Beispiele für Entwicklungsunterschiede Tansania

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Beispiele für Entwicklungsunterschiede
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Tansania - eines der ärmsten Länder
Andreas Langmann
Das ostafrikanische Land Tansania ist mit einer Fläche von 945000 Quadratkilometern etwa zweieinhalb mal so groß wie die
Bundesrepublik. Neben dem weiten, kaum nutzbaren, trocken-heißen Binnenhochland gibt es einen schmalen, tropischen
Küstenstreifen sowie Bergregionen im Südwesten und Nordwesten mit gemäßigtem Klima. Die Verteilung der Bevölkerung (1993:
28 Millionen) folgt weitgehend der sehr ungleichen Verteilung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen: Etwa zwei Drittel konzentrieren
sich auf ein Zehntel der Gesamtfläche. Knapp 80 Prozent leben nach wie vor auf dem Lande. Dennoch gibt es einen deutlichen
Trend zur Verstädterung. Der Anteil der städtischen Bevölkerung wuchs in den achtziger Jahren um 10,8 Prozent pro Jahr.
Mit über 90 Prozent stellen die Afrikaner die weitaus stärkste ethnische Gruppe, die sich wiederum auf etwa 120 verschiedene
Ethnien annähernd gleichgewichtig verteilt. Ethnische Konflikte sind im Gegensatz zu anderen afrikanischen Staaten weitgehend
ausgeblieben. Auch die gemeinsame Landessprache Kiswahili hat zur inneren Festigung und Stabilität Tansanias beigetragen.
Neben der afrikanischen Bevölkerungsmehrheit lebt heute eine zahlenmäßig unbedeutende, ökonomisch allerdings einflußreiche
Minderheit von Arabern, Asiaten und Europäern im Lande. Die Religionszugehörigkeit ist mit etwa je einem Drittel Islam (vor allem
auf Sansibar), Christentum und traditionelle afrikanische Glaubensformen fast gleich verteilt.
Tansania ist gemessen am BSP pro Kopf das zweitärmste Land der Welt. Mit nur 90 US-Dollar (1993) liegt das BSP/Kopf deutlich
unter dem Wert von 699 US-Dollar, der international als ein wichtiges Einstufungskriterium in die Gruppe der LLDC verwendet wird.
Gemessen am HDI-Index belegte Tansania 1992 unter 174 Staaten mit Rang 147 einen deutlich besseren Platz.
Das heutige Tansania umfaßt das Festlandsgebiet des ehemaligen Tanganyika sowie die Inselgruppe Sansibar. Tanganyika
gehörte ab 1891 zur Kolonie Deutsch-Ostafrika. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Unabhängigkeit 1961 wurde das Gebiet
von den Briten verwaltet. Sansibar war bereits 1890 formell zum britischen Protektorat geworden. Trotzdem überdauerte hier im
Innern die arabische Sultansherrschaft. 1963 wurde Sansibar unabhängiges Sultanat. In einem blutigen Putsch wurde aber bereits
wenig später die Sultansherrschaft beseitigt. Im April 1964 schlossen sich Tanganyika und Sansibar zur Vereinigten Republik von
Tansania zusammen.
Autozentrierte Strategie
Die Gesamtentwicklung des Landes ist vor allem von der 1967 formulierten Entwicklungsstrategie ("Arusha-Deklaration") beeinflußt
worden. Orientiert am Ideal traditioneller, klassenloser afrikanischer Bauerngesellschaften zielte sie langfristig auf den Aufbau eines
eigenständigen "Ujamaa"-Sozialismus. Das Kiswahili-Wort "Ujamaa" bedeutet "in der Familie leben". Kernelemente dieser
autozentrierten Strategie waren: die Vergesellschaftung der Produktionsmittel; eine gleiche und gerechte Verteilung von Wohlstand
und Einkommen zwischen Regionen, Stadt und Land sowie Einzelpersonen; die Befriedigung der Grundbedürfnisse; die
Einbeziehung der gesamten Bevölkerung in den Entwicklungsprozeß und der Abbau der Auslandsabhängigkeit. Strategisch stand
die Landwirtschaft im Mittelpunkt. Ab 1968 wurde begonnen, die verstreut lebende Landbevölkerung in genossenschaftlich
organisierten "Ujamaa"-Dörfern anzusiedeln. Wegen deren mangelnder Produktivität fanden 1973 bis 1977 jedoch erneut
Umsiedlungen in größere "Entwicklungsdörr" statt, teilweise gegen den Widerstand der Betroffenen. Ziele waren insbesondere eine
verbesserte Versorgung mit Infrastrukturleistungen (Gesundheit, Wasser, Bildung) sowie die Befähigung zu politischer Partizipation.
Bis etwa Mitte der siebziger Jahre brachte die Strategie gemessen an sozialen Standards vor allem im Vergleich mit anderen
afrikanischen Staaten durchaus beachtliche Erfolge: Die sozialen Gegensätze waren weit geringer, und die
Einkommensunterschiede in den staatlich kontrollierten Bereichen wurden zunächst drastisch abgebaut. Städtische Slums mit
verelendeter Bevölkerung gibt es bis heute nicht. Die Analphabetenrate (etwa 7 Prozent 1990) ist immer noch eine der niedrigsten
in Afrika. Auch die Zahl der Einschulungen in die Grundschule ist erheblich gestiegen (Verdoppelung zwischen 1970 und 1992 auf
68 Prozent der entsprechenden Altersstufe), und der flächendeckende, an der Präventivmedizin orientierte Basisgesundheitsdienst
galt als vorbildlich. Die Lebenserwartung stieg seit der Unabhängigkeit bis 1979 von 42 auf 52 Jahre, sank danach jedoch zum Teil
wieder darunter.
Wirtschaftliche Erfolge blieben dagegen aus. Die bereits seit Ende der siebziger Jahre krisenhafte Entwicklung mündete besonders
in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in einen dramatischen Wirtschaftsabschwung. Seit 1985 sind das BSP/Kopf und das BIP
kontinuierlich gesunken von 290 US-Dollar bzw. 5,6 Milliarden US-Dollar auf 90 US-Dollar bzw. 2,1 Milliarden US-Dollar. Auch die
Inflationsrate beschleunigte sich gegenüber den siebziger Jahren (14,1 Prozent) auf 24,3 Prozent (1980 bis 1993) im
Jahresdurchschnitt.
Kritisch entwickelte sich vor allem die Landwirtschaft. Mit einem Anteil von 56 Prozent am BIP (1993) hat ihre Bedeutung als
Kernbereich der Wirtschaft sogar noch zugenommen (1970: 41 Prozent). Sie beschäftigt 88 Prozent der Erwerbstätigen und
erwirtschaftet 83 Prozent der Exporterlöse (vor allem Kaffee, Baumwolle, Tabak). Etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen
Produktion entfällt auf die Subsistenzwirtschaft, das heißt die Erzeugung für den unmittelbaren Eigenverbrauch der Produzenten.
Unzureichende oder ausbleibende Zuwächse in der Nahrungsmittelproduktion bei gleichzeitig rasch steigendem
Bevölkerungswachstum (1980 bis 1993: 3,2 Prozent jährlich) verschärften die Ernährungslage: Von 1978 bis Mitte der achtziger
Jahre konnte die Ernährung der Bevölkerung nur durch Nahrungsmittelimporte gesichert werden. Zu Beginn der neunziger Jahre
(1992) lag die Pro-Kopf-Nahrungsmittelproduktion bei 79 Prozent der Menge von 1979 bis 1981. In einigen Landesteilen gab es
Versorgungsengpässe, teils bedingt durch Wettereinüsse, teils aber auch durch gravierende Mängel in der Lagerhaltung.
Krise der Landwirtschaft
Das Produktionsvolumen der wichtigsten landwirtschaftlichen Exportprodukte, das von 1971/72 bis 1982/83 um dramatische 40
Prozent gesunken war, schwankte erheblich. Eine Ursache sind Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt. So wurde zum Beispiel von
1992 auf 1993 der Einnahmeverlust infolge Preisverfalls (ab 1989) beim Hauptexportprodukt Kaffee auf 65 Prozent (110 Millionen
US-Dollar) geschätzt. Das Beispiel Baumwolle, deren Exporterlöse zu Beginn der neunziger Jahre trotz gestiegener
Weltmarktpreise sanken, verweist jedoch auf weitere Ursachen. Allgemein sind für die Krise der Landwirtschaft neben externen und
Klimaeinflüssen hauptsächlich Mißmanagement, ineffiziente Vermarktungs- und Anreizsysteme (überbürokratisierte staatliche
Handelsgesellschaften, niedrige Erzeugerpreise), Transportprobleme und der Rückgang dringend benötigter Importe aus
Devisenmangel (unter anderem Maschinen, Ersatzteile) verantwortlich gemacht worden.
Auch die ohnehin schwach entwickelte Industrie (Nahrungsmittel, Textil, Brauerei, Zigaretten) wurde von der Krise erfaßt. Ihr Anteil
am BIP sank auf 14 Prozent (1970: 17 Prozent). Trotz umfangreicher, zu etwa zwei Drittel vom Ausland finanzierter staatlicher
Investitionen, war es nicht gelungen, die Produktion in der bis Mitte der achtziger Jahre weitgehend verstaatlichten Industrie
nennenswert zu steigern. 1980 bis 1993 verringerte sich die Industrieproduktion um 2,5 Prozent jährlich. Viele Betriebe mußten
schließen. Noch Mitte 1990 arbeiteten nach Schätzungen die meisten Fabriken mit nur 20 bis 40 Prozent ihrer Kapazität.
Hauptursachen waren die mangelnde Versorgung mit Energie, Rohstoffen und Wasser sowie mit Maschinen und Ersatzteilen,
schlechtes Management und fehlende Transportkapazitäten. Die Vernachlässigung der Industrie in der anfänglichen
Entwicklungsstrategie ist eine weitere Ursache.
Chronischer Devisenmangel
Eines der Hauptprobleme Tansanias ist der chronische Devisenmangel. Dabei besteht eine Art Teufelskreis: Der Devisenmangel
beschränkt notwendige Investitionen und Importe und bremst die gesamte Wirtschaftsleistung. Zugleich verhindern mangelnde
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Produktivität und ausbleibendes Wachstum, daß die Einnahmen des Landes durch Exporte gesteigert werden können. 1980 bis
1990 sanken die Exporte um 7,4 Prozent jährlich, die Importe um 0,5 Prozent. Das beträchtliche Außenhandelsdefizit (1993: 1,1
Milliarden US-Dollar) wird vor allem durch massive internationale Transfers (Kredite, Entwicklungshilfe) finanziert. Entgegen der
ursprünglich erklärten Ziele ist das Land seit langer Zeit stark abhängig von Entwicklungshilfe. Hatte sich der jährliche Pro-KopfBetrag bereits 1970 bis 1980 mehr als verzehnfacht, so wurde 1990 mit 47,1 US-Dollar pro Kopf und einem Anteil am BSP von 48,2
Prozent ein Spitzenwert in der Geschichte des Landes erreicht (1993: 33,9 US-Dollar bzw. 40 Prozent). Auch im internationalen
Vergleich ist Tansia ein bedeutender Empfänger - unter anderem bundesdeutscher - öffentlicher Entwicklungshilfe. Eine Folge ist
die erdrückende Verschuldung. Der Schuldenberg hat sich von 1980 bis 1993 auf 6,7 Milliarden US-Dollar nahezu verdreifacht, und
der Schuldendienst erreichte 1992 mit 31,5 Prozent der Exporte einen dramatischen Höhepunkte (1993: 20,6 Prozent).
Die Wirtschaftskrise und der Druck internationaler Kreditgeber haben seit Mitte der achtziger Jahre zu grundlegenden Reformen
geführt. In teils konfliktreicher Zusammenarbeit mit Weltbank und IWF werden seit 1986 innenpolitisch umstrittene
Anpassungsprogramme durchgeführt. Sie sahen zunächst unter anderem kräftige Erhöhungen der Erzeugerpreise, drastische
Währungsabwertungen, Einfrieren der Mindestlöhne, Wegfall von Subventionen für Maismehl sowie den Abbau des Staatsdefizits
(unter anderem sollen 50000 Staatsbedienstete entlassen werden) und von Preiskontrollen vor. Auch in der Landwirtschaft wird die
Privatinitiative gefördert: unter anderem durch den Abbau des staatlichen Vermarktungsmonopols, die Reorganisation der
Genossenschaften, die Garantie privater Landnutzung und die Ermutigung kommerzieller Großbetriebe. Während die Maßnahmen
im Ausland wachsende Bereitschaft zu verstärkter Entwicklungshilfe mobilisieren konnten, zeigten sich im Lande bisher allenfalls
erste Anzeichen von Erfolg (unter anderem stgender Anteil verarbeiteter Produkte am Export, wachsende Aktivitäten kleiner
Privatunternehmen, bessere Versorgung mit Konsumgütern und Produktionsmitteln). Dagegen steht unter anderem der Abbau
sozialer Dienstleistungen und die wachsende Einkommenskonzentration (1991: unterste 20-Prozent-Gruppe: 2,4 Prozent, oberste:
62,7 Prozent).
Auch das politische System Tansanias wurde zu Beginn der neunziger Jahre grundlegend reformiert. Die traditionell hohe politische
Stabilität des föderalen Präsidialsystems begünstigte, nach einer Verfassungsänderung von 1992, den friedlichen Übergang vom
Einparteienstaat zur Mehrparteiendemokratie - ein im innerafrikanischen Vergleich bemerkenswerter Verlauf. Beides ist ein
wesentlicher Verdienst des bis heute einflußreichen Politikers und langjährigen Präsidenten Julius Nyerere (1964 bis 1985). Auch
nach den ersten freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Oktober 1995 blieb die politische Macht weitgehend bei der
früheren Einheitspartei, "Partei der Revolution" (CCM), konzentriert. Angesichts einer langen und fest verwurzelten Tradition des
Staatsinterventionismus war die Durchsetzung einer stärker liberal-pragmatisch orientierten (Wirtschafts-)Politik ab 1985 von
Widerstand begleitet, insbesondere seitens eher traditioneller Anhänger eines "afrikanischen Sozialismus".
Spannungen zeigten sich auch auf anderen Ebenen, wie die zwischen Afrikanern und Asiaten, aber auch zwischen Christen und
Muslimen. Letztere verweisen zugleich auf wachsende Konflikte zwischen dem Festland und Sansibar, wo circa 90 Prozent
Moslems leben. Zusätzlich wird Tansania zur Zeit besonders durch die große Zahl von Bürgerkriegsflüchtlingen (circa 865000 Ende
1994) aus Ruanda, Burundi und Mosambik belastet. Gerade bei der Bewältigung dieser Herausforderung, aber auch bei der Lösung
der vielfältigen Probleme eines typischen LLDC wird Tansania auch künftig neben großen Eigenanstrengungen auf internationale
Solidarität angewiesen sein.
Schwellenland Brasilien
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Mit einer Fläche von circa 8,5 Millionen Quadratkilometern ist Brasilien das fünftgrößte Land der Erde und nimmt etwa die Hälfte der
Fläche (47 Prozent) Lateinamerikas ein. Dem feucht-heißen Klima des tropischen Regenwaldes im Amazonasgebiet im Norden und
Nordwesten steht ein eher gemäßigtes Klima im zentralen Hochland sowie in den Bergregionen im Osten und Südosten gegenüber.
Die Bevölkerung (1993: 156,5 Millionen) konzentriert sich auf den wenige hundert Kilometer breiten Küstenstreifen und hier
besonders auf den besser entwickelten Südosten, wo 50 Prozent der Brasilianer auf 11 Prozent der Landesfläche leben (73
Einwohner pro Quadratkilometer; zum Vergleich: im Norden 1,4 Einwohner pro Quadratkilometer). Moderne (arbeitsparende)
Produktionstechniken in der Landwirtschaft und Industrieansiedlung in städtischen Gebieten haben zu erheblicher Landflucht
beigetragen.
In den Städten leben 71 Prozent der Bevölkerung, davon knapp die Hälfte (46 Prozent) in großstädtischen Ballungsgebieten (über 1
Million Einwohner), die dem anhaltenden Zustrom kaum gewachsen sind. Die Folge ist vielfach ein explosives Anwachsen der
Elendsviertel ("favelas") sowie oft katastrophale Umweltbelastungen (zum Beispiel Großraum Sao Paulo). Die ethnische Gliederung
umfaßt circa 60 Prozent Weiße unterschiedlicher Abstammung, 27 Prozent Mischlinge von Weißen und Schwarzen (Mulatten) bzw.
Weißen und Indianern (Caboclos) und 10 Prozent Schwarze. Daneben gibt es noch circa 1 Prozent Japaner sowie etwa 180000
Indianer. Trotz der weitreichenden Toleranz der Brasilianer gegenüber unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gibt es eine
Diskriminierung der Menschen dunkler Hautfarbe.
Mit einem Anteil von 90 Prozent Katholiken ist Brasilien das größte katholische Land der Welt. Weitere, zahlenmäßig unbedeutende
Religionsgruppen sind Protestanten, Orthodoxe, Juden und Buddhisten. Verbreitet - auch unter Katholiken - sind nach wie vor eine
Reihe afro-brasilianischer Kulte. International zählt Brasilien mit einem relativ hohen - allerdings extrem ungleich verteilten - ProKopf-Einkommen von 2930 US-Dollar (1993), einem Industrieanteil von 37 Prozent am BIP und einem Fertigwarenanteil von 60
Prozent zu den "Schwellenländern".
Brasilien war nach seiner Entdeckung im Jahre 1500 portugiesische Kolonie. 1822 wurde das Land als Kaiserreich unabhängig.
Seit 1889 ist es eine föderative Republik. Unterschiedliche Entwicklungsphasen haben die heutigen Wirtschafts- und
Sozialstrukturen wesentlich geprägt. Bereits während der Kolonialzeit wurde Brasilien als Exporteur von Rohstoffen (Brasilholz,
Zuckerrohr, Gold und Edelsteine, Kaffee) in die Weltwirtschaft eingegliedert. 1930 beseitigte ein Staatsstreich die Herrschaft der
Kaffeebarone und leitete eine Phase importsubstituierender Industrialisierung ein (Textilien, Nahrungsmittelverarbeitung, Stahl).
Wachstumsorientierte Politik
Ab Mitte der fünfziger Jahre erfolgte ein zweiter Industrialisierungsschub (langlebige Konsumgüter und Schwerindustrie) unter
wachsender Beteiligung ausländischen Kapitals. Nachdem sich in der Folgezeit die Verteilungskämpfe zwischen Gewerkschaften,
Unternehmern und Staat zugespitzt hatten, übernahm 1964 das Militär die Macht. In seine Regierungszeit (bis 1985) fällt das
sogenannte "brasilianische Wirtschaftswunder" (1968/69 bis 1973) mit realen Wachstumsraten des BSP von jährlich
durchschnittlich 11 Prozent und einem - staatlich subventionierten - Exportboom mit jährlichen Steigerungsraten um 25 Prozent.
Die wesentlichen Merkmale der von den Militärs verfolgten Strategie waren: Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik auf der Basis
enger Kooperation von nationalem Großkapital, Staat und transnationalen Konzernen; forcierte Industrialisierung und Ausbau
technologisch fortgeschrittener Sektoren (Fahrzeug- und Maschinenbau, Elektrotechnik, Chemie) unter starker Beteiligung von
Auslandskapital; umfassende staatliche Wirtschaftsaktivitäten, vor allem umfangreiche Investitionen im Infrastrukturbereich und den
Basisindustrien sowie Ausbau des staatlichen Finanzsektors und massive Exportförderung; restriktive Lohnpolitik und
Einschränkung von Gewerkschaftsrechten (zum Beispiel Streikverbot); autoritäres politisches System getragen von einem Bündnis
hoher Militärs mit zivilen Technokraten.
Nach kräftigen Wachstumssteigerungen und sichtbaren Erfolgen in Außenhandel und Industrialisierung verschärften sich ab
1973/74 die Wirtschaftsprobleme durch die Ölpreisexplosion, Währungsturbulenzen und die weltweite Rezession, aber auch die
Erschöpfung der inländischen Angebotskapazitäten. Die unzureichende eigene Energieerzeugung und die damit verbundene hohe
Abhängigkeit von Ölimporten belasteten Brasilien schwer. 1975 mußten circa 35 Prozent der Exporterlöse zur Bezahlung von
Ölimporten aufgewandt werden, 1980 waren es bereits circa 50 Prozent. Die Regierung bemühte sich daher, durch hohe, nur über
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Verschuldung im Ausland zu finanzierende Investitionen im Energiesektor diese Kosten zu reduzieren. Umstrittene Großprojekte mit zweifelhaftem Erfolg - waren die Umwandlung von Zuckerrohr in Äthanol als Benzinersatz, der Staudammbau und der auch von
der Bundesrepublik unterstützte Ausbau der Atomenergie.
Belastend war daneben der steigende Importbedarf infolge hoher Auslastung der internen Produktionskapazitäten. Während die
weltweite Inflation die Importpreise in die Höhe trieb, sanken wegen der wachsenden internationalen Konkurrenz die Exporte und
die Exporterlöse, mit denen die Importe finanziert werden sollten.
Schwere Wirtschaftskrise
Mit Beginn der achtziger Jahre geriet Brasilien schließlich in eine schwere, bis heute fortwirkende Wirtschaftskrise. Sinkende
Wachstumsraten bei anhaltend hohem Bevölkerungswachstum (1980 bis 1993: 2 Prozent; Rückgang BSP/Kopf 1982 bis 1985 um
26,8 Prozent) und eine galoppierende Inflation (1980 bis 1993 durchschnittlich jährlich 423 Prozent; 1993: 2148 Prozent) bewirkten
drastische Einbußen im Lebensstandard breiter Schichten. Nach einer brasilianischen Studie von 1986 lebten etwa 60 Prozent der
Erwerbsbevölkerung unter der Armutsgrenze, und nach Schätzungen der Weltbank war in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre
noch etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung von diesem Schicksal betroffen. Gleichzeitig spitzte sich die Schuldenkrise gefährlich
zu. Die Auslandsschulden stiegen - nach explosivem Zuwachs 1970 bis 1980 um 1392 Prozent - von 1980 71 Milliarden US-Dollar
(Schuldendienstquote: 63 Prozent) auf 1990 116,2 Milliarden US-Dollar. Mit 132,7 Milliarden US-Dollar war Brasilien auch 1993 das
höchstverschdete Entwicklungsland und mußte immerhin noch knapp ein Viertel seiner Exporterlöse zur Bedienung der Schulden
aufwenden.
Angesichts der schweren Wirtschafts- und Sozialkrise, die 1985 zum Ende der Militärherrschaft beitrug, werden seit einigen Jahren
einschneidende Wirtschaftsreformen durchgeführt. Zu den Maßnahmen zählen sechs Währungsreformen seit 1986, umfangreiche
Privatisierungen von Staatsunternehmen (unter anderem Energieerzeugung, Ölförderung und Telekommunikation) und
Entlassungen von Staatsbediensteten, Einsparungen zur Konsolidierung des Staatshaushalts (unter anderem Abbau von
Subventionen), die Liberalisierung des Außenhandels sowie die Öffnung für ausländische Investoren (Bergbau,
Telekommunikation). Innenpolitisch hat die Schocktherapie teils zu heftigen Konflikten geführt (Streiks in der Ölindustrie), und auch
die Abstimmung mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) war nicht immer konfliktfrei. Während beim Wachstum, im
Außenhandel und bei der Wiedergewinnung des Vertrauens ausländischer Investoren und Kreditgeber Erfolge erzielt werden
konnten, waren die Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit sowie diBewältigung sozialer und ökologischer Probleme bisher
weniger erfolgreich.
Aktuelle Herausforderungen
Grundlegende Strukturprobleme wurden durch die geschilderte Krise zum Teil verschärft, und das Land ist bis heute durch
erhebliche interne Ungleichgewichte geprägt. Regional besteht ein beträchtliches Gefälle zwischen dem relativ entwickelten und
industrialisierten Südosten (Anteil von über 70 Prozent sowohl an der industriellen Wertschöpfung als auch der industriellen
Beschäftigung) und dem unterentwickelten Nordosten, dem "Armenhaus" Brasiliens. Die ungleiche Entwicklung hat umfangreiche
Wanderungsbewegungen in den Südosten ausgelöst. Krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich spiegeln sich in der extrem
ungleichen Einkommensverteilung. 1989 verfügten die oberen 20 Prozent der Einkommensempfänger über 67,5 Prozent und die
ärmsten 20 Prozent über lediglich 2,1 Prozent des Gesamteinkommens. Bei der Gesundheitsversorgung, Ernährung - und damit
auch der Lebenserwartung -, Bildung und den Wohnverhältnissen bestehen ebenfalls krasse Unterschiede. Soziale Konflikte sind
besonders für die Großstädte zum Teil bedrohlh geworden.
Ein Kernproblem ist die äußerst ungleiche Landverteilung. 1989 verfügten etwa 1 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe über 44
Prozent des Ackerlandes, während 53 Prozent nur knapp 3 Prozent der Anbaufläche nutzen konnten. Einer kleinen Zahl auf
Viehzucht und Exportproduktion spezialisierter Großgrundbesitzer steht die Masse landloser Bauern gegenüber. Dies hat mehrfach
zu gewaltsamen Konflikten geführt. Im Frühjahr 1996 fanden landesweit Proteste der Landlosenbewegung statt. Die Zahl der durch
Agrarstrukturwandel bedingten, im Lande umherziehenden Migranten wurde zu Beginn der neunziger Jahre auf 12 Millionen
geschätzt. Eine durchgreifende Agrarreform steht bisher aus.
Zum Abbau der Konflikte, aber auch zur Entlastung von wachsendem Bevölkerungsdruck im Südosten wurden in den achtziger
Jahren großangelegte Siedlungsprojekte im Amazonasgebiet und im Zentralwesten durchgeführt. Daneben kam es zu
Spontansiedlungen entlang neuer Highways wie etwa der Transamazonica (durch Amazonien verlaufende rund 5600 Kilometer
lange Fernstraße in Brasilien). Schwere ökologische Schäden durch die vielfach unkontrollierte Vernichtung des Regenwaldes - bei
zweifelhaftem landwirtschaftlichen Nutzen (geringe Bodenqualität) - waren die Folge. Obwohl der Amazonaswald in der neuen
Verfassung von 1988 zum nationalen Erbe erklärt wurde, und trotz weltweiter Kritik schreitet seine Vernichtung fort, wenn auch mit
gedrosseltem Tempo (circa 25000 Quadratkilometer jährlich).
Die Bundesrepublik Deutschland trägt zur Zeit mit 300 Millionen DM circa zwei Drittel der Kosten eines Programmes der G7Staaten zum Schutz des Regenwaldes, dessen Vernichtung zugleich den Lebensraum der Indianer bedroht. Auch dieses Thema
findet weltweit Beachtung, und entsprechende Schutzmaßnahmen sind Teil des G7-Programms. Zwar erkennt die Verfassung von
1988 das Recht der Indianer auf Land und Selbstverwaltung an, doch bleibt die praktische Einlösung dieser Rechte schwierig.
Politisch war der Übergang zur Demokratie zu Beginn der neunziger Jahre von erheblichen Turbulenzen begleitet. Erst seit
Amtsantritt einer Mehrparteienregierung unter Führung des international angesehenen sozialdemokratischen Präsidenten Fernando
Henrique Cardoso im Januar 1995, hat die politische Stabilität in der aus 26 Bundesstaaten und einem Bundesdistrikt (Hauptstadt
Brasilia) bestehenden Republik etwas zugenommen. Die geschilderten Probleme des Landes bleiben jedoch eine große
Herausforderung für die junge Demokratie. Auch die zukünftige weltpolitische Rolle Brasiliens als potentielle Großmacht wird durch
den Status als Schwellenland beeinträchtigt. Als Regionalmacht spielt Brasilien dagegen bereits eine wichtige Rolle (zum Beispiel
seit 1995 im gemeinsamen Markt "Mercosur" mit Argentinien, Paraguay und Uruguay).
"Kleiner Tiger" Südkorea
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Südkorea, das noch im Jahre 1960 zu den ärmsten Ländern der Welt gehörte, dokumentierte mit der Antragstellung auf die
Aufnahme in den Kreis der OECD-Länder 1995 das Überschreiten der Schwelle vom Entwicklungsland (Schwellenland) zum
Industrieland. Auch die Entwicklungspolitik stuft dieses Land, das inzwischen als ernstzunehmender Konkurrent der westlichen
Industrieländer auf den Weltmärkten auftritt, nicht mehr als hilfsbedürftig ein. Deshalb hat Deutschland seine Zusagen im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit mit Südkorea bereits 1992 eingestellt.
Südkorea zählt neben Hongkong, Taiwan und Singapur zu den vier "kleinen Tigern", einer Gruppe von Ländern des ostasiatischen
Raums, die sich durch enorm prosperierende Volkswirtschaften auszeichnet. Im Falle Südkoreas etwa beläuft sich das
durchschnittliche Wirtschaftswachstum der letzten 33 Jahre auf rund 8 Prozent pro Jahr, so auch 1994 und 1995. Ein Verbleiben
auf diesem stabilen Wachstumspfad wird dem Land von internationalen Experten vorausgesagt, wobei es sowohl von
Strukturverbesserungen und Diversifizierungen innerhalb seiner Wirtschaft als auch von seinen nach wie vor niedrigen
Arbeitskosten im internationalen Wettbewerb profitiert.
Die Arbeitslosigkeit beträgt weniger als 2 Prozent, woraus inzwischen sogar schon ein Sogeffekt auf ausländische Arbeitskräfte aus
China, Malaysia und Indonesien entstand. Die 44,5 Millionen Südkoreaner bilden ansonsten ethnisch und kulturell eine recht
homogene Bevölkerung, was für die Entwicklungsgeschichte des Landes nicht unerheblich war. Mit einer Fläche von circa 99000
Quadratkilometern ist Südkorea nur geringfügig kleiner als das Staatsgebiet der ehemaligen DDR. Damit erreicht das Land eine
enorme Bevölkerungsdichte von 450 Einwohnern pro Quadratkilometer, wobei im Zuge der massiven Industrialisierung der
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Urbanisierungsgrad auf mittlerweile 73 Prozent angewachsen ist, was inzwischen zu strukturellen Problemen im Lande führt. So
lebt mit 10,7 Millionen Menschen rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung im Großraum Seoul.
Das BSP Südkoreas lag 1994 bei 378 Milliarden US-Dollar, was einem Pro-Kopf-Einkommen von 8494 US-Dollar entspricht, wobei
sich letzteres seit 1988 mehr als verdoppelt hat. In dieser Hinsicht hat das Land das Niveau Portugals oder Griechenlands bereits
deutlich hinter sich gelassen. Auch der für Südkorea so wichtige Außenhandel verdreifachte sich innerhalb von nur einer Dekade
(1980 bis 1990).
Nahm Südkorea mit diesen hervorragenden ökonomischen Daten auf der Weltbank-Rangskala des BSP pro Kopf schon 1993 den
11. Platz ein, so lag das Land auf der Skala des Human Development Index (HDI) um einige Positionen weiter zurück. Hier
schlagen sich die negativen Aspekte der "Export-um-jeden-Preis-Politik", die Südkorea spätestens seit 1961 betreibt, nieder. Diese
ging nämlich mit zum Teil extremer innenpolitischer Unterdrückung und der Vernachlässigung des Gesundheitssystems einher.
Japanische Kolonie
Ein knapper Blick in die jüngere Geschichte des Landes erscheint dabei an dieser Stelle notwendig, um die rasante Entwicklung der
vergangenen Jahrzehnte und die heutige Situation Südkoreas wirklich verstehen zu können: Die Jahrhunderte währende
weitgehende Abhängigkeit des ehemaligen Königreiches Korea von China endete mit dem Sieg der Japaner im chinesischjapanischen Krieg von 1894/95. Die Japaner unterwarfen das Land mit dem Ziel, es zum wichtigsten Reisanbaugebiet für die
Kolonialmacht auszubauen. In dieser Absicht zerschlugen sie die zu dieser Zeit noch immer in Korea herrschende agrarisch-feudale
Gesellschaftsstruktur, teilten den Landbesitz des Adels im Rahmen einer Landreform auf und schufen so eine völlig neue Sozialund Gesellschaftsstruktur, die gemeinsam mit dem zugleich beginnenden Ausbau der Infra- und Kommunikationsstruktur zur
unabdingbaren Basis für den späteren wirtschaftlichen Aufstieg Koreas werden sollte.
Dieser setzte verstärkt im Zuge der Kriegsproduktion ab 1939 ein, als besonders die chemische Industrie wie auch die
Schwerindustrie einen enormen Wachstumsschub erhielten, so daß das Land bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bereits den
Weg vom Agrarland bis an die Schwelle zu einem Industrieland zurückgelegt hatte. Trug der landwirtschaftliche Sektor etwa 1925
noch 75 Prozent zur gesamtwirtschaftlichen Produktion bei, so waren es im Jahre 1939 lediglich noch 40 Prozent, was den
enormen Strukturwandel Koreas in dieser Zeit dokumentiert.
Die Folgen des Zweiten Weltkriegs waren für Korea katastrophal: Mit dem Zusammenbruch des japanischen Kolonialreiches verlor
das Land seine japanisch dominierte wirtschaftliche und wissenschaftliche Führungselite und zugleich den wichtigsten Kapitalgeber
und Absatzmarkt. Die im Anschluß an die Besetzung Koreas erfolgte Teilung des Landes in die kommunistisch ausgerichtete
Volksrepublik Korea im Norden und die westlich orientierte Republik Korea im Süden stellte einen weiteren schweren Schock für
das Land dar. Die Vorteile einer gewachsenen, sich binnenwirtschaftlich ergänzenden Wirtschaftsstruktur (Metall-, Chemie- und
Energieproduktion im Norden, Leicht- und Textilindustrie im Süden) konnten nicht länger genutzt werden. In der Folge brach die
südkoreanische Wirtschaft ein, der Kollaps drohte.
Noch vor einer Verarbeitung dieser dramatischen Ereignisse wurde das Land in der Zeit zwischen 1950 und 1953 zum Schauplatz
des Koreakrieges, der zunächst als Bürgerkrieg begann und bald danach mit dem Eingreifen der USA zugunsten Südkoreas
internationale Dimensionen annahm. Wegen seiner strategischen Bedeutung flossen schon bis 1960 reichlich Wiederaufbau- und
Wirtschaftshilfegelder ins Land und zeitigten alsbald ein deutliches Wiedererstarken der Wirtschaft. Südkorea richtete seine Politik
im Gegenzug ganz auf die USA aus.
Exportorientierung
Das Ausbleiben demokratischer Reformen sowie die um sich greifende Korruption verstimmten nicht nur mehrfach die USA, die mit
der Aussetzung von Zahlungen drohten und so Einfluß auf die Innenpolitik Südkoreas nahmen, sondern führten 1961 auch zum
Putsch des Militärs. Die neuen Machthaber in Seoul richteten umgehend alle gesellschaftlichen Kräfte auf den wirtschaftlichen
Ausbau und eine strikte Exportorientierung aus. Durch wirtschaftliche Erfolge sollte der vermeintlichen Attraktion der
kommunistischen Ideologie dauerhaft begegnet, der Einfluß der USA zurückgedrängt und die Armut und wirtschaftliche Not der
Bevölkerung beseitigt werden. Zu diesem Zweck wurden politische und gesellschaftliche Freiheiten radikal eingeschränkt und mit
staatlich verordnetem Lohn- und Sozialdumping der Faktor Arbeit im internationalen Vergleich billig gehalten. Auf diese Weise
kompensierte Südkorea den Mangel an modernen Produktionsmitteln sowie das noch weitgehende Fehlen einer leistungsstarken
unternehmerischen Elite und legte s Fundament zu einer beispiellos dynamischen Entwicklung seiner Volkswirtschaft.
Bis 1969 stützten vor allem die koreanisch-japanische Annäherung und das intensive Engagement Südkoreas als Partner der USA
im Vietnamkrieg den Wirtschaftsaufschwung, der zeitweise boomartige Züge annahm, ohne daß die Regierung auf eine recht rigide
Führung der Wirtschaft, die bis in einzelne Unternehmensentscheidungen hineinreichte, und auf die Beibehaltung restriktiver
Gewerkschaftsgesetze verzichtete. Als zu Beginn der siebziger Jahre im Zuge der Entspannungspolitik das Interesse Washingtons
an Südkorea erlahmte, verhängte der seit 1963 wieder zivil gewählte Präsident das Kriegsrecht über das Land, das bis zu
demokratischen Reformen 1987 in Kraft blieb. Unter großen Opfern der Bevölkerung blieb Südkorea angesichts von Streikverboten
und staatlicher Wirtschaftsplanung und -lenkung Billiglohnland und konnte seine Wettbewerbsposition auf den Weltmärkten
erfolgreich ausbauen. In dieser Zeit wurden die traditionellen Exportprodukte Textilien, Sperrholz, Perücken, Schuhe und Tabak
durch Produkte der modernen Stl-, Elektro-, Schiffbau- und Automobilindustrie ersetzt. Auch die eigene Forschung und
Produktentwicklung rückte verstärkt in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik.
Ende der siebziger Jahre aber wurden auch Schwächen der staatlich angeleiteten Wirtschaft sichtbar. Sie kulminierten in einem für
Südkorea einmaligen Wirtschaftsrückgang von 4,8 Prozent im Jahre 1980 und erzwangen zunächst eine Liberalisierung der
Wirtschaft. Schließlich erzwangen sie unter wachsenden Protesten 1987 eine grundlegende Verfassungsreform und damit auch
eine Liberalisierung der Gesellschaft.
Heute stellt sich Südkorea offiziell als ein demokratischer Verfassungsstaat dar, in dem der 1993 gewählte Präsident Kim YoungSam jedoch noch autoritär regiert. Das Land befindet sich auf Grundlage zahlreicher noch immer bestehender staatlicher
Beteiligungen in der Wirtschaft auf dem Weg zu einem modernen Wohlfahrts- und Interventionsstaat, in dem die Gewerkschaften
inzwischen erhebliche Lohnerhöhungen durchsetzen konnten und so allmählich zur Entwicklung eines kaufkräftigen Binnenmarktes
und einer Wohlstandssteigerung der Bevölkerung beitrugen.
Größere Befürchtungen hegt Südkorea hinsichtlich eines totalen Zusammenbruchs der maroden Wirtschaft Nordkoreas. Neben aus
dieser Gefahr schon heute erwachsenden politischen Spannungen kämen im Falle einer engeren politischen Verbindung beider
Teile Koreas enorme Belastungen auf die südkoreanische Wirtschaft zu, die aufgrund des ungünstigeren
Bevölkerungsverhältnisses (Südkorea zu Nordkorea = 1,9:1) die Lasten der Vereinigung der beiden Teile Deutschlands bei weitem
übertreffen dürften.
hat. Auf den Versuch der Entwicklungsländer, ungeachtet ihrer vielfältigen Unterschiede - zum Beispiel Flächen- und
Bevölkerungsgröße, Rohstoffreichtum und geographische Lage, Religions- und Sprachenvielfalt, Staatstradition, politisches System
und außenpolitische Orientierung, Entwicklungsstand - eine Organisation zur Vertretung ihrer gemeinsamen Interessen
aufzubauen, soll bei der Analyse der entwicklungspolitischen Diskussions- und Strategieveränderungen eingegangen werden
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