DOC 89 kB - Bundeskanzleramt

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GZ ● BKA-VA.C-569/08/0005 -V/2010
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Antwort bitte unter Anführung der G Z an die Abteilungsmail
Betrifft:
Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 3. Juni 2010
in der Rechtssache C-569/08 betreffend Auslegung des Begriffs der
Bösgläubigkeit bei der Registrierung von Domänennamen;
Rundschreiben
1. Urteilstenor
Mit Urteil vom 3. Juni 2010 in der Rechtssache C-569/081 betreffend ein
Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG (Internetportal und Marketing GmbH gg
Richard Schlicht) hat der EuGH für Recht erkannt, dass
1.
Art. 21 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 874/20042 dahin auszulegen
ist, dass Bösgläubigkeit (im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b) auch
durch andere Umstände als die in den lit. a bis e dieser Bestimmung
aufgeführten Umstände nachgewiesen werden kann, sowie
2.
das nationale Gericht für die Beurteilung der Frage, ob ein
bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 3
der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 vorliegt, alle im Einzelfall
erheblichen Faktoren und insbesondere die Umstände, unter denen
die Eintragung der Marke erwirkt wurde, sowie die Umstände, unter
denen der Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde,
zu berücksichtigen hat.
1
Abrufbar unter: http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=de.
Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004, ABl. L 162, S. 40, zur Festlegung
von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu“ und
der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung.
2
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-22. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die Firma Internetportal und Marketing betreibt Internetportale und
vermarktet Produkte im Internet. Um in der ersten (privilegierten) Phase der
zweiphasigen sog. gestaffelten Registrierung3 im Sinne des Kap. IV der
Verordnung (EG) Nr. 874/2004 Domänennamen anmelden zu können,
meldete sie beim schwedischen Markenregister mit Erfolg insgesamt 33
deutsche Gattungsbegriffe als Marken an. Dies unter Verwendung des
Sonderzeichens „&“ vor und nach bzw. zwischen den einzelnen
Buchstaben. So meldete die besagte Firma etwa am 11. August 2005 die
Wortmarke
„&R&E&I&F&E&N&“
in
der
internationalen
Klasse
9
(Sicherheitsgurte) an, welche am 25. November 2005 tatsächlich
eingetragen wurde.
Anschließend erreichte sie in der ersten Phase der vorzitierten gestaffelten
Registrierung auf der Basis ihrer solcherart erlangten schwedischen
Wortmarke ,,&R&E&I&F&E&N&“ die Registrierung des Domänennamens
„www.reifen.eu“.
Möglich
wurde
dies
infolge
der
spezifischen
Transkriptionsregel des Art. 11 UAbs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004,
welche insbesondere den Entfall von Sonderzeichen vorsieht. Unter dem
Domänennamen „www.reifen.eu“ strebte die Firma Internetportal und
Marketing den Betrieb eines Internetportals für den Reifenhandel an, ohne
jedoch konkrete Vorbereitungshandlungen in diese Richtung zu setzen.
Richard Schlicht ist Inhaber der Wortmarke „Reifen“ und hat am 10.
November 2005 diese sowohl beim Benelux-Markenamt als auch beim Amt
der EU für die Eintragung von Marken und Geschmacksmustern zur
Registrierung beantragt. Durch ersteres erfolgte die Eintragung am 28.
November 2005 für die Waren „Wasch- und Bleichmittel; Reinigungsmittel,
insbesondere
Nano-Partikel
enthaltende
Reinigungsmittel
für
Fensterscheiben“ in Klasse 3 und „Dienstleistungen zur Unterstützung der
Vermarktung derartiger Reinigungsmittel“ in Klasse 35 des Nizzaer
Abkommens. Unter der besagten Marke will Schlicht „Reinigungsmittel für
3
Vgl. Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004.
-3fensterglasähnliche Oberflächen“ europaweit vermarkten. Am 10. Oktober
2006 lag bereits eine Probe der Reinigungslösung I (REIFEN A) vor.
In der Folge focht Herr Schlicht die Registrierung des Domänennamens
„www.reifen.eu“ vor dem zuständigen Schiedsgericht4 an. Letzteres gab der
Beschwerde mit Entscheidung vom 24. Juli 2006 statt, entzog der Firma
Internetportal und Marketing den Domänennamen wegen Bösgläubigkeit im
Zeitpunkt der Beantragung und übertrug ihn auf Herrn Schlicht.5 Gegen
diese Entscheidung erhob die Firma Internetportal und Marketing erfolglos
Klage.6 Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten
Instanz in der Hauptsache. Dagegen ging die Klägerin wiederum mit
außerordentlicher Revision an den Obersten Gerichtshof vor.
Im Rahmen der Behandlung dieser außerordentlichen Revision legte der
OGH dem EuGH fünf Fragen zur Auslegung der Abs. 1 und 3 des Art. 21
der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 vor. Zum einen wollte der OGH wissen,
ob auf Basis eines Sachverhaltes wie im vorliegenden Fall (Stichwort:
fehlende Nutzungsabsicht als Wortmarke bzw. „spekulativ angestrebte
Registrierung“) vom Bestehen eines Rechts an einem Domänennamen
(„Domain“) im Sinne des Art. 21 Abs. 1 lit. a der zitierten Verordnung bzw
eines „berechtigten Interesses“ im Sinne der zitierten Norm ausgegangen
werden kann. Daneben warf der OGH v.a. die Frage auf, ob die in Art. 21
Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 enthaltenen Tatbestände die
ausschließliche Grundlage zur Beurteilung einer Bösgläubigkeit im Sinne
des Art. 21 Abs. 1 lit. b leg. cit. bilden.
3. Wesentliche Aussagen des Urteils
Der EuGH hat sich bei der Beantwortung der Vorlagefragen auf den Begriff
der „Bösgläubigkeit“ im Sinne des Art. 21 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG)
Nr. 874/2004 konzentriert. Er stellt zunächst klar, dass in der ersten Phase
4
Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 sieht ein sog. alternatives Streitbeilegungsverfahren vor.
Die Entscheidungsbefugnisse des alternativen Streitbeilegungsanbieters („Schiedskommission“) sind in
Art. 22 Abs. 11 Verordnung (EG) Nr. 874/2004 niedergelegt.
6 Das Ergebnis der alternativen Streitbeilegung ist gemäß Art. 22 Abs. 13 der Verordnung (EG) Nr.
874/2004 für alle Parteien und das Register verbindlich, wenn nicht innerhalb von 30 Kalendertagen nach
der Zustellung der Entscheidung an die Parteien vor Gericht Klage erhoben wird.
5
-4des sog. gestaffelten Registrierungsverfahrens nach Art. 12 leg. cit. eine
Registrierung
einer
Gattungsbezeichnung
(hier:
„Reifen“)
als
Domänenname grundsätzlich nicht in Betracht gekommen wäre. Nur infolge
des angewandten Kunstgriffs, nämlich der vorgelagerten Registrierung
einer
zu
Umgehungszwecken
konzipierten
Wortmarke
(hier:
„&R&E&I&F&E&N&“) als nationale Marke für Waren und Dienstleistungen
sei
es
der
Klägerin
des
Ausgangsverfahrens
gelungen,
den
Domänennamen „www.reifen.eu“ zu erwerben (Rn. 68 f). Andernfalls hätte
die Klägerin nämlich für die Stellung ihres Antrags die allgemeine
Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ abwarten
müssen und wäre damit wie jeder andere an diesem Domänennamen
Interessierte dem Risiko ausgesetzt gewesen, dass ihrem Antrag der
vorher eingereichte Antrag eines anderen Interessierten nach dem
„Windhundprinzip“7 vorgegangen wäre (Rn. 69 und 76).
Ein Verhalten, wie jenes der Klägerin, welches offenkundig darauf abzielt,
das durch die Verordnung (EG) Nr. 874/2004 vorgesehene Verfahren der
gestaffelten Registrierung zu umgehen, sei bei der Beurteilung, ob ein
bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. b leg. cit. vorliegt, zu
berücksichtigen (Rn. 70).
Auch die Einreichung einer großen Zahl von Anträgen auf Registrierung
von Wortmarken bzw Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprechen,
kann nach Auffassung des EuGH ein relevantes Indiz für Bösgläubigkeit
darstellen. Analoges gilt für die fehlende Absicht, die Marke auf dem Markt
zu benutzen, für den der Schutz beantragt wurde, oder die missbräuchliche
Verwendung von Sonderzeichen oder Interpunktionszeichen im Sinne des
Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 zum Zweck der Anwendung der
in diesem Artikel festgelegten Übertragungsregeln.
Im Übrigen hält der EuGH unter Verweis auf seine Vorjudikatur8 explizit
fest, dass – entgegen dem Klagsvorbringen - an Gattungsbegriffen (hier:
„Reifen“) als solchen in legitimer Weise sehr wohl frühere Rechte bestehen
7
8
Vgl. dazu Erwägungsgrund 11 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004.
Vgl. EuGH Rs. C-421/04, Matratzen Concord, Slg. 2006, I-2303, Rn. 26 und 32 sowie Tenor.
-5können. Auch unter diesem Gesichtspunkt berge ein Verhalten wie das der
Klägerin des Ausgangsverfahrens die Gefahr der Schädigung der Inhaber
solcher Rechte.
4. Bewertung und Schlussfolgerungen
Die vorliegende Entscheidung des EuGH liegt auf der Linie seiner zum Markenrecht
entwickelten Argumentationslinien.9 Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Auslegung
der Regelungen betreffend spekulative und missbräuchliche Registrierungen von
Domänennamen und bringt Klarheit dahin, dass die Fälle der Bösgläubigkeit in Art. 21
Abs. 1 lit. b der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 keineswegs abschließend zu verstehen
sind. Vor allem zu begrüßen ist die Qualifizierung der Registrierung solcher „kreativer“
Wortmarken als bösgläubig, die lediglich auf die Erlangung eines ungebührlichen
Vorteils zum Nachteil jedes anderen an demselben Domänennamen Interessierten
abzielen, der ebenfalls kein älteres Recht geltend machen kann und daher die
allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ abwarten muss,
um einen Registrierungsantrag stellen zu können. Gegen solche Praktiken können sich
Registrierungswerber hinkünftig vor den zuständigen nationalen Instanzen wirksam zur
Wehr setzen.
21. Jänner 2011
Für den Bundeskanzler:
HESSE
Elektronisch gefertigt
9
Vgl. EuGH, Rs. C-529/07, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, Slg. 2009, I-4893.
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