Abstract Titel: Gesellschaftlicher Umgang mit Homosexualität und der Auftrag der Sozialen Arbeit Kurzzusammenfassung: Die Arbeit beschreibt die gesellschaftlichen Veränderungen in den Ansichten gegenüber Homosexualität. Sie beleuchtet wie sich Stigmatisierungsprozesse auf homosexuell orientierte Menschen auswirken, in wie weit und wie die Soziale Arbeit am Veränderungsprozess beteiligt war und welche Handlungsfelder sich für die Soziale Arbeit in Bezug auf Homosexualität heute erschliessen. Autor(en): Anita Marti Referent/-in: Alfred Schwendener Publikationsformat: BATH MATH Semesterarbeit Forschungsbericht Anderes Veröffentlichung (Jahr): 2016 Sprache: Deutsch Zitation: Marti, Anita. (2016). Gesellschaftlicher Umgang mit Homosexualität und der Auftrag der Sozialen Arbeit. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, FHS St. Gallen, Fachbereich Soziale Arbeit. Schlagwörter (Tags): Homosexualität, Soziale Probleme, Stigmatisierung, Abweichendes Verhalten, Soziale Arbeit, Homophobie, Lesbe, Schwul Ausgangslage: Die gesellschaftlichen Ansichten gegenüber Homosexualität haben sich in der Schweiz in den letzten hundert Jahren im Hinblick auf gesellschaftliche Gleichberechtigung stark verändert. Trotzdem sind homosexuelle Frauen und Männer auch heute noch Ausgrenzungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Die Soziale Arbeit hat sich mit der Ausarbeitung des Berufskodex den Auftrag erteilt, sich für sozial Schwächere in der Gesellschaft einzusetzen. Damit sind die Professionellen der Sozialen Arbeit beauftragt, sich für Homosexuelle einzusetzen und sich für ihre Belange stark zu machen. 1 Ziel: Ziel der Arbeit ist, Antworten auf folgende Fragestellung zu erhalten: wie und warum werden homosexuell orientierte Menschen ausgegrenzt, stigmatisiert und diskriminiert? Welche gesellschaftlichen Mechanismen führten dazu, dass Homosexualität scheinbar zunehmend als Lebensform akzeptiert wird? Welche Position hat die Soziale Arbeit im Veränderungsprozess der Ansicht gegenüber Homosexualität eingenommen und was sollte in Bereichen der Sozialen Arbeit unternommen werden, um Homosexuelle besser zu integrieren? Vorgehensweise: Die Arbeit ist in die drei Kapitel „Homosexualität“, „Soziale Probleme und Homosexualität“ und „Die Rolle der Sozialen Arbeit in Zusammenhang mit Homosexualität“ aufgegliedert. Im ersten Kapitel werden Begriffe, die in Zusammenhang mit Homosexualität stehen, erklärt und erläutert. Nebst einem historischen Überblick in unserem Kulturkreis werden die Veränderungen in der Einstellung der Schweizer Gesellschaft gegenüber Homosexualität innerhalb den letzten hundert Jahren aufgezeigt. Der Wandel im öffentlichen Auftreten der homosexuellen Gruppierungen in der Schweiz wird beschrieben und die gegenwärtige Situation der Homosexuellen wird beleuchtet. Das zweite Kapitel erläutert die Theorie sozialer Probleme. Anhand von zwei Karrieremodellen aus der Theorie sozialer Probleme zeigt es den Entproblematisierungsprozess des sozialen Problems Homosexualität in der Schweiz auf. Mit der Theorie des abweichenden Verhaltens und sozialer Kontrolle wird die Sanktionierung der Homosexuellen durch die Gesellschaft als Folge der Verletzung der gesellschaftlichen (Grund-)Normen und Werte durch die vom Durchschnitt abweichende sexuelle Ausrichtung beschrieben. Im dritten Kapitel wird aufgezeigt welche Rolle der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit Homosexualität zukommt oder zukommen kann. Anhand eines historischen Rückblicks in die Entstehung der Sozialen Arbeit wird dargestellt, wie sich die Disziplin in den letzten hundert Jahren professionalisiert hat. Anhand des geschichtlichen Überblicks wird die jeweilige Positionierung der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und in Bezug auf die Homosexualität aufgezeigt. Mit Bezug auf die beiden vorhergehenden Kapitel werden mögliche Handlungsfelder der Sozialen Arbeit herausgearbeitet, die das Potential haben, homosexuell orientierten Menschen zur verbesserten Integration zu verhelfen. Erkenntnisse: Der Rückblick in die Geschichte der Homosexualität zeigte, dass in der Antike Homosexualität angesehen und akzeptiert wurde. Mit dem Aufkommen des Christentums bis Ende des 2 19. Jahrhunderts gab es weder Akzeptanz noch Toleranz gegenüber der homosexuellen Lebensweise. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts haben sich die Werte und Normen bezüglich Homosexualität hinsichtlich Gleichberechtigung stark zum Positiven verändert. Die Werte und Normen einer Gesellschaft sind veränderbar und somit verändert sich auch die Toleranz oder Intoleranz gegenüber Andersartigkeiten. 85 Prozent der deutschen Bevölkerung akzeptieren oder tolerieren heute die gleichgeschlechtliche Lebensweise, für die Schweiz liegen leider keine Zahlen vor, aber es dürften ähnliche Zahlen sein. Vor hundert Jahren noch wurden Homosexuelle in der Schweiz strafrechtlich verurteilt oder in Anstalten „behandelt“. Die 68er-Bewegung mit der sexuellen Befreiung und der Auflehnung gegen das Patriarchat bereiteten der gleichgeschlechtlichen Liebe den Boden zur vermehrten Akzeptanz in der Schweizer Gesellschaft. Ohne Interessensvertretungen in Form von kollektiven Akteuren wäre eine solche (gesamt-gesellschaftliche) Veränderung schwierig bis unmöglich gewesen. Hauptsächlich waren die Betroffenen selbst als kollektive Akteure tätig. Aber auch Advokaten und Verbände, die sich für die Belange der Homosexuellen einsetzten, nahmen eine wichtige Rolle im Veränderungsprozess ein, so dass Homosexualität als soziales Problem politisch bearbeitet werden konnte und schlussendlich mit dem 2005 verabschiedeten Bundesgesetz die eingetragene Partnerschaft unter gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht wurde. Die Soziale Arbeit war aus historischer Perspektive zweigeteilt. Einerseits ein Drang zur Professionalisierung, was sich daran festmachen lässt, dass neue, in den USA entwickelte Methoden in den Schulen gelehrt wurden. Andererseits fanden zur selben Zeit die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen mit Kindswegnahmen und Einweisungen in Anstalten statt. Die Soziale Arbeit erteilte sich jedoch mit ihrem Berufskodex selber den Auftrag sich für Menschen einzusetzen, die in der Verwirklichung ihres Lebens illegitim eingeschränkt sind, was Homosexuelle miteinschliesst. Solange im Denken bei dem Wort Liebesbeziehung automatisch ausschliesslich ein heterosexuelles Paar als inneres Bild erscheint, wird die gleichgeschlechtliche Liebe zur Ausnahme und im schlimmeren Fall als abweichend bewertet. Abweichung wirkt bedrohlich und stellt die bekannte gesellschaftliche Ordnung in Frage. Dadurch kommt es zur Ausgrenzung. Dies geschieht in Form von Stigmatisierung, Diskriminierung sowie Stereotypisierung und Vorurteilen. Da sich Vorurteile hartnäckig halten und vor allem bei älteren Generationen nur schwer zu verändern sind, gilt es, bei der Jugend anzusetzen. So, dass der Gedanke an ein Liebespaar vielfältig wird. Um den Stigmatisierungsprozess zu unterbrechen bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen, sind Aufklärungsarbeit und Toleranz nötig. An Schulen, in Jugendtreffs und in Vereinen muss Homosexualität regelmässig thematisiert werden, was ein deutliches 3 Handlungsfeld der Sozialen Arbeit darstellt. Eine breitgefächerte Aufklärungsarbeit an Schulen würde den homosexuell orientierten Jugendlichen ihr comig-out wesentlich erleichtern, was sich rückläufig auf die Selbstmordrate unter den homosexuellen Jugendlichen auswirken müsste. Dies stellt die eine Seite der Stigmatisierung und Etikettierung dar. Auf der anderen Seite sind es Machtprozesse, die ermöglichen, dass abweichendes Verhalten als solches bezeichnet wird. Ausschlaggebend sind Normsetzung und Normanwendung, dass abweichendes Verhalten zum Teil geahndet wird und zum Teil nicht. Wer verfügt über die Definitionsmacht, was Normen und Werte anbetrifft? Diese Machtstrukturen und Prozesse müssen durchleuchtet und transparent gemacht werden, was zum Auftrag der Sozialen Arbeit gezählt werden könnte. Schlussendlich sind es Machtprozesse, die Veränderung bezüglich Werte und Normen einer Gesellschaft in Gang setzten oder bremsen können. Die soziale Arbeit mit ihren Fachbereichen ist aufgerufen sich für die Anliegen der Homosexuellen einzusetzen, Toleranz einzufordern und sich politisch vermehrt für deren Anliegen einzusetzen. Dies bedingt, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit sich ihrer eigenen Haltung bewusst sind. Das ständige Reflektieren und Überprüfen der eigenen Haltung im Allgemeinen muss im Studium zur Sozialen Arbeit eingeübt und angelegt werden, so dass das Reflektieren im späteren Berufsalltag zum kollegialen Fachdiskurs gehört. Aus dem historischen Rückblick ist ersichtlich, dass die Soziale Arbeit gemäss ihres eigenen Kodex, sich mutiger im öffentlichen Diskurs positionieren darf. Mit den Erfahrungen aus Theorie, Praxis und Forschung liefert sie wichtige Erkenntnisse, die in sozialpolitischen Debatten verwendet werden können. Dabei stellt sich die Frage, ob die Soziale Arbeit als Profession sich tatsächlich im Hintergrund zu halten hat und sich auf das Brückenbauen beschränken soll. Denn die Disziplin erarbeitet fortwährend neue Erkenntnisse, die der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden müssten. Zudem sollte die Soziale Arbeit als Disziplin in den letzten Jahren an Selbstbewusstsein gewonnen haben und damit den Mut, sich vermehrt in öffentliche Diskurse einzumischen und „Zähne zu zeigen“. Literaturquellen: AvenirSocial. (2010). Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz. Bern: AvenirSocial Grausgruber, Wolfgang. (2005). Stigma und Diskriminierung psychisch Kranker. In Wolfgang Gaebel, Hans-Jürgen Möller & Wulf Rössler (Hrsg.), Stigma – Diskriminierung – Bewältigung (S. 18-39). Stuttgart: Kohlhammer. Groenemeyer, Axel. (2012). Soziologie sozialer Probleme – Fragestellungen, Konzepte und theoretische Perspektiven. In Günter Alberecht & Axel Groenemeyer (Hrsg.), Handbuch soziale Probleme (2. überarb. Aufl.) (S. 17-105). Wiesbaden: Springer VS. Lamnek, Siegfried. (2007). Theorien abweichenden Verhaltens I: „Klassische Ansätze“ (8., überarb. Aufl.). Paderborn: Wilhelm Fink Verlag. 4