Stadt St.Gallen Botanischer Garten Mitteilungen Dezember 2016 / 65. Jahrgang Nr. 12 _______________________________________________________________________________________________________________________________________ Weihnachtskaktus: ein Kaktus aus dem Regenwald Eine Umfrage unter Laien führte mit Sicherheit zum Schluss, dass sich die meisten unter dem Begriff „Kakteen“ dornige Wüstenpflanzen von säulenartiger Gestalt vorstellen. Wie der Weihnachtskaktus (Schlumbergera) und ein hoher Prozentsatz weiterer Kakteen-Arten zeigen, trifft dieses Klischee lange nicht für alle Familienmitglieder zu. Die sechs bekannten Schlumbergera-Arten leben im Osten Brasiliens in feuchten Bergwäldern zwischen 900 und 2800 Metern. Dort gedeihen sie als Epiphyten in Baumkronen oder als Lithophyten an nassen Felsen. Sie sind reich verzweigt und dornlos. Bei genauem Hinsehen sind an den Rändern der Sprossglieder jedoch Borsten zu erkennen. Wie die deutsche Bezeichnung zeigt, ist Schlumbergera klar eine weihnachtliche Pflanze und wird bei entsprechenden Führungen im Botanischen Garten St.Gallen auch als solche vorgestellt. Dies nicht etwa, weil sie in der biblischen Weihnachtsgeschichte erwähnt würde. Als neuweltliche Pflanze war sie den Autoren der Bibel gänzlich unbekannt. Der Grund liegt in der Blütezeit, die jeweils Ende Oktober beginnt und bis in die Weihnachtszeit reicht. Es sind aber nicht die einzelnen Blüten, die so lange offen bleiben, sondern die zahlreichen Blüten einer Pflanze insgesamt, die sich gestaffelt öffnen. Die Blütezeit im Spätherbst und Winter kommt daher, dass dann die Tageslängen bei uns jenen in den Tropen entsprechen. Nachvollziehbar ist auch die abweichende Gestalt des Weihnachtskaktus. In feuchten Wäldern, wo Niederschläge regelmässig und häufig sind, erübrigen sich Wasserspeicher. Auch auf Dornen kann er verzichten, da das saftige Gewebe weder vor der sengenden Sonne noch vor durstigen Tieren besonders geschützt werden muss. So kommt es, dass die Sprossachsen blattartig gestaltet sind. Blätter sind sie definitiv nicht. Mit ein Grund dafür sind die Blüten an ihrer Spitze. An Blättern erscheinen niemals Blüten. Reduzierte Blätter sind vielmehr die Borsten am Rand der Flachsprosse. Blätter finden wir auch an den Blüten: unscheinbare Kelchblätter und prächtig rosa oder rot gefärbte Kronblätter, die eine Röhre mit zahlreichen weissen Staubblättern und einem purpurnen Fruchtblatt im Innern bilden. Die Kronröhre ist wie das Maul eines Haifisches abgeschrägt. Damit bietet sie möglichen Bestäubern keinen Sitzplatz, ist jedoch ideal für Kolibris, die den reichlich vorhandenen Nektar im Schwirrflug ausbeuten. Die Staubbeutel sind zuoberst so abgewinkelt, dass sie dabei den Kopf der Vögel mit Pollen bedecken, den sie bei weiteren Blütenbesuchen an der herausragenden Narbe des Fruchtblattes abstreifen. Da Bestäubung durch Vögel in Europa praktisch nicht existiert, wird diese Art der Pollenübertragung unterschätzt. Weltweit sind über 2000 Arten von Blüten besuchenden Vögeln bekannt und in mehr als einem Drittel aller Pflanzenfamilien gibt es Vogelblumen. Zuchtformen von Weihnachtskakteen kommen bei uns durch Grossverteiler alljährlich in Massen auf den Markt. Dies lässt vergessen, dass die Wild-Arten in ihrer Heimat alle stark gefährdet sind. www.stadt.sg.ch Gartenführungen für Schulen, Gruppen und Vereine Der rege Betrieb zwischen dem vergangenen Frühling und Herbst ist für das Gartenpersonal kein Grund, nun in den Winterschlaf zu fallen. Es ist auch jetzt gerne bereit, Gruppen bei ihren Entdeckungsreisen durch den Garten auf die fantastischen Fähigkeiten der Pflanzen aufmerksam zu machen. Dies bietet auch in der Winterzeit keine Schwierigkeiten, zeigen doch selbst Freilandpflanzen mitten im Winter viel Sehenswertes – selbst Blüten. Und im Tropenhaus herrscht ohnehin während des ganzen Jahres Sommer. Hier einige aktuelle Führungsthemen: Einheimische Gehölze im Winterzustand: Die Führung zeigt nicht nur Merkmale verschiedener Arten. Sie gibt auch Hinweise auf die Bedeutung der Bäume und Sträucher im Gefüge der Natur. abgeschaut & nachgebaut – Natur beflügelt Technik: Die Führung stellt Pflanzen vor, die verschiedenste Schwimmtechniken, Klettverschlüsse, Wellblech, Pfahlbauten und vieles mehr schon erfunden hatten, bevor es Menschen gab. Die Pflanzen - unsere Lebensgrundlage: Fast alles, was wir zum Leben brauchen, verdanken wir den Pflanzen. Ziel der Führung ist es, die Bedeutung der Pflanzen für unser Leben zu erkennen und damit die Wertschätzung der Pflanzenwelt gegenüber zu heben. Weihnachtliche Pflanzen: Jedes Fest hat seine besonderen Pflanzen. Auch die Zeit zwischen Samichlaus und dem Dreikönigstag. Diese Arten sind Thema der Führung. Anmeldungen bitte an den Botanischen Garten Tel. 071 224 45 14, E-Mail: [email protected] oder www.botanischergarten.stadt.sg.ch. Auf der Homepage gibt es auch weitere Informationen zu den Führungen. Faszination Winterknospen Vortrag von Ursula Tinner am Do, 12. Januar 2017 um 19.30 Uhr im Vortragsraum des Botanischen Gartens Für einmal soll an dieser Stelle auf einen Vortrag des Botanischen Zirkels, die wie immer öffentlich zugänglich sind, speziell hingewiesen werden. Der Grund liegt darin, weil diese Veranstaltung im direkten Zusammenhang mit der gegenwärtigen Ausstellung „Einheimische Gehölze im Winterzustand“ steht. So schlicht die Ausstellung mit der ergänzenden Publikation über 68 einheimische Bäume und Sträucher auch daher kommt, als so spektakulär erweisen sich die Knospen bei genauerer Betrachtung. Knospen sind gestauchte Sprosse, die das Überleben und Wachstum eines Individuums sichern. Sie enthalten alles, was in der folgenden Vegetationsperiode benötigt wird: Sprossachse, Blätter, Blüten und sogar die Knospenanlagen für das übernächste Jahr. Vor Kälte und Trockenheit sind sie meistens durch arttypische Knospenschuppen geschützt. Die Narben abgefallener Knospenschuppen früherer Jahre sind an den Zweigen ebenso sichtbar wie die ehemaligen Ansatzstellen der Laubblätter. Öffentliche Vorträge im Botanischen Garten Sonntag, 8. Januar 2017 um 10.15 und 15.15 Uhr Walter Dyttrich: Frühblüher am Fusse der Alpen Die Pflanzen haben verschiedene Strategien entwickelt, um im Frühling möglichst rasch und mit möglichst wenig Konkurrenz zu blühen: Arten mit Speicherorganen verfügen über frühzeitig einsetzbare Nährstoffe, sie blühen im Wald vor dem Blattaustrieb der Bäume, sie bereiten sich mit wintergrünen Teilen auf eine rasche Assimilation vor, etc. Walter Dyttrich zeigt uns im ersten Teil seines Vortrags Standorte in der Schweiz - vor allem im Wallis und Südtessin - wo der Frühling oft schon im Februar und März beginnt. Im zweiten Teil geht es ins Hinterland von Nizza. Neben weiter verbreiteten mediterranen Arten, die dort in die Täler und Plateaus der Seealpen vordringen, stellt er auch Endemiten wie die Nizza-Knotenblume (Acis nicaeensis) und den Verschiedenfarbigen Krokus (Crocus versicolor) vor.