„Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas Mitten in der Nacht wachst du auf - und kannst keinen Umständen mit der Rolle als Zweitgeborener nicht wieder einschlafen; du bist hellwach und abfinden. Darum erschleicht er sich den Vaterdenkst an das, was vor dir liegt. Oder dich haben die Segen, indem er erst seinen Bruder Esau betrügt und Bilder eines Traums geweckt, die noch eine ganze dann seinen Vater Isaak belügt. Doch nun, da er die Weile bei dir bleiben. Andere können vielleicht gar Rache seines Bruders fürchten muss, flieht Jakob auf nicht erst einschlafen; sie gehen körperlich todmüde Anraten und mit Hilfe seiner Mutter Rebekka. Nach zu Bett, aber ihr Hirn erzeugt unablässig Gedanken; etwa 100 km gehetztem Fußmarsch landet Jakob in ein wahres Neuronenfeuer hindert daran, endlich der Wüste bei Be`erscheba, packt sich einen Stein zur Ruhe zu kommen. unter den Kopf und schläft ermattet und ermüdet Die existentielle Erfahrung der SCHLAFLOSIGKEIT ist ein. Doch sein Inneres wird unversehens wieder sehr ambivalent. Zu ihren positiven Seiten gehört geweckt durch einen Traum. Das Traumbild ist das Glück, dass Energie und Kreativität freigesetzt keine „Himmelsleiter“, sondern eine Art Aufgang, werden können, wenn du, nachdem alle schon eine Treppe, auf der „Engel“ hinauf- und schlafen, in die Ruhe der Nacht eintauchst, sei es bei hinabsteigen, während von oberhalb der einem nächtlichen Spaziergang, einer Nachtfahrt im Treppenspitze die Stimme Gottes dem schlafenden Auto oder nachts am Schreibtisch. Eine noch Jakob einen umfassenden Segen zuspricht. stärkere Energie und Kreativität kann die Zeit des Jenseits moralischer Maßstäbe wird hier Übergangs von der Nacht zum neuen Tag - die Zeit jemandem Leben als Gabe zugesagt, der es zu Lasten kurz vor dem Sonnenaufgang, die Zeit des Anderer mit eigenen Kräften an sich reißen wollte. heraufziehenden Morgenlichts - in dir wecken. „Die So wird der schlafende Jakob geweckt für eine Nacht ist schon im Schwinden, / macht euch zum Wirklichkeit, mehr noch: von einer Wirklichkeit, Stalle auf!“ (EG 16,3) - so beschreibt Jochen Klepper die über das hinausgeht, was er sich selbst in seinen in dichterischer Sprache diese Erfahrung als kühnsten Träumen kaum erhofft haben wird. Diese spirituelles Erlebnis. Wirklichkeit begegnet ihm als eine Verbundenheit Geweckt zu werden und zu erwachen - das ist, in und Verbindlichkeit, die seinem Dasein ganz und der Sprache der Bibel, die Ostererfahrung; so gar vorausliegt - und ihm insofern „transzendent“ spricht z. B. Paulus statt von „Auferstehung“ von ist. Im Blick auf unsere moderne Vorstellung vom „Auferweckung“. Sie ist der Berufungserfahrung „Selbstbewusstsein“ frage ich: Hat Jakob vor seinem der Propheten ganz ähnlich: ein unbedingtes Traum überhaupt ein „Selbstbewusstsein“ gehabt Angesprochen- und Inanspruchgenommensein, dem oder ist er, was ich vermute, zum Bewusstsein von du dich einfach nicht mehr entziehen kannst; eine Leben und von sich selbst überhaupt erst kraft Art „zwangloser Zwang“, wie du ihn gegenüber seines Traumes erwacht, in dieser spezifischen einem schönen Bild, einer wunderbaren Musik oder SCHLAFLOSIGKEIT? einem Menschenantlitz empfindest, die dich Von dieser inneren SCHLAFLOSIGKEIT im Träumen unwiderstehlich anziehen, die deine Sinne wecken ist es nur ein Schritt zu einer SCHLAFLOSIGKEIT, die und erwachen lassen. wir ebenfalls alle kennen: die SCHLAFLOSIGKEIT oder Man kann das Entstehen, das Erscheinungsbild umgekehrt das Gewecktwerden, das Erwachen und und die Wirkungen der unterschiedlichen, das Wachsein- bzw. Wachbleibenmüssen aus Liebe. vielfältigen Formen der SCHLAFLOSIGKEIT Davon gibt uns - und das ist der angekündigte physiologisch oder psychologisch erklären. Heute unbekannte Text - das Lied einer jungen Frau allerdings verwende ich den Begriff der Zeugnis, das wir im Hohenlied Salomos Kapitel 5, SCHLAFLOSIGKEIT ausschließlich philosophisch. Verse 2 bis 6, mit folgenden Worten finden2: Darauf gebracht hat mich der französische Ich schlief, doch wach war mein Herz. Philosoph Emmanuel Lévinas, zu dessen Leben und Horch, mein Geliebter klopft: Werk ich nachher noch etwas sagen werde. Öffne mir, meine Schwester, meine Freundin, Zunächst jedoch erinnere ich an eine bekannte meine Taube, meine Makellose! biblische Geschichte und einen unbekannteren Voll Tau ist mein Haupt, biblischen Text. meine Locken voll Tropfen der Nacht. Ich habe mein Kleid abgelegt, wie könnte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füsse gewaschen, wie könnte ich sie wieder beschmutzen? Mein Geliebter streckte seine Hand durch die Öffnung, Mit der bekannten biblischen Geschichte meine ich die von Jakobs Traum1. Jakob will sich unter Genesis 28,10-22. - Der Name „Ja’akow“ / „Fersenhalter“ bedeutet im übertragenen Sinn soviel wie „windiger Bursche“, „Trickser“, „Schleimer“, 1 „Einschleicher“, „Betrüger“. Schon an diesem „Erzvater“ wird deutlich, dass die von Gott Berufenen keineswegs Menschen mit besonderer moralischer Qualifikation sein müssen und es bei den biblischen Gestalten und ihren Geschichten um existentielle Grunderfahrungen statt um moralische Postulate geht! 2 Übersetzung: Neue Zürcher Bibel (2007) 1/6 „Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas Blick auf das „Bewusstsein“ bzw. da bebte mein Innerstes ihm entgegen. „Selbstbewusstsein“ bedeutet, habe ich eben schon Ich stand auf, meinem Geliebten zu öffnen, angedeutet: Das „Bewusstsein“ bzw. und meine Hände troffen von Myrrhe „Selbstbewusstsein“ empfängt die Bedingung seiner an den Griffen des Riegels. Möglichkeit von einem auf es Zukommenden und Ich öffnete meinem Geliebten, ihm so zu Grunde Liegenden her, das nicht in ihm doch mein Geliebter war gegangen, war fort. enthalten ist. Ausser mir war ich, dass er sich weggewandt hatte. Das „Bewusstsein“ bzw. „Selbstbewusstsein“ ist Ich suchte ihn und fand ihn nicht, etwas Grundgelegtes: Passivität statt Aktivität - und rief ihn, doch er gab nicht Antwort. damit Aktivität, die von einer grundlegenden Von der Liebe berührt und erfasst, befindet sich Passivität erweckt wird und sich kraft dieser die junge Frau in einem eigentümlichen Zustand: Passivität ereignet; konstitutiv für das Menschsein, Ähnlich wie Jakob schläft auch sie, was ihre äußere das Personsein, die Subjektivität und Individualität, Befindlichkeit betrifft, aber im Inneren ist sie aber von einem Anderen her konstituiert; Identität hellwach, geweckt und bereit: im Herzen. Dabei ist kraft der Nicht-Identität. Die grundsätzliche zu beachten, dass „Herz“ / „leb“ im Hebräischen Gegebenheit des Lebens, das Gelegtsein des Daseins nicht das - und schon gar nicht das romantische ist prim-ordial, also die erste Ordnung vor aller vom Gefühl bezeichnet, sondern das Wissen und Menschen geschaffenen Ordnung. Dieses radikal Gewissen, die Verantwortung und die Vernunft, in Gegebene liegt allem zu Gestaltenden voraus und gewisser Weise das, was wir „Bewusstsein“ oder kann von diesem niemals eingeholt werden, ja, sogar „Selbstbewusstsein“ nennen. Dieses alles ist indem das Gegebensein immer wieder im zwar in ihr, aber nicht durch sie selbst erwacht, Gestaltungsvorgang - bemerkbar spätestens, wenn sondern es kommt gleichsam von außen auf sie zu, dieser gehemmt ist oder am Ziel vorbei führt es erweckt sie und erzeugt diese eigentümliche Art aufbricht, bricht es in alle Lebensprozesse ein, ist von SCHLAFLOSIGKEIT, in der die junge Frau agiert, der Mensch ihm in einer „a-symmetrischen“ indem sie re-agiert: Mein Geliebter streckte seine Hand Beziehung geradezu „ausgesetzt“, „ausgeliefert“. In durch die Öffnung, / da bebte mein Innerstes ihm entgegen. Hinsicht auf das Denken ist es ein Unvordenkliches, Aber in genau dem Moment, indem der Geliebte das alles Denken in Gang setzt, ohne von diesem seine Hand zur Geliebten hin ausstreckt und ihr selbst erreicht, erfasst, begriffen werden zu können Verlangen steigert, entzieht er sich ihrer - und so, als das Gegebene, Antreibende und Handgreiflichkeit, ihrem Zugriff, ihrem Begehren. zugleich Uneinholbare, weckt es in doppelter Weise Wäre es anders, wenn sie sich liebend vereinigten? auf, stört es den Schlaf des Selbst und erzeugt Ja und Nein. Denn der Moment der Erfüllung SCHLAFLOSIGKEIT. verlangt nach neuer Erfüllung - und so enthält So „bricht Gott ins Denken ein“, sagt Emmanuel gerade er den Moment der Nicht-Erfüllung; so Lévinas, dessen Verständnis der SCHLAFLOSIGKEIT ich erweckt das Begehrte unablässig das Begehren, mich inzwischen angenähert habe; er selbst zitiert wohnt doch gerade im erfüllten Heute - aufbewahrt das kleine Liebeslied aus dem Hohenlied Salomos. in der Erinnerung und vergegenwärtigt im Wenn ich nun versuche, Lévinas’ Philosophie am Bewusstsein - der heute noch unerfüllte Wunsch Stichwort SCHLAFLOSIGKEIT zu erläutern, greife ich nach dem Morgen, der Wiederholung. Mit anderen nur diesen einen Aspekt heraus, einfach weil mich Worten: Der Geliebte bleibt, selbst in unendlicher die Lektüre seiner Schriften im guten Sinn viel Näherung, in unendlicher Ferne - und genau diese Schlaf gekostet und mich irgendwie aufgeweckt hat. paradoxe Beziehung von Nähe und Abstand, von Wer war dieser Emmanuel Lévinas und worum Unmittelbarkeit und Entzogenheit ist mit dem Wort ging es ihm? Er wurde am 12. Januar 1906 als Sohn „heilig“ gemeint. jüdischer Eltern in Kaunas / Litauen geboren. Seine Eben die Wirklichkeit, von der das Mädchen Muttersprache ist Russisch, die erste Sprache, die er angesprochen und so in Anspruch genommen wird, lesen lernt, Hebräisch. Lévinas studiert von 1923 bis trägt den Charakter des Unbedingten. Dieses 1929 Philosophie, erst in Straßburg, dann in Unbedingte vertritt die Stelle von etwas Freiburg bei Edmund Husserl und Martin Unendlichem; es erweist sich als etwas Heidegger. Im Jahr 1930 wird er französischer „Transzendentes“ im ganz und gar „Immanenten“. Staatsbürger und heiratet Raîssa Levi, eine russische Darin bedeutet es eine große Störung, jedenfalls Französin. Er übersetzt philosophische Werke von für ein in sich ruhen und sich selbst genügen Husserl und Heidegger ins Französische und nimmt wollendes Selbst. Jenes „Transzendente“ ist auch dadurch Einfluss auf die neuere französische keine „Selbst-Transzendenz“, kraft der sich das Philosophie, weil die Franzosen bis heute wichtige „Immanente“ von sich aus ausstreckt und ausdehnt philosophische Schriften in seiner Übersetzung auf etwas hin, das über es hinaus ist. Was das im lesen, beschreitet aber selbst den Weg des (schlecht 2/6 „Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas bezahlten) Pädagogen und nicht den des Füsse - und das aus einem triftigen Grund, der an akademischen Lehrers. Bei Kriegsbeginn, 1939, tritt Martin Heidegger überdeutlich wird: Die er in die französische Armee als Dolmetscher ein abendländische Wesens- und Seinsphilosophie, die und gerät 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft in den denkenden und seiner selbst bewussten der Nähe von Magdeburg. Als Offizier der Menschen in den Mittelpunkt stellt und sein Sein französischen Armee entgeht Lévinas dem gleichsam, wenn sie überhaupt noch so denkt, im Konzentrationslager, während seine Eltern und Sein Gottes aufgehoben und vervollkommnet sieht, seine Brüder und praktisch seine ganze weitere hat der organisierten Unmenschlichkeit Herkunftsfamilie von den Nationalsozialisten erschreckendsten Ausmaßes in Nazitum und ermordet werden. Nach dem Krieg arbeitet Lévinas Stalinismus keinen Widerstand bieten können; sie in Paris wieder als Lehrer und später Direktor der hat nicht verhindert, dass der Mensch sich zum École Normale Israélite Orientale (ENIO), einer Übermenschen und damit zum Unmenschen macht. Schule für das Studium der israelischen und Selbst das religiöse Denken des Absoluten als oder in orientalischen Kultur. Er lässt sich von der Politik Gott oder von Gott als letztem moralischen Gebieter des Staates Israel wenig beeindrucken, ruft aber und Gesetzgeber hat den Menschen keineswegs einen Kreis von Menschen zusammen, der sich zu davor bewahrt, sich selbst absolut zu setzen und „Kolloquien der Jüdischen Intellektuellen damit inhumane Unterdrückungsund französischer Sprache“ zusammenfindet und vor Ausbeutungsprozesse gegenüber sich selbst wie dem er, ohne eine rabbinische Ausbildung zu haben gegenüber der Natur stets aufs Neue in Gang zu und den Status eines Rabbiners zu beanspruchen, als setzen. Laie Talmudvorlesungen hält. Erst nachdem er sein Was ist nach Lévinas der Grund für das Versagen Buch „Totalität und Unendlichkeit“, eine Kritik der der Philosophie gegenüber der Inhumanität, Philosophie des dem Nationalsozialismus genauer: für das Inhumanwerden des menschlichen aufgesessenen Martin Heidegger, veröffentlicht hat, Denkens selbst? Der Grund liege in dem beginnt seine Universitätslaufbahn im Alter von 55 Seinsdenken als solchem, weil dieses immer nur sich Jahren. Von 1964 bis 1976 ist Lévinas Professor für selbst denke. Auch wenn es Gott als das Sein Philosophie in Poitiers, dann - zur Zeit der Maischlechthin3 gedacht habe, habe es das absolut Unruhen 1968 - in Paris-Nanterre und die letzten Transzendente zu einem Gegenstand des eigenen drei Jahre an der Pariser Sorbonne. Er stirbt in der Denkens gemacht. Das abendländische Seinsdenken Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1995. Lévinas - Ontologie, auch in Form der Theologie – hat, sagt steht ganz im Schatten der berühmten französischen Lévinas, immer „das Selbe“ gedacht, immer nur Ich, Existenz- und Sozialphilosophen, aber einige und wenn es Du dachte, hat es das Du vom Ich her philosophische Berühmtheiten wie Jacques Derrida gedacht. Wer so denkt, fällt im Denken immer nur geben nach seinem Tod öffentlich zu erkennen, das auf sich selbst zurück. Dabei bleibt fraglich, ob er sie viel von ihm gelernt haben. sich selbst denkend sein Selbst wirklich entdecken kann; die Geschichte beweist, so Lévinas, das Um es vorweg und gegen die bei uns üblichen Gegenteil. Deshalb will er mit seinem Denken Denkmuster und Einteilungen zu sagen: Emmanuel gleichsam vor dem Denken ansetzen - und muss Lévinas ist kein konservativer Denker, der - wie in schon bei den un-vor-denklichen Voraussetzungen Deutschland die meisten der Philosophen, die die für das Sein beginnen. Seinsordnung mit ihren Vorgegebenheiten in den Mittelpunkt stellen - auf das Bewahren des Bestehenden aus ist; durchaus ähnlich wie Ernst 3 Bloch vertritt er ein messianisches, auf Erneuerung Gott als die Totalität des Seins, als Sein des Seienden und Zukunft gerichtetes Denken. Wie der modernen oder als das, „über das hinaus nichts Höheres gedacht Philosophie, Psychologie und Soziologie geht es ihm werden kann“. So die Definition Gottes des Anselm von zentral um das Subjekt, das Individuum, das IchCanterbury (Ende 12. Jh.), aus der sich logisch Werden sowie um Freiheit und soziale unwiderlegbar die Existenz Gottes ergibt, denn dem, über Gerechtigkeit. Doch zielt sein ganzes Bemühen in das hinaus nichts gedacht werden kann, muss radikaler Weise darauf, die Grundlagen dafür neu notwendigerweise Sein eignen, weil ihm sonst einerseits zu durchdenken. Deshalb verwendet er nahezu alle etwas Wesentliches fehlte, es andererseits, von Seiendem bisherigen philosophischen Begriffe anders als es gedacht, mit dem Sein verbunden ist und schließlich es weniger in Frankreich denn in Deutschland - noch sonst immer noch etwas gäbe, was höher als dieses heute gang und gäbe ist. „Höchste“ gedacht werden könnte, wodurch es zum Ausgehend von sehr konkreten Erfahrungen - wie „Nicht-mehr-ganz-Höchsten“ relativiert würde und eben dem Schlaf des Menschen oder der Erotik - stellt er nicht mehr Gott wäre. die abendländische Philosophie vom Kopf auf die 3/6 „Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas Lévinas zufolge kommt, wer erst mit dem Denken gleichsam passiven Passivität, die, wie Lévinas sich des Seins beginnt, schon zu spät. Dagegen versucht ausdrückt, „passiver als alle Passivität“ ist. Es beruht er, das dem Sein vorausliegende in ihm nicht auf der „Passivität der Inspiration“, es wird Enthaltene zu denken. Auf diese Weise will er die „erweckt“, man könnte auch sagen und dürfte dabei Andersheit des Anderen wahren und schützen bzw. an die Propheten denken: berufen. In diesem vermeiden, dass Eines sich des Anderen bemächtigt, erweckten Wachsein gelangt der Mensch zu seiner es sich einverleibt und damit zerstört. Subjektivität und Individualität, indem er wie die Eben diesen Gedankenansatz stellt Lévinas dar in Propheten antwortet: „Hier bin ich!“5 der Metapher von der SCHLAFLOSIGKEIT, die eine von Noch einmal etwas anders formuliert: Wie der vielen Metaphern ist. Im Schlaf versucht der Mensch im Schlaf seine Ruhe haben und ganz bei Mensch, dem Wachsein zu entfliehen. Aber der sich selbst sein will, will auch das Selbstbewusstsein Schlaf kommuniziert stets mit dem Wachsein. Er in sich ruhen, weil der Mensch so zu sich selbst bleibt immer am Rande des Erwachens, in Hörweite finden zu können meint. Jedoch die Ansprache von einer Stimme oder einer Bewegung, die ihn weckt; einem Anderen her, die Stimme von außen - und sei nicht zuletzt im Traum gerät der Mensch in den sie die Stimme, das Bild, das im Traum im Menschen Zustand einer anderen Wachheit als derjenigen, die selbst hervorbricht - weckt immer wieder auf und er mit seinem Bewusstsein kontrollieren kann. bewirkt diese spezifische SCHLAFLOSIGKEIT. Wie Gegen diese Stimmen von außen, wie ich es einmal schon angedeutet, „stört“, nicht selten „verstört“ sie. nennen möchte, kann sich niemand wehren, und Ich zitiere Lévinas: „Die Schlaflosigkeit ist das weder das Einschlafen noch das Aufwachen lassen Zerreißen d[ies]er Ruhe im Identischen.“ Auf diese sich voll und ganz selbsttätig bewirken und Weise jedoch entsteht eine Identität, ein Selbstsein beeinflussen. Mithin ist gerade der an sich bzw. Selbstbewusstsein, das keineswegs ein-, wohltuende und notwendige Schlaf einer sondern mehr-dimensional und vielschichtig ist; der Beeinflussung und Beunruhigung von außen Mensch gelangt zur - ein Spezialausdruck von ausgesetzt. Lévinas - „Illeität“ oder vom „Ich“ zum „Sich“, vom Für Lévinas ist diese Art SCHLAFLOSIGKEIT ein aus Nominativ in den Akkusativ. Der Mensch existiert der unmittelbaren Erfahrung gewonnenes Bild für also per se daraus, dass er angesprochen und das vorgängige Angesprochenund herausgefordert ist. Inanspruchgenommensein des Menschen - und Um dieses noch einmal an dem eigenartigen, in damit verbunden für den Sachverhalt, dass allem der Philosophie völlig ungewöhnlichen Begriff der Daseienden und dem Sein-Selbst ein Anderes „Illeität“ zu verdeutlichen: Lévinas zufolge liegt die vorausliegt, nämlich als Bedingung der Möglichkeit Initiative zu meiner Ichbildung ganz bei dem, was von dem, was ist. zu mir gesprochen, gleichsam mir zugesprochen ist. Lévinas vermeidet jede metaphysische Spekulation Ich nehme dafür als Beispiel die Liebe: Dass jemand über eine „Welt“ über oder hinter der „Welt“. Aber zu mir (ge)sagt (hat): „Ich liebe dich.“, versetzt er hält im Blick auf das Sein-Selbst beharrlich daran mich in den Zustand der Liebe - oder setzt mich fest, dass es sich zunächst einmal vorfindet, dass es diesem Zustand der Liebe aus - kraft der ich dann grundgelegt, d. h. dass sein Grund nicht in ihm antworten kann: „Ich liebe dich.“ Mithin baut ein selbst enthalten ist - und dieses „Nicht Enthaltene“ Ich darauf auf und entwickelt sich daraufhin, dass nennt er das „Unendliche“4; ich nenne es das es erst einmal angesprochen ist und dann auf dieses „Unbedingte“. So verstanden ist die SCHLAFLOSIGKEIT Angesprochensein hin antwortet. etwas anderes als die einfache Negation, die So erweckt, wird das Bewusstsein, ja, das ganze Verneinung des natürlichen Phänomens des philosophische Denken davon befreit, immer nur Schlafes; sie hat einen kategorialen Charakter, das Identische, immer nur sich selbst bzw. das Selbe sofern sich in ihr das Grundgelegtsein allen Seins zu suchen und damit, im Bild gesprochen, im abbildet: nämlich dass es prim-ordial nicht in sich Zustand der Ruhe und des Schlafes zu erstarren. selbst enthalten ist. Diese Art Schlaf nennt Lévinas ein „erstarrtes Was für das Sein-Selbst gilt, gilt erst recht für das Wachen“ und schreibt, nun die lebenswichtige, Selbstsein, das wir in unserem Selbst-bewusstsein unverzichtbare, zentrale Rolle des Bewusstseins zur erfassen und deuten. Auch das Selbstbewusstsein Geltung bringend: „Erst im Bewusstsein wendet sich beginnt nicht mit sich selbst. Es beruht auf einer das bereits erstarrte Wachen einem Inhalt zu, der identifiziert und in eine Gegenwart, in ‚Wesen’ [geste d’être] versammelt wird und der darin 4 aufgeht.“ Das „Unendliche“ nach Lévinas ist also etwas anderes als die in ihrer Nichtabzählbarkeit bestehende Endlosigkeit der natürlichen Zahlen; man sollte also stets zwischen „endlos“ und „unendlich“ unterscheiden. 5 4/6 Z. B. Jesaja 6,8 „Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas Dieses Bewusstsein kann sich aber nur auf der („Kategorischer Imperativ“), und der Gott, um den Basis eines Wissens um die passive Passivität unhintergehbaren Verpflichtungscharakter der entwickeln: dass der erste Schritt des Sichvernünftigen Gebote und Gesetze und damit das bewusstwerdens nicht der bewusste Schritt eines moralische Handeln überhaupt sicherzustellen, als Subjektes ist, das sich selbst gesetzt hat, sondern das guten Gebieter und Gesetzgeber postuliert. Vielmehr Subjekt selbst sich einer „Setzung“ verdankt, dass geht es Lévinas auch mit der Rede vom „Gesicht des ihm seine „Subjektivierung“ vorausgeht. Damit Anderen“ entscheidend darum, eine Verbundenheit gründet das Subjekt mitsamt seinem Bewusstsein und eine Verbindlichkeit zu artikulieren, die dem von sich selbst in der Erfahrung der menschlichen Dasein ganz und gar voraus liegen „Ausgesetztheit“ (l’exposition) - und nur wenn es und worin sie, indem sie den Menschen unbedingt immer wieder diese Erfahrung des Ausgesetztseins angehen, den Menschen zum Menschen machen. macht, bleibt es Subjekt, das sich seines Personsein, Diese Menschwerdung ist nach Lévinas nicht seiner Individualität, seiner Einmaligkeit bewusst durch Akzeptanz eines allgemeinen, und gewiss ist. Zwar muss das end- und inhaltlose vernunftbegründeten Sittengesetzes möglich, Wachen bloßer SCHLAFLOSIGKEIT immer wieder in sondern ergibt sich einzig aus der personalen eine Beziehung des Bewusstseins von der Welt Begegnung: dass ein Ich das andere ansieht und übergehen und insofern aus leerer Unruhe gefüllte dadurch im passiven Angesehenwerden einerseits Ruhe werden, aber diese Ruhe muss immer wieder und dem aktiven Ansehen andererseits aus beiden unterbrochen werden im Erwachen durch das Beteiligten wechselseitig ein Ich und ein Du wird. Erfahren des Ausgesetztseins, wie sie im Werde ich angesehen und genieße ich Ansehen, Gewecktwerden gemacht wird. werde ich zu einem Du und damit zu einem Ich „Man ist ausgesetzt.“ (On est exposé.) - lautet und umgekehrt wird aus dem Ich, das mich ansieht, Lévinas kürzeste Formel für die Teilhabe am Sein. ein Du, worin es sein Ichsein entdeckt. Aufgrund Wie kein Denken mit sich selbst beginnt und beim eines anderen Ich, das mich zum Du macht, werde Denken seiner selbst stehen bleiben kann, existiert ich ein Ich - und nur wer „Du“ sagen kann, kann ein Mensch in Wahrheit nur kraft seines Bezugs auch wirklich „Ich“ sagen - und umgekehrt. In zum Anderen. In seiner Rede vom „Gesicht des diesem verbundenen Gegenüber entsteht eine Nähe, Anderen“ (visage l’autre)6, mit der er in der die die Fremdheit achtet, statt sie aufzuheben. Die Übersetzung „Antlitz des Anderen“ am bekanntesten Fremdheit bleibt, weil, recht verstanden, ein Mensch geworden ist, bezieht Lévinas dieses vorgängige und dem anderen entzogen bleibt und keiner über den vorrangige Aufeinanderbezogensein auf die Anderen wirklich verfügen kann und darf; so Alltagserfahrung, dass Menschen einander an- und bleiben, das ist jedenfalls Lévinas’ Intention, beide in sich dabei ins Gesicht sehen, dass sich im Kind ein ihrer Besonderheit, Einmaligkeit, Würde und Bewusstsein seiner selbst bildet, weil und wenn es Freiheit bewahrt. von seiner Bezugsperson angesehen wird und sie einander ins Gesicht, konkreter: in die Augen Kurzum: Ein Ich bildet sich am anderen Ich zum blicken. Du und wird so wirklich zu einem Selbst! In diesem Dabei ist sogleich zu beachten, dass Lévinas keine Sinn kann man sagen: Ich bin der Andere - und Philosophie der Nächstenliebe entwickelt, die umgekehrt: der Andere ist ich. So sind wir einander sozusagen als das einzig Denkbare und Lebbare unser „Jenseitiges“, unsere „Transzendenz“. Jedoch nach der Verabschiedung jeder Metaphysik bzw. bleibt diese Beziehung jeweils „a-symmetrisch“: der nach dem sog. „Tod Gottes“ als ein unbedingt zu Andere, so sagt Lévinas, „lädt mich vor“, ich bin rettender Restbestand an verbindlichen Werten seine „Geisel“, ihm „ausgesetzt“ und vor ihm wie übrig bliebe. Er geht auch über Immanuel Kant „entblößt“. Dieses Geschehen verdichtet sich in der hinaus, der die Würde und Vernunft des Menschen Liebe, zu der die „Nacktheit“ gehört, die inmitten aus der unabweisbaren Verpflichtung begründet, so aller Sinnenfreude und körperlichem zu handeln, dass sein Handeln stets einen für alle Zueinanderdrängen immer auch Schutzlosigkeit Menschen gültigen Handlungsmaßstab abgibt und Ausgeliefertsein bedeutet. Dass dieses Ausgesetztsein nicht ausgenutzt wird, dass du dich schwach zeigen kannst, ohne gewalttätige Stärke zu 6 provozieren - das eben ist Liebe7. Für sie nehmen Bekannt geworden ist dieser Lévinas’sche Topos als wir uns - sicher nicht nur, aber doch besonders Rede vom „’Antlitz’ des Anderen“. Doch diese mögliche häufig - in der Nacht Zeit und Schlafverzicht in Übersetzung birgt die Gefahr einer (theologischen) Überhöhung dessen, was Lévinas geradezu körperlichsinnlich meint; insofern wähle ich die Übersetzung ‚Gesicht’, es sei denn, ich will einen Übergang zum Theologisch-Spirituellen hin andeuten. Vgl. Theodor W. Adorno: „Liebe ist einzig dort, wo du dich schwach zeigen kannst, ohne Stärke zu provozieren.“ 7 5/6 „Ich schlief, doch wach war mein Herz.“ (Hld Sal 5,2) Bemerkungen zur SCHLAFLOSIGKEIT als Annäherung an die Philosophie von Emmanuel Lévinas Kauf. Und wer sich jenes Ausgesetzt- und darin Bloch ein, das ich mit eigenen Worten erweitere: seines unbedingt Inanspruchgenommenseins ‚Ich habe mich nicht. Also werden wir erst. Darum bewusst werden oder wer es nur unreflektiert hoffe ich noch. Und bleibe wach, bis das erleben will, blicke in die Augen eines Kindes und Morgenlicht einen ganz neuen Tag ankündigt.’ setze sich den Blicken aus Kinderaugen aus! Wer An dieser Stelle breche ich meinen das tut, versteht, wenn Lévinas sagt: Die „Intrige des Annäherungsversuch an das Denken des Emmanuel Seins“ hat uns miteinander „verstrickt“. Lévinas, das mir wundervolle schlaflose Stunden Lévinas betont immer wieder, dass der Andere mir gebracht hat, ab und schließe mit einer Frage, einer gebietet: „Du sollst nicht töten!“ Einen Menschen Vermutung und zwei letzten Zitaten: töten kann nur, wer ihn nicht wirklich an- oder Wird es mir gelingen, die Phasen meiner ganz von ihm wegschaut. Der verleugnet und SCHLAFLOSIGKEIT, d. h. sowohl des Träumens als auch entzieht sich damit aber seinen eigenen des plötzlichen Erwachens und Wachbleibens, mit Lebensgrund. Das „Gesicht des Anderen“ ist ebenso meinem Bedürfnis nach Ruhe auszubalancieren? Es grundlos wie unbedingt die eigene wäre vielleicht ein Schritt auf dem Weg, kraft des Lebensgrundlage. In dieser Grundlosigkeit und Blickes, den der Andere auf mich richtet, von dessen Unbedingtheit fällt - und jetzt scheint mir diese Antlitz her mein Gesicht zu entdecken und dabei Übersetzung angemessener - im „Antlitz des dem Anderen sein Gesicht zu lassen als das, was mir Anderen“ gleichsam Gott in mein Leben ein: jener radikal gegenüber, für mich unfasslich, also ganz grundlose, im Sein selbst nicht enthaltene Grund anders ist und bleibt: nah und fern zugleich, d. h. allen Seins. Der Blick, der mich vom „Antlitz des auch: in seiner Entzogenheit nah und in seiner Nähe Anderen“ her trifft, schreibt in mich ein, was nicht entzogen: „heilig“ - und wodurch Gott in mein in mir enthalten ist, kraft dessen ich aber zu Wahrnehmen, Denken und Handeln einfällt. In Selbstbewusstsein gelange. diesem Sinn zitiere ich Lévinas aus einem Gespräch So sind, theologisch gesprochen, die Liebe zu Gott über seine Talmud-Vorlesungen: „’Liebe deinen und die Liebe zum Nächsten, ausgedrückt im Nächsten; dies alles bist du selbst; dieses Werk bist „Doppelgebot der Liebe“, ganz und gar ineinander du selbst; diese Liebe bist du selbst.’ ... Die Bibel, das verwoben, ohne dass Gott in der Nächstenliebe ist die Priorität des Anderen im Verhältnis zu mir. aufginge. Gerade in ihrer Verbindung tritt die Und in den Anderen sehe ich immer die Witwe und grundlegende Verbindlichkeit, die dem die Waise. Immer gehen die Anderen vor.“ Etwas menschlichen Dasein vorausliegt und es immer später fügt Lévinas hinzu: „Einzig ein verletzliches wieder grundlegt, ans Licht. Das wiederum Ich kann seinen Nächsten lieben.“ bedeutet: zum Menschsein gehört, immer wieder Hans Joachim Schliep anfangen zu können8, beginnend beim für Ehepaarkreis am 10.10.2007 Gewecktwerden und Erwachen, auf der positiven Seite der SCHLAFLOSIGKEIT. Lévinas kann das auch so ausdrücken: „Ich definiere den Anderen nicht durch die Zukunft, sondern die Zukunft durch den Anderen.“ Denn der Andere kommt immer wieder auf mich zu, er bereitet mir meinen Advent, ist in Zuspruch und Anspruch mir ein messianisches Intermezzo. Mit ganz anderen Worten: Freiheit jenseits aller Selbstgenügsamkeit; Freiheit als Verantwortung ganz aus dem Antworten auf ein vorgängiges und vorrangiges Angesprochenund Inanspruchgenommensein; Verantwortung, in der ich mich von niemandem vertreten lassen kann; Verantwortung aber, die mich im Anderen so verortet, dass ich zu seinem Stellvertreter werde und sei es, dass ich dabei meinen eigenen Platz verliere, exiliert und deportiert werde; Ich selbst also: geöffnet auf den Anderen hin, der nicht in mir enthalten ist. Dabei fällt mir ein Wort von Ernst 8 Ein zentraler Gedanke auch in Hannah Arendts Philosophie. 6/6