Erfahrungen und Trainingsmethoden, so dass Erzieher, Gemeinden und die staatlichen Erziehungsinstitutionen voneinander profitieren können. Das bedeutet im Einzelnen: - Ermutigung zu Kontakt und Kooperation zwischen Theologen und Religionslehrern aus verschiedenen Religionsgemeinschaften wie auch mit Experten vergleichender Religionsgeschichte - Verbesserung der Ausbildung von Religionslehrern und Geistlichen in ihrer Kenntnis anderer Religionen und Weltanschauungen und ihrer ethischen Grundsätze – wobei jeder Seite die Gelegenheit zur Selbstdarstellung gegeben werden soll - Untersuchung und Verbesserung von Richtlinien, Lehrplänen und Schulbüchern hinsichtlich ihrer Darstellung verschiedener Religionen und Weltanschauungen - Eine sorgfältige und kritische Betrachtung der Geschichte der Religionen - Die Einbeziehung der Begegnung mit Gläubigen verschiedener Religionen in das Erziehungsprogramm - die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von schulischer und gemeindlicher Arbeit auszuschöpfen und schulische Gemeinschaftsprojekte anzuregen - die Veranstaltung einer Kinderkonferenz zu planen, beginnend mit der 9. Weltversammlung von Religions for Peace. IV. Folgende Schritte sollten unternommen werden, um Religionsgemeinschaften und erzieherische Institutionen für ihr Engagement in der Friedenserziehung auszurüsten: Grundlegende Erkenntnis der Peace Education Standing Commission/PESC ist, dass es kontinuierlicher und systematischer interreligiöser und internationaler Zusammenarbeit bedarf, die über Konferenzen und Deklarationen hinaus geht (so wichtig diese für neue Initiativen und den wiederholten Austausch sind). Die Arbeit der Friedenserziehungskommission ist so weit erfolgreich gewesen, als sie die Erziehungsfelder beschrieben und die Experten mit Richtlinien und Beispielen für das erzieherische Wirken in verschiedenen Ländern und in verschiedenen religiösen, kulturellen sozialen Kontexten versorgt hat. Die in dreijährigem Abstand veranstalteten Nürnberger Foren für eine Erziehung zur Religions- und Kulturbegegnung sind ein Kristallisationspunkt dieser Arbeit. 4 Jede nationale Sektion von Religions for Peace sollte wenigstens einen Vertreter oder eine Vertreterin benennen, die Erfahrungen im Erziehungsbereich haben, um dem Steering Committee und dem Advisory Council der Friedenserziehungskommission assoziiert zu werden, um die Arbeit zu vertiefen und auszuweiten. Die Arbeit der Friedenserziehungskommission sollte in engere Zusammenarbeit mit anderen interkulturellen und interreligiösen Bewegungen gebracht werden – wie der UNESCO, dem International Seminary on Religious Education and Values (ISREV), der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Weltreligionen in der Erziehung (EAWRE) und anderen. Die Friedenserziehungskommission sollte in der Lage sein, neue Initiativen für religiöse und interreligiöse Erziehung anzuregen und zu beraten – in schulischer wie in gemeindlicher Arbeit. Einige Beispiele: - Die Dokumentation von Projekten, in denen die Bedeutung spiritueller Werte für die Erziehungsaufgaben sichtbar wird - Die Anregung von Gebetswochen für den Weltfrieden - Die Weitergabe von Hilfen für religiöses und interreligiöses Lernen in der Familie - Die Veröffentlichung von Friedenstexten aus den Religionen - Die Förderung der Präsenz interreligiöser Themen in den Medien, besonders für die Jugend - Die intensive Betreuung der PESC-Website – auch mit der Darbietung „guter Bei spiele“ aus Lehrplänen und Schulbüchern sowie kreativer Projekte (darstellende Kunst, Musik ...) für eine bildungsrelevante Begegnung der Religionen Dafür sollte die Infrastruktur der Friedenserziehungskommission verbessert werden. Bis jetzt mussten die Möglichkeiten für Austausch und Aktivitäten auf globaler Ebene begrenzt bleiben. Von besonderer Relevanz ist eine professionelle Koordination der Kommissionsarbeit (wie sie in der ersten Zeit nach Einrichtung der Kommission von WCRP International ermöglicht wurde) sowie die direkte Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen, um eine religiös fundierte Friedenserziehungsarbeit weiter zu entwickeln und zu evaluieren. Global denken, lokal handeln und konstruktiv auf internationaler, kontinentaler und nationaler wie auch örtlicher Ebene arbeiten – mit sorgfältiger Berücksichtigung der spezifischen Kontexte, Herausforderungen und Möglichkeiten: das kann die Friedenserziehung in den Religionen und durch die Religionen zu entscheidenden Mittel machen, der Gewalt entgegenzutreten und gemeinsam den Frieden zu sichern. Für weitere Information, Kontakte und Anregungen: Peace Education Standing Commission (PESC) Prof. Dr. Johannes Lähnemann, Universität Erlangen-Nürnberg Regensburger Str. 160 Fax: +49-911-5302-502 D-90478 Nürnberg, Germany E-mail: [email protected] www.wcrp.de/pesc