• Nasri n A mi rsedghi Kommentar zum Islam-Dialog Mir persönlich genügt es nicht, mich nur auf die Charakterisierung der unzähligen Gruppen und ihrer evtuellen Wandlungen im Islam zu konzentrieren. Mir geht es mehr um das Wesen des Islam, wie und warum er entstanden ist. Dabei ist mein Instrument bzw. Gegenstand sein heiliges Buch Koran (Qur´an), und die Person Muhammad: die Sprache (also der philologische Ansatz), epochale Aspekte, die Biographie und die Zeitspanne vor und nach der Gründung des Islam. Ohne diese entscheidenden Elemente kommen wir zu keinen ausreichenden Kenntnissen über die Problematik dieser Religion in der heutigen Zeit. Warum all die ermüdenden Dialogproben zu keinem Ende kommen, liegt daran, dass sie eben ohne die beiden Protagonisten gespielt werden, und die armen Zuschauer rennen atemlos durch das Labyrinth der über 1400 Jahre alten Kulissen. Noch fataler ist, dass das Spiel von unzähligen Regisseuren inszeniert wird. Ob sie sachkundig sind oder nicht, ist ein weiteres Dilemma… Der Islam ist viel mehr als nur eine Religion. Er ist eine Ideologie: Islamideologie eben. Denn hier ist der Gegenstand der Ideologie der Islamglaube selbst. Islam ist gleich Islamismus. Er ist eine totalitäre Ideologie, die viel mehr Differenzen zu anderen Buchreligionen hat als Gemeinsamkeiten. Seine entscheidende Gemeinsamkeit mit anderen Buchreligionen besteht darin, dass er an einen einzigen Gott glaubt, dessen absoluten Stellenwert er in seinem heiligen Buch, dem „Koran“, unter dem Namen „Allah“ verewigt. Der Islamglaube beruht auf ganz „persönlichen“ Erfahrungen von Muhammad, die mit spirituellen Erfahrungen der Begründer anderer Buchreligionen, insbesondere von Jesus, nicht gleichzusetzen sind. Um die Islamideologie besser zu verstehen, sollte man genauer im „Koran“ blättern, wo der Stellenwert des Menschen als „Abdullah“ (Gottes Sklave) und der Gottes als „Allmächtiger“ unmissverständlich festgelegt sind. Hier sind sich Sunniten wie Schiiten ohne Streit einig. Der Islam wäre durch die Untersuchung der Sprache des Koran eher zu verstehen als mit der ewigen Entstaubung der „hadith“ (Überlieferungen) oder der „sunna“ (Lebensweise Muhammads). Der Islam kennt keine private Sphäre. Das Private ist politisch und der Staat ist private Angelegenheit, der alles nur im Dienste des Glaubens geregelt sieht. Beide sind nur Allah gegenüber verpflichtet. Warum dann so viele widersprüchliche „Fatwas“ (Rechtsgutachten) ausgerufen werden dürfen, liegt daran, dass der Koran, das Werk des Propheten Muhammad, einen breiten Auslegungsspielraum lässt. Es liegt in seiner widersprüchlichen Natur, seine Gesetze jeder Zeit und jedem Ort beliebig anzupassen, allerdings selten zu Gunsten der Vernunft und Menschenwürde im heutigen Sinne des universellen Codex. Der Islam kann seine Uneinheitlichkeit in naher Zukunft kaum überwinden, solange er das Verstehen und das selbständige Denken verbietet. Das sind die wesentlichsten Probleme im Islam, die seit 1400 Jahren existieren. Das macht die Verständigung und den Dialog mit der Außenwelt – philosophisch, theologisch und politisch-demokratisch – immens kompliziert. Vor jedem Diskurs über den Islam sollte man zwei Problemgruppen nicht außer Acht lassen. 0/5 Problemgruppe eins: Die Entwicklung der Sprachen des Koran im historischen Kontext 1. Die mekkanischen Verse: Sie entstanden, als Muhammad (ca. 570-632) mit der Offenbarung (610) des späteren Buches „Koran“ begann und vor allem Anhängerschaft suchte. Er stand am Beginn seiner Karriere, hatte jedoch keine bedeutende Machtposition. Hier zeigt er sich als ein barmherziger, toleranter und offener Mensch: Der Islam ist Frieden! Er erkennt alle Buchreligionen an. 2. Die medinensischen Verse: Sie entstanden, als Muhammad aus Mekka nach Medina (Hidschra / 622) mit seiner Anhängerschaft „Muhadscherun“ (Auswanderer) auswanderte. Dort bildete sich später die islamische Gemeinschaft „Umma“. Da ernennt er sich zum ersten Mal zum „Propheten“. Hier zeichnet sich der Beginn seiner Macht und die radikale Wandlung seiner Gebote ab. „Dschihad“ und „Shahada“ werden nicht nur gegen Heiden (Götter- und Naturverehrer), sondern auch gegen “Ungläubige“ (Tötet sie, wo ihr sie trefft; Sure 2:192) - gemeint sind Juden und Christen - als einziges Mittel postuliert, um den Frieden im Islam zu erhalten. Es werden die ewig göttlichen Gesetze der „Schariia“ verfestigt. Damit wird die Theorie des Islamismus geboren. „Den Islamismus der Gegenwart vom Islam der Vergangenheit zu trennen, ist daher historisch und logisch 1 unmöglich.“ Denn Muhammad wird nicht nur der „Prophet“, sondern auch der politische, gesellschaftliche und militärische Organisator und Anführer. „Hier erfolgt der grundlegende 2 Impuls in den Zustand zunehmender Stärke, in die Perspektive der Expansion.“ 3 3. Lesart des Koran (Koranexegese): Der Koran ist das erste in arabischer Schrift verfasste Werk. Die Verlautbarung des Koran durch Muhammad, „ein Spiegel der 4 Inkarnation des Manngottes Allah“ , erstreckte sich über fast zwanzig Jahre. Zur Zeit der Entstehung des Koran besaß die arabische Sprache noch keine normierte Schriftsprache. Der Koran wurde ursprünglich in einer westarabischen Mundart (Mekka und Medina) niedergelegt, später von arabischen Philologen überarbeitet und in die klassische Sprachform gefasst. Die schriftliche Fassung wurde erst Jahrzehnte nach Mohammads Tod unter dem dritten Kalifen Utman ibn Affan fixiert. Da das Arabische während der Offenbarung des Koran noch keine Schriftsprache hatte und die gebildeten Araber das Syro-Aramäische (schriftlich und mündlich) beherrschten, ist es plausibel, dass die Begründer der arabischen Schriftsprache das Syrische als Vorbild nahmen, was naturgemäß die neue Schriftsprache beeinflusste. Hier liegt das Schlüsselproblem für die spätere Lesart des Koran, das in erster Linie mit der „stenographischen“ bzw. „Defektivschrift“ der arabischen Sprache zusammenhängt. Es wird vermutet, dass die syroaramäische Kursivschrift der arabischen Schrift als Vorbild diente. 1 Hans-Peter Raddatz; Allahs Frauen – Djihad zwischen Scharia und Demokratie, Herbig Verlag, 2005, S. 30 Ed., S. 23. Christoph Luxemburg; Die Syro-Aramäische Lesart des Koran, Das Arabische Buch, Berlin 2000. S. 1-54. 4 Hans-Peter Raddatz; Allahs Frauen – Djihad zwischen Scharia und Demokratie, Herbig Verlag, 2005, S. 30. 2 3 1/5 Folgende Zusammenfassung soll die Hauptschwierigkeiten einer Koranexegese zeigen: - Es fehlt das endgültige Datum zur Fixierung der Koranlesung durch Einführung der diakritischen Punkte. - Der Prozess der Fixierung erstreckte sich über dreißig Jahre. - Es fehlen die frühen Koranexemplare. - Die Koranlesung wurde von der westarabischen Mundart zunächst in die syrische Schrift übertragen, später in die arabische Schrift umgeschrieben (übersetzt!). - Es gibt sieben widersprüchliche Lesarten des Koran, deren Konkurrenz später durch den Kalifen Utman ibn Affan zu Gunsten einer Lesart entschieden wurde. - Bei der Erstellung der kanonischen Fassung des Koran fehlen jegliche diakritischen Punkte und sonstige Vokalzeichen. Dies verursacht eine fiktionalisierte Lesart und die falsche Deutung durch die spätere klassischarabische Grammatik. - Der Koran besteht aus einer grammatischen Mischform von Arabisch und SyroAramäisch, da wohlgemerkt zur Entstehungszeit des Koran noch keine arabische Grammatik existierte. - Es fehlt ein wirklicher textus receptus mit gesicherten Lesezeichen. Daher findet man häufig Schachtelsätze, die einen Zusammenhang der beabsichtigten Botschaft nur schwer vermuten lassen. Deshalb lassen die Sätze Mehrdeutigkeit zu. - Die Suren sind nur mangelhaft in eine systematische oder chronologische Ordnung gebracht. - Es herrscht mangelnde Kenntnis über die Herkunft der Wörter des Koran. Dies liegt daran, dass Forschung darüber aus religiösen Gründen verboten ist. In der islamischen Tradition glaubt man – auch heute noch –, dass die Koransprache eine himmlische Sprache sei, weshalb die Menschen sie letztendlich nicht verstehen können. Für Muslime ist der Koran ein „idschaz“ (Wunder, s. Sure 2:23, 10:38, 11:13) und unnachahmlich. Wer versucht, die Sprache des Koran gründlich zu untersuchen und ihr das Himmlische abzusprechen, ist ein „Gotteslästerer“ und 5 soll zum Tode verurteilt werden. Problemgruppe zwei: Meta-Deutungen des Menschen- und Gottesbildes – Ein Vergleich 1. Christentum, Jesus, Mensch: Göttlich-schöpferische Spiritualität verleiht Jesus menschliche Souveränität. Mensch, Gott und Natur sind eins, ewig, und begreifbar. Jesus 6 mit „weiblichen Mysterienelementen“ als Gottessohn bestätigt die Dreieinigkeit von Gott, Mensch und Geist. Der Mensch bekommt dadurch eine Mensch-Gott-Urteilskraft. Im Christentum braucht der Mensch den Glauben, um Gott in sich wiederzuerkennen, nämlich 5 Bsp. aus Deutschland u. a.: Der Verfasser des Buches „Die Syro-Aramäisch Lesart des Koran“ hat – vorsichtshalber - sein Buch, das zugleich seine Dissertation ist, unter Pseudonym herausgegeben. 6 Hans-Peter Raddatz; Allahs Frauen – Djihad zwischen Scharia und Demokratie, Herbig Verlag, 2005, S. 24. 2/5 seine schöpferische Kraft. Im Abendland werden die von Menschen geschaffenen Gesetze für den menschlich-göttlichen Frieden transzendiert und sie sind veränderbar. Kein Wunder, dass sich die Kunst der Musik, der Malerei und des Theaters im griechischen Kulturkontext so exzellent entwickeln konnte. 2. Islam, Muhammad, Mensch: Irdisch-schöpferische Vorstellungskraft verleiht Gott unerschütterliche Souveränität, der der Eine, Ewige und Unbegreifbare bleibt, vor dem der Mensch zum Diener reduziert wird. Der Mensch ist zu nichts fähig, deshalb braucht er Gottes Urteilskraft. Im Islam braucht der Mensch den Glauben, um Gott zu erreichen, weshalb alles „Irdische“ wie Nation, Volk, Land oder Heimat keinen Stellenwert hat. Im Morgenland werden die von Gott gegebenen Gesetze als Gottesfrieden verstanden. Die Menschen sind verpflichtet, sie ohne Widerspruch auszuführen. Sie sind ewig, unveränderbar und gelten für alle Zeiten. Kein Wunder, wenn der Islam die Entwicklung der Künste verhindert bzw. verbietet. Der Mensch darf sich nicht als Gott gleich sehen; das ist Gotteslästerung und wird bestraft. Die „Mimesis“, die Nachahmung der Natur (musikalisch und bildlich), ist verboten. Was bleibt, sind ornamentale Abstraktionen im beduinischen Kulturkontext. Ist der Islam nur Frieden oder...? Wenn auch bei der christlichen Kreuzzugsideologie das Sterben im Kampf als „Zeugnis“ für den Glauben begründet wird, sollte man das mit den „mertyros“ im Islam nicht vergleichen. Im Christentum wurden die Kreuzzüge direkt durch den Papst „religiös“ legitimiert, aber nicht durch Jesu Wort. Im Islam wird jedoch das Gotteswort (sprich: Muhammads Wort) im Koran bekundet. „Dschihad und „Shahada“ als zwei unverzichtbare Gebote sind Pflicht jedes Muslim… Je nach Zeit 7 und Umständen wird der „Dschihad“ in zwei Kategorien (klein/groß) und vier Stufen eingeteilt . 8 Allerhöchste Stufe ist der „Heilige Krieg“ (Der jihad des Schwertes) , der mit dem größten Opferstatus belohnt wird, nämlich der „Shahada“, mit der Garantie des ewigen Platzes im Paradies. Sollten dennoch die „mertyros“ im Islam mit denen im Christentum vergleichbar sein, dann stellen sich Fragen: warum existiert diese Vorstellung im 21. Jahrhundert immer noch, ja erlebt ihre Wiedergeburt, und warum hat dies ausgerechnet seit der iranischen Revolution von 9 1979 zugenommen? Die militarisierte Auslegung des Islam in Form von „Selbstmordattentaten“ ist auch nicht neu. Neu ist die zeitangepasste effiziente Strukturierung mit modernen Techniken. Streng genommen besitzt der Islam ein enormes Gewaltpotenzial. Ein „Heiliger Krieg“ oder „Heiliger Kampf“ kann und darf mit einer „Fatwa“ (Rechtsgutachten) begründet werden. Insofern es ist nicht falsch, den „Dschihad“ auch mit „Heiliger Krieg“ zu übersetzen. Die meisten Muslime wissen jedoch nicht, was alles im 7 8 9 Christine Schirrmacher; Der Islam – Geschichte, Lehre, Unterschied zum Christentum, Holzgerlingen, Bd. 1, S. 183. Ed. Die wichtigsten Ereignisse seit der iranisch-islamischen Revolution 1979: • Die Entstehung der Taliban (ab 1979), • die Entstehung der Terrorgruppen von Osama Bin Laden, der Hizbollah und der Hamas, • die Herrschaft der Taliban in Afghanistan (1995), • die Bürgerkriege in Algerien ab 1992, • die Kontrolle der Hisbollah im südlichen Libanon und im südlichen Beirut (1980 bis heute), • Terroranschläge in den USA (u. a. 11.09.), in Europa und andernorts, • Morde an Mitgliedern der iranischen Opposition und ihre Einschüchterung im Auftrag des islamischen Regimes, sogar Islamkritiker überall in der Welt, • Kriege u. a. in Afghanistan, Irak, Gaza, • schleichende Islamisierungstendenzen auch in Europa. 3/5 Koran steht und was dies terminologisch, philologisch oder fachlich bedeuten kann. Deshalb wenden sie sich immer an ihre vertrauten „marja-e-taghlid (Quelle der Nachahmung) oder berufen sich auf die „Fatwa“ (Rechtsgutachten) irgendeines „Großajatollah“ oder „Großmufti“, wohl wissend, dass es unzählige unterschiedliche „Fatwas“ gleichzeitig geben kann. 10 Es ist keine fachliche Rehabilitierung der arabischen Sprache, wenn Thorsten Gerald Schneiders vermutet, es gebe den Terminus „al-amaliya al-intihariya“ in der klassisch-arabischen Sprache nicht und er sei eine Neuzeiterscheinung bzw. Wortschöpfung der Hisbollah. Eines ist aber sicher, dass die Wörter „al-intihar“ (Selbstmord) und „al-amal“ (tun) in ihren philologischen Nuancen und Deklinationen keine neugeschaffenen Wörter sind. Es sind ein genuin arabisches Wörter. Sprachen sind dynamisch und können sich erweitern und der Zeit anpassen. Wichtiger wäre es sich zu fragen, aus welcher Motivation heraus die Hisbollah bzw. „Islamisten“ zu den Islamwurzeln zurück wollen, nämlich zurück zum Ursprung, zum „Modell von Medina“, und wie sie versuchen, das mit den heutigen Möglichkeiten zu erreichen. Dies zu fragen wäre interessanter, nicht aber die Vermutung einer Wortschöpfung mit willkürlich unsachlichem Konstruktionshintergrund. Die Hisbollah und auch andere Dchihadisten wie etwa „Al Qaida“ etc. intendieren mit der Kennzeichnung der Aktion als „al-amaliya al-intihariya“ nicht die Suizidoperation. Sie meinen wohl vielmehr damit “al-amaliya al-istishadiya“, die Operation der Zeugenschaft für den islamischen Glauben, denn sie tun es nicht aus Verzweifelung, sondern für den Glauben. Was jedoch Hamas, Hisbollah und den Iran in der Region verbindet, sind in erster Linie die gemeinsamen Feindbilder „Israel“ und „Zionismus“. In diesem Kampf gibt es grundlegend unterschiedliche Motive: Für den Iran und die Hisbollah wird die Besetzung „Al-Quds“ (nach dem arabischen Namen für Jerusalem) als heilige Pflicht gesehen, obwohl der Islam keine angeborene Verbindung zu Jerusalem hat und im Koran kein einziges Mal der Name dieser Stadt erwähnt ist. Für die Hamas kommt hinzu, „Palästina“ zurückerobern zu wollen. Die ersteren haben durch und durch religiös-ideologische Intentionen, die letzteren zusätzlich eine politisch-nationalistische Motivation. Im Vordergrund steht ein territorialer Anspruch der Hamas, bei dem man jedoch nie sicher sein kann: wenn sie ihr Ziel erreicht haben sollten, kehrt dann wieder Ruhe in dieser Region ein? Im Falle des Iran, solange er von der Ideologie des „Chomeinismus“ dominiert wird, ist eines gewiss: auch ohne die Existenz des Staates Israel bleibt sein Anspruch auf die weltweite Islamexpansion bestehen, bis die Welt-“Umma“ gebildet ist. Jeder der Beteiligten braucht die Unterstützung und Mobilisierung durch die anderen. Diese zu erreichen, konstruieren sie religiös legitimierte Instrumente. Dafür gibt es im Koran genügend Auslegungsspielräume und Fantasievariationen, die in Form von Fatwas (Rechtsgutachten) der muslimischen „Umma“ vorgekaut werden. Die Kampfmethoden und -Instrumente passen sich der Zeit an: während zu Muhammads Zeiten mit „Schwert“ und „Pferd“ gegen „Ungläubige“ gekämpft wird, besitzen sie heute Bomben(-Gürtel), so genannte selbst gebastelte „Qassam-Raketen“, Flugzeuge und bald vielleicht auch Atombomben… 11 Sabine Damir Geilsdorf behauptet , dass in der islamischen Geschichte das islamische Martyrium und die damit verbundenen Paradiesverheißungen kaum eine Rolle spielen, um breite Massen für den „Dschihad“ zu mobilisieren. Ihre Behauptung, dass dies ein modernes Phänomen sei, sollte man hier widersprechen. In den Anfangsphasen der Islamverbreitung waren die Nachfolger Muhammads zunächst mit sich und ihren territorialen Ansprüchen beschäftigt, und abgesehen von 10 Thorsten Gerald Schneiders; Heute sprenge ich mich in die Luft – Suizidanschläge im israelisch-palästinensischen Konflikt, Berlin 2006, S. 37. 11 Sabine Damir Geilsdorf; Über die Entwicklung der modernen Selbstmordattentate im Vergleich zu parallelen Erscheinungen, S. 7f. 4/5 praktischen geopolitischen Hintergründen sah man keine Notwendigkeit einer breiteren Mobilisierung der „Umma“, zumal die gesamte Region einschließlich des riesigen Gebietes von 12 Spanien und dem Senegal bis nach Indien, vom Tschad-See bis zum Kaukasus und Hindukusch in überschaubarer Zeit (635-750) islamisiert wurde. Neu ist allerdings, dass sie allmählich wach wurden, dass die „Islamiten“ sich vom Westen bedroht fühlten. Sie glauben, dass die westliche Kultur die „Umma“ beeinflusst. Das zu verhindern, scheint es für sie keinen anderen Weg zu geben als die Rückbesinnung auf die Scharia. Dafür bedienen sie sich der medinensischen Suren aus dem Koran, die ihnen den „Dschihad“ als etwas wie den „gerechten Krieg“ (bellum iustum) legitimieren. Für ihre Mobilisierungsmethoden holen sie sich Rat von den „Hadith“ und der „Sunna“. Das Märtyrertum der Gegenwart wurde nicht allein vom Iran aus in den Libanon exportiert, sondern fand seine legitimative Ausweitung durch Chomeini. Er brachte es so weit, dass Märtyreroperationen nicht nur gegen westliche Ungläubige (die USA, Israel, etc.) ausgeführt werden, sondern auch gegen diejenigen Muslime und islamischen Staaten, die mit dem Westen kooperieren oder die Islamdoktrin ablehnen. Sie werden ebenfalls als Abtrünnige bekämpft. So ist Irans Repression gegen das eigene Volk oder Irans ideologische Agitation gegen Saudi-Arabien und die Sunniten andernorts genau so zu sehen wie bei der Hamas, die ihre Abtrünnigen brutal liquidiert. Nun scheint es, als ob auch Muslime – wenn auch nicht sehr laut – sich zu fragen beginnen, wer der wahre Muslim ist und was der Islam überhaupt ist. Wer ist berechtigt, dies zu beantworten, die Sunniten oder die Schiiten? Eine nicht zu unterschätzende Entwicklung… Wann wird der „Dialog“ beginnen und mit wem? Was ist nun der Sinn eines Dialogs? Freilich kann man manche Gemeinsamkeiten finden; reicht das, sich nur auf diese zu berufen? Aber streiten wir denn über die Gemeinsamkeiten? Bei Gemeinsamkeiten trinkt man ruhig eine Tasse Tee, ein Glas Bier oder ein Glas Wein, dann geht man friedlich nach Hause. Liegt das Problem nicht gerade in den Differenzen? Dialog heißt eben, über die Differenzen zu sprechen, damit Lösungswege gefunden werden. Was jedoch z. Z. auf der weltpolitischen Bildungsbühne gespielt wird, ist kein Dialog, sondern die gegenseitige Bestätigung im Rahmen eines metaphysisch geschlossenen Glaubenskodexes. Dialog heisst kontroverse Debatte auf der Ebene einer neutralen, universellen Gültigkeit, die den Streit, den Widerspruch und die Kritik zulässt und es erlaubt, die Differenzen unverhüllt und ohne Angst vor Morddrohungen zu benennen. Denn der Mensch ist viel mehr als nur Träger eines Glaubens. Der Mensch existiert schon vor jedweden Glaubenskonstruktionen. Er besitzt Vernunft, und seine Würde ist unantastbar! Bedauerlicherweise ist der Islam mit seinen heiligen Gesetzen der „Schariia“ noch Jahrtausende davon entfernt… Das ist das Tragische! Darüber muss man reden: Ist der Islam heute mit den universellen Menschenrechten – nicht nur als Codex moralischer Würde – kompatibel? Wenn nicht, was dann? Zusammengefasst: Der Islam ist nicht nur Frieden, sondern eben auch „Dschihad“ (heiliger Krieg), der Opferbereitschaft von seiner „Umma“ verlangt. Und wenn es um die Rettung des Islamglaubens geht, wird jedes Vorgehen, jede Methode fachlich, terminologisch, philologisch und religiös exemplifiziert und legitimiert! Solange sich die Muslime vom „Koran“ nicht emanzipiert haben, wie christliche oder jüdische Lebensewelten sich von der Bibel emanzipiert haben, bleibt jeder vernünftige Dialog ergebnislos. Ich stimme voll mit dem Nahostwissenschaftler Michael 12 Egon Flaig; Weltgeschichte der Sklaverei, C.H.Beck Verlag, 2009, S.83f. 5/5 Kreutz überein, wenn er sagt: „Selbst wenn also Übereinstimmung darüber herrschen würde, dass der Koran ein Buch ist, das zu terroristischen Akten aufruft, so würde es noch lange nicht erklären, warum Menschen diesem Aufruf folgen. Lasst doch im Koran stehen, was will. Entscheidend ist, dass sich die Menschen nicht zu dessen Sklaven machen. Darum glaube ich auch nicht, dass ein Reformislam die Lösung ist. In Europa hat man gelernt, dass man alles in der Bibel hinterfragen darf. Dadurch hat man die Bibel nicht aus der Welt geschafft, aber ihr den Status der unbedingten Autorität in allen gesellschaftlichen und politischen Dingen genommen. Man kann mit der Bibel argumentieren, man kann sich ihr aber auch verweigern. Eine vergleichbare Entwicklung ist in der 13 islamischen Welt bis heute ausgeblieben.“ © nasrin amirsedghi 10315 Berlin, den 01. August 2010 Zur Autorin Nasrin Amirsedghi ist eine in Mainz lebende deutsch-persische Publizistin. 13 Michael Kreutz; Arabischer Humanismus in der Neuzeit, LIT Verlag, 2007, S. 114f. 6/5