1 Einleitung: Die Lichtgeschwindigkeit

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Einleitung: Die Lichtgeschwindigkeit
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die elektromagnetische Natur des Lichts
erkannt (J. C. Maxwell, ca. 1870). Wir wollen die Argumentation kurz skizzieren. Die
mathematischen Einzelheiten spielen jedoch für die folgenden Abschnitte keine Rolle.
In Anwesenheit von elektrischen Ladungs- und Stromverteilungen ρ(r, t) bzw. J(r, t)
genügen die elektromagnetischen Felder E(r, t) und B(r, t) den Maxwell-Gleichungen
1
ρ,
ǫ0
(a)
∇·E =
(c)
∇ · B = 0,
(b)
∇ × B = µ0 J + ǫ0 µ0
(d)
∇×E +
∂B
= 0
∂t
∂E
,
∂t
(1)
(SI-Einheiten!), mit den universellen Naturkonstanten
ǫ0 = 8.854 · 10−12
As
,
Vm
µ0 = 1.257 · 10−6
Vs
.
Am
(2)
Wie man leicht zeigen kann,1 efüllt damit im Vakuumfall (ρ ≡ 0, J ≡ 0) jede der sechs
kartesischen Komponenten u(r, t) von E(r, t) und B(r, t) die Wellengleichung
ǫ0 µ0
∂2u
= ∇2 u.
∂t2
(3)
Es gibt also im Vakuum elektromagnetische Wellen mit der universellen Ausbreitungsgeschwindigkeit
c= √
m
1
= 299 792 458 .
ǫ0 µ0
s
(4)
Dieses Ergebnis gibt einerseits den bekannten Wert der Lichtgeschwindigkeit wieder (und
legt die Identifikation dieser elektromagnetischen Wellen mit Licht nahe). Andererseits
ist es jedoch alarmierend, da im Vakuum kein Inertialsystem besonders ausgezeichnet ist,
auf das sich diese Geschwindigkeit beziehen könnte. (Anders als diese elektromagnetischen Wellen haben etwa Schallwellen immer ein Medium, relativ zu dem sie sich mit der
jeweiligen Schallgeschwindigkeit ausbreiten.)
Unter diesen Umständen erschien die Richtig des Maxwellschen Gleichungssystems
zweifelhaft. Zur Aufklärung sollte der Wert (4) experimentell überprüft werden.
1
Zur Herleitung kombiniere man die Maxwell-Gleichungen (b) und (d) unter Beachtung der Identität
∇ × (∇ × A) = ∇(∇ · A) − ∇2 A), wobei im Vakuum jeweils ∇ · E = ∇ · B = 0 ist.
1
Direkte Messung der Geschwindigkeit von Licht zeigt aber tatsächlich: Die festgestellte
Geschwindigkeit hat immer den gleichen, universellen Wert (4), unabhängig von der Relativgeschwindigkeit zwischen Meßgerät und Lichtquelle. In einem Gedankenexperiment
denke man etwa an einen Laser als Lichtquelle und ein Lichtgeschwindigkeits-Meßgerät
(LGM), beides auf je einem Schienenwagen montiert. Die beiden Wagen können sich auf
einer geraden Schiene mit beliebig gewählter Relativgeschwindigkeit v aufeinander zu
oder voneinander weg bewegen. Dann zeigt das LGM unabhängig von v immer denselben
universellen Wert (4) an.
Nach unterschiedlichsten, zum Teil abenteuerlichen Erklärungsversuchen aus den Jahrzehnten vor 1905 war es schließlich Einstein, der die entscheidende Idee hatte: Die traditionelle Vorstellung vom Begriff der Zeit war ihm “verdächtig”. Tatsächlich läßt sich die
Universalität der Lichtgeschwindigkeit widerspruchsfrei erklären, wenn man nur bereit ist,
die vermeintliche Absolutheit der Zeit aufzugeben (Kapitel 2). Dann kann ein- und dasselbe Ereignis für zwei Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, zu verschiedenen
Zeitpunkten t und t′ stattfinden, obwohl die Beobachter ihre Uhren synchronisiert haben.
2
2
Die Lorentz-Transformation (LT)
Die Universalität der Lichtgeschwindigkeit erscheint deshalb verwirrend, da unser Alltag ein falsches Bild vom Begriff der Zeit suggeriert. Wir wollen daher alle subjektiven
Vorstellungen unterdrücken und postulieren:
0. Die Lichtgeschwindigkeit hat in jedem IS den gleichen, universellen Wert c.
Unser Ziel ist es, eine in sich widerspruchsfreie Theorie von Raum und Zeit zu entwickeln,
die mit diesem Postulat vereinbar ist.
2.1
Ereignisse, Ereignis-Koordinaten und Inertialsysteme
Ein Bezugssystem S besteht aus einem Ursprung O, drei paarweise orthogonalen Raumachsen (x, y, z) und einer mit O fest verbundenen Uhr. Ein (Punkt-) Ereignis (z.B. ein
Lichtblitz) hat in S vier Koordinaten (x, y, z, t). Seine räumlichen Koordinanten x, y und
z werden direkt beobachtet. (Man denke sich ein dichtes Netz aus Koordinatenlinien durch
sichtbare Stäbe oder Seile realisiert.) Dann definiert man
t = t0 −
1q 2
x + y2 + z2 ,
c
(5)
wobei t0 die von der Uhr bei O in dem Augenblick angezeigte Zeit ist, in dem der bei O
sitzende Beobachter das Ereignis sieht.
Def.: S heißt ein Inertialsystem, wenn für jedes kräftefreie Teilchen zwei konstante 3Vektoren r0 und v0 existieren, sodaß seine Koordinaten (x, y, z, t) zu jeder Zeit verknüpft
sind durch die Beziehung






v01
x0
x

 



 y  = r0 + v0 t ≡  y0  +  v02  t.
v03
z0
z
(6)
Diese Definition setzt stillschweigend voraus, daß die Kräftefreiheit eines Teilchens
durch eine unabhängige Methode feststellbar ist.
3
2.2
Herleitung der Lorentz-Transformation
Wir betrachten zwei verschiedene Inertialsysteme S und S ′ . Der Ursprung O ′ von S ′
bewege sich mit konstanter Geschwindigkeit v entlang der x-Achse von S. In dem Augenblick, da O ′ den Ursprung O von S passiert, werden die Uhren von S und S ′ zugleich auf
Null gestellt (synchronisiert). Die Raum-Zeit-Koordinaten (x, y, z, t) bzw. (x′ , y ′, z ′ , t′ ), die
ein- und demselben Ereignis in den verschiedenen Inertialsystemen S bzw. S ′ zugeordnet
werden, sind in der Newtonschen Mechanik verknüpft durch die Galilei-Transformation,
x′ = x − vt,
y ′ = y,
z ′ = z,
t′ = t.





(7)




Um vorurteilsfrei zu sein, verlassen wir uns außer auf Postulat (0) nur auf drei fundamentale Annahmen über die Struktur von Raum und Zeit:
I. Der Raum ist isotrop: Alle räumlichen Richtungen sind äquivalent.
II. Raum und Zeit sind homogen: Alle Raumpunkte sind untereinander äquivalent,
alle Zeitpunkte sind untereinander äquivalent.
III. Alle ISe sind gleichberechtigt (Relativitätsprinzip).
Die korrekt transformierten Koordinaten x′ , y ′, z ′ und t′ müssen gewisse Funktionen
von x, y, z und t, sowie des Parameters v sein,
x′ = f1 (v; x, y, z, t),
y ′ = f2 (v; x, y, z, t),
z ′ = f3 (v; x, y, z, t),
t′ = f4 (v; x, y, z, t).





(8)




Die explizite Form dieser Lorentz-Transformation (LT) folgt aus den Prinzipien (0–III).
Die Homogenität von Raum und Zeit (II) impliziert Linearität in x, y, z und t,
x′ = f11 (v) x + f12 (v) y + f13 (v) z + f14 (v) t,
y ′ = f21 (v) x + f22 (v) y + f23 (v) z + f24 (v) t,
z ′ = f31 (v) x + f32 (v) y + f33 (v) z + f34 (v) t,
t′ = f41 (v) x + f42 (v) y + f43 (v) z + f44 (v) t,
mit 16 v-abhängigen Koeffizienten fµν (v).
4









(9)
Weiterhin müssen wegen (I) und (II) viele dieser Koeffizienten verschwinden. Da etwa
den S-Koordinaten (x, y, z, t) = (0, ±y0 , 0, 0) die S ′ -Koordinaten
x′ = ±f12 (v) y0 ,
y ′ = ±f22 (v) y0,
z ′ = ±f32 (v) y0,
t′ = ±f42 (v) y0,
(10)
zugeordnet werden, so folgt f12 (v) = f32 (v) = f42 (v) = 0, sonst wären im Widerspruch zu
(I) die (±y)-Richtungen in S nicht gleichwertig. Ebenso folgt f13 (v) = f23 (v) = f43 (v) = 0.
Außerdem muß x′ verschwinden, wenn x = vt ist,
x′ = γ(v)(x − vt),
y ′ = f22 (v) y,
z ′ = f33 (v) z,
t′ = f44 (v) t + f41 (v) x,





γ(v) := f11 (v).
(11)




Dreht man in S und S ′ die Koordinatenachsen jeweils 180◦ um die z- bzw. z ′ -Achse, dann
wird das Ereignis mit den alten Koordinaten (x, y, z, t) bzw. (x′ , y ′, z ′ , t′ ) durch die neuen
Koordinaten (−x, −y, z, t) bzw. (−x′ , −y ′ , z ′ , t′ ) beschrieben, und die Relativgeschwindigkeit v wechselt ihr Vorzeichen. Es muß also zusammen mit Gl. (11) auch gelten
−x′ = γ(−v)(−x + vt),
−y ′ = − f22 (−v) y,
z ′ = + f33 (−v) z,
t′ = f44 (−v) t − f41 (−v) x.





(12)




Vergleich mit Gl. (11) enthüllt die Symmetrie der Koeffizientenfunktionen,
γ(−v) = γ(v),
fµµ (−v) = fµµ (v) (µ = 2, 3, 4),
f41 (−v) = −f41 (v).
(13)
Die zu (11) inverse Transformation S ′ → S (mit v → −v) ist wegen (III) gegeben durch
x
y
z
t
=
=
=
=
γ(v) (x′ + vt′ ),
f22 (v) y ′,
f33 (v) z ′ ,
f44 (v) t′ − f41 (v) x′ ,





(14)




wo wir bereits die Symmetrien (13) ausgenutzt haben. Durch Vergleich der zweiten und
dritten Gleichung mit den entsprechenden Gleichungen in (11) folgt
f22 (v) = f33 (v) ≡ 1.
(15)
5
Erst jetzt werden wir von Postulat (0) Gebrauch machen. Wird zur Zeit t = t′ = 0
ein Lichtsignal vom dann gemeinsamen Ursprung O = O ′ ausgesandt, so erreicht es in S
nach der Laufzeit t den Ort x = ct. Dieses letztere Ereignis hat in S ′ die Koordinaten x′
und t′ , wobei x′ = ct′ , da die Lichtgeschwindigkeit nach Postulat (0) in beiden ISen den
gleichen Wert c hat. Mit t = x/c in der ersten Gleichung in (11) und t′ = x′ /c in der
ersten Gleichung in (14) folgt
x′ = γ(v)x 1 −
v
,
c
x′ x = γ(v)2 xx′ 1 −
⇒
x = γ(v)x′ 1 +
v2 c2
⇒
v
c
1
γ(v) = q
1−
v2
c2
.
(16)
Mit x′ = γ(v)(x − vt) findet man weiter
t=
x − x′ /γ(v)
v
t′ ≡
⇒
x′ − x/γ(v)
v = ... = γ(v) t − 2 x .
−v
c
(17)
Hier wurde im letzten Schritt nochmals x′ = γ(v)(x−vt) eingesetzt. Somit ist die gesuchte
Lorentz-Transformation (8) explizit gegeben durch
x′ = γ(v)(x − vt),
y ′ = y,
z ′ = z, t′ = γ(v) t − cv2 x ,











γ(v) := √
1
,
1 − β2
v
β := .
c
(18)
Dies ist offenbar die einfachst mögliche Verallgemeinerung der Galilei-Transformation (7),
die mit den Prinzipien (0–III) vereinbar ist. Ein Ereignis, für das der Beobachter in S die
Raum-Zeit-Koordinaten (x, y, z, t) feststellt, hat für den Beobachter in S ′ die Koordinaten
(x′ , y ′ , z ′ , t′ ), entsprechend Gl. (18). Dabei ist offensichtlich in der Regel t′ 6= t, obwohl es
sich um ein- und dasselbe Ereignis handelt und beide Beobachter ihre Uhren synchronisiert
haben! Nur im hypotetischen Fall c = ∞ erhält man Gl. (7) (mit t = t′ ) zurück.
Die inverse LT ergibt sich durch Ersetzung v → −v,
x = γ(v)(x′ + vt′ ),
y = y ′,
z = z′ , t = γ(v) t′ + cv2 x′ ,






(19)





wie man durch Einsetzen leicht bestätigt.
6
Falls die Geschwindigkeit v = (vx , vy , vz )T von S ′ relativ zu S nicht in x-Richtung (von
S) weist, müssen wir lediglich den Ortsvektor r = (x, y, z)T in Gl. (18) in Komponenten
parallel (k) und senkrecht (⊥) zu v zerlegen,


v
xvx + yvy + zvz  x 
r·v
rk = 2 v =
 vy  ,
v
v2
vz
r⊥ = r − rk .
(20)
Dann ergibt Gl. (18)
r′k = γ(v)(rk −vt),
r′⊥ = r⊥ ,
t′ = γ(v) t−
v rk · v r · v
≡
γ(v)
t−
.
c2 v
c2
(21)
Mit r′ = r′k + r′⊥ folgt also
(r · v)v
r = r + [γ(v) − 1]
− γ(v)vt,
2
v
r·v
t′ = γ(v) t − 2 .
c
′




(22)



Die inverse Transformation S ′ → S ergibt sich durch Ersetzung v → −v,
(r′ · v)v
r = r + [γ(v) − 1]
+ γ(v)vt′ ,
2
v
r′ · v ′
t = γ(v) t + 2 .
c
′
2.3




(23)



Das Additionstheorem für Geschwindigkeiten
Um zu prüfen, ob die LT (18) tatsächlich das in der Einleitung (Kapitel 1) erläuterte,
paradox wirkende Verhalten der Lichtgeschwindigkeit richtig beschreibt, betrachten wir
ein Teilchen, das sich im System S ′ mit der konstanten Geschwindigkeit u entlang der
x′ -Achse bewegt,
u=
x′B − x′A
∆x′
.
=
∆t′
t′B − t′A
(24)
Hier sind x′A und x′B seine in S ′ zu den Zeitpunkten t′A bzw. t′B festgestellten Ortskoordinaten. Nach Gl. (19) sind die entsprechenden Koordinatendifferenzen, die ein Beobachter
in S feststellt
′
∆x = γ(v)(∆x
+ v∆t′ ),
∆t = γ(v) ∆t′ + cv2 ∆x′ .
)
(25)
7
Schreibt man hier ∆x′ = u∆t′, gemäß Gl. (24), so folgt für die Geschwindigkeit w des
Teilchens, die der Beobachter in S feststellt,
w≡
∆x
u+v
.
=
∆t
1 + uv
c2
(26)
Dies ist das relativistische Additionstheorem für Geschwindigkeiten. Im Fall u, v ≪ c
kann der Term uv/c2 im Nenner vernachlässigt werden, und es gilt in guter Näherung
die Galileische Additionsregel w = u + v. Während diese Regel in Fällen wie etwa u =
v = 0.9c Überlichtgeschwindigkeiten w liefern würde, ergibt Gl. (26) den korrekten Wert
1.8
c = 0.9945c. Ist insbesondere das “Teilchen” ein Lichtstrahl, u = c, so ergibt
w = 1.81
Gl. (26) auch w = c. Licht hat also tatsächlich in jedem IS die gleiche Geschwindigkeit c.
Wir untersuchen noch das Transformationsverhalten einer beliebigen Geschwindigkeit.
Ein Teilchen bewege sich in S ′ mit konstanter Geschwindigkeit u,
u=
∆r′
r′B − r′A
≡
.
∆t′
t′B − t′A
(27)
Hier sind r′A und r′B seine Ortskoordinaten (in S ′ ) zu den Zeitpunkten t′A bzw. t′B . Nach
Gl. (23) sind die entsprechenden Koordinatendifferenzen, die ein Beobachter in S feststellt
(v · ∆r′)v
+ γ(v)v∆t′ ,
∆r = ∆r + [γ(v) − 1]
2
v
v · ∆r′ .
∆t = γ(v) ∆t′ +
c2
′




(28)



Schreibt man hier ∆r′ = u∆t′ , gemäß Gl. (27), so folgt für die Geschwindigkeit w des
Teilchens, die der Beobachter in K feststellt,
w≡
u+
∆r
=
∆t
(γ − 1) (v·u)
v
v2
v·u
γ(1 + c2 )
+ γv
=
√
Im wichtigsten Fall v k u folgt mit v · u = vu und
2.4
h
1−β 2 u + (1 −
v·u
v2
=
√
1+
u
v
i
+1 v
1−β 2 ) v·u
v2
v·u
c2
.
(29)
die einfache Formel (26).
Relativität der Gleichzeitigkeit
Zwei Ereignisse A und B, die in S gleichzeitig sind, tA = tB , müssen dies in S ′ nicht sein.
Mit tA = tB ergibt nämlich die vierte Gleichung von Gl. (18)
t′A − t′B = γ
v
(xB − xA ),
c2
(30)
was für xA 6= xB nicht verschwindet. Wir werden auf dieses Phänomen noch ausführlich
zu sprechen kommen.
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