AG 6: Soziale Beratung und Interkulturelle Öffnung Interkulturelle Öffnung sozialer Dienste und Einrichtungen - Empfehlung für ein Positionspapier der Landesregierung Brandenburg „Wir begegnen uns in der Gemeinsamkeit. Wir wachsen an unseren Unterschieden.“ I. Wozu eine interkulturelle Orientierung? Wie in allen europäischen Gesellschaften sind in Deutschland die wirtschaftliche Globalisierung und Internationalisierung von Lebenszusammenhängen dauerhafte gesellschaftliche Merkmale geworden. Fortschreitende Alterung und Verringerung der Bevölkerung, zunehmende Migrationsprozesse und Mobilität verändern die gesellschaftliche Zusammensetzung. Die Pluralisierung von Lebensstilen, biografische Brüche, Verschiedenheit und Vielfalt prägen unsere Alltagsnormalität mehr denn je. Deshalb wird es für den Erfolg unserer Gesellschaft, von Unternehmen, öffentlicher Verwaltung, sozialen Diensten und Einrichtungen und nicht zuletzt jedes Einzelnen immer wichtiger, mit Vielfalt und Differenz kreativ und konstruktiv umgehen zu können.1 Vielfalt und Verschiedenheit sind eine wertvolle soziale Ressource für Innovation und Entwicklung; ihre Akzeptanz und Wertschätzung sind für die Zukunftsfähigkeit Brandenburgs ebenso unverzichtbar wie weltoffene, kommunikationsfähige und kultursensible Menschen. Ein zentraler Aspekt ist der Umgang mit Zuwanderern. Ihre Partizipationsmöglichkeiten sind der Schlüssel zu ihrer gesellschaftlichen Integration, die interkulturelle Öffnung und Orientierung der sogenannten „Regelversorgung“ für die Belange von Migrantinnen und Migranten auch eine Frage der Gleichbehandlung und sozialer Gerechtigkeit. Allerdings weist sie über die Gruppe der Zugewanderten hinaus. Es geht vielmehr um das Verhältnis zu Minderheiten insgesamt. Neben Nationalität, ethnischer Herkunft oder religiöser Zugehörigkeit sind beispielsweise Geschlecht, Alter, soziale Schichtzugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Bildung und subkulturelle Differenzierungen wichtige zu berücksichtigende Faktoren.2 Interkulturelle Orientierung ist eine Integrationsanforderung an die Institutionen der Aufnahmegesellschaft, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, die interkulturelle Öffnung eine notwendige Voraussetzung dafür, ihr Integrationspotential voll ausschöpfen zu können. Eine erfolgreiche und nachhaltige interkulturelle Öffnung muss neben sozialen Diensten und Einrichtungen auch die öffentliche Verwaltung umfassen. Die Elemente des strategischen Managements, „Neuer Steuerung“, der Sozialplanung und Qualitätsentwicklung sind dafür nützliche Instrumente. Um das gesellschaftliche Bewusstsein für die Notwendigkeit der Gleichbehandlung zu fördern, bedarf es darüber hinaus einer konsequenten Antidiskriminierungspolitik und eines bundesweiten Antidiskriminierungsgesetzes, das hilft, ungerechtfertigte Benachteiligung und Schlechterstellungen Einzelner und Gruppen einzudämmen. 1 Dettling, W. in Interkulturelle Öffnung der Verwaltung -Zuwanderungsland Deutschland in der Praxis FES, Berlin 2002, S. 31 2 Schroer, H.; Strategien interkultureller Öffnung in der Kommune – am Beispiel München, ebenda S. 82 1 II. Zum Kulturbegriff Von zentraler Bedeutung für die Auseinandersetzung im interkulturellen Kontext ist der Kulturbegriff, von dem wir ausgehen. Es gibt eine Vielzahl von Definitionen. Die Mehrzahl stimmt darin überein, dass Kultur im Wesentlichen zu verstehen ist als ein „universelles für eine Gesellschaft, Organisation oder Gruppe aber sehr typisches Orientierungssystem“ aus spezifischen Konzepten, Überzeugungen, Einstellungen, Wertorientierungen und Symbolen, die in der jeweiligen Gesellschaft, Gruppe usw. tradiert werden. Sie beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder.3 Oder anders formuliert: „Kultur ist die Gesamtheit der gemeinsamen Handlungs- und Deutungsmuster einer Gruppe oder Lebenswelt.“4 Kultur ist allerdings nicht als homogenes Gebilde zu verstehen. In jeder Gesellschaft existiert eine Vielzahl von Kulturen und jede(r) Einzelne kann sich mehreren Kulturen zurechnen. Sie sind offene und veränderbare Systeme. Jeder einzelne Mensch wird von kulturellen Einflüssen geprägt und trägt diese Prägungen meist unbewusst in sich. Erlebbar werden sie häufig erst in der Begegnung mit fremdartigen, unvertrauten und unverständlichen Verhaltensweisen beispielsweise an Fremden im eigenen Land oder durch eigene Fremdheitserfahrungen im Ausland. Wir können kulturelle Prägungen nicht vollständig ablegen, aber uns darüber bewusst werden und uns bewusst dazu verhalten. Kulturelle Deutungsmuster sind dynamisch und vielfältig, vor allem nicht eindeutig, sondern widersprüchlich und lassen unterschiedliche Interpretationen zu. Sie sind auch keineswegs unabhängig von der Entwicklung der sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen zu sehen. Der interkulturelle Ansatz geht von einem dynamischen und individualisierten Kulturbegriff aus. Er bemüht sich um eine angemessene Berücksichtigung der kulturellen Aspekte im Sinne einer Balance zwischen Überbetonung der Kultur als Einflussfaktor (Kulturalismus) und ihrer Ignorierung.5 III. Interkulturelle Öffnung Sie pflegen einen Migranten, der schon mehrere Jahre in Brandenburg lebt, aber noch kein Deutsch gelernt hat, der zu nicht vereinbarten Zeiten viel Besuch am Krankenbett erhält, der mit der Ernährung in der Klinik nicht einverstanden ist, der wünscht, dass seine Angehörigen bei ihm übernachten können und der immer wieder über diffuse Schmerzen klagt. In ihrem Krankenhaus ist es jedoch nicht erlaubt, dass Angehörige übernachten, Besuch außerhalb der Besuchszeiten ist unerwünscht und kulturell angepasstes Essen wird nicht angeboten. DolmetscherInnen stehen nicht zur Verfügung. Das führt zu Konfliktsituationen. Eine Frau kommt in Begleitung ihres Mannes in die Schwangerschaftsberatung. Die Beraterin richtet sich primär an den Ehemann, da sie glaubt, die Frau sei als Muslimin unterdrückt und dürfe daher nicht für sich selbst reden. Das Ehepaar ist in einer Stadt aufgewachsen, die Frau hat studiert, beide sind in einer politischen Bewegung aktiv gewesen, die Frau war zudem Mitglied in einer Frauengruppe. Die Frau ärgert sich darüber, dass vor allem ihr Mann angesprochen wird. Sie entwickelt eine Abwehrhaltung gegenüber der Beraterin. 3 Maletzke, G.: „Interkulturelle Kommunikation“, Opladen 1996, S. 16 und Thomas A. in Thomas, Psychologie interkulturellen Handelns, Hofgrefe, Göttingen, 1996, S.112 4 vgl. Trainings- und Methodenhandbuch, Arbeitskreis Interkulturelles Lernen, Diakonisches Werk Württemberg, 1999 5 Gaitanides, S. Interkulturelle Kompetenz als Anforderungsprofil in der Jugend- und Sozialarbeit, in Sozialmaganzin, 28.Jg. 3/2003, S.42ff. 2 Die Erziehungs- und Familienberatungsstelle in einem Landkreis wird nahezu ausschließlich von einheimischen Familien aufgesucht, obwohl in ihrem Einzugsbereich viele Migrantenfamilien (Aussiedler, Flüchtlinge, ehemalige Vertragsarbeitnehmer aus Vietnam) leben......Haben diese keinen Beratungsbedarf? In einer Kindertagesstätte wird von den Erzieher/innen die mangelnde Beteiligung der Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund an Elternabenden und anderen Elternaktivitäten beklagt. Sie wird als Desinteresse dieser Eltern gedeutet. Es kommt zu Frustration, Missmut und unausgesprochenen Vorwürfen. Die unter I. beschriebenen gesellschaftlichen Prozesse verändern die Zusammensetzung von Kund(inn)en- und Klient(inn)engruppen sozialer Einrichtungen und Dienste und infolge dessen auch die Anforderungen an die Institutionen und deren Mitarbeiter/innen sowie das Angebot an Personal. Das Konzept der Interkulturelle Öffnung soll dazu befähigen, Angebote und Leistungen an die veränderten Herausforderungen anzupassen. Interkulturelle Öffnung meint die konzeptionelle Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt und Verschiedenheit der Mitarbeiter/innen und Klientengruppen, sowohl ethnisch-kulturell wie auch zwischen Männern und Frauen, Behinderten und Nichtbehinderten Älteren und Jüngeren etc. und die Beseitigung von Zugangshindernissen, die auf solchen Unterschieden beruhen - ganz im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung. Interkulturelle Öffnung dient der Beseitigung und Verhinderung von Versorgungslücken. Die sozialen Angebote und Hilfesysteme werden so ausgerichtet, dass sie die im Einzugsbereich lebenden Zielgruppen auch entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil erreichen. Bezogen auf Migranten heißt das: Zugangsbarrieren abbauen, die auf ethnisch-kulturellen Unterschieden beruhen.6 Häufige Zugangshindernisse sind vor allem Sprachbarrieren und Verständigungsschwierigkeiten, Informationsdefizite über Hilfsangebote und die Versorgungssysteme, Unwissenheit über die Lebensumstände und Bedarfslagen von Migranten, die fehlende Berücksichtigung religiöser Konzepte und die Mittelschichtsorientierung von Einrichtungen, aber auch Scheu vor Behörden und Institutionen und die Angst vor den ausländerrechtlichen Folgen bei der Inanspruchnahme von Diensten und Behörden. Interkulturelle Elemente in der äußeren Darstellung einer Beratungsstelle (Hinweisschilder und Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen, mehrsprachige Ansagen auf dem Anrufbeantworter, Logos, die auf Internationalität hinweisen) signalisieren Menschen mit Migrationshintergrund dass sie in der Einrichtung willkommen sind und bauen Schwellenängste ab.... Die Beschäftigung von Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund, Fremdsprachenkenntnissen und interkultureller Kompetenz erhöht die Potentiale kultursensibler Wahrnehmung und Problemlösungen, z. B. bei Besuchsregelungen, Speiseangeboten, Festtagsgestaltung oder im Umgang mit unterschiedlichen Alters- und Krankheitskonzepten in der Pflege.... Interkulturelle Orientierung in Kindertageseinrichtungen heißt u.a., die Eltern direkt, gezielt und wo möglich in ihrer Muttersprache anzusprechen, Gesprächskreise anzubieten mit allgemeinen Informationen zu erzieherischen Fragen und speziellen Informationen zur Sprachförderung, die Herkunftskultur der Familien als Ressource zu betrachten und in die Angebote der Kita (Kinderlieder, Märchen) einzubeziehen. Migrationsfachdienste und Migrantenorganisationen geniessen aufgrund ihrer niedrigschwelligen Zugänge, fundierter Kenntnis der Lebenswelten und Migrati6 BAGFW, „Partizipation und Chancengleichheit“ Integrationspolitisches Memorandum der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. 2000, S. 11 3 onshintergründe das Vertrauen der Zuwanderer und nehmen somit bei der Interkulturellen Öffnung der allgemeinen Angebotsstrukturen eine wichtige Brückenfunktion ein. IV. Interkulturelle Kommunikation Als Interkulturelle Kommunikation bezeichnet man Interaktionsprozesse von Personen aus unterschiedlichen Kulturen. Dabei geht es meist um eine Kommunikation, in der eine Mehrheitskultur und eine Minderheitenkultur miteinander in Beziehung treten. Deswegen ist Interkulturelle Kommunikation in der Regel asymmetrisch. Es sind die "Fremden", bei denen man die Verantwortung für das "Andersein" sieht und von denen man erwartet, dass sie sich anpassen und eine "neue Sprache" lernen, wobei Sprache hier mehr meint als die verbale Kommunikation. Sie schließt non-verbale Kommunikationsformen mit ein genauso wie ein Verständnis für hinter der Kommunikation stehende Wertungen, Haltungen und Verhaltensweisen. Es geht um die Beziehungsebene ebenso wie um die Inhaltsebene, denn mit der Kommunikation verbunden sind in den Kulturen jeweils unterschiedliche Deutungsmuster und "codes", die helfen, das Wissen und die Information, die kommuniziert wird, einzuordnen und zu verstehen. Wenn die Interaktionspartner kein gemeinsames Verständnis von diesen hinter der Kommunikation liegenden Deutungsmuster haben, also die Kommunikation jeweils unterschiedlich interpretieren, kommt es zu interkulturellen Missverständnissen. Kommunikationspartner mit unterschiedlichem Wissen über die Gesellschaft, mit jeweils anderen Rollenvorstellungen und Wertesystemen, müssen als Voraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation zuerst einen Konsens über diese Rollen und Werte herstellen, oder sich zumindest über die Unterschiedlichkeit der Interpretation verständigen, um eine erfolgreiche Kommunikation zu ermöglichen. Konflikte entstehen, wenn kommunikative Handlungen unterschiedlich interpretiert werden, die Partner aber nicht um diese unterschiedlichen Interpretationen oder "Filter" wissen. Konflikte in der interkulturellen Kommunikation entstehen also nicht allein durch die Konfrontation mit dem Fremden, sondern durch die unterschiedliche Einordnung und Bewertung. Dies bezieht sich nicht nur auf die Kommunikation zwischen Individuen, sondern genauso auch auf den institutionellen Kontext.7 Die Fähigkeit zur Interkulturellen Kommunikation wird in unserer sich weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft immer wichtiger und bezieht sich nicht nur auf die Kommunikation mit Migranten, sondern auf die Kommunikation mit allen anderen Gruppen, die "anders" sind als die Mehrheit. Für die Arbeit mit Zuwanderern, ob im Sprachkurs oder in der Beratung, ist sie unerlässlich. V. Interkulturelles Lernen Interkulturelles Lernen ist dabei der wechselseitige Prozess, in dem interkulturelle Kommunikation erlernt wird. Interkulturelles Lernen findet nicht nur in besonderen Lernsituationen statt, sondern ist auch im Alltag und im Beruf möglich, 7 vgl. auch www.univie.ac.at/ecco/ik.htm 4 wenn interkulturelle Kommunikationsprobleme reflektiert werden und man sich mit den jeweils unterschiedlichen Interpretationen auseinandersetzt. Dabei geht es um die bewusste Erfahrung kultureller und sozialer Unterschiede und die Analyse und das In-Frage-Stellen der eigenen Bewertungssysteme und Normen, es geht um den Wechsel der Perspektiven und reflektierte Fremdwahrnehmung mit dem Ziel, eigene kulturelle Vorurteile abzubauen. Ziel ist die Veränderung der Haltungen und Bewertungen, die interkulturelle Kommunikation verhindern.8 VI. Interkulturelle Kompetenz als Anforderungsprofil der Zukunft In der Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit denen sie sich identifizieren, werden immer beide Orientierungssysteme handlungswirksam, ganz gleich, ob sich die beteiligten Personen dessen bewusst sind und mit den sich daraus ergebenden Erfordernissen umzugehen wissen. Unter Interkultureller Kompetenz versteht man ein ‚set’ von Fähigkeiten, die es einer Person ermöglichen, in einer solchen kulturellen Überschneidungssituation unabhängig, kultursensibel, wirkungsvoll und angemessen zu handeln.9 Auch wenn interkulturelle Kompetenz migrationsbezogenes Fachwissen einschließt, ist sie vor allem als soziale Kompetenz und keineswegs als ‚Rezeptwissen’ im Umgang mit anderen Kulturen zu verstehen. Es geht um die Fähigkeit, in Begegnungen • offen, • beweglich und • mit Einfühlungsvermögen agieren, • selbständig interkulturelle Aspekte identifizieren zu können, • fremden Kulturen abwägend aber nicht abwertend begegnen, • kulturelle Zusammenhänge differenziert erfassen zu können und • eigene Verständigungs- und Bewältigungsstrategien entwickelt zu haben.10 Interkulturelle Handlungskompetenz umfasst: Kommunikative Kompetenz: die Fähigkeit auf andere zuzugehen, zuzuhören und Fragen zu stellen, Mehrsprachigkeit und die Fähigkeit die eigene Ausdrucks- und Wahrnehmungsfähigkeit in Bezug auf Gestik und Körpersprache zu erweitern. Empathie: also Einfühlungsvermögen in die Situation anderer Offenheit: die Bereitschaft, neuen Situationen unvoreingenommen zu begegnen, statt nur auf gewohnte und erlernte Deutungsmuster und Handlungskonzepte zurückzugreifen. 8 vgl. auch Bundeszentrale für politische Bildung, Interkulturelles Lernen 200/29, Bonn vgl. Grosch/ Groß/ Leenen , Methoden interkulturellen Lernens, AES Methoden für interkulturelle Bildung, Saarbrücken, 2000, S. 08 10 vgl. Scheitza, Rösgen, Schenk, Krewer, Interkulturelle Zusammenarbeit – Einführung und Grundlagen, Studienbrief FHTW, Berlin 1999, S. 16 9 5 Flexibilität: die Fähigkeit, sich auf wandelnde Situationen und eine Vielfalt von Meinungen einzustellen, ohne sich dadurch verunsichern zu lassen und die eigene Identität aufzugeben. Ambiguitätstoleranz: die Fähigkeit, mit neuen und scheinbar unstrukturierten Situationen, mit unverständlichen Informationen oder mit unberechenbarem Handeln und Kommunizieren des jeweiligen Gegenübers umgehen zu können und auch in unklaren Situationen nicht die Nerven zu verlieren und handlungsfähig zu bleiben. Konfliktfähigkeit: die Fähigkeit, sich fair streiten, mit Konflikten umgehen und zu Konfliktlösungen beitragen zu können. Selbstreflexion: die Fähigkeit, eigene Verhaltensweisen zu reflektieren und sich die Prägungen des eigenen Verhaltens durch Normen und Werte bewusst zu machen, ohne die eigene Identität aufzugeben. Interkulturelle Handlungskompetenz bezeichnet somit eine Schlüsselkompetenz von Fachkräften in sozialen Einrichtungen. VII. Bausteine interkultureller Öffnung Interkulturelle Öffnung ist ein stetiger Prozess und gesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Um erfolgreich und nachhaltig wirken zu können, muss sie politisch und strategisch gewollt sein. Es ist daher unverzichtbar, das Konzept der Interkulturellen Öffnung als Leitgedanken in alle politischen Ebenen und Entscheidungen als Leitgedanken einzubeziehen („cultural mainstreaming“). Interkulturelle Ansätze in den Bereichen der Familienpolitik, der Arbeitsmarkt-, Schul- und Bildungspolitik, der kommunalen Jugendhilfe- und Altenhilfeplanung, der Gesundheitspolitik, der Sozial- und Stadtplanung sind unerlässlich, um das Zusammenleben von Mehrheiten und Minderheiten zu fördern und die Ressourcen der Minderheiten (z.B. Mehrsprachigkeit und Mobilitätserfahrung) angemessen wahrzunehmen und zu fördern. Bezogen auf Einrichtungen und Dienste betrifft die Interkulturelle Öffnung alle Ebenen, von der Organisations- und Personalentwicklung bis zum Qualitätsmanagement. Interkulturelle Öffnung ist Leitungsaufgabe. Sie erfordert breite Akzeptanz der Belegschaft und muss sowohl von oben nach unten (top-down) wie von unten nach oben (bottom-up) gestaltet werden.11 Der Prozess umfasst insbesondere: auf Organisationsebene: • Bestandsaufnahme der eigenen Einrichtung, ihrer Klient(inn)engruppen, ihres Versorgungsumfeldes und des eigenen Umgangs mit ethnischkultureller Verschiedenheit • Anpassung des Leitbildes und der Ziele sowie der Konzeption • Anpassung der Organisationsabläufe: z.B. Flexibilisierung von Besuchszeiten und Sprechstunden 11 Bellart, H. in Interkulturelle Öffnung der Verwaltung -Zuwanderungsland Deutschland in der Praxis FES, Berlin 2002, S. 68f 6 • • • • • • • • interkulturelle Ausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit - z.B. durch mehrsprachige Informationsmaterialien, neue Formen der Kontaktaufnahme zu Migrant(inn)en als neuen Kundengruppen interkulturelle Ausrichtung der Personalentwicklung: - Aufnahme interkultureller Kompetenz in das Anforderungsprofil für Mitarbeiter/innen - Beschäftigung von Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund und Fremdsprachenkenntnissen interkulturelle Gestaltung der Räumlichkeiten: z.B. Gegenstände, Bilder aus verschiedenen Kulturen, fremdsprachige Hinweisschilder und Piktogramme für Klient(inn)en mit geringen Deutschkenntnissen. Respektvoller Umgang mit der Zugehörigkeit zu verschiedenen Religionen und Glaubensgemeinschaften Kultursensibler Umgang mit Festtagen Kultursensibles Ernährungsangebot (in teilstationären und stationären Einrichtungen) Vernetzung mit Beratungsstellen und Einrichtungen für Migranten im Einzugsgebiet, mit Migrantenorganisationen, Migrations- und Integrationsbeauftragten, Religionsgemeinschaften und Initiativen etc. Transnationale Zusammenarbeit: z.B. Kooperation in europäischen Projekten auf Mitarbeiter/innenebene: • Fortbildung und Sensibilisierung aller Mitarbeiter/innen zur Förderung ihrer interkulturellen Handlungskompetenz: - Regelmäßige interne Fortbildungen und Trainings, Fall- und Teambesprechungen zur fachlichen Reflexion und Weiterentwicklung der Arbeit - Externe Fortbildung einzelner Mitarbeiter/innen als Multiplikatior/innen - Förderung der Mitarbeiter/innen beim Erwerb von Fremdsprachenkompetenz - Förderung des Austauschs und Zusammenarbeit mit ausländischen Kooperationspartner/innen • Bildung interkultureller Teams als Lernfeld und zur Nutzung der Potenziale der Zusammenarbeit VIII. Maßnahmen/ Initiativen/ Implementierungsvorschläge Das Ziel der interkulturellen Orientierung wird als Querschnittsaufgabe in die Gestaltung der jeweiligen Politikbereiche mit einbezogen. Darüber hinaus bedarf es zur Förderung der interkulturellen Öffnung sozialer Dienste und Einrichtungen wie auch der öffentlichen Verwaltung gezielter Initiativen und Maßnahmen: In der öffentlichen Verwaltung des Landes Brandenburg werden die Prozesse und Instrumente der Verwaltungsmodernisierung auch für die Förderung der Interkulturellen Öffnung genutzt. Den Landkreisen und Kommunen wird empfohlen, dieses auf kommunaler Ebene ebenfalls zu tun. 7 Die öffentliche Förderung von sozialen Diensten und Einrichtungen aus Landesmitteln wird zukünftig auch an die Initiierung und Weiterentwicklung von Prozessen interkultureller Öffnung und deren Nachweis geknüpft. Bei der Evaluation und Qualitätsentwicklung von Programmen, Maßnahmen und Projekten des Landes werden interkulturelle Aspekte ebenso stärkere Berücksichtigung finden. Eine engere Vernetzung zwischen den migrationsspezifischen Diensten und Angeboten und Einrichtungen der allgemeinen Angebotsstrukturen im Land ist notwendig und wird seitens des Landes im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt. Die Ausbildungsstätten, Fachhochschulen und Hochschulen sind aufgefordert, interkulturelle Themen und Anforderungen stärker als bisher in ihren Curricula zu berücksichtigen, in Forschung und Lehre umzusetzen und Praktika und Studienaufenthalte im Ausland zu fördern. Fort- und Weiterbildungseinrichtungen sind ebenfalls aufgefordert, interkulturelle Themen und Anforderungen in ihre Angebote aufzunehmen. Die Wertschätzung von interkulturellen Kompetenzen und Migrationserfahrungen von Beschäftigten ist zu erhöhen. Sie sollten zukünftig in den Anforderungsprofilen der Mitarbeiter/innen von sozialen Diensten und Einrichtungen sowie in der öffentlichen Verwaltung und bei der Besetzung von Stellen stärkere Berücksichtigung finden. (Mai 2004) 8