Wertorientierungen und ideologische Einstellungen Kai Arzheimer/Tatjana Rudi 1. Einleitung Wie schon 2002 hat der Osten auch 2005 die Wahl entschieden – zumindest wenn man das westdeutsche Wahlverhalten als Maßstab heranzieht (Schoen/Abold 2006: 128). Damit zeigte der Ausgang der Bundestagswahl 2005 einmal mehr, dass die Wähler in Ost- und Westdeutschland ihre Stimmen unterschiedlichen Parteien geben. Unterschiedliches Wahlverhalten Ost- und Westdeutscher ist also keine einmalige Erscheinung. Stattdessen besitzen Erklärungen für das unterschiedliche Stimmverhalten die Chance zu „Dauerbrennern“ in der empirischen Wahlforschung zu avancieren. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass sich Ost- und Westdeutsche nicht nur in ihrem Wahlverhalten, sondern auch in ihren ideologischen Orientierungen und Wertvorstellungen unterscheiden. Beispielsweise gelten Ostdeutsche als materialistischer, gleichzeitig präferieren sie stärker eine demokratisch-sozialistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung (Fuchs 1997; Jagodzinski/Kühnel 1997). Diese Parallelität der Unterschiede in den Einstellungen und Verhaltensweisen drängt die Frage auf, ob es einen Zusammenhang zwischen längerfristig stabilen Dispositionen – wie ideologische Bitte beachten Sie: dies ist ein Preprint Einstellungen und Wertorientierungen – und dem Wahlverhalten in Deutschland (Manuskript). Der endgültige Text gibt. Wäre dies der Fall, so wäre aufgrund der Persistenz von ideologischen erscheint in Hans Rattinger, Oscar W. Einstellungen und Wertorientierungen noch längere Zeit mit einem unterschiedlichen Gabriel und Jürgen W. Falter (Hrsg.): Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland Der gesamtdeutsche Wähler. Stabilität zu rechnen. Dies dürfte von nicht unerheblicher politischer Relevanz sein. und Wandel des Wählerverhaltens im Um diese Frage zu beantworten, werden zunächst die Konzepte Wert­ wiedervereinigten Deutschland, Badenorientierungen und ideologische Einstellungen skizziert. Hieran schließt sich Baden: Nomos, 2007: 167-187 die Formulierung von (deskriptiven) Kai Arzheimer's list of publications Hypothesen an. Es wird im Einzelnen untersucht, ob es einen Unterschied in der Kai Arzheimer's homepage Stärke des Zusammenhangs zwischen diesen langfristigen Faktoren und dem Wahlverhalten in den alten und neuen Bundesländern gibt, welche Zusammenhänge zwischen spezifischen Wertorientierungen und bestimmten Parteien existieren und 2 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi ob sich diese Zusammenhänge zwischen 1992 und 2005 verändert haben. Hieran schließt sich die Darstellung der Daten und Methoden an, bevor abschließend die Hypothesen empirisch getestet werden. Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 2. 3 Konzeptionelle und theoretische Vorüberlegungen 2.1 Zentrale Konzepte Werte bzw. Wertorientierungen und Ideologien zählen zu den wichtigsten Konzepten der politischen Kultur, wenn nicht sogar der Sozialforschung überhaupt. Allerdings ist dabei nicht immer vollständig klar, was überhaupt unter diesen Begriffen verstanden werden soll. Dessen ungeachtet hat sich in der empirischen Werteforschung ein recht einfach nachvollziehbares Verständnis davon, was unter Werten verstanden werden soll, durchgesetzt (Maag 1991: 21-29). Nach dieser Vor­ stellung sind Werte „Konzeptionen des Wünschenswerten“ (Kluckhohn 1951: 395), d.h. normative Maßstäbe, anhand derer die gesellschaftliche Wirklichkeit beurteilt werden kann. Werte sind damit zunächst rein kulturelle Objekte. Innerhalb moderner Gesellschaften lassen sich darüber hinaus persönliche Werte von solchen Werten unterscheiden, die eine Idealvorstellung für eine ganze Gesellschaft formulieren. Letztere werden als gesellschaftliche oder gesellschaftspolitische Werte bezeichnet und stehen im Zentrum dieses Beitrags. Die bloße Existenz von Werten auf der kulturellen Ebene kann das politische Handeln der Individuen und damit auch das Wahlverhalten jedoch nicht direkt beeinflussen (grundlegend zu diesen Fragen: Brody et al. 1996). Gerade für moderne Gesellschaften ist es vielmehr charakteristisch, dass ihre Kultur eine Vielzahl von Werten beinhaltet, die häufig im Widerspruch zueinander stehen und von unter­ schiedlichen Gruppen in unterschiedlichem Umfang akzeptiert werden. Deshalb ist es unabdingbar, klar zwischen Werten als kulturellen Objekten einerseits und den individuellen Einstellungen gegenüber diesen Werten andererseits zu unterscheiden. Letztere werden als Wertorientierungen bezeichnet und können in Bevölkerungs­ umfragen mit geeigneten Instrumenten erfasst werden. Politische Einstellungen existieren in den Köpfen der Bürger nicht einfach nebeneinander, sondern bilden ein – wenn auch unter Umständen widersprüchliches und nur rudimentär strukturiertes – System, das in Anlehnung an Converse (1964) als Überzeugungssystem („Belief System“) bezeichnet werden kann. Innerhalb solcher individueller Überzeugungssysteme nehmen Wertorientierungen aufgrund zweier Eigenschaften eine Sonderstellung ein: Erstens gelten Wertorientierungen als sehr stabil. Während objektspezifische Einstellungen sich relativ rasch wandeln können, gehen viele Sozialwissenschaftler davon aus, dass Wertorientierungen unter normalen Umständen ein Leben lang beibehalten werden, nachdem sie einmal er­ worben („internalisiert“) wurden. Zweitens zeichnen sich Wertorientierungen dadurch aus, dass sie den ge­ wöhnlichen Einstellungen konzeptuell und auch faktisch übergeordnet sind und diese strukturieren, indem sie als Maßstab zur Beurteilung bis dahin unbekannter Objekte dienen. Einer Vielzahl von Einstellungen gegenüber konkreten Objekten wie Parteien, Kandidaten oder Politikentwürfen steht deshalb eine geringe Zahl von eher abstrakten Wertorientierungen gegenüber (vgl. u.a. van Deth/Scarbrough 1995: 41). Wertorientierungen sind deshalb im Sinne von Converse (1964: 208) zentrale Einstellungen. Zentralität im Sinne dieses klassischen Verständnisses bedeutet, dass neue Einstellungen, die sich auf Grund von neuen Erfahrungen mit bis dahin unbe­ 4 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi kannten Objekten herausbilden und den eigenen Wertorientierungen widersprechen, in der Tendenz so umgeformt werden, dass der Widerspruch aufgehoben wird. Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass Wertorientierungen auch im klassischen Ann-Arbor-Modell (Campbell et al. 1960) als langfristige Determinante des Wahlverhaltens eine wichtige Rolle spielen. In der Forschungspraxis wurde die potentielle Bedeutung von Werten bzw. Wertorientierungen für das Wahlverhalten jedoch lange Zeit kaum gewürdigt. Dies änderte sich erst seit Ende der 1970er Jahre, als es durch die lebhafte Debatte um die Arbeiten von Ronald Inglehart (Inglehart 1971, 1977, 1997) zu einer Renaissance der Werteforschung kam und zugleich in vielen westeuropäischen Ländern grüne bzw. links-libertäre Parteien entstanden, die für sich in Anspruch nahmen, die neuen, von Inglehart als „postmaterialistisch“ bezeichneten Werte zu repräsentieren. Zumindest für die alte Bundesrepublik zeigte sich tatsächlich sehr rasch, dass das als „Inglehart-Index“ bekannt gewordene Instrument trotz aller Diskussionen über seine Validität und die Gültigkeit der Inglehartschen Wertewandeltheorie (zusammenfassend hierzu: Bürklin et al. 1996) ein hervorragender Prädiktor für die Wahl der Grünen war. Eng mit den Wertorientierungen verwandt sind ideologische Einstellungen. Diese dürfen nicht mit den „großen“ Ideologien wie Liberalismus, Kommunismus oder Anarchismus gleichgesetzt werden, die oft auf komplexen philosophischen Systemen beruhen, sondern beziehen sich in einem neutralen Sinne auf die häufig wenig elaborierten und reflektierten Systeme von generalisierten politischen Über­ zeugungen, die jeder Bürger im Laufe seines Lebens erwirbt (klassisch hierzu: Campbell et al. 1960: 192; zusammenfassend hierzu: Freeden 2001; Thompson 2001). In Anlehnung an Downs (1957) können Ideologien deshalb als „Super-Issues“ aufgefaßt werden, die die Haltung gegenüber einer ganzen Reihe konkreterer politischer Fragen vorstrukturieren. Zu den wichtigsten Elementen ideologischen Denkens gehört in Westeuropa die Links-Rechts-Dimension. Diese lässt sich ihrer­ seits wieder in (mindestens) zwei Unterdimensionen aufspalten: Die ökonomische Links-Rechts-Achse, auf die sich Downs bezieht, dient zur Beschreibung von wirtschaftspolitischen Idealvorstellungen und wird durch die Extrempole „kein Privateigentum an Produktionsmitteln“ und „reine Marktwirtschaft ohne Staats­ interventionen“ aufgespannt. Die gesellschaftspolitische Links-Rechts-Achse hin­ gegen bezieht sich auf die inhaltlich heterogeneren Fragen, nach welchem Modus gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen getroffen werden, welchen Gruppen Bürgerrechte zugesprochen werden und wie weit der Staat in das Privat­ leben der Bürger eingreifen darf. Ihre Endpole werden oft mit den Schlagworten „autoritär“ und „libertär“ bezeichnet (siehe dazu z.B.: Kitschelt 1994: 8-12: ähnlich bereits: Flanagan 1982). Eine ganze Reihe von international vergleichenden Studien zum politischen Wettbewerbsraum zeigen, dass sich mit Hilfe dieser geringen Zahl von ideologischen Dimensionen die große Mehrzahl der relevanten politischen Streitfragen und Konzepte, über die in den Staaten Westeuropas diskutiert wird, sinnvoll einordnen lässt (siehe zuletzt: Warwick 2002). Auf der Ebene der individuellen Überzeugungssysteme stellen ideologische Einstellungen das empirische Korrelat zu den (Ideal-)Punkten im politischen Wett­ bewerbsraum dar. Ähnlich wie bei den Wertorientierungen handelt es sich auch hier Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 5 um zentrale Einstellungen, die relativ resistent gegen Veränderungen sind und deshalb als langfristig stabile Determinante des Wahlverhaltens zu betrachten sind. 2.2 Hypothesen über den Einfluss ideologischer Orientierungen und Werteinstellungen auf das Wahlverhalten Nachdem im letzten Abschnitte die Konzepte „Wertorientierungen“ und „ideologische Einstellung“ vorgestellt wurden, steht im Zentrum dieses Abschnitts die Formulierung von (deskriptiven) Hypothesen über den Einfluss von Wertorientierungen und ideologischen Orientierungen auf das Wahlverhalten. Zuvor muss jedoch geklärt werden, welche Wertorientierungen und ideo­ logischen Orientierungen betrachtet werden sollen. Hier bietet es sich an, sowohl Orientierungen zu betrachten, die in der allgemeinen Einstellungsforschung eine zentrale Rolle spielen als auch Orientierungen, die sich als spezifisch für die OstWest-Differenz erwiesen haben. Vor dem Hintergrund verfügbarer Daten für den uns interessierenden Zeitraum wird daher das Augenmerk auf postmaterialistische bzw. materialistische Werteinstellungen, auf die Links-Rechts-Orientierungen als generalisiertes ideologische Maß und auf die Haltung der Befragten zur Idee des Sozialismus gerichtet. Erstere ziehen seit nunmehr 30 Jahren unverändert den Blick auf sich – auch wenn der von Ingelhart (1971, 1977, 1997) prognostizierte Werte­ wandel weg von materialistischen Einstellungen hin zu postmaterialistischen Ein­ stellungen in dieser Form in etablierten Demokratien nicht eingetreten ist. Immerhin scheint der Anteil postmaterialistisch eingestellter Bürger im Westen etwas höher als im Osten zu sein (Jagodzinski/Kühnel 1997: 456). Unabhängig hiervon haben sich diese Orientierungen als durchaus einflussreich für die individuelle Wahl­ entscheidung erwiesen (Knutsen 1996; Elff 2005). Die Links-Rechts-Dimension ist, wie bereits dargestellt, das wichtigste generalisierte Maß für die ideologische Position in Westeuropa und wurde auch erfolgreich zur Erklärung des Wahl­ verhaltens eingesetzt (Knutsen 1996; Jagodzinki/Kühnel 1997). Bisherige Studien deuten darauf hin, dass sich Ostdeutsche weiter links positionieren als West­ deutsche. Zusätzlich haben zahlreiche Studien gezeigt, dass sich Ost- und Westdeutsche nicht nur in ihrer generalisierten ideologischen Orientierung unter­ scheiden, sondern vor allem auch in ihrer Haltung zur Idee des Sozialismus. Während ostdeutsche Bürger mehrheitlich der Idee des Sozialismus positiv gegenüberstehen und das Modell des demokratischen Sozialismus befürworten, präferieren Westdeutsche eher das im Grundgesetz implementierte Konzept einer liberalen Demokratie (Fuchs 1997). Das Modell des demokratischen Sozialismus kann als eine „Radikalisierung des liberalen Modells angesehen werden“ (Fuchs 1997: 89), in der der Staat weitaus stärker in die wirtschaftlichen und gesellschaft­ lichen Prozesse eingreift (Fuchs 1997: 89). Allerdings steht zu erwarten, dass stets auch die – teils auf eigenen Erfahrungen basierende – Bewertung des unterge­ gangenen DDR-Regimes in die Beurteilung dieser abstrakten Idee einfließt. Schließlich wird diesen unterschiedlichen Orientierungen zur Wirtschafts- und Sozialordnung auch ein Effekt auf die Wahlentscheidung nachgesagt (Arzheimer/Falter 2005). 6 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi Welche Unterschiede in den Zusammenhängen zwischen ideologischer Ein­ stellung und Wertorientierungen auf der einen Seite und Wahlentscheidung auf der anderen Seite erwarten wir nun zwischen den neuen und alten Bundesländern? Als einen ersten Unterschied erwarten wir, dass die eigene generalisierte ideologische Orientierung für die Wahlentscheidung von Westdeutschen von etwas größerer Relevanz sein sollte. Denn die Verwendung der Links-Rechts-Skala als Maß für die eigene und für die ideologische Orientierung der Parteien setzt erstens Vertrautheit mit der Skala voraus. Die Bürger müssen in der Lage sein, sowohl ihre eigene Position als auch die der Parteien auf der Skala einschätzen zu können. Diese Vor­ aussetzung sollte für westdeutsche Bürger eher gegeben sein. Zweitens erfordert ein Rückgriff auf die Links-Rechts-Skala, dass die mit der Links-Rechts-Skala assoziierten Inhalte auch bedeutsam für die eigene Wahlentscheidung sind. Da die Links-Rechts-Skala die Konflikte etablierter Demokratien widerspiegelt, sollte sie auch von höherer Relevanz für Westdeutsche sein. Allerdings verfügten Ost- und Westdeutschland bis zum Ende der 1940er Jahre über ein gemeinsames Parteiensystem, an das zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung angeknüpft werden konnte. Zudem spielte der Konflikt zwischen Links und Rechts in der allgegenwärtigen Propaganda der SED eine zentrale Rolle, und die DDRBürger waren u.a. durch das Fernsehen mit den politischen Vorgängen in der alten Bundesrepublik wohl vertraut. Deshalb sollten die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen nicht allzu dramatisch ausfallen. Im Gegenzug ist zu erwarten, dass diese „Lücke“ in Ostdeutschland durch den stärkeren Einfluss von pro-sozialistischen Orientierungen auf die Wahlentscheidung geschlossen werden kann. Da das von den Westdeutschen mehrheitlich präferierte Modell der Demokratie in der Realität verwirklicht ist und somit eine Kongruenz von Struktur und Kultur vorliegt, erwarten wir hier keinen Effekt auf die Wahl­ entscheidung. Anders sieht die Situation in Ostdeutschland aus: Das von den Ost­ deutschen mehrheitlich präferierte Modell des demokratischen Sozialismus ist in der Bundesrepublik nicht etabliert, daher ist damit zu rechnen, dass diese Orientierungen eine Rolle für die Wahlentscheidung ostdeutscher Bürger spielen. Letzteres setzt aber voraus, dass es bei der Wahl Parteialternativen gibt, die nicht ein liberales Modell, sondern ein alternatives Modell der Demokratie unterstützen. Anderenfalls könnte sich die Unzufriedenheit mit dem etablierten Demokratiemodell allenfalls in einer Wahlenthaltung, nicht aber in der gewählten Wahlalternative äußern. Genau diese Voraussetzung ist durch die Existenz der PDS gegeben. Von Wertorientierungen im Sinne des Postmaterialismus-Konzeptes erwarten wir keine unterschiedlichen Effekte auf das Wahlverhalten in Ost- und West­ deutschland. Zwar sind postmaterialistische Orientierungen in Ostdeutschland weniger verbreitet, nichtsdestotrotz gibt es keinen theoretischen Grund anzunehmen, dass postmaterialistische Werteinstellungen im Osten – wenn sie einmal vorhanden sind – stärker oder schwächer auf die Wahlentscheidung wirken sollten als im Westen. Die bisherige Argumentation deutete bereits an, dass bestimmte Orientierungen bestimmte Parteien begünstigen. So ist zu erwarten, dass eine Präferenz für eine Wirtschafts- und Sozialordnung nach dem Modell des demokratischen Sozialismus die Wahl der PDS bzw. der Linkspartei begünstigt, da die PDS das momentan Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 7 etablierte Demokratiemodell ablehnt. Zusätzlich sollten diese Einstellungen einen negativen Effekt auf die Wahl der CDU/CSU und der FDP haben und eher indifferent gegenüber der Wahl der SPD und der Partei Bündnis90/Die Grünen sein. Hinter diesen Vermutungen steht die Überlegung, dass die Bürger die SPD und Bündnis90/Die Grünen klar mit einem liberalen Modell der Demokratie verbinden und damit geringere Unterschiede zur eigenen Position erwarten als bei der CDU/CSU und der FDP, bei denen es möglicherweise auch Sympathien für ein stärker libertäres Modell der Demokratie gibt. Im Westen erwarten wir hier kaum Effekte, da wir ja angenommen haben, dass diese Variable von geringer Relevanz für das Wahlverhalten westdeutscher Bürger ist. Das Vorhandensein postmaterialistischer Einstellungen sollte in erster Linie eine Wahlentscheidung zugunsten Bündnis90/Die Grünen erleichtern. Führt man sich die Schwäche von Bündnis90/Die Grünen in Ostdeutschland vor Augen, so könnte man dort zusätzlich einen leichten positiven Effekt auf die PDS erwarten. Demgegenüber sollte die Wahl bürgerlicher Parteien durch diese Orientierungen eher behindert werden. Bei der SPD ist mit keinen bzw. mit leichten positiven Effekten zu rechnen, da sie postmaterialistische Elemente in ihr Programm aufge­ nommen hat (Knutsen 1996). Etwas anders sieht die Argumentation bei der ideologischen Orientierung aus. Bürger, die sich ideologisch eher links einstufen, sollten eine aus ihrer Sicht eher links stehende Partei wählen. Entsprechend ist zu erwarten, dass Bürger mit zentristischen bzw. rechten Positionen eher – aus ihrer Sicht – zentristische bzw. rechte Parteien wählen. Da wir nicht nur einen Zeitpunkt betrachten, sondern alle Bundestagwahlen, die im Zeitraum von 1994 bis 2005 stattfanden, ist abschließend noch zu klären, ob wir Effekte über die Zeit erwarten. Alles in allem erwarten wir kaum Unterschiede in den Zusammenhängen über die Zeit.1 Bei den von uns betrachteten Variablen handelt es sich nämlich um langfristig relativ stabile Einstellungen, denen im be­ trachteten Zeitraum eine relativ konstante Angebotsseite gegenübersteht.2 3. Daten und Methoden Unsere Analysen stützen sich für die Wahlen 1994-2002 auf die Querschnittsdaten aus dem DFG-Projekt „Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland“, das unter der Leitung von Jürgen W. Falter, Oscar W. Gabriel und Hans Rattinger stand. Die Daten wurden in mündlichpersönlichen Interviews einige Wochen vor und nach der jeweiligen Wahl erhoben (ZA-Nr. 3064, 3861). Für die Wahl 2005 verwenden wir Daten aus dem DFGProjekt „Bürger und Parteien in einer veränderten Welt“ unter Leitung von Steffen Kühnel, Oskar Niedermayer und Bettina Westle (ZA-Nr. 4332). Sie stammen eben­ 1 2 Denkbar wäre aber, dass im Laufe der Zeit die ideologische Orientierung an Bedeutung für das Wahlverhalten Ostdeutscher gewinnt, weil deren Vertrautheit mit dem Links-Rechts-Schema wächst. Allenfalls könnte man sich vorstellen, dass eine skeptische Haltung gegenüber dem etablierten Demokratiemodell in der Bundesrepublik die Wahl der Linkspartei bei der Bundestagswahl 2005 auch im Westen gefördert hat. Leider liegen hierzu, wie in Abschnitt 3 noch ausführlich dargestellt wird, keine Daten zur Überprüfung vor. 8 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi falls aus einer mündlichen Befragung, wurden jedoch nur nach der Bundestagswahl 2005 erhoben. Für die Zwecke der Analyse unterscheiden wir nicht zwischen Wahl­ rückerinnerung und Wahlabsicht, sondern fassen beide zu einer Variablen „Wahlverhalten“ zusammen. Diese Variable wird zunächst dichotomisiert, um separat die Wirkung von Wertorientierungen auf das Wahlverhalten zugunsten der Grünen (1) im Unterschied zu allen übrigen Wahlentscheidungen einschließlich der Nichtwahl (0) zu untersuchen. Für die Analysen im zweiten Teil von Abschnitt 4 verwenden wir eine stärker differenzierte Variante der Variablen. Als Referenz­ gruppe betrachten wir hier die Nichtwahl (1), mit der wir die Wahlentscheidung zugunsten von Union, SPD, FDP, Bündnis90/Die Grünen, PDS oder einer sonstigen Partei kontrastieren. Zur Messung von Wertorientierungen wird die deutsche Version des InglehartInstrumentes (Vier-Item-Version) verwendet. Um die Interpretation zu erleichtern, betrachten wir die Materialisten als Referenzgruppe. Mischtypen und Post­ materialisten werden durch jeweils eine Dummy-Variable repräsentiert. Bedauerlicherweise ist das Inglehart-Instrument im Frageprogramm der Wahlstudie 2005 nicht mehr enthalten, so dass für dieses Jahr keine Modelle geschätzte werden können, in denen Wertorientierungen enthalten sind. Dies gilt sinngemäß auch für die Beurteilung des Sozialismus als Staatsidee, die nur 1994-2002 erhoben wurde. Als Instrument wurde dabei ein Einzel-Item („Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bisher nur schlecht ausgeführt wurde.“) mit den Antwortvorgaben „stimme überhaupt nicht zu“ (1) bis „stimme voll und ganz zu“ (5) verwendet. Die ideo­ logische Selbsteinstufung schließlich wurde mit einem Standardinstrument vorge­ nommen: „In der Politik reden die Leute häufig von ‚Links’ und ‚Rechts’. Wenn Sie diese Skala von 1 bis 11 benutzen, wo würden Sie sich selbst einordnen, wenn 1 links und 11 rechts ist?“. Als zusätzliche Kontrollvariablen wurden außerdem das Geschlecht (männlich=1, weiblich=0), die formale Bildung (0=niedrig, 1=mittel, 2=hoch) und das Lebensalter (18-29 Jahre, 30-45 Jahre, 46-65 Jahre, älter als 65 Jahre) in die Modelle mit einbezogen. Dabei stellen die mehr als 65 Jahre alten Befragten die Referenzgruppe dar; die drei übrigen Kategorien werden durch jeweils eine Dummy-Variable repräsentiert. 4. Empirische Ergebnisse Vor dem Einstieg in die eigentliche Analyse der Wirkung von Wertorientierungen und ideologischen Einstellungen auf das Wahlverhalten sollte sinnvollerweise zunächst untersucht werden, ob und wie sich die Verteilung dieser unabhängigen Variablen in den beiden deutschen Teilgesellschaften unterscheidet bzw. ob eine Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschen zu erkennen ist. Abbildung 1 zeigt deshalb zunächst den Anteil der zwei von Inglehart beschriebenen reinen Wertetypen an den Befragten im Zeitverlauf. Das Bild, das sich dabei ergibt, ist durchaus widersprüchlich: Zwischen 1994 und 2002 – im Frageprogramm der Wahlstudie 2005 war der Inglehart-Index leider nicht enthalten – steigt der Anteil der Postmaterialisten in den neuen Ländern erkennbar an. Infolge­ Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 9 dessen verkleinert sich bezüglich dieses Merkmals der Abstand zwischen Ost- und Westdeutschen. Zugleich steigt aber entgegen der Inglehartschen Theorien in beiden Teilen des Landes der Anteil der Materialisten (was möglicherweise durch die schlechte Wirtschaftslage zu erklären ist), und zwar in den neuen Ländern etwas schneller als in den alten, so dass hier die Kluft zwischen Ost und West wächst, statt sich zu schließen. 0 Anteil Postmaterialisten 10 20 30 40 Abbildung 1: Der Anteil von Materialisten und Postmaterialisten an den Wahlberechtigten, 1994-2002 west ost west ost west 1998 ost 2002 0 Anteil Materialisten 10 20 30 40 1994 west ost 1994 west ost 1998 west ost 2002 Ähnlich gelagert sind die Verhältnisse bei den ideologischen Einstellungen. Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, kam es zwischen den Bundestagswahlen von 1994 und 1998 in beiden Regionen zu einer moderaten und annähernd parallelen Verschie­ bung nach links, die bis 2002 durch eine ebenso parallele Gegenbewegung nur teil­ weise ausgeglichen wurde. Zwischen 2002 und 2005 hingegen vergrößerte sich der Abstand zwischen Ost und West erheblich: Während der mittlere Links-Rechts-Wert in den alten Ländern fast unverändert blieb, rückten die Bürger in den neuen Ländern im Mittel um etwa einen halben Skalenpunkt nach links. Es liegt nahe, diese Polarisierung auf die Kontroversen um die von der letzten Regierung Schröder initiierte Debatte um die Zukunft des Sozialstaates sowie auf die anhaltend schlechte Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt zurückzuführen. Ohne weitere Informa­ tionen müssen diese Überlegungen allerdings im Bereich des Spekulativen verbleiben. 10 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi 4.5 5 LRS 5.5 6 Abbildung 2: Der mittlere Links-Rechts-Wert in der Bundesrepublik, 1994-2005 1995 2000 Jahr West 2005 Ost 2.5 Pro-Sozialismus 3 3.5 4 Abbildung 3: Die mittlere Zustimmung zur Idee des Sozialismus in der Bundesrepublik, 1994-2002 1994 1996 1998 Jahr West 2000 Ost 2002 Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 11 Die Entwicklung der Einstellungen zur Idee des Sozialismus lassen sich leider wiederum nur bis 2002 nachvollziehen, weil das entsprechende Item 2005 nicht mehr erhoben wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt ist in beiden Landesteilen lediglich ein marginaler Rückgang der Zustimmung zu erkennen. Nach wie vor befürwortet eine knappe Mehrheit der Ostdeutschen grundsätzlich eine sozialistische Ordnung, während eine vergleichbar große Gruppe von Westdeutschen den Sozialismus auch als abstrakte Idee ablehnt, wie die in der Grafik abgetragenen Mittelwerte zeigen. Bei Licht betrachet ist damit auch im Westen die Zustimmung zum Sozialismus erstaunlich hoch. Umso drängender stellt sich die Frage nach der politischen Rele­ vanz dieser abstrakten Unterstützung für eine alternative Ordnung. Tabelle 1: Die Wirkung von Wertorientierungen auf die Wahl von Bündnis90/Die Grünen, 1994-2002 Männlich Schulabschluss 18-29 Jahre 30-45 Jahre 46-65 Jahre Mischtypen Postmaterialisten Konstante N McFadden’s R2 1994 -0,46b 0,47c 4,13b 3,95b 2,86a 0,87a 1,93c -6,97c 1597 0,20 Westdeutschland 1998 2002 -0,02 -0,12 0,96c 0,82c 1,62c 0,39 1,03a 0,55 0,22 0,23 a 0,81 0,42 1,99c 0,96c -5,23c -3,85c 1774 1680 0,22 0,10 1994 -0,01 0,37 3,06a 2,59a 1,98 0,47 1,33b -6,46c 1623 0,09 Ostdeutschland 1998 2002 -0,10 -0,19 1,07c 0,51a 1,16 -0,05 0,64 -0,26 -0,54 -0,03 -0,06 0,58 1,37a 1,49b -5,16c -3,95c 852 796 0,17 0,06 Eingetragen sind unstandardisierte logistische Regressionskoeffizienten. Signifikanzen: a: p<0,05; b: p<0,01; c: p<0,001. Wie wirken sich nun Wertorientierungen und ideologische Einstellungen auf das Wahlverhalten aus? Tabelle 1 zeigt zunächst den Effekt der von Inglehart be­ schriebenen Orientierungen auf die Wahl der Grünen. In Westdeutschland steht erwartungsgemäß das Merkmal „Postmaterialismus“ auch in den 1990er Jahren in einem engen Zusammenhang mit der Wahlentscheidung zugunsten dieser Partei: 1994 und 1998 steigt (verglichen mit der Referenzkategorie der Materialisten) der Logit der Grünen-Wahl für Postmaterialisten um rund 2 Punkte. Auch für Misch­ typen ist die Wahrscheinlichkeit, die Grünen zu wählen, weitaus höher als für Materialisten. Daneben zeigen sich die bekannten Effekte der Kontrollvariablen: Jüngere Bürger und Personen mit höheren Bildungsabschlüssen neigen in höherem Maße zur Wahl der Grünen als andere Menschen. Allerdings ist in der Tabelle auch zu erkennen, daß sich dieses klare Wählerprofil 2002 in erstaunlichem Umfang abflacht, was vermutlich ein Effekt der Regierungsbeteiligung und des damit ver­ bundenen pragmatischeren Auftretens der Partei sein dürfte: Die drei jüngeren Altersgruppen unterscheiden sich nun in ihrer Präferenz für die Grünen nicht mehr signifikant von den Menschen im Rentenalter, und auch die Zugehörigkeit zur (geschrumpften) Gruppe der Mischtypen hat keinen signifikanten Effekt auf die Wahlentscheidung. Auch die Wirkung des Merkmals „Postmaterialismus“ halbiert sich in etwa, bleibt aber signifikant. Lediglich der Effekt der formalen Bildung steigt gegenüber 1994 sogar noch leicht an. 12 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi In den neuen Ländern unterliegen die Effekte insgesamt etwas stärkeren Schwankungen. Der besondere Effekt eines niedrigen Lebensalters verliert sich hier bereits 1998; das gleiche gilt für die Zugehörigkeit zur Gruppe der Mischtypen. Andererseits ist hier der Effekt des Merkmals Postmaterialismus im Wesentlichen konstant und annähernd so groß, wie dies in den alten Ländern 1994 und 1998 der Fall war. Zusammenfassend läßt sich deshalb festhalten, dass die Gruppe der Post­ materialisten in beiden Landesteilen nach wie vor die Kernwählerschaft der Grünen bildet. Im nächsten Schritt wird die Analyseperspektive erweitert: Tabelle 2 beschränkt sich nicht mehr darauf, die Wahl der Grünen allen anderen Handlungs­ optionen gegenüberzustellen, sondern betrachtet den Kontrast zwischen der Wahl von Union, SPD, FDP, Grünen, PDS3 sowie den sonstigen Parteien einerseits und der Nichtwahl andererseits. Auf diese Weise läßt sich erkennen, wie sich Wert­ orientierungen insgesamt auf die Wahrscheinlichkeit bestimmter Wahl­ entscheidungen auswirken. Dabei ergeben sich in Westdeutschland für die Wahl der Union keine signifikanten Zusammenhänge. Auch die Wahlchancen der SPD werden kaum von Wertorientierungen beeinflußt. Allerdings zeigt sich bei der Bundestagswahl 2002 ein signifikanter und substantiell bedeutsamer Effekt des Merkmals Post­ materialismus.4 Ähnliches gilt für alle anderen Parteien. Nur die Chancen der Grünen werden durchgängig und hochsignifikant von den Wertorientierungen beeinflußt. Betrachtet man allerdings die Differenzen zwischen den Koeffizienten, die für die Wahlentscheidung zugunsten einer bestimmten Partei geschätzt werden, ist die oben angesprochene Abnahme der Bedeutung von Wertorientierungen für die Wahl der Grünen bei der Bundestagswahl 2002 in den alten Ländern auch hier erkennbar. Beispielsweise wird für die Wirkung des Merkmals Postmaterialismus auf die Wahl der Grünen für 2002 immer noch ein Effekt von 1,8 geschätzt. Dies ist aber nur noch um 0,6 Punkte höher als der entsprechende Koeffizient für die SPD. Vier Jahre zuvor betrug die Differenz zwischen beiden Koeffizienten noch fast 1,6 Punkte. Selbst die Differenz zwischen den Koeffizienten für Union und Grüne hat sich zwischen 1998 und 2002 von fast 2,8 auf 1,4 Punkte halbiert. In den neuen Ländern haben Wertorientierungen generell eine geringere Bedeutung als in der alten Bundesrepublik (vgl. Tabelle 2). Zwar werden für das Merkmal Postmaterialismus bezogen auf den Kontrast zwischen der Wahl der Grünen und der Nichtwahl auch hier teils relativ hohe Koeffizienten geschätzt. Die Unterschiede zwischen den Ergebnissen für die Grünen und die übrigen Parteien sind aber gering. In extremer Form gilt dies für die Bundestagswahl 1994, wo für Bündnis90/Die Grünen und die PDS praktisch identische Werte geschätzt werden. Bemerkenswerterweise schwächt sich jedoch gerade dieser positive Zusammenhang zwischen Postmaterialismus und PDS-Wahl im Zeitverlauf erheblich ab, d.h. die 3 4 Wegen der sehr geringen Fallzahlen müssen die Ergebnisse für die Wahl der PDS mit großer Vorsicht betrachtet werden. 1998 neigen außerdem Mischtypen mit einer signifikant höheren Wahrscheinlichkeit zur Wahl der SPD als Materialisten. Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 13 Grünen entwickeln sich auch hier tendenziell zu derjenigen Partei, die postmaterialistische Werte politisch repräsentieren. Tabelle 2: Die Wirkung von Wertorientierungen auf das Wahlverhalten, 19942002 1994 CDU/CSU Männlich 0,63a Schulabschluss 0,52b 18-29 Jahre -1,18b 30-45 Jahre -0,44 46-65 Jahre 0,38 Mischtypen -0,46 Postmaterialisten -0,63 Konstante 2,03c SPD Männlich 0,56a Schulabschluss 0,20 18-29 Jahre -0,03 30-45 Jahre 0,99b 46-65 Jahre 0,91b Mischtypen -0,31 Postmaterialisten 0,03 Konstante 1,24c FDP Männlich 0,69a Schulabschluss 0,88c 18-29 Jahre -0,95 30-45 Jahre -0,60 46-65 Jahre -0,25 Mischtypen 0,41 Postmaterialisten 0,93 Konstante -1,15a BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Männlich 0,14 Schulabschluss 0,81c 18-29 Jahre 3,56a 30-45 Jahre 4,18b 46-65 Jahre 3,38a Mischtypen 0,52 Postmaterialisten 1,76c Konstante -4,42b SONSTIGE PARTEIEN Männlich 1,51c Schulabschluss -0,22 18-29 Jahre 1,19 30-45 Jahre 1,61a 46-65 Jahre 1,84b Mischtypen -1,15b Postmaterialisten -0,64 Konstante -1,79b Westdeutschland 1998 2002 1994 Ostdeutschland 1998 2002 0,05 0,75c -2,49c -1,83c 0,15 0,45 -0,65 2,58c 0,31 0,76c -2,39c -1,00a -0,25 0,21 0,43 2,22c 0,23 0,06 -1,53c -0,95b 0,05 0,36 0,14 1,73c 0,23 0,55 -1,70b -0,82 -0,13 -0,54 -0,63 2,14c 0,34 1,19c -2,70c -1,94c -0,73 -0,22 -0,20 1,79c -0,01 0,41a -1,37b -0,85a 0,48 0,61a 0,59 2,18c 0,24 0,57b -1,94c -0,41 0,17 0,44 1,22b 1,67c -0,02 0,34a -1,31c -0,35 0,51 0,31 0,27 1,21c 0,27 0,32 -1,02 -0,42 0,07 -0,64 -0,27 2,45c 0,08 1,20c -2,36c -1,87c -0,20 -0,57 0,09 2,06c -0,05 1,35c -2,22c -2,16c 0,23 0,81 0,43 -0,26 0,42 0,78c -2,19c -0,56 0,19 0,65 1,02a -0,21 0,69 0,34 -1,99b -0,97 -0,53 0,75 0,44 -1,40b 0,55 0,87a -2,70a -0,72 -0,37 -0,60 -0,17 -0,43 0,43 0,83a -1,63a -1,19 0,03 -0,22 0,66 -0,50 -0,01 1,54c -0,20 -0,31 0,46 1,30b 2,14c -1,92b 0,18 1,47c -1,67c -0,16 0,18 0,75a 1,80c -1,02a 0,17 0,71b 1,65 1,86 2,24 0,84 1,94c -4,06b 0,15 1,55c -0,00 0,22 -0,46 -0,51 1,09 -1,99a -0,10 1,63c -2,36b -2,11b -0,39 0,26 1,59a -0,95 0,48 0,39 -1,23a -1,00 -0,07 0,21 -0,22 -0,22 0,51 0,45 -1,12 -0,32 0,45 0,25 -0,22 -1,49a 0,26 -0,93a 1,04 1,28 0,38 -0,10 0,07 -1,93b 0,56 -0,42 2,10a 2,49a 2,01a -0,69 -1,49 -1,15 0,15 0,57 -1,90 -0,96 0,38 0,70 1,23 -1,69 14 PDS Männlich Schulabschluss 18-29 Jahre 30-45 Jahre 46-65 Jahre Mischtypen Postmaterialisten Konstante N McFadden’s R2 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi 1,04 0,89a 17,80 18,88 18,40 18,30 19,24 -39,90 1597 0,09 -0,58 1,76c -1,65 -1,44 -0,78 -0,58 0,31 -1,47 1774 0,10 1,04a 1,14c -1,99b -1,34 -0,58 0,78 2,99c -2,93b 1680 0,05 0,40 0,82c -1,70c -0,99a 0,40 0,86b 1,89c -0,31 1623 0,06 0,16 0,93b -1,32a -0,28 0,30 0,14 0,42 0,48 852 0,06 -0,51 1,43c -2,64c -2,61c -0,45 -0,25 0,25 1,22a 796 0,04 Eingetragen sind unstandardisierte logistische Regressionskoeffizienten. Signifikanzen: a: p<0,05; b: p<0,01; c: p<0,001. Tabelle 3 zeigt den Zusammenhang zwischen der Links-Rechts-Selbsteinstufung und dem Wahlverhalten. Grundsätzlich entspricht die Richtung des Zusammenhangs den theoretischen Erwartungen: Höhere, d.h. rechtere Werte begünstigen die Wahl von Union, FDP sowie der sonstigen Parteien (hinter denen sich vor allem DVU, NPD und Republikaner verbergen), während sie die Wahrscheinlichkeit der Wahl von SPD, Bündnis90/Die Grünen und PDS reduzieren. In den alten Bundesländern zeigen sich im Zeitverlauf einige interessante Verschiebungen, die aber angesichts der Größenordnung der Veränderungen nicht überinterpretiert werden sollten. An dieser Stelle sei deshalb nur auf eine einzige Besonderheit hingewiesen: Von allen Koeffizienten ist nur ein einziger nicht signifikant von null verschieden, nämlich der für die Wahl der SPD 1998. Dies ist zumindest ein Indiz dafür, dass es dem damaligen Kanzlerkandidaten Schröder tatsächlich gelungen ist, die SPD kurzfristig als Partei der „Neuen Mitte“ zu positionieren. In den neuen Ländern ist der Effekt der Links-Rechts-Selbsteinstufung auf das Wahlverhalten nicht generell schwächer als im Westen, scheint aber tendenziell etwas größeren Schwankungen zu unterliegen. Dies könnte als Hinweis darauf inter­ pretiert weden, dass die Dimensionen, die die Bürger mit der Links-Rechts-Skala verbinden, in den neuen Bundesländern größeren Schwankungen unterliegt als in den alten Bundesländern bzw. dass das Image der Parteien weniger fest gefügt ist. Bemerkenswert ist darüber hinaus der sehr enge Zusammenhang zwischen der ideologischen Selbsteinstufung und der Wahl der PDS. Wertorientierungen und ideologische Einstellungen Tabelle 3: 15 Die Wirkung der ideologischen Selbstverortung auf das Wahlverhalten, 1994-2005 1994 CDU/CSU Männlich 0,15 Schulabschluss 0,44a 18-29 Jahre -1,14a 30-45 Jahre -0,50 46-65 Jahre 0,39 Links-Rechts 0,58c Konstante -1,39 SPD Männlich 0,15 Schulabschluss 0,00 18-29 Jahre -0,43 30-45 Jahre 0,51 46-65 Jahre 0,63 Links-Rechts -0,28b Konstante 3,66c FDP Männlich 0,31 Schulabschluss 0,80b 18-29 Jahre -0,94 30-45 Jahre -0,60 46-65 Jahre -0,08 Links-Rechts 0,36b Konstante -2,30a BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Männlich -0,36 Schulabschluss 0,75c 18-29 Jahre 3,08a 30-45 Jahre 3,63a 46-65 Jahre 3,12a Links-Rechts -0,52c Konstante 0,15 SONSTIGE PARTEIEN Männlich 1,37b Schulabschluss -0,01 18-29 Jahre 0,61 30-45 Jahre 0,97 46-65 Jahre 1,59a Links-Rechts 0,63c Konstante -6,15c PDS Männlich 0,81 Schulabschluss 0,83 18-29 Jahre 18,13c 30-45 Jahre 19,24c 46-65 Jahre 18,80c Links-Rechts -0,69b Konstante -18,09 N 1465 McFadden’s R2 0,20 Westdeutschland 1998 2002 2005 1994 Ostdeutschland 1998 2002 2005 0,02 0,79c -2,67c -1,72c -0,01 0,47c 0,25 0,11 0,73c -2,08c -1,17a -0,09 0,44c 0,09 -0,13 0,85c -2,05c -1,19c -0,42 0,32c -0,68 0,21 0,18 -1,22b -0,81a 0,25 0,35c -0,26 0,32 0,68 -2,64c -1,44a -0,47 0,34b 0,50 0,25 1,10c -2,75c -2,04c -0,83 0,19a 0,74 0,29 1,28c -2,70c -0,98 0,16 0,26b -1,60a 0,06 0,50a -1,68b -0,91 0,21 -0,11 3,42c 0,06 0,49a -1,78c -0,78 0,18 -0,35c 4,43c 0,20 0,60c -1,54c -0,79b -0,05 -0,42c 3,41c -0,05 0,35 -1,18b -0,31 0,52 -0,36c 3,37c 0,63 0,39 -1,59a -0,80 -0,13 -0,25a 3,60c 0,21 0,91c -2,07b -1,66b -0,31 -0,51c 4,57c 0,27 1,12c -2,83c -0,92 -0,23 -0,30b 1,94c -0,08 1,43c -2,50c -2,02c 0,00 0,36c -1,57a 0,29 0,76b -1,80b -0,69 0,34 0,21a -0,63 0,22 1,13c -1,63c -0,78a -0,23 0,37c -2,81c 0,59 0,51 -1,77a -1,04 -0,35 0,29a -2,62b 0,64 1,07a -3,80b -1,49 -0,83 0,41a -2,39a 0,45 0,74a -1,58 -1,15 -0,21 -0,02 -0,24 0,13 1,67c -0,91 0,38 1,04 0,19 -3,93b 0,13 1,63c -0,15 0,07 0,75 -0,40c 1,06 -0,00 1,39c -1,63b -0,55 0,12 -0,39c 2,29b -0,23 1,40c -0,83 -0,03 0,82 -0,50c 1,14a 0,15 0,89b 1,89 1,77 2,36 -0,31b -1,81 0,48 1,94c 0,09 0,68 -0,07 -0,36a -1,25 0,02 1,30c -2,04a -1,99a -0,66 -0,61c 2,89b -0,09 1,70c -2,35b -1,95a -2,06a -0,17 -0,33 0,38 0,40 -1,55a -0,99 -0,29 0,61c -3,54c 0,32 0,36 -0,89 -0,71 0,51 0,31a -2,69a 0,80a 0,23 -0,91 0,38 -0,56 0,47c -4,96c 0,33 -0,75 0,97 1,34 0,48 0,15 -2,86a 0,21 -0,30 0,97 1,62 1,74 0,58c -4,14c -0,14 0,67 -1,94 -1,05 0,27 0,44b -3,62b 0,75 0,21 19,81c 19,23c 19,55c 0,56b -25,09 -0,41 1,91c -2,21a -2,00a -1,11 -0,41a 0,52 1653 0,17 0,96 1,17c -2,02a -1,51 -0,43 -0,88c 2,51a 1607 0,17 0,74a 0,68c 0,17 1,82a 2,22b -0,96c 0,84 1730 0,16 0,28 0,81c -1,25b -0,62 0,51 -1,01c 5,01c 1529 0,17 0,60 0,97b -1,51 -0,24 0,49 -0,72c 3,73c 806 0,16 -0,58 0,92b -2,27b -2,24c -0,54 -1,00c 6,08c 758 0,14 0,35 0,82a -2,09b -0,16 0,62 -0,71c 2,72c 445 0,16 Eingetragen sind unstandardisierte logistische Regressionskoeffizienten. Signifikanzen: a: p<0,05; b: p<0,01; c: p<0,001. 16 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi Pro-Sozialistische Einstellungen haben in den alten Ländern erwartungsgemäß eine geringe Bedeutung für das Wahlverhalten, wie aus Tabelle 4 zu entnehmen ist, wenn man von der Wahl der PDS – deren Analyse hier aus den bekannten Gründen problematisch ist – einmal absieht. Eine ausführliche Diskussion erübrigt sich damit. In Ostdeutschland, wo die Schätzung von Koeffizienten für die Wahl der PDS unproblematisch ist, zeigen sich hingegen bedeutsamere Unterschiede: Wie von uns erwartet, begünstigen pro-sozialistische Einstellungen die Wahl der PDS, während sie gleichzeitig die Wahlchancen der bürgerlichen Parteien reduzieren. Von praktisch-politischem Interesse ist darüber hinaus, dass die Wahlchancen der SPD bei den drei hier analysierten Urnengängen, wie erwartet, kaum von der Haltung der Wähler zum Sozialismus beeinflußt werden. Wie bereits Arzheimer und Falter (2005) für die Subgruppe der politisch ungebundenen Ostdeutschen gezeigt haben, ist die Partei damit bislang sowohl für Befürworter als auch für Gegner des alten Regimes prinzipiell wählbar, was einen nicht zu unterschätzenden strategischen Vorteil darstellt, wenn man davon ausgeht, daß die Einstellungen gegenüber dem Sozialismus langfristig relativ stabil sind. Tabelle 4: Die Wirkung pro-sozialistischer Einstellungen auf das Wahlverhalten, 1994-2002 1994 CDU/CSU Männlich Schulabschluss 18-29 Jahre 30-45 Jahre 46-65 Jahre Pro-Sozialismus Konstante SPD Männlich Schulabschluss 18-29 Jahre 30-45 Jahre 46-65 Jahre Pro-Sozialismus Konstante FDP Männlich Schulabschluss 18-29 Jahre 30-45 Jahre 46-65 Jahre Pro-Sozialismus Konstante Westdeutschland 1998 2002 1994 Ostdeutschland 1998 2002 0,57a 0,42a -1,10b -0,54 0,32 -0,05 2,01c 0,08 0,64c -2,53c -2,04c -0,23 -0,28b 3,75c 0,37 0,69c -2,34c -1,12b -0,27 -0,29b 3,19c 0,19 0,03 -1,23c -0,71a 0,11 -0,36c 3,05c 0,00 0,54 -2,09b -1,17 -0,33 -0,53b 4,01c 0,26 1,23c -2,83c -2,14c -0,96 -0,13 2,28c 0,52 0,17 0,15 1,03b 0,96a 0,18 0,68 -0,01 0,38a -1,54b -1,02a 0,15 0,08 2,67c 0,33 0,58b -1,79c -0,39 0,27 -0,02 2,06c -0,05 0,31 -1,13b -0,22 0,42 0,04 1,25b 0,16 0,36 -1,31a -0,65 -0,08 -0,06 2,55b 0,03 1,25c -2,44c -2,04c -0,35 -0,02 1,94b 0,92a 0,83c -0,69 -0,38 0,07 -0,06 -0,77 0,00 1,30c -2,50c -2,35c -0,13 -0,26a 1,21a 0,49 0,75c -1,99c -0,64 0,24 -0,23 0,83 0,62 0,31 -1,62a -0,73 -0,39 -0,30a 0,03 0,31 0,90a -3,13a -1,07 -0,59 -0,54a 1,48 0,23 0,93b -1,84a -1,58a -0,32 -0,30 0,74 Wertorientierungen und ideologische Einstellungen BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Männlich 0,05 Schulabschluss 0,93c 18-29 Jahre 3,92b 30-45 Jahre 4,34b 46-65 Jahre 3,55a Pro-Sozialismus 0,12 Konstante -4,03b SONSTIGE PARTEIEN Männlich 1,31b Schulabschluss -0,27 18-29 Jahre 1,14 30-45 Jahre 1,52a 46-65 Jahre 1,78a Pro-Sozialismus 0,21 Konstante -2,73c PDS Männlich 0,98 Schulabschluss 0,95a 18-29 Jahre 19,44c 30-45 Jahre 20,30c 46-65 Jahre 19,83c Pro-Sozialismus 0,55a Konstante -24,36 N 1497 McFadden’s R2 0,08 17 -0,00 1,60c -0,13 -0,21 0,55 0,22 -1,28 0,23 1,54c -1,51b -0,10 0,31 0,16 -0,85 0,07 0,81b 2,01 2,07 2,27 -0,05 -3,31a 0,08 1,84c 0,40 0,74 -0,34 -0,16 -2,22 -0,08 1,82c -2,30b -2,08b -0,60 -0,18 -0,04 0,46 0,20 -1,07 -0,98 -0,27 0,18 -0,43 0,52 0,35 -1,21 -0,73 0,29 0,44a -2,34b 0,41 -0,91a 1,12 1,45 0,29 -0,04 -1,88a 0,39 -0,47 1,81 2,26a 1,85 -0,14 -0,75 0,11 0,68 -1,88 -1,00 0,19 -0,03 -0,95 -0,68 1,67c -1,45 -1,26 -0,65 0,75c -3,96b 1693 0,10 1,09a 1,31c -1,66a -1,21 -0,26 1,27c -6,38c 1585 0,07 0,39 0,86c -1,25b -0,68 0,38 0,57c -2,11c 1573 0,08 0,07 1,07b -1,30 -0,39 0,16 0,59b -1,65 823 0,09 -0,61 1,49c -2,76c -2,57c -0,57 0,56c -1,00 788 0,05 Eingetragen sind unstandardisierte logistische Regressionskoeffizienten. Signifikanzen: a: p<0,05; b: p<0,01; c: p<0,001. In einer abschließenden Analyse versuchen wir den gemeinsamen Effekt von Wert­ orientierungen, ideologischer Selbsteinstufung und Haltung gegenüber dem Sozia­ lismus auf das Wahlverhalten abzuschätzen (Tabelle 5). Das Ergebnis für die alten Länder zeigt, dass bei simultaner Betrachtungsweise Wertorientierungen und die Bewertung des Sozialismus erheblich an Bedeutung verlieren. Dies ist insofern nicht überraschend, als Wertorientierungen der generalisierten ideologischen Position vorgelagert sein sollten und die Bewertung des Sozialismus in Westdeutschland ohnehin von geringer Relevanz ist. Die einzige Ausnahme bilden hier die Grünen, deren Wahlchancen sowohl vom Merkmal Postmaterialismus als auch von der Links-Rechts-Selbsteinstufung beeinflußt werden. In den neuen Ländern hingegen zeigen sich eine ganze Reihe von signifikanten Einflüssen aller drei Einstellungsvariablen auf das Wahlverhalten. Dies gilt insbesondere wiederum für die PDS, die auch für solche Wähler attraktiv ist, die zwar sehr weit links stehen, zugleich aber ein kritisches Verhältnis zum Sozialismus haben. 18 Tabelle 5: Kai Arzheimer/Tatjana Rudi Die gemeinsame Wirkung von Wertorientierungen, ideologischer Selbstverortung und pro-sozialistischen Einstellungen auf das Wahlverhalten, 1994-2002 1994 UNION Männlich 0,32 Schulabschluss 0,30 18-29 Jahre -0,96 30-45 Jahre -0,62 46-65 Jahre 0,25 Mischtypen -0,80 Postmaterialisten -0,19 Links-Rechts 0,65c Pro-Sozialismus -0,15 Konstante -0,55 SPD Männlich 0,37 Schulabschluss -0,16 18-29 Jahre -0,27 30-45 Jahre 0,47 46-65 Jahre 0,49 Mischtypen -0,75 Postmaterialisten 0,02 Links-Rechts -0,19 Pro-Sozialismus 0,02 Konstante 3,85c FDP Männlich 0,62 Schulabschluss 0,56 18-29 Jahre -0,69 30-45 Jahre -0,62 46-65 Jahre -0,10 Mischtypen -0,07 Postmaterialisten 1,13 Links-Rechts 0,46b Pro-Sozialismus -0,18 Konstante -2,44 BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN Männlich -0,12 Schulabschluss 0,39 18-29 Jahre 2,97a 30-45 Jahre 3,38a 46-65 Jahre 2,64 Mischtypen 0,02 Postmaterialisten 1,72a Links-Rechts -0,43c Pro-Sozialismus -0,15 Konstante 0,15 Westdeutschland 1998 2002 1994 Ostdeutschland 1998 2002 -0,04 0,64b -2,30c -1,48b 0,08 0,09 -0,07 0,47c -0,30b 0,87 0,09 0,72c -1,99c -1,19a -0,12 0,13 0,69 0,44c -0,31a 0,64 0,18 0,16 -1,10b -0,66 0,40 0,34 0,04 0,31c -0,35c 0,84 0,18 0,62 -2,74c -1,33 -0,43 -1,09 -1,53 0,39b -0,44a 2,82a 0,30 1,18c -2,89c -2,21c -1,00 -0,12 -0,36 0,17 -0,17 1,58 -0,05 0,33 -1,37b -0,74 0,25 0,36 1,01 -0,07 -0,02 2,94c 0,08 0,45a -1,76b -0,79 0,26 0,09 0,98 -0,34c -0,09 4,36c -0,08 0,37 -1,19b -0,32 0,50 0,19 -0,10 -0,37c -0,03 3,43c 0,58 0,37 -1,72a -0,70 -0,09 -0,91 -0,88 -0,17 -0,02 4,15c 0,31 0,95c -2,29c -1,92b -0,47 -0,58 -0,11 -0,54c -0,15 5,65c -0,18 1,25c -2,23c -1,89b 0,02 0,59 0,97 0,37c -0,27 -1,38 0,19 0,73b -1,75b -0,85 0,24 0,62 1,24a 0,21a -0,24 -0,44 0,51 0,45 -1,61a -0,96 -0,15 0,51 0,27 0,23 -0,37a -1,40 0,48 1,01a -3,91b -1,39 -0,78 -1,13 -0,96 0,45a -0,42 -0,04 0,34 0,78a -1,95a -1,67a -0,39 -0,23 0,42 -0,04 -0,37a 1,54 0,01 1,30c 0,11 0,05 0,49 0,89 2,27c -0,30b 0,03 -0,18 -0,01 1,31c -1,71b -0,72 0,05 0,37 1,49a -0,36c 0,06 1,66 0,05 0,82b 1,64 1,62 2,25 0,44 1,27a -0,32b -0,05 -1,75 0,49 1,91c -0,57 0,36 -0,72 -0,66 0,33 -0,22 -0,16 -0,58 0,17 1,30c -2,02a -1,91a -0,39 0,10 1,17 -0,64c -0,28 3,51a Wertorientierungen und ideologische Einstellungen SONSTIGE PARTEIEN Männlich 1,61b Schulabschluss -0,16 18-29 Jahre 0,82 30-45 Jahre 1,04 46-65 Jahre 1,55 Mischtypen -1,73b Postmaterialisten -0,45 Links-Rechts 0,70c Pro-Sozialismus 0,12 Konstante -5,53c PDS Männlich 0,94 Schulabschluss 0,45 18-29 Jahre 17,17 30-45 Jahre 17,98 46-65 Jahre 17,31 Mischtypen 17,52 Postmaterialisten 18,67 Links-Rechts -0,53a Pro-Sozialismus 0,18 Konstante -35,40 N 1386 McFaddens R2 0,23 19 0,35 0,25 -1,01 -0,66 -0,14 -0,32 0,23 0,61c 0,12 -3,81c 0,25 0,38 -0,96 -0,94 0,43 -0,10 -0,12 0,28a 0,39 -3,42b 0,22 -0,88 1,24 1,28 0,58 -0,15 -0,87 0,16 -0,11 -2,38 0,17 -0,24 0,89 1,78 1,80 -1,25 -2,12a 0,63c -0,13 -2,85 -0,21 0,60 -2,18 -1,40 0,16 0,89 1,33 0,46b -0,07 -3,93a -0,60 1,62c -1,68 -1,75 -1,15 -0,67 0,70 -0,24 0,47 -1,32 1584 0,19 1,02 0,83a -1,77 -1,60 -0,39 0,01 2,31a -0,78c 1,24c -2,73 1492 0,19 0,26 0,68b -1,39b -0,62 0,36 0,57 1,26b -0,96c 0,39c 2,79c 1472 0,20 0,47 0,95a -1,33 -0,11 0,44 -0,04 -0,48 -0,57c 0,48a 1,35 780 0,20 -0,48 0,93b -2,53b -2,48c -0,63 -0,13 0,38 -0,95c 0,41a 4,40c 716 0,16 Eingetragen sind unstandardisierte logistische Regressionskoeffizienten. Signifikanzen: a: p<0,05; b: p<0,01; c: p<0,001. 5. Fazit Ziel unseres Beitrags war es, den Zusammenhang zwischen Wahlverhalten auf der einen Seite und Werteinstellungen und ideologischen Einstellungen auf der anderen Seite im Zeitraum von 1994 bis 2005 zu untersuchen. Unser besonderes Interesse galt dabei den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland und möglichen Veränderungen dieser Unterschiede über die Zeit. Alles in allem zeigte sich, dass Wertorientierungen und ideologische Ein­ stellungen durchaus einen nachweisbaren Effekt auf das Wahlverhalten haben; wenngleich in einer simultanen Betrachtung aller Orientierungen im Westen lediglich ideologische Einstellungen als erklärungskräftig übrigbleiben. Unter­ schiede in den Zusammenhängen zwischen Ost- und Westdeutschen bestehen insofern, als pro-sozialistische Wertorientierungen im Osten und post­ materialistische Werte im Westen von größerer Bedeutung sind. Dabei begünstigen die pro-sozialistischen Orientierungen in Ostdeutschland vor allem die Wahl der PDS und behindern die Wahl bürgerlicher Parteien. Das Vorhandensein von post­ materialistischen Werten begünstigt die Wahl der Grünen im Westen dabei stärker als im Osten. In Ostdeutschland zeigt sich anfangs auch ein Effekt auf die Wahl der PDS, der aber im Laufe der Zeit verschwindet. Ansonsten sind über die Zeit keine systematischen Veränderungen in den Zusammenhängen zu beobachten. Damit bestätigen die Ergebnisse einmal mehr, dass es einen Zusammenhang zwischen langfristig stabilen Einstellungen und Wahlverhalten in Deutschland gibt. 20 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi Ost- und Westdeutsche unterscheiden sich nicht nur in ihren Wertorientierungen und ideologischen Einstellungen, sondern diese langfristigen Orientierungen sind – zu­ mindest zum Teil – auch verantwortlich für unterschiedliches Wahlverhalten. Da es sich bei Wertorientierungen und ideologischen Einstellungen um relativ stabile Einstellungen handelt, ist noch auf längere Sicht mit einem unterschiedlichen Wahl­ verhalten in Ost- und Westdeutschland zu rechnen, auch wenn Wertorientierungen und ideologische Einstellungen selbstverständlich nur einen Teil der Determinanten des Wahlverhaltens darstellen. Anhang Daten zur Wahl 2005 (ZA-Nr. 4332) Wahlbeteiligung: (1) gewählt; (2) nicht gewählt; (3) ungültig gewählt. Wahlabsicht (Zweitstimme): (10) SPD; (11) CDU/CSU; (12) Bündnis 90/Die Grünen; (13) FDP; (14) Die Linke.PDS; (15) Republikaner; (16) NPD; (17) Graue; (18) Andere Partei; (19) ungültig gewählt. Links-Rechts-Selbsteinstufung: „In der Politik reden die Leute häufig von ‚Links’ und ‚Rechts’. Wenn Sie diese Skala von 1 bis 11 benutzen, wo würden Sie sich selbst einordnen, wobei (1) links und (11) rechts bedeutet?“ Geschlecht: (1) Mann; (2) Frau. Geburtsjahr/Alter: Erhebungsjahr – Geburtsjahr (=Lebenalter in Jahre). Schulabschluss: (1) noch Schüler(in); (2) Schule beendet ohne Abschluss; (3) Volks-/Hauptschulabschluss bzw. Polytechnische Oberschule mit Abschluss 8. oder 9. Klasse; (4) Mittlere Reife, Realschulabschluss bzw. Polytechnische Oberschule mit Abschluss 10. Klasse; (5) Abitur, EOS – Erweiterte Oberschule mit Abschluss 12. Klasse, Fachhochschulreife; (6) Abgeschlossenes Studium an Hoch- oder Fachhochschule, Universität, Polytechnikum. Region: (0) West; (1) Ost. Daten zur Wahl 2002: Wahlabsicht (Zweitstimme, Vorwahl: Sonntagsfrage Nachwahl: Recall): (1) CDU/CSU (1); (2) SPD; (3) FDP; (4) Bündnis 90/Grüne; (5) Republikaner; (6) PDS; (7) DVU [nur 1998]; (8) ÖDP [nur 1998 und 2002]; (9) Graue [nur 1998 und 2002]; (10) Statt Partei [nur 1998 und 2002]; (11) NPD [nur 1998 und 2002]; (12) Schill- Wertorientierungen und ideologische Einstellungen 21 Partei [nur 2002]; (13) andere Partei; (96) nicht gewählt, aber wahlberechtigt [nur 1998]; (97) nicht wahlberechtigt; (98) weiß nicht; (99) verweigert. Inglehart-Index: „Auch in der Politik kann man nicht alles auf einmal haben. Auf dieser Liste finden Sie einige Ziele, die man in der Politik verfolgen kann. Wenn Sie zwischen diesen verschiedenen Zielen wählen müssten, welches Ziel erschiene Ihnen persönlich am wichtigsten? Und welches Ziel erschiene Ihnen am zweitwichtigsten?“ A Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in diesem Land B Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Regierung C Kampf gegen die steigenden Preise D Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung Als Postmaterialisten gelten die Befragten, die die Ziele B und D als am wichtigsten einstufen. Materialisten messen den zielen A und C größere Bedeutung bei. Alle anderen sind Mischtypen. Für diese wurden jeweils dichotome Variablen gebildet. Links-Rechts-Selbsteinstufung: „In der Politik reden die Leute häufig von ‚Links’ und ‚Rechts’. Wenn Sie diese Skala von 1 bis 11 benutzen, wo würden Sie sich selbst einordnen, wobei (1) links und (11) rechts bedeutet?“ „Hier in diesem Block finden Sie eine Reihe von Aussagen, denen manche Leute zustimmen, die manche aber auch ablehnen. Wie ist das bei Ihnen? Verwenden Sie bitte wieder die Skala von -2 bis +2. -2 bedeutet, dass Sie dieser Meinung überhaupt nicht zustimmen, +2 bedeutet, dass Sie ihr voll und ganz zustimmen. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen.“; 5er-Skala von (1) stimme überhaupt nicht zu bis (5) stimme voll und ganz zu. Sozialismus: „Der Sozialismus ist eine gute Idee, die bisher nur schlecht ausgeführt wurde.“ Geburtsjahr/Alter: Erhebungsjahr – Geburtsjahr (=Lebenalter in Jahre). Geschlecht: (1) Mann;, (2) Frau. Region/Wohnort: (1) alte Bundesländer; (2) neue Bundesländern. Bildung/Schulabschluss: (1) Volks-, Hauptschule, 8/9-klassige polytechnische Oberschule; (2) Realschule, 10-klassige polytechnische Oberschule; (3) Abitur, Fachhochschulreife; (4) Hochschulabschluss, Fachhochschulabschluss. 22 Kai Arzheimer/Tatjana Rudi Literatur Arzheimer, Kai/Falter, Jürgen W. 2005: „Goodbye Lenin?“ Bundes- und Landtagswahlen seit 1990. Eine Ost-West-Perspektive. 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