Expressed Emotion in Familien von Kindern mit Störung

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Aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und
Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln
Direktor: Universitätsprofessor Dr. med. St. Bender
Expressed Emotion in Familien von Kindern
mit Störung des Sozialverhaltens
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Würde
eines doctor rerum medicinalium
der Hohen Medizinischen Fakultät
der Universität zu Köln
vorgelegt von
Lioba Carmen Schuh
aus Bonn
promoviert am 05. August 2015
Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Fakultät
der Universität zu Köln (2015)
Dekan:
Universitätsprofessor Dr. med. Dr. h. c. Th. Krieg
1. Berichterstatter:
Universitätsprofessor Dr. sc. hum. M. Döpfner
2. Berichterstatter:
Privatdozent Dr. med. O. Fricke
Erklärung
Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne
unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen
Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt
übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht.
Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung
des
Manuskriptes
habe
ich
Unterstützungsleistungen
von
folgenden
Personen erhalten:
Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred Döpfner
Privatdozentin Dr. rer. medic. Anja Görtz-Dorten
Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden
Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe einer Promotionsberaterin / eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte
haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für
Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten
Dissertationsschrift stehen.
Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im
Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde
vorgelegt.
Köln, den 16.12.2014
Lioba Carmen Schuh, Dipl.-Psych.
II
Die Erarbeitung des Konzeptes dieser Dissertation erfolgte unter Anleitung
von Herrn Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred Döpfner und Frau
Privatdozentin Dr. rer. medic. Anja Görtz-Dorten, Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln.
Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Daten wurden von mir sowie den
folgenden Personen erhoben:
1. Christina Benesch, Dipl.-Psych.
2. Ute Berger, Dipl.-Psych.
3. Emel Berk, Dipl.-Psych., Dipl.-Heilpäd.
4. Martin Faber, Dipl.-Päd.
5. Timo Lindenschmidt, Dipl.-Psych.
6. Rahel Stadermann, Dipl.-Psych.
An der Auswertung der Five Minute Speech Sample war neben mir Frau
Kristin Scholz beteiligt. Die Studienteilnehmer wurden in der Klinik und
Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindesund Jugendalters der Universität zu Köln, sowie in der Christoph-DornierStiftung für Klinische Psychologie an der Universität zu Köln, behandelt.
III
INHALTSVERZEICHNIS
1!
1.1!
EINLEITUNG - EXPRESSED EMOTION IN DER KLINISCHEN
KINDERPSYCHOLOGIE
1!
Stand der Forschung
3!
1.1.1! Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Psychopathologie von Kind und
4!
Eltern
1.1.2! Interventionseffekte auf Expressed Emotion und Psychopathologie der Eltern
13!
1.2!
Fragestellung und Ziele der Studie
16!
2!
METHODIK
18!
2.1!
Die THAV-Studie
18!
2.1.1! Rekrutierung der Probanden
19!
2.1.2! Intervention und Durchführung der Datenerhebung
20!
2.1.3! Zentrale Ergebnisse der THAV-Studie
21!
2.2!
22!
Hypothesen
2.2.1! Hypothesen bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und der
22!
Symptomatik von Eltern und Kind
2.2.2! Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed Emotion und die
internalisierende Symptomatik der Eltern
24!
2.2.3! Hypothese bezüglich Expressed Emotion als Mediator der Interventionseffekte auf
2.3!
Callous-Unemotional Traits
24!
Operationalisierung der Konstrukte
25!
2.3.1! Expressed Emotion
25!
2.3.2! Internalisierende Symptomatik der Eltern
28!
2.3.3! Aggressive und komorbide Symptomatik des Kindes
28!
2.3.4! Callous-Unemotional Traits des Kindes
29!
2.4!
31!
Statistische Methoden
2.4.1! Bestimmung der Inter-Rater-Reliabilität für die Five Minute Speech Sample
31!
2.4.2! Statistische Prüfung der Zusammenhangshypothesen
33!
2.4.3! Statistische Prüfung der Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte
34!
2.4.4! Statistische Prüfung der Mediatorhypothesen
35!
3!
ERGEBNISSE
36!
3.1!
Beschreibung der Stichprobe
36!
3.1.1! Ein- und Ausschlüsse
36!
3.1.2! Anzahl der ausgewerteten Patienten und Umgang mit Missings
37!
3.1.3! Patientencharakteristika zu Studienbeginn
39!
3.2!
40!
Weiterentwicklung der Five Minute Speech Sample
3.2.1! Expressed Emotion-Score
41!
IV
3.2.2! Inter-Rater-Reliabilität
3.3!
43!
Ergebnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und
Symptomatik von Eltern und Kind
44!
3.3.1! Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und internalisierender
44!
Symptomatik der Eltern
3.3.2! Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie
Callous-Unemotional Traits des Kindes
45!
3.3.3! Bivariate Zusammenhänge zwischen internalisierender Symptomatik der Eltern,
Symptomatik des Kindes und Callous-Unemotional Traits des Kindes
47!
3.3.4! Multivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie
3.4!
Callous-Unemotional Traits des Kindes
50!
Ergebnisse bezüglich der Interventionseffekte
51!
3.4.1! Effekte der Intervention auf Expressed Emotion
51!
3.4.2! Effekte der Intervention auf die internalisierende Symptomatik der Eltern
52!
3.5!
Mediatoreffekte von Expressed Emotion
53!
4!
DISKUSSION
55!
4.1!
Bewertung der Ergebnisse und Einordnung in den Forschungskontext
55!
4.2!
Stärken und Grenzen der Studie
60!
4.3!
Implikationen für die klinische Praxis
63!
5!
ZUSAMMENFASSUNG
65!
6!
LITERATURVERZEICHNIS
67!
7!
ANHANG: FIVE MINUTE SPEECH SAMPLE
77!
8!
LEBENSLAUF
99!
V
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
1 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen
Kinderpsychologie
Neben der genetischen Prädisposition und den Einflüssen der Peergroup
spielen familiendynamische Prozesse eine große Rolle bei der Entstehung
und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen des Kindes- und
Jugendalters. Ein weit verbreitetes familiendynamisches Konzept ist das der
Expressed Emotion. Dieses ursprünglich aus der Schizophrenieforschung
stammende psychologische Konstrukt, welches das emotionale Klima in der
Familie abbilden soll, hat sich inzwischen auch in der Forschung zur
Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters als fruchtbar erwiesen.
Unter Expressed Emotion versteht man das Ausmaß der von einer engen
Bezugsperson geäußerten Kritik, Feindseligkeit und/oder emotionalen
Überinvolviertheit gegenüber einem Indexpatienten (Brown & Rutter, 1966;
Magaña et al., 1986; Rutter & Brown, 1966; Vaughn & Leff, 1976).
In den 1960er und 1970er Jahren wurde das Konstrukt der Expressed
Emotion von der Arbeitsgruppe um George Brown und Michael Rutter in
Großbritannien aus einem semistrukturierten klinischen Interview – dem
sogenannten Camberwell Family Interview (CFI) – entwickelt und insbesondere in der Forschung an erwachsenen schizophrenen Patienten angewandt
(Brown & Rutter, 1966; Rutter & Brown, 1966). Bei dem Expressed EmotionIndex oder –Status handelt es sich um ein dichotomes Maß, wobei Bezugspersonen mit High Expressed Emotion einen definierten Cut-Off entweder
bezüglich Kritik und Feindseligkeit – High Criticism (CRIT) – oder bezüglich
emotionaler Überinvolviertheit – High Emotional Overinvolvement (EOI) –
überschreiten. Der Expressed Emotion-Status erwies sich in mehreren
Jahrzehnten klinischer Forschung als ein starker und robuster Prädiktor für
Rückfälle bei Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis sowie später
auch bei Depressionen oder anderen psychischen Störungen des Jugend- und
Erwachsenenalters (Butzlaff & Hooley, 1998). Die Bedeutung des Konstrukts
erschließt sich insbesondere aus den Implikationen für die Behandlung
psychischer Störungen: Selbst bei Patienten mit Schizophrenie, die vor allem
medikamentös behandelt werden müssen, ist der Einbezug der nächsten
1
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Bezugspersonen, also von Partnern oder Eltern, essentiell für den langfristigen Behandlungserfolg. Die Arbeiten der Gruppe um Brown und Rutter
(Brown, Birley & Wing, 1972; Rutter & Brown, 1966) und später von Vaughn
und Leff (1976) waren wegweisend für die Entwicklung und Verbreitung
neuer Behandlungskonzepte, die eine Psychoedukation für Angehörige und
familientherapeutische Interventionen beinhalteten, um Expressed Emotion
und damit das Rückfallrisiko zu senken. Die Entwicklung eines deutlich
ökonomischeren Messinstruments zur Erfassung von Expressed Emotion
durch Magaña und Kollegen (Magaña et al., 1986) – die sogenannte Five
Minute Speech Sample (FMSS) – ermöglichte eine breitere Anwendung auch
in größeren Stichproben sowie die Messung von Expressed Emotion im
Verlauf psychischer Störungen oder in nicht-klinischen Stichproben, da nicht
wie beim CFI konkret nach der Erkrankung gefragt, sondern ohne weitere
Vorgaben eine freie Beschreibung des Kindes/Partners und der Beziehung zu
diesem erbeten wird.
Nachdem Schachar und Kollegen 1987 erstmals eine Untersuchung
vorgestellt hatten, in der Expressed Emotion der Eltern von sechs- bis
zehnjährigen Kindern mit ADHS erhoben wurde (Schachar, Taylor,
Wieselberg, Thorley & Rutter, 1987), wurden ab 1990 zunehmend Studien
zur Bedeutung von Expressed Emotion für den Verlauf kinder- und
jugendpsychiatrischer
Störungen
publiziert
(für
einen
Überblick:
Schimmelmann et al., 2003). Einige dieser Studien konnten auch einen
Zusammenhang zwischen dem Expressed Emotion-Status der Bezugsperson
und der expansiven Symptomatik des Kindes aufzeigen (siehe 1.1.1). Es
bestehen jedoch nach wie vor Unklarheiten bezüglich der Kausalitätsrichtung, die durch den Zusammenhang abgebildet wird: Trägt beispielsweise die
offene Kritik des Vaters zur Manifestation der Störung bei oder ruft das
aggressive Verhalten des Kindes erst die Kritik des Vaters hervor?
Vermutlich wird nur die Annahme einer wechselseitigen Beziehung zwischen
geäußerter Kritik und Symptomatik des Kindes der Komplexität des
Prozesses gerecht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Expressed
Emotion-Status lediglich ein Indikator für andere assoziierte Faktoren wie
die allgemeine Belastung der Familie, das subjektive Störungskonzept oder
2
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
psychopathologische Merkmale der Eltern ist oder ob das Konstrukt einen
eigenständigen Beitrag zur Erklärung der Psychopathologie des Kindes
leistet.
Auf dem Gebiet der familiendynamischen Prozesse bei Störungen des
Sozialverhaltens besteht nach wie vor Forschungsbedarf. Wir wissen, dass
die genetische Prädisposition einen Faktor bei der Entstehung dieser
Verhaltensstörungen darstellt. Dies hat uns auf der Interventionsebene
jedoch noch nicht wesentlich weiter gebracht. Hier kommt es aus verhaltenstherapeutischer Sicht vielmehr auf die Identifikation der aufrechterhaltenden Bedingungen und die Ableitung entsprechender Interventionen an. Das
Ziel der vorliegenden Arbeit liegt darin, unser Verständnis der Bedeutung
von Expressed Emotion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von
Störungen des Sozialverhaltens im Kindesalter zu erweitern.
1.1 Stand der Forschung
Über den Zusammenhang von Expressed Emotion mit verschiedenen
psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters existiert eine
übersichtliche Menge an Arbeiten, die zum Teil widersprüchliche Erkenntnisse hervorbringen (Schimmelmann et al., 2003). Das Spektrum der
untersuchten Störungen umfasst schizophrene Störungen, Depression,
Angst-
und
Zwangsstörungen,
Essstörungen
sowie
Verhaltens-
und
hyperkinetische Störungen. Es kann zwischen solchen Arbeiten unterschieden werden, die verschiedene Diagnosen im Hinblick auf Expressed Emotion
miteinander vergleichen, also z.B. Störungen des Sozialverhaltens mit
Angststörungen, und solchen, die innerhalb eines Störungsbildes nach
Unterschieden im Ausprägungsgrad in Abhängigkeit von Expressed Emotion
suchen oder den prädiktiven Wert des Konstrukts für den Verlauf der
jeweiligen Störung ermitteln. Einige wenige Arbeiten überprüfen im Rahmen
von Therapiewirksamkeitsstudien auch die Effekte von Interventionen auf
den Verlauf von Expressed Emotion. Bezüglich des Zusammenhangs von
Expressed Emotion mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern bzw. zur
Abgrenzung dieser beiden familiären Risikofaktoren voneinander liegen
ebenfalls nur wenige Studien vor. Im Folgenden soll zunächst ein Überblick
3
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
über den Stand der Forschung zu Expressed Emotion im Kindes- und
Jugendalter gegeben werden, wobei der Fokus auf dem Kontext expansiver
Verhaltensstörungen
(also
oppositionelles,
dissozial/aggressives
und
hyperkinetisches Problemverhalten) liegt.
1.1.1 Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und
Psychopathologie von Kind und Eltern
Zusammenhänge im Querschnitt
Der Zusammenhang von Expressed Emotion mit expansiven Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter hat sich im Querschnitt als robust erwiesen:
Kinder von Eltern mit High Expressed Emotion weisen mehr externalisierende Verhaltensprobleme auf als Kinder von Eltern mit Low Expressed
Emotion. Dabei ist ein konsistenter Befund, dass dies nur für Expressed
Emotion basierend auf Kritik gilt (CRIT), nicht für Expressed Emotion
basierend auf emotionaler Überinvolviertheit (EOI). Letztere ist jedoch
ohnehin in ihrer Übertragbarkeit auf das Kindesalter umstritten (Vostanis,
Nicholls & Harrington, 1994; Hodes, Dare, Dodge & Eisler, 1999; Baker,
Heller & Henker, 2000; Daley, Sonuga-Barke & Thompson, 2003), da vor
allem die Kriterien für überprotektives Verhalten für Eltern von jüngeren
Kindern nicht dieselben sein können wie für Eltern von erwachsenen
Patienten.
In einer Vielzahl von Studien korrelierte die Ausprägung externalisierender
Verhaltensweisen des Kindes positiv mit der von den Eltern (bzw. meist von
der Mutter) zum Ausdruck gebrachten Kritik (Baker et al., 2000; Bolton et
al., 2003; Cartwright et al., 2011; Caspi et al., 2004; Green, Stanley & Peters,
2007; Hastings, Daley, Burns & Beck, 2006; Hirshfeld, Biederman, Brody,
Faraone & Rosenbaum, 1997; Hodes & Garralda, 1999; McCarty & Weisz,
2002; Nelson, Hammen, Brennan & Ullman, 2003; Peris & Hinshaw, 2003;
Peris & Baker, 2000; Psychogiou, Daley, Thompson & Sonuga-Barke, 2007;
Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009) und negativ mit der
elterlichen Wärme (Bolton et al., 2003; Caspi et al., 2004; Christiansen,
4
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Oades, Psychogiou, Hauffa & Sonuga-Barke, 2010; Hodes & Garralda, 1999;
Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009).
Hibbs und Kollegen (Hibbs et al., 1991) fanden einen signifikant höheren
Anteil an High Expressed Emotion in Familien von Kindern mit einer
psychischen Störung (Störung des Sozialverhaltens oder Zwangsstörung) als
in der gesunden Kontrollgruppe. Zwischen den beiden Störungsbildern
variierte Expressed Emotion jedoch nicht. In einer Arbeit von Stubbe und
Kollegen (Stubbe, Zahner, Goldstein & Leckman, 1993) wurde dagegen
zwischen High Expressed Emotion CRIT und High Expressed Emotion EOI
differenziert. Dabei zeigte sich, dass bei Eltern mit High Expressed Emotion
CRIT die Rate von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens (SSV)
signifikant erhöht war, wohingegen beim Vorliegen von High Expressed
Emotion EOI das Risiko für eine Angststörung erhöht war. In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis zeigte eine andere Untersuchung (Vostanis et al.,
1994), die noch weiter zwischen den Subkomponenten von Expressed
Emotion differenzierte, dass das Ausmaß an Wärme der Mutter bei Kindern
mit SSV niedriger war als bei Kindern mit einer emotionalen Störung (Angst
oder depressive Symptomatik) und bei diesen wiederum niedriger als in der
gesunden Kontrollgruppe. Die mütterliche Kritik differenzierte hingegen
ausschließlich die SSV-Gruppe von den beiden anderen Gruppen. Emotionale
Überinvolviertheit variierte nicht zwischen den drei Gruppen.
In den meisten Studien wird das Ausmaß der externalisierenden Verhaltensprobleme in einer Risiko- oder Feldstichprobe oder als komorbide
Symptomatik im Rahmen einer ADHS-Diagnose betrachtet. Bei Kindern mit
ADHS sind komorbide oppositionelle und aggressive Verhaltensprobleme mit
High Expressed Emotion (CRIT) der Eltern assoziiert (Peris & Hinshaw,
2003; Psychogiou et al., 2007; Christiansen et al., 2010; Cartwright et al.,
2011; Richards et al., 2014). Jedoch zeigte sich in einer Stichprobe von
Mädchen mit ADHS, dass die Korrelation von Expressed Emotion mit der
SSV-Komorbidität bei Kontrolle der ADHS-Diagnose nicht bestehen blieb,
während umgekehrt Expressed Emotion bei Kontrolle der SSV-Komorbidität
weiterhin mit der ADHS-Diagnose korrelierte (Peris & Hinshaw, 2003), was
laut Autoren für einen stärkeren Zusammenhang von Expressed Emotion mit
5
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
ADHS- als mit SSV-Symptomen spreche. In einer Feldstichprobe von Jungen
im Schulalter zeigte sich hingegen das umgekehrte Muster, nämlich dass bei
einer
multiplen
Regressionsanalyse
der
Zusammenhang
mit
ADHS-
Symptomen nicht bestehen blieb – im Gegensatz zu SSV-Symptomen
(Psychogiou et al., 2007). Für klinische Stichproben liegen hiermit übereinstimmende Befunde von Cartwright et al. (2011) sowie Christiansen et al.
(2010) vor.
Nur wenige Arbeiten untersuchen explizit Kinder mit der Hauptdiagnose
einer Störung des Sozialverhaltens (Green et al., 2007; Hibbs et al., 1991;
Hibbs, Zahn, Hamburger, Kruesi & Rapoport, 1992; Vostanis et al., 1994). In
diesen Studien wird jedoch meist eine Gruppe von Kindern mit SSV mit
einer Gruppe von Kindern mit einer anderen psychischen Störung und einer
gesunden Kontrollgruppe in Hinblick auf Expressed Emotion der Eltern
verglichen (s.o.). Lediglich bei Green et al. (2007) findet sich eine Aussage
über die Korrelation von Expressed Emotion (niedrig, grenzwertig, hoch) mit
der Ausprägung der externalisierenden Verhaltensprobleme innerhalb einer
Stichprobe von Kindern mit SSV. Dabei zeigte sich ein signifikanter
Zusammenhang mit der Schwere der kindlichen Symptomatik im Elternurteil, jedoch nicht im Lehrerurteil. Zudem lag eine signifikante Korrelation
von Expressed Emotion mit der Ausprägung der depressiven Symptomatik
der Mutter vor. In einer multivariaten Analyse blieb der Effekt der
depressiven Symptomatik erhalten, während der Effekt von Expressed
Emotion verschwand. Leider wurde bei den berichteten Ergebnissen nicht
zwischen den beiden in der Stichprobe enthaltenen Diagnosegruppen
Oppositional-Defiant Disorder, also SSV mit oppositionellem, aufsässigem
Verhalten, und Conduct Disorder, also SSV mit aggressivem oder dissozialem Verhalten, differenziert.
Überhaupt findet man in den genannten Studien selten eine Differenzierung
von oppositionellen und aggressiven oder dissozialen Symptomen, vielmehr
wird meist ein Gesamtscore für externalisierende Verhaltensprobleme
herangezogen, beispielsweise die entsprechende Skala der Child Behavior
Checklist (Achenbach, 1991). Dabei handelt es sich um qualitativ sehr
unterschiedliche Symptom-Komplexe mit spezifischen Risikofaktoren und
6
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
zugrundeliegenden ätiologischen Modellen. Insbesondere kommt bei den
Störungen des Sozialverhaltens mit aggressiv-dissozialem Verhalten den
sogenannten Callous-Unemotional Traits (CU-Traits) eine wichtige Rolle bei
der Differenzierung von Subtypen zu. Unter CU-Traits versteht man
Merkmale wie Gefühlskälte und Mangel an Empathie und Schuldgefühlen,
welche auch als Risikofaktoren für Psychopathie und die antisoziale
Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter gelten. Sie wurden als Specifier
der Störungen des Sozialverhaltens in das aktuelle Diagnostic and Statistical
Manual of Mental Disorders (DSM-V; American Psychiatric Association,
2013) aufgenommen. Es liegen allerdings bis dato keine publizierten
Untersuchungen über den Zusammenhang von CU-Traits des Kindes mit
Expressed Emotion der Eltern vor, obgleich dieser zu erwarten wäre – zum
Einen da beide Konstrukte mit aggressivem Verhalten korreliert sind, zum
Anderen da Korrelationen von CU-Traits mit ähnlichen Variablen der
Erziehung, der Eltern-Kind-Beziehung oder des kindbezogenen Affekts der
Eltern aufgezeigt werden konnten (für einen Überblick siehe Waller,
Gardner & Hyde, 2013). Die Anzahl entsprechender Studien ist indes
übersichtlich, möglicherweise da in der Forschung zu CU-Traits im
Kindesalter zunächst vor allem große Heritabilitätseffekte Aufsehen
erregten (Viding, Blair, Moffitt & Plomin, 2005), und sich der Einfluss
ineffektiver Erziehungspraktiken auf die Verhaltensprobleme des Kindes
beim Vorliegen von CU-Traits als deutlich geringer herausstellte als bei
Kindern ohne diese Merkmale (Wootton, Frick, Shelton & Silverthorn, 1997).
Kinder mit stark ausgeprägten CU-Traits sprechen jedoch weniger auf
Bestrafung als vielmehr auf positive Verstärkung und elterliche Wärme an
(Frick & White, 2008; White & Frick, 2010). Bei Kindern mit SSV, die keine
CU-Traits aufweisen, spielen dysfunktionale Erziehungsstrategien wie
mangelnde
Aufsicht,
inkonsequentes
Sanktionieren
und
körperliche
Züchtigung eine bedeutsame Rolle bei der Entwicklung der aggressiven
Symptomatik. Bei Kindern mit ausgeprägten CU-Traits stehen diese
Erziehungspraktiken hingegen in keinem Zusammenhang mit der Aggressivität (Wootton et al., 1997). Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass die
Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, also geteilter positiver Affekt und die
7
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
mütterliche Feinfühligkeit und Wärme, die moralische Entwicklung des
Kindes fördert, insbesondere wenn dieses ein wenig gehemmtes Temperament aufweist (Barker, Oliver, Viding, Salekin & Maughan, 2011; Kochanska
& Murray, 2000; Kochanska, 1997). Zudem findet sich bei Kindern von
Müttern, die geringe Akzeptanz und Verständnis für die kindlichen
Emotionen zeigen, eine höhere Ausprägung von CU-Traits (Pasalich,
Waschbusch, Dadds & Hawes, 2014). Kochanska und Kollegen konnten
zeigen, dass der Zusammenhang von Gegenseitigkeit und geteiltem positiven
Affekt in der Eltern-Kind-Interaktion mit späteren externalisierenden
Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern mit erhöhten CU-Traits ausgeprägter
war als bei Kindern ohne CU-Traits (Kochanska, Kim, Boldt & Yoon, 2013).
Pasalich et al. untersuchten den moderierenden Effekt von CU-Traits auf
den Zusammenhang zwischen Coercive Parenting (erzwingender Erziehung)
und elterlicher Wärme mit den Verhaltensproblemen des Kindes (Pasalich,
Dadds, Hawes & Brennan, 2011). Coercive Parenting wurde während einer
Eltern-Kind-Interaktion beobachtet und umfasste z.B. Bestrafung, drohendes Verhalten und Kritik. Die elterliche Wärme wurde mithilfe des FMSSVerfahrens erhoben; die Auswertung erfolgte jedoch anhand eines alternativen Kodierschemas, Expressed Emotion im engeren Sinne wurde nicht
erfasst. Es zeigte sich, dass CU-Traits mit niedrigerer Wärme einhergingen,
aber nicht mit Coercive Parenting. Ferner war mütterliche Wärme nur bei
Jungen mit ausgeprägten CU-Traits mit den berichteten Verhaltensproblemen korreliert; umgekehrt war mütterliches Coercive Parenting nur bei
Jungen mit gering ausgeprägten CU-Traits mit Verhaltensproblemen
korreliert. Für Väter bestanden dieselben, wenn auch statistisch z.T. nicht
signifikanten Tendenzen. Insgesamt ergeben sich aus der Befundlage also
Hinweise auf einen noch näher zu bestimmenden Zusammenhang zwischen
Expressed Emotion und Callous-Unemotional Traits bei Kindern mit einer
Störung der Sozialverhaltens.
8
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Zusammenhänge im Längsschnitt – Expressed Emotion als Prädiktor
späterer Verhaltensauffälligkeiten
Die beschriebenen Korrelationen von Expressed Emotion der Eltern mit
externalisierenden Verhaltensproblemen und anderen psychopathologischen
Merkmalen des Kindes im Querschnitt erlauben natürlich noch keinen
Schluss über Kausalzusammenhänge. Die oben verwendete Formulierung
„Kinder von Eltern mit High Expressed Emotion weisen mehr externalisierende Verhaltensprobleme auf als Kinder von Eltern mit Low Expressed
Emotion“ suggeriert, dass High Expressed Emotion die Verhaltensprobleme
verursacht. Die umgekehrte Wirkrichtung ist aber ebenso plausibel, nämlich
dass Verhaltensauffälligkeiten des Kindes eine kritische Haltung bei den
Eltern hervorrufen und dass diese ihrem Kind gegenüber nicht mehr dieselbe
Wärme entgegenbringen können wie vielleicht vor Beginn der Verhaltensprobleme. Schimmelmann et al. (2003, S. 523) fassen in einem Review
zusammen, dass vier Interpretationen der Befunde in Frage kommen:
„1. Hoch-EE
High Expressed Emotion verursacht den ungünstigen
Verlauf einer Störung (Ursachenhypothese)
2. Hoch-EE ist eine Reaktion auf den Verlauf der Symptomatik des
Patienten (Reaktionshypothese)
3. Der EE-Status und der Störungsverlauf beeinflussen sich wechselseitig, und der Zusammenhang beider Variablen wird von einer Vielzahl
von Moderatorvariablen wie etwa von der Interpretation der Erkrankung
durch Angehörige oder von Coping-Mechanismen der Familie beeinflusst
(multikonditionale Hypothese).
4. Sowohl der EE-Status der Eltern als auch der Störungsverlauf sind
beide Epiphänomene einer dritten Variable im Sinne des Endogenitätskonzepts, wie z.B. der genetischen Disposition für depressive Störungen.“
Die Plausibilität der verschiedenen Erklärungsansätze kann in Längsschnittstudien geprüft werden. Es liegen einige wenige solcher Studien vor,
die Aufschluss über die Richtung des Zusammenhangs versprechen. Die
Ergebnisse sind jedoch nicht völlig konsistent: Während in einigen Arbeiten
das Ausmaß an Expressed Emotion der Eltern die Ausprägung externalisierender Verhaltensprobleme oder das Vorliegen einer ADHS- oder SSV9
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Diagnose zu einem späteren Zeitpunkt vorhersagte (Bader, 2012; Caspi et
al., 2004; Greenberg, Seltzer, Hong & Orsmond, 2006; Peris & Baker, 2000),
konnte in anderen Untersuchungen ein solcher Prädiktoreffekt nicht
(Richards et al., 2014; Vostanis & Nicholls, 1995) oder nur mit Einschränkungen (d.h. nur für Wärme, nicht für Kritik) bestätigt werden (Baker et al.,
2000; Hastings et al., 2006). Keiner dieser Befunde schließt indes eine
wechselseitige Beeinflussung bzw. die oben genannte multikonditionale
Zusammenhang-Hypothese aus. Rutter et al. (1997) liefern Hinweise auf eine
solche Wechselwirkung. In einer Längsschnittstudie wurde Hyperaktivität
als Risikofaktor für späteres dissoziales Verhalten untersucht. Jungen, die
im Alter von sieben Jahren dissoziales Verhalten und Hyperaktivität zeigten,
hatten ein höheres Risiko für dissoziale Verhaltensauffälligkeiten zehn Jahre
später als nicht hyperaktive Jungen. Zugleich war das Risiko für dissoziales
Verhalten im Alter von siebzehn Jahren sowohl in der Gruppe mit als auch
ohne Hyperaktivität für diejenigen erhöht, deren Eltern Kritik und
Feindseligkeit äußerten. Das heißt, die beste Vorhersage dissozialen
Verhaltens konnte mit der Kombination der beiden Faktoren Frühe
Hyperaktivität und Kritik erzielt werden. Eine andere Möglichkeit, die
Richtung des Zusammenhangs zu spezifizieren, besteht darin, ein Studiendesign mit hoher interner Validität umzusetzen. Ein solches findet man
beispielsweise bei Caspi et al. (2004): Im Rahmen einer großen Zwillingsstudie wurde der Einfluss nicht geteilter Umweltfaktoren auf dissoziale
Verhaltensstörungen mit early onset untersucht. Studienteilnehmer waren
monozygotische Zwillingspaare und ihre Mütter, es wurden longitudinale
Daten verwendet, die Erfassung von Expressed Emotion erfolgte anhand
einer für das Kindesalter modifizierten Five Minute Speech Sample (Daley et
al., 2003) und die dissozialen Verhaltensprobleme wurden sowohl im Elternals auch im Lehrerurteil erhoben. Es fanden sich signifikante Korrelationen
verschiedener Komponenten von Expressed Emotion und dissozialem
Verhalten sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt (im Eltern- und
Lehrerurteil). Expressed Emotion im Alter von fünf Jahren war auch bei
Kontrolle des dissozialen Verhaltens zu diesem Zeitpunkt ein Prädiktor der
Verhaltensprobleme im Alter von sieben Jahren. Darüber hinaus gingen bei
10
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
den
Zwillingspaaren
Unterschiede
bezüglich
Expressed Emotion mit
Unterschieden bezüglich der Ausprägung dissozialen Verhaltens einher –
sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt. Auch dieser Prädiktoreffekt
blieb bei Kontrolle der Verhaltensprobleme im Alter von fünf Jahren
bestehen. Das heißt, Unterschiede bezüglich Expressed Emotion der Mutter
gegenüber ihren fünfjährigen genetisch identischen Zwillingen sagten
Unterschiede der beiden Zwillinge bezüglich dissozialer Verhaltensprobleme
im Alter von sieben Jahren vorher, und zwar unabhängig von bereits im
Alter von fünf Jahren bestehenden Unterschieden bezüglich des Verhaltens.
In einer anderen Publikation im Rahmen derselben Studie wurde zudem ein
signifikanter Interaktionseffekt zwischen dem Geburtsgewicht des Kindes
und der mütterlichen Wärme auf ADHS-Symptome berichtet (Tully,
Arseneault, Caspi, Moffitt & Morgan, 2004). Diesen Befund interpretieren
die Autoren als Hinweis darauf, dass Wärme einen moderierenden Einfluss
auf die Auswirkungen eines geringen Geburtsgewichts auf spätere ADHSSymptome haben könnte.
Die Frage nach der Richtung des Zusammenhangs zwischen Symptomatik
des Kindes und Expressed Emotion der Eltern wirft auch die Frage auf, ob es
sich bei Expressed Emotion überhaupt um eine stabile Eigenschaft (trait)
oder um einen situativ variierenden Zustand (state) der Bezugsperson
handelt. Ist die Stabilität gering und Expressed Emotion womöglich
„tagesformabhängig“, so wird eine Ursachen-Hypothese im o.g. Sinne
unwahrscheinlich. Auch hierzu ist die Befundlage nicht eindeutig. Daley et
al. (2003) stellten eine geringe Test-Retest-Reliabilität innerhalb eines 6Monats-Zeitraumes fest. Hastings et al. (2006) berichten von einer Stabilität
von 61% für die Expressed Emotion (CRIT)-Einstufung in einem ZweiJahres-Intervall, jedoch von sehr niedrigen Stabilitätskoeffizienten (κ = .14).
Über eine Zeitspanne von durchschnittlich 5;9 Jahren konnten Richards et
al. (2014) keine Stabilität von Kritik oder Wärme feststellen. Peris und
Baker (2000) berichten hingegen von einer signifikanten, wenn auch
mäßigen Stabilität in einem Zwei-Jahres-Intervall beim Übergang vom
Vorschul- ins Grundschulalter. In einer Stichprobe von Jugendlichen mit
Autismus fanden Greenberg et al. (2006) eine verhältnismäßig hohe
11
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Stabilität. Rund 72% der Mütter hatten zu Beginn und Ende eines 18Monats-Zeitraums denselben Expressed Emotion-Status. Die mäßige bzw. je
nach Stichprobe und Zeitintervall variierende Stabilität spräche eher für die
state-Hypothese, ebenso wie Befunde aus Untersuchungen mit Geschwisterkindern. Diese können sich im Hinblick auf die Wärme und Kritik, die ihnen
ihre Mutter entgegenbringt, unterscheiden (Caspi et al., 2004; Cartwright et
al., 2011). Schimmelmann et al. (2003) schlagen als Fazit ihrer Übersichtsarbeit eine Art Kreismodell vor, demzufolge Expressed Emotion bei Störungsbeginn zunächst eine wenig stabile Reaktion der Eltern auf die Symptomatik
des Kindes – also ein state – darstellt, dann im weiteren (chronischen)
Verlauf jedoch zu einem stabileren Merkmal – also zu einem trait – wird, das
wiederum die Symptomatik des Kindes negativ beeinflusst.
Zusammenhänge mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern
In einigen Arbeiten wurde untersucht, welche Faktoren – neben der
Symptomatik des Kindes – in einem Zusammenhang mit Expressed Emotion
stehen. Ein recht eindeutiges Bild ergibt sich für demographische Variablen
wie sozioökonomischer Status, alleinerziehendes Elternteil oder ethnische
Zugehörigkeit, welche in keinem systematischen Zusammenhang mit
Expressed Emotion zu stehen scheinen (Boger, Briggs-Gowan, Pavlis &
Carter, 2008; Hibbs et al., 1991; McCleary & Sanford, 2002; Peris &
Hinshaw, 2003; Vostanis et al., 1994).
Möglicherweise spielt jedoch die Psychopathologie der Eltern eine Rolle. In
der Untersuchung von Hibbs et al. (1991) wiesen 64% der Väter und 73% der
Mütter mit psychischer Störung in der Vorgeschichte einen High Expressed
Emotion-Status auf. Insbesondere wird immer wieder ein enger Zusammenhang von Depressionen bei Müttern und High Expressed Emotion bzw. Kritik
und mangelnder Wärme gegenüber dem Kind postuliert. Dies wurde in einer
Reihe von Studien bestätigt (Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Green et
al., 2007; Harvey, Stoessel & Herbert, 2011; Cartwright et al., 2011).
Darüber hinaus finden sich Hinweise auf einen möglichen Mediatoreffekt
von Expressed Emotion auf den Zusammenhang zwischen Depressivität
(Bolton et al., 2003; Nelson et al., 2003) bzw. allgemeiner Symptombelastung
12
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
(McCarty & Weisz, 2002) der Mutter und externalisierenden Verhaltensproblemen des Kindes. In anderen Untersuchungen konnte indes kein Zusammenhang zwischen Expressed Emotion und depressiven Symptomen der
Mutter aufgezeigt werden (Stubbe et al., 1993; McCleary & Sanford, 2002;
Hastings et al., 2006; Psychogiou et al., 2007; Richards et al., 2014).
1.1.2 Interventionseffekte auf Expressed Emotion und
Psychopathologie der Eltern
Die Effekte psychotherapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion der
Eltern von Kindern mit SSV sind bislang kaum untersucht worden. Vostanis
und Nicholls (1995) betrachteten den Verlauf von Expressed Emotion der
Mütter von 6-11jährigen Kindern mit SSV (vs. emotionaler Störung) in
einem 9-Monats-Follow-Up nach ambulanter psychiatrischer Routinebehandlung. Bezüglich EOI und der Anzahl positiver Kommentare ergaben sich
keine signifikanten Effekte, gleichwohl nahm die Anzahl kritischer
Kommentare signifikant ab (d=0,63) und Wärme signifikant zu (d=0,78).
Dieses Ergebnis kann jedoch nicht als Interventionseffekt im engeren Sinne
interpretiert werden, da die Interventionen sehr heterogen (Familientherapie, Beratung, Jugend-/Familienhilfe, Psychotherapie) und niederfrequent
waren (durchschnittlich 0,7 Sitzungen pro Monat, vier Fälle ohne Intervention) und keine Kontrollbedingung vorlag. Bei Harrington et al. (2000) findet
man dagegen eine randomisierte Kontrollgruppenstudie an einer Stichprobe
von 3-10jährigen Kindern mit SSV (oppositionelles Verhalten). Eine
community based intervention (etwa vergleichbar mit ambulanter Jugendund Familienhilfe) wurde hier mit einer stationären Klinikbehandlung
bezüglich Effektivität und Kosteneffizienz verglichen, wobei die Interventionen dieselben waren und sich nur das Setting unterschied. Die Interventionen beinhalteten Gruppen mit Elterntraining und z.T. parallele Kindergruppen. Zwischen den beiden Settings fanden sich im 3-Monats- oder 1-JahresFollow-Up (intention to treat-Analysen) weder bezüglich der Symptomatik
des Kindes signifikante Unterschiede noch bezüglich anderer OutcomeVariablen wie Erziehungsproblemen, depressiver Symptomatik der Mutter,
Belastung der Familie durch das Verhalten des Kindes oder Anzahl
13
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
kritischer Kommentare der Mutter in der FMSS. Letztere reduzierten sich
jedoch im community-Setting von M=2.4 bei Baseline-Erhebung auf M=1.8
beim 1-Jahres-Follow-Up und im Kliniksetting von M=2.1 auf M=1.3.
Effektstärken und Signifikanz der Mittelwertunterschiede sind nicht
angegeben. Die Effektstärken können jedoch aus den Angaben der Autoren
berechnet werden. Dabei ergibt sich für die community-Bedingung ein
Zeiteffekt von d=0,27, für die Klinikbedingung ein Effekt von d=0,36 und für
die Gesamtstichprobe ein Effekt von d=0,32, was nach Cohen (1988) einem
kleinen bis mittleren Effekt entsprechen würde.
Weitere Hinweise auf die Beeinflussbarkeit von Expressed Emotion durch
psychotherapeutische oder psychopharmakologische Interventionen finden
sich in einigen wenigen Studien zu anderen Störungsbildern im Kindes- und
Jugendalter. Schachar et al. (1987) zeigten, dass eine erfolgreiche Behandlung von hyperkinetischen Kindern mit Methylphenidat bei deren Müttern
zu einer Reduktion der geäußerten Kritik und einer Zunahme der Wärme
führte. Das heißt, hier zeigte sich ein indirekter Interventionseffekt auf
Expressed Emotion, der durch die Veränderung in der Symptomatik des
Kindes und nicht durch eine familienzentrierte Intervention hervorgerufen
wurde. In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie mit 8-13jährigen
Kindern mit einer Angststörung fand Angelosante (2007) eine signifikante
Reduktion von Expressed Emotion in der Gruppe mit familienbasierter
kognitiv-behavioraler Therapie, aber nicht in der Gruppe mit kindzentrierter
kognitiv-behavioraler
Therapie
oder
mit
unspezifischer,
supportiver
Intervention. Hier könnte es sich also im Gegensatz zu Schachar et al. (1987)
um einen direkten Effekt der Behandlung auf Expressed Emotion handeln.
Drei weitere Studien zeigen die Effekte psychotherapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion in Stichproben von jugendlichen Mädchen mit
Anorexia Nervosa. Van Furth et al. (1996) berichten von einer signifikanten
Reduktion der emotionalen Überinvolviertheit und nicht signifikanten
Veränderungen bezüglich Wärme, Kritik, Feindseligkeit und der Anzahl
positiver Kommentare nach einer nicht näher spezifizierten ambulanten oder
stationären Behandlung mit Einbezug der Familie. In einer Studie von Le
Grange und Kollegen führte die Behandlung mit einer systemischen
14
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Familientherapie zu einer Zunahme von Kritik beider Elternteile, eine
getrennte supportiv-psychoedukative Therapie von Patientin und Eltern
hingegen zu einer Reduktion von Kritik (Le Grange, Eisler, Dare & Russell,
1992). In einer Folgestudie von Eisler et al. (2000) ergab sich insgesamt über
die Treatment-Bedingungen hinweg eine signifikante Reduktion der
elterlichen Kritik, wenn auch kein signifikanter Anstieg der Wärme nach
einem Jahr ambulanter Familientherapie (in schweren Fällen mit stationärer Behandlung). Töchter von High Expressed Emotion-Müttern profitierten
dabei mehr von getrennten Therapiesitzungen als von gemeinsamen
Familiensitzungen.
Stresserleben, Belastung und psychopathologische Merkmale der Eltern sind
weitere familienbezogene Outcome-Variablen, die im Kontext von Therapiewirksamkeitsstudien untersucht und – wie oben beschrieben – in einen
Zusammenhang mit Expressed Emotion gebracht werden können. Im
Folgenden werden diesbezügliche Befunde aus Studien zur Wirksamkeit
psychotherapeutischer Interventionen bei Kindern mit externalisierenden
Verhaltensproblemen zusammengefasst.
Multisystemische Familientherapie erwies sich als wirksam bei der
Reduktion der allgemeinen Symptombelastung von Müttern, sowohl im
Vergleich zu einem behördlichen Programm für jugendliche Straftäter
(Scherer, Brondino, Henggeler & Melton, 1994) als auch im Vergleich zu
individueller Therapie (Borduin et al., 1995). Wells und Egan (1988)
berichten, dass sich im Hinblick auf depressive und Angstsymptome der
Mütter
keine
Unterschiede
in
der
Wirksamkeit
eines
verhaltens-
therapeutischen Programms und einer systemischen Familientherapie
zeigten, obgleich die Verhaltenstherapie sich bezüglich der Symptomatik des
Kindes als wirksamer erwies. Bei Dadds und McHugh (1992) ergaben sich
signifikante Verbesserungen bezüglich des depressiven Erlebens der Mutter,
wobei auch hier keine Unterschiede zwischen den beiden verglichenen
Interventionsbedingungen (Child Management Training vs. zusätzliche
Förderung sozialer Unterstützung) beobachtet werden konnten. Kazdin,
Siegel und Bass (1992) sowie Kazdin und Wassell (2000) berichten von
Verbesserungen bei erziehungsbezogenem Stress, depressiven Symptomen
15
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
und allgemeiner Symptombelastung der Eltern nach einer kombinierten
Behandlung mit Problemlösetraining (Kinder) und Elterntraining. Die
Parent Child Interaction Therapy erwies sich als wirksam im Hinblick auf
erziehungsbezogenen Stress, Angst, depressive Symptome und allgemeine
Stresssymptome der Eltern (Phillips, Morgan, Cawthorne & Barnett, 2008).
Bei einer anderen Evaluation der Parent Child Interaction Therapy zeigte
sich ebenfalls ein Effekt auf erziehungsbezogenen Stress, jedoch nicht auf
depressive Symptome, wobei diese bereits vor Behandlungsbeginn im
subklinischen Bereich lagen (Schuhmann, Foote, Eyberg, Boggs & Algina,
1998). Bei den Präventionsprogrammen erwies sich das Triple-P-Programm
als wirksam in Bezug auf Stress- und Angstsymptome, jedoch nicht auf
depressive
Expansives
Symptome
(Köppe,
Problemverhalten
2001).
(PEP)
Das
Präventionsprogramm
reduzierte
ebenfalls
für
signifikant
Stresssymptome der Eltern, jedoch nicht depressive oder Angstsymptome
(Hautmann, Hanisch, Mayer, Plück & Döpfner, 2008).
Kazdin und Wassel (2000) heben die Bedeutung von elternbezogenen
Outcome-Variablen in der Programmevaluation hervor. Eine Erhöhung des
familiären Funktionsniveaus und eine Reduktion von Stresserleben und
anderen Symptomen der Eltern stellten nicht nur einen Wert an sich dar,
sondern könnten wiederum die Symptomatik des Kindes positiv beeinflussen.
1.2 Fragestellung und Ziele der Studie
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Korrelation von
Expressed Emotion der Eltern mit externalisierenden Verhaltensproblemen
des Kindes ein konsistenter Befund ist. Es bedarf jedoch einer genaueren
Differenzierung bezüglich verschiedener Symptomgruppen (hyperkinetisch
vs. oppositionell vs. dissozial etc.) innerhalb des breit gefächerten Begriffs
der externalisierenden Verhaltensprobleme. Klärungsbedarf besteht zudem
im Hinblick auf Kausalzusammenhänge, Beeinflussbarkeit von Expressed
Emotion durch psychotherapeutische Intervention (bei Patienten im Kindesund frühen Jugendalter) sowie komplexere Zusammenhänge mit weiteren
16
Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie
Familienmerkmalen, wie beispielweise der Psychopathologie der Eltern. Die
vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, zur Klärung dieser Fragen beizutragen.
Im Rahmen einer randomisierten Kontrollgruppenstudie zur Evaluation des
Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV; GörtzDorten & Döpfner, 2010) sollen Zusammenhänge von Expressed Emotion mit
psychopathologischen Merkmalen der Eltern sowie mit oppositionellen und
dissozialen Symptomen und Callous-Unemotional Traits bei sechs- bis
zwölfjährigen Jungen mit SSV-Diagnose analysiert werden. Darüber hinaus
soll geprüft werden, ob die Behandlung mit THAV einen spezifischen Effekt
auf Expressed Emotion und die Psychopathologie der Eltern hat. Dies wird
erwartet, da es sich um eine multimodale Therapie mit (im Umfang
individuell variierendem) Einbezug der Eltern handelt. Insbesondere zu
Beginn der Behandlung zielen die Interventionen auf eine Stärkung der
Eltern-Kind-Beziehung und eine Förderung von wertschätzender Kommunikation und positiv verstärkendem Verhalten der Eltern, was das Ausmaß an
Expressed Emotion reduzieren könnte. Durch die Abnahme der kindlichen
Symptomatik wird zudem eine indirekte Reduktion von Stresserleben und
anderen internalisierenden Symptomen der Eltern erwartet – ein Effekt, der
beispielsweise über eine erhöhte erziehungsbezogene Selbstwirksamkeit
vermittelt werden könnte.
Schließlich sollen die Ergebnisse der Analysen in den oben beschriebenen
Forschungskontext
eingeordnet
und
in
diesem
interpretiert
werden.
Abschließend werden Implikationen der Befunde für die klinische Praxis
erörtert.
17
Methodik
2 Methodik
Im Folgenden werden zunächst die Zielgruppe, das Design sowie zentrale
Ergebnisse der Studie beschrieben, in deren Rahmen die eingangs genannten
Fragestellungen untersucht wurden. Anschließend werden die Hypothesen
der vorliegenden Arbeit spezifiziert und die Operationalisierung der
Konstrukte sowie die statistischen Auswertungsstrategien dargestellt.
2.1 Die THAV-Studie
In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie wurde die Wirksamkeit des
multimodalen Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten
(THAV) überprüft (Görtz-Dorten, Hautmann et al., 2014a, 2014b). Dabei
handelt es sich um ein verhaltenstherapeutisch basiertes soziales Kompetenztraining, das im Einzelsetting in individualisierter Form durchgeführt
wird. Die Zielgruppe sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, die
primär aggressive Verhaltensweisen im Peer-Kontext aufweisen und häufig
in Konflikte mit Gleichaltrigen geraten. Das Programm ist modular
aufgebaut, sodass es in der Anwendung gut an die individuellen Ressourcen
und Defizite des Kindes angepasst werden kann. Es zielt auf die Veränderung aufrechterhaltender Bedingungen, wie Defizite in der sozial-kognitiven
Informationsverarbeitung, Störungen der Impulskontrolle, Kompetenzdefizite bei der Konflikt- und Problemlösung sowie Störungen der sozialen
Interaktionen. Neben den kindzentrierten Interventionen werden weitere
Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer aktiv in die Behandlung einbezogen
(multimodales Behandlungskonzept). Die Inhalte des Programms werden im
Behandlungsmanual detailliert beschrieben (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010).
Dort finden sich auch die kindgerechten Therapiematerialien, die bei der
Behandlung zum Einsatz kommen.
Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit von THAV bezüglich der aggressiven
Symptomatik, aufrechterhaltender Faktoren und prosozialen Verhaltens zu
überprüfen. Die Studie wurde vorab von der Ethikkommission der Uniklinik
Köln genehmigt und bei ClinicalTrials.gov registriert.
18
Methodik
2.1.1 Rekrutierung der Probanden
Das Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten richtet sich an
Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens, bei welcher die gleichaltrigenbezogene Aggressivität im Vordergrund steht. In die Studie aufgenommen wurden 101 Kinder, die folgende Einschlusskriterien erfüllten:
•
Alter 6-12 Jahre
•
männliches Geschlecht
•
IQ ≥ 80
•
ICD-10-Diagnose F 91, F 92 oder F 90.1
•
Aggressivität im Peer-Kontext mit beträchtlicher Beeinträchtigung
der Beziehung zu Gleichaltrigen
•
ein hoher Grad (Stanine ≥ 7) und Stabilität der Symptomausprägung,
gemessen mit dem Gesamtwert des Fremdbeurteilungsbogens Störungen des Sozialverhaltens (FBB-SSV, DISYPS-II; Döpfner, GörtzDorten, Lehmkuhl & Breuer, 2008) zu Beginn und Ende einer sechswöchigen Diagnostikphase.
Das Vorliegen folgender Kriterien führte zum Ausschluss von Patienten aus
der Studie:
•
komorbide psychische Störung im Vordergrund (z.B. Autismus)
•
geplante medikamentöse Einstellung oder bei bestehender Medikation
geplante Veränderung der Dosierung
•
andere aktive psychotherapeutische Behandlung
•
schwere psychische Störung eines Elternteils / der primären Bezugsperson
•
mangelnde Deutschkenntnisse des Patienten bzw. der primären
Bezugsperson.
Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte zum Einen über Aufrufe bzw.
kurze Berichte in den lokalen Medien (z.B. Zeitung, Fernsehen), sowie
gezielte Information von Schulen, Jugendämtern, Fach- und Kinderärzten in
Form von Anschreiben und Flyern. Zum Anderen wurde Patienten die
Teilnahme an der Studie angeboten, die in der Psychotherapieambulanz des
Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der
19
Methodik
Uniklinik Köln (AKiP Köln) mit entsprechender Symptomatik vorstellig
wurden (sogenannte Inanspruchnahmepopulation). Im Rahmen eines etwa
halbstündigen, semistrukturierten Telefonscreenings wurde eine grobe
Einschätzung bezüglich der Teilnahmevoraussetzungen getroffen und bei
nicht Erfüllen der Voraussetzungen eine Empfehlung bezüglich alternativer
Hilfsangebote gegeben.
An drei Terminen im Rahmen einer sechswöchigen Diagnostikphase wurden
die Ein- und Ausschlusskriterien überprüft und die Baseline-Werte erhoben.
Die Diagnostik wurde von einem Team aus fünf Psychologen und Pädagogen
durchgeführt, die sich in der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten befanden. Die Diagnosestellung erfolgte beim ersten Termin
mittels eines semistrukturierten Interviews (DCL-SSV, DISYPS-II; Döpfner
et al., 2008).
2.1.2 Intervention und Durchführung der Datenerhebung
Die Behandlung mit THAV im Einzelsetting wurde mit einer aktiven
Placebo-Kontrollbedingung verglichen. Diese bestand in einer Spielgruppe
mit drei bis vier Teilnehmern. Sie wurde von zwei Psychologen oder
Pädagogen geleitet und beinhaltete vorgegebene und frei wählbare
Regelspiele und Bastelprojekte. Es fanden in der Spielgruppe zwölf Termine
à 100 Minuten im zweiwöchentlichen Rhythmus statt. Die Spielgruppe
wurde durch ein bis zwei Termine im Gruppensetting mit unspezifischem
Beratungsangebot für die Eltern ergänzt.
In der THAV-Bedingung fanden im wöchentlichen Rhythmus 24 Therapiesitzungen à 50 Minuten statt. Ergänzt wurden die kindzentrierten Interventionen durch Sitzungen mit den Eltern oder (meist telefonischen) Gesprächen
mit den Lehrern, die je nach individuellem Bedarf in ihrer Frequenz
variierten.
Nach der Diagnostikphase und dem Informed Consent der Teilnehmer
wurden diese einer der beiden Interventionsbedingungen randomisiert
zugeordnet. Die Datenerhebung fand in festgelegten Intervallen statt, die
durch die Anzahl der Sitzungen definiert waren. Neben der Erhebung der
Baseline in der Diagnostikphase sowie der Abschlusserhebung nach
20
Methodik
insgesamt 24 (THAV) bzw. 12 (Spielgruppe) Sitzungen, fanden drei weitere
Datenerhebungen mit einem Teil der Messinstrumente während der
Interventionsphase nach jeweils sechs bzw. drei Sitzungen statt.
Die Durchführung der Datenerhebung und der Interventionen erfolgte in den
gemeinschaftlichen Räumlichkeiten des Kölner Standorts der ChristophDornier-Stiftung für Klinische Psychologie und des Ausbildungsinstituts für
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKiP Köln).
Die THAV-Behandlungen wurden von einem Team von sieben Psychologen
und Pädagogen durchgeführt, die sich in der Ausbildung zum Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten
befanden.
Die
Therapien
wurden
im
Verhältnis von mindestens eins zu vier von den beiden Studienleitern
supervidiert,
die
selbst
erfahrene
Kinder-
und
Jugendlichenpsycho-
therapeuten und Supervisoren sind. Zu Supervisionszwecken wurden – bei
Einwilligung der Teilnehmer – in unregelmäßigen Abständen Videoaufnahmen von den Sitzungen erstellt.
2.1.3 Zentrale Ergebnisse der THAV-Studie
Im Eigenkontrollgruppen-Design, bei dem die Verlaufsdaten der Teilnehmer
aus der THAV-Bedingung mittels Multi-Level-Modelling analysiert wurden
(n=60), ergab sich in der Interventionsphase eine signifikante Verbesserung
bezüglich der aggressiven Symptomatik sowie aufrechterhaltender Faktoren
(im Elternurteil), während sich in der Diagnostik- bzw. Wartephase keine
signifikanten Veränderungen zeigten (Görtz-Dorten, Hautmann et al.,
2014a). Die Ergebnisse des Kontrollgruppen-Designs (n=91) zeigen, dass es
in der THAV-Bedingung zu einer signifikant größeren Verbesserung
bezüglich der primären und z.T. der sekundären Outcome-Maße kam als in
der Kontrollgruppe (Görtz-Dorten, Hautmann et al., 2014b). Für die primäre
Zielvariable Gleichaltrigenbezogene Aggression im Elternurteil (FAVK-F)
ergab sich bei der Kovarianzanalyse ein signifikanter Gruppeneffekt von dadj.
post=
0,62. Für die sekundäre Zielvariable Oppositionelles Verhalten (FBB-
SSV) ergab sich ein noch größerer Effekt von dadj.
post=
1,02, wohingegen
keine signifikanten Effekte bezüglich Dissozialen Verhaltens (FBB-SSV)
auftraten (dadj.
post=
0,16). Auch im Lehrerurteil lagen bezüglich der
21
Methodik
Symptomatik z.T. signifikante Interventionseffekte vor. Im Hinblick auf die
Callous-Unemotional Traits (ICU) ergaben sich signifikante kleine bis
mittlere Effekte auf den Skalen Calloussness / Lack of Guilt or Remorse (dadj.
post=
0,32) und Unemotional (dadj. post= 0,32), jedoch kein signifikanter Effekt
auf der Skala Unconcerned about Performance (dadj. post= 0,16).
Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass die multimodale Behandlung
mit THAV eine wirksame Intervention bei gleichaltrigenbezogener Aggression im Kindesalter darstellt und der Testung gegen eine aktive Kontrollgruppe standhält.
2.2 Hypothesen
2.2.1 Hypothesen bezüglich der Zusammenhänge zwischen
Expressed Emotion und der Symptomatik von Eltern und Kind
Basierend auf den eingangs dargestellten empirischen Befunden bezüglich
des Zusammenhangs von Expressed Emotion mit der aggressiven Symptomatik des Kindes und psychopathologischen Merkmalen der Eltern (siehe 1.1.1)
werden im Folgenden die Hypothesen dargelegt.
a. Es wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem
Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status
(High vs. Low) und der Ausprägung von Depression, Angst und
Stresserleben der Eltern erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et
al., 2003; Cartwright et al., 2011; Green et al., 2007; Harvey et al.,
2011).
b. Es wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem
Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status
(High vs. Low) und der Ausprägung der aggressiven Symptomatik des
Kindes erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003;
Cartwright et al., 2011; Caspi et al., 2004; Christiansen et al., 2010;
Green et al., 2007; Hastings et al., 2006; Hirshfeld et al., 1997b;
Matthew Hodes & Garralda, 1999; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et
al., 2003; Peris & Baker, 2000; Peris & Hinshaw, 2003; Psychogiou et
al., 2007; Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009).
22
Methodik
Ein solcher Zusammenhang wird außerdem für die Ausprägung von
Aufmerksamkeitsproblemen
des
Kindes
angenommen
(vgl.
Cartwright et al., 2011; Christiansen et al., 2010; Peris & Hinshaw,
2003; Psychogiou et al., 2007; Richards et al., 2014).
c. Es wird ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der aggressiven Symptomatik des Kindes erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et al.,
2003; Brennan, Hammen, Katz & Le Brocque, 2002; Green et al.,
2007; Hastings et al., 2006; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et al.,
2003).
d. Zudem wird ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen
Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der Ausprägung
von Callous-Unemotional Traits des Kindes erwartet (vgl. Barker et
al., 2011).
e. Ein weiterer signifikanter positiver Zusammenhang wird zwischen
Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der Ausprägung
komorbider internalisierender Symptome des Kindes erwartet (vgl.
Brennan et al., 2002; Connell & Goodman, 2002; Köppe, 2001).
f. Eine weitere Hypothese betrifft die multivariaten Zusammenhänge
zwischen Expressed Emotion und der Symptomatik von Eltern und
Kind: Expressed Emotion fungiert als Mediator zwischen depressiver
Symptomatik der Eltern und aggressiver Symptomatik des Kindes,
wobei kein totaler, sondern ein partieller Mediator-Effekt erwartet
wird (vgl. Bolton et al., 2003; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et al.,
2003).
g. Ferner wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem
Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status
(High vs. Low) und der Ausprägung von Callous-Unemotional Traits
des Kindes erwartet. Diese Hypothese hat einen explorativen Charakter, da diesbezüglich bislang keine empirischen Befunde vorliegen.
Empirische Befunde zu verwandten Konstrukten weisen jedoch auf
einen entsprechenden Zusammenhang hin (vgl. Pasalich et al., 2011)
23
Methodik
Ergänzend sollen zudem Zusammenhänge von Expressed Emotion mit
komorbiden internalisierenden Symptomen des Kindes untersucht werden.
Diesbezüglich werden jedoch keine spezifischen Hypothesen aufgestellt.
2.2.2 Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed
Emotion und die internalisierende Symptomatik der Eltern
Basierend auf den eingangs dargestellten empirischen Befunden bezüglich
der Effekte therapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion sowie auf
internalisierende Symptome und Stresserleben der Eltern (siehe 1.1.2),
werden im Folgenden die Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte von
THAV auf ebendiese Merkmale dargelegt.
h. In der Therapiebedingung wird bei Interventionsende ein signifikant
geringerer Anteil an High Expressed Emotion erwartet als in der
Kontrollbedingung (vgl. Angelosante, 2007; Eisler et al., 2000;
Harrington et al., 2000; le Grange et al., 1992; van Furth et al., 1996;
Vostanis & Nicholls, 1995).
i. Ferner wird in der Therapiebedingung eine signifikant stärkere
Reduktion von Expressed Emotion erwartet als in der Kontrollgruppe.
j. In der Therapiegruppe wird bei Interventionsende eine signifikant
stärkere Reduktion von Depression, Angst und Stresserleben der
Eltern erwartet als in der Kontrollgruppe (vgl. Borduin et al., 1995;
Dadds & McHugh, 1992; Hautmann et al., 2008; Kazdin et al., 1992;
Kazdin & Wassell, 2000; Köppe, 2001; Phillips et al., 2008; Scherer
et al., 1994; Wells & Egan, 1988).
2.2.3 Hypothese bezüglich Expressed Emotion als Mediator der
Interventionseffekte auf Callous-Unemotional Traits
Wie bereits berichtet (siehe 2.1.3), konnten signifikante Effekte der THAVIntervention auf Callous-Unemotional Traits des Kindes festgestellt werden.
Sollten darüber hinaus signifikante Interventionseffekte auf Expressed
Emotion (Hypothese i) sowie ein positiver Zusammenhang zwischen
Expressed Emotion und den CU-Traits gefunden werden (Hypothese g), so
24
Methodik
käme es in Betracht, dass Expressed Emotion als ein Mediator des Interventionseffekts fungiert. Diese Hypothese hat einen explorativen Charakter.
k. Die Veränderung in Expressed Emotion fungiert als Mediator zwischen der Intervention und der Veränderung in den CallousUnemotional Traits, wobei kein totaler, sondern ein partieller Mediator-Effekt erwartet wird.
2.3 Operationalisierung der Konstrukte
2.3.1 Expressed Emotion
Expressed Emotion der Eltern wird mithilfe der Five Minute Speech Sample
(FMSS; Magaña et al., 1986) erfasst. Dieses Verfahren ist in Durchführung
und Auswertung erheblich weniger aufwändig als das Camberwell Family
Interview (CFI), was insbesondere in Anbetracht der vorliegenden Stichprobengröße ausschlaggebend erscheint. Das ökonomischere Verfahren der
FMSS liefert mit dem CFI vergleichbare Einschätzungen bezüglich
Expressed Emotion (Magaña et al., 1986) und hat sich für den Einsatz bei
Eltern von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens insofern bewährt,
als es einen höheren prädiktiven Wert im Hinblick auf die Symptomatik des
Kindes aufweist als das CFI (Calam & Peters, 2006). Bei der Interpretation
der Ergebnisse muss jedoch berücksichtigt werden, dass das FMSSVerfahren im Vergleich zum CFI zu einer Unterschätzung des High
Expressed Emotion-Anteils
um
20-30%
führt
(Van
Humbeeck,
Van
Audenhove, De Hert, Pieters & Storms, 2002; Hooley & Parker, 2006).
Die FMSS beginnt mit einer standardisierten Instruktion. Die Eltern der
Patienten werden gebeten, fünf Minuten etwas über ihr Kind und die
Beziehung zu ihm zu erzählen. Dabei werden sie vom Untersuchungsleiter
nicht unterbrochen und es werden bis zum Ablauf der fünf Minuten keine
weiteren Fragen gestellt oder beantwortet. Die Sprechproben werden
aufgezeichnet und von zwei Ratern ausgewertet. Die Auswertung erfolgt
anhand einer modifizierten Version, die von der Arbeitsgruppe um Dave
Daley für den Einsatz im Vorschulalter entwickelt wurde (PFMSS; Daley,
2001). Sie eignet sich nach Angaben des Autors auch für Eltern von
25
Methodik
Schulkindern. Der Vorteil dieser Version liegt vor allem darin, dass im
Gegensatz zur FMSS nach Magaña et al. (1986) die Skala Wärme berücksichtigt wird, die auch im CFI (Vaughn & Leff, 1976) enthalten ist und von Daley
als wichtiger Indikator für Expressed Emotion im Kindesalter betrachtet
wird. Außerdem sind die Kodier-Richtlinien an das Kindesalter angepasst,
unter anderem weil Eltern von Kindern im (Vor-)Schulalter deutlich weniger
offene Kritik äußerten als Eltern von erwachsenen Patienten. Das Verfahren
weist mit Ausnahme der Skala Emotionale Überinvolviertheit, die in dieser
Untersuchung nicht verwendet wird, befriedigende Code-Recode- und InterRater-Reliabilitäten auf (Daley et al., 2003). Die Test-Retest-Reliabilität ist
nach sechs Monaten eher gering, was vermutlich mit der fraglichen
Stabilität von Expressed Emotion im Kindesalter zusammenhängt (Vostanis
& Nicholls, 1995). Daley et al. (2003) fanden eine befriedigende konvergente
und diagnostische Validität der modifizierten FMSS: Es konnten signifikante
Zusammenhänge der FMSS-Ratings mit der beobachteten Mutter-KindInteraktion, der Zufriedenheit mit der Elternrolle und mit dem Vorliegen
einer ADHS-Diagnose (vs. keine Diagnose) aufgezeigt werden.
Die Auswertung nach Daley sieht globale, dreistufige Ratings für die
Subkomponenten Erste Äußerung (positiv, neutral, negativ), Wärme (niedrig,
mäßig, hoch), Beziehungsqualität (positiv, neutral, negativ) und Emotionale
Überinvolviertheit (niedrig, mäßig, hoch) vor sowie eine Häufigkeitszählung
für Kritische Kommentare und Positive Kommentare. Für die globalen
Ratings werden jeweils Indikatoren angegeben, zum Beispiel für die Skala
Wärme die Indikatoren Tonfall, spontane Gefühlsäußerungen, Empathie und
Sorge. Die Kodier-Richtlinien sind jeweils mit Beispielen versehen. High
Expressed Emotion (Criticism) wird nach Daley kodiert, wenn mindestens ein
negatives bzw. niedriges Rating auf einer der globalen Skalen sowie zugleich
mehr kritische als positive Kommentare vorliegen. Das Manual von Daley
(Daley, 2001) wurde für die vorliegende Untersuchung ins Deutsche
übersetzt und in wenigen Punkten spezifiziert, um eine bessere Anpassung
an den deutschen Sprachgebrauch zu erzielen (Scholz, Schuh & Döpfner,
2014; abgedruckt im Anhang). Die Skala Emotionale Überinvolviertheit wird
in dieser Arbeit nicht in die Auswertungen einbezogen, da zum Einen die
26
Methodik
Gütekriterien für diese Skala inakzeptabel sind (s.o.) und zum Anderen
diesbezüglich keine Hypothesen vorliegen.
Zur Sicherung der Objektivität und Reliabilität der Ratings in der vorliegenden Untersuchung wurden folgende Maßnahmen getroffen:
a. Die Ratings der FMSS wurden von zwei trainierten Ratern (s.u.)
durchgeführt, sodass die Inter-Rater-Reliabilität bestimmt werden
konnte.
b. Im Vorfeld der Auswertung fand ein Rater-Training statt, das von
dem Autor des modifizierten Auswertungsmanuals des FMSS, Dave
Daley, geleitet wurde. Zu Trainingszwecken wurden von diesem sechs
Beispiel-FMSS zur Verfügung gestellt, die im Vorfeld des Trainings
geratet und im Rahmen der Trainingssitzung erörtert wurden.
c. Anhand von zehn FMSS von Fällen, die im Rahmen der Diagnostikphase ausgeschlossen worden waren, wurde eine weitere „Kalibrierung“ der beiden Rater erzielt. Diese Trainings-FMSS wurden zunächst unabhängig voneinander ausgewertet. Anschließend wurden
Divergenzen zwischen den beiden Ratern analysiert, um zu einem
gemeinsamen Urteil zu kommen. Im nächsten Schritt wurde die Inter-Rater-Reliabilität an einer Zufallsstichprobe von n=20 der Baseline-Erhebung bestimmt (entspricht 22%). Bei der Festlegung der
Stichprobengröße für die Berechnung der Inter-Rater-Reliabilität
wurde berücksichtigt, dass diese laut Neuendorf (2002) zwischen 10
und 20 % der Gesamtstichprobe betragen sollte. Zwar empfiehlt der
Autor auch, dass die Stichprobe nicht kleiner als n=50 sein sollte; die
gängige Praxis ist jedoch eine Orientierung an dem 10-20%-Kriterium
(z.B. Daley et al., 2003; McCarty, Lau, Valeri & Weisz, 2004; Vostanis,
Nicholls & Harrington, 1994). Die zufriedenstellenden Ergebnisse der
Inter-Rater-Reliabilitätsanalyse finden sich in Abschnitt 3.2.2 dieser
Arbeit.
d. Die FMSS aus der Abschlussmessung wurden von einer externen (d.h.
nicht an der Studie beteiligten) Raterin ausgewertet, sodass eine Ver-
27
Methodik
blindung gegenüber der Interventionsbedingung gegeben war. Die
zweite Raterin ist die Verfasserin dieser Arbeit.
2.3.2 Internalisierende Symptomatik der Eltern
Die internalisierende Symptomatik und das Stresserleben der Eltern werden
durch
Selbstauskunft
auf
der
Depression-Angst-Stress-Skala
(DASS;
Lovibond & Lovibond, 1995; dt. Version von Essau, 1995) erhoben, welche
bereits zuvor in Wirksamkeitsstudien bei externalisierendem Problemverhalten eingesetzt wurde (Köppe, 2001; Hautmann et al., 2008; Phillips et al.,
2008). Die DASS ist ein Fragebogenverfahren, das anhand von 42 Items mit
vierstufiger Likert-Skalierung die Ausprägung von depressiven Symptomen,
Angst und Stresssymptomen erfasst. In einer großen nicht-klinischen
Stichprobe
(n=1771)
konnte
(Crawford & Henry, 2003).
die
Faktorenstruktur
bestätigt
werden
Der Fragebogen verfügt über hohe interne
Konsistenzen (Cronbach’s α von .90 bis .97), eine hohe konvergente Validität
sowie eine mäßige diskriminante Validität (Crawford & Henry, 2003).
2.3.3 Aggressive und komorbide Symptomatik des Kindes
Die Symptomatik des Kindes wird von den Eltern anhand des Fremdbeurteilungsbogens Störung des Sozialverhaltens FBB-SSV (DISYPS-II; Döpfner et
al., 2008) und der Child Behavior Checklist (CBCL/4-18; Arbeitsgruppe
Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) beurteilt – beide Verfahren sind in
der deutschen bzw. internationalen Forschung im Bereich der klinischen
Kinderpsychologie gut etabliert.
Der
Fremdbeurteilungsbogen
Störung
des
Sozialverhaltens
FBB-SSV
(DISYPS-II; Döpfner et al., 2008) erfasst auf einer vierstufigen Likert-Skala
die Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV und besteht aus den drei
Subskalen Oppositionelles Verhalten, Dissoziales Verhalten und Prosoziales
Verhalten/Kompetenzen.
Die
Skalen
Oppositionelles
Verhalten
und
Dissoziales Verhalten können darüber hinaus zu einem Gesamtwert
zusammengefügt werden. Das Verfahren weist eine hohe faktorielle Validität
und mittlere bis hohe interne Konsistenzen auf (Cronbach’s α von .69 bis .90)
28
Methodik
und differenziert gut (nicht-klinische Stichprobe) bis befriedigend (klinische
Stichprobe) zwischen Kindern mit und ohne Diagnose einer Störung des
Sozialverhaltens (Görtz-Dorten, Ise, Hautmann, Walter & Döpfner, 2014). In
der vorliegenden Untersuchung werden die Skalen Oppositionelles Verhalten
und Dissoziales Verhalten sowie die Gesamtskala verwendet.
Die Child Behavior Checklist CBCL/4-18 (Achenbach, 1991; dt. Version:
Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) ist ein weit
verbreitetes Breitbanddiagnostikum, das zum Einen die sozialen Kompetenzen und zum Anderen ein breites Spektrum an Verhaltensproblemen im
Kindes- und Jugendalter erfasst. Der Vorteil liegt vor allem in der internationalen Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Für diese Arbeit ist nur der zweite
Teil der CBCL relevant, welcher die Verhaltensprobleme anhand von 120
Items mit dreistufigem Antwortformat erfasst. Die Subskalen Sozialer
Rückzug,
Körperliche
Beschwerden
und
Ängstlich/Depressiv
bilden
zusammen die übergeordnete Skala Internalisierende Verhaltensprobleme.
Die Subskalen Aggressives Verhalten und Dissoziales Verhalten bilden die
Skala Externalisierende Verhaltensprobleme. Weitere Skalen sind Soziale
Probleme, Schizoid/Zwanghaft, Aufmerksamkeitsprobleme. Ein Gesamtscore
kann über alle Items gebildet werden. Faktorielle Validität, Reliabilität und
diskriminante Validität der CBCL sind für deutsche Stichproben bestätigt
(Döpfner, Schmeck, Berner, Lehmkuhl & Poustka, 1994; Poustka et al.,
2001). In der vorliegenden Untersuchung werden aus der CBCL für die
Erfassung der aggressiven Symptomatik die übergeordnete Skala Externalisierende Verhaltensprobleme mit den entsprechenden Subskalen und für die
Erfassung der komorbiden Symptomatik die übergeordnete Skala Internalisierende Verhaltensprobleme mit den entsprechenden Subskalen sowie die
Skala Aufmerksamkeitsprobleme verwendet.
2.3.4 Callous-Unemotional Traits des Kindes
Die Callous-Unemotional Traits (CU-Traits) des Kindes werden anhand des
Inventory of Callous-Unemotional Traits (ICU; Frick, 2004) erhoben. Das
Verfahren wurde für den Einsatz als Eltern-, Lehrer- und Selbsturteil (für
Jugendliche) entwickelt, wobei in der vorliegenden Untersuchung die
29
Methodik
deutsche Übersetzung für das Elternurteil verwendet wird (Essau, Sasagawa
& Frick, 2006). Der Fragebogen besteht aus insgesamt 24 Items mit
vierstufiger Likert-Skalierung, die den drei Skalen Callousness, Uncaring
und Unemotional zugewiesen und in einem Gesamtscore zusammengefasst
werden. Diese Faktorenstruktur ist für das Selbsturteil von Jugendlichen in
vier Studien bestätigt worden (Essau et al., 2006; Kimonis et al., 2008; Fanti,
Frick & Georgiou, 2009; Roose, Bijttebier, Decoene, Claes & Frick, 2010). Im
Fremdurteil konnte die Struktur für Jugendliche zwar ebenfalls bestätigt
werden (Roose et al., 2010), für Kinder im Vorschulalter hingegen nicht
vollständig (Ezpeleta, de la Osa, Granero, Penelo & Domènech, 2013). Da in
dieser Studie das Elternurteil für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren
eingesetzt wird, musste die Anwendbarkeit dieser Faktorenstruktur sowie
weitere psychometrische Gütekriterien in der THAV-Stichprobe (mit n=131)
überprüft werden (Benesch, Görtz-Dorten, Breuer & Döpfner, 2014). Dabei
ergab sich eine dreifaktorielle Faktorenstruktur mit der ursprünglichen
Skala Unemotional sowie zwei neuen Skalen (Callousness/Lack of Guilt or
Remorse und Unconcerned about Performance), welche weitgehend den
Skalen Callousness und Uncaring aus der Originalversion entsprechen,
jedoch in einigen wenigen Itemzuordnungen von diesen abweichen. Es
wurden zudem drei Items mit geringer Faktorladung eliminiert, sodass sich
eine Gesamtzahl von 21 Items ergibt. Die internen Konsistenzen (Cronbach’s
α) lagen im zufriedenstellenden Bereich zwischen .73 und .81. Für die Skala
Callousness/Lack of Guilt or Remorse, welche einen Mangel an Mitgefühl
und Schuldempfinden abbildet, wurde eine bedeutsame konvergente
Validität bezüglich der Symptomatik bei Störungen des Sozialverhaltens
festgestellt. Callousness/Lack of Guilt or Remorse korrelierte jeweils
signifikant mit den Skalen Oppositionelles Verhalten (r=.243) und Dissoziales
Verhalten (r=.214) des FBB-SSV sowie mit den Skalen Aggressives Verhalten
(r=.453) und Dissoziales Verhalten (r=.331) der CBCL. Für die Skalen
Unconcerned about Performance (also Indifferenz bezüglich der eigenen
Leistungen) und Unemotional (mangelnder Affektausdruck) ergaben sich
hingegen bezüglich der aggressiven Symptomatik keine signifikanten
Korrelationen.
30
Methodik
In dieser Arbeit werden die ICU-Skalen nach Benesch et al. (2014) verwendet, da sie sich in der vorliegenden Stichprobe als das passendste Modell
erwiesen haben und über eine klarere inhaltliche Zuordnung der Items
verfügen als die ursprünglichen Skalen.
2.4 Statistische Methoden
2.4.1 Bestimmung der Inter-Rater-Reliabilität für die Five Minute
Speech Sample
Wirtz und Caspar (2002) unterscheiden zwischen Beurteilerübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Maße der Übereinstimmung machen
eine Aussage über die Gleichheit der Urteile, wohingegen Maße der InterRater-Reliabilität Auskunft über die Ähnlichkeit der Urteile geben. Neben
dieser Überlegung ist für die Auswahl geeigneter Koeffizienten das
Skalenniveau
der
betreffenden
Variablen
ausschlaggebend.
Für
die
Klassifikation als High vs. Low Expressed Emotion (Nominalskala) soll die
Übereinstimmung der Rater als prozentuale Übereinstimmung angegeben
werden. Der Wert sollte mindestens 80-85% betragen (Wirtz & Caspar,
2002).
PÜ! = !
wobei
nÜbereinst.
!×!100
nRatings
nÜbereinst.= Anzahl der übereinstimmenden Ratings
nRatings = Gesamtzahl der Ratings
Die prozentuale Übereinstimmung ist jedoch nicht zufallsbereinigt, sodass
zusätzlich Cohen’s κ berechnet werden soll, welches die standardisierte
Differenz der beobachteten und erwarteten Übereinstimmungshäufigkeit
verwendet. Cohen’s κ liefert somit eine standardisierte Maßzahl (Wertebereich zwischen -1 und + 1) für das Ausmaß, in dem die tatsächlich beobachtete Übereinstimmung von der Zufallserwartung abweicht.
31
Methodik
Cohen' s!!! = !
wobei
Po -Pe
1-Pe
Po = Relativer Anteil der Fälle, in denen die Rater identische Urteile
abgegeben haben
Pe = Relativer Anteil der Übereinstimmungen bei zufälligem Raterverhalten
Zur Interpretation werden Richtwerte von Landis und Koch (1977) sowie
Suen und Ary (1989) herangezogen. Eine Signifikanzprüfung wird für
Cohen’s κ bei einem n von < 50 nicht empfohlen (Wirtz & Caspar, 2002).
Für die dreistufigen globalen Ratings (Erste Äußerung, Wärme, Beziehung,
Negativer Fokus, Positiver Fokus, siehe 3.2) sowie für die Anzahl der
kritischen
und
positiven Kommentare
wird
das
Ordinalskalenniveau
angenommen. Geeignete Reliabilitätsmaße für ordinalskalierte Daten sind
die Rangkorrelationskoeffizienten Spearman’s ρ und Kendall’s τ. Bei
Stichproben von n < 30 empfehlen Wirtz und Caspar (2002) aufgrund von
möglichen Rangbindungen die Anwendung von Kendall’s τ. Der Koeffizient
kann (wie Cohen’s κ) Werte zwischen -1 und +1 annehmen. Es soll Kendall’s
τb verwendet werden, welches Rangbindungen berücksichtigt und für
quadratische Kreuztabellen, d.h. bei gleicher Kategorienzahl, geeignet ist.
Kendall's τb =
wobei
nc − nd
nc + !nd + tx ! nc + !nd! + !ty
nc = Anzahl der konkordanten Paare
nd = Anzahl der diskordanten Paare
tx = Anzahl der Bindungen (ties) in Bezug auf die Variable X (bzw. hier
Rating 1)
ty = Anzahl der Bindungen (ties) in Bezug auf die Variable Y (bzw. hier Rating 2)
Bei der Interpretation ist zu beachten, dass Kendall’s τ systematisch kleiner
ausfällt als Spearman’s ρ. Die Signifikanzprüfung erfolgt näherungsweise
anhand der z-Statistik. Zur besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit
anderen Publikationen, insbesondere mit Daley et al. (2003), soll neben
Kendall’s τ auch Cohen’s κ bzw. Spearman’s ρ angegeben werden.
Für intervallskalierte Variablen eignet sich unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Wirtz & Caspar, 2002) der Koeffizient der Intraklassenkorrela32
Methodik
tion (engl. Intraclass Correlation, ICC), dessen Berechnung dem Prinzip der
Varianzanalyse folgt. Für den im Rahmen dieser Arbeit neu entwickelten
Expressed Emotion-Score (siehe 3.2.1) wird Intervallskalenniveau angenommen. Da die Varianz, die auf Unterschiede in der Mittelwertetendenz der
Rater zurückzuführen ist, hier als Fehler betrachtet werden soll, wird die
sogenannte unjustierte Intraklassenkorrelation ICCunjust. verwendet, welche
im Vergleich zur sogenannten justierten Intraklassenkorrelation ICCjust. die
strengere Prüfung darstellt. Das Modell ist two-way mixed, d.h. die Rater
wurden nicht zufällig aus einer größeren Stichprobe von Ratern ausgewählt
und alle (d.h. beide) Rater beurteilen dieselben Fälle.
ICC! = !
wobei
MSzw – !MSerr
MSzw + (! − 1)MSerr
k = Anzahl der Rater
MSzw = Mittlere Quadratsumme / Varianz zwischen den Fällen
MSerr = Mittlere Quadratsumme / Fehlervarianz
ICC-Werte von > .70 werden nach Greve und Wentura (1997) als Indikator
für eine gute Reliabilität betrachtet. Die Signifikanzprüfung erfolgt anhand
der F-Statistik.
2.4.2 Statistische Prüfung der Zusammenhangshypothesen
Zur Prüfung der postulierten bivariaten Zusammenhänge wird die ProduktMoment-Korrelation Pearson r berechnet, ein parametrisches Verfahren für
intervallskalierte Variablen. Pearson r kann Werte zwischen -1 (negativer
Zusammenhang)
und
+1
(positiver
Zusammenhang)
annehmen.
Die
Interpretation von r im Sinne eines Effektstärkemaßes orientiert sich an
Cohen (1988). Demnach spricht ein Wert von .1 für einen kleinen Effekt, von
.3 für einen mittleren, und von .5 für einen großen Effekt. Das Quadrieren
von r liefert ein anschauliches Maß für die Varianzaufklärung. Die
Signifikanzprüfung erfolgt anhand der t-Statistik.
Multivariate Zusammenhänge sollen mittels multipler linearer Regressionsanalysen (für intervallskalierte Prädiktor- und Kriteriumsvariablen) und
binärer logistischer Regressionsanalysen (für dichotome Kriteriumsvariab33
Methodik
len) untersucht werden. Bei der multiplen linearen Regression erfolgt die
Signifikanzprüfung des Gesamtmodells anhand der F-Statistik. Der Beitrag
der einzelnen Prädiktoren kann mithilfe des partiellen Korrelationskoeffizienten rpartiell als Effektstärkemaße analog zu r quantifiziert werden. Die
Signifikanzprüfung für die jeweiligen Prädiktoren erfolgt anhand der tStatistik. Bei der binären logistischen Regression wird mittels χ2-Test
geprüft, ob die Prädiktoren gemeinsam einen signifikanten Zuwachs
gegenüber der Nullhypothese (Konstante) bei der Modellanpassung liefern.
Die Effektgröße odds ratio quantifiziert den Einfluss der einzelnen
Prädiktoren. Die Signifikanzprüfung erfolgt hierbei anhand der WaldStatistik.
2.4.3 Statistische Prüfung der Hypothesen bezüglich der
Interventionseffekte
Mittels χ2-Test soll der Anteil von Fällen mit High Expressed Emotion in der
Interventionsgruppe mit dem Anteil in der Kontrollgruppe verglichen
werden. Darüber hinaus sollen als parametrische Verfahren für die Prüfung
der
Outcome-Hypothesen
(Expressed Emotion-Score
bezüglich
und
der
intervallskalierten
DASS-Skalen)
Zeiteffekte
Variablen
(Cohen’s d)
innerhalb der Gruppen berechnet und Kovarianzanalysen durchgeführt
werden. Die Kovarianzanalyse verbindet Varianzanalyse und Regression in
einem linearen Modell und bestimmt den Einfluss einer unabhängigen
Variablen (hier: Interventionsbedingung) auf eine abhängige Variable (hier:
Skalenwerte der jeweiligen Outcome-Maße) unter Berücksichtigung des
potentiellen
Einflusses
einer
Kovariate
(hier:
Skalenmittelwerte
bei
Interventionsbeginn). Die Varianz der Kovariate wird aus der Gleichung mit
unabhängiger und abhängiger Variable herauspartialisiert. Dadurch soll
verhindert werden, dass Gruppeneffekte durch potentielle Unterschiede der
beiden Gruppen bei Interventionsbeginn zustande kommen. Die Signifikanzprüfung erfolgt anhand der F-Statistik. Als Effektstärkemaß für die
Mittelwertunterschiede wird Hedges g berechnet (Hartung, Knapp & Sinha,
2008), welches die sogenannte gepoolte Standardabweichung im Nenner
verwendet. Die Mittelwertdifferenz im Zähler wird hier jedoch nicht mit den
34
Methodik
beobachteten, sondern mit den mithilfe der Kovariate geschätzten Gruppenmittelwerten gebildet.
!"#$"%!!! = !
mit
wobei
M1 − M2
SDgepoolt
n1!! ×SD12! n2!! ×SD22
SDgepoolt = !
n1 !!n2 !!
Mi = Gruppenmittelwert (hier: geschätzt aus Kovarianzanalyse)
SDi = Standardabweichung (hier: SD Prä)
ni = Anzahl der Fälle
Für die Interpretation der Effektstärke werden die Empfehlungen von Cohen
(1988) herangezogen, denen zufolge bei .2 von einem kleinen Effekt, bei .5
von einem mittleren und bei .8 von einem großen Effekt gesprochen werden
kann.
2.4.4 Statistische Prüfung der Mediatorhypothesen
Nach MacKinnon (2008) müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein, um
von einem Mediatoreffekt, d.h. von einem indirekten Effekt des Prädiktors,
sprechen zu können:
a) Der Prädiktor muss signifikant mit dem Mediator korrelieren
(direkter Effekt a).
b) Der Prädiktor korreliert i.d.R. signifikant mit der abhängigen Variable
(totaler Effekt).
c) Der Mediator muss signifikant mit der abhängigen Variable
korrelieren (direkter Effekt b).
d) Der indirekte Effekt des Prädiktors auf die abhängige Variable
(direkter Effekt a x direkter Effekt b) muss signifikant von Null
abweichen.
Bedingungen a) bis c) sollen mittels linearer Regressionsanalysen schrittweise bezüglich der entsprechenden Variablen überprüft werden. Die Signifikanzprüfung des indirekten Effekts (Bedingung d) soll nach Empfehlungen
von MacKinnon & Dwyer (1993) mittels des sogenannten Sobel-Tests
erfolgen (Sobel, 1982).
35
Ergebnisse
3 Ergebnisse
Im Folgenden soll zunächst die Stichprobe charakterisiert und die Ergebnisse bezüglich der Weiterentwicklung und psychometrischen Überprüfung der
Five Minute Speech Sample dargestellt werden. Anschließend werden die
Zusammenhänge der untersuchten Konstrukte vor Interventionsbeginn und
schließlich die Interventionseffekte beschrieben.
3.1 Beschreibung der Stichprobe
3.1.1 Ein- und Ausschlüsse
Insgesamt wurden 101 Patienten in die Studie eingeschlossen. Der Ein- und
Ausschluss von Teilnehmern ist in Abbildung 3-1 dargestellt.
Abbildung 3-1 Ein- und Ausschlüsse von Teilnehmern sowie Fallzahlen bei der Abschlussmessung
36
Ergebnisse
Zehn Patienten bzw. deren Eltern stimmten einer randomisierten Zuweisung
zur Interventionsbedingung nicht zu. Diese wurden dennoch in die Studie
aufgenommen und in der THAV-Bedingung behandelt, jedoch aus den
Wirksamkeitsanalysen im Kontrollgruppenvergleich ausgeschlossen. Daher
ergibt sich für die Wirksamkeitsanalysen eine Stichprobengröße von n=91.
In acht Fällen wurde die Behandlung, abweichend von der im Studiendesign
vorgesehenen Anzahl an Sitzungen (vgl. 2.1.2), vorzeitig beendet. Gründe
hierfür waren vor allem mangelnde Therapiemotivation bzw. ein als zu hoch
empfundener Aufwand, aber auch eine Remission der Symptomatik oder
Unzufriedenheit mit dem Behandlungsangebot. Für diese Fälle liegen
Abschlussmessungen vor; es handelt sich nicht um Studienabbrüche,
sondern um eine post hoc individuell angepasste Sitzungszahl. In fünf Fällen
liegt jedoch aufgrund von Behandlungs- bzw. Studienabbrüchen keine
Abschlussmessung vor. In einem weiteren Fall fehlt die Abschlussmessung
nach planmäßig durchlaufener Intervention aus organisatorischen Gründen.
3.1.2 Anzahl der ausgewerteten Patienten und Umgang mit Missings
Die vor Interventionsbeginn erhobene Five Minute Speech Sample liegt in 93
von insgesamt 101 Fällen vor. Die Gründe für das Fehlen von acht FMSS
waren
vorwiegend
technische
Probleme
(z.B.
nicht
funktionierende
Mikrofone); in einem Fall wurde die Aufnahme aus sozialphobischen
Gründen verweigert. Für den Messzeitpunkt bei Interventionsende liegen
insgesamt 90 FMSS bzw. von den randomisierten Fällen 81 FMSS vor. Elf
bzw. zehn FMSS fehlen aufgrund von Behandlungsabbrüchen, Verweigerung
der Aufnahme oder aus organisatorischen Gründen (z.B. Wohnort- und
Bezugspersonenwechsel). In wenigen Fällen wurde von der standardisierten
Instruktion leicht abgewichen, z.B. indem bei einer Pause im Redefluss
nochmals explizit nach der Beziehung gefragt wurde, anstatt manualgetreu
30 Sekunden verstreichen zu lassen bevor die allgemeine Instruktion
wiederholt wird. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass dies keinen
bedeutsamen Einfluss auf das Ausmaß an Expressed Emotion hatte (vgl.
Sandberg, Rutter & Järvi, 2003), sodass diese FMSS dennoch in die Analysen
einbezogen wurden.
37
Ergebnisse
Die Fragebögen wurden von den Patienten bzw. von deren Eltern in der
Regel vor Ort ausgefüllt, sodass hier Missings weitgehend verhindert werden
konnten. Wenn bei Vorliegen des entsprechenden Fragebogens weniger als
10 % der Items einer Skala fehlten, so wurden fehlende Itemwerte durch „0“
ersetzt. Bei mehr als 10 % Missings sollte der Skalenmittelwert für den
entsprechenden Fall nicht berechnet und aus den Analysen ausgeschlossen
werden; dies war jedoch in keinem Fall erforderlich.
Bei der Analyse der Interventionseffekte handelt es sich um sogenannte
Intention to Treat-Analysen, d.h. es wurden neben den Completers auch die
Abbrecher in die Analysen aufgenommen. Es wurde die sogenannte Last
(bzw. Baseline) Observation Carried Forward-Methode (LOCF) zur Missingsersetzung eingesetzt. Dabei werden bei Interventionsende fehlende
Messungen durch die letzten verfügbaren Messwerte, d.h. bei den hier
untersuchten Variablen durch die Baseline-Werte, ersetzt. Das LOCFVerfahren kam auch in den Fällen zum Einsatz, bei denen zwar die
Intervention planmäßig beendet wurde, aber aus anderen Gründen keine
Messwerte vorliegen (Missing at Random). Eine Übersicht der jeweiligen
Fallzahlen findet sich in Tabelle 3-1.
Um die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern, wurden aus der
Analyse
der
Zusammenhänge
zwischen
den
einzelnen
Konstrukten
diejenigen Fälle ausgeschlossen, in denen die Beurteiler der jeweiligen
Messinstrumente (Fragebögen, FMSS) nicht übereinstimmten. Auch bei den
Outcome- und Mediatoranalysen wurden diejenigen Fälle ausgeschlossen, bei
denen die Beurteiler zu den beiden Messzeitpunkten nicht übereinstimmten.
Die entsprechend leicht voneinander abweichenden Stichprobengrößen sind
zusammen mit den Ergebnissen (siehe 3.3 – 3.4) in den jeweiligen Tabellen
angegeben.
38
Ergebnisse
Tabelle 3-1 Fallzahlen für die verwendeten Messinstrumente
Gesamtstichprobe (n=101)
nur randomisierte Fälle (n=91)
Post
Post
Prä
(per
(LOCF)
protocol)
Prä
Post
(per protocol)
FMSS
93
90
84
81
89
DASS
101
93
91
83
91
ICU
101
93
91
83
91
FBB-SSV
101
93
91
83
91
CBCL
101
93
91
83
91
FMSS: Five Minute Speech Sample; DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens; CBCL: Child Behavior Checklist; ICU: Inventory of CallousUnemotional Traits
3.1.3 Patientencharakteristika zu Studienbeginn
Die Patienten waren im Mittel 8,78 Jahre alt (SD=1,863); der Median lag bei
9 Jahren und der Range bei 6-12 Jahren. Die Verteilung der ICD-10Diagnosen kann der Abbildung 3-2 entnommen werden. Die meisten
Patienten (77%) erfüllten die Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens
mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (ICD-10: F 91.3).
Abbildung 3-2
Verteilung der ICD-10-Diagnosen in der Gesamtstichprobe (n=101)
Die klinischen Charakteristika der Stichprobe vor Interventionsbeginn sind
in Tabelle 3-2 aufgeführt. Anhand der Normwerte des FBB-SSV lässt sich die
Stichprobe als hoch auffällig beschreiben (Oppositionelles Verhalten: Stanine
8-9; Dissoziales Verhalten: Stanine 8-9; Gesamt: Stanine 8-9).
39
Ergebnisse
Die Bezugsperson, für die eine Five Minute Speech Sample vorliegt, war in
86% der Fälle die Mutter, in 13% der Fälle der Vater und in einem Fall (1%)
die Großmutter, welche die primäre Bezugsperson des Kindes war.
Tabelle 3-2 Klinische Charakteristika der Gesamtstichprobe vor Interventionsbeginn (Mittelwerte
und Standardabweichung)
M
SD
1,058
0,411
Gesamt
1,692
0,455
Depression
1,575
0,585
Angst
1,392
0,398
Stress
2,109
0,528
Callousness / Lack of Guilt or Remorse
1,353
0,426
Unconcerned about Performance
1,192
0,556
Unemotional
1,215
0,681
Gesamt
0,998
0,300
Oppositionelles Verhalten
1,974
0,402
Dissoziales Verhalten
0,422
0,283
Gesamt
0,458
0,160
Externalisierendes Verhalten
0,774
0,262
Internalisierendes Verhalten
0,362
0,216
Aggressives Verhalten
1,031
0,322
Dissoziales Verhalten
0,379
0,227
Sozialer Rückzug
0,403
0,283
Körperliche Beschwerden
0,171
0,192
Ängstlich / Depressiv
0,472
0,310
Aufmerksamkeitsprobleme
0,623
0,281
FMSS Expressed Emotion-Score (n=93)
DASS (n=101)
ICU (n=101)
FBB-SSV (n=101)
CBCL (n=101)
FMSS: Five Minute Speech Sample; DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens; CBCL: Child Behavior Checklist; ICU: Inventory of CallousUnemotional Traits
3.2 Weiterentwicklung der Five Minute Speech Sample
Auf der Grundlage der FMSS-Kodierung nach Daley et al. (2003) wurde die
Auswertung der FMSS durch zwei weitere Items bzw. Ratingskalen ergänzt
40
Ergebnisse
sowie in Ergänzung zur dichotomen Expressed Emotion-Variable ein
dimensionaler Composite Score für das Ausmaß an Expressed Emotion
gebildet.
Anstoß für die Entwicklung zweier neuer Ratingskalen war die Beobachtung,
dass die Anzahl der kritischen Kommentare oftmals sehr gering ausfiel bzw.
eine kritische Haltung der Eltern nicht angemessen wiederspiegelte. Dies
liegt vor allem an einer Kodierungsregel, nach der auch das wiederholte
Äußern von Kritik sowie das Aufzählen von Beispielen als nur ein Kritischer
Kommentar gewertet werden, sofern es sich inhaltlich um dieselbe kritisierte
Eigenschaft handelt. So kann es beispielsweise vorkommen, dass eine
Bezugsperson fast während der ganzen Sprechprobe über das aggressive
Verhalten des Kindes spricht und dabei diverse Beispielsituationen schildert,
aber dennoch nur ein Kritischer Kommentar geratet wird. Erwähnt diese
Bezugsperson aber kurz zwei positive Eigenschaften des Kindes, z.B. „Er ist
sehr intelligent und auch charmant“, ohne dies jedoch weiter auszuführen, so
hat sie mehr Positive als Kritische Kommentare und es kann aufgrund dieses
Verhältnisses kein High Expressed Emotion geratet werden, selbst wenn
zusätzlich ein negatives globales Rating vorliegt, z.B. Negative Beziehungsqualität.
Aus diesem Grund wurden zwei neue Ratingskalen entwickelt: Positiver
Fokus und Negativer Fokus. Dabei wird der Anteil positiver bzw. negativer
(auf das Kind bezogener) Schilderungen an der Gesamtsprechzeit geschätzt.
Das Antwortformat ist in Anlehnung an die anderen globalen Ratingskalen
jeweils dreistufig (niedrig, mäßig, hoch). Es ergaben sich zufriedenstellende
Werte für die Inter-Rater-Reliabilität der beiden Ratingskalen (siehe 3.2.2).
3.2.1 Expressed Emotion-Score
Da eine Ergänzung des dichotomen durch ein dimensionales Maß für
Expressed Emotion sinnvoll erschien (vgl. Lenior, Dingemans & Linszen,
1997; Lenior, Linszen & Dingemans, 1998; Stubbe, Zahner, Goldstein &
Leckman, 1993), und darüber hinaus die o.g. konservativen Kodierungsregeln zu einem für eine klinische Stichprobe überraschend geringen Anteil (18
%) von High Expressed Emotion führten, wurden die einzelnen Ratingskalen
41
Ergebnisse
der FMSS zu einem Expressed Emotion-Score aggregiert, der Werte zwischen
0 und 2 annehmen kann.
Hierzu wurde zunächst die Anzahl Kritischer und Positiver Kommentare
jeweils anhand der Stichprobenverteilung trichotomisiert, um sie in das
dreistufige Antwortformat der globalen Ratingskalen zu überführen. Die
Anzahl Positiver Kommentare, die Qualität der Ersten Äußerung, das
Ausmaß an Wärme und die Beziehungsqualität wurden umgepolt, sodass
höhere Werte des aggregierten Scores ein höheres Ausmaß an Expressed
Emotion bedeuten. Neben diesem aus fünf Ratingskalen bzw. Items
aggregierten Score wurde ein Score gebildet, in den zusätzlich die beiden neu
entwickelten Items Positiver Fokus (umgepolt) und Negativer Fokus
einfließen. Für den Fünf Items umfassenden Score ergab sich eine Korrelation mit der dichotomen Expressed Emotion-Variablen von r=.685 (p < .01,
n=93) und eine interne Konsistenz von Cronbach’s α=.62 (n=93); für den
sieben Items umfassenden Score ergab sich eine geringfügig niedrigere
Korrelation von r=.633 (p < .01, n=93) und ein deutlich höheres Cronbach’s α
von .74 (n=93). In beiden Fällen führte das Eliminieren einzelner Items nicht
zu einer Verbesserung der internen Konsistenz (siehe Tabelle 3-3 & Tabelle
3-4). Auf Grundlage von Cronbach’s α wurde der Score ausgewählt, der neben
den fünf ursprünglichen Ratingskalen auch die beiden neuen Items enthält.
Der Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest erbrachte ein nicht signifikantes
Ergebnis (Z=1.045, p=.225), sodass von einer annähernden Normalverteilung
des Expressed Emotion-Scores ausgegangen werden kann.
Tabelle 3-3 Expressed Emotion-Score (5 Items): Skalenmittelwerte und –varianzen, korrigierte ItemSkalen-Korrelationen und Cronbach’s α, wenn Item weggelassen (n=93)
Skalenmittelwert
Skalenvarianz
Item-SkalaKorrelation
Cronbach’s α
Erste Äußerung
3,935
3,170
.366
.569
Wärme
4,097
2,806
.485
.507
Beziehungsqualität
3,925
3,201
.359
.572
4,075
2,788
.362
.568
3,538
2,556
.338
.598
FMSS
Kritische
Kommentare
Positive
Kommentare
42
Ergebnisse
Tabelle 3-4 Expressed Emotion-Score (7 Items): Skalenmittelwerte und –varianzen, korrigierte ItemSkalen-Korrelationen und Cronbach’s α, wenn Item weggelassen (n=93)
Skalenmittelwert
Skalenvarianz
Item-SkalaKorrelation
Cronbach’s α
Erste Äußerung
6,451
6,859
.406
.720
Wärme
6,612
6,588
.428
.714
Beziehungsqualität
6,440
6,967
.375
.725
6,591
6,244
.431
.714
6,053
5,660
.486
.704
Negativer Fokus
6,118
6,258
.466
.705
Positiver Fokus
6,182
5,781
.601
.672
FMSS
Kritische
Kommentare
Positive
Kommentare
3.2.2 Inter-Rater-Reliabilität
Um die Objektivität der FMSS-Ratings zu überprüfen, wurde anhand einer
Zufallsstichprobe
von
n=20
der
vor
Interventionsbeginn
erhobenen
Sprechproben die Übereinstimmung mit einem externen Rater bestimmt. Die
Randomisierung erfolgte über random.org (Haahr, 2006). Im ersten Schritt
wurde anhand von n=15 Sprechproben orientierend die Übereinstimmung
geprüft. Dabei ergab sich ein inakzeptabler Reliabilitätskoeffizient für die
globale Ratingskala Wärme (Kendall’s τ=.043). Aus diesem Grund wurden die
Kodierrichtlinien diesbezüglich spezifiziert und die Sprechproben für diese
Skala neu geratet. Die Zufallsstichprobe wurde auf n=20 erhöht und die
endgültige
Beurteilerübereinstimmung
berechnet.
Die
prozentuale
Übereinstimmung bei der dichotomen Beurteilung von Expressed Emotion
beträgt 90%, das zufallsbereinigte Übereinstimmungsmaß liegt mit einem
Cohen’s κ-Wert von .688 nach Landis & Koch (1977) und Suen & Ary (1989)
im substantiellen Bereich. Zur Beurteilung der Reliabilität des Expressed
Emotion-Scores wird die unjustierte Intraklassenkorrelation herangezogen
(siehe 2.4.1); der Wert von .894 spricht nach Greve & Wentura (1997) für
eine gute Reliabilität. Insgesamt ergeben sich bezüglich der einzelnen
Ratingskalen akzeptable bis gute Werte für Kendall’s τ (siehe Tabelle 3-5).
Die beiden Rater unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Mittelwerte des
Expressed-Emotion-Scores (siehe Tabelle 3-6).
43
Ergebnisse
Tabelle 3-5 Inter-Rater-Reliabilität für FMSS (n=20)
Cohen’s κ
Expressed Emotion High/Low
Kendall’s τ
Spearman ρ ICC
unjust.
.688
Expressed Emotion-Score
.763
.866
.894
Erste Äußerung
.741
.797
.822
.831
Wärme
.543
.656
.685
.678
Beziehungsqualität
.630
.698
.707
.678
Kritische Kommentare
.716
.815
.820
Positive Kommentare
.781
.842
.891
Negativer Fokus
.667
.800
.831
.787
Positiver Fokus
.528
.706
.743
.722
Tabelle 3-6 Mittelwertevergleich des Expressed Emotion-Scores (Prä) für beide Rater (n=20)
Rater
1
2
M
1,064
1,086
SD
0,523
0,426
t
df
p
0,429
19
.673
3.3 Ergebnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed
Emotion und Symptomatik von Eltern und Kind
Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf Analysen der Stichprobe vor
Interventionsbeginn. Von 93 der 101 Teilnehmer liegen für diesen Messzeitpunkt FMSS-Aufzeichnungen vor. Insgesamt ergibt sich in 17 von 93 bzw. in
18,3% der Fälle ein Rating von High Expressed Emotion. Die Altersgruppen
der sechs- bis zehn- (n=71) und elf- bis zwölfjährigen Kinder (n=22)
unterscheiden sich dabei nicht hinsichtlich des Expressed Emotion-Status (χ2
df=1=.382,
p=.537)
oder
des
Expressed
Emotion-Scores
ihrer
Eltern
(Tdf=91=.168, p=.867).
3.3.1 Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und
internalisierender Symptomatik der Eltern
Entgegen der Hypothese konnten keine nennenswerten Korrelationen
zwischen Expressed Emotion und Depression, Angst oder Stresserleben der
Eltern gefunden werden (siehe Tabelle 3-7). Daher muss auch die Hypothese
bezüglich Expressed Emotion als Mediator zwischen Depression der
Bezugsperson und aggressiver Symptomatik des Kindes verworfen werden.
44
Ergebnisse
Tabelle 3-7 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit internalisierender Symptomatik
und Stresserleben der Eltern (n=89)
FMSS Expressed Emotion
DASS
High / Low
Score
Gesamt
.080
.030
Depression
.073
.081
Angst
.043
.044
Stress
.090
-.043
DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala
3.3.2 Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und
Symptomatik sowie Callous-Unemotional Traits des Kindes
Es zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang des Expressed Emotion-Status
der Bezugsperson mit dem dissozialen Verhalten des Kindes, sowohl
gemessen mit dem FBB-SSV als auch mit der CBCL (siehe Tabelle 3-8 und
Tabelle 3-9). Für den Expressed Emotion-Score liegt nur bezüglich des FBBSSV ein signifikanter Zusammenhang vor. Die Stärke des Zusammenhangs
liegt mit r=.241 (FBB-SSV) bzw. r=.230 (CBCL) für das dichotome Expressed
Emotion-Maß im mittleren, mit r=.184 (FBB-SSV) für den Expressed
Emotion-Score im kleinen bis mittleren Bereich. Die Varianzaufklärung ist
eher gering – beispielsweise 5,8% für den Zusammenhang von Expressed
Emotion-Status und dissozialem Verhalten gemessen mit dem FBB-SSV.
Weitere signifikante Korrelationen fanden sich für den Zusammenhang von
Expressed Emotion-Status der Bezugsperson und aggressivem Verhalten
sowie Aufmerksamkeitsproblemen des Kindes (CBCL); beide Korrelationen
liegen im kleinen bis mittleren Bereich. Ein Zusammenhang von Expressed
Emotion mit dem oppositionellen Verhalten (FBB-SSV) oder der internalisierenden Symptomatik des Kindes (CBCL) konnte nicht gefunden werden.
Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Expressed Emotion signifikant
mit der aggressiven Symptomatik des Kindes zusammenhängt. Bei
genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass zwischen verschiedenen
Symptomgruppen innerhalb der aggressiven Symptomatik differenziert
45
Ergebnisse
werden muss: Der konstatierte Zusammenhang fand sich für aggressivdissoziales, aber nicht für oppositionelles Verhalten.
Tabelle 3-8 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit oppositionellem und dissozialem
Verhalten (FBB-SSV; n=92)
Expressed Emotion
FBB-SSV
High / Low
Score
Gesamt
.218*
.170
Oppositionelles Verhalten
.099
.043
Dissoziales Verhalten
.241*
.184*
FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens
* p < .05
Tabelle 3-9 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit externalisierenden und
internalisierenden Verhaltensproblemen sowie mit Aufmerksamkeitsproblemen der Kinder (CBCL; n=88)
Expressed Emotion
CBCL
High / Low
Score
Gesamt
.164
.074
External
.230*
.108
Aggressives Verhalten
.204*
.100
Dissoziales Verhalten
.230*
.098
Internal
-.066
-.014
Sozialer Rückzug
-.010
.012
Körperliche Beschwerden
-.067
-.052
Ängstlich / Depressiv
-.065
-.016
Aufmerksamkeitsprobleme
.213*
.011
CBCL: Child Behavior Checklist
* p < .05
Im Hinblick auf die Callous-Unemotional Traits des Kindes ergaben sich
signifikante Korrelationen für die Skalen Callousness / Lack of Guilt or
Remorse und Unconcerned about Performance, jedoch keine nennenswerten
Korrelationen für die Skala Unemotional (siehe Tabelle 3-10). Dies gilt
sowohl für den Expressed Emotion-Status als auch für den Expressed
Emotion-Score. Mit r=.441 ergibt sich insbesondere für den Zusammenhang
von Expressed Emotion-Score und Callousness / Lack of Guilt or Remorse
eine relativ hohe Korrelation; sie entspricht einer Varianzaufklärung von
19,4%.
46
Ergebnisse
Die Hypothese bezüglich des Zusammenhangs von Expressed Emotion und
Callous-Unemotional Traits kann folglich zum Teil bestätigt werden. Auch
hier muss zwischen verschiedenen Teilaspekten der CU-Traits unterschieden
werden.
Tabelle 3-10
Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit Callous-Unemotional Traits
(ICU; n=89)
Expressed Emotion
ICU
High / Low
Score
Callousness / Lack of Guilt or Remorse
.240*
.441**
Unconcerned about Performance
.245*
.212*
Unemotional
-.018
.105
ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits
** p < .01
3.3.3 Bivariate Zusammenhänge zwischen internalisierender
Symptomatik der Eltern, Symptomatik des Kindes und
Callous-Unemotional Traits des Kindes
Bei Betrachtung der Zusammenhänge von internalisierender Symptomatik
der Eltern mit psychopathologischen Merkmalen des Kindes ergibt sich
bezüglich der aggressiven Symptomatik des Kindes ein ähnliches Bild wie
bei Expressed Emotion: Es zeigen sich für Depression, Angst und Stresserleben der Eltern vor allem Zusammenhänge mit dem dissozialen Verhalten des
Kindes (gemessen mit dem FBB-SSV). Mit oppositionellem Verhalten hängt
hingegen nur die Angstsymptomatik der Eltern zusammen (siehe Tabelle
3-11). Das Stresserleben der Eltern korreliert darüber hinaus mit dem
aggressiven Verhalten des Kindes (gemessen mit der CBCL; siehe Tabelle
3-12). Die Korrelationen liegen im mittleren Bereich.
47
Ergebnisse
Tabelle 3-11
Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der
Eltern (DASS) mit oppositionellem und dissozialem Verhalten der Kinder (FBB-SSV;
n=99)
FBB-SSV (n=99)
DASS
Gesamt
Depression
Angst
Stress
Gesamt
.212*
.154
.239**
.198*
Oppositionelles Verhalten
.153
.105
.205*
.128
.235**
.199*
.222*
.221*
Dissoziales Verhalten
DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens
* p < .05
** p < .01
Ein deutlicherer Zusammenhang zeigt sich jedoch erwartungsgemäß
zwischen der internalisierenden Symptomatik der Eltern und der internalisierenden Symptomatik des Kindes (siehe Tabelle 3-12), mit Ausnahme der
Skala körperliche Beschwerden (CBCL). Die Korrelationen liegen im
mittleren bis hohen Bereich. Darüber hinaus fanden sich signifikante
Korrelationen der DASS-Skalen mit Aufmerksamkeitsproblemen des Kindes
(CBCL); diese liegen ebenfalls im mittleren bis hohen Bereich.
Tabelle 3-12
Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der
Eltern (DASS) mit externalisierenden und internalisierenden Verhaltensproblemen
sowie mit Aufmerksamkeitsproblemen der Kinder (CBCL; n=92)
CBCL
DASS
Gesamt
Depression
Angst
Stress
Gesamt
.328**
.259**
.333**
.316**
External
.193*
.159
.161
.201*
Aggressives Verhalten
.176*
.137
.141
.196*
Dissoziales Verhalten
.177*
.165
.161
.154
Internal
.295**
.215*
.342**
.275**
Sozialer Rückzug
.329**
.277**
.372**
.273**
.114
.111
.121
.082
Ängstlich / Depressiv
.279**
.184*
.320**
.285**
Aufmerksamkeitsprobleme
.334**
.339**
.297**
.265**
Körperliche Beschwerden
DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; CBCL: Child Behavior Checklist
* p < .05
** p < .01
Im Hinblick auf den Zusammenhang der internalisierenden Symptomatik
der Eltern mit den Callous-Unemotional Traits des Kindes zeigt sich genau
48
Ergebnisse
das umgekehrte Muster wie beim Zusammenhang Letztgenannter mit
Expressed Emotion: Die DASS-Skalen Depression und Angst weisen
signifikante Korrelationen mit der ICU-Skala Unemotional auf und nicht mit
den Skalen Callousness / Lack of Guilt or Remorse oder Unconcerned about
Performance (siehe Tabelle 3-13). Die Korrelationen liegen im mittleren bis
hohen Bereich. Für das Stresserleben der Eltern ergeben sich bezüglich der
CU-Traits keine nennenswerten Zusammenhänge.
Tabelle 3-13
Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der
Eltern (DASS) mit Callous-Unemotional Traits der Kinder (ICU; n=101)
DASS
ICU
Callousness / Lack of Guilt
or Remorse
Unconcerned about
Performance
Unemotional
Gesamt
Depression
Angst
Stress
.104
.092
.097
.094
.118
.137
.089
.085
.235**
.302**
.226*
.103
DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits
* p < .05
** p < .01
Die ICU-Skala Callousness / Lack of Guilt or Remorse korreliert ferner
signifikant mit dem oppositionellen und dissozialen Verhalten des Kindes
(gemessen mit dem FBB-SSV; siehe Tabelle 3-14). Für Unconcerned about
Performance und Unemotional ergeben sich hingegen keine bedeutsamen
Korrelationen mit dissozialem oder oppositionellem Verhalten. In Bezug auf
die Hypothese kann also auch hier von einer partiellen Bestätigung
gesprochen werden.
Tabelle 3-14
Korrelationen (Pearson r) von oppositionellem und dissozialem Verhalten (FBB-SSV)
mit Callous-Unemotional Traits der Kinder (ICU; n=99)
FBB-SSV
ICU
Callousness / Lack of Guilt or
Remorse
Unconcerned about Performance
Unemotional
Gesamt
Opp.
Verhalten
Diss.
Verhalten
.267**
.182*
.244**
-.003
.037
-.009
.069
.117
.063
ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des
Sozialverhaltens; * p < .05
49
Ergebnisse
3.3.4 Multivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion
und Symptomatik sowie Callous-Unemotional Traits des
Kindes
Wie die Ergebnisse der bivariaten Zusammenhang-Analysen zeigen,
korrelieren die psychopathologischen Merkmale der Kinder nicht nur mit
Expressed Emotion, sondern auch untereinander. Um die Zusammenhangmaße von dem Einfluss der korrelierenden Variablen zu bereinigen, werden
multiple bzw. logistische Regressionsanalysen mit Expressed Emotion als
Kriteriumsvariable durchgeführt. Als Prädiktorvariablen werden diejenigen
Skalen des FBB-SSV und des ICU eingegeben, die signifikante bivariate
Korrelationen mit Expressed Emotion aufweisen. Dabei zeigt sich, dass der
Zusammenhang von Expressed Emotion mit dissozialem Verhalten nicht
mehr signifikant ist, wenn man die Kovarianz mit den CU-Traits berücksichtigt.
Zieht man als Kriterium den Expressed Emotion-Score heran, so bleibt nur
die Skala Callousness / Lack of Guilt or Remorse als signifikanter Prädiktor
erhalten (siehe Tabelle 3-15). Die gesamte Varianzaufklärung durch alle drei
Prädiktoren beträgt 21,3%. Ist das Kriterium der Expressed-Emotion-Status
der Eltern, bleibt nur die Korrelation mit der Skala Unconcerned about
Performance signifikant; Callousness / Lack of Guilt or Remorse verfehlt
knapp die Signifikanz (siehe Tabelle 3-16). Die gesamte Varianzaufklärung
durch alle Prädiktoren beträgt hierbei 18,5%.
Tabelle 3-15
Ergebnisse der Multiplen Regression mit dem Expressed Emotion-Score als Kriterium
(n=88)
Prädiktoren
ICU
Callousness / Lack of Guilt or
Remorse
ICU
Unconcerned about
Performance
FBB-SSV
Dissoziales Verhalten
ßstandardisiert
t
p1-seitig
r
rpartiell
.398
3,922
.000
.441
.393
.114
1,147
.127
.209
.124
.086
0,876
.192
.165
.095
ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des
Sozialverhaltens
50
Ergebnisse
Tabelle 3-16
Ergebnisse der Logistischen Regression mit Expressed Emotion High/Low als
Kriterium (n=88)
Prädiktoren
ICU
Callousness / Lack of Guilt or
Remorse
ICU
Unconcerned about Performance
FBB-SSV
Dissoziales Verhalten
B
SE
Wald
df
p1-seitig
odds
ratio
1,128
0,708
2,542
1
.055
3,090
1,095
0,567
3,734
1
.027
2,990
1,418
1,031
1,885
1
.085
4,128
ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des
Sozialverhaltens
3.4 Ergebnisse bezüglich der Interventionseffekte
Zur besseren Einordnung der Ergebnisse der Outcome-Analysen soll an
dieser Stelle zunächst berichtet werden, dass vor Interventionsbeginn keine
Unterschiede zwischen den Patienten der beiden Interventionsbedingungen
hinsichtlich der Zielvariablen Expressed Emotion-Score (tdf=91=0,898, p=.371),
Expressed Emotion-Status (χ2df=1=.139, p=.709) sowie Depression (tdf=99=1,239,
p=.218), Angst (tdf=99=1,281, p=.205) und Stresserleben (tdf=99=0,423, p=.673)
vorlagen.
3.4.1 Effekte der Intervention auf Expressed Emotion
In der THAV-Bedingung liegt bei Interventionsende in 11 von 54 bzw. in
20,4% der Fälle High Expressed Emotion vor, in der Kontrollbedingung in 6
von 36 bzw. in 16,7% der Fälle. Hierbei sind alle tatsächlich vorliegenden
FMSS einbezogen (n=90; per protocol), einschließlich der nicht randomisierten Patienten. Bei einer Betrachtung des Expressed Emotion-Status auf FallEbene zeigt sich, dass 6 der 17 Bezugspersonen mit High Expressed Emotion
bei Studienbeginn nach der Intervention denselben Expressed-EmotionStatus aufweisen.
Bei der Intention to Treat-Analyse der randomisierten Fälle mit LOCFMissingersetzung (n=89; siehe 3.1.2) ergibt sich für die THAV-Bedingung ein
Anteil von 18,8%, für die Kontrollbedingung von 17,1% High Expressed
51
Ergebnisse
Emotion. Ein Gruppenvergleich mittels χ 2-Test ergab ein nicht signifikantes
Ergebnis (χ2df=1= .042, p=.837). Bei Interventionsende unterscheiden sich die
Patienten der beiden Interventionsbedingungen also nicht hinsichtlich des
Anteils an High Expressed Emotion.
Ein anderes Bild ergibt sich bei Betrachtung des Expressed Emotion-Scores
(siehe Tabelle 3-17). Hierbei reduziert sich die Stichprobengröße um drei
Fälle, bei denen die Bezugspersonen zu den beiden Messzeitpunkten nicht
übereinstimmen. In der Kontrollbedingung zeigt sich kein Zeiteffekt (Cohen’s
d=0,09), wohingegen in der THAV-Bedingung ein großer Zeiteffekt vorliegt
(Cohen’s d=0,83). Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse, bei der potentielle
Mittelwertdifferenzen zwischen den Bedingungen vor Interventionsbeginn
als Kovariate berücksichtigt werden, zeigen einen signifikanten mittleren bis
großen Interventionseffekt (Hedges g=0,61).
Tabelle 3-17
Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) des Expressed Emotion-Scores,
Zeiteffekte (d Prä-Post) und Ergebnisse der Kovarianzanalyse
ANCOVA
Bedingung
n
THAV
43
Kontrolle
38
Prä
(Rater 2)
M (SD)
1,120
(0,397)
1,030
(0,406)
Post
(Rater 1)
M (SD)
0,791
(0,499)
0,992
(0,377)
d
Prä-Post
F
p
Hedges g
(adj. Post)
7,165
.009
0,61
0,83
0,09
3.4.2 Effekte der Intervention auf die internalisierende
Symptomatik der Eltern
Bei der intention to treat-Analyse der randomisierten Fälle mit übereinstimmenden Beurteilern (n=86) ergibt sich bezüglich des Stresserlebens der
Eltern in der THAV-Bedingung ein mittlerer bis großer Zeiteffekt (Cohen’s
d=0,71), wohingegen in der Kontrollbedingung kein Effekt vorliegt (Cohen’s
d=0,04; siehe Tabelle 3-18). Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse zeigen
einen signifikanten mittleren bis großen Interventionseffekt (Hedges g=0,66)
für das Stresserleben der Eltern. Bezüglich Depression und Angst ergeben
sich zwar kleine Zeiteffekte in der THAV-Bedingung (Cohen’s d=0,31 bzw.
52
Ergebnisse
0,33), jedoch keine signifikanten Interventionseffekte in der Kovarianzanalyse (Hedges g=0,23 für beide Skalen).
Tabelle 3-18
Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) für internalisierende Symptomatik
und Stresserleben der Eltern (DASS), Zeiteffekte (d Prä-Post) und Ergebnisse der
Kovarianzanalyse
ANCOVA
DASS
Bedingung
n
THAV
47
Kontrolle
39
THAV
47
Kontrolle
39
THAV
47
Kontrolle
39
THAV
47
Depression
Angst
Stress
Gesamt
Kontrolle
39
Prä
M (SD)
Post
M (SD)
1,526
(0,567)
1,619
(0,597)
1,378
(0,317)
1,408
(0,430)
2,138
(0,521)
2,128
(0,520)
1,681
(0,423)
1,719
(0,468)
1,351
(0,430)
1,522
(0,590)
1,275
(0,295)
1,381
(0,428)
1,769
(0,440)
2,110
(0,610)
1,465
(0,348)
1,671
(0,492)
d
PräPost
F
p
Hedges g
(adj. Post)
1,824
.180
0,23
2,112
.150
0,23
12,654 .001
0,66
6,098
0,42
0,31
0,16
0,33
0,06
0,71
0,04
0,51
.016
0,10
DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala
3.5 Mediatoreffekte von Expressed Emotion
Zur Prüfung eines potentiellen Mediatoreffekts von Expressed Emotion auf
die interventionsbedingte Veränderung der Callous-Unemotional Traits
(siehe 2.2.3) wurde im ersten Schritt der Einfluss der Interventionsbedingung auf die Prä-Post-Differenz der ICU- bzw. Expressed EmotionSkalenmittelwerte mittels linearer Regressionsanalyse geprüft (siehe Tabelle
3-19). Analog zu den Ergebnissen der Kovarianzanalysen (siehe 2.1.3) zeigt
sich ein Einfluss auf die Skalen Callousness /Lack of Guilt or Remorse sowie
Unemotional. Für letztere wird dieser Effekt jedoch knapp nicht signifikant.
Auch für den Expressed Emotion-Score ergibt sich erwartungsgemäß ein
signifikanter Regressionskoeffizient (vgl. 3.4.1).
53
Ergebnisse
Tabelle 3-19
Ergebnisse der linearen Regressionsanalysen mit der Interventionsbedingung (THAV
vs. Kontrolle) als Prädiktor und der Veränderung (Prä-Post-Differenz) in CallousUnemotional Traits (ICU) und Expressed Emotion-Score als jeweiligem Kriterium
(n=81)
Kriterium
ICU
Callousness / Lack of Guilt or Remorse
ICU
Unconcerned about Performance
ICU
Unemotional
Expressed Emotion Score
ßstandardisiert
t
p1-seitig
.235
2,153
.017
.048
0,428
.335
.182
1,645
.052
.307
2,867
.003
ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits
Für die Überprüfung der Mediator-Hypothese kommt also nur die Skala
Callousness / Lack of Guilt or Remorse als Kriteriumsvariable infrage. Im
zweiten Schritt wurde daher eine lineare Regression mit der Veränderung in
Expressed Emotion als unabhängiger und der Veränderung in Callousness /
Lack of Guilt or Remorse als abhängiger Variable berechnet. Entgegen der
Erwartung zeigt sich jedoch kein signifikanter Einfluss der Veränderung in
Expressed Emotion auf die Veränderung in Callousness / Lack of Guilt or
Remorse (ßstandardisiert=.144, t=1,296, p1-seitig=.099, n=81). Es besteht also kein
signifikanter Zusammenhang zwischen dem angenommenen Mediator und
der abhängigen Variable, sodass die Mediatorhypothese verworfen werden
muss.
54
Diskussion
4 Diskussion
4.1 Bewertung der Ergebnisse und Einordnung in den
Forschungskontext
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Five Minute
Speech Sample in dieser Stichprobe von sechs- bis zwölfjährigen Jungen mit
einer Störung des Sozialverhaltens als ein praktikables und reliables
Messinstrument zur Erfassung von Expressed Emotion (Criticism) bewährt
hat. Die Kodierung nach Daley et al. (2003) stellt eine gute Adaptation der
Originalversion von Magaña et al. (1986) für das Kindesalter dar. Gleichwohl
erschien eine weitere Ergänzung durch die neu entwickelten Rating-Skalen
Negativer und Positiver Fokus sowie durch den Expressed Emotion-Score
sinnvoll. Die Inter-Rater-Reliabilität für Expressed Emotion High/Low und
die einzelnen Rating-Skalen ist zufriedenstellend und vergleichbar mit den
Ergebnissen anderer Arbeiten (Marshall, Longwell, Goldstein & Swanson,
1990; Hibbs, Hamburger, Kruesi & Lenane, 1993; Stubbe et al., 1993;
Hirshfeld, Biederman, Brody, Faraone & Rosenbaum, 1997b; Asarnow,
Tompson, Woo & Cantwell, 2001; Liakopoulou-Kairis, Alifieraki, Protagora,
Korpa & Kondyli, 2002; McCarty & Weisz, 2002; Brennan et al., 2002; St
Jonn-Seed & Weiss, 2002; Lenior, Dingemans, Schene, Hart & Linszen, 2002;
Nelson et al., 2003; Peris & Hinshaw, 2003; Daley et al., 2003; Hastings et
al., 2006; Greenberg et al., 2006; Boger et al., 2008; Psychogiou, Daley,
Thompson & Sonuga-Barke, 2008; Christiansen et al., 2010). Dennoch
erscheint eine kritische Betrachtung des Instruments angezeigt.
Auffallend ist die niedrige High Expressed Emotion-Rate von 18% in dieser
klinischen Stichprobe von Kindern mit ausgeprägtem aggressivem Problemverhalten. Zwar ist bekannt, dass die FMSS den Anteil an High Expressed
Emotion im Vergleich zum Camberwell Family Interview (CFI) systematisch
unterschätzt (Van Humbeeck et al., 2002; Hooley & Parker, 2006). Auch
finden sich ähnlich niedrige Raten in einigen wenigen Arbeiten, so bei Boger
et al. (2008) und Hirshfeld et al. (1997) (Risikostichproben) oder Greenberg et
al. (2006) (Autismus). Da aber für die Kodierung von High Expressed
55
Diskussion
Emotion die Richtlinien von Daley et al. (2003) angewandt, und die Rater von
dem Autor selbst in der Auswertung geschult wurden, wäre indes zumindest
eine ähnliche Quote wie bei Daley et al. (2003) zu erwarten. Diese geben
einen Anteil von 43% High Expressed Emotion bei Müttern von Kindern mit
ADHS an. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine
provisorische, noch weiter zu validierende Kodierregel handelt. Tatsächlich
finden sich in weiteren Publikationen der Arbeitsgruppe keine Angaben zur
dichotomen Expressed Emotion-Variablen; vielmehr verwenden die Autoren
die einzelnen Komponenten oder faktorenanalytisch extrahierte Skalen der
FMSS (Caspi et al., 2004; Psychogiou et al., 2008; Cartwright et al., 2011).
Dies erschwert die Vergleichbarkeit mit zahlreichen Studien, welche die
bewährte Einteilung in High vs. Low Expressed Emotion vornehmen.
Andererseits ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ohnehin eingeschränkt
aufgrund der Verwendung verschiedener Messinstrumente oder Kodierschemata. Neben dem CFI, welches den „Goldstandard“ zur Erhebung von
Expressed Emotion darstellt, werden oftmals andere Interviewformate
eingesetzt, und auch die Kodierung der FMSS nach Magaña et al. (1986)
wird nicht selten an die Charakteristika der jeweiligen Stichprobe angepasst
– wie in dieser Arbeit zum Beispiel die Anpassung an die Altersgruppe.
Ferner ist es üblich, die Anzahl der kritischen Kommentare, die zur
Kodierung von High Expressed Emotion erforderlich ist, je nach Störungsbild
herauf- oder herabzusetzen. Vaughn und Leff (1976) schlagen beispielsweise
für das CFI einen Cut-Off von mindestens sechs kritischen Kommentaren für
schizophrene Patienten und einen Cut-Off von mindestens zwei für
depressive Patienten vor, wobei sie diese Empfehlung mit einer besseren
prädiktiven Validität für die Kategorisierung anhand der angepassten CutOffs bezüglich des Rückfallrisikos begründen. Dies zeigt, dass in Hinblick auf
die Dichotomisierung eine gewisse Willkür herrscht. Dementsprechend
erhöht sich der Anteil an High Expressed Emotion in der vorliegenden
Untersuchung von 18% auf 90%, wenn anstatt der Daley-Kriterien die
Original-Kriterien nach Magaña et al. (1986) angelegt werden, was
beispielsweise vergleichbar ist mit der Angabe von 86% in einer Stichprobe
56
Diskussion
von drei- bis zehnjährigen Kindern mit Störung des Sozialverhaltens (Calam
& Peters, 2006).
Diese Beliebigkeit in der Anwendung des dichotomen Expressed EmotionKonstrukts sowie die Hinweise aus der Arbeitsgruppe um Lenior, dass ein
dimensionales Maß kleinere Unterschiede und Änderungen sensitiver zu
erfassen vermag (Lenior et al., 1997; Lenior et al., 1998), führten zu der
Entwicklung eines Expressed Emotion-Scores im Rahmen dieser Arbeit.
Dieser hat sich im Vergleich zum dichotomen Maß insofern bewährt, als er
eine höhere Änderungssensitivität aufweist. Während bezüglich des Scores
ein signifikanter Interventionseffekt vorliegt, kann in Bezug auf den
Expressed Emotion-Status der Eltern bei Interventionsende kein Gruppenunterschied festgestellt werden. Einschränkend muss jedoch angemerkt
werden, dass auch dieser Score von Charakteristika der Stichprobe abhängt,
da nämlich unter anderem die trichotomisierte Anzahl kritischer und
positiver Kommentare in die Berechnung desselben einfließt, und diese
Trichotomisierung wiederum auf der Verteilung in der Stichprobe basiert.
Jedenfalls ist in Hinblick auf die Operationalisierung von Expressed Emotion
zu berücksichtigen, dass die Anpassung des Instruments an die untersuchte
Population auf der einen Seite innerhalb der jeweiligen Stichprobe aussagekräftigere Ergebnisse bezüglich Korrelationen, prädiktiver und Interventionseffekte liefern kann, auf der anderen Seite aber die Vergleichbarkeit
verschiedener Studien bzw. Populationen erheblich einschränkt.
Mit Blick auf die Zusammenhangshypothesen ist zunächst vor allem
bemerkenswert, dass sich wider Erwarten keine Korrelationen von Expressed
Emotion mit internalisierender Symptomatik und Stresssymptomen der
Eltern ergeben. Wie eingangs dargelegt, sind die bisherigen Forschungsbefunde hierzu jedoch auch inkonsistent, sodass dieses Ergebnis nicht völlig
überraschend erscheint. Dennoch wäre insofern ein positiver Zusammenhang
zu erwarten gewesen, als insbesondere in denjenigen Studien entsprechende
Korrelationen berichtet werden, welche ebenfalls Stichproben von Kindern
mit externalisierenden Verhaltensproblemen untersuchen (Baker et al.,
2000; Bolton et al., 2003; Green et al., 2007; Harvey et al., 2011; Cartwright
et al., 2011). In Feldstichproben fand sich hingegen kein signifikanter
57
Diskussion
Zusammenhang von Expressed Emotion mit depressiven Symptomen der
Eltern (Stubbe et al., 1993; Psychogiou et al., 2007). Harvey et al. (2011)
liefern indes Hinweise auf einen stärkeren Zusammenhang von geringer
Wärme bzw. negativem Affekt in der Mutter-Kind-Interaktion mit Cluster-APersönlichkeitszügen als mit depressiven oder Angstsymptomen der Mutter.
Die in der vorliegenden Arbeit beobachtete Unabhängigkeit von Expressed
Emotion und psychopathologischen Merkmalen der Eltern bestätigt aber vor
allem die Annahme, dass es sich bei Expressed Emotion nicht lediglich um
einen Ausdruck oder Indikator der psychischen Gesundheit der Eltern
handelt, sondern vielmehr um ein Maß für die affektive Einstellung einer
Bezugsperson gegenüber dem Kind und somit eigentlich um ein dyadisches
Merkmal. Diese Annahme wird auch von der Beobachtung gestützt, dass
Expressed Emotion der Mutter gegenüber ihren beiden Kindern variiert
(Caspi et al., 2004; Cartwright et al., 2011).
Die Korrelationen von Expressed Emotion sowohl mit der externalisierenden
als auch mit der komorbiden Symptomatik des Kindes entsprechen den
Erwartungen, die sich aus der empirischen Befundlage ergeben. Die
vorliegenden Ergebnisse bringen aber auch über die Bestätigung dieser
Befunde hinaus einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn: Expressed Emotion
korreliert insbesondere mit dissozialen Symptomen (im Vergleich zu
oppositionellen Symptomen) und mit Callous-Unemotional Traits des Kindes,
das heißt mit Merkmalen, die im Allgemeinen mit einem schwereren Verlauf
der Störung assoziiert und psychotherapeutischer Veränderung schwerer
zugänglich sind. Die beiden Skalen der CBCL für aggressives und dissoziales
Verhalten korrelieren signifikant positiv mit Expressed Emotion High/Low,
wenn auch nicht mit dem Expressed Emotion-Score. Hierbei ist jedoch zu
berücksichtigen, dass die Skala Aggressives Verhalten aus der CBCL nicht
mit der Skala Oppositionelles Verhalten aus dem FBB-SSV übereinstimmt;
sie enthält einige Items, die im FBB-SSV und auch in der ICD-10 vielmehr
dem Bereich des dissozialen Verhaltens zugeordnet sind (z.B. „greift andere
körperlich an“ oder „bedroht andere“). Zieht man hingegen den FBB-SSV
heran, so weisen sowohl Expressed Emotion-Score als auch Expressed
Emotion High/Low signifikante positive Korrelationen mit dissozialem, aber
58
Diskussion
nicht mit oppositionellem Verhalten auf. Zu diesen hinsichtlich oppositionellem und dissozialem Verhalten differentiellen Ergebnissen passen auch die
Befunde bezüglich der CU-Traits. Expressed Emotion (sowohl Score als auch
dichotomes Maß) korreliert signifikant positiv mit Callousness / Lack of
Guilt or Remorse und Unconcerned about Performance, jedoch nicht mit
Unemotional. Insbesondere ergibt sich ein hoher Korrelationskoeffizient von
r=.441 für den Zusammenhang zwischen dem Expressed Emotion-Score und
Callousness / Lack of Guilt or Remorse. Diese Skala bleibt auch bei Kontrolle
der Korrelation mit dissozialem Verhalten signifikant, wohingegen die
Korrelation von Expressed Emotion mit dissozialem Verhalten verschwindet,
wenn die Korrelation mit Callousness / Lack of Guilt or Remorse kontrolliert
wird. Dies gilt auch für Expressed Emotion High/Low, wobei hier Unconcerned about Performance und nicht Callousness / Lack of Guilt or Remorse
signifikant bleibt. Für Depressivität und Angstsymptome der Eltern ergibt
sich hingegen das umgekehrte Muster, nämlich das diese mit Unemotional
und nicht mit Callousness / Lack of Guilt or Remorse oder Unconcerned
about Performance korrelieren.
Die Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed Emotion
und die Psychopathologie der Eltern können zum Teil bestätigt werden.
THAV- und Kontrollgruppe unterscheiden sich zwar bei Interventionsende
nicht in ihrem Expressed Emotion-Status, jedoch zeigt sich bezüglich des
Expressed Emotion-Scores ein deutlicher Interventionseffekt (Hedges g=0,61).
Während in der THAV-Bedingung das Ausmaß an Expressed Emotion
deutlich abnimmt (d=0,83), zeigt sich in der Kontrollgruppe kein Zeiteffekt
(d=0,09). Wie oben dargelegt, können diese auf den ersten Blick im
Widerspruch stehenden Befunde auf die höhere Änderungssensitivität des
Scores gegenüber dem dichotomen Maß zurückgeführt werden. Da keine
vergleichbaren Arbeiten zu Interventionseffekten auf Expressed Emotion aus
randomisierten Kontrollgruppenstudien mit SSV-Patienten vorliegen, stellen
die berichteten Ergebnisse einen neuen, noch zu replizierenden Beitrag auf
diesem Forschungsfeld dar.
Des Weiteren zeigt sich ein hoher, signifikanter Interventionseffekt auf
Stresssymptome der Eltern (Hedges g=0,66). Auch hier liegt in der THAV59
Diskussion
Bedingung ein großer Zeiteffekt vor (d=0,77), wohingegen in der Kontrollgruppe keine Veränderung zu verzeichnen ist (d=0,04). Die Behandlung mit
THAV hat im Vergleich zur Kontrollbedingung indes keine Effekte auf Angst
und depressive Symptome der Eltern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass
die Eltern bei Interventionsbeginn deutlich mehr Stresssymptome als
depressive oder Angstsymptome angeben (siehe 3.1.3), das heißt die
Notwendigkeit und auch der Spielraum für Veränderung sind hinsichtlich
depressiven Erlebens und Angst entsprechend geringer. Diese Ergebnisse
stimmen mit den Effekten des Präventionsprogramms bei expansivem
Problemverhalten (PEP, Hautmann et al., 2008) sowie der Parent Child
Interaction Therapy (Schuhmann et al., 1998) überein.
Die explorative Mediatorhypothese, dass die Veränderung von Expressed
Emotion die Effekte der THAV-Behandlung auf Callous-Unemotional Traits
vermittelt, kann nicht bestätigt werden. Zwar ergeben sich sowohl bezüglich
Expressed Emotion als auch bezüglich der CU-Traits signifikante Interventionseffekte, jedoch scheinen diese voneinander unabhängig zu sein. Dieser
Befund könnte dahingehend interpretiert werden, dass THAV über die
kindzentrierten Interventionen direkt auf die Ausprägung der CU-Traits
wirkt, und unabhängig hiervon Expressed Emotion der Eltern verändert –
entweder direkt über die elternzentrierten Behandlungselemente oder
indirekt über die Veränderung der Symptomatik des Kindes.
4.2 Stärken und Grenzen der Studie
Die THAV-Studie ist – soweit bekannt – bislang die einzige randomisierte
Kontrollgruppenstudie im deutschsprachigen Raum zur Evaluation eines
manualisierten Behandlungsprogramms im Einzelsetting für Kinder mit
einer Störung des Sozialverhaltens. Mit einer Stichprobengröße von
insgesamt 101 Patienten (bzw. 91 randomisierten Patienten) und einer
verhältnismäßig strengen Testung gegen eine Placebo-Kontrollbedingung
erlaubt diese Studie zuverlässige Aussagen über die Wirksamkeit einer
multimodalen, kognitiv-behavioralen Therapie für Kinder mit aggressivem
Verhalten im Peer-Kontext. Limitationen liegen vor allem in der fraglichen
60
Diskussion
Generalisierbarkeit auf Mädchen, da zur Bildung einer homogenen
Stichprobe nur männliche Teilnehmer in die Studie eingeschlossen wurden.
Neben einer Vielzahl von Fragebogenverfahren wurden auch auf Beobachtung basierende Messinstrumente eingesetzt. Hierzu zählt die Five Minute
Speech Sample. Ein Vorteil gegenüber der Selbstauskunft mittels Fragebogen liegt in der angenommenen geringeren Verfälschbarkeit durch sozial
erwünschtes Antwortverhalten. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn es
um das Verhalten und die affektive Einstellung der Eltern gegenüber ihrem
Kind geht. Natürlich spielt auch bei einer solchen Sprechprobe, die auf Video
aufgezeichnet wird, die soziale Erwünschtheit eine Rolle. Auch, oder
vielleicht sogar gerade in einem solchen Setting, können die Probanden
versuchen, sich in ein gutes Licht zu rücken, d.h. ihre Beziehung zum Kind
als positiver und ihre eigenen Gefühle gegenüber dem Kind als liebevoller
und empathischer darzustellen als sie vielleicht in dieser Phase gerade sind.
Dennoch ist anzunehmen, dass sich eine kritische Haltung, negative Gefühle
oder mangelnde Wärme im freien Redefluss schlechter verbergen lassen
(wenn dies denn überhaupt intendiert ist), als beim Ankreuzen von
Antwortalternativen in einem Fragebogen. Dies war auch die Erfahrung bei
der Datenerhebung. Obwohl die Eltern bereits beim ersten Diagnostiktermin
drei Wochen vor der FMSS-Aufzeichnung die Gelegenheit hatten, die
Verhaltensprobleme ihres Sohnes in aller Ausführlichkeit zu schildern,
brachten sie in der Sprechprobe oftmals dennoch mehr oder weniger offen
ihre negativen Gefühle gegenüber dem Kind zum Ausdruck. Auf der anderen
Seite gab es auch Eltern, die trotz massiver Verhaltensprobleme des Kindes
mit aufrechter Wertschätzung und Wärme von diesem sprachen. Dies zeigt,
dass die FMSS keinen Gradmesser für den Schweregrad der Symptomatik
darstellt, sondern vielmehr als spezifisches Maß für die affektive Einstellung
einer Bezugsperson gegenüber einem Kind dient, welche sich mit einem
Fragebogenverfahren wohl nicht in gleicher Weise abbilden ließe. Gleichwohl
sind mit einem solchen Verfahren, das ein Rating erfordert, auch Nachteile
verbunden. Insbesondere kann die Objektivität der Urteile, und somit vor
allem die Vergleichbarkeit mit anderen Studien in Frage gestellt werden. Die
Prüfung der Inter-Rater-Reliabilität allein stellt noch nicht die Überein61
Diskussion
stimmung mit anderen Ratern aus anderen Untersuchungen sicher. Dieses
Problem entfällt hingegen bei einem Fragebogenverfahren.
Eine weitere Begrenzung der Untersuchung liegt in der Beurteilung der
aggressiven Symptomatik durch die Bezugsperson, die auch die Sprechprobe
abgibt. Hierbei sind zweifellos engere Zusammenhänge zu erwarten, als
wenn das Verhalten des Kindes von einem Dritten beurteilt wird. Zwar
wurde im Rahmen der THAV-Studie auch das Lehrerurteil erhoben, jedoch
ist hier eine größere Anzahl von Missings zu verzeichnen als im Elternurteil.
Das Lehrerurteil könnte eine sinnvolle Ergänzung des Elternurteils
darstellen. Es gibt Hinweise, dass der Zusammenhang von Expressed
Emotion der Eltern mit dem von Lehrern beurteilten externalisierenden
Verhalten des Kindes in dieselbe Richtung wie hier beschrieben geht (Caspi
et al., 2004; Tully et al., 2004).
Eine weitere Einschränkung bei der Interpretation der Ergebnisse ist die
fragliche Generalisierbarkeit auf Väter. In der THAV-Studie wurde
Expressed Emotion von demjenigen Elternteil erhoben, welches das Kind in
der Regel zur Therapie brachte (und somit meist auch die primäre Bezugsperson darstellte). Dies war in 86% der Fälle die Mutter. Eine Subgruppenanalyse wäre für einen so geringen Väter-Anteil nicht sinnvoll gewesen.
In Anbetracht der insgesamt geringen Anzahl von Studien, die Expressed
Emotion des Vaters untersuchen, wären Forschungsprojekte wünschenswert,
die explizit die Rolle des Vaters bei der Entstehung und Aufrechterhaltung
der Störungen des Sozialverhaltens unter die Lupe nehmen.
Aus dem Studiendesign ergeben sich auch in Hinblick auf die Interpretation
der signifikanten Interventionseffekte auf Expressed Emotion und Stresssymptome der Eltern gewisse Limitationen. Das Design lässt keinen Schluss
über die zeitliche Reihenfolge der Effekte bzw. über die zugrundeliegenden
Wirkmechanismen zu. Es ist nicht klar, ob die Reduktion von Expressed
Emotion (und elterlichem Stress) ein direkter Effekt der (elternzentrierten)
Interventionen ist, oder nicht vielmehr eine Folge der erfolgreichen
Symptomreduktion beim Kind. Wie eingangs beschrieben käme auch eine
Wechselwirkung zwischen den Kind- und Elternvariablen in Betracht, also
eine positive Umkehrung des von Schimmelmann et al. (2003) vorgeschlage62
Diskussion
nen Kreismodells (vgl. 1.1.1). Zur Klärung der zugrundeliegenden Wirkfaktoren wäre vor allem die Erhebung von Expressed Emotion zu mehreren
Zwischenmesszeitpunkten erforderlich. Sollte es sich um einen direkten
Effekt der THAV-Intervention handeln, so wäre zum Beispiel eine Veränderung von Expressed Emotion vor allem im ersten Abschnitt der Therapie zu
erwarten, da hier eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung und die
Förderung von wertschätzender Kommunikation und positiv verstärkendem
Verhalten der Eltern im Vordergrund stehen.
Eine Stärke dieser Arbeit gegenüber anderen Expressed Emotion-Studien
liegt in der ausschließlichen Verwendung von Composite Scores. Sowohl die
klassische dichotome Expressed Emotion-Variable als auch der neu
entwickelte Score basieren auf einer Kombination der einzelnen FMSSKomponenten, also auf den globalen Ratings von Erster Äußerung, Wärme
und Beziehung (sowie beim Score zusätzlich Negativer und Positiver Fokus)
und der Anzahl Kritischer und Positiver Kommentare. In vielen Arbeiten
werden inferenzstatistische Analysen mit diesen „Skalen“ durchgeführt,
obgleich es sich eigentlich um einzelne, teils nur dreistufige, ordinalskalierte
Items handelt. In der THAV-Studie zeigten sich z.T. deutlich schiefe
Verteilungen für die einzelnen Ratingskalen, da aufgrund der konservativen
Kodierrichtlinien beispielsweise selten niedrige Wärme geratet wurde.
Zudem liegt der Vorteil eines Composite Scores bei Rating-Verfahren in der
höheren Reliabilität. Wenn die Rater bezüglich eines einzelnen Urteils
divergieren, so können sie insgesamt dennoch eine gute Übereinstimmung
auf dem Composite Score erzielen, da in diesen noch weitere Urteile
miteinfließen – einzelne Fehler oder Divergenzen fallen dadurch weniger ins
Gewicht (Neuendorf, 2002, Kap. 7).
4.3 Implikationen für die klinische Praxis
Die Studienergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Interventionen, bei
denen die Eltern ins therapeutische Geschehen miteinbezogen werden – und
zwar über das Training von Grenzsetzung oder den Einsatz von TokenEconomy-Plänen hinaus. Dies gilt insbesondere für Kinder mit dissozialem
Verhalten und ausgeprägten Callous-Unemotional Traits, also vor allem mit
63
Diskussion
mangelndem Mitgefühl und Schuldempfinden sowie Indifferenz bezüglich
der eigenen Leistungen. Da Expressed Emotion in einem spezifischen, engen
Zusammenhang mit diesen Verhaltensauffälligkeiten steht, könnte sich bei
diesem Störungsbild der Einsatz einer Five Minute Speech Sample im
Rahmen der standardisierten (Familien-)Diagnostik als nützlich erweisen.
Das Verfahren ist – nach einem gewissen Training – sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Routine-Versorgung leicht umzusetzen und
äußerst zeitökonomisch. Um als Kliniker den Rapport nicht zu gefährden,
könnte man die Sprechprobe im Vergleich zum Einsatz in der Forschung ggf.
dahingehend anpassen, dass die fünf Minuten nicht zwingend bis zum Ende
„laufen gelassen“ werden, wenn der Bezugsperson nichts mehr einfällt oder
sie von der Zeitvorgabe verunsichert ist. Dies sollte jedoch selten erforderlich
sein, denn meist fällt es den Eltern nicht schwer, die fünf Minuten zu füllen.
Die Diagnostik von Expressed Emotion könnte helfen, diejenigen Fälle zu
identifizieren, bei denen Interventionen indiziert sind, die gezielt eine
positive Eltern-Kind-Beziehung sowie die elterliche Wärme, die Empathie
und den Ausdruck von Wertschätzung gegenüber dem Kind fördern. Dies
stellt natürlich gerade für Familien von Kindern mit dissozial-aggressivem
Verhalten eine echte Herausforderung dar. Umso wichtiger ist es, entsprechende Behandlungskonzepte weiterzuentwickeln und als Therapeut nicht
nur dem Kind, sondern auch den Eltern empathisch und wertschätzend zu
begegnen.
64
Zusammenfassung
5 Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung ist eingebettet in eine randomisierte
Kontrollgruppenstudie zur Wirksamkeit des multimodalen Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV; Görtz-Dorten &
Döpfner, 2010). Studienteilnehmer waren 101 sechs- bis zwölfjährige Jungen
mit einer Störung des Sozialverhaltens sowie deren Eltern.
Mit dieser Arbeit wurde das Ziel verfolgt, unser Verständnis der Bedeutung
von Expressed Emotion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von
Störungen des Sozialverhaltens zu erweitern. Zu diesem Zweck wurde im
Vergleich
zu
deutlicher
anderen
zwischen
thematisch
verschiedenen
verwandten
Studien
Symptomgruppen
insbesondere
innerhalb
der
Störungen des Sozialverhaltens differenziert und erstmals der Zusammenhang zwischen Expressed Emotion (Criticism) der Eltern und CallousUnemotional Traits des Kindes beleuchtet. Dabei zeigte sich, dass Expressed
Emotion der Eltern signifikant positiv mit aggressiv-dissozialem Verhalten
des Kindes korrelierte, mit oppositionellem Verhalten hingegen nicht. Zudem
ergaben sich signifikante, teils hohe positive Korrelationen mit mangelndem
Mitgefühl und Schuldempfinden (Callousness / Lack of Guilt or Remorse)
sowie mit Indifferenz bezüglich der eigenen Leistungen (Unconcerned about
Performance), gleichwohl nicht mit mangelndem Affektausdruck (Unemotional). Entgegen der Erwartungen zeigte sich kein Zusammenhang von
Expressed Emotion mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern.
Neben diesen Querschnitt-Analysen, wurden zudem im Längsschnitt
potentielle Interventionseffekte von THAV auf Expressed Emotion und
psychopathologische Merkmale der Eltern überprüft. Obwohl der Schwerpunkt der Behandlung auf kindzentrierten Interventionen lag, zeigten sich
signifikante
Interventionseffekte
bezüglich
Expressed
Emotion
und
elterlichem Stress. Auf Angstsymptome und Depressivität der Eltern hatte
die Therapie des Kindes hingegen keinen Einfluss. Eine Hypothese bezüglich
der denkbaren Mediatorfunktion von Expressed Emotion bei der interventi-
65
Zusammenfassung
onsbedingten Reduktion von Callous-Unemotional Traits konnte ebenfalls
nicht bestätigt werden.
Insgesamt weisen die Ergebnisse auf eine noch näher zu untersuchende
Beziehung zwischen Expressed Emotion, dissozialen Verhaltensauffälligkeiten und Callous-Unemotional Traits von Kindern mit einer Störung des
Sozialverhaltens hin. Zudem zeigt sich Expressed Emotion als ein dyadisches
Merkmal, das sich mittels multimodaler, kognitiv-behavioraler Interventionen modifizieren lässt.
66
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76
Anhang: Five Minute Speech Sample
7 Anhang: Five Minute Speech Sample
Manual zur deutschsprachigen Fassung
Five Minute Speech Sample
für das Kindesalter nach Daley (FMSS-K)
ins Deutsche übersetzt und modifiziert1
von Kristin-Katharina Scholz, Lioba Carmen Schuh & Manfred Döpfner
Grundsätzliches
•
Diese Kodier-Richtlinien sind für Eltern von Kindern im Vorschulalter
entwickelt worden, eignen sich nach Aussage des Autors (und nach
eigener Erfahrung) jedoch auch für Eltern von Kindern im Grundschulalter, ggf. auch für Eltern von Jugendlichen.
•
Es gibt 4 globale, dreistufige Skalen (Erste Äußerung, Wärme,
Beziehung, Emotionale Überinvolviertheit) und zwei Häufigkeitsskalen
(Kritische Kommentare und Positive Kommentare).
•
Das Gesamtrating (High vs. Low Expressed Emotion CRIT) basiert auf
den genannten Skalen: High EE CRIT wird kodiert, wenn ein negatives
(bzw. niedriges) Rating auf den Skalen Erste Äußerung, Wärme oder
Beziehung sowie mehr kritische als positive Kommentare vorliegen.
•
Bei den globalen Skalen Wärme, Beziehung und Emotionale Überinvolviertheit basiert das Rating auf Indikatoren (z.B. Empathie als Indikator für die Skala Wärme).
•
Im Zweifelsfall konservativ, d.h. neutral, raten!
•
Eine Aussage kann in das Rating mehrerer Skalen einfließen. Wenn also
eine Mutter beispielsweise mit der Aussage „Max ist ein sehr intelligenter Junge“ beginnt, wird dies 1.) als positive erste Äußerung geratet und
2.) als ein positiver Kommentar gezählt.
1
Modifikationen oder Ergänzungen von Scholz und Schuh sind mit einem Zeichen (*) als solche
gekennzeichnet.
77
Anhang: Five Minute Speech Sample
•
Aussagen über die Vergangenheit oder über Veränderung werden als
neutral geratet, es sei denn*, „früher“ hat eine explizite Bedeutung für
heute (z.B. er war eine Frühgeburt und immer schwierig, deshalb ist
heute unsere Beziehung schlecht).
•
Wenn nur berichtet wird, was die Geburt etc. angeht, dann nicht raten.
Zusätzliche Skalen* (Scholz & Schuh)
Negativer Fokus: Geschätzter Anteil auf das Kind bezogener negativer
Schilderungen an der Gesamtsprechzeit (niedrig, mäßig, hoch)
Positiver Fokus: Geschätzter Anteil auf das Kind bezogener positiver
Schilderungen an der Gesamtsprechzeit (niedrig, mäßig, hoch)
Erste Äußerung
Dies ist ein globales Rating, eingestuft als positiv, negativ oder neutral. Es
ist definiert als der erste Gedanke, der seitens der Bezugsperson geäußert
wird und der sich spezifisch auf ihr Kind oder die Beziehung zu diesem
bezieht. Generell: das Erste, was wir über das Kind oder die Mutter-KindBeziehung lernen
“Oh, ich weiß nicht, was ich sagen soll”
“Fünf Minuten, das ist schwer”
“Ich bin 27 Jahre alt”
„Ich bin eine gute Mutter.“
Jede Information, die sich auf das Kind bezieht, wird als Erste Äußerung
betrachtet, auch wenn die Bezugsperson sagt:
“Jack ist drei Jahre alt”
“Jack ist mein einziges Kind”
“Jack ist der Jüngste in der Familie”
78
Anhang: Five Minute Speech Sample
Diese werden bewertet. Die Erste Äußerung kann als positiv, neutral oder
negativ bewertet werden.
Es kann manchmal schwer sein, herauszufinden, wo eine Erste Äußerung
endet. Als eine gute Faustregel sollte der natürliche Redefluss der Eltern
beachtet werden, um zu bestimmen, wo der erste Gedanke oder die erste Idee
abgeschlossen ist. Es ist wichtig auf Konjunktionen zu achten, wenn man die
Erste Äußerung kodiert. Wenn der Elternteil beispielsweise nach einer
kurzen Pause eine Konjunktion verwendet, um seine Erste Äußerung
fortzusetzen, sollte diese Ergänzung als Erweiterung der Ersten Äußerung
verwendet werden.
Wenn allerdings eine Konjunktion benutzt wird, um einen Gedanken zu
beginnen, der sich nicht auf die ursprüngliche Stellungnahme bezieht, sollte
diese beim Rating nicht beachtet werden.
“Jack und ich haben eine liebevolle Beziehung, (kurze Pause), wir sind uns
sehr nah.”
Positiv + Positiv = Positive Erste Äußerung
“Jack und ich kommen ganz gut/ok miteinander aus (kurze Pause) er ist ein
sehr temperamentvolles Kind.“
Neutral + Negativ = {zwei unterschiedliche Gedanken} = Neutrale Erste
Äußerung und ein kritischer Kommentar.
Positive Erste Äußerung
Es gibt zwei Typen von positiven Ersten Äußerungen: Positive Beschreibungen und positive Beziehungen.
Positive Beschreibungen
Das ist eine Aussage, die Lob, Anerkennung und Wertschätzung für das
Verhalten oder die Persönlichkeit des Kindes ausdrückt.
79
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Er ist ein süßer Junge”
“Sie ist so lieb und fürsorglich”
“John ist ein schlaues Kind”
Positive Beziehungen
Eine Erste Äußerung, die als positive Beziehung bewertet wird, deutet
darauf hin, dass der Elternteil und das Kind eine gute Beziehung haben.
“Johnny und ich kommen sehr gut miteinander zurecht”
“Wir haben eine starke Beziehung”
Es ist wichtig zu erinnern, dass eine Erste Äußerung, die als positive
Beziehung geratet wurde, auch einen Beitrag zu einem insgesamt positiven
Rating bezüglich der Beziehung leisten kann.
Neutrale Erste Äußerung
Hierbei handelt es sich um eine Erste Äußerung, die deskriptive oder
sachliche Informationen mit wenig oder keiner Tonmodulation oder
Informationen, die irrelevant für die Sprechprobe sind, bereit stellt.
“Jack ist der Jüngste in der Familie”
“Sue ist jetzt drei Jahre alt”
“Johnny spielt jeden Tag mit seinen Spielsachen”
Neutrale Beziehung
Diese wird kodiert, wenn ungenügende Hinweise/Belege vorliegen, um ein
positives oder negatives Rating zu machen. Dies ist üblicherweise der Fall
wenn Eltern ihre Beziehung beschreiben, indem sie „schwache Adjektive“
wie „gut“ oder „in Ordnung“ benutzen.
“Johnny und ich kommen ganz gut miteinander aus”
“Die Dinge zwischen uns sind im Grunde genommen gut”
80
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Wir machen uns ganz gut”
Konditionale Äußerungen
Erste Äußerungen, die durch eine Bedingung eingeschränkt werden, werden
als neutral bewertet.
“Wir kommen manchmal gut miteinander aus“
“Wir kommen normalerweise gut miteinander aus”
“Er ist wirklich nett, außer wenn er müde ist”
Äußerungen über Verbesserungen
Erste Äußerungen, die Verbesserungen angeben, werden als neutral
bewertet.
“Er hat sich in den letzten Wochen gebessert”
“Er hat sich sehr verbessert, seit er drei geworden ist”
Äußerungen in der Vergangenheitsform
Erste Äußerungen in der Vergangenheitsform werden als neutral geratet.
“Früher war er ein gutes Kind”
“Sie war sehr verschmust als sie kleiner war”
“Wir haben es früher sehr genossen zusammen zu spielen”
Positive und negative Äußerungen
Erste Äußerungen, die sowohl positiv als auch negativ sind, werden als
neutral geratet.
“Jack ist ein kreatives, aber faules Kind“
“Sue ist süß, aber ungehorsam”
Negative Erste Äußerung
81
Anhang: Five Minute Speech Sample
Ein negatives Rating der Ersten Äußerung kann auf folgender Grundlage
gemacht werden: Negative Beschreibung oder negative Beziehung.
Negative Beschreibung
Eine Erste Äußerung, welche die Persönlichkeit des Kindes oder sein
Verhalten als ungünstig/nachteilig beschreibt, wird als negativ geratet.
“Jack ist ein schreckliches Kind”
“Clare ist ein bockiges Mädchen”
“John gibt sich besondere Mühe, schwierig und patzig zu sein”
Negative Beziehung
Eine Erste Äußerung, die auf eine ungünstige Beziehung zwischen Eltern
und Kind hinweist, wird als negativ geratet.
“Jack und ich scheinen ständig miteinander in Streit zu geraten“
“Mir graut es davor, wenn nur er und ich zusammen sind”
Wärme
Wärme ist definiert als die Intensität einer Empfindung oder eines Gefühls,
das die Eltern bezüglich ihres Kindes äußern. Das Rating bezieht sich nur
auf die Wärme während der Sprechprobe, nicht auf die Wärme als Teil der
Persönlichkeit des Befragten. Im PFMSS wird die Wärme als hoch, moderat
oder niedrig geratet.
Beim Kodieren der Wärme ist es wichtig, die folgenden Aspekte zu beachten:
•
Tonfall
•
Spontanität
•
Sorge
•
Empathie
Hohe Wärme
Tonfall
82
Anhang: Five Minute Speech Sample
Dies ist das wichtige Kriterium, auf dessen Grundlage die Einschätzung
bzgl. Wärme gemacht werden sollte.
Der Rater sollte aufmerksam auf
Hinweise für Enthusiasmus achten, wenn die befragte Person über ihr Kind
spricht. Zudem sollten positive Veränderungen im Tonfall beachtet werden,
wenn der Befragte nach einem neutralen Thema beginnt, über sein Kind zu
sprechen.
Im Gegensatz dazu ist ein monotoner Tonfall beim Erzählen über sein Kind
ein Hinweis auf das Fehlen von Wärme.
Bevor die Wärme anhand des Tonfalls eingeschätzt wird, ist es wichtig, dass
sich der Rater sowohl ein Bild vom normalen Tonfall und der Tonlage des
Befragten macht als auch von den Variationen im Tonfall.
Es ist wichtig, dass Rating bzgl. Wärme ausschließlich auf Grund des Inhalts
der Sprechprobe gemacht werden und nicht basierend auf der individuellen
Interpretation von Gesichtsausdrücken oder anderen nonverbalen Verhaltensweisen des Befragten.
Spontanität
Wenn Hinweise auf Spontanität bestehen, ist das ein Hinweis auf hohe
Wärme.
Da im PFMSS keine spezifischen Instruktionen gegeben werden, über
Gefühle von Zuneigung oder Liebe zu sprechen, resultieren spontane
Äußerungen von Zuneigung, Liebe, Wertschätzung etc. in höheren Ratings
von Wärme.
Oft führen die Befragten bestimmte Punkte, die sie erzählen, genau aus und
drücken damit positive Gefühle gegenüber ihrem Kind aus.
“Sie malt gerne, sie bringt mir immer Bilder aus dem Kindergarten mit.
Letzte Woche hat sie mir ein Bild mit einer Burg gezeichnet, es war sehr gut
gemalt. Ich war sehr stolz auf sie, also habe ich es an einer besonders schönen
Stelle in der Küche aufgehängt und es jedem gezeigt.“
“Er ist sehr musikalisch, ich glaube er hat ein sehr musikalisches Gehör. Es
fällt ihm sehr einfach zu Liedern mit mir zu summen oder zu singen, er hat
83
Anhang: Five Minute Speech Sample
außerdem angefangen, auf dem Klavier zu klimpern. Ich meine, er hatte
keinerlei Musikunterricht, aber er kann trotzdem schon ein paar Noten
spielen und seine eigenen kleinen Melodien komponieren. Er macht sie einfach
so, aber sie klingen als ob sie richtig gut komponiert worden wären.“
CAVE: Spontanität kann auch bei neg. Beispielen vorhanden sein, z.B.
erzählt sie amüsiert, dass er seine Hausaufgaben nicht machen will*.
Sorge und Empathie
Die Fähigkeit des Befragten, Sorge über sein Kind zu demonstrieren und die
Fähigkeit, Dinge aus dem Blickwinkel des Kindes zu sehen bzw. zu
verstehen, was das Kind durchmacht, sind ebenfalls wichtige Komponenten
von Wärme.
Sorge
“Er hat wirklich Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Ich meine im
Moment ist es kein großes Problem, aber ich mache mir Sorgen, wie er
zurechtkommt, wenn er nächstes Jahr in die Schule kommt.“
“Er setzt sich nie hin und spielt mit jemandem oder etwas. Er zieht es immer
vor alleine herum zu rennen. Ich mache mir Sorgen, dass er nicht mit anderen
Kindern spielen und Freunde gewinnen will. Ich glaube, es liegt daran, dass
die anderen Kinder nicht so viel herum wuseln möchten wie er, deshalb findet
er sie langweilig. Ich mache mir Sorgen, dass er ein Einzelgänger wird.“
Empathie
“Ich weiß, dass er sehr gerne die Teletubbies schaut, aber wenn ich den
Fernseher anmache, schafft er es nur ein paar Minuten lang zu schauen,
bevor er geht, mit einem anderen Spielzeug spielt oder aus dem Fenster
schaut. Es muss furchtbar sein, nicht still sitzen zu können.“
84
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Sie liebt Kinderfernsehen, aber sie schafft es nicht, still zu sitzen und zu
schauen. Sie ist so ablenkbar, dass sie mittendrin weggeht und dann ist sie
völlig aufgelöst, wenn sie bemerkt, dass sie es verpasst hat. Ich kann mir
kaum vorstellen, wie es ist, wenn man etwas wirklich machen möchte, aber es
nicht schafft, es zu tun.“
Moderate Wärme
Tonfall
Ein moderates Rating bzgl. Wärme kann gemacht werden, wenn es Stellen
gibt, an denen der Elternteil den Tonfall und die Tonlage ändert, wenn es
über sein Kind spricht. Konsistenz/Beständigkeit ist es, was ein hohes Rating
(wenn der Tonfall sich jedes Mal ändert, wenn der Elternteil über das Kind
spricht) von einem moderaten Rating (Tonfall ändert sich nur gelegentlich)
unterscheidet.
Kein Hinweis auf hohe oder niedrige Wärme
Spontanität
Wärme wird basierend auf Spontanität als moderat geratet, wenn Hinweise
auf Liebe, Zuneigung, Wertschätzung gegenüber dem Kind bestehen, diese
aber nicht mit genügend Intensität für ein hohes Rating ausgedrückt
werden.
“Er ist gut im Football spielen, ich denke für sein Alter hat er eine bessere
Koordinationsfähigkeit als die meisten anderen Kinder und ist wahrscheinlich insgesamt sportlicher“
“Sie malt gerne und schafft es normalerweise nicht über die Linien zu malen,
was gut für ihr Alter ist”
Sorge und Empathie
Einige Hinweise für Sorge um das Kind und die Eltern zeigen eine Fähigkeit,
die Dinge aus der Sicht des Kindes zu sehen oder zu verstehen, was das Kind
durchmacht.
85
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Normalerweise endet ein Wutanfall damit, dass er seine Spielsachen zerstört
und dann regt er sich auf, wenn er bemerkt, dass sein Spielzeug kaputt ist
und darüber regt er sich dann noch mehr auf. Es macht mir Sorge, aber es ist
sehr schwer zu wissen, wie man ihm helfen soll“
“Sie streitet sich mit den meisten Kindern, mit denen sie spielt, so dass diese
normalerweise nicht lange bleiben und sie ziemlich einsam ist. Ich habe
versucht ihr zu erklären, dass sie nett zu den anderen Kindern sein muss, weil
sie sonst nicht mit ihr spielen möchten“
Wenn Mutter z.B. sagt: „ich verstehe nicht, was er dann denkt. Er erzählt ja
nichts. Ich kann ihn manchmal nicht einschätzen“ ist dies kein Hinweis auf
niedrige Empathie, sondern erfordert ein neutrales Rating.*
Niedriges Rating
Tonfall
Ein Mangel an warmem Tonfall ist, wenn die Bezugsperson von dem Kind in
einer monotonen Art und Weise spricht, keine Veränderungen in der Stimme
zeigt, wenn sie über das Kind spricht.
Wenn die Bezugsperson in einer feindseligen Art und Weise über ihr Kind
spricht.
Spontanität
Mangelnde Spontanität liegt vor, wenn der Befragte sich sehr sachlich /
„matter-of-fact“ gibt und nur Aussagen ohne emotionale Beteiligung macht.
“Sie zeichnet gut”
“Er ist sehr musikalisch”
Es ist wichtig zu beachten, dass Statements, die keinerlei Spontanität
aufweisen, trotzdem als positive Kommentare geratet werden können.
86
Anhang: Five Minute Speech Sample
Sorge und Empathie
Ein Hinweis für das Fehlen von Empathie und Sorge ist, wenn der Elternteil
von seinem Kind erzählt ohne die geringsten Hinweise, dass er Dinge aus der
Sicht des Kindes sieht oder versteht, was das Kind durchmacht.
Ein Hinweis für niedrige Wärme ist, wenn viel Negatives berichtet wird,
aber mangelnde Sorge besteht.
“Sie schnappt sich Spielsachen von den anderen Kindern und regt sich dann
auf, wenn diese nicht mit ihr spielen wollen. Warum macht sie das, wenn ich
ihr sage, dass sie es nicht tun soll, es will nicht in meinen Kopf.”
“Er bittet mich, das Fernsehen anzuschalten, kann dann aber nicht still sitzen
und schauen, er macht einen ganz schwindelig, so dass ich den Fernseher
einfach aus mache”
„Ich verstehe nicht, wie man so doof sein kann, er verbaut sich ja alles, ist
immer frech zu seiner Lehrerin.“
Drei wichtige Aspekte beim Rating von Wärme:
•
Depression: Auch wenn der Untersuchungsleiter weiß, dass der Befragte
depressiv ist, sollte dieses Wissen beim Rating der Wärme keine Rolle
spielen.
Auch
depressive
Personen
sollten
fähig
sein,
Wärme
auszudrücken.
•
Kritische Kommentare: Die Häufigkeit von negativen Kommentaren
sollte das Rating von Wärme nicht beeinflussen.
•
Stereotype Zärtlichkeiten: Kosenamen, Zärtlichkeiten wie “Liebling”,
“Mäuschen” oder “Schätzchen” werden von Eltern häufig benutzt, um ihr
Kind in einer stereotypen Art und Weise zu beschreiben, und sind nicht
notwendigerweise ein Hinweis für Wärme.
Beziehung
Beziehung ist definiert als ein globales Rating der Qualität der Beziehung
und gemeinsamer Aktivitäten von Eltern und Kind innerhalb der letzten 6
87
Anhang: Five Minute Speech Sample
Monate. Wenn die Beziehung nicht angesprochen wird, wird ein neutrales
Rating vergeben, da die Eltern in der Instruktion speziell aufgefordert
werden, über die Beziehung zu ihrem Kind zu sprechen.
Beim Kodieren der Beziehung mit dem PFMSS ist es wichtig, Folgendes zu
beachten:
•
Die elterlichen Angaben über die Beziehung zu ihrem Kind
•
Aussagen der Eltern, dass sie es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem
Kind zu verbringen.
Elterliche Berichte/Angaben über die Beziehung zu ihrem Kind
Ein direktes Statement, dass Eltern und Kind sich gut verstehen ist ein
starker Anhaltspunkt für eine positive Beziehung. Wenn dem Bericht einer
guten Beziehung an anderer Stelle in der Sprechprobe nicht widersprochen
wird bzw. es Anhaltspunkte, dass die Beziehung nicht positiv ist, wird die
Beziehung als positiv geratet werden.
“Johnny und ich kommen sehr gut miteinander aus”
“Wir haben eine sehr starke und enge Beziehung”
“Tatsächlich sind wir verwandte Seelen”
Aussagen der Eltern, dass sie es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem Kind
zu verbringen
Aussagen, dass die Eltern es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem Kind zu
verbringen sind, ebenfalls Hinweise für eine positive Beziehung. Allerdings
ist es nicht ausreichend, wenn die Eltern nur berichten, dass sie Zeit mit
ihrem Kind verbringen. Es ist notwendig, dass sie angeben bzw. andeuten,
dass sie die gemeinsame Zeit genießen.
Positive Beziehung
“Wir gehen dienstags morgens immer zusammen schwimmen, ich freue mich
immer darauf, weil es unsere Zeit ist”
88
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Wir backen in der Woche immer etwas zusammen, wir haben solchen Spaß,
zusammen Zutaten zu mischen und ein Durcheinander zu machen.”
Neutrale Beziehung
Unklare Aussagen
Eine Sprechprobe, die nicht genügend Aussagen für eine positive oder
negative Beziehung enthält, bekommt ein neutrales Rating. Neutrale
Ratings treten meist aus zwei Gründen auf:
1. Die Eltern machen eine direkte Aussage zu ihrer Beziehung mit dem Kind,
aber diese enthält einschränkende Termini, welche die Aussagekraft für eine
positive Beziehung schmälern.
„Wir kommen einigermaßen gut zurecht”
„Manchmal haben wir Spaß zusammen”
„Unsere Beziehung ist in Ordnung”
„Wir kommen sehr gut miteinander zurecht, wenn er nicht müde ist”
„Wir kommen sehr gut miteinander zurecht, wenn ihr jüngerer Bruder nicht
da ist”
2. Der Elternteil beschreibt genau gemeinsame Aktivitäten, aber deutet
nicht an, dass er diese genießt oder schätzt.
“Wir gehen oft in den Park”
“Ich hole immer sein Lego raus und baue Dinge mit ihm“
Negative Beziehung
Negative Beziehungen sollten mit Vorsicht kodiert werden. Negative Ratings
treten überlicherweise auf, wenn der Elternteil eine direkte Aussage über
eine schlechte/schwache Beziehung mit seinem Kind macht.
“Wir scheinen einfach nicht miteinander zurecht zu kommen, er ignoriert
mich einfach”
89
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Er macht einfach was er will, er hört nicht auf das, was ich sage”
Es ist wichtig zu beachten, das eine negative Beziehung nur aufgrund eines
direkten negativen Statements geratet werden kann, solange dieser Aussage
nicht an anderer Stelle der Sprechprobe widersprochen wird.
Für negative gemeinsame Zeit würde sprechen: Wenn man das Gefühl hat,
die Eltern vermeiden es, mit dem Kind alleine zu sein, dann spricht dies für
eine negative Beziehung.*
Emotionale Überinvolviertheit (EOI)
Die emotionale Überinvolviertheit (Emotional Overinvolvement; EOI) wird
als hoch, grenzwertig oder niedrig geratet.
Bei der Einschätzung der EOI ist es wichtig, folgendes zu beachten:
•
Aufopferndes / überbehütendes Verhalten
•
Mangel an Objektivität
Hohe Ratings
Aufopferndes / überbehütendes Verhalten
Hinweise, dass der Elternteil sich in einer extremen und ungewöhnlichen Art
und Weise für das Kind aufopfert und dass sie diese Opfer nicht genießen.
“Ich hatte Angst, Jack mit dem Babysitter allein zu lassen, also habe ich
meine Abendschule aufgegeben. Ich vermisse das wirklich, aber ich hatte
keine andere Chance.”
“Er ist sehr destruktiv, macht alle seine Spielsachen kaputt. Ich habe nie Geld
für mich, mein ganzes Geld scheint für neue Spielsachen für Sam draufzugehen“
Mangel an Objektivität
Hinweise, dass die Bezugsperson ihr Kind immer im Recht sieht und stets
sein Verhalten entschuldigt oder rechtfertigt.
90
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Er streitet sich mit seiner Schwester, aber sie provoziert ihn auch immer.”
“Im Kindergarten beschweren sie sich immer über sein aggressives Verhalten,
aber er verhält sich nur deshalb aggressiv, weil die anderen Kinder schrecklich zu ihm sind.”
Es ist wichtig, EOI konservativ zu raten.
Moderate Ratings
Aufopferndes / Überbehütendes Verhalten
Hinweise, dass die Bezugsperson sich für ihr Kind aufopfert (ohne dies zu
genießen), aber nicht in einem extremen oder ungewöhnlichen Ausmaß.
“Manchmal bin ich besorgt, wenn ich Sam bei meinen Eltern lasse, denn sein
Verhalten ist so unvorhersehbar. Manchmal sage lieber ich eine Verabredung
ab, wenn er richtig schlimm war, als ihn bei meinen Eltern zu lassen.”
“John zerstört immer seine Malbücher. Ich sag ihm immer, er soll sie nicht
zerreißen, weil wir uns keine neuen leisten können, aber er macht es trotzdem
und meistens kauf ich ihm dann doch ein neues, obwohl ich weiß, dass ich
mein hart verdientes Geld verschwende.”
Mangel an Objektivität
Hinweise, dass die Bezugsperson in der Regel denkt, ihr Kind sei im Recht
und dass sie das Verhalten ihres Kindes immer verteidigt.
“Er streitet mit seiner Schwester. Aber ich bin sicher, sie ist diejenige, die
meistens anfängt.”
“Im Kindergarten sagen sie immer, er ist aggressiv und gemein. Ich denke, es
sind doch die anderen Kinder, die ihn zu sowas anstacheln.”
91
Anhang: Five Minute Speech Sample
Keine oder uneindeutige Hinweise auf EOI werden als niedrig geratet.
Wichtig beim Rating von EOI aufgrund von überbehütendem Verhalten:
Sorge darüber, das Kind der Aufsicht Anderer zu überlassen, bezieht sich auf
das Wohlergehen des Kindes und nicht auf sein Verhalten in Abwesenheit
der Bezugsperson. Überbehütendes Verhalten meint die Sorge der Bezugsperson, dass das Kind in ihrer Abwesenheit traurig sein oder zu Schaden
kommen könnte. Nicht überbehütendes Verhalten wäre die Sorge, das Kind
könnte in ihrer Abwesenheit einen Wutanfall haben oder Schaden verursachen.
Kritische Kommentare
Kritische Kommentare sind negative Äußerungen über das Verhalten oder
die Persönlichkeit des Kindes. Sie können geratet werden auf der Basis von
•
Tonfall
•
Kritischen Äußerungen
Tonfall
Kritische Kommentare können auf der Grundlage des Tonfalls geratet
werden, auch wenn der Inhalt nicht kritisch/negativ ist. Dies erfordert eine
gewisse Übung. Erfasse zunächst eine Baseline des Tonfalls (jeder hat einen
anderen Grund-Level im Tonfall). Auf dieser Grundlage können Fluktuationen im Tonfall entdeckt werden, die je nach “Färbung” kritische oder positive
Kommentare anzeigen. Auch hier ist es wichtig, konservativ zu urteilen: Im
Zweifelsfall nicht als kritischen Kommentar werten.
„Da hat er sich echt mal wieder toll verhalten“: Positiver Inhalt, aber in
negativem/ironischem Tonfall, also als kritischen Kommentar raten.*
Kritische Äußerungen
Zählen jener Äußerungen, die das Kind kritisieren oder ihm Fehlverhalten
anlasten. Im Allgemeinen sind dies Beschreibungen negativer Eigenschaften
92
Anhang: Five Minute Speech Sample
des Kindes wie z.B. Aggressivität und Reizbarkeit (meist in negativem
Tonfall).
“Jane ist ein schreckliches Kind”
“Jack ist ein Albtraum, wenn wir im Supermarkt sind.”
„Jack schmeißt mit Gegenständen um sich“
“Georg macht soviel Arbeit, das kann man sich gar nicht vorstellen.”
„er ist kräftezehrend“
Ebenfalls eingeschlossen sind andere Beschreibungen des Verhaltens, die in
einem negativen Tonfall geäußert werden oder die darauf hindeuten, dass
die Bezugsperson das Verhalten missbilligt.
“Er bespuckt mich.”
“Beim Frühstück schmeißt er sein Essen an die Wand”
Folgendes nicht als kritischen Kommentar werten:
Beispiel:
„ er hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren“
„ wir hatten letzte Woche einen riesen Streit“
„und manchmal denke ich, er ist nicht mein Kind“ (eher Beziehung)
Stereotype Beschreibungen, wenn sie nicht in einem negativen Tonfall
geäußert werden.
“Er ist ein Lausbub.”
“Sie kann manchmal echt den Affen spielen.”
“Georg kann morgens echt ein kleiner Terrorist sein.”
Richtlinien zur Kodierung von Aneinanderreihungen kritischer Kommentare
Wenn Eltern richtig loslegen, machen sie oftmals mehrere kritische
Kommentare in einem Satz. Die Richtlinien hierfür sind dieselben wie beim
Original-FMSS und lauten wie folgt:
93
Anhang: Five Minute Speech Sample
Äußerungen über voneinander unabhängige Verhaltensweisen werden als
getrennte Kommentare gewertet.
“Philip ist ein launischer Junge, immer motzig und nörgelnd, und er hört
nicht.”
Da zwei verschiedene Verhalten beschrieben werden (schlechte Laune und
oppositionelles Verhalten), werden auch zwei kritische Kommentare gezählt.
Äußerungen über ähnliches Verhalten werden als ein kritischer Kommentar
gezählt. Zum Beispiel
“Er ist zerstörerisch, er macht alle seine Spielsachen und meine Pflanzen im
Garten kaputt, er zerstört einfach alles.”
Da sich alle Äußerungen auf die Destruktivität des Kindes beziehen, werden
sie als ein kritischer Kommentar gezählt.
“Er ist ziellos, er setzt sich nie mal hin und macht irgendwas, alles was er tut,
ist im Haus rumschleichen und seine Nase überall reinstecken.”
Da es bei beiden Äußerungen um die Ziellosigkeit seines Verhaltens geht,
wird nur ein kritischer Kommentar gezählt.
CAVE: Wenn Bezugspersonen 1000 Beispiele erzählen, die z.B. alle mit
Aggressivität zu tun haben, dann 1 kritischer Kommentar, aber Skala
Negativer Fokus hoch.*
Wichtig beim Rating kritischer Kommentare
Kritische Kommentare müssen die Meinung der Bezugsperson widerspiegeln.
94
Anhang: Five Minute Speech Sample
“Jack ist ein zerstörerisches Kind”
und nicht
“Jacks Lehrer sagt, er sei ein zerstörerisches Kind”
Nicht geratet werden:
Äußerungen in der Vergangenheitsform
Äußerungen mit relativierenden Wörtern, z.B. “manchmal” oder “kann
aggressiv sein”
CAVE*: „ziemlich“
z.B. „er ist ziemlich aggressiv“ bedeutet eher eine Steigerung, daher als
kritischen Kommentar raten.
CAVE*: „er ist häufig unkonzentriert“ nicht relativierend, daher als
kritischen Kommentar raten.
„Er ist ein ängstliches Kind“: negative Eigenschaft, aber trotzdem kein
Kritischer Kommentar, es sei denn kritischer Tonfall bzw. kritische
Formulierung*: „er hat vor allem und jedem Schiss“
Positive Kommentare
Positive Kommentare sind Äußerungen von Lob und Wertschätzung.
Meistens handelt es sich um Beschreibungen positiver Eigenschaften des
Kindes, aber es kann auch auf der Grundlage des Tonfalls geratet werden.
Tonfall
Positive Kommentare können auf der Grundlage des Tonfalls geratet
werden, auch wenn der Inhalt nicht positiv ist. Dies erfordert eine gewisse
Übung. Erfasse zunächst eine Baseline des Tonfalls (jeder hat ein anderes
Grund-Level im Tonfall). Auf dieser Grundlage können Fluktuationen im
Tonfall entdeckt werden, die je nach “Färbung” kritische oder positive
Kommentare anzeigen. Auch hier ist es wichtig, konservativ zu urteilen: Im
Zeifelsfall nicht als positiven Kommentar werten.
95
Anhang: Five Minute Speech Sample
Positive Äußerungen
Zählen von Äußerungen, die das Kind loben oder darauf hinweisen, dass die
Bezugsperson das Kind oder sein Verhalten wertschätzen. Im Allgemeinen
sind dies Beschreibungen positiver Eigenschaften des Kindes wie z.B.
Intelligenz oder Hilfsbereitschaft (meist in positivem Tonfall).
“Jack ist sehr intelligent.”
“Chloe ist sehr liebenswert”
“Georg ist sehr kreativ.”
Bezugspersonen mit geringem Wortschatz geben möglicherweise Beispiele
anstatt die Eigenschaften konkret zu benennen. Diese Beschreibungen
werden ebenfalls als positive Kommenare gewertet.
“Er ist gut im Puzzlen und Rätsellösen.”
“Sie ist mir sehr nahe, umarmt mich immer und sagt mir, wie lieb sie mich
hat.”
„er ist offen, vertraut mir, kuschelt oft mit mir“
“Er bastelt immer Dinge aus alten Kartons und Papier, er kann einen alten
Karton verwandeln.”
Richtlinien zum Kodieren von Aneinanderreihungen positiver Kommentare
Die Richtlinien zum Kodieren von Aneinanderreihungen positiver Kommentare gelten analog zu den kritischen Kommentaren.
Äußerungen über voneinander unabhängige Verhaltensweisen werden als
getrennte Kommentare gewertet.
“Jack ist ein sehr schlauer Junge und er ist sportlich.”
„ er ist offen, vertraut mir, kuschelt oft mit mir“
96
Anhang: Five Minute Speech Sample
Da zwei verschiedene Eigenschaften genannt werden (Intelligenz und
Sportlichkeit), werden auch zwei positive Kommentare gezählt.
Äußerungen über ähnliches Verhalten werden als ein positiver Kommentar
gezählt.
“Er ist sehr musikalisch. Er spielt Klavier und singt.“
Da sich beide Äußerungen auf die Musikalität des Kindes beziehen, wird nur
ein positiver Kommentar gezählt.
Nicht geratet werden:
Äußerungen mit relativierenden Wörtern, z.B. “manchmal” oder “kann lieb
sein” oder „eigentlich“
Äußerungen in der Vergangenheitsform
CAVE*: „er ist häufig pfiffig“ nicht relativierend: Positiver Kommentar
Beispiele*
„Jack rastet nicht mehr so oft aus“ kein positiver Kommentar, neutral
„Jack ist viel lieber geworden“ kein positiver Kommentar, neutral, man kennt
das Ausgangsniveau ja nicht
CAVE*: Eine Äußerung kann beides enthalten, positive und negative
Kommentare, es ist nicht notwendigerweise so, dass sich positiv + negativ zu
neutral aufhebt z.B.
„Jack ist sehr intelligent, aber er kann sich häufig nicht konzentrieren“ (1 pos.
+ 1 negativer Kommentar)
Es sei denn: durch die erweiterte Äußerung wird der positive bzw. negative
Kommentar aufgehoben:
„Er kennt sich gut mit Computern aus, aber nur mit dem Spiele-Scheiß“ (kein
positiver Kommentar)
97
Anhang: Five Minute Speech Sample
CAVE: Bloße Beschreibungen z.B. von Hobbies zählen nicht als positive
Kommentare, es sei denn Mutter sagt, dass er es gut macht.
„Er kocht gerne etc.“ (kein positiver Kommentar)
„Er kocht sehr gerne, das macht er richtig gut“ (positiver Kommentar)
Kodieren von High vs. Low Expressed Emotion (CRIT)
High Expressed Emotion wird kodiert, wenn ein negatives bzw. niedriges
Rating auf mindestens einer der globalen Skalen (ohne EOI) sowie mehr
kritische als positive Kommentare vorliegen.
98
Lebenslauf
8 Lebenslauf
Mein Lebenslauf wird aus Gründen des Datenschutzes in der elektronischen
Fassung meiner Arbeit nicht veröffentlicht.
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