3. kammerabend S aison 2012 20 13 d i e n s tag 13.11.12 2 0 U h R I S e m p er o p e r D r e sd e n 3. Kammerabend Cage + Mitwirkende Hartmut Dorschner (*19 7 0) Christian Langer, Dominic Oelze und Rafael Molina García Schlagzeug »Jiddu« für zwei Schlagzeuger, zwei Tänzer und interaktive Projektion (2012) (Uraufführung) Johanna Zmeck Klavier Johanna Roggan und Maik Hildebrandt Tanz Gala El Hadidi Rezitation Hartmut Dorschner Komponist und visuelle Live-Performance Matthias Härtig Visuelle Live-Performance Michael Lauer Dichtung Christian Langer, Dominic Oelze, Johanna Roggan, Maik Hildebrandt, Hartmut Dorschner und Matthias Härtig P a us e John Cage »And the Earth Shall Bear Again« für präpariertes Klavier (1942), Bearbeitung für Schlagzeug-Duo Christian Langer und Dominic Oelze Zum 100. Geburtstag von John Cage Erwin Schulhoff (18 94 -194 2) »In Futurum« (1919) (visualisiert) Christian Langer, Dominic Oelze, Hartmut Dorschner und Matthias Härtig John Cage (1912 -19 9 2) »The Perilous Night« in sechs Sätzen für präpariertes Klavier (1943/1944), Sätze Nr. 2, 4 und 6 bearbeitet für Schlagzeug-Duo Johanna Zmeck, Christian Langer und Dominic Oelze »Tossed as it is Untroubled« für präpariertes Klavier (1943), Bearbeitung für Marimbaphon Christian Langer Nebojša Jovan Živković (*1962) »Generally Spoken it is Nothing but Rhythm« für Schlagzeug-Solo (1990/1991) Dominic Oelze »The Unavailable Memory of« für präpariertes Klavier (1944) Johanna Zmeck »Trio« für drei Schlagzeuger (1936) 1. Allegro 2. March 3. Waltz Christian Langer, Dominic Oelze und Rafael Molina García Improvisationen über drei Gedichte (Übersetzung: Gala El Hadidi, Dichtung bzw. Nachdichtung: Michael Lauer) Gala El Hadidi, Christian Langer und Dominic Oelze John Cage »Credo in US« für drei Schlagzeuger und Klavier (1942) Johanna Zmeck, Christian Langer, Dominic Oelze und Rafael Molina García zum 100. Geburtstag von John Cage John Cage * 5 . S e p t e m b e r 1912 i n Lo s A n g e l e s † 12 . Augus t 19 9 2 i n N e w Yo r k »Die meisten Komponisten hören die Musik, bevor sie sie schreiben«, erklärte John Cage, »ich schreibe sie, um sie zu hören.« Der gebürtige Kalifornier, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, war eine faszinierende, charismatische Persönlichkeit, vor allem aber einer der bedeutendsten, einflussreichsten Komponisten der neueren Musikgeschichte. Ein Meister des musikalischen Experiments, ein Klangpionier, Musikforscher, Philosoph, Poet, Maler – und ein ausgewiesener Pilzexperte. Sein Werk verrät einen überbordenden Erfindungsreichtum und eine schier unerschöpfliche Lust am Entdecken. »Die ganze Welt mit allem, was man sehen und hören kann, ist eine endlose Freude«, fasste er das Credo seines Lebens und Schaffens in Worte. Das Interesse von Cage richtete sich auf jegliche Art von klanglichen Ereignissen zwischen Alltag und Kunst, er zielte auf eine Musik, die »weder intellektuell, noch emotional« ist, »eher eine Art von Befreiung von solchen Gefühlen, es ist die Freude an Schwingungen, die Freude am Klang«, betonte er. Inspiriert durch die künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, durch Künstler wie den Maler Robert Rauschenberg oder den Tänzer und Choreografen Merce Cunningham, komponierte er Musik für die Bühne und den Tanz, für das Konzertpodium, für Rundfunk, Film und Fernsehen, und nutzte dafür eine kaum zu überschauende Vielfalt an Besetzungen, elektronische Medien eingeschlossen. Er beteiligte Zufallsverfahren am Kompositionsprozess und stützte sich auf das chinesische »I Ching«, das »Buch der Wandlungen«, er kam mit außereuropäischen Zeit- und Klangvorstellungen in Berührung und erkundete den Lärm ebenso wie die Stille. »Klänge«, so Cage, » sind nur Schaumblasen auf der Oberfläche der Stille. Sie platzen und sind nicht mehr.« In seinen Kompositionen befreite er sich und seine Interpreten von überlieferten musikalischen Zwängen und Gesetzmäßigkeiten und bekannte sich zu seiner Idee einer »anarchistischen Harmonie: einer Harmonie ohne Regierung«. Mit der schillernden Figur John Cage rückt, nach Claude Debussy im 2. Kammerabend, im heutigen Konzert ein weiterer großer Komponisten-Jubilar in den Fokus der Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Das Programm konzipiert hat Christian Langer, Stellvertretender Solopauker und Schlagzeuger der Staatskapelle, gemeinsam mit dem Schlagzeuger Dominic Oelze, beide Gründer der »Perkussiven Spielvereinigung«. Lieber Herr Langer, welche Idee steht hinter dem heutigen Programm? Abgesehen von dem runden Geburtstag: John Cage ist einer meiner Lieblingskomponisten. Er hat tolle Stücke für Schlagzeug geschrieben, aber auch für präpariertes Klavier, und seit Jahren habe ich die Idee mit mir herumgetragen, letztgenannte Werke einmal für Schlagzeug zu bearbeiten. In der Zeit, als Cage mit dem Tänzer Merce Cunningham durch die USA reiste, hat er sehr schnell gemerkt, dass es einfacher ist, im Tourbus Radiergummies, Schrauben und Filzstücke zu transportieren als ein riesiges Schlagzeug – die mit diesen Utensilien präparierten Klaviere eröffnen eine Klangwelt, die ähnlich vielfältig ist wie die des Schlagzeugs. Mit unseren Bearbeitungen versuchen wir, die klanglichen Schnittmengen zwischen präpariertem Klavier und Schlagzeug auszuleuchten. Gleich im ersten Cage-Werk des Abends, »The Perilous Night«, spüren wir der Frage nach: Wie klingt ein präpariertes Klavier im Vergleich zum Schlagzeug? Die Komposition ist ursprünglich für präpariertes Klavier geschrieben, einzelne Sätze daraus haben wir für Schlagzeug bearbeitet. Daneben wird im Konzert natürlich auch ein unbearbeitetes Werk für präpariertes Klavier zu hören sein, neben originalen Stücken für Schlagzeug. Was fasziniert Sie am meisten an John Cage und seiner Musik? John Cage war ein unglaublich humorvoller Mensch. In seinem »The Unavailable Memory of« beispielsweise hat die Klavierstimme nur fünf verschiedene Töne – eine sehr übersichtliche Angelegenheit, die nicht zuletzt auch seinen subtilen Sinn für Humor zeigt. Jeder erwartet normalerweise bei einem Klavierstück, dass die Möglichkeiten des Instruments ausgeschöpft werden. Durch die Beschränkung auf nur wenige Töne ähnelt das Stück eher einer Paukenetüde. Cage macht in seiner Musik gerade das, was man nicht erwartet. In gewisser Hinsicht wird sein Komponieren dadurch sogar wieder berechenbar: Man weiß bei Cage, dass sicherlich nicht das passiert, was man erwartet – was dann passiert, kann man aber eben auch nicht voraussehen. Es gibt von ihm diesen herrlichen Satz: »Ich verstehe nicht, warum Leute Angst vor neuen Ideen haben. Ich habe Angst vor den alten.« Genau diese Sichtweise war Anlass genug für uns, frei mit seinen Werken umzugehen und sie zu bearbeiten. Und Sie stellen ihm andere Komponisten wie Erwin Schulhoff gegenüber. Bei einem Cage-Jubiläumsabend erwartet man sicher sein berühmtes »4’33’’«, das vermutlich das meistgespielte Cage-Stück in diesem Jahr ist. Wir haben stattdessen »In Futurum« von Erwin Schulhoff in das Programm aufgenommen. Das Stück stammt aus seinen »Fünf Pittoresken« und besteht – mehr als 30 Jahre vor Cages »4’33’’« – nur aus Pausen. Damit das Publikum nachempfinden kann, welche Pausen wir »spielen«, wird es eine optische Umsetzung des Werkes geben, so dass die zeitliche Struktur des Stückes einmal nicht akustisch, sondern visuell nachvollziehbar wird. Auch einem anderen naheliegenden Feld von Cages Komponieren sind wir ausgewichen: Er hat ja viele Werke für den Tanz geschrieben. An ihrer Stelle wird das Uraufführungswerk von Hartmut Dorschner Tänzer einbeziehen. Seiner neuen Komposition »Jiddu«, die eigens für den heutigen Abend entstand, liegt eine Rede des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti (1895 – 1986) zugrunde. Fasziniert von den menschlichen und spirituellen Dimensionen, aber auch von der Klarheit und Präzision in den Äußerungen Krishnamurtis, hat Dorschner diese Rede musikalisch analysiert und sich von deren Sprach-Klang-Rhythmus zu seinem Werk inspirieren lassen. Die Musik und die Bewegungen der Tänzer fließen in der Aufführung ein in ein mediales, visuelles Kunstwerk – ein Gesamtkunstwerk aus Musik, Tanz und Bild. In dem Stück von Nebojša Jovan Zivković wiederum geht es in erster Linie um die rhythmisch-virtuose Verschmelzung der verschiedensten Schlaginstrumente zu einem Klang. Sehen Sie Verbindendes zwischen John Cage und der Tradition, wie sie durch Haydn, Beethoven oder Brahms repräsentiert wird? Ich würde es so formulieren: Der Bezug zur Tradition wird bei Cage insbesondere darin sichtbar, dass er bewusst anders vorgeht, es in seiner Musik bewusst anders macht. Von ihm kann man lernen, das Etablierte kompromisslos in Frage zu stellen und konsequent den eigenen Weg zu gehen. Seine Kompositionen sind ja gerade deshalb als außergewöhnlich wahrnehmbar, weil es diese »Folie« gibt, vor der sich seine Musik abhebt. Die Tradition ist, so gesehen, die Voraussetzung für Cage. Ein wichtiger Begriff von Cage ist »Freiheit«. Wie groß ist die Freiheit für Sie als Musiker in den Werken dieses Abends? Die ausgewählten Werke von Cage sind tatsächlich alle auskomponiert, sieht man einmal vom Live-Radio in »Credo of US« ab. Aber wir haben ja noch die Improvisationen über drei Gedichte. Genaueres über die Musik kann ich natürlich nicht vorhersagen. Ausgehend von den Sprachbildern und den dazugehörigen Assoziationen werden wir versuchen, eine akustische Umsetzung der Dichtungen von Michael Lauer zu erreichen. Nicht nur ihm, sondern allen »unsichtbaren« Mithelfern für diesen Abend möchte ich an dieser Stelle noch einmal herzlich danken, angefangen von den Mitarbeitern unseres Notenarchivs bis zu den technischen Gewerken. Es ist immer wieder toll zu erleben, mit welchem Enthusiasmus solche Projekte an diesem Haus umgesetzt werden können. Einen großen Dank möchte ich auch an das Team der Trans-Media-Akademie Hellerau e.V. richten. Lieber Herr Langer, ich danke Ihnen für das Gespräch. Die F r ag en stellte Tors ten B la ich. Mitwirkende Christian Langer Sch la g ze ug ist seit 1999 Stellvertretender Solopauker und Schlagzeuger der Sächsischen Staatskapelle, zuvor war er Solopauker der Robert-Schumann-Philharmonie in Chemnitz. Er verfolgt diverse Kammermusikprojekte und ist Mitbegründer der »Perkussiven Spielvereinigung«, einer Formation in variabler Besetzung, für die es ein zentrales Anliegen ist, andere Kunstgattungen und Medien in die musikalische Arbeit einzubeziehen. Dominic Oelze S ch la g ze ug absolvierte sein Studium in Leipzig und am Salzburger Mozarteum und wurde 1998 von Daniel Barenboim in die Staatskapelle Berlin als Soloschlagzeuger und Pauker engagiert. Neben Kammerkonzerten u.a. bei den Salzburger Festspielen, in der Carnegie Hall und in der Staatsoper Berlin nimmt er seit 2005 Lehraufträge an den Musikhochschulen in Dresden und Rostock wahr und ist seit 2009 Mentor im West-Eastern Divan Orchester. Rafael Molina García Sch la g ze ug stammt aus dem spanischen Almería und wurde 2007 in die Akademie für Orchesterstudien »Barenboim-Said« in Sevilla aufgenommen. 2008 begann er sein Studium in Rostock, 2010 wechselte er an die Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« in Dresden, an der Christian Langer und Dominic Oelze zu seinen Lehrern gehören. Seit 2011 ist er als Substitut der Sächsischen Staatskapelle Dresden tätig. Johanna Zmeck klav i e r studierte in Weimar und Dresden. Die mehrfache Preisträgerin des Bundeswettbewerbs »Jugend musiziert« wurde mit Stipendien ausgezeichnet und konzertiert regelmäßig in verschiedenen Kammermusikbesetzungen im In- und Ausland, u.a. gastierte sie beim Beiteddin-Festival im Libanon oder beim Mahmovie-Festival in Dubai. Sie ist Initiatorin und Organisatorin des 2011 gegründeten Finsterwalder Kammermusik-Festivals. Johanna Roggan Tan z ist freiberufliche Tänzerin und Choreografin. Sie wirkt seit 2010 als freie Mitarbeiterin der Trans-Media-Akademie Hellerau e.V. und gründete im selben Jahr das Künstlerkollektiv »mind_the_gut«. Neben ihrer Tätigkeit im »TanzNetzDresden«, eigenen Tanzproduktionen, Workshops im In- und Ausland und Unterricht für professionelle Tänzer und Laien arbeitet die Dresdnerin für wechselnde Choreografen. Maik Hildebrandt Tan z wurde an der Palucca Schule Dresden ausgebildet und 1988 als Gruppentänzer in das Semperoper Ballett verpflichtet. 1992 folgte seine Ernennung zum Solisten. In seinem 20 Jahre währenden Engagement an der Semperoper war er in zahlreichen Hauptrollen zu erleben. Seit 2009 tanzt er als ständiger Gast an der Semperoper, am Gärtnerplatztheater in München, an den Bühnen der Stadt Gera und am Theater Augsburg. Gala El Hadidi Re zi tat i o n wurde bereits mit 18 Jahren Ensemblemitglied der Oper Kairo und studierte Philosophie, Englisch, Literatur- und Musikwissenschaft. 2010 wurde sie in das Junge Ensemble der Semperoper aufgenommen, seit dieser Saison gehört sie zum festen Ensemble des Hauses. Sie debütierte kürzlich als Rosina in Rossinis »Barbiere«, noch in diesem Jahr folgen Auftritte in der weiblichen Titelpartie von Domenico Sarros »Dorina e Nibbio«. Hartmut Dorschner KOMPONIST UND VISUELLE LIVE-PERFORMANCE arbeitet mit Künstlern aller Genres zusammen und entwickelt mit ihnen neue Projekte am Schnittpunkt zwischen Improvisation, Komposition, Performance und Interaktion der Künste. Er schrieb Werke u.a. für das Bauhaus Dessau, die Kunstsammlungen Chemnitz und die Stadt Dresden. 2006 wurde seine Komposition »ohne Gnade« zum Tag der Deutschen Einheit im Deutschen Generalkonsulat in Washington, D.C. uraufgeführt. Matthias Härtig VI SU ELLE LIVE - PE R F O R MANCE wurde in Pirna geboren und studierte an der Hochschule Mittweida. Der DiplomIngenieur für Medientechnik programmiert interaktive Softwareumgebungen im Bildund Tonbereich für Tänzer, Choreografen, Musikveranstaltungen oder öffentliche Installationen. Er ist Gründungsmitglied der Trans-Media-Akademie Hellerau e.V. und Initiator des DJ- und Künstlerkollektivs »DS-X.org«. Michael Lauer dich t u n g ist freischaffender Musiker, Komponist und Dichter. Seit 1993 lehrt er als Dozent für Improvisation an der Leipziger Musikhochschule. Als Gitarrist wirkte er an Produktionen und in Konzerten u.a. der Sächsischen Staatskapelle, des Gewandhausorchesters Leipzig sowie des MDR Sinfonieorchesters mit, unter Dirigenten wie Kurt Masur, Fabio Luisi und Riccardo Chailly. 2001 erhielt er den Europäischen Kulturpreis. VORSCHAU m i t t wo c h 9.1.13 2 0 U h R S e m p er o p er D r e sd e n 4. Kammerabend Myung-Whun Chung Klavier Robert Langbein Horn Arabella Quartett Matthias Wollong Violine Jörg Faßmann Violine Sebastian Herberg Viola Isang Enders Violoncello Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden Gegründet 1854 als TonkünstlerVerein zu Dresden Verantwortlich: Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein I m p r e ssu m Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2012|2013 Herausgegeben von der Sächsischen Staatsoper Dresden © November 2012 R e da k t i o n Robert Schumann Adagio und Allegro für Horn und Klavier op. 70 Hans Werner Henze Streichquartett Nr. 3 Johannes Brahms Klavierquintett f-Moll op. 34 Dr. Torsten Blaich Text Das Interview mit Christian Langer ist ein Originalbeitrag für dieses Heft. G e s ta lt u n g u n d s at z schech.net Strategie. Kommunikation. Design. D ru c k Union Druckerei Dresden GmbH Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. w w w. s ta at sk a p e l l e - d r e s d e n . d e