Dietmar von der Pfordten Theorie und Methoden des Rechts 1

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Dietmar von der Pfordten
Theorie und Methoden des Rechts
1. Vorlesung
I. Begriffsklärung
Theorie: von griech. Theoria: Betrachtung, Schauspiel, Anblick, Wissenschaft, wissenschaftliche Betrachtung, Lehre, Erkenntnis
Methode: von griech. Methodos
Weg der Untersuchung, Darstellungsweise
Darin steckt griech. auch „Hodos“: Weg, Gang, Art und Weise, Mittel
Es wird ganz deutlich, dass die Theorie als Ziel gegenüber dem Weg bzw. den Mitteln der
Methode primär ist.
Was ist Erkenntnis? Die Erkenntnis enthält jedenfalls drei Elemente. Sie ist bezogen auf
1) einen Gegenstand,
2) ein Erkenntnisziel,
3) ein Erkenntnismittel, eine Methode.
Was ist dann die Rechtstheorie? Sie hat jedenfalls mit allen anderen rechtswissenschaftlichen
Fächern den Gegenstand gemeinsam: das Recht. Somit kann die Abgrenzung zu diesen Fächern nur über das Erkenntnisziel und die Erkenntnismethode erfolgen. Fraglich ist also, worin sich andere Fächer wie die Rechtsdogmatik, die Rechtssoziologie und die Rechtsgeschichte und weitere kleinere Fächer wie die Rechtsethnologie oder die Rechtspsychologie von der
Rechtsphilosophie bzw. der Rechtstheorie unterscheiden.
1. Dogmatik
Ziel: Einzelne Normen werden mit dem Ziel der Anwendung interpretiert.
Methode: interne Perspektive der Juristen; sprachlich: Beschreibung, Wertung, Verpflichtung
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2. Soziologie/Politikwissenschaft
Ziel: Das Recht wird als faktisch-gesellschaftliches bzw. politisches Phänomen zu anderen
Phänomenen der Gesellschaft bzw. Politik in Beziehung gesetzt.
Methode: externe Perspektive des Beobachters, kausale Einordnung des Kausalverhältnisses
Recht – Gesellschaft bzw. des Kausalverhältnisses Gesellschaft – Recht; vor allem Beschreibung und Erklärung auf der Grundlage empirischer Untersuchungen, sprachlich vor allem
Beschreibung
3. Geschichte
Ziel: Das Recht wird in Teilen als historisches Phänomen im Zusammenhang anderer historischer Phänomene oder der Dogmengeschichte betrachtet.
Methode: Quelleninterpretation, Beschreibung, externe Perspektive des Beobachters, sprachlich: Beschreibung
4. Rechtsphilosophie
Die Aufgabe der Philosophie besteht in einer umfassenden Erkenntnis der Welt als ganzer.
Abstrakte Bestimmungen der Welt wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Leben, Erkenntnis werden
zum Gegenstand gemacht. Das bedeutet für die Rechtsphilosophie: Sie hat mit den anderen
Disziplinen das Recht als Teil der Welt als ganzes gemeinsam.
Ziel: Einordnung des Rechts in die Welt als ganzes / umfassende Perspektive
Methode: methodenoffen; Selbstreflexion. Wesentlich für die Philosophie ist die Methode der
Begriffsanalyse. Dazu wird gleich noch mehr zu sagen sein; sprachlich: Deskription, Bewertung, Verpflichtung.
Die Rechtsphilosophie unterscheidet sich wie die allgemeine Philosophie in einen praktischen
und einen theoretischen Zweig, nämlich die Rechtstheorie und die Rechtsethik.
(1) Die Rechtstheorie stellt die Frage: Was ist Recht? Enthält entsprechend der theoretischen
Philosophie Disziplinen wie eine Ontologie, Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Logik und
Semiotik des Rechts
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(2) Die Rechtsethik stellt die Frage: Was ist gutes, gerechtes Recht? Sie sucht also nach der
Rechtfertigung bzw. Begründung des Rechts.
II. Begriffe der Rechtstheorie
In der Rechtstheorie werden gegenwärtig wenigstens vier Begriffe unterschieden:
(1) Weitester Begriff: alle Beschäftigung mit dem Recht außer der Dogmatik. Dieser sehr weite Begriff ist wenig überzeugend, weil er alle Unterschiede der Ziele und Methoden der einzelnen nichtdogmatischen Fächer verwischt.
(2) Theoretische Philosophie des Rechts: Dies ist der Begriff, wie er eben entfaltet wurde und
meiner Ansicht nach am überzeugendsten ist.
(3)
„Fortschrittliche
Philosophie“:
Eine
Art
theoretische Soziologie des
Rechts:
„Jurisprudence“: verwischt den Unterschied zur Soziologie. Die Rechtstheorie H.L.A. Harts
in seinem Hauptwerk „The Concepts of Law“ fällt in diese Gruppe.
(4) Eigenständige, nicht auf andere Teile der Welt bezogene Rechtstheorie: sogenannte „Reine
Rechtslehre“. Hauptvertreter ist Hans Kelsen mit dem gleichnamigen Werk. Diese Annahme
ist zweifelhaft, weil es sehr fraglich ist, ob man das Recht in dieser Form von allen anderen
Elementen der Realität isolieren kann.
Ich halte wie gesagt die zweite Alternative für die beste und plädiere deshalb für eine klare
Trennung der Rechtstheorie von der Rechtssoziologie oder einer reinen rechtswissenschaftlichen Betrachtung des Rechts, wie sie Hans Kelsen vorgeschlagen hat.
Die Grundfrage der Rechtstheorie lautet: Was ist Recht?
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Wenn die Methode der Rechtstheorie im Sinne einer theoretischen Philosophie des Rechts die
Begriffsanalyse ist, dann stellt sich die Frage folgendermaßen: Was ist der Begriff des Rechts?
III. Die Methode der Begriffsanalyse
Zentral ist, zwischen Begriff und Wort zu unterscheiden. Aber worin besteht der Unterschied?
1. Worte
Worte sind Teil der Sprache. Ein Satz besteht aus Worten. Das Ziel, das mit der Verwendung
von Worten verbunden ist, ist das der Kommunikation mit anderen und sekundär auch das der
Gedächtnisunterstützung des Sprechers.
2. Begriffe
Begriffe sind nicht Teil der Sprache, sondern des Denkens. Ein Satz besteht nicht aus Begriffen. Ein Urteil bzw. ein Gedanke besteht aus Begriffen. Worte bezeichnen Begriffe, z.B. das
deutsche Wort „Baum“, das engl. Wort „tree“, das franz. Wort „arbre“ den Begriff des
Baums. Es gibt eine Homonymie, d.h. ein Wort steht für zwei Begriffe: „Bank“ steht etwa für
die Geschäftsbank und für das Sitzmöbel.
Das Ziel, das mit Begriffen verfolgt wird, ist die Erkenntnis der Welt, sowie die Ordnung unserer Erkenntnis, z.B. im Recht die Unterscheidung zwischen Eigentum und Besitz.
Warum ist die Begriffsanalyse so geeignet als philosophische Methode, um dem Ziel der Philosophie, d.h. der umfassenden Erkenntnis nahe zu kommen? Der Grund liegt darin, dass die
Begriffe Weltwahrnehmung und Sprache verbinden.
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Erkenntnis (Begriffe)
Welt
Sprache
Die Methode der Begriffsanalyse kann auch als Definition (von lat. finis) verstanden werden.
Welche Arten der Definition gibt es? Drei Arten einer nicht bloß lexikalischen oder vorschlagenden Wortdefinition, sondern einer Begriffsdefinition bzw. Begriffsanalyse lassen sich als
klassische Formen unterscheiden:
(1) Begriffsanalyse durch Feststellung der übergeordneten Gattung und der spezifischen Differenz (per genus proximum et differenciam specificam).
So lässt sich etwa der Begriff „Baum“ mit Bezug auf übergeordnete Gattungen wie Pflanze,
Lebewesen oder Ding verstehen. Die spezifische Differenz ist dabei nicht nur eine einzige.
Was ist die spezifische Differenz für den Begriff „Baum“ gegenüber „Pflanze“? Dies wäre
z.B. sein „Stamm“. Diese klassiche Definitionsform hat schon früh Kritik erfahren, vor allem,
weil die Annahme von übergeordneten Gattungen stark metaphysisch ist.
Nach einer moderneren Fassung werden, ohne auf Gattungen mit spezifischen Differenzen
Bezug zu nehmen, einfach notwendige Bedingungen bzw. Eigenschaften unterschieden. Mehrere dieser notwendigen Bedingungen können dann zu einer notwendigen und hinreichenden
Bedingung bzw. Kombination von Eigenschaften führen. Das Problem bzw. die Kritik besteht
darin, dass diese Kette der notwendigen Eigenschaften nicht abschließend ist. Man nehme
etwa die Definition von Junggeselle als unverheiratetem Mann. Die Bestimmung des Begriffs
„Junggeselle“ durch die zwei notwendigen Merkmale „unverheiratet“ und „Mann“ ist nicht
abschließend, weil vermutlich auch anzunehmen ist, dass Witwer oder Geistliche keine Jung-
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gesellen sind. Man muß also auch noch die notwendigen Bedingungen „kein Witwer“
oder/und „kein Geistlicher“ hinzufügen. Und es gibt möglicherweise noch weitere derartige
notwendige Bedingungen.
(2) Bestimmung durch die Unterbegriffe
Man kann z.B. „Baum“ durch die Unterbegriffe „Nadelbaum“ und „Laubbaum“ bestimmen
und die Unterbegriffe „Nadelbaum“ dann jeweils durch weitere Unterbegriffe wie Fichte,
Tanne, Föhre und „Laubbaum“ durch die Unterbegriffe Eiche, Kastanie, Ulme, Birke usw.
Das Problem dieser Methode besteht darin, dass die Aufzählung nicht einfach als vollständig
angenommen werden kann. Darüber hinaus ist die Unterscheidung der Unterbegriffe variabel
und beliebig. Sie hängt z.B. von bestimmten Zwecken ab.
(3) Definition über die Teile
Sofern es sich bei den Objekten, auf deren Eigenschaften sich die Begriffe beziehen, um körperliche Gegenstände handelt, kann der Begriff auch über die Teile dieser Gegenstände bestimmt werden. So lässt sich etwa der Begriff des „Baums“ über die notwendigen Teile eines
Baumes definieren, also über Stamm, Wurzeln, Äste, Blätter, Blüten/Früchte.
Das Problem dieser Definition besteht darin, dass Teile auch fehlen können, ohne dass der
Gegenstand seine Qualifikation verliert. So würden wir z.B. für die Definition eines Menschen durch seine Teile durchaus auch Arme und Beine angeben, aber wir würden ihm, sofern
er seine Arme und Beine verliert, seine Qualität als Mensch nicht absprechen. Auch die Teile
sind also weitgehend variabel.
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