Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit zwischen

Werbung
ZSR 53 (2007), Heft 3, S. 223-246
© Lucius & Lucius, Stuttgart
Andreas Langer
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit zwischen
Verwaltungsreform und Professionalisierung
Wie wirken sich politisch initiierte Veränderungsprozesse bzw. Reformen auf Professionalität und
professionelles Handeln aus? Vor dem Hintergrund einer qualitativ empirischen Studie zeichnet sich
eine Pluralisierung und gleichzeitige Schließung in der Verhältnisbestimmung zwischen öffentlichen und
freien Trägern der Jugendhilfe ab. Im Rahmen dieser Dienstleistungsstrukturen gewinnt das professionelle Dienstleistungsmanagement an Bedeutung. Die konkrete Fallbearbeitung ist dagegen durch
Paradoxien bestimmt, die die Effektivität, Effizienz und Qualität der Dienstleistungen gefährden.
1.
Problemstellung
Der Schlüssel zu Effektivität und Effizienz durch Reformen in der öffentlichen Verwaltung ist im Personalwesen zu finden. Diese These vertreten mit Jörg Bogumil und
Frieder Naschold erstaunlicherweise zwei Politikwissenschaftler und eben keine Professionstheoretiker, bei denen eine solche Behauptung wenig überraschend wäre. Die
Erkenntnis, Personal im sozialen Dienstleistungssektor „weniger als Kostenfaktor,
sondern vielmehr als strategische Ressource anzusehen und einzusetzen“ (Bogumil/Naschold 2000: 98) und damit „die zentrale Ressource für die Steigerung von
Effizienz und Qualität“ (Bogumil/Naschold 2000: 94) in Reformprozessen zu betrachten, stellt einen wesentlichen Aspekt dar, vor dessen Hintergrund die zentrale
Problemstellung in diesem Artikel bearbeitet wird: Wie wirken sich politisch initiierte
Veränderungsprozesse bzw. ökonomisch orientierte Reformen auf professionelles Handeln und
Management in Sozialen Diensten aus?
Damit ist die empirisch zu beantwortende Frage nach den Auswirkungen lokaler
Sozialpolitik gestellt, die sich an der Kinder- und Jugendhilfe sehr gut nachvollziehen
lässt. Einerseits stellen die Einrichtungen und Dienste für Kinder und Jugendliche in
der lokalen Trägerlandschaft und die Mesoebene der darauf bezogenen Vermittlungsund Koordinationsstrukturen den Kern lokaler Sozialpolitik dar: Sie gelten „als erster
Bereich ‚moderner‘ sozialer Dienste“, die „eine institutionell eigenständige Form erhielten“ und „in eigenständigen institutionellen Komplexen reguliert“ (Bahle 2007: 287)
werden. Andererseits eignet sich die Kinder- und Jugendhilfe nach wie vor, um das
Verhältnis von freier und öffentlicher Wohlfahrt zu analysieren. Denn obwohl soziale
Leistungen und Dienste „aus dem Kontext des Armen- und Fürsorgewesens herausgelöst“ (Bahle 2007: 287) wurden, ist durch politisch initiierte Reformen das – seit
vielen Jahren unveränderte – Verhältnis von freier Wohlfahrt und öffentlichstaatlichen Organen in Bewegung gekommen. Die größte Zahl der kommunalen
Verwaltungen ist seit den 1990er Jahren im Zuge von Verwaltungsreformen – sei es
durch die Jugendhilfereform, das Neue Steuerungsmodell oder die Wirkungs- und
Sozialraumorientierung – dazu übergegangen, die zu verantwortenden Dienstleistun-
224
Andreas Langer
gen in der Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr selbst zu erbringen, sondern die Dienstleistungserstellung auf freie Träger der Wohlfahrtspflege zu übertragen. Diese durch
Arbeitsteilung und Kooperation der organisationalen Akteure etablierte Trägerkonstellation soll im Weiteren unter dem Begriff Dienstleistungsstruktur gefasst werden.
Was die Modernisierung in Jugendämtern betrifft, so lag der Fokus der Forschung bislang zum einen auf der binnenorganisatorischen Umsetzung der Reformen
(vgl. z.B. Bußmann et al. 2003; Pluto 2005; Bogumil et al. 2006), zum anderen auf
den Auswirkungen der Verwaltungsmodernisierung auf die leistungserbringenden
Trägerorganisationen (vgl. van Santen 1998; Dahme et al. 2004, 2005). Die Auswirkungen der – insbesondere ökonomisch motivierten – Modernisierungsbestrebungen
auf das Handeln des – weitestgehend professionellen – Personals und des Dienstleistungsmanagements im Kontext dieser lokalen Dienstleistungsstrukturen wurden bislang
oftmals vernachlässigt. Ziel des vorliegenden Artikels ist es, diese Auswirkungen auf der
Basis neuer empirischer Erkenntnisse darzustellen und professionstheoretisch zu interpretieren. Dazu werden zunächst der theoretische Rahmen des Forschungsprojekts –
das Spannungsverhältnis zwischen Verwaltungsreform und professionellem Handeln
im Bereich Sozialer Arbeit und der Kinder- und Jugendhilfe – und das Forschungsdesign des Forschungsprojekts dargestellt (Kapitel 2 und 3). Im Anschluss daran wird auf
die unterschiedlichen Arten der lokalen Modernisierungsumsetzung eingegangen und
als erste Auswirkung die Ausdifferenzierung professionellen Handelns geschildert.
Die lokalen Dienstleistungsstrukturen als Verhältnis von öffentlicher zu freier Wohlfahrt werden dabei als organisationale Netzwerkstruktur analysiert (4). In professionstheoretischer Interpretation werde ich zwei Auswirkungen dieser modernisierten
Netzwerkstrukturen herausstellen: den Bedeutungszuwachs von managerialen Handlungskompetenzen sowie von Dienstleistungsprozessen und die paradoxalen Wirkungen der Steuerungsinstrumente (5).
Die These, die durch die Analyse des empirischen Materials dargestellt und begründet werden soll, lautet, dass eine ökonomisierte Modernisierung von Rahmenbedingungen der Kinder- und Jugendhilfe zu zwei sich widersprechenden Entwicklungen
führt: Einerseits erfahren die organisationsbezogenen Kompetenzen des professionellen Personals und die Dienstleitungsprozesse als Instrument der Steuerung und Qualitätssicherung einen Bedeutungszuwachs – man kann hier von einer managerialen Professionalisierung sprechen. Andererseits werden die spezifischen Risiken der Produktion personenbezogener sozialer Dienstleistungen vermehrt individualisiert und auf das
Personal im Dienstleistungsprozess übertragen – mit paradoxalen Auswirkungen.
2.
Der theoretisch-analytische Rahmen: Dienstleistungserbringung
und -management zwischen Wandel und Beharrung,
Verwaltungsmodernisierung und Professionalität
Dienstleistungsmanagement und Dienstleistungserbringung werden nachfolgend als
ein Handeln verstanden, welches sowohl von organisationalen Rahmenbedingungen
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
225
als auch von dem Charakteristikum der zu erbringenden Dienstleistung geprägt ist.1
Das Handeln in der Kinder- und Jugendhilfe wird also nicht nur von Reform- und
Modernisierungsbestrebungen beeinflusst, sondern muss, um es erklären zu können,
ebenso aus der Perspektive der Professionalität personenbezogener sozialer Dienstleistungen bestimmt werden. Im Folgenden soll das Spannungsverhältnis zwischen
‚Verwaltungsreform‘ und ‚Dienstleistungsprofession‘ als theoretische Grundlage der
empirischen Fragestellung herausgearbeitet werden.
2.1 Verwaltungsreform und der Wandel des Wohlfahrtsstaates
Ein zentraler Aspekt von Anpassung und Wandel im Bereich der sozialen Sicherungs- und Versorgungssysteme dürfte der (teilweise) Rückzug des Staates sein.2 Die
„Entstaatlichung“ der sozialen Sicherung mit ihren drei Dimensionen der Privatisierung (Verlagerung von Kompetenzen und Ressourcen auf private Akteure), der Dezentralisierung (Verschiebung der Zuständigkeiten auf Regionen und Kommunen) und
der Pluralisierung (Rückzug des Staates aus Standardisierung und Kontrolle) (vgl. Pinch
1997) findet sich in unterschiedlichen Reformansätzen wieder, die derzeit in der
Kinder- und Jugendhilfe diskutiert werden. Im Rahmen der gesellschaftlichen Wandlungsprozesse des Wohlfahrtsstaates sind für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe derzeit drei Impulse der Verwaltungsmodernisierung zu erkennen, die seit den
1990er Jahren auf die Trägerstrukturen wirken.
Mit der Ablösung des Jugendwohlfahrtsgesetzes durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII, KJHG) wird 1990 ein fachlicher Perspektivenwechsel vorgenommen. Jugendhilfe wird als Unterstützung und Stärkung der elterlichen Erziehungsverantwortung aufgefasst, das Ziel des Wandels von der Eingriffsverwaltung hin zu
einem modernen Leistungsrecht beinhaltet die Differenzierung des Hilfespektrums
sowie die Zusammenführung der sozialen Dienste im Jugendamt (vgl. Schrapper 1994),
die politische Mitgestaltung der Träger durch den Jugendhilfeausschuss, die Steuerung
pädagogischer Prozesse mit Hilfe spezifischer Instrumente (hervorzuheben hier das
Hilfeplanverfahren nach SGB VIII, § 36) und die Stärkung der Mitwirkung der Kinder,
Jugendlichen und Eltern als Subjekte mit Ansprüchen und Beteiligungsrechten. Die
fachlichen Ansätze wurden zum Teil durch ökonomische Aspekte ergänzt, z.B. durch
die Neuordnung der Entgeltfinanzierung (SGB VIII, § 78a-g), welche die Kostendämpfung durch Einführung von Wettbewerbselementen und Transparenz zum Ziel
hatte und durch welche Qualität als Teil der Leistungsvereinbarungen im Gesetz
verankert wurde (SGB VIII, § 78b Qualitätsentwicklungsvereinbarung). Neben einer
scheinbaren Stärkung des Neokorporatismus durch den Jugendhilfeausschuss (vgl.
Bogumil/Holtkamp 2006) erfahren die typischen korporatistischen Elemente der
Trägerstruktur, wie der Vorrang der freien Wohlfahrtspflege vor privaten – nicht
1
2
Mit Staehle wird Dienstleistungsmanagement im funktionalen Sinne aufgefasst als die
Planung, Organisation und Kontrolle aller Aktivitäten zur Erbringung personenbezogener
sozialer Dienstleistungen (vgl. Staehle 1999: 72-95).
Die gegenwärtig zu beobachtenden Reformen des Wohlfahrtsstaates werden im Folgenden
nicht als Untergang (vgl. Huber/Stephens 2001), sondern als Versuch des Umbaus des
Wohlfahrtsstaates gedeutet (Kaufmann 1997).
226
Andreas Langer
organisierten – Trägern und das Prinzip der Zuwendungsfinanzierung als Selbstkostendeckung einen Einschnitt durch die weitgehende Gleichstellung der privaten Anbieter und die Umstellung von Zuwendungsfinanzierung auf Leistungsvereinbarungen,
was insbesondere bei den Hilfen zur Erziehung in der Jugendhilfe von Relevanz ist.
Gleichzeitig wurde in den frühen 1990er Jahren als adäquate Antwort auf ökonomische Anforderungen und Steuerungsprobleme im Jugendamt, als ökonomienahes Modell der Organisation kommunaler Verwaltung und deren Modernisierung, das
„Neue Steuerungsmodell“ (NSM) zur Implementierung vorgeschlagen. Dieses Konzept erfasste eine wachsende Zahl von Kommunen und stützt sich wesentlich auf die
konzeptionellen Vorgaben der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). Bei der innerorganisationalen Steuerung kommen dabei betriebswirtschaftliche Instrumente (Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling) zum
Einsatz. Die Ausgestaltung der Trägerbeziehungen ist gekennzeichnet durch eine
weitere Privatisierung der Leistungserbringung, durch die Förderung von Wettbewerb zwischen den Anbietern und durch Kontraktmanagement (Art, Umfang und
Qualität der Leistungen werden in Zielvereinbarungen gefasst), Standardisierung,
Verpflichtung und Überprüfbarkeit des Leistungskataloges. Van Santen (1998)
kommt in einer Untersuchung von Jugendämtern, freien Trägern und Wohlfahrtsverbänden zum Ergebnis, dass ein Großteil der Jugendämter Umstrukturierungen gemäß
dem KGSt-Modell durchführt oder plant, dass aber die Einführung ökonomischer
Instrumente bei freien Trägern „weitgehend unabhängig von den Entwicklungen in
den zuständigen Jugendämtern verläuft“ (van Santen 1998: 39).
Als eine dritte – eigenständige – Richtung der Verwaltungsmodernisierung müssen
mittlerweile die sozialraumorientierten Ansätze gelten, deren Ziel es ist, Fehlentwicklungen der Jugendhilfereform (KJHG) wie auch des NSM zu beseitigen. Als Ziel werden meist fachliche Gründe genannt, der „soziale Raum ist zentraler Fokus für Soziale
Arbeit“ (Hinte 2002: 540). Die Hilfen sollen nicht an den Problemen, sondern an den
Ressourcen ansetzen, eine Orientierung an den tatsächlich „geäußerten Interessen der
Wohnbevölkerung“ ist ebenso handlungsleitend wie die „Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative“ (Hinte 2002: 540). Als verwaltungsrelevanter Aspekt
soll die Versäulung der Leistungsangebote oder die bürokratische Organisation der
Hilfen (alphanumerische Verwaltung der Fälle) durch eine übergreifende Orientierung an der Zielgruppe (BewohnerInnen) und durch Kooperation der Sektoren der
Verwaltung oder Einrichtungen ansetzen. Im Verhältnis der Träger ist es das Ziel, die
freien Träger zukünftig stärker über „Ergebnisqualität“ zu steuern (Dahme et al.
2005: 120). Die Sozialraumorientierung kann aber auch mit Konsequenzen für die
Abrechnungsmodalitäten eingesetzt werden: Sozialräumliche Ansätze beinhalten die
Einführung so genannter Sozialraumbudgets, was als eine radikale Weiterführung des
Kontraktmanagements verstanden werden kann (Dahme et al. 2005: 118). Dies impliziert ebenso die Bindung exklusiver Träger durch langfristige Leistungsverträge.
Die drei skizzierten Modelle könnten als eine chronologische Abfolge von Modernisierungsbestrebungen gelesen werden, mit denen zuerst fachliche Zielsetzungen
fokussiert werden, dann ökonomische Instrumente zur Durchsetzung des Wandels
implementiert werden, um sie zuletzt mit leistungsspezifischen Modernisierungsansätzen zu vereinen, wie etwa die Kosteneinsparung durch die Stärkung ambulanter
Angebote mit einer passgenaueren Leistungserstellung. Übergreifend geht es um
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
227
Spardruck und Reformwille, was sich erstens in der Suche nach Instrumenten der
Kostendämpfung ausdrückt, mit dem Ziel der Effektivität, Effizienz und Qualität.
Zweitens wird jeweils auf die Notwendigkeit reagiert, das Verhältnis von freier und
öffentlicher Wohlfahrt zu steuern mit dem Ziel einer „arbeitsteiligen Gemeinwohlverwirklichung“ (Evers et al. 2002: 13). Ob nun statt der Abfolge doch eher eine
Gemengelage aus verschiedenen Reformmodellen in der Implementierung vorzufinden ist, bedarf einer empirischen Klärung (vgl. Abschnitt 4.1.1).
2.2
Soziale Dienste und professionelles Handeln
Wie sich diese Instrumente allerdings auf der Akteurebene und in Interaktionsprozessen auswirken, wurde bislang empirisch nur einseitig entweder für Akteure des Jugendamtes oder der freien Träger untersucht (vgl. Otto 1991; Schnurr 1998; Petersen 1999;
Kalter/Schrapper 2005; Sommerfeld/Haller 2003; zuletzt Dahme et al. 2004, 2005).
Oder aber die Auswirkungen der genannten Reformansätze in der Sozialen Arbeit
werden aus einer normativen Perspektive auf breiter Ebene als Deprofessionalisierungsthese diskutiert (vgl. Flösser/Otto 1996; Merchel/Schrapper 1996; Heiner 2004).
Um die Wirkungszusammenhänge zwischen Modernisierungsbestrebungen in
den lokalen Dienstleistungsstrukturen zu analysieren, sollen weitergehend die Akteure
genauer bestimmt werden, die maßgeblich an der Dienstleistungserbringung beteiligt
sind. Hierzu wird kurz auf relevante Aspekte der Professionsdebatte eingegangen.
Professionell Handelnde werden im Weiteren als Experten, die über „privilegierte
Informationszugänge verfügen und – darüber hinaus – für den Entwurf, die Implementierung und/oder die Kontrolle von Problemlösungen verantwortlich zu machen
sind“ (Pfadenhauer 2002: 117), verstanden. Kennzeichnend für Professionalität ist
demnach ein professionelles Sonderwissen, welches „geprüft und […] qua Zertifikat
bestätigt wird“ (Lizensierung), und eine professionelle Kompetenz, „nicht nur im
Sinne von Befähigung, sondern auch im Sinne von Befugnis, die amtlich ‚bescheinigt‘
ist“ (Pfadenhauer 2002: 123). Professionelle sind also institutionell – über Lizenz und
Mandat – verantwortlich Zuständige für die „Bereitstellung, Anwendung und/oder
Absicherung von Problemlösungen“ (Pfadenhauer 2002: 116). Ausgangspunkt für die
sozialarbeiterische Professionsauffassung ist eine spezifische, unhintergehbare Handlungsstruktur Sozialer Arbeit. Dewe/Otto konstatieren die „gleichzeitige Gültigkeit
der hermeneutisch-therapeutischen Handlungslogik und der des normsichernden
Rechtshandelns“ (1984: 787), also letztlich die Gleichzeitigkeit von adressatenbezogenem Problemlösungshandeln und professionellem Handeln in spezifischen institutionellen Rahmenbedingungen.
Neben dieser eher allgemeinen Bestimmung einer wesentlichen Akteurgruppe im
Reformprozess sozialer Dienste stellt die Professionsforschung nicht nur Erkenntnisse
über Charakterisierung und Leistung wissensbasierter Berufsgruppen zur Verfügung,
sondern liefert auch Analysen über die spezifischen Handlungsbedingungen.
(1) Aus der Perspektive klassischer Professionstheorien, die stark durch den
anglo-amerikanischen Diskurs geprägt sind, wird politische Steuerung von professionellem Handeln als Irritation und Störung der autonomen Selbstkontrolle verstanden.
Dagegen werden soziale Dienstleistungsprofessionen in Deutschland als „wohlfahrtsstaatlich mitkonstituierte“ (Merten/Olk 1999: 588) Professionen konzeptionalisiert.
228
Andreas Langer
In ihrer Aufgabenwahrnehmung beziehen sie sich auf politisch definierte Problemstellungen. Wesentlich ist in diesem Verständnis, dass Professionen oder professionelle
Akteure dabei als politisch Handelnde verstanden werden müssen. Im Sinne einer „Professionspolitik“ ist ein Professioneller also „ein an der Durchsetzung von kollektiven
und individuellen Eigeninteressen orientierter Akteur“ (Pfadenhauer 2003: 55).
(2) Im Zuge dieser ‚professionspolitischen‘ These empfiehlt es sich, deskriptive
und normative Analysen zu unterscheiden. Aus einer soziologisch-deskriptiven Sicht
geht es nicht nur um die Erforschung empirisch beobachtbarer Kompetenzen im Sinne
von kontextbezogenem Wissen, Können bzw. Haltungen3, sondern auch um die Analyse von Kompetenzansprüchen, die von Professionellen gleichzeitig als Kontrollansprüche erhoben werden. Aus der Perspektive einer normativen Argumentation wird der
Professionsbegriff jedoch selbst als Legitimationsbegriff zur Zielerreichung oder zum
Machterhalt innerhalb eines „anti-institutionellen Habitus“ (Schrapper 2001: 157) verwendet. Professionen im Sozial- und Gesundheitssektor verstehen oder inszenieren
sich also nicht selten als ‚Opfer‘ von Reformen im öffentlichen Sektor mit dem Ziel,
ihre professionelle Autonomie und Kontrollansprüche zu legitimieren. Kaum erforscht
ist für diese beiden Kompetenzverständnisse, ob und in welcher Form von den professionellen Akteuren ökonomische Argumentationen herangezogen werden.
(3) Überdies sind auch im besonderen Charakter personenbezogener sozialer
Dienstleistungen Gründe dafür zu finden, dass das „Steuerungs- und Kontrolldilemma
sozialarbeiterischer Dienstleistungsorganisation“ (Olk 1986: 115) mit seiner grundsätzlichen Ungewissheitsbelastung auch nach intensiven Reformbemühungen im Jugendamt immer noch relevant ist. Mit dem Doppelcharakter ‚personenbezogen‘ und ‚sozial‘
lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen Kunden- und Nutzerorientierung und
sozialstaatlicher Bedarfssicherung beschreiben, in dem sich jede professionelle Leistungserbringung befindet. Einerseits muss der professionelle Ressourceneinsatz „im
Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse von Klienten konzipiert“ (Finis Siegler 2001:
249) werden. „Wenn aber Sozialpolitik eine anbieterinduzierte Nachfrage im Sinne der
Transformation von Bedürfnis und Nachfrage in bedarfsgerechter Inanspruchnahme
gemäß sozialpolitischer Leitbilder will, muss sowohl die asymmetrische Interaktionsbeziehung zwischen Sozialarbeiter und Klient als auch die meritorisch notwendige
Anbieterdominanz kontrolliert werden“ (Finis Siegler 2001: 251). Anbieter können
allerdings nur einen Bedarf bedienen, der kollektiv definiert und festgestellt wird. ‚Sozial‘ bedeutet dann, dass institutionell entschieden wird, „welche Probleme als soziale
anerkannt und welche Aufgaben als gesellschaftlich relevant eingestuft werden“ (Finis
Siegler 2001: 249). Für die Dienstleistungserbringung sind dann die entscheidenden
Merkmale die Gleichzeitigkeit der Produktion und Konsumption, die NichtLagerungsfähigkeit sowie die Adressatenanwesenheit und -mitwirkung bei der
Dienstleistung (das sog. „uno-actu“-Prinzip; vgl. auch Galliläer 2005: 133-134).
Die Analyse einer entscheidenden Berufsgruppe innerhalb der Sozialen Dienste
als ‚Profession‘ gibt zwei wichtige Hinweise für die Erforschung der Umsetzung von
Modernisierungsvorhaben in Dienstleistungsstrukturen. Zum einen ist das manageriale
3
Gemeint sind dabei professionelle Kompetenzen als Fähigkeiten (vgl. z.B. Klatetzki 1993;
Schütze 2000; Sommerfeld/Haller 2003; v. Spiegel 2002) und professionelle Verfahren (vgl.
z.B. Klatetzki 1998; Opielka 2005; Sommerfeld 2004).
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
229
und berufsförmige Handeln in besonderer Weise durch die Leistungs-Charakteristika
‚personenbezogen‘ und ‚sozial‘ gekennzeichnet, woraus eine spezifische Steuerungsund Kontrollproblematik sowie eine Ausrichtung an kollektiven Interessen – wie zum
Beispiel dem Nutzerinteresse – resultiert. Zum zweiten lassen sich insbesondere professionelle Akteure als politisch Handelnde identifizieren, die an der Durchsetzung sowohl
von Eigeninteressen als auch von kollektiven Interessen beteiligt sind. Es stellt sich also
nicht nur die empirische Frage nach den Auswirkungen auf, sondern auch die Frage nach
der Mitwirkung der Professionellen an Veränderungsprozessen, also danach, wer in
welcher Form an den Modernisierungsvorhaben mitwirkt oder wie diese – unvermeidlichen – Veränderungen genutzt, definiert und umdefiniert werden. „Nicht mehr die
Distribution, Gesetzgebung und Finanzierung, sondern die Organisation und Produktion von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen sowie die konkrete Steuerung sozialpolitischer
Programme stehen nun im Vordergrund“ (Heinze et al. 1997: 253).
3.
Kurzbeschreibung des Forschungsdesigns4
Die empirische Problemstellung vor dem Hintergrund der bis hier skizzierten Fragestellung wurde in einem Feld lokaler Sozialpolitik untersucht, das mindestens zwei
Kriterien genügen sollte. Zum einen muss durch die Kommunalpolitik die Möglichkeit gegeben sein, die Dienstleistungsstrukturen zu steuern, und es sollten auch ökonomisch orientierte Modernisierungsvorhaben durchgeführt worden sein. Zum anderen sollte die Dienstleistungserbringung trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen
(lokaler Dienstleistungsstrukturen) auf der Handlungsebene vergleichbar sein. Beide
Kriterien werden im Bereich der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe erfüllt. Es
wurde ein dreistufiges qualitatives Forschungsdesign gewählt. Wesentliches Instrument für die Datenerhebung war die Durchführung von kommunalen Fallstudien (17
Fallstudien in vier Kommunen). In den ersten beiden Phasen steht dabei die Rekonstruktion der Art und Weise der Reformkonzepte in organisationalen Programmen
der dienstleistungserbringenden Institutionen im Mittelpunkt. In einer dritten Phase
werden die Auswirkungen der organisationalen Strukturen auf das professionelle
Handeln untersucht. Das Datenmaterial wurde mit Hilfe von Experteninterviews
(insgesamt 81 Interviews), Dokumentenanalysen und nicht-teilnehmenden Beobachtungen (z.B. von Teamsitzungen oder verschiedenen Gremien) erhoben. In den ersten beiden Untersuchungsphasen wurden in vier Kommunen explorative Fallstudien
durchgeführt, wobei zunächst die Inhalte und die Umsetzung der Reformen in der
jeweiligen Kommune analysiert wurden. Dabei fanden in jeder Kommune sowohl
kommunale Fachabteilungen (also Leistungserbringer des öffentlichen Trägers, im
Wesentlichen das Jugendamt) als auch verbandliche Einrichtungen (also Leistungserbringer freier Träger) Berücksichtigung. In einer dritten Forschungsphase wurden
4
Die nachfolgenden Ergebnisse entspringen dem DFG-Projekt „Dienstleistung in der
Sozialen Arbeit zwischen Verwaltungsreform und professionellem Handeln“, welches von
2005 bis 2007 von der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit dem IAT Gelsenkirchen durchgeführt wurde.
230
Andreas Langer
SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen aus den vier Kommunen befragt, die in
der ambulanten Erziehungshilfe arbeiten.
4.
Zur Organisation der Wohlfahrtsproduktion: Dienstleistungsnetzwerke
als organisatorische Rahmenbedingung professioneller Dienstleistungsproduktion
4.1 Heterogenität der Dienstleistungsstrukturen und Binnendifferenzierung
professionellen Handelns
Mit der folgenden Beschreibung der Reformprozesse in den untersuchten Kommunen
soll die Heterogenität der Dienstleistungsstrukturen und Modernisierungsbestrebungen
und die parallel dazu stattfindende übergreifende Entwicklung im professionellen Handeln in diesen heterogenen Rahmenbedingungen aufgezeigt werden.
4.1.1
Die Gemengelage der Modernisierungsstränge im kommunalen
Umsetzungsprozess
Als Folge der Umsetzung des KJHG und der Neuordnung der Entgeltfinanzierung
lassen sich in allen Kommunen im Bereich der Hilfen zur Erziehung die Umstellung
auf Leistungsvereinbarungen und Leistungsentgeltfinanzierung (Tagessätze oder Fachleistungsstunden) zwischen öffentlichen und freien Trägern vorfinden (‚Kontraktmanagement‘). In allen Kommunen findet eine Verlagerung von stationären zu ambulanten
Leistungen statt (‚Ambulantisierung‘) und die politische Mitverantwortung der Träger
im Jugendhilfeausschuss ist umgesetzt. Ebenso lässt sich eine Pluralisierung der Trägerlandschaft feststellen. Vor dem Hintergrund der Umsetzung gesetzlicher Bestimmungen zeichnet sich in den Kommunen eine Heterogenität der Modernisierungsstränge
ab, die tabellarisch dargestellt ist (vgl. Tabelle 1 auf der gegenüberliegenden Seite).
So unterschiedlich die Auslöser für die Modernisierungsvorhaben sind, so unterschiedlich sind auch die erkennbaren Modernisierungsstränge. In Kommune D war
zum Beispiel der lokale Allgemeine Soziale Dienst (ASD) aufgrund fachlicher Probleme
und Ineffektivität die treibende Kraft der Modernisierung. Ohne auf Instrumente des
NSM zurückzugreifen, war die Verwaltungsreform neben fachlichen Konzepten (Sozialraumorientierung im Sinne einer neuen Gremienstruktur, Stärkung der Infrastruktur
und Kooperation) stark ökonomisch motiviert, wie auch in Kommune R. Die Sozialraumorientierung löste in dieser Kommune das NSM ab. Mit ausgewählten Trägern
wurde ein Trägerverbund gegründet, dem die Verantwortung über ein Sozialraumbudget übertragen wurde. Die Entscheidung zu diesem Schritt wurde auf der politischen
Ebene unter Einbeziehung des Jugendhilfeausschusses getroffen, wobei fachliche und
ökonomische Gründe entscheidend waren. Die Kommunen M und N sind jeweils
zwei Kommunen, in denen das NSM in großem Umfang umgesetzt wurde. In der
Kommune M wurde jedoch bereits vor einer flächendeckenden Einführung des
KJHG mit einem stetigen Organisationsentwicklungsprozess begonnen, der durch die
Aktivität einer zentralen Führungsfigur entschieden beeinflusst wurde („die Politik hat
gesagt, diesen Laden muss man aufräumen!“). Bemerkenswert ist hier, dass die Instrumente der neuen Steuerung im Jugendamt nicht zum Einsatz kamen und auch auf
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
231
Dauer nicht eingesetzt werden sollten – so lange die Kostenentwicklung des Jugendamtes sich innerhalb eines vereinbarten Rahmens bewegt. Durch die Trennung der Funktionen im Jugendamt wurde die Gemeinwesenorientierung des ASD gestärkt und ein
Case-Management für die kostenintensiven Dienste eingeführt. Im Gegensatz wurde in
Kommune N das NSM genau mit dem Ziel eingeführt, um die Kostenkontrolle und
Steuerung zu gewährleisten. Im Zuge der Implementierung wurden die Anzahl der
Bezirksjugendämter drastisch reduziert, durch die Zusammenlegung mit anderen
Diensten entstanden Sozialzentren, es wurde eine zentrale Produktsteuerung und ein
Controlling eingeführt und die Sozialzentren wurden budgetiert. Sozialraumorientierung wird in Kommune N als Produkt – in einer Kooperation – von freien Trägern
angeboten, das vom öffentlichen Träger in Anspruch genommen werden kann.
Zusammenfassend lässt sich durch diesen kurzen Überblick über Auslöser und
Umsetzung der Verwaltungsmodernisierungen zeigen, dass sowohl fachliche und als
auch ökonomische Gründe zu den Veränderungen führten, und dass das jeweils dominierende Modell durch Elemente aus anderen Konzepten ergänzt wurde. Der Überblick
gibt außerdem einen Hinweis darauf, dass für die Art und Weise der Veränderung lokale Gegebenheiten und professionelle Akteure eine entscheidende Rolle spielen.
Tabelle 1:
Heterogenität der Modernisierungsstränge
Kommune D
Kommune M
Kommune N
Kommune R
Auslöser
„bottom up“
ASD als Modernisierungsauslöser
• Nichtbewältigung sozialer
Probleme im
Sozialraum
• Ineffizienz des
lokalen ASD
„Vermittlung“
stetige Organisationsentwicklung durch
Einführung
KJHG
• Lokale
Jugendamtslösung im
Rahmen
NSM
„top down“
kommunale Leitungsebene/Rat:
• Kostenkontrolle und Steuerung
• Umbau des
Jugendamtes
zum Sozialzentrum
Neues
Steuerungsmodell
Ökonomische
Orientierung ohne
NSM
Sozialraumorientierung
als ...
... lokale Lösung
fachlicher Probleme:
• Sozialraumgremien
• Verbesserung
der Infrastruktur im Sozialraum
• Personenbezogene Kooperation
NSM als kommunales Steuerungskonzept,
wird im Jugendamt nicht umgesetzt
... Trennung /
Spezialisierung
der Aufgaben:
• ASD im
verstärkten
Gemeinwesenbezug
• BSD: Spezialisierung
auf Casemangement
Umsetzung des
NSM in Kommunen
und Ämtern;
zentrale Produktorientierung und
Budgetierung
... Produkt freier
Träger:
„top down“
kommunale
Leitungsebene/
Rat
• Beschluss
zur Haushaltskonsolidierung
• Konzept zur
Sozialraumbudgetierung
NSM wird
abgelöst durch
Sozialraumorientierung
•
•
•
Sozialraumvernetzung einiger
Träger
Angebot der
Produktpalette
situative Kooperation
... Budgetierung und fachliches Konzept:
• Sozialraumgremien
• Trägerverband
• Budgetverantwortung
bei Trägern
Quelle: eigene Darstellung
232
Andreas Langer
4.1.2
Zur Binnendifferenzierung professionellen Handelns
Die Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Jugendamt haben sich seit Einführung
des KJHG radikal verändert. Einen ersten Hinweis darauf gibt eine leistungsbezogene
Analyse statistischer Daten. Die Statistik wird durch die qualitative Studie konkretisiert.
Während die Personalausgaben für die Jugendhilfeverwaltung (die Beschäftigten
des Jugendamtes) zwischen 1992 und 1998 um 12% anstiegen, ist für den gleichen
Zeitraum ein Anstieg der Ausgaben für Tageseinrichtungen für Kinder um 46,6%, für
Hilfen zur Erziehung um 41% und Jugendsozialarbeit um 25,5 % festzustellen (nach
Rauschenbach/Schilling 2001: 222). Zieht man dann noch hinzu, dass zwar bei den
Hilfen zur Erziehung der größte Teil der öffentlichen Ausgaben für Heimerziehung
und sonstige betreute Wohnformen aufgewendet wird (65% der Hilfen zur Erziehung), diese Kosten jedoch stabil gehalten werden konnten, ergibt sich eine deutliche
Ausweitung der ambulanten Hilfen ohne deutlichen Personalzuwachs im Jugendamt.
Diese Zahlen weisen darauf hin, dass sich die Aufgaben der Beschäftigten im Jugendamt weg von der Erbringung sozialer Dienstleistungen hin zu der Koordination und
Steuerung sozialer Dienstleistungserbringung verschoben haben. Diese statistischen
Hinweise lassen sich durch die qualitativen Daten bestätigen und für die Dienstleistungsstrukturen konkretisieren, wie dies in Tabelle 2 schematisch dargestellt ist.
Tabelle 2: Binnendifferenzierung im professionellen Handeln
professionelle
Akteure
Handlungskontexte
öffentliche Träger
(Jugendamt)
freie Träger
(z.B. Diakonie, Caritas,
Der Paritätische usw.)
Kompetenz
relevante Aufgaben
(exemplarisch)
SozialManagement
Fall- bzw. Feldkoordination
Fall- bzw. Feldbearbeitung
New PublicManagement
Nonprofit Management sozialer
Unternehmen
• Unternehmensführung
• Kontraktmanagement
• Politische
Vertretung
• Innovation
• Organisationsentwicklung
Case-Management
Fallbegleitung und
-beratung
Fallbearbeitung
Case-Koordination
• Budgetverantwortung
• Personalführung
• Qualitätsmanagement
• Fallkoordination
(30-60 Fälle)
• Sozialmarkthandeln
• Fallverstehen
• Methodenauswahl
und Einsatz
• Beziehungsarbeit
• Selbstmanagement
• Fallbearbeitung
(4-8 Fälle)
Quelle: eigene Darstellung
Im Jugendamt etabliert sich in den untersuchten vier Kommunen eine funktionale
Differenzierung der Aufgaben in Leitung (als New Public Management), CaseManagement (zumeist ASD-Mitarbeiter) und Dienstleistungserbringung als Fall- bzw.
Feldbearbeitung (von Einzelfall über Gruppenarbeit zu Sozialraumbezug). Auf eine
Konzentration auf Verwaltungs-, Koordinations- und Steuerungsaufgaben weisen
zwei Entwicklungen hin: Einerseits wird die konkrete Dienstleistungsproduktion über
die Beratungstätigkeit hinaus fast vollständig an freie Träger delegiert. Andererseits sind
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
233
die Mitarbeiter des ASD als Case-Manager mit ca. 60-80 Fällen betraut. In den ausgewählten Fallstudien kann bei den freien Trägern eine den öffentlichen Trägern angeglichene Arbeitsteilung – im Sinne einer „mimetischen Isomorphie“ (vgl. DiMaggio/
Powell 1983) – beobachtet werden, innerhalb der freien Träger wird die Steuerungsebene einer ‚Fallkoordination‘ installiert. Im Gegensatz zum Case-Management zeichnen sich diese Positionen dadurch aus, dass FallkoordinatorInnen Personalführungsaufgaben übernehmen, ein Team von MitarbeiterInnen führen und so auch bis zu 40
Fälle koordinieren. Sie stellen, wie weiter unten (4.2.4) exemplarisch verdeutlicht
wird, das steuernde und kontrollierende Gegenüber zum Jugendamt dar.
Zusammenfassend lässt sich die Binnendifferenzierung als eine ‚Ökonomisierung‘ in Dienstleistungsstrukturen interpretieren. Ökonomisierung im Sinne einer
„deskriptiv-analytischen Kategorie“ (Heinze et al. 1997: 256) wird verstanden als ein
Bedeutungszuwachs von ökonomischen Kontrollkriterien wie z.B. von Management,
marktlicher Steuerung oder betriebswirtschaftlicher Prinzipien. Mit der folgenden
Analyse der Dienstleistungsstrukturen als lokale und organisationale Netzwerke wird
diese Ökonomisierungsthese präzisiert. Es wird einerseits gezeigt, dass durch die genannten Reformen eine Privatisierung und Pluralisierung im Bereich Sozialer Dienste
stattgefunden hat, dass sich aber parallel dazu Dienstleistungsnetzwerke herausbilden,
die einer Schließung und Monopolisierung des sozialen Dienstleistungsmarktes gleichzusetzen sind. Die genannte Binnendifferenzierung spielt in diesem Prozess eine
entscheidende Rolle.
4.2 Pluralisierung und Schließung der Dienstleistungsstrukturen in
organisationalen Dienstleistungsnetzwerken
Nun soll das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern Sozialer Dienste als
Dienstleistungsnetzwerk analysiert werden.
4.2.1
Das Analysemodell organisationaler Netzwerke
In der Neuen Institutionenökonomik wird bekanntlich die These vertreten, dass
Netzwerke als hybride Organisationsform zwischen Markt und Hierarchie zwar zeitweilig vorteilhaft sein können, sich jedoch langfristig in die eine oder andere Richtung
entwickeln (Williamson 1985). Mit dem für die Analyse zugrunde gelegten Modell
von Hakan Hakansson und Jan Johanson (1993) wird dagegen davon ausgegangen, dass
organisationale Netzwerke eine stabile Governance-Struktur zwischen Markt und Hierarchie darstellen können. Ein organisationales Netzwerk wird durch drei Merkmale
charakterisiert und kann dadurch deutlich von ‚sozialen‘ Netzwerken unterschieden
werden, die oben für die Sozialen Dienste bereits intensiv diskutiert wurden.
Erstens besteht ein Netzwerk nach Hakansson/Johanson aus mehreren organisationalen Akteuren (Akteurebene, vgl. Abbildung 1) mit unterschiedlichen Interessen
und Perspektiven, die in der jeweiligen Geschichte, ihren Positionen, ihrem Wissen
und ihren Ressourcen begründet liegen. Dem Modell liegt also eine Orientierung am
‚rational-choice‘-Paradigma zugrunde.
Als zweites Charakteristikum führen sie an, dass die organisationalen Akteure
mit anderen spezifischen Akteuren durch Tauschprozesse verbunden sind. Die spezifischen Mitspieler im Netzwerk befinden sich dabei in langfristigen Kooperationen.
234
Andreas Langer
Die spezifischen Einflüsse auf die jeweiligen Organisationen gründen sich im Wesentlichen auf die Austauschbeziehungen mit den spezifischen Mitspielern im Netzwerk, nicht aber z.B. auf Markt- bzw. Umweltentwicklungen, die annahmegemäß auf
alle Netzwerkbeteiligten wirken.
Drittens unterscheiden die Autoren im handlungstheoretischen Sinne im Netzwerk zwischen der Austauschbeziehung auf der Akteurebene und der Interdependenz
in der Ressourcennutzung auf der Handlungsebene. Sie nehmen an, dass in einem
organisationalen Netzwerk die Akteure jeweils sowohl direkt auf ihre eigenen, als
auch indirekt auf die Ressourcen der Netzwerkpartner steuernd und kontrollierend
zugreifen (können). In solchen langfristigen Austauschbeziehungen werden positive
Effekte für die Netzwerkakteure bezüglich Produktivität, Innovativität und Kontrolle
von Umwelteinflüssen angenommen: „The main reason for these positive effects is
the interdependence that exist in the activity/resource dimension“ (Hakansson/
Johanson 1993: 39).
Abbildung 1: Netzwerkanalysemodell
Austausch
Beziehung
Akteur
Steuerung und
Kontrolle
Handlung/
Ressourcen
Akteur
Steuerung und
Kontrolle
Handlung/Ressourcen
Interdependenz
Handlung/
Ressourcen
Quelle: Netzwerkanalysemodell (nach Hakansson/Johanson 1993: 36)
Mit dem Netzwerkanalysemodell können zwei gleichzeitig auftretende Phänomene in
Dienstleistungsnetzwerken erklären werden, die eigentlich widersprüchlich sind: Die
Pluralisierung bzw. Privatisierung in der Angebotsstruktur freier Träger einerseits und
die Konzentration im Dienstleistungsnetzwerk auf einige wenige Träger und somit
die Schließung des Zugangs für weitere Anbieter andererseits. Als Voraussetzung für
die Gleichzeitigkeit von Pluralisierung und Schließung in den vier Kommunen gilt,
dass die Dienstleistungserbringung im Wesentlichen aus dem öffentlichen Träger
ausgelagert und der freie Träger beauftragt wird, im Rahmen von Leistungsvereinbarungen (Kontraktmanagement) tätig zu werden. Diese Privatisierung ist im Bereich der
ambulanten Hilfen zur Erziehung von einer Pluralisierung der Anbieterstruktur begleitet. Von den insgesamt 13 Dienstleistungserbringern, die in den vier Kommunen
schwerpunktmäßig beauftragt wurden, fanden sich zwei kommunale Einrichtungen,
fünf freie Träger und sechs Einrichtungen freier Wohlfahrtsverbände. Trotz der Pluralisierung kann jedoch in keiner der Kommunen von einer Wettbewerbssituation gesprochen werden. Stattdessen ist eine Schließung der Netzwerkstrukturen zu beobachten,
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
235
die im Weiteren als ein Ineinandergreifen von formellen (4.2.2) und informellen
(4.2.3) Mechanismen5 analysiert und erklärt wird.
4.2.2
Dienstleistungsnetzwerke als formelle Kooperationsstruktur
Exemplarisch soll an der Kommune R gezeigt werden, welche formalen Mechanismen
durch die Einführung des Sozialraummodells (als fachliche Sozialraumorientierung der
Hilfen und als Sozialraumbudgetierung, s.o.) ein Dienstleistungsnetzwerk konstituieren. Eine zentrale Rolle spielt dabei der ‚Trägerverbund Jugendhilfe‘, der im Zuge der
Modernisierung ins Leben gerufen wurde, dem drei freie Träger der Jugendhilfe angehören. Die Kommune schloss mit dem Trägerverbund eine schriftliche Vereinbarung
über die Kooperation und Verteilung der Aufgaben ab, weitere Ausschreibungen für
notwendige Maßnahmen erfolgen nicht mehr. In diesem Vertrag sind die Zuständigkeiten und verbindlichen Formen der Zusammenarbeit geregelt. Zwischen dem öffentlichen und freien Träger bestehen vertragliche Regelungen, die das eigenverantwortliche Handeln des Trägerverbundes in allen fachlichen, betriebswirtschaftlichen,
personellen und organisatorischen Tätigkeitsfeldern rahmen. Jeder Jugendhilfeträger,
der dem Trägerverbund beigetreten ist, haftet eigenverantwortlich, was insbesondere
in Bezug auf das treuhänderisch übertragene Budget gilt.
Die Auswahl der zu beteiligenden Netzwerkpartner wurde nicht über ein öffentliches Ausschreibungsverfahren getroffen. Stattdessen wurde auf Integrationsfaktoren wie Vertrauen und Reputation zurückgegriffen: Im Trägerverbund versammeln
sich Kooperationspartner, die aus langfristiger Zusammenarbeit in ‚Hilfen zur Erziehung‘ bereits bekannt waren und sich bewährt hatten. Kennzeichnend für die formelle
Etablierung von Dienstleistungsnetzwerken ist die Einrichtung von Kooperationsgremien auf unterschiedlichen Ebenen als zentrale Schnittstellen zwischen den Trägern.
Mit dem Steuerungs- und Planungsgremium wird die Kooperation auf der Ebene
Rat/Jugendamtsleitung und Geschäftsführung formalisiert. Auf der Ebene der Koordination der Trägerkooperation bis hin zur Koordination einzelner Fälle sind es die
‚Stadtteilteams‘, denen VertreterInnen des Trägerverbundes sowie die jeweils regional
zuständigen BezirkssozialarbeiterInnen angehören.
5
Die Unterscheidung von formell und informell resultiert aus der Vertragstheorie der Neuen Institutionenökonomik. Formell meint dabei explizite Vertragsverhältnisse als rechtlich
durchsetzbare Vereinbarungen. Der klassische Fall ist hier der Kaufvertrag. Jenseits der
Rechtsordnung zielen implizite Verträge dagegen auf die Erfassung von Verhaltensnormen
ab. Richter (2000) unterscheidet zwischen „Verträgen“ und „Verhältnissen“, wobei unter
Verhältnisse die unterschiedlichsten Formen impliziter Verträge oder Beziehungsverträge
subsumiert werden. Herauszuheben sind hier relationale Vertragsbeziehungen. Die Relationalität von Vertragsverhältnissen drückt aus, dass bei Austauschverhältnissen oftmals
langfristige Beziehungen, die eine gewisse Tradition haben und auch weiter bestehen sollen, zwischen den Vertragspartnern eine große Rolle spielen. Einzelne explizite Verträge
sind dabei oftmals in langzeitige relationale Interaktionen eingebettet, die über die einzelne
Transaktionen hinausreichen. Sie sind in bestimmtem Ausmaß deshalb implizit, persönlichkeitsgebunden, informell und nicht rechtsverbindlich (vgl. Richter/Furubotn 1999:
173, auch 155-160). Für diese Fälle gilt, dass den Vertragspartnern bei Verletzung der Vertragsbedingungen als einzige Gegenmaßnahme der Abbruch der Beziehung bleibt (vgl.
Saam 2002). Vor allem die relationalen Verträge erweitern die Unterscheidung von formalen Regeln und „rules in use“ (Ostrom 1999).
236
Andreas Langer
Am Beispiel dieser Fallstudie lässt sich deutlich zeigen, wie über formelle Vertragsverhältnisse ein Dienstleistungsnetzwerk etabliert wurde, welches in der Konsequenz zu einer Monopolstellung dreier freier Träger führte. Die Austauschverhältnisse
zwischen öffentlichen und freien Trägern sind formalisiert und vertraglich geregelt.
An der Sonderbehandlung hoheitsstaatlicher Aufgaben (Inobhutnahmen und Kindeswohlgefährdungen) wird deutlich, dass die formalen Regelungen bis auf die Ebene
professionellen Handelns wirken.
4.2.3
Informelle Netzwerkstruktur und professionelles Handeln
Die Etablierung von Dienstleistungsnetzwerken durch informelle Vertragsbeziehungen
ist, wie gezeigt werden soll, aufgrund der dominanten Vertragsart relationaler Verträge stark personenabhängig, gebunden an Vertragspartner und deren Tradition sowie
an langfristige Austauschverhältnisse.
Analysiert man die Dienstleistungsstrukturen der beiden Kommunen, die vorwiegend durch das neue Steuerungsmodell charakterisiert werden (Kommune M und
N), so deuten die lokalen administrativen und formalen Regelungen auf einen weitestgehenden Wandel in Richtung Pluralisierung und Privatisierung hin. Die Dienstleistungen werden jeweils an freie Träger delegiert, es besteht eine große Öffnung des
„Marktes“ durch die Mindestanforderung der Leistungsvereinbarungen an die freien
Träger, die Wohlfahrtsverbände werden gegenüber den privaten oder eigenständigen
freien Trägern nicht bevorzugt. So wurden in einer Kommune etwa mit 80 Trägern
Leistungsvereinbarungen für unterschiedliche Leistungen abgeschlossen. Bei der Analyse informeller Regelungen in den Kommunen zeigt sich aber, dass die marktliche Steuerung nicht auf der Ebene des Managements verortet ist, sondern die Akteure auf der
Koordinationsebene die zentrale Rolle bei der Beauftragung, Steuerung und Kontrolle
der jeweiligen Dienstleistungen spielen. Obwohl den Case-ManagerInnen im Jugendamt eine Vielzahl möglicher Dienstleister zur Verfügung stehen, beschränkt sich ihre
Auswahl für die ambulanten Hilfen auf diejenigen freien Träger, mit denen bereits
gute Erfahrungen gesammelt worden sind und zu deren KoordinatorInnen und FallbearbeiterInnen ein Vertrauensverhältnis besteht, seien es privat-gewerbliche oder
frei-gemeinnützige Anbieter. Wie durch eine Interaktionsanalyse im Verhandlungsund Koordinationsprozess gezeigt werden kann, gründet sich die Abnahmeentscheidung für eine spezifische Dienstleistung auf die erfahrbaren und personenabhängigen
Eigenschaften des Sozialunternehmens bzw. deren MitarbeiterInnen: Reputation, Vertrauen und (Vor-)Erfahrung sind als Auswahlkriterien auf die Ebene der Dienstleistungskoordination verlagert. Bemerkenswert dabei ist, dass nicht nur die Beauftragung
durch den öffentlichen Träger auf diesen Kriterien gründet, sondern auch die Auftragsannahme durch den Dienstleistungsnehmer: Erweist sich beispielsweise ein/e
Case-ManagerIn als unzuverlässig oder unkooperativ oder kommt es nicht zu einer
Einigung bezüglich des als notwendig erachteten Leistungsumfanges, wird die Zusammenarbeit zwischen den spezifischen Personen – auch langfristig – abgebrochen.
Andererseits sind die Verhandlungen und Entscheidungen über Inhalt und Umfang
der Fallbearbeitungen Prozesse, die je nach Bekanntheitsgrad zwischen den KoordinatorInnen und Case-ManagerInnen zeitlich stark abgekürzt werden, weil in den
relationalen Verträgen zwischen den Akteuren bereits ein hoher Grad an fachlicher
Übereinstimmung, Bekanntheit von Qualitätssicherung und -management sowie
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
237
Verlässlichkeit in der Fallbearbeitung vorhanden ist. Dienstleistungsmarketing und
Controlling werden in meist langfristigen Kooperationsbeziehungen realisiert, die
letztlich eine Marktschließung zur Konsequenz haben: Die faktische Anzahl der
Träger, aus denen ein lokales Dienstleistungsnetzwerk besteht, setzt sich im Bereich
für ambulante Hilfen aus zwei bis drei Trägern zusammen, die damit eine exklusive
Stellung einnehmen.
4.2.4
Interdependenzen in hierarchischen Dienstleistungsnetzwerken
Aus dieser Perspektive sollen im Folgenden die Interdependenzen auf der Handlungs- und Ressourcenebene interpretiert werden, die Hakansson/Johanson wie oben
gezeigt als Hauptgrund für die Etablierung und Stabilisierung der organisationalen
Netzwerke anführen. Ihre Argumente wie höhere Produktivität, Innovativität und
Umweltkontrolle sind durchaus auch auf die Charakteristika personenbezogener
sozialer Dienstleistungen anwendbar. Wie schon Heinze et al. (1997: 243) oder Sydow (1994) zeigen und in der neueren Literatur vor allem von Fließ (2006) vertreten
wird, dürfte der ökonomische Vorteil von organisationalen Netzwerken vor allem bei
den günstigeren Transaktionskosten liegen: In den hierarchischen Netzwerken sind
typische Integrationsfaktoren vorzufinden, wie z.B. Vertrauen, Pragmatismus, Reputation, Sozialraum und relationale Verträge (vgl. Weissbach 2000: 272), die im Vergleich zu ‚alten‘ Netzwerkstrukturen wie Markt (Tausch, Vertrag, Recht), hierarchische Organisation (Ordnung, Macht) oder Expertenkulturen (Wissen, Können) die
massiven Informationsasymmetrien in der Principal-Agent-Beziehung zwischen den
Trägern verringern, Interessenkonstellationen herstellen und dadurch Aushandlungs-,
Vertrags-, Kontroll- und Opportunismuskosten senken. Die Schließungsphänomene
in den Dienstleistungsstrukturen sind ohne den Vertrauensmechanismus ebenfalls
kaum erklärbar. Vertrauen spart dem öffentlichen Träger als Nachfrager Kosten und
sichert den Zugang zu bekannter Qualität und personenbezogenen Ressourcen. Den
freien Trägern als Dienstleister ermöglichen unterschiedliche Elemente generalisierten, spezifischen und persönlichen Vertrauens6 einen (relativ) sicheren Zugang zu
relevanten Ressourcen – durch die exklusive Ressourcen-Aufteilung und die Beherrschung der Umwelt.
Die Dienstleistungsnetzwerke müssen jedoch als hierarchische Netzwerke bestimmt werden: Es kann mit dem Jugendamt jeweils ein zentraler Akteur identifiziert
werden, der die Spielregeln und das Spiel bestimmt (Genosko 1999: 85), obwohl es
sich nicht um eine Zwangsintegration handelt (vgl. Weissbach 2000: 266). Auf den
hierarchischen Charakter weist auch die Anpassungsleistung (mimetischer Isomorphismus) freier Träger hin.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in den beschriebenen Dienstleistungsnetzwerken auf Vertrauen, Reputation, (Vor-)Erfahrung, lokale Präsenz und
Bekanntheit als dominante Integrationsmodi zurückgegriffen wird. Gleichzeitig deuten die Aspekte der Risikobeherrschung und Ressourcensicherung auf eine Professionalisierung von Organisations- bzw. Managementkompetenzen und auf einen Bedeutungszuwachs der Professionspolitik hin. Während sich in den formellen Dienstleistungsnetzwerken eine neue professionelle „Dienstgemeinschaft“ zu etablieren
6
Vgl. hier die Vertrauenskonzeption von Giddens (1998) und Beckert (2002).
238
Andreas Langer
scheint, der vor allem Management- und Organisationsaufgaben übertragen werden
(bis hin zur Budgetverwaltung), ist die Etablierung und Stabilisierung von informellen
Dienstleistungsnetzwerken kaum ohne die marktliche Steuerung auf der Koordinationsebene professionellen Handelns zu erklären. Es lässt sich eine Pluralisierung und
Schließung von Dienstleistungsnetzwerken beobachten, die den Zugang zum Anbietermarkt entscheidend erschweren und verlangsamen.
5.
Auswirkungen auf professionelles Handeln: Professionalisierung
managerialen Handelns und Paradoxien Sozialer Dienste
Entgegen einer generellen Deprofessionalisierungsthese, die in der Sozialen Arbeit
stark normativ vertreten wird (s.o.), lassen sich vor dem Hintergrund der empirischen
Ergebnisse sehr wohl Professionalisierungsphänomene7 durch Ökonomisierung feststellen. Mit der Binnendifferenzierung professionellen Handelns und der Herausbildung organisationaler Dienstleistungsnetzwerke wurde bereits ein Hinweis auf Kompetenzentwicklung und veränderte Kompetenzansprüche professioneller Akteure
gegeben. Die wichtigsten Phänomene, die sich auf der Mikroebene der Dienstleistungsstrukturen abzeichnen, werden nun professionstheoretisch als Erweiterung der
Managementkompetenzen (5.1) und Paradoxien im Handeln (5.2) interpretiert.
5.1 Zur Professionalisierung managerialer Kompetenzen und
Dienstleistungsprozessen
Die Forschung über Management- oder Organisationskompetenzen gehört bislang
nicht zu den zentralen Fragestellungen der Professionstheorie. Vielmehr standen –
unter Einfluss der anglo-amerikanischen Debatte – die gesellschaftliche Funktion der
Professionen und die Klienten-Professionellen-Interaktion im Mittelpunkt der Forschung. Während professionelle Organisationskompetenzen (Wissen, Können und
Haltung) in der Literatur als „sekundär“ bezeichnet werden (von Spiegel 2002), weisen empirische Befunde, der fortschreitende ökonomische Legitimationsdruck, die
marktliche Steuerung und der Rückgriff auf betriebswirtschaftliche Prinzipien auf
einen Bedeutungszuwachs managerialer Kompetenzen hin.
Die hier zugrunde liegende qualitativ-empirische Studie verstärkt die These der
Professionalisierung einerseits, weil ökonomisches Wissen auf allen Ebenen sozialarbeiterischen Handelns vorhanden und reflexionsrelevant ist. Die Ergebnisse zeigen
auch, dass adaptiertes betriebswirtschaftliches Wissen und Können nicht das Kompetenzelement sind, durch welches ein Dienstleistungsmanagement zu kennzeichnen
wäre. Vielmehr besteht die spezifische Professionalität im Managementhandeln darin,
ökonomische Instrumente und Wissen für die Kontroll- und Steuerungsanforderungen
in den relevanten Handlungskontexten zu entwickeln bzw. zu transformieren. Über-
7
Professionalisierungsforschung bedeutet, Institutionalisierungsprozesse von Berufen zu
beschreiben und zu analysieren, wie bestimmte Merkmale eines Berufes durchgesetzt werden können.
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
239
greifend nimmt dabei in freien wie auch in öffentlichen Trägern das Personal- und
Wissensmanagement eine zentrale Rolle ein.
Andererseits hat sich der Streit zwischen ökonomischer und professioneller Logik des Handelns sowie der Streit um die Legitimität ökonomischer Kriterien in der
professionellen Entscheidung weg von der praktischen Relevanz hin zu einer rein
theoretisch-ideologischen Auseinandersetzung entwickelt. Im konkreten Handeln des
professionellen Managements sind stattdessen vor dem Hintergrund eines massiven
Spardrucks Fragen der Abwägung ökonomischer, wertorientierter und fachlicher
Kriterien, der spezifischen Mechanismen marktlicher Steuerung, sowie der adäquaten
Kriterien für Effizienz, Effektivität und Qualität vordringlich.
Darüber hinaus weist die Weiterentwicklung des Prozessmanagements innerhalb
der Dienstleistungsstrukturen auf ein Professionalisierungsphänomen hin. Trotz der
Unterschiedlichkeit der Strukturen, der Verwaltungsreformen, der Anlässe bzw. der
Umsetzungsstrategien (vgl. 4.1) lassen sich in allen vier Fallstudien vergleichbare
professionelle Verfahren und Prozesse feststellen, mit denen Hilfen zur Erziehung
gesteuert werden. Das Hilfeplanverfahren (KJJG § 36), welches ursprünglich zum
Ziel hatte, die Beteiligung der Adressaten an der Dienstleistung zu sichern, wurde in
den Kommunen zu einem Instrument weiterentwickelt, in dem professionelle Entscheidung, Beratung, Schnittstellenmanagement, Personalführung, Supervision, Monitoring und Fallbearbeitung in einem trägerintegrierenden Prozess zusammenwirken. In
dieser Perspektive wird Prozessmanagement und Verfahrensentwicklung zum gemeinsamen Gegenstand der trägerübergreifenden Professionalisierung und Kooperation,
„weil in Verfahren und Technologien sowohl wissenschaftlich erzeugtes als auch über
Erfahrung erworbenes, praktisches Wissen zu praktikablen Formen ‚gerinnt‘“ (Sommerfeld 2004: 196). Professionelle Verfahren und Prozesse sind demnach von der
Profession entwickelt, werden durch professionelles Handeln institutionalisiert und
strukturieren dieses gleichzeitig und werden mit dem Ziel der Steuerung, Kontrolle und
Qualitätssicherung eingesetzt und kontinuierlich weiterentwickelt (vgl. auch Klatetzki
1998; Opielka 2005). Für die ambulanten Jugendhilfen zeigt sich hier deutlich, dass
die Qualitätsdebatte praktische Auswirkungen hat, ohne dass allerdings (betriebswirtschaftlich) quantifizierbare Instrumente zum Einsatz kommen.8
5.2 Paradoxien angewandter politischer Ökonomie im professionellen
Handeln sozialer Dienstleistungsproduktion
Neben den Professionalisierungsphänomenen hat der Einsatz ökonomischer Instrumente in der lokalen Sozialpolitik paradoxe Auswirkungen, wie an fünf Wirkungszusammenhängen aufgezeigt werden kann.
(1) De-Codierungs-Probleme: Wie das Netzwerkmodell schon impliziert und betont,
sollten Austauschverhältnisse „not be viewed as entirely cooperative. In every relation there are both common and conflict interests between the actors“ (Hakansson/
8
Damit müssen die eher pessimistischen Einschätzungen zu den Problemen und dem begrenzten Erfolg der Umsetzung von Qualitätsvereinbarungen (vgl. Merchel 2006; Buckley/
Boeßenecker 2007) auch daraufhin befragt werden, welche Instrumente der Qualitätssicherung überhaupt erfasst werden (können).
240
Andreas Langer
Johanson 1993: 39-40). Insbesondere auf der Ebene professionellen Handelns lässt
sich feststellen, dass die Aufgaben- und Kompetenzdifferenzierung zu einem erhöhten Kommunikations-, Verhandlungs-, Verständigungs- und Harmonisierungsbedarf
führt. Es bestehen nicht nur unterschiedliche Interessen (zwischen öffentlichen und
freien Trägern, aber auch zwischen den unterschiedlichen freien Trägern), sondern
auch unterschiedliche Verantwortungen, Aufgaben und fachliche Haltungen der professionellen Akteure (hier vor allem zwischen den MitarbeiterInnen öffentlicher Träger
mit ihren hoheitsstaatlichen Aufgaben und den MitarbeiterInnen von freien Trägern
mit ihrer Anwaltschaftsfunktion). Die Paradoxie der innerorganisationalen Ausdifferenzierung und der arbeitsteiligen Aufgaben- und Verantwortungswahrnehmung resultiert
aus der Tatsache, dass einer größeren Spezialisierung gleichzeitig erhöhte Kooperationsanforderungen gegenüberstehen. Es bestehen Regelungsbedarfe bezüglich Datenschutz, Zuständigkeiten, Doppeldiagnosen bis hin zur Angleichung fachlicher Verständnisse und Haltungen. Die Bewältigung dieser Regelungsbedarfe – hier als Prozesse der ‚De-Codierung‘ bezeichnet – werden in den untersuchten Kommunen jeweils
durch zusätzliche Gremien institutionalisiert. Der Ressourcenaufwand für diese DeCodierungsleistungen kann am Beispiel eines Bezirksjugendamtes deutlich gemacht
werden. Um eine lokale Sozialraumkonzeption auf allen Handlungsebenen zu koordinieren, wurden diverse Teams und Gremien eingerichtet, die einen monatlichen
Mehraufwand für alle Mitarbeitenden bedeuteten, der sich auf ca. 1,7 Planstellen
umrechnen lässt. Mit anderen Worten: Den Kooperationsgewinnen durch die Sozialraumkonzeption stehen Transaktionskosten gegenüber, die sich in einer Höhe von
1,7 Planstellen pro Monat bewegen.
(2) Zielvereinbarungsparadoxie: In den Fallstudien konnte durchgehend beobachtet
werden, dass nicht nur Zielvereinbarungen zwischen den Trägern getroffen wurden,
sondern dass die Praxis konkreter Zielvereinbarung bis in die Fallbearbeitung, also
die konkrete Dienstleistungserbringung, hinein reichte. Die paradoxalen Wirkungen
konkreter Zielbestimmung im professionellen Handeln lassen sich durch folgenden
Interviewausschnitt verdeutlichen:
Das, was über die Hilfevereinbarung hinausgeht, hat man damals noch irgendwie bearbeitet. Heute ist das nicht mehr so, man arbeitet strikt auf das Ziel zu.
Man guckt nicht mehr oft nach links und rechts. Ob das effizienter ist, weiß ich
nicht. Man kann das mit einem Handwerker vergleichen, der mir die Heizung
repariert. Wenn er zusätzlich bemerkt, dass der Wasserhahn im Keller tropft, ist
das o.k.; wenn er ihn aber noch eigenmächtig repariert und noch Geld dafür verlangt, würde ich mich beschweren, weil er dafür ja keinen Auftrag hatte. Also
hat beides Vor- und Nachteile (Mitarbeiter Sozialpädagogische Familienhilfe,
freier Träger).
Die Paradoxie der Zielvereinbarungen besteht in der Gleichzeitigkeit von Entlastung
und Dequalifizierung: Einerseits stellen konkrete Zielvereinbarungen für die Fallbearbeitung eine Entlastung für professionell Handelnde dar. Durch die Zielvereinbarung
wird die Aufgabe eingrenzbar, Erfolge können klarer erkannt und kommuniziert werden, der Zielvereinbarungsprozess dient der Kommunikation und Auftragsklärung
zwischen den Beteiligten, den auftraggebenden MitarbeiterInnen des öffentlichen Trägers wie auch den Adressaten. Den professionellen Akteuren ist es damit möglich,
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
241
geforderte Qualitäts- und Erfolgsnachweise zu liefern. Andererseits stellen konkrete
Zielvereinbarungen als soziales Konstrukt eine Wirklichkeitsreduktion dar, die die Flexibilität im Fallbearbeitungsprozess einschränken und die Anpassung von Zielbestimmungen an die Bedarfe im Fall sehr aufwändig bis unmöglich machen. Zentrale
Kompetenzen professioneller Leistung, das Fallverstehen und die stark prozedurale
Fallbearbeitung, scheinen damit gefährdet zu sein. Durch die Zielvereinbarungen
wird also nicht nur das zu bearbeitende ‚Problem‘ auf professionelle Lösungen zugeschnitten (Pfadenhauer 2003), sondern die Problemlösungen werden verstärkt durch
organisational erfassbare Erkenntnisprozesse und -reichweiten begrenzt.
(3) Qualitätsverluste durch Qualitätssicherung: Durch die Gesetzesänderungen im
KJHG wurde Qualitätssicherung zu einem leitenden Thema, ein regelmäßiges fallspezifisches Berichtswesen im öffentlichen wie auch freien Träger gehört nun zu den
Mindeststandards in den ambulanten Jugendhilfen. Die paradoxale Wirkung der zunehmenden Anforderung an Qualitätssicherung und Transparenz wird deutlich, wenn
das Berichtswesen zu einer gleichzeitigen ‚schleichenden‘ Rationierung in Bezug
gesetzt wird. So ist durchweg zu beobachten, dass Einsparungen über die Reduzierung von Fachleistungsstunden in der Fallbearbeitung realisiert wurden (die Professionellen äußerten, dass für ähnliche Problemlagen jetzt nur noch die Hälfte der Fachleistungsstunden bewilligt werden). Selbst bei gleichbleibenden Qualitätsstandards
multipliziert sich auf diese Weise der Aufwand für die Dokumentation der fachlichen
Leistung, weil sich durch die Reduktion der Fachleistungsstunden die Fallanzahl
erhöht. Maßnahmen der Qualitätssicherung reduzieren also flächendeckend die faceto-face Klienteninteraktion der professionellen Fachkräfte.
(4) Paradoxien der Risikoselektion: Durch die genannten Modelle der Verwaltungsmodernisierung entstehen durchweg Anreize zur Risikoselektion und Risikoweitergabe
zwischen Fachkräften und Hierarchieebenen. Übergreifend konnten in den Fallstudien
fünf Mechanismen der Risikoselektion typisiert werden. Ein weiterer Interviewausschnitt soll einen Eindruck in die Problemlage geben:
Dann ist es ist sicherlich schwierig zu gucken […], wann ist die Schwelle überschritten zur […] ambulanten Hilfe. […] Dann heißt es, eine Hilfekonferenz zu
schreiben, das Ganze auch noch einzuleiten, Gespräche zu führen, mit Betreuern zu reden, und am Ende kommt – das sind die Rahmenbedingungen, die ja
sehr eng sind (...) – vielleicht kommt dann auch ne SPFH [sozialpädagogische
Familienhilfen, A.L.] mit drei Stunden oder eineinhalb Stunden pro Woche für
drei Monate raus. Da habe ich nichts von, da ist der Aufwand viel zu groß. Das
hat dann dazu geführt […], dass ich immer vermehrt auch formlos betreue, weil
sich der Aufwand nicht lohnt. Dadurch verdichtet sich die Arbeit (JugendamtsmitarbeiterIn im ASD).
Die festzustellende Paradoxie war hier, dass ein hoher Aufwand für fachliche Entscheidungen den Anreiz bildete, diese Entscheidungsprozesse zu umgehen. Verstärkt
wird dieser Anreiz dadurch, dass jugendamtsinterne Strategien zu erkennen waren,
Entscheidungsprozesse für fallbezogene Hilfeleistungen so ‚kostspielig‘ anzusetzen,
dass die beratenden MitarbeiterInnen gezwungen wurden, den Aufwand und die
Kosten der Einleitung eines Hilfeplanverfahrens gegen den möglichen Nutzen abzuwägen. Die Folge dieses internen Anreizsystems sind Vor-Verhandlungen zwischen
242
Andreas Langer
Tür und Angel und die Risikoübernahme bzw. Arbeitsverdichtung auf Seiten der
jeweiligen MitarbeiterInnen.
Ein zweiter Widerspruch taucht durch die Differenzierung zwischen gemeinwesenorientierter Beratung/Begleitung und fallspezifischer Hilfe auf, wenn ‚Weitergabediagnosen‘ gestellt wurden. Im Zweifelsfall wurde ein risikobelasteter Fall von
MitarbeiterInnen als hilferelevant definiert, um die Verantwortlichkeit an die spezialisierte Stelle weitergeben zu können. Die Spezialisierung, die die Fachlichkeit erhöhen
soll (besserer Zugang zu Beratung und Hilfe durch eine Ausweitung des gemeinwesen- und sozialraumorientierten Angebots sowie bessere Koordination durch konzentrierte Bearbeitung der Hilfefälle durch dafür qualifizierte Fachkräfte) hatte zur
Folge, dass vermehrt Fälle und Problemlagen nicht entschieden wurden, sondern als
‚Clearing-Fälle‘ entweder zurückgegeben oder vorübergehend betreut wurden.
Zum dritten wurden externe Risiken der Betriebsführung systematisch an die
Fallausführenden weitergegeben, wenn in Budgetierungen alle Leistungsarten zusammengefasst wurden. Wurde zum Beispiel ein umfassendes Sozialraumbudget (für
stationäre Hilfen wie z.B. Heimunterbringung und ambulante Hilfen wie z.B. SPFH,
s.o.) durch kostenintensive Fälle (etwa durch Zuzug einer Familie mit mehreren Kindern mit stationärem Hilfebedarf) belastet, standen automatisch weniger Mittel für
ambulante Hilfen zur Verfügung. Die MitarbeiterInnen in der Koordination und in
der Fallbearbeitung sind gezwungen, Bedarfe und Hilfearten durch den Einfluss
externer Faktoren (den Zuzug einer hilfeintensiven Familie in den Budgetbereich)
gegeneinander abzuwägen. Die Qualität und Fachlichkeit der professionellen Entscheidungen wurde in diesem Falle massiv durch externe Faktoren beeinflusst, die als
Risiken in der betrieblichen Organisation an die Fachkräfte weitergegeben werden.
Als viertes Paradoxon ließ sich die Weitergabe des Bedarfsdeckungsrisikos analysieren. Ein allgemein bekanntes Problem bei sozialen Dienstleistungen ist die Notwendigkeit, bestimmte Dienstleistungen vorzuhalten und die Schwierigkeit, die Bereitstellung von Dienstleistungen an den tatsächlichen Bedarf anzupassen. Während dieses
Risiko im Rahmen der Zuwendungsfinanzierung ein Thema der Verhandlung zwischen
Kostenträger und Dienstleister war, wird das Risiko der ‚Fehlbelegung‘ im Rahmen der
Entgeltfinanzierung auf den Dienstleister verteilt. Die deutlich wahrnehmbare Tendenz
dazu, professionelle Fachkräfte in quasi-freiberuflichen Beschäftigungsverhältnissen
fallbezogen zu bezahlen, deutet nun die innerbetriebliche Risikoweitergabe an die individuellen Akteure an. Die Folge ist die Zunahme des ‚Eigenunternehmertums‘ und
prekärer Erwerbssituationen für die professionellen FallbearbeiterInnen (vgl. auch
Dahme et al. 2005).
Als fünftes Phänomen ließen sich Risikoselektionen im Prozess der ‚Ambulantisierung‘ feststellen. In allen Kommunen konnte festgestellt werden, dass der Ersatz
stationärer durch ambulante Hilfen zur Erziehung als wirksames Mittel zur Kostenreduktion eingesetzt werden kann. Zu beobachten war in diesem Zuge jedoch auch,
dass im Sinne eines ‚Creaming up‘ schwere oder nicht so schwere Fälle unterschiedlich an Dienstleister verteilt wurden oder dass stationäre Unterbringungen trotz des
fachlich begründeten Bedarfs lange hinausgezögert wurden. Professionelle Fachkräfte
sahen sich als Folge vermehrt mit Fällen konfrontiert, die eigentlich nicht mehr in
ihren Leistungsbereich fallen, aber aus Gründen des ‚Marketings‘ oder der ‚Markt-
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
243
platzierung‘ übernommen werden mussten, während bevorzugte Träger von der
Risikoselektion profitierten.
Die paradoxalen Auswirkungen der Ökonomisierung in der Dienstleistungserstellung lassen sich unter dem Gesichtspunkt der ‚Modernisierungsverlierer‘ zusammenfassen. Die professionellen Akteure in der Klienteninteraktion haben es mit
erschwerten Bedingungen zu tun, um die Qualität und Professionalität ihrer Leistungen aufrecht zu halten. Auffällig ist hier insbesondere der Zusammenhang zwischen
Differenzierung, Arbeitsteilung und Kooperation: Wenn davon auszugehen ist, dass
ein Großteil der öffentlichen Träger die Dienstleistungserbringung mittlerweile privatisiert hat, müssen die Modernisierungsverlierer auf der Fallbearbeitungsebene der
freien Träger vermutet werden.
6.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Arbeiten von Bogumil/Naschold (2000) haben das Forschungsinteresse auf den
Faktor ‚Personal‘ als strategische Ressource der lokalen Sozialpolitik gelenkt. Mit der
vorliegenden Untersuchung wurden die Modernisierungs- und Reformkonzepte hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das beteiligte Personal analysiert und als Ergebnis
lassen sich Modernisierungsgewinner und -verlierer identifizieren. Während durchweg eine Professionalisierung des Dienstleistungsmanagements festgestellt werden
kann, gerät die konkrete Dienstleistungserstellung vermehrt in paradoxale Situationen, in denen eine Deprofessionalisierung angelegt ist und vermutet werden muss.
Als vordringliche Aufgabe und Herausforderung der lokalen Sozialpolitik sollte
das Problem der Risikoselektion bearbeitet werden. Wenn die Modernisierungsbestrebungen zur Folge haben, dass die Risiken bei der Leistungserstellung in Sozialen
Diensten an die Individuen weitergegeben und nicht durch institutionelle Rahmenbedingungen abgesichert werden, ist mit einer nachhaltigen Qualitätssicherung nicht zu
rechnen. Die Verwaltungsreformen und Modernisierungsbestrebungen sowie die
Professionalisierung des Managements stehen unter der Gefährdung, ins Leere zu
laufen und langfristig wirkungslos zu verpuffen.
Literaturverzeichnis
Bahle, Thomas (2007): Wege zum Dienstleistungsstaat. Deutschland, Frankreich und Großbritannien im
Vergleich. Wiesbaden: VS Verlag.
Beckert, Jens (2002): „Vertrauen und die performative Konstruktion von Märkten“, Zeitschrift
für Soziologie Heft 1, 27-43.
Bogumil, Jörg; Grohs, Stefan; Kuhlmann, Sabine (2006): „Ergebnisse und Wirkungen kommunaler Verwaltungsmodernisierung in Deutschland – Eine Evaluation nach zehn Jahren Praxiserfahrung“, in: Jörg Bogumil; Werner Jann; Frank Nullmeier (Hg.): Politik
und Verwaltung, PVS Sonderheft. Wiesbaden: edition sigma, 1-33.
Bogumil, Jörg; Holtkamp, Lars (2006): Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung: eine policyorientierte Einführung. Wiesbaden: VS Verlag.
244
Andreas Langer
Bogumil, Jörg; Naschold, Frieder (2000): Modernisierung des Staates. New Public Management in
deutscher und internationaler Perspektive. Opladen: Leske & Budrich.
Buckley, Andrea; Boeßenecker, Karl-Heiz (2007): „Auf der Suche nach der guten Praxis. Die
Qualitätsentwicklung in der Sozialen Arbeit – ein Überblick“, Blätter der Wohlfahrtspflege,
Heft 2, 66-68.
Bußmann, Ulrike; Esch, Karin; Stöbe-Blossey, Sybille (2003): Neue Steuerungsmodelle – Frischer
Wind im Jugendhilfeausschuss? Opladen: Leske & Budrich.
Dahme, Heinz-Jürgen; Kühnlein, Gertrud; Wohlfahrt, Norbert (2004): „Die sozialwirtschaftliche Modernisierung der bundesdeutschen Wohlfahrtspflege – ein weiterer Schritt auf
dem ‚Holzweg in die Dienstleistungsgesellschaft‘“, Neue Praxis Heft 5, 409-425.
Dahme, Heinz-Jürgen; Kühnlein, Gertrud; Wohlfahrt, Norbert (2005): Zwischen Wettbewerb und
Subsidiarität. Wohlfahrtsverbände unterwegs in die Sozialwirtschaft. Berlin: edition sigma.
Dewe, Bernd; Otto, Hans-Uwe (1984): „Professionalisierung“, in: Hanns Eyferth; Hans-Uwe
Otto; Hans Thiersch (Hg.): Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Darmstadt: Luchterhand, 775-811.
Dewe, Bernd; Otto, Hans-Uwe (2001): „Profession“, in: Hanns Eyferth; Hans-Uwe Otto;
Hans Thiersch (Hg.): Handbuch der Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Neuwied u.a: Luchterhand, 1399-1423.
DiMaggio, Paul J.; Powell, Walter W. (1998): „The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizional Fields“, American Sociological Review 48,
147-160.
Evers, Adalbert; Rauch, Ulrich; Stitz, Uta (2002): Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Unternehmen. Hybride Organisationsformen im Bereich sozialer Dienstleistungen. Berlin: Edition Sigma.
Finis Siegler, Beate (2001): „Soziale Arbeit als Praxis der Wohlfahrtsproduktion – Eine Problemskizze“, in: Frank Schulz-Nieswandt (Hg.): Einzelwirtschaften und Sozialpolitik zwischen
Markt und Staat in Industrie- und Entwicklungsländern: Festschrift für Werner Wilhelm Engelhardt zum 75. Geburtstag. Marburg: Metropolis Verlag, 245-256.
Fließ, Sabine (2006): Prozessorganisation in Dienstleistungsunternehmen. Stuttgart: Kohlhammer.
Flösser, Gaby; Otto, Hans-Uwe (1996): Neue Steuerungsmodelle für die Jugendhilfe. Neuwied: KTVerlag.
Galiläer, Lutz (2005): Pädagogische Qualität. Perspektiven der Qualitätsdiskurse über Schule, Soziale
Arbeit und Erwachsenenbildung. Weinheim u.a.: Juventa.
Genosko, Joachim (1999): Netzwerke in der Regionalpolitik. Marburg: Schüren Verlag.
Giddens, Anthony (1996): Konsequenzen der Moderne. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Hakansson, Hakan; Johanson, Jan (1993): „The network as a governance structure. Interfirm
cooperation beyond markets and hierarchies“, in: Gernot Grabher (Hg.): The embedded
firm. On the socioeconomics of industrial networks. London u.a: Routledge, 35-51.
Heiner, Maja (2004): Professionalität in der Sozialen Arbeit. Theoretische Konzepte, Modelle und empirische Perspektiven. Stuttgart: Kohlhammer.
Heinze, Rolf G.; Schmid, Josef; Strünck, Christoph (1997): „Zur politischen Ökonomie der
sozialen Dienstleistungsproduktion. Der Wandel der Wohlfahrtsverbände und die
Konjunkturen der Theoriebildung“, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 49,
242-271.
Hinte, Wolfgang (2002): „Von der Gemeinwesenarbeit über die Stadtteilarbeit zum Quartiermanagement“, in: Werner Thole (Hg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. Opladen: Leske & Budrich, 535-548.
Dienstleistungsstrukturen in der Sozialen Arbeit
245
Huber, Evelyne; Stephens, John D. (2001): Development and Crisis of the Welfare State: Parties and
Policies in Global Markets. Chicago: The University of Chicago Press.
Kalter, Birgit; Schrapper, Christian (2005): „EPSO. Evaluation Präventiver und Sozialräumlich
orientierter Jugend- und Erziehungshilfen in vier Essener Stadtteilen. Projektkurzbericht“, Koblenzer Schriften zur Sozialpädagogik, 0-35.
Kaufmann, Franz-Xaver (1997): Herausforderungen des Sozialstaates. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Klatetzki, Thomas (1993): Wissen, was man tut. Professionalität als organisationskulturelles System.
Bielefeld: KT Verlag.
Klatetzki, Thomas (1998): „Noch einmal: Was sind flexibel organisierte Erziehungshilfen?
Eine Reformulierung und eine Erwiderung auf Michael Winkler“, in: Friedhelm Peters;
Wolfgang Trede; Michael Winkler (Hg.): Integrierte Erziehungshilfen. Qualifizierung durch
Flexibilisierung und Integration? Frankfurt a.M.: IGFH, 322-337.
Merchel, Joachim (2006): „§ 78b SGB VIII als Instrument zur Qualitätsentwicklung in der
Erziehungshilfe? Ergebnisse einer Inhaltsanalyse von Qualitätsentwicklungsvereinbarungen“, Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 2/2006, 78-89.
Merchel, Joachim; Schrapper, Christian (1996): „Einleitung: ‚Neue Steuerung‘ in der Sozialverwaltung – Hoffnungen, Skepsis und Fragen gegenüber einem neuen Modernisierungskonzept“, in: Joachim Merchel; Christian Schrapper (Hg.): „Neue Steuerung“. Tendenzen der Organisationsentwicklung in der Sozialverwaltung. Münster: Votum, 7-17.
Merten, Roland; Olk, Thomas (1999): „Sozialpädagogik als Profession. Historische Entwicklung und künftige Perspektiven“, in: Arno Combe; Werner Helsper (Hg.): Pädagogische
Professionalität; Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns, 2. Aufl. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp, 570-613.
Olk, Thomas (1986): Abschied vom Experten. Sozialarbeit auf dem Weg zu einer alternativen Professionalität. Weinheim u.a.: Juventa.
Opielka, Michael (2005): „Alternativen zur Aktivierung?“, Archiv für Wissenschaft und Praxis der
sozialen Arbeit: Vierteljahreshefte zur Förderung von Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe Heft 1,
34-48.
Ostrom, Elinor (1999): „Institutional Rational Choice. An Assessment of the Institutional
Analysis and Development Framework“, in: Paul Sabatier (Hg.): Theories of the Policy
Process. Boulder, Colo. u.a. : Westview Press, 35-71.
Otto, Hans-Uwe (1991): Sozialarbeit zwischen Routine und Innovation. Professionelles Handeln in
Sozialadministrationen. Berlin u.a.: de Gruyter.
Petersen, Kerstin (1999): Neuorientierung im Jugendamt. Dienstleistungshandeln als professionelles Konzept Sozialer Arbeit. Neuwied: Luchterhand.
Pfadenhauer, Michaela (2002): „Auf gleicher Augenhöhe reden. Das Experteninterview – ein
Gespräch zwischen Experte und Quasi-Experte“, in: Alexander Bogner; Beate Littig;
Wolfgang Menz (Hg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen:
Leske & Budrich, 113-130.
Pfadenhauer, Michaela (2003): Professionalität. Eine wissenssoziologische Rekonstruktion institutionalisierter Kompetenzdarstellungskompetenz. Opladen: Leske & Budrich.
Pinch, Steven (1997): Worlds of welfare: understanding the changing geographies of social welfare provision.
London: Routledge & Kegan Paul.
Pluto, Liane (2005): „Verwaltungsmodernisierung bei Jugendämtern – Impulse, Entwicklungen, Bewertungen“, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Vierteljahreshefte
zur Förderung von Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe Nr. 2, 20-37.
246
Andreas Langer
Rauschenbach, Thomas; Schilling, Matthias (2001): „Soziale Dienste“, in: Wolfgang Böttcher;
Klaus Klemm; Thomas Rauschenbach (Hg.): Bildung und Soziales in Zahlen. Statistisches
Handbuch zu Daten und Trends im Bildungsbereich. Weinheim u.a.: Juventa, 207-270.
Richter, Rudolf (2000): „Verträge aus wirtschaftstheoretischer Sicht“, in: Wolfgang Franz
(Hg.): Ökonomische Analyse von Verträgen. Tübingen: Mohr Siebeck, 1-24.
Richter, Rudolf; Furubotn, Erik G. (1999): Neue Institutionenökonomik. Tübingen: Mohr Siebeck.
Saam, Nicole J. (2002): Prinzipale, Agenten und Macht. Tübingen: Mohr Siebeck.
Schnurr, Stefan (1998): „Jugendamtsakteure im Steuerungsdiskurs“, Neue Praxis Heft 4, 362-382.
Schrapper, Christian (1994): „Von der Eingriffsbehörde zur Dienstleistungsverwaltung.
Grundsätze und Perspektiven zur Organisation des Jugendamtes nach dem KJHG“,
in: Thomas Klatetzki (Hg.): Flexible Erziehungshilfen. Münster: Votum, 39-63.
Schrapper, Christian (2001): „Wohin steuert die Jugendhilfe?“, Nachrichtendienst des Deutschen
Vereins für öffentliche und private Fürsorge Heft 5, 154-162.
Schütze, Fritz (2000): „Schwierigkeiten bei der Arbeit und Paradoxien des professionellen
Handelns. Ein grundlagentheoretischer Aufriss“, Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung Heft 1, 49-96.
Sommerfeld, Peter (2004): „Soziale Arbeit – Grundlagen und Perspektiven einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin“, in: Albert Mühlum (Hg.): Sozialarbeitswissenschaft.
Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Freiburg i.Br.: Lambertus, 175-203.
Sommerfeld, Peter; Haller, Dieter (2003): „Professionelles Handeln und Management. oder: Ist
der Ritt auf dem Tiger möglich?“, Neue Praxis, Heft 1, 61-89.
Staehle, Wolfgang H. (1999): Management: eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive. München:
Vahlen.
Sydow, Jörg (1994): „Franchisingnetzwerke. Ökonomische Analyse einer Organisationsform
der Dienstleistungsproduktion und -distribution“, Zeitschrift für Betriebswirtschaft Heft 1,
95-113.
van Santen, Eric (1998): „‚Output‘ und ‚outcome‘ der Implementierung Neuer Steuerung.
Empirische Befunde zu den Erscheinungsformen und Folgen der Neuen Steuerung in
der Kinder- und Jugendhilfe“, Neue Praxis Heft 1, 36-49.
von Spiegel, Hiltrud (2002): „Methodisches Handeln und professionelle Handlungskompetenz
im Spannungsfeld von Fallarbeit und Management“, in: Werner Thole (Hg.): Grundriss
Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch. Opladen: Leske & Budrich, 589-602.
Weissbach, Hans-Jürgen (2000): „Kulturelle und sozialanthroplogische Aspekte der Netzwerkforschung“, in: Johannes Weyer (Hg.): Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München u.a.: Lambertus, 255-284.
Williamson, Oliver E. (1985): The economic institutions of capitalism: firms, markets, relational
contracting, New York: Free Press.
Korrespondenz:
Dr. Andreas Langer
Laufenbergstr. 8
51063 Köln
E-Mail:
[email protected]
Herunterladen