1 Werner J. Patzelt Bemerkungen zum Entwurf eines

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Werner J. Patzelt
Bemerkungen zum Entwurf eines Wahlprogramms der AfD für die Bundestagswahl 2017
I. Zur Aufgabe von Wahlprogrammen
Wahlprogramme haben drei Aufgaben. Erstens sollen sie eine Partei von innen her einen. Im Fall von
neuen Parteien wie der AfD ist das noch viel schwieriger bei schon etablierten Parteien. Sie müssen
nämlich auch noch über Grundsätzliches streiten, alte Parteien hingegen meist nur darüber, was sie
von ihren prinzipiellen Positionen im Wahlkampf besonders betonen oder auf aktuelle Themen
anwenden wollen. Zweitens sollen Wahlprogramme möglichen Wählern zeigen, wofür eine Partei
aus schlüssigen Gründen steht, die um ihre Stimmen wirbt. Das wird dann zur großen
Herausforderung, wenn – wie im Fall der AfD – sowohl die aktive Mitgliedschaft als auch die
mögliche Wählerschaft sehr heterogen, instabil, stark von Lust aufs Protestieren und Polemisieren
motiviert ist. Drittens sollen Wahlprogramme Berichterstattung über die Positionen und Personen
einer Partei bewirken, und zwar eine möglichst positive. Dieses Anliegen kann eine Partei wie die AfD
verzweifeln lassen, weil vor allem jene ihrer Themen schlagzeilenträchtig sind, die sich skandalisieren
lassen, und weil ein nennenswerter Teil der Mitglied- und Anhängerschaft durchaus Lust auf
Skandalöses oder immerhin leicht Skandalisierbares hat.
Wahlprogramme sind also eine vielschichtige Textsorte. Auch müssen sie nicht nur sehr
unterschiedlichen Zwecken dienen, sondern auch auf jenen Parteitagen eine Mehrheit finden, die sie
verabschieden sollen. De dort Anwesenden ist aber meist klar, das Sachfragen mit Personen- und
Rangfragen verbunden sind, also sachlich Unvernünftiges personalpolitisch vorteilhaft, dem
Zusammenhalt der Partei Dienliches aber sachlich unvernünftig sein kann. Also wird in
Wahlprogrammen vieles, da auf mehrheitsermöglichende Kompromisse ausgehend, unklar bleiben
oder von Widersprüchen durchsetzt sein – und in Programmentwürfen erst recht, weil diese oft ja
auch Manövrierspielraum für mehrheitssichernde Absprachen auf Wahlparteitagen vorsehen
müssen.
II. Leitsätze einer fairen Analyse von Wahlprogrammen
Das alles stellt auch eine faire Auseinandersetzung mit Wahlprogrammen bzw. deren Entwürfen vor
einige Herausforderungen. Die zu befolgenden Leitsätze werden am besten wohl die folgenden sein:
Vorordnung der Bereitschaft zum Verstehen des gemeinten Sinns vor jedem Wunsch, leicht
Kritisierbares in den Text hineinzudeuten oder ihm überzustülpen.
Meinungsneutrale Überprüfung der inhaltlichen Schlüssigkeit des Ausgeführten, sofern nicht
wichtige Grundlagen genau jener freiheitlichen Demokratie betroffen sind, in deren Rahmen
allein es überhaupt Sinn hat, Wahlen zu veranstalten und für sie Wahlprogramme
vorzulegen.
Hilfestellung für die Entwicklung eines vorliegenden Programmentwurfs zu einem – innerhalb
der Bandbreite legitimer pluralistischer Vielfalt – im Sinn der Partei plausibleren
Programmatik.
Nicht Aufgabe eines Politikwissenschaftlers, sondern eines Politikers ist die inhaltliche
Auseinandersetzung mit den im Wahlprogramm vertretenen politischen Positionen. Eine solche
Auseinandersetzung kann man sehr wohl zum Teil einer durchaus fairen Analyse machen. Es gibt
2
aber keine Pflicht, politikwissenschaftlich aufgeklärte Analyse und politische
Auseinandersetzung
miteinander zu vermengen. Im Übrigen hat der Analytiker jedes Recht, seine
Auseinandersetzung
nach eigenen Prioritäten auszurichten. Er steht also nicht in der Pflicht, sich mit
jedem Detail des
Wahlprogramms zu befassen.
III. Zu den Grundzügen des Programmentwurfs
Es ist verständlich und ganz in Ordnung, dass eine als „Alternative für Deutschland“ auftretende
Partei zunächst einmal jenes Grundsätzliche abhandelt, dessentwegen sie überhaupt sozusagen
„notwendig wurde“ oder immerhin eine nennenswerte Anhängerschaft gewann. Dieses
Grundsätzliche wird im Entwurf des AfD-Programms in den ersten sechs Programmkapiteln
abgehandelt, vor allem in 1 („Wiederherstellung von Demokratie“), 2 („Der EURO ist
gescheitert“), 5
(„Asyl braucht Grenzen“) und 6 („Der Islam in Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung“). In ihnen flammt auch ideologisches Feuer. Andere Programmkapitel
oft schon den
Überschriften ablesen.
Rein sachlich fallen die folgenden
Überschriften von Programmteilen aus. Dort werden die Positionen
der AfD meist auch in sachlichem Tonfall entfaltet:
4. Innere Sicherheit
9. Kultur und Medien
10. Steuern und Finanzen, Wirtschaft und Arbeit
11. Sozialpolitik
14. Verkehrswege erhalten und ausbauen, Wohnungsbau verstärken, ländlichen Raum
entwickeln
15. Umwelt-, Natur- und Tierschutz, Verbraucherschutz und Landwirtschaft
In griffiger Rahmung kommen
die Überschriften der folgenden Programmteile einer und kündigen
bereits besondere Prioritäten und Akzentuierungen der AfD an:
3. Außen- und Sicherheitspolitik: Deutsche Interessen durchsetzen
5. Asyl braucht Grenzen: Zuwanderung und Asyl“ (wobei der Klarheit gedient wäre, lautete
der Text „Zuwanderung braucht Grenzen“, denn Zuwanderung über das Asylrecht ist ja nur
ein Teil des gesamten Migrationsgeschehens)
6. Der Islam im Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ (wobei
richtigerweise zu schreiben wäre „… mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“)
7. Willkommenskultur für Kinder: Familien und Bevölkerungsentwicklung
8. Bildung und Schule: Mut zur Differenzierung
2. Unser Gesundheitssystem ist in Gefahr
13. Schluss mit der Technologiefeindlichkeit: Energie und Klima
Andere Überschriften sind so vollmundig formuliert, dass in ihnen
schon ein gewisser Überschuss an
Parteiideologie sichtbar wird:
1. Wiederherstellung der Demokratie in Deutschland“ – so, als ob wir wirklich eine
gescheiterte Demokratie wären
2. Der EURO ist gescheitert“ – so, als ob das schon bewiesen sei, nicht aber nur ein objektiv
bestehendes und allzu leichtfertig zugelassenes Risiko wäre.
3
IV. Zu den programmatisch abgehandelten Politikfeldern
1. Vernünftig mit unvernünftigen Einsprengseln: die familienpolitischen Aussagen
Zwar werden viele das – teils auch in etwas groben Formulierungen umrissene und auch an
anderen
Stellen des Programmentwurfs anklingende – Rahmenargument dieses Kapitels nicht
mögen: Man
sollte die deutsche Gesellschaft in die Lage versetzen, sich wieder aus sich selbst heraus zu
reproduzieren – einesteils, um nicht dauerhaft demographische Lücken in den
Sozialsystemen und
auf dem Arbeitsmarkt durch Einwanderung mitsamt ihren
nicht immer positiven Folgen schließen zu
müssen; und andernteils,
damit Deutschland Kultur im Generationenwechsel auch weitergegeben
werden kann. Doch das ändert nichts daran, dass hier auf reale und eben nicht unproblematische
Merkmale Deutschlands eingegangen wird: die Seltenheit mittelgroßer Familien, vor allem aus
wirtschaftlichen Gründen; die erhebliche Kinderlosigkeit (ihrerseits Triebkraft hin zur
Bereitschaft,
Deutschland zum Einwanderungsland zu machen); routinemäßige Beendigung des Lebens sehr
vieler
ungeborener Kinder – gerade so, als ob das eine Selbstverständlichkeit sein solle.
Bei der Ursachenanalyse und den empfohlenen Maßnahmen gibt es zwar etlichen rhetorischen
Überschuss, doch im Wesentlichen die richtigen
Akzente: Menschenrechte habe nun einmal nicht
nur bereits geborene Menschen; sozialer Frieden braucht eine schrittweise und verlässliche
demographische Entwicklung; die aber scheitert seit langem daran, dass einesteils Kinder ein
wichtiges Verarmungsrisiko sind, andernteils aber die dominierenden gesellschaftlichen
Leitbilder
dieses Risiko als nicht wirklich eingehenswert erscheinen lassen.
„Willkommenskultur für Kinder“, wie das in sanfter Provokation genannt wird, darf
deshalb nicht aus
billigen netten Worten bestehen, sondern muss Menschen mit Kindern deutlich mehr Geld als
derzeit
einbringen. Die konkrete Forderung nach Einführung eines steuerlichen „Familiensplitting“ –
leider nicht konsequent verbunden mit dem Verlangen nach einer Abschaffung des
„Ehegattensplitting“ – weist dazu den richtigen Weg. Richtig sind auch die im Kapitel über
Sozialpolitik vorgetragenen Forderungen, u.a. nach einer rentenpolitischen Honorierung von
Erziehungszeiten.
Schade ist das Fehlen der hier
ebenfalls zielführenden Forderung nach einem höchstpersönlichen
Wahlrecht für die Erziehungsberechtigten noch nicht wahlberechtigter Kinder. Es
würde nämlich
schon binnen kurzem den politischen Parteien einen unwiderstehlichen Anreiz für
eine Korrektur
ihrer bislang fehlerhaften, da in unsere demographischen Probleme hinenführenden
Familienpolitik
setzen.
Unnötig ist es hingegen, die richtige Forderung nach Pflege eines normativen Familienbildes von
der
Art „Frau plus Mann plus Kinder“, das ja auch perfekt zu unserer auf sexuelle Reproduktion
angewiesenen Spezies passt, mit wütenden Ausfällen gegen die „GenderForschung“ zu verbinden.
Hier wird eine für die Bundespolitik ohnehin nicht zentrale Auseinandersetzung gesucht,
bei der man
allenfalls manche Anhänger der AfD in ihrer Parteiidentifikation bestärkt, doch schwerlich neue
Wählerschichten erschließt.
2. Unvernünftig mit einem vernünftigen Einsprengsel: das Demokratiekapitel
Dieses ist das schwächste Kapitel im ganzen Programmentwurf. An ihm ist bereits die
Rahmenerzählung falsch, nach der es in Deutschland keine Gewaltenteilung mehr gäbe oder die
innere Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten sei. Richtig ist allein, dass bei der EuroRettungspolitik
sowie der Migrationspolitik der
Jahre 2015/16 eine wirksame parlamentarische Opposition fehlte.
Bei der Migrationspolitik wollten ausgerechnet die Oppositionsparteien nicht opponieren, weil
4
politisch ja mit der Kanzlerin übereinstimmten. Richtig ist auch, dass im Jahr
2015 etliche Risiken
innerer Sicherheit durch einen allzu sorglosen Umgang mit Grenzen und Grenzkontrollen
eingegangen wurden. Und richtig ist ferner, dass unter – bis vor das Bundesverfassungsgericht
führender – versuchter Überspielung des Bundestages durch die sogenannte „EuroRettungspolitik“,
sehr große Gefahren für den Bundeshaushalt und für deutsches Steuergeld zugelassen wurden.
Doch staatsrechtlich falsch sind Behauptungen dahingehend, die Verträge von Schengen,
Maastricht
oder Lissabon wären rechtswidrig. Deutschland darf sich nämlich sehr wohl – und auch unter
Weiterreichung nationaler Rechte – in einen supranationalen Staatenverbund einordnen, in einen
Staatenbund ohnehin; allein die
Eigenstaatlichkeit des Landes aufzugeben, wäre unzulässig. Doch
welcher Grad an supranationalem Regieren wünschenswert sein kann, ist Gegenstand völlig
legitimen politischen Streits. Und natürlich beschränkt die
Wirkungsmöglichkeiten innerstaatlicher
Demokratie, wer sich in ein supranationales Gefüge einordnet. Es kann aber gute Gründe dafür
geben – wie etwa 1871, als die deutschen Königreiche und Fürstentümer ihre Souveränität
zugunsten des neu entstandenen Reiches aufgaben.
Soweit nun im Programmentwurf die innerdeutsche Demokratie thematisiert wird, verbinden
sich
richtige Beobachtungen mit zwar populären, doch falschen, zumindest irreführenden
Deutungsmustern. Richtig ist, dass bei einer so wichtigen Entscheidung wie der – durch
Kanzlererklärung geschaffenen – zeitweisen Selbstverpflichtung, Deutschland werde faktisch
unbegrenzt Migranten aufnehmen, der Parlamentsvorbehalt übergangen
wurde – und zwar deshalb,
weil sich die Oppositionsparteien nicht um ihn kümmerten, und in den
Regierungsparteien die den
Kanzlerinnenkurs unterstützenden Mehrheiten die kritischen Minderheiten politisch
überspielten.
Doch dieses Hinwegsetzen über den
Parlamentsvorbehalt war ein episodisches Fehlfunktionieren
unseres Regierungssystems, ist aber kein Beweis
dafür, hierzulande regiere stets und überall eine
kleine, durch demokratische Willensbildung nicht mehr
zu erreichende Oligarchie – weshalb sich
Deutschlands Demokratie in einem „illegalen Zustand“ befinde.
Ganz richtig und demokratieförderlich ist in diesem Kapitel allein die Forderung, man solle in
Deutschland Volksabstimmungen einführen,
mit denen vom Parlament bereits beschlossene Gesetze
wieder aufgehoben („fakultatives gesetzesaufhebendes Referendum“) oder – über die Landesebe
ne
hinaus – verändert werden könnten („Volksgesetzgebung“, hier: zur Novellierung eines
fortbestehenden Gesetzes). Erwägenswert wird sind ferner die Forderungen
nach obligatorischen
Volksabstimmungen bei Verfassungsänderungen
oder bei solchen internationalen Verträgen, welche
die Rolle Deutschlands in der supranationalen EU betreffen. Doch die bis
dahin vernünftige Position
des Programmentwurfs wird anschließend sowohl durch Überschussrhetorik als auch durch ein
Ausfransen des Arguments dahingehend verunklart, dass nun auch in Deutschland eine
Volksabstimmung über den weiteren Verbleib Deutschlands in der EU durchgeführt werden
solle.
Das aber wäre ein Präzedenzfall für die Ermöglichung von – demokratiepolitisch ganz
unzweckmäßigen – plebiszitären Sachentscheidungen.
Die Vorschläge zu den politischen Parteien, die
gar nicht wenig Raum einnehmen, sind allesamt vom
Vorurteil geleitet, dass sich in der von starken Parteien getragenen deutschen Demokratie gerade
deren Grundmauern – d.h. die
Parteien – am falschen Platz befänden. Denn die Parteien sollten – so
das Programm im Punkt 1.7 – im Staat nur „mitwirken“, doch nicht das politische System
„beherrschen“. Tatsächlich ist aber niemand (!) anderes als
die Parteien demokratisch legitimiert, in
Deutschland Herrschaft auszuüben. Nur sie stellen sich nämlich allgemeinen
periodischen Wahlen,
weshalb genau ihre Anführer – die regionalen Parteiführer als Abgeordnete, die nationalen
Parteivorsitzenden als Regierungsmitglieder oder Oppositionsführer – zum Regieren bzw.
zu dessen
parlamentarischer Mitprägung befugt sind. Eben deshalb entspricht
jene Verbindung von Parteiamt
und Parlamentsmandat, welche der AfD-Programmentwurf abschaffen will, genau der
Funktionslogik
5
unseres Regierungssystems. Doch das bemerkten die Verfasser des Programmentwurfs
anscheinend
nicht, weil sie sich schlicht von hierzulande üblichen populären Vorurteilen leiten ließen.
Ebenfalls ohne das überhaupt zu bemerken, plädiert der Programmentwurf auch für eine
Abschaffung des bewährten „parlamentarischen Regierungssystems“. Dessen Kern ist die – im
England des 19. Jh. entstandene – Verbindung von herbeigewählter Parlamentsmehrheit und
Regierung. Zu ihr kommt es dadurch, dass die
führenden Parlamentarier der eine Koalitionsmehrheit
erringenden Parteien in die Regierungsämter einrücken. Genau das
soll aber laut Programmentwurf
beseitigt werden. Die einzige stimmige Alternative dazu wäre ein „präsidentielles
Regierungssystem“,
das außerhalb der USA allerdings noch nirgends
und niemals demokratiebewahrend funktioniert hat.
Tatsächlich fordert der Programmentwurf eine Direktwahl des Bundespräsidenten. Doch das
geschieht erkennbar ohne eine durchdachte Absicht, dann wenigstens ein stimmiges präsidentiell
es
Regierungssystem einzuführen, wozu zwingend die Abschaffung des Amts des
Bundeskanzlers und
die Unterstellung aller Bundesminister direkt unter den Bundespräsidenten gehörte.
Behält man das
gesonderte Amt eines Regierungschefs Amt aber bei, wie das vom Programmentwurf
nahegelegt
wird, so entsteht ein semi-präsidentielles bzw. semi-parlamentarisches Regierungssystem wie in
Frankreich. Dessen Praxis, die entweder
zu einer „republikanischen Monarchie“ oder zum Regieren
bei versickernder Verantwortung führt, könnte aber allen abschreckend vor Augen stehen.
Natürlich lässt sich – wie es ja in Deutschland immer wieder geschieht – über eine sinnvolle
Verkleinerung des Bundestages nachdenken, und ebenso über eine Veränderung des
Bundestagswahlrechts dahingehend,
dass – wie etwa beim Bayerischen Landtagswahlrecht – nicht
mit starren, sondern mit variablen Parteilisten gearbeitet würde. Nur zeigt die Praxis, dass
dies an
der grundsätzlichen Stärke von Parteien gar nichts ändert – und am Entstehen der (im Übrigen
erforderlichen!) Rolle des Berufspolitikers schon gleich gar
nicht. Hier macht der Programmentwurf
also Vorschläge, die für eine Verwirklichung der verfolgten Absichten untauglich sind.
Ganz besonders undurchdacht sind die Forderungen nach Amtszeitbegrenzungen. Die
durchschnittliche Verweildauer von deutschen Abgeordneten in Parlamenten liegt ohnehin nur b
ei
rund zweieinhalb Wahlperioden; also ist die geforderte Amtszeitbegrenzung auf
vier Wahlperioden
sinnfrei. Und weil bislang nur drei der bislang acht Bundeskanzler mehr als zwei Wahlperioden
regierten, löst deren Amtszeitbegrenzung auf zwei Wahlperioden auch kein wirklich drängendes
Problem.
Zu fragen wäre sogar, ob es unserem Land wirklich gedient wäre, wenn man unter Beweis
gestelltes politisches Talent
von Leuten wie Adenauer oder Kohl nach zwei Wahlperioden – wie in
den USA – von Verfassungs wegen brachliegen zu lassen. Und ohnehin kann bei uns nicht nur
das
Wahlvolk einen Regierungschef aus
dem Amt wählen, wenn man seiner überdrüssig wird (wie einst
bei Kiesinger und Kohl), sondern seine Partei kann ihn auch – anders als den USPräsidenten – leicht
zwischen den Wahlen stürzen, falls sie das will
(so einst bei Adenauer und Erhard, bei Brandt und
faktisch auch Schröder).
Andere Vorschläge – etwa zur Parteienfinanzierung, zur Rentenvorsorge für Abgeordnete, zum
Lobbyismus um Abgeordnete oder zur Steuerverschwendung – treffen auf bereits
umfangreich in
Deutschland geführte Debatten, die gerade nicht zum Ergebnis hatten, dass
Vorschläge wie im AfDProgrammentwurf zielführend sein könnten.
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3. Weitgehend realistisch, doch zu wenig konstruktiv: das Zuwanderungs- und Islamkapitel
a. Zuwanderung
Zutreffend wird das auf Europa zukommende Problem der demographischen
Entwicklung Afrikas
benannt. Auch stimmt die Feststellung, dass Massenauswanderung aus unterentwickelten
Weltgegenden die dortigen Probleme durchaus nicht löst – und als Masseneinwanderung nach
Europa dort einfach zusätzliche Krisen auslöst. Deshalb ist die Feststellung richtig, dass
es die – zumal
ökonomischen – Fluchtursachen in den Herkunftsländern von Migranten zu verringern gilt.
Lobenswert ist der Nachsatz, dass es in Ordnung ist, dafür auch Nachteile für unsere westlichen
Volkswirtschaften in Kauf zu nehmen. Und als Notmaßnahme – wohl längerfristiger Art – kann
tatsächlich die Erhörung der UNCHR-Mittel für Flüchtlingszentren in heimat- und kulturnahen
Regionen dienen.
Auch die folgenden Grundzüge nachhaltiger Problemlösungen
werden zutreffend benannt: Sicherung
der Außen- und nötigenfalls auch Binnengrenzen der EU so, dass keine ungeregelte
Massenzuwanderung – zumal von beruflich wenig Qualifizierten Migranten – in unsere Systeme
sozialer Absicherung mehr erfolgt (wobei nach der aktuellen EuGHRechtsprechung wohl weniger die
EU-Bürger als vielmehr migrantische Nicht-EU-Bürger die zentrale Herausforderung sind);
weitgehende Unterbindung des Familiennachzugs, sofern dies Lasten für unsere Sozialsysteme
auslöst; Unterbindung des Anreizes, unbegleitete Minderjährige gleichsam zur
Vorhut des Nachzugs
ihrer Familien zu machen; Verlagerung der Verantwortung für die
Aufnahme von Zuwanderung in
Europas Nationalstaaten, allerdings unter
Vergemeinschaftung des Schutzes der Außengrenzen, und
wobei – was nicht im Programmentwurf steht – die Regeln zur
Rettung Schiffbrüchiger eingehalten
werden müssen. Ebenso richtig ist die Forderung, das Asylverfahren
in rationalere und effektivere
Formen zu bringen.
Nicht in Ordnung ist es aber, anstelle klarer Aussagen über Leitgedanken unserer
Zuwanderungspolitik einfach den Begriff der „Minuszuwanderung“ zu setzen. Er ist nämlich
ein die
Wahrheit verhüllender Euphemismus wie „Minuswachstum“. Außerdem bleibt der Begriff im
Programmentwurf unklar. Soll „einfach“ die jährliche Migrantenzahl,
etwa die Nettozuwanderung
von rund einer Million im Jahr 2015, fortan jährlich
um 200.000 reduziert werden? Soll diese Politik
geführt werden, bis eine Nettozuwanderung von Null erreicht ist, oder wird dann für
die Zeit danach
(und nicht nur – wie im Programm – davor) eine jährliche Mindestabschiebequote in entsprechen
der
Höhe gefordert? Und falls ja: Auf welchen grundgesetzkonformen Rechtsgrundlagen? Und bis
zu
welcher Zahl an in Deutschland lebenden
Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft? – Insgesamt
ist es unverantwortlich, gerade an einer Programmstelle, die sowohl für unser Land als auch für
die
mögliche Wählerschaft der AfD sehr
wichtig ist, durch ein reines Wieselwort Unklarheit aufkommen
zu lassen.
b. Integration
Zu Recht wird – faktisch als Grundlage einer gelingenden
Integrationspolitik – die Festlegung einer
klaren Einwanderungspolitik gefordert, desgleichen eine aktivierende Familienpolitik, damit
nämlich
zahlreiche Einwanderung samt ihren problematischen Folgen
nicht schlicht wegen unzulänglicher
Reproduktion unserer Gesellschaft erforderlich wird. Richtig wird auch erkannt, dass die
erfolgreiche
Integration von Migranten nur bis zu bestimmten, besser nicht durch Versuch und Irrtum
auszutestenden Größenordnungen gelingt.
7
Richtig ist ferner die Aussage, dass Integration vorrangig die Aufgabe von Einwanderern,
nicht eine
Bringschuld der aufnehmenden Gesellschaft ist. Passend ist auch die Feststellung, gutgemeinte
Absenkungen schulischer und beruflicher Anforderungen an zu integrierende Migranten dürften
nur
fallbezogen
sind und nicht überhaupt zur – durch unser Bildungssystem ohnehin schon bewirkten –
weiteren Niveauabsenkung führen. Richtig ist ebenfalls die Forderung, die doppelte
Staatsbürgerschaft wieder zu einem Ausnahmetatbestand, nicht für die nachrückende, in
Deutschland geborene Ausländergeneration zur Regel zu machen.
Das alles ist also zwar stimmig, doch nicht sonderlich konkret.
c. Islam
Es stimmt schon, dass ein Islam nicht ins Land gehört, der Deutschlands Rechtsordnung nicht
respektiert, ja vielleicht sogar unterläuft. Ebenso richtig ist es, die
Entstehung und Verfestigung von
islamischen Parallelgesellschaften mit jeweiligen Sonderkulturen zu verhindern. Und verkehrt
ist
auch nicht der Hinweis
auf ausländische Förderer der Ausbreitung des Islam in Deutschland. Das alles
benennt echte und durch Politik zu lösende Probleme.
Genau deshalb wäre es gut, vom – ja auch
im Programmentwurf – anerkannten allgemeinen Recht
auf Religionsfreiheit ausgehend sehr konstruktiv davon zu handeln, auf
welche Weise Muslime denn
– trotz mancher Schwierigkeiten – zum keinerlei Besorgnisse auslösenden Teil unserer
Gesellschaft
werden könnten. Immerhin gibt es – zusätzlich zu über zwei Millionen im Land lebenden
Muslimen
ohne deutsche Staatsangehörigkeit – bereits gut zwei Millionen
Deutsche muslimischen Glaubens.
Deren Zahl wird in den nächsten Jahren gewiss weiter steigen. Hier also stellen sich
wirklich wichtige
Politikaufgaben.
Doch dem Programmentwurf fehlen alle in dieser Hinsicht konstruktiven Ansätze. Vor
allem wird
betont, was alles es zu verbieten gilt – natürlich Minarette, weibliche Vollverschleierung in der
Öffentlichkeit, Kopftücher von muslimischen Lehrerinnen, islamtheologische Lehrstühle.
Vieles davon
passt nicht zu unserer liberalen – und darin bewahrenswerten – Rechtslage. Zumal
der letztgenannte
Vorschlag unterbände die Ausbildung von islamischen Religionslehrern
in Deutschland und führte,
mitsamt der dann nötigen Auslagerung von islamischem Religionsunterricht ganz in den
Privatbereich, erst recht zu islamischer Nischengesellschaftlichkeit.
Auch in den islambezogenen Teilen des Bildungskapitels schlägt der Programmentwurf einen
falschen Weg ein. Erstens ist nicht zu erkennen, auf
welche Weise unsere Schulen – ohnehin durch
Inklusionsaufgaben stark gefordert – auch noch schulpflichtige Asylbewerber auf ein Leben
nach
ihrer Rückkehr ins Herkunftsland vorbereiten könnten. Es sollen doch wohl nicht allenthalben
Lehrer
eingestellt werden, die in der Sprache der Migrantenkinder unterrichten?
Ferner wirkte sich die Unterbindung eines bekenntnisgebundenen Islamunterrichts an den
Schulen
integrationspolitisch kontraproduktiv aus. Wenn man nämlich
den islamischen Religionsunterricht
Imamen überlässt, die – wie ebenfalls gefordert – gar nicht an deutschen
Hochschulen ausgebildet
werden, dann kultiviert man vor allem eine abgeschottete islamische Kultur im Umfeld der
Moscheen. Gar nichts nutzte es dabei, den Koranunterricht „an Moscheevereinen“ zu verbieten,
denn natürlich können private Religionslehrer überall dort, wo sie erwünscht sind, jederzeit
auftreten, weil das nun einmal Teil der Religionsfreiheit ist. Hingegen passen sich Muslime als
Muslime – und nicht als Türken, Syrer oder Afghanen – wohl genau dann den Verhältnissen in
unserem Land bestmöglich an, wenn auch hinsichtlich ihrer religiösen Bildung während der
Schulzeit
zwischen ihnen und den Nicht-Muslimen
keinerlei Unterschied gemacht wird. Wenn man aber nicht
8
Religion als Schulfach überhaupt abschaffen und islamische Religionsvermittlung vollends in
die –
dem Staat unzugängliche – Sphäre des Privaten verlegen
will, muss man vernünftigerweise zwischen
den folgenden Möglichkeiten
wählen: Entweder erhalten Schulpflichtige eine konfessionsgebundene
religiöse Bildung von Lehrern, die an säkularen Universitäten studiert haben – oder sie
gehen statt
zum Religionsunterricht zum Pflichtunterricht in einem Fach mit einem Namen wie „Ethik“.
Leider prägt gerade diesen Programmteil ein nachgerade muslimablehnender Affekt, nicht aber
vernünftiges Nachdenken über konstruktive Lösungen einer ja wirklich bestehenden Problems.
Insgesamt lädt der stark auf Abschottung setzende, sich unterschwellig nicht selten aggressiv
anfühlende Unterton aller Passagen
über den Islam und über Muslime dazu ein, der AfD weiterehin
genau jene Islamophobie samt kulturalistischen Rassismus zuzuschreiben, gegen den sie im
Programmentwurf sich doch ausdrücklich wehrt. Womöglich gehen in diesem Kapitel Mängel
am
rationalen Durchdringen
der zu bewältigenden Probleme überhaupt mit Mängeln politischer Klugheit
einher.
4. Richtiges, vermengt mit Vorurteilen: die Kapitel über Kultur, Medien und Bildung
a. Kultur
Zwar wirkt – durchaus merkwürdig aus der Warte anderer Länder – die folgende Feststellung im
Abschnitt 9.1. auf viele in Deutschland wie ein rotes bzw. braunes Tuch:
„Die AfD bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Diese fußt auf den Werten des Christentums, der Antike, des
Humanismus und der Aufklärung. Sie umfasst neben der deutschen Sprache auch unsere Bräuche und
Traditionen, Geistes- und Kulturgeschichte. Unser liberaler Rechtsstaat, unsere Wertschätzung von Bildung,
Kunst und Wissenschaft und der sozialen Marktwirtschaft als Ausdruck menschlicher Kreativität und
Schaffenskraft sind damit engstens verbunden.“
An dieser Einschätzung und Grundhaltung nichts auszusetzen. Aus ihr lassen sich viele weitere,
gerade für eine Einwanderungsgesellschaft wichtige Positionen schlüssig entwickeln. Nur muss
die
AfD dann auch in ihrer Gesamtprogrammatik den hier umrissenen Grundsätzen gerecht werden,
zumal der zur liberalen Rechtsstaatlichkeit. Das aber misslingt deutlich, wo immer es um den
Islam
geht.
Völlig richtig ist es, die deutsche Sprache als Kern der kulturellen Identität unseres Landes zu
benennen. Ein Versäumnis ist es deshalb, dass die gute Beherrschung der deutschen
Sprache nicht
ausdrücklich als Anzeichen dafür benannt wird,
dass einem Zuwanderer wirklich an Integration liegt,
ja das er fortan „dazugehört“. Doch stattdessen gibt es mehrfach ganz kontraproduktiven
rhetorischen Überschuss – etwa dort, wo auf EU-Ebene für die praktische Gleichstellung des
Deutschen gesorgt werde „solange die EU noch besteht“. Auch die Verbindung des Themas
„deutsche Sprache“ mit der Kritik von „politisch korrekten Sprachvorgaben“ ist höchst
ungeschickt.
Gleiches gilt auch für die Verkopplung des Verweises auf die Kulturhoheit der Länder mit der
Ablehnung „politisch korrekter Kunst und Kultur“. Hier werden, ganz oberflächlichen
Entrüstungswünschen nachgebend, sehr verschiedene – und in sich selbst wichtige –
Problembereiche so weit vermengt, dass deren jeweils
gesonderte und darin zielführende Erörterung
schwierig wird.
Insgesamt wirkt in allen hier einschlägigen Abschnitten vieles verklemmt und so, als hätten eher
Ressentiments als konstruktive Überlegungen die Feder geführt. Das zeigt sich zumal in der
Vermengung der Forderung nach einer „Beseitigung ideologiebesetzter kulturpolitischer
Vorgaben
des Staates“ mit der nach einem „Aufbrechen der aktuellen Verengung der deutschen
9
Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“. Auf diese Weise wird ein durchaus
diskutables Thema in eine Frontstellung zum Ziehen von Lehren aus der Katastrophe des
Nationalsozialismus gebracht. Diese Frontstellung ist aber sachlich ganz unangemessen.
Auch isoliert
sie die AfD in
den Diskursen um das bundesdeutsche Selbstverständnis. Besser wäre es da, einfach zu
benennen, was in der deutschen Geschichte eben auch an Positivem war; auf diese Weise den
Nationalsozialismus nicht als Glanzlicht, sondern
als Tiefpunkt der deutschen Geschichte kenntlich zu
machen; und idealerweise dann noch zu rühmen: Noch kein Volk ist je so gründlich und redlich
mit
den verbrecherischen Seiten seiner Geschichte umgegangen ist wie das unsere – und eben
das macht
uns auch moralisch stärker, als wir das ohne eine solche Erinnerungskultur wären.
b. Medien
Der Komplexität des Themenbereichs öffentlicher vs. Privater Rundfunk werden die
entsprechenden,
plakativen Ausführungen nicht gerecht. Gleiches gilt für den knappen
Satz zur Meinungsfreiheit im
Internet. Insgesamt wirkt das hier Stehende ungekonnt.
c. Bildung
Bildungspolitik ist Ländersache, weshalb es schul- oder hochschulbezogene Aussagen in einem
Programm für eine Bundestagswahl nicht wirklich braucht. Allgemeinpolitische Gründe werden
wohl
zur Aufnahme in den Entwurf geführt haben.
Richtig benannt sind gewiss die übergeordneten Ziele einer umfassenden Bildung, die zur
Entfaltung
der Persönlichkeit und zur Übernahme der Bürgerrolle befähigen soll. Stimmig ist auch die
Ablehnung
von Nivellierung und Qualitätsverlust, weil das die Chancen sowohl junger Leute als auch
unserer
Gesellschaft beeinträchtigt.
Förder- und Sonderschulen können, wie es das Programm vermerkt, zur
Chancensicherung nicht von anderweitig Begabten einen wichtigen Beitrag leisten. Auch ein
gegliedertes Schulsystem ist wohl nicht unvernünftig, wie zumindest die entsprechenden
Ländervergleiche zeigen. Ebenso plausibel ist der Hinweis, dass uns
inzwischen Auszubildende fehlen,
wir hingegen viele faktisch wenig könnende Abiturienten sowie viele unglückliche Studierende
haben, die einstweilen auf einer sie menschlich nicht weiterbringenden
Lebensbahn gelandet sind.
Und richtig ist auch die Forderung nach einer höheren Grundfinanzierung der Hochschulen,
welche
die kreativitätserstickende Abhängigkeit von Drittmittelforschung reduzierte.
5. Neue Herausforderungen teils schlüssig, teils unschlüssig bedacht: Euro-, Außen- und
Sicherheitspolitik
a. Euro
Dass der Euro Deutschland große Haftungsrisiken auflädt, durch die
Zins- bzw. Inflationspolitik der
EZP den Sparern und Rentnern auch noch
erhebliche Enteignungs- und faktische Verarmungsrisiken,
ist ebenso richtig wie die Beschreibung jener Spannungen, die der Euro zwischen den der
Eurozone
angehörenden Ländern
ausgelöst hat, sowie der großen Lasten, die er einigen Bevölkerungen in der
Eurozone zu tragen gab. Deshalb ist es nicht unplausibel, dass vom Programmentwurf
der Weg zu
einer Rückabwicklung des Euro offengehalten und klar der Übergang zu einer noch engeren
Haftungsgemeinschaft abgelehnt wird. Diese Programmpassage wird auch so schnell nicht
veralten.
10
Manch anderes ist aber weniger plausibel. Etwa ist die Forderung nach Erhaltung des Bargelds
gewiss
unterstützungswert, betrifft aber kein konkret abzuwehrendes Politikprojekt; und die
Verlagerung
von – bislang freilich noch nicht allem – Bundesbankgold nach Deutschland ist ohnehin im Gang
.
b. Außen- und Sicherheitspolitik
Dass Deutschland eine Fortschreibung der Strategien
seiner Außen- und Sicherheitspolitik braucht,
ist ebenso richtig wie die Forderung, möglichst zu allen Staaten gute Beziehungen
zu pflegen sowie
das friedliche Zusammenleben der Völker zu fördern.
Dass dies im Rahmen der – ja ohnehin nicht statisch in ihrem gegenwärtigen
Zustand verharrenden –
EU schlechterdings nicht möglich sei, ist aber aus
der Luft gegriffen. Ganz jenseits des Gewichts
Deutschlands liegt es hingegen, die UNO machtpolitisch neu
auszurichten oder Deutschland einen
Sitz im Weltsicherheitsrat zu verschaffen. Was
dazu ausgeführt wird, sind ebenso Leerformeln wie
die Forderung nach Abschaffung der nicht einmal mehr symbolische Wirkung entfaltenden
Feindstaatenklauseln der UN. Hier werden ganz unnötige Dinge thematisiert, also politische
Steckenpferde beritten.
Wichtig ist gewiss der Appell, Außenpolitik stärker an unserem Interesse an der
Stabilität von Staaten
auszurichten als an solchen Imperativen von Demokratie und Moral, welche
die Stabilität von für die
internationale Architektur wichtigen Staaten gefährden können. Jeder Blick auf
unsere Chinapolitik
oder auf die Folgen westlicher „Demokratie-Interventionen“ in
der islamischen Welt findet dafür
Belege. Doch zeugt nicht von wirklich systematischem Durchdringen der sich uns stellenden
Herausforderungen, wenn man im Demokratiekapitel die Volkssouveränität preist, im
Außenpolitikkapitel aber durchblicken lässt, bei den Staaten anderer Völker wäre die
Stabilität auch
dann wichtiger als Demokratie und Moral, wenn deren Völker eine Befreiung aus
dem status quo
wünschten.
Unplausibel ist ferner die Forderung, die europäischen Staaten sollten ihre Landesverteidigung
weitgehend eigenständig leisten. Zu Deutschland sagt der Programmentwurf denn auch,
unser Land
sich selbst – also ohne andere – verteidigen können. Doch außer der erwägenswerten
Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird kein Weg aufgezeigt, wie sich das personell,
ausrüstungsmäßig und finanziell bei den für eine komplette Landesverteidigung erforderlichen
Teilstreitkräften realisieren ließe.
Die Forderung nach einer nationalen Sicherheitsstrategie ersetzt
schließlich keine tragfähigen Vorschläge. Im Übrigen kann Deutschland nicht sinnvoll den
Einsatz
deutscher Streitkräfte für „fremde“ Interessen – sind damit wohl
die Interessen unserer Verbündeten
gemeint? – ablehnen, wenn es im eigenen Verteidigungsfall doch deren
Solidarität brauchen sollte.
Im Übrigen werden die baltischen Staaten mit einer eigenständigen
Landesverteidigung gegenüber
Russland wohl noch größere Schwierigkeiten haben als einst Georgien und heute die Ukraine.
Will
man – beispielsweise – sie nicht wieder zu einer unmittelbaren Einflusszone Russlands werden
lassen,
so wird sich Deutschland – gerade bei der an anderer Stelle im Programmentwurf verlangten
Stärkung des europäischen Einflusses in der NATO – deshalb nicht darauf beschränken können,
eigene Sicherheitsgarantien einfach an den deutschen Außengrenzen enden zu lassen. Das löste
nämlich schnell die Solidarität in jenem europäischen Staatenbund auf, den
die AfD doch geschaffen
sehen möchte.
Ein weiteres Beispiel für derlei Programmschwächen finden sich bei
der Behandlung des deutschrussischen Verhältnisses. Natürlich braucht es für nachhaltige Stabilität in Europa
ein gutes Verhältnis
zwischen Deutschland und Russland. Doch wenn man – wie es als Selbstverständlichkeit
gar nicht
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