Aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln Direktor: Universitätsprofessor Dr. med. St. Bender Expressed Emotion in Familien von Kindern mit Störung des Sozialverhaltens Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Würde eines doctor rerum medicinalium der Hohen Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Lioba Carmen Schuh aus Bonn promoviert am 05. August 2015 Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln (2015) Dekan: Universitätsprofessor Dr. med. Dr. h. c. Th. Krieg 1. Berichterstatter: Universitätsprofessor Dr. sc. hum. M. Döpfner 2. Berichterstatter: Privatdozent Dr. med. O. Fricke Erklärung Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Dissertationsschrift ohne unzulässige Hilfe Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Bei der Auswahl und Auswertung des Materials sowie bei der Herstellung des Manuskriptes habe ich Unterstützungsleistungen von folgenden Personen erhalten: Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred Döpfner Privatdozentin Dr. rer. medic. Anja Görtz-Dorten Weitere Personen waren an der geistigen Herstellung der vorliegenden Arbeit nicht beteiligt. Insbesondere habe ich nicht die Hilfe einer Promotionsberaterin / eines Promotionsberaters in Anspruch genommen. Dritte haben von mir weder unmittelbar noch mittelbar geldwerte Leistungen für Arbeiten erhalten, die im Zusammenhang mit dem Inhalt der vorgelegten Dissertationsschrift stehen. Die Dissertationsschrift wurde von mir bisher weder im Inland noch im Ausland in gleicher oder ähnlicher Form einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt. Köln, den 16.12.2014 Lioba Carmen Schuh, Dipl.-Psych. II Die Erarbeitung des Konzeptes dieser Dissertation erfolgte unter Anleitung von Herrn Universitätsprofessor Dr. sc. hum. Manfred Döpfner und Frau Privatdozentin Dr. rer. medic. Anja Görtz-Dorten, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln. Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Daten wurden von mir sowie den folgenden Personen erhoben: 1. Christina Benesch, Dipl.-Psych. 2. Ute Berger, Dipl.-Psych. 3. Emel Berk, Dipl.-Psych., Dipl.-Heilpäd. 4. Martin Faber, Dipl.-Päd. 5. Timo Lindenschmidt, Dipl.-Psych. 6. Rahel Stadermann, Dipl.-Psych. An der Auswertung der Five Minute Speech Sample war neben mir Frau Kristin Scholz beteiligt. Die Studienteilnehmer wurden in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindesund Jugendalters der Universität zu Köln, sowie in der Christoph-DornierStiftung für Klinische Psychologie an der Universität zu Köln, behandelt. III INHALTSVERZEICHNIS 1! 1.1! EINLEITUNG - EXPRESSED EMOTION IN DER KLINISCHEN KINDERPSYCHOLOGIE 1! Stand der Forschung 3! 1.1.1! Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Psychopathologie von Kind und 4! Eltern 1.1.2! Interventionseffekte auf Expressed Emotion und Psychopathologie der Eltern 13! 1.2! Fragestellung und Ziele der Studie 16! 2! METHODIK 18! 2.1! Die THAV-Studie 18! 2.1.1! Rekrutierung der Probanden 19! 2.1.2! Intervention und Durchführung der Datenerhebung 20! 2.1.3! Zentrale Ergebnisse der THAV-Studie 21! 2.2! 22! Hypothesen 2.2.1! Hypothesen bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und der 22! Symptomatik von Eltern und Kind 2.2.2! Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed Emotion und die internalisierende Symptomatik der Eltern 24! 2.2.3! Hypothese bezüglich Expressed Emotion als Mediator der Interventionseffekte auf 2.3! Callous-Unemotional Traits 24! Operationalisierung der Konstrukte 25! 2.3.1! Expressed Emotion 25! 2.3.2! Internalisierende Symptomatik der Eltern 28! 2.3.3! Aggressive und komorbide Symptomatik des Kindes 28! 2.3.4! Callous-Unemotional Traits des Kindes 29! 2.4! 31! Statistische Methoden 2.4.1! Bestimmung der Inter-Rater-Reliabilität für die Five Minute Speech Sample 31! 2.4.2! Statistische Prüfung der Zusammenhangshypothesen 33! 2.4.3! Statistische Prüfung der Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte 34! 2.4.4! Statistische Prüfung der Mediatorhypothesen 35! 3! ERGEBNISSE 36! 3.1! Beschreibung der Stichprobe 36! 3.1.1! Ein- und Ausschlüsse 36! 3.1.2! Anzahl der ausgewerteten Patienten und Umgang mit Missings 37! 3.1.3! Patientencharakteristika zu Studienbeginn 39! 3.2! 40! Weiterentwicklung der Five Minute Speech Sample 3.2.1! Expressed Emotion-Score 41! IV 3.2.2! Inter-Rater-Reliabilität 3.3! 43! Ergebnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik von Eltern und Kind 44! 3.3.1! Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und internalisierender 44! Symptomatik der Eltern 3.3.2! Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie Callous-Unemotional Traits des Kindes 45! 3.3.3! Bivariate Zusammenhänge zwischen internalisierender Symptomatik der Eltern, Symptomatik des Kindes und Callous-Unemotional Traits des Kindes 47! 3.3.4! Multivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie 3.4! Callous-Unemotional Traits des Kindes 50! Ergebnisse bezüglich der Interventionseffekte 51! 3.4.1! Effekte der Intervention auf Expressed Emotion 51! 3.4.2! Effekte der Intervention auf die internalisierende Symptomatik der Eltern 52! 3.5! Mediatoreffekte von Expressed Emotion 53! 4! DISKUSSION 55! 4.1! Bewertung der Ergebnisse und Einordnung in den Forschungskontext 55! 4.2! Stärken und Grenzen der Studie 60! 4.3! Implikationen für die klinische Praxis 63! 5! ZUSAMMENFASSUNG 65! 6! LITERATURVERZEICHNIS 67! 7! ANHANG: FIVE MINUTE SPEECH SAMPLE 77! 8! LEBENSLAUF 99! V Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie 1 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Neben der genetischen Prädisposition und den Einflüssen der Peergroup spielen familiendynamische Prozesse eine große Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters. Ein weit verbreitetes familiendynamisches Konzept ist das der Expressed Emotion. Dieses ursprünglich aus der Schizophrenieforschung stammende psychologische Konstrukt, welches das emotionale Klima in der Familie abbilden soll, hat sich inzwischen auch in der Forschung zur Psychopathologie des Kindes- und Jugendalters als fruchtbar erwiesen. Unter Expressed Emotion versteht man das Ausmaß der von einer engen Bezugsperson geäußerten Kritik, Feindseligkeit und/oder emotionalen Überinvolviertheit gegenüber einem Indexpatienten (Brown & Rutter, 1966; Magaña et al., 1986; Rutter & Brown, 1966; Vaughn & Leff, 1976). In den 1960er und 1970er Jahren wurde das Konstrukt der Expressed Emotion von der Arbeitsgruppe um George Brown und Michael Rutter in Großbritannien aus einem semistrukturierten klinischen Interview – dem sogenannten Camberwell Family Interview (CFI) – entwickelt und insbesondere in der Forschung an erwachsenen schizophrenen Patienten angewandt (Brown & Rutter, 1966; Rutter & Brown, 1966). Bei dem Expressed EmotionIndex oder –Status handelt es sich um ein dichotomes Maß, wobei Bezugspersonen mit High Expressed Emotion einen definierten Cut-Off entweder bezüglich Kritik und Feindseligkeit – High Criticism (CRIT) – oder bezüglich emotionaler Überinvolviertheit – High Emotional Overinvolvement (EOI) – überschreiten. Der Expressed Emotion-Status erwies sich in mehreren Jahrzehnten klinischer Forschung als ein starker und robuster Prädiktor für Rückfälle bei Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis sowie später auch bei Depressionen oder anderen psychischen Störungen des Jugend- und Erwachsenenalters (Butzlaff & Hooley, 1998). Die Bedeutung des Konstrukts erschließt sich insbesondere aus den Implikationen für die Behandlung psychischer Störungen: Selbst bei Patienten mit Schizophrenie, die vor allem medikamentös behandelt werden müssen, ist der Einbezug der nächsten 1 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Bezugspersonen, also von Partnern oder Eltern, essentiell für den langfristigen Behandlungserfolg. Die Arbeiten der Gruppe um Brown und Rutter (Brown, Birley & Wing, 1972; Rutter & Brown, 1966) und später von Vaughn und Leff (1976) waren wegweisend für die Entwicklung und Verbreitung neuer Behandlungskonzepte, die eine Psychoedukation für Angehörige und familientherapeutische Interventionen beinhalteten, um Expressed Emotion und damit das Rückfallrisiko zu senken. Die Entwicklung eines deutlich ökonomischeren Messinstruments zur Erfassung von Expressed Emotion durch Magaña und Kollegen (Magaña et al., 1986) – die sogenannte Five Minute Speech Sample (FMSS) – ermöglichte eine breitere Anwendung auch in größeren Stichproben sowie die Messung von Expressed Emotion im Verlauf psychischer Störungen oder in nicht-klinischen Stichproben, da nicht wie beim CFI konkret nach der Erkrankung gefragt, sondern ohne weitere Vorgaben eine freie Beschreibung des Kindes/Partners und der Beziehung zu diesem erbeten wird. Nachdem Schachar und Kollegen 1987 erstmals eine Untersuchung vorgestellt hatten, in der Expressed Emotion der Eltern von sechs- bis zehnjährigen Kindern mit ADHS erhoben wurde (Schachar, Taylor, Wieselberg, Thorley & Rutter, 1987), wurden ab 1990 zunehmend Studien zur Bedeutung von Expressed Emotion für den Verlauf kinder- und jugendpsychiatrischer Störungen publiziert (für einen Überblick: Schimmelmann et al., 2003). Einige dieser Studien konnten auch einen Zusammenhang zwischen dem Expressed Emotion-Status der Bezugsperson und der expansiven Symptomatik des Kindes aufzeigen (siehe 1.1.1). Es bestehen jedoch nach wie vor Unklarheiten bezüglich der Kausalitätsrichtung, die durch den Zusammenhang abgebildet wird: Trägt beispielsweise die offene Kritik des Vaters zur Manifestation der Störung bei oder ruft das aggressive Verhalten des Kindes erst die Kritik des Vaters hervor? Vermutlich wird nur die Annahme einer wechselseitigen Beziehung zwischen geäußerter Kritik und Symptomatik des Kindes der Komplexität des Prozesses gerecht. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Expressed Emotion-Status lediglich ein Indikator für andere assoziierte Faktoren wie die allgemeine Belastung der Familie, das subjektive Störungskonzept oder 2 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie psychopathologische Merkmale der Eltern ist oder ob das Konstrukt einen eigenständigen Beitrag zur Erklärung der Psychopathologie des Kindes leistet. Auf dem Gebiet der familiendynamischen Prozesse bei Störungen des Sozialverhaltens besteht nach wie vor Forschungsbedarf. Wir wissen, dass die genetische Prädisposition einen Faktor bei der Entstehung dieser Verhaltensstörungen darstellt. Dies hat uns auf der Interventionsebene jedoch noch nicht wesentlich weiter gebracht. Hier kommt es aus verhaltenstherapeutischer Sicht vielmehr auf die Identifikation der aufrechterhaltenden Bedingungen und die Ableitung entsprechender Interventionen an. Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt darin, unser Verständnis der Bedeutung von Expressed Emotion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Störungen des Sozialverhaltens im Kindesalter zu erweitern. 1.1 Stand der Forschung Über den Zusammenhang von Expressed Emotion mit verschiedenen psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters existiert eine übersichtliche Menge an Arbeiten, die zum Teil widersprüchliche Erkenntnisse hervorbringen (Schimmelmann et al., 2003). Das Spektrum der untersuchten Störungen umfasst schizophrene Störungen, Depression, Angst- und Zwangsstörungen, Essstörungen sowie Verhaltens- und hyperkinetische Störungen. Es kann zwischen solchen Arbeiten unterschieden werden, die verschiedene Diagnosen im Hinblick auf Expressed Emotion miteinander vergleichen, also z.B. Störungen des Sozialverhaltens mit Angststörungen, und solchen, die innerhalb eines Störungsbildes nach Unterschieden im Ausprägungsgrad in Abhängigkeit von Expressed Emotion suchen oder den prädiktiven Wert des Konstrukts für den Verlauf der jeweiligen Störung ermitteln. Einige wenige Arbeiten überprüfen im Rahmen von Therapiewirksamkeitsstudien auch die Effekte von Interventionen auf den Verlauf von Expressed Emotion. Bezüglich des Zusammenhangs von Expressed Emotion mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern bzw. zur Abgrenzung dieser beiden familiären Risikofaktoren voneinander liegen ebenfalls nur wenige Studien vor. Im Folgenden soll zunächst ein Überblick 3 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie über den Stand der Forschung zu Expressed Emotion im Kindes- und Jugendalter gegeben werden, wobei der Fokus auf dem Kontext expansiver Verhaltensstörungen (also oppositionelles, dissozial/aggressives und hyperkinetisches Problemverhalten) liegt. 1.1.1 Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Psychopathologie von Kind und Eltern Zusammenhänge im Querschnitt Der Zusammenhang von Expressed Emotion mit expansiven Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter hat sich im Querschnitt als robust erwiesen: Kinder von Eltern mit High Expressed Emotion weisen mehr externalisierende Verhaltensprobleme auf als Kinder von Eltern mit Low Expressed Emotion. Dabei ist ein konsistenter Befund, dass dies nur für Expressed Emotion basierend auf Kritik gilt (CRIT), nicht für Expressed Emotion basierend auf emotionaler Überinvolviertheit (EOI). Letztere ist jedoch ohnehin in ihrer Übertragbarkeit auf das Kindesalter umstritten (Vostanis, Nicholls & Harrington, 1994; Hodes, Dare, Dodge & Eisler, 1999; Baker, Heller & Henker, 2000; Daley, Sonuga-Barke & Thompson, 2003), da vor allem die Kriterien für überprotektives Verhalten für Eltern von jüngeren Kindern nicht dieselben sein können wie für Eltern von erwachsenen Patienten. In einer Vielzahl von Studien korrelierte die Ausprägung externalisierender Verhaltensweisen des Kindes positiv mit der von den Eltern (bzw. meist von der Mutter) zum Ausdruck gebrachten Kritik (Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Cartwright et al., 2011; Caspi et al., 2004; Green, Stanley & Peters, 2007; Hastings, Daley, Burns & Beck, 2006; Hirshfeld, Biederman, Brody, Faraone & Rosenbaum, 1997; Hodes & Garralda, 1999; McCarty & Weisz, 2002; Nelson, Hammen, Brennan & Ullman, 2003; Peris & Hinshaw, 2003; Peris & Baker, 2000; Psychogiou, Daley, Thompson & Sonuga-Barke, 2007; Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009) und negativ mit der elterlichen Wärme (Bolton et al., 2003; Caspi et al., 2004; Christiansen, 4 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Oades, Psychogiou, Hauffa & Sonuga-Barke, 2010; Hodes & Garralda, 1999; Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009). Hibbs und Kollegen (Hibbs et al., 1991) fanden einen signifikant höheren Anteil an High Expressed Emotion in Familien von Kindern mit einer psychischen Störung (Störung des Sozialverhaltens oder Zwangsstörung) als in der gesunden Kontrollgruppe. Zwischen den beiden Störungsbildern variierte Expressed Emotion jedoch nicht. In einer Arbeit von Stubbe und Kollegen (Stubbe, Zahner, Goldstein & Leckman, 1993) wurde dagegen zwischen High Expressed Emotion CRIT und High Expressed Emotion EOI differenziert. Dabei zeigte sich, dass bei Eltern mit High Expressed Emotion CRIT die Rate von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens (SSV) signifikant erhöht war, wohingegen beim Vorliegen von High Expressed Emotion EOI das Risiko für eine Angststörung erhöht war. In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis zeigte eine andere Untersuchung (Vostanis et al., 1994), die noch weiter zwischen den Subkomponenten von Expressed Emotion differenzierte, dass das Ausmaß an Wärme der Mutter bei Kindern mit SSV niedriger war als bei Kindern mit einer emotionalen Störung (Angst oder depressive Symptomatik) und bei diesen wiederum niedriger als in der gesunden Kontrollgruppe. Die mütterliche Kritik differenzierte hingegen ausschließlich die SSV-Gruppe von den beiden anderen Gruppen. Emotionale Überinvolviertheit variierte nicht zwischen den drei Gruppen. In den meisten Studien wird das Ausmaß der externalisierenden Verhaltensprobleme in einer Risiko- oder Feldstichprobe oder als komorbide Symptomatik im Rahmen einer ADHS-Diagnose betrachtet. Bei Kindern mit ADHS sind komorbide oppositionelle und aggressive Verhaltensprobleme mit High Expressed Emotion (CRIT) der Eltern assoziiert (Peris & Hinshaw, 2003; Psychogiou et al., 2007; Christiansen et al., 2010; Cartwright et al., 2011; Richards et al., 2014). Jedoch zeigte sich in einer Stichprobe von Mädchen mit ADHS, dass die Korrelation von Expressed Emotion mit der SSV-Komorbidität bei Kontrolle der ADHS-Diagnose nicht bestehen blieb, während umgekehrt Expressed Emotion bei Kontrolle der SSV-Komorbidität weiterhin mit der ADHS-Diagnose korrelierte (Peris & Hinshaw, 2003), was laut Autoren für einen stärkeren Zusammenhang von Expressed Emotion mit 5 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie ADHS- als mit SSV-Symptomen spreche. In einer Feldstichprobe von Jungen im Schulalter zeigte sich hingegen das umgekehrte Muster, nämlich dass bei einer multiplen Regressionsanalyse der Zusammenhang mit ADHS- Symptomen nicht bestehen blieb – im Gegensatz zu SSV-Symptomen (Psychogiou et al., 2007). Für klinische Stichproben liegen hiermit übereinstimmende Befunde von Cartwright et al. (2011) sowie Christiansen et al. (2010) vor. Nur wenige Arbeiten untersuchen explizit Kinder mit der Hauptdiagnose einer Störung des Sozialverhaltens (Green et al., 2007; Hibbs et al., 1991; Hibbs, Zahn, Hamburger, Kruesi & Rapoport, 1992; Vostanis et al., 1994). In diesen Studien wird jedoch meist eine Gruppe von Kindern mit SSV mit einer Gruppe von Kindern mit einer anderen psychischen Störung und einer gesunden Kontrollgruppe in Hinblick auf Expressed Emotion der Eltern verglichen (s.o.). Lediglich bei Green et al. (2007) findet sich eine Aussage über die Korrelation von Expressed Emotion (niedrig, grenzwertig, hoch) mit der Ausprägung der externalisierenden Verhaltensprobleme innerhalb einer Stichprobe von Kindern mit SSV. Dabei zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang mit der Schwere der kindlichen Symptomatik im Elternurteil, jedoch nicht im Lehrerurteil. Zudem lag eine signifikante Korrelation von Expressed Emotion mit der Ausprägung der depressiven Symptomatik der Mutter vor. In einer multivariaten Analyse blieb der Effekt der depressiven Symptomatik erhalten, während der Effekt von Expressed Emotion verschwand. Leider wurde bei den berichteten Ergebnissen nicht zwischen den beiden in der Stichprobe enthaltenen Diagnosegruppen Oppositional-Defiant Disorder, also SSV mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten, und Conduct Disorder, also SSV mit aggressivem oder dissozialem Verhalten, differenziert. Überhaupt findet man in den genannten Studien selten eine Differenzierung von oppositionellen und aggressiven oder dissozialen Symptomen, vielmehr wird meist ein Gesamtscore für externalisierende Verhaltensprobleme herangezogen, beispielsweise die entsprechende Skala der Child Behavior Checklist (Achenbach, 1991). Dabei handelt es sich um qualitativ sehr unterschiedliche Symptom-Komplexe mit spezifischen Risikofaktoren und 6 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie zugrundeliegenden ätiologischen Modellen. Insbesondere kommt bei den Störungen des Sozialverhaltens mit aggressiv-dissozialem Verhalten den sogenannten Callous-Unemotional Traits (CU-Traits) eine wichtige Rolle bei der Differenzierung von Subtypen zu. Unter CU-Traits versteht man Merkmale wie Gefühlskälte und Mangel an Empathie und Schuldgefühlen, welche auch als Risikofaktoren für Psychopathie und die antisoziale Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter gelten. Sie wurden als Specifier der Störungen des Sozialverhaltens in das aktuelle Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V; American Psychiatric Association, 2013) aufgenommen. Es liegen allerdings bis dato keine publizierten Untersuchungen über den Zusammenhang von CU-Traits des Kindes mit Expressed Emotion der Eltern vor, obgleich dieser zu erwarten wäre – zum Einen da beide Konstrukte mit aggressivem Verhalten korreliert sind, zum Anderen da Korrelationen von CU-Traits mit ähnlichen Variablen der Erziehung, der Eltern-Kind-Beziehung oder des kindbezogenen Affekts der Eltern aufgezeigt werden konnten (für einen Überblick siehe Waller, Gardner & Hyde, 2013). Die Anzahl entsprechender Studien ist indes übersichtlich, möglicherweise da in der Forschung zu CU-Traits im Kindesalter zunächst vor allem große Heritabilitätseffekte Aufsehen erregten (Viding, Blair, Moffitt & Plomin, 2005), und sich der Einfluss ineffektiver Erziehungspraktiken auf die Verhaltensprobleme des Kindes beim Vorliegen von CU-Traits als deutlich geringer herausstellte als bei Kindern ohne diese Merkmale (Wootton, Frick, Shelton & Silverthorn, 1997). Kinder mit stark ausgeprägten CU-Traits sprechen jedoch weniger auf Bestrafung als vielmehr auf positive Verstärkung und elterliche Wärme an (Frick & White, 2008; White & Frick, 2010). Bei Kindern mit SSV, die keine CU-Traits aufweisen, spielen dysfunktionale Erziehungsstrategien wie mangelnde Aufsicht, inkonsequentes Sanktionieren und körperliche Züchtigung eine bedeutsame Rolle bei der Entwicklung der aggressiven Symptomatik. Bei Kindern mit ausgeprägten CU-Traits stehen diese Erziehungspraktiken hingegen in keinem Zusammenhang mit der Aggressivität (Wootton et al., 1997). Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung, also geteilter positiver Affekt und die 7 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie mütterliche Feinfühligkeit und Wärme, die moralische Entwicklung des Kindes fördert, insbesondere wenn dieses ein wenig gehemmtes Temperament aufweist (Barker, Oliver, Viding, Salekin & Maughan, 2011; Kochanska & Murray, 2000; Kochanska, 1997). Zudem findet sich bei Kindern von Müttern, die geringe Akzeptanz und Verständnis für die kindlichen Emotionen zeigen, eine höhere Ausprägung von CU-Traits (Pasalich, Waschbusch, Dadds & Hawes, 2014). Kochanska und Kollegen konnten zeigen, dass der Zusammenhang von Gegenseitigkeit und geteiltem positiven Affekt in der Eltern-Kind-Interaktion mit späteren externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern mit erhöhten CU-Traits ausgeprägter war als bei Kindern ohne CU-Traits (Kochanska, Kim, Boldt & Yoon, 2013). Pasalich et al. untersuchten den moderierenden Effekt von CU-Traits auf den Zusammenhang zwischen Coercive Parenting (erzwingender Erziehung) und elterlicher Wärme mit den Verhaltensproblemen des Kindes (Pasalich, Dadds, Hawes & Brennan, 2011). Coercive Parenting wurde während einer Eltern-Kind-Interaktion beobachtet und umfasste z.B. Bestrafung, drohendes Verhalten und Kritik. Die elterliche Wärme wurde mithilfe des FMSSVerfahrens erhoben; die Auswertung erfolgte jedoch anhand eines alternativen Kodierschemas, Expressed Emotion im engeren Sinne wurde nicht erfasst. Es zeigte sich, dass CU-Traits mit niedrigerer Wärme einhergingen, aber nicht mit Coercive Parenting. Ferner war mütterliche Wärme nur bei Jungen mit ausgeprägten CU-Traits mit den berichteten Verhaltensproblemen korreliert; umgekehrt war mütterliches Coercive Parenting nur bei Jungen mit gering ausgeprägten CU-Traits mit Verhaltensproblemen korreliert. Für Väter bestanden dieselben, wenn auch statistisch z.T. nicht signifikanten Tendenzen. Insgesamt ergeben sich aus der Befundlage also Hinweise auf einen noch näher zu bestimmenden Zusammenhang zwischen Expressed Emotion und Callous-Unemotional Traits bei Kindern mit einer Störung der Sozialverhaltens. 8 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Zusammenhänge im Längsschnitt – Expressed Emotion als Prädiktor späterer Verhaltensauffälligkeiten Die beschriebenen Korrelationen von Expressed Emotion der Eltern mit externalisierenden Verhaltensproblemen und anderen psychopathologischen Merkmalen des Kindes im Querschnitt erlauben natürlich noch keinen Schluss über Kausalzusammenhänge. Die oben verwendete Formulierung „Kinder von Eltern mit High Expressed Emotion weisen mehr externalisierende Verhaltensprobleme auf als Kinder von Eltern mit Low Expressed Emotion“ suggeriert, dass High Expressed Emotion die Verhaltensprobleme verursacht. Die umgekehrte Wirkrichtung ist aber ebenso plausibel, nämlich dass Verhaltensauffälligkeiten des Kindes eine kritische Haltung bei den Eltern hervorrufen und dass diese ihrem Kind gegenüber nicht mehr dieselbe Wärme entgegenbringen können wie vielleicht vor Beginn der Verhaltensprobleme. Schimmelmann et al. (2003, S. 523) fassen in einem Review zusammen, dass vier Interpretationen der Befunde in Frage kommen: „1. Hoch-EE High Expressed Emotion verursacht den ungünstigen Verlauf einer Störung (Ursachenhypothese) 2. Hoch-EE ist eine Reaktion auf den Verlauf der Symptomatik des Patienten (Reaktionshypothese) 3. Der EE-Status und der Störungsverlauf beeinflussen sich wechselseitig, und der Zusammenhang beider Variablen wird von einer Vielzahl von Moderatorvariablen wie etwa von der Interpretation der Erkrankung durch Angehörige oder von Coping-Mechanismen der Familie beeinflusst (multikonditionale Hypothese). 4. Sowohl der EE-Status der Eltern als auch der Störungsverlauf sind beide Epiphänomene einer dritten Variable im Sinne des Endogenitätskonzepts, wie z.B. der genetischen Disposition für depressive Störungen.“ Die Plausibilität der verschiedenen Erklärungsansätze kann in Längsschnittstudien geprüft werden. Es liegen einige wenige solcher Studien vor, die Aufschluss über die Richtung des Zusammenhangs versprechen. Die Ergebnisse sind jedoch nicht völlig konsistent: Während in einigen Arbeiten das Ausmaß an Expressed Emotion der Eltern die Ausprägung externalisierender Verhaltensprobleme oder das Vorliegen einer ADHS- oder SSV9 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Diagnose zu einem späteren Zeitpunkt vorhersagte (Bader, 2012; Caspi et al., 2004; Greenberg, Seltzer, Hong & Orsmond, 2006; Peris & Baker, 2000), konnte in anderen Untersuchungen ein solcher Prädiktoreffekt nicht (Richards et al., 2014; Vostanis & Nicholls, 1995) oder nur mit Einschränkungen (d.h. nur für Wärme, nicht für Kritik) bestätigt werden (Baker et al., 2000; Hastings et al., 2006). Keiner dieser Befunde schließt indes eine wechselseitige Beeinflussung bzw. die oben genannte multikonditionale Zusammenhang-Hypothese aus. Rutter et al. (1997) liefern Hinweise auf eine solche Wechselwirkung. In einer Längsschnittstudie wurde Hyperaktivität als Risikofaktor für späteres dissoziales Verhalten untersucht. Jungen, die im Alter von sieben Jahren dissoziales Verhalten und Hyperaktivität zeigten, hatten ein höheres Risiko für dissoziale Verhaltensauffälligkeiten zehn Jahre später als nicht hyperaktive Jungen. Zugleich war das Risiko für dissoziales Verhalten im Alter von siebzehn Jahren sowohl in der Gruppe mit als auch ohne Hyperaktivität für diejenigen erhöht, deren Eltern Kritik und Feindseligkeit äußerten. Das heißt, die beste Vorhersage dissozialen Verhaltens konnte mit der Kombination der beiden Faktoren Frühe Hyperaktivität und Kritik erzielt werden. Eine andere Möglichkeit, die Richtung des Zusammenhangs zu spezifizieren, besteht darin, ein Studiendesign mit hoher interner Validität umzusetzen. Ein solches findet man beispielsweise bei Caspi et al. (2004): Im Rahmen einer großen Zwillingsstudie wurde der Einfluss nicht geteilter Umweltfaktoren auf dissoziale Verhaltensstörungen mit early onset untersucht. Studienteilnehmer waren monozygotische Zwillingspaare und ihre Mütter, es wurden longitudinale Daten verwendet, die Erfassung von Expressed Emotion erfolgte anhand einer für das Kindesalter modifizierten Five Minute Speech Sample (Daley et al., 2003) und die dissozialen Verhaltensprobleme wurden sowohl im Elternals auch im Lehrerurteil erhoben. Es fanden sich signifikante Korrelationen verschiedener Komponenten von Expressed Emotion und dissozialem Verhalten sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt (im Eltern- und Lehrerurteil). Expressed Emotion im Alter von fünf Jahren war auch bei Kontrolle des dissozialen Verhaltens zu diesem Zeitpunkt ein Prädiktor der Verhaltensprobleme im Alter von sieben Jahren. Darüber hinaus gingen bei 10 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie den Zwillingspaaren Unterschiede bezüglich Expressed Emotion mit Unterschieden bezüglich der Ausprägung dissozialen Verhaltens einher – sowohl im Querschnitt als auch im Längsschnitt. Auch dieser Prädiktoreffekt blieb bei Kontrolle der Verhaltensprobleme im Alter von fünf Jahren bestehen. Das heißt, Unterschiede bezüglich Expressed Emotion der Mutter gegenüber ihren fünfjährigen genetisch identischen Zwillingen sagten Unterschiede der beiden Zwillinge bezüglich dissozialer Verhaltensprobleme im Alter von sieben Jahren vorher, und zwar unabhängig von bereits im Alter von fünf Jahren bestehenden Unterschieden bezüglich des Verhaltens. In einer anderen Publikation im Rahmen derselben Studie wurde zudem ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen dem Geburtsgewicht des Kindes und der mütterlichen Wärme auf ADHS-Symptome berichtet (Tully, Arseneault, Caspi, Moffitt & Morgan, 2004). Diesen Befund interpretieren die Autoren als Hinweis darauf, dass Wärme einen moderierenden Einfluss auf die Auswirkungen eines geringen Geburtsgewichts auf spätere ADHSSymptome haben könnte. Die Frage nach der Richtung des Zusammenhangs zwischen Symptomatik des Kindes und Expressed Emotion der Eltern wirft auch die Frage auf, ob es sich bei Expressed Emotion überhaupt um eine stabile Eigenschaft (trait) oder um einen situativ variierenden Zustand (state) der Bezugsperson handelt. Ist die Stabilität gering und Expressed Emotion womöglich „tagesformabhängig“, so wird eine Ursachen-Hypothese im o.g. Sinne unwahrscheinlich. Auch hierzu ist die Befundlage nicht eindeutig. Daley et al. (2003) stellten eine geringe Test-Retest-Reliabilität innerhalb eines 6Monats-Zeitraumes fest. Hastings et al. (2006) berichten von einer Stabilität von 61% für die Expressed Emotion (CRIT)-Einstufung in einem ZweiJahres-Intervall, jedoch von sehr niedrigen Stabilitätskoeffizienten (κ = .14). Über eine Zeitspanne von durchschnittlich 5;9 Jahren konnten Richards et al. (2014) keine Stabilität von Kritik oder Wärme feststellen. Peris und Baker (2000) berichten hingegen von einer signifikanten, wenn auch mäßigen Stabilität in einem Zwei-Jahres-Intervall beim Übergang vom Vorschul- ins Grundschulalter. In einer Stichprobe von Jugendlichen mit Autismus fanden Greenberg et al. (2006) eine verhältnismäßig hohe 11 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Stabilität. Rund 72% der Mütter hatten zu Beginn und Ende eines 18Monats-Zeitraums denselben Expressed Emotion-Status. Die mäßige bzw. je nach Stichprobe und Zeitintervall variierende Stabilität spräche eher für die state-Hypothese, ebenso wie Befunde aus Untersuchungen mit Geschwisterkindern. Diese können sich im Hinblick auf die Wärme und Kritik, die ihnen ihre Mutter entgegenbringt, unterscheiden (Caspi et al., 2004; Cartwright et al., 2011). Schimmelmann et al. (2003) schlagen als Fazit ihrer Übersichtsarbeit eine Art Kreismodell vor, demzufolge Expressed Emotion bei Störungsbeginn zunächst eine wenig stabile Reaktion der Eltern auf die Symptomatik des Kindes – also ein state – darstellt, dann im weiteren (chronischen) Verlauf jedoch zu einem stabileren Merkmal – also zu einem trait – wird, das wiederum die Symptomatik des Kindes negativ beeinflusst. Zusammenhänge mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern In einigen Arbeiten wurde untersucht, welche Faktoren – neben der Symptomatik des Kindes – in einem Zusammenhang mit Expressed Emotion stehen. Ein recht eindeutiges Bild ergibt sich für demographische Variablen wie sozioökonomischer Status, alleinerziehendes Elternteil oder ethnische Zugehörigkeit, welche in keinem systematischen Zusammenhang mit Expressed Emotion zu stehen scheinen (Boger, Briggs-Gowan, Pavlis & Carter, 2008; Hibbs et al., 1991; McCleary & Sanford, 2002; Peris & Hinshaw, 2003; Vostanis et al., 1994). Möglicherweise spielt jedoch die Psychopathologie der Eltern eine Rolle. In der Untersuchung von Hibbs et al. (1991) wiesen 64% der Väter und 73% der Mütter mit psychischer Störung in der Vorgeschichte einen High Expressed Emotion-Status auf. Insbesondere wird immer wieder ein enger Zusammenhang von Depressionen bei Müttern und High Expressed Emotion bzw. Kritik und mangelnder Wärme gegenüber dem Kind postuliert. Dies wurde in einer Reihe von Studien bestätigt (Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Green et al., 2007; Harvey, Stoessel & Herbert, 2011; Cartwright et al., 2011). Darüber hinaus finden sich Hinweise auf einen möglichen Mediatoreffekt von Expressed Emotion auf den Zusammenhang zwischen Depressivität (Bolton et al., 2003; Nelson et al., 2003) bzw. allgemeiner Symptombelastung 12 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie (McCarty & Weisz, 2002) der Mutter und externalisierenden Verhaltensproblemen des Kindes. In anderen Untersuchungen konnte indes kein Zusammenhang zwischen Expressed Emotion und depressiven Symptomen der Mutter aufgezeigt werden (Stubbe et al., 1993; McCleary & Sanford, 2002; Hastings et al., 2006; Psychogiou et al., 2007; Richards et al., 2014). 1.1.2 Interventionseffekte auf Expressed Emotion und Psychopathologie der Eltern Die Effekte psychotherapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion der Eltern von Kindern mit SSV sind bislang kaum untersucht worden. Vostanis und Nicholls (1995) betrachteten den Verlauf von Expressed Emotion der Mütter von 6-11jährigen Kindern mit SSV (vs. emotionaler Störung) in einem 9-Monats-Follow-Up nach ambulanter psychiatrischer Routinebehandlung. Bezüglich EOI und der Anzahl positiver Kommentare ergaben sich keine signifikanten Effekte, gleichwohl nahm die Anzahl kritischer Kommentare signifikant ab (d=0,63) und Wärme signifikant zu (d=0,78). Dieses Ergebnis kann jedoch nicht als Interventionseffekt im engeren Sinne interpretiert werden, da die Interventionen sehr heterogen (Familientherapie, Beratung, Jugend-/Familienhilfe, Psychotherapie) und niederfrequent waren (durchschnittlich 0,7 Sitzungen pro Monat, vier Fälle ohne Intervention) und keine Kontrollbedingung vorlag. Bei Harrington et al. (2000) findet man dagegen eine randomisierte Kontrollgruppenstudie an einer Stichprobe von 3-10jährigen Kindern mit SSV (oppositionelles Verhalten). Eine community based intervention (etwa vergleichbar mit ambulanter Jugendund Familienhilfe) wurde hier mit einer stationären Klinikbehandlung bezüglich Effektivität und Kosteneffizienz verglichen, wobei die Interventionen dieselben waren und sich nur das Setting unterschied. Die Interventionen beinhalteten Gruppen mit Elterntraining und z.T. parallele Kindergruppen. Zwischen den beiden Settings fanden sich im 3-Monats- oder 1-JahresFollow-Up (intention to treat-Analysen) weder bezüglich der Symptomatik des Kindes signifikante Unterschiede noch bezüglich anderer OutcomeVariablen wie Erziehungsproblemen, depressiver Symptomatik der Mutter, Belastung der Familie durch das Verhalten des Kindes oder Anzahl 13 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie kritischer Kommentare der Mutter in der FMSS. Letztere reduzierten sich jedoch im community-Setting von M=2.4 bei Baseline-Erhebung auf M=1.8 beim 1-Jahres-Follow-Up und im Kliniksetting von M=2.1 auf M=1.3. Effektstärken und Signifikanz der Mittelwertunterschiede sind nicht angegeben. Die Effektstärken können jedoch aus den Angaben der Autoren berechnet werden. Dabei ergibt sich für die community-Bedingung ein Zeiteffekt von d=0,27, für die Klinikbedingung ein Effekt von d=0,36 und für die Gesamtstichprobe ein Effekt von d=0,32, was nach Cohen (1988) einem kleinen bis mittleren Effekt entsprechen würde. Weitere Hinweise auf die Beeinflussbarkeit von Expressed Emotion durch psychotherapeutische oder psychopharmakologische Interventionen finden sich in einigen wenigen Studien zu anderen Störungsbildern im Kindes- und Jugendalter. Schachar et al. (1987) zeigten, dass eine erfolgreiche Behandlung von hyperkinetischen Kindern mit Methylphenidat bei deren Müttern zu einer Reduktion der geäußerten Kritik und einer Zunahme der Wärme führte. Das heißt, hier zeigte sich ein indirekter Interventionseffekt auf Expressed Emotion, der durch die Veränderung in der Symptomatik des Kindes und nicht durch eine familienzentrierte Intervention hervorgerufen wurde. In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie mit 8-13jährigen Kindern mit einer Angststörung fand Angelosante (2007) eine signifikante Reduktion von Expressed Emotion in der Gruppe mit familienbasierter kognitiv-behavioraler Therapie, aber nicht in der Gruppe mit kindzentrierter kognitiv-behavioraler Therapie oder mit unspezifischer, supportiver Intervention. Hier könnte es sich also im Gegensatz zu Schachar et al. (1987) um einen direkten Effekt der Behandlung auf Expressed Emotion handeln. Drei weitere Studien zeigen die Effekte psychotherapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion in Stichproben von jugendlichen Mädchen mit Anorexia Nervosa. Van Furth et al. (1996) berichten von einer signifikanten Reduktion der emotionalen Überinvolviertheit und nicht signifikanten Veränderungen bezüglich Wärme, Kritik, Feindseligkeit und der Anzahl positiver Kommentare nach einer nicht näher spezifizierten ambulanten oder stationären Behandlung mit Einbezug der Familie. In einer Studie von Le Grange und Kollegen führte die Behandlung mit einer systemischen 14 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Familientherapie zu einer Zunahme von Kritik beider Elternteile, eine getrennte supportiv-psychoedukative Therapie von Patientin und Eltern hingegen zu einer Reduktion von Kritik (Le Grange, Eisler, Dare & Russell, 1992). In einer Folgestudie von Eisler et al. (2000) ergab sich insgesamt über die Treatment-Bedingungen hinweg eine signifikante Reduktion der elterlichen Kritik, wenn auch kein signifikanter Anstieg der Wärme nach einem Jahr ambulanter Familientherapie (in schweren Fällen mit stationärer Behandlung). Töchter von High Expressed Emotion-Müttern profitierten dabei mehr von getrennten Therapiesitzungen als von gemeinsamen Familiensitzungen. Stresserleben, Belastung und psychopathologische Merkmale der Eltern sind weitere familienbezogene Outcome-Variablen, die im Kontext von Therapiewirksamkeitsstudien untersucht und – wie oben beschrieben – in einen Zusammenhang mit Expressed Emotion gebracht werden können. Im Folgenden werden diesbezügliche Befunde aus Studien zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen bei Kindern mit externalisierenden Verhaltensproblemen zusammengefasst. Multisystemische Familientherapie erwies sich als wirksam bei der Reduktion der allgemeinen Symptombelastung von Müttern, sowohl im Vergleich zu einem behördlichen Programm für jugendliche Straftäter (Scherer, Brondino, Henggeler & Melton, 1994) als auch im Vergleich zu individueller Therapie (Borduin et al., 1995). Wells und Egan (1988) berichten, dass sich im Hinblick auf depressive und Angstsymptome der Mütter keine Unterschiede in der Wirksamkeit eines verhaltens- therapeutischen Programms und einer systemischen Familientherapie zeigten, obgleich die Verhaltenstherapie sich bezüglich der Symptomatik des Kindes als wirksamer erwies. Bei Dadds und McHugh (1992) ergaben sich signifikante Verbesserungen bezüglich des depressiven Erlebens der Mutter, wobei auch hier keine Unterschiede zwischen den beiden verglichenen Interventionsbedingungen (Child Management Training vs. zusätzliche Förderung sozialer Unterstützung) beobachtet werden konnten. Kazdin, Siegel und Bass (1992) sowie Kazdin und Wassell (2000) berichten von Verbesserungen bei erziehungsbezogenem Stress, depressiven Symptomen 15 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie und allgemeiner Symptombelastung der Eltern nach einer kombinierten Behandlung mit Problemlösetraining (Kinder) und Elterntraining. Die Parent Child Interaction Therapy erwies sich als wirksam im Hinblick auf erziehungsbezogenen Stress, Angst, depressive Symptome und allgemeine Stresssymptome der Eltern (Phillips, Morgan, Cawthorne & Barnett, 2008). Bei einer anderen Evaluation der Parent Child Interaction Therapy zeigte sich ebenfalls ein Effekt auf erziehungsbezogenen Stress, jedoch nicht auf depressive Symptome, wobei diese bereits vor Behandlungsbeginn im subklinischen Bereich lagen (Schuhmann, Foote, Eyberg, Boggs & Algina, 1998). Bei den Präventionsprogrammen erwies sich das Triple-P-Programm als wirksam in Bezug auf Stress- und Angstsymptome, jedoch nicht auf depressive Expansives Symptome (Köppe, Problemverhalten 2001). (PEP) Das Präventionsprogramm reduzierte ebenfalls für signifikant Stresssymptome der Eltern, jedoch nicht depressive oder Angstsymptome (Hautmann, Hanisch, Mayer, Plück & Döpfner, 2008). Kazdin und Wassel (2000) heben die Bedeutung von elternbezogenen Outcome-Variablen in der Programmevaluation hervor. Eine Erhöhung des familiären Funktionsniveaus und eine Reduktion von Stresserleben und anderen Symptomen der Eltern stellten nicht nur einen Wert an sich dar, sondern könnten wiederum die Symptomatik des Kindes positiv beeinflussen. 1.2 Fragestellung und Ziele der Studie Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die Korrelation von Expressed Emotion der Eltern mit externalisierenden Verhaltensproblemen des Kindes ein konsistenter Befund ist. Es bedarf jedoch einer genaueren Differenzierung bezüglich verschiedener Symptomgruppen (hyperkinetisch vs. oppositionell vs. dissozial etc.) innerhalb des breit gefächerten Begriffs der externalisierenden Verhaltensprobleme. Klärungsbedarf besteht zudem im Hinblick auf Kausalzusammenhänge, Beeinflussbarkeit von Expressed Emotion durch psychotherapeutische Intervention (bei Patienten im Kindesund frühen Jugendalter) sowie komplexere Zusammenhänge mit weiteren 16 Einleitung - Expressed Emotion in der klinischen Kinderpsychologie Familienmerkmalen, wie beispielweise der Psychopathologie der Eltern. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, zur Klärung dieser Fragen beizutragen. Im Rahmen einer randomisierten Kontrollgruppenstudie zur Evaluation des Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV; GörtzDorten & Döpfner, 2010) sollen Zusammenhänge von Expressed Emotion mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern sowie mit oppositionellen und dissozialen Symptomen und Callous-Unemotional Traits bei sechs- bis zwölfjährigen Jungen mit SSV-Diagnose analysiert werden. Darüber hinaus soll geprüft werden, ob die Behandlung mit THAV einen spezifischen Effekt auf Expressed Emotion und die Psychopathologie der Eltern hat. Dies wird erwartet, da es sich um eine multimodale Therapie mit (im Umfang individuell variierendem) Einbezug der Eltern handelt. Insbesondere zu Beginn der Behandlung zielen die Interventionen auf eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung und eine Förderung von wertschätzender Kommunikation und positiv verstärkendem Verhalten der Eltern, was das Ausmaß an Expressed Emotion reduzieren könnte. Durch die Abnahme der kindlichen Symptomatik wird zudem eine indirekte Reduktion von Stresserleben und anderen internalisierenden Symptomen der Eltern erwartet – ein Effekt, der beispielsweise über eine erhöhte erziehungsbezogene Selbstwirksamkeit vermittelt werden könnte. Schließlich sollen die Ergebnisse der Analysen in den oben beschriebenen Forschungskontext eingeordnet und in diesem interpretiert werden. Abschließend werden Implikationen der Befunde für die klinische Praxis erörtert. 17 Methodik 2 Methodik Im Folgenden werden zunächst die Zielgruppe, das Design sowie zentrale Ergebnisse der Studie beschrieben, in deren Rahmen die eingangs genannten Fragestellungen untersucht wurden. Anschließend werden die Hypothesen der vorliegenden Arbeit spezifiziert und die Operationalisierung der Konstrukte sowie die statistischen Auswertungsstrategien dargestellt. 2.1 Die THAV-Studie In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie wurde die Wirksamkeit des multimodalen Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) überprüft (Görtz-Dorten, Hautmann et al., 2014a, 2014b). Dabei handelt es sich um ein verhaltenstherapeutisch basiertes soziales Kompetenztraining, das im Einzelsetting in individualisierter Form durchgeführt wird. Die Zielgruppe sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, die primär aggressive Verhaltensweisen im Peer-Kontext aufweisen und häufig in Konflikte mit Gleichaltrigen geraten. Das Programm ist modular aufgebaut, sodass es in der Anwendung gut an die individuellen Ressourcen und Defizite des Kindes angepasst werden kann. Es zielt auf die Veränderung aufrechterhaltender Bedingungen, wie Defizite in der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung, Störungen der Impulskontrolle, Kompetenzdefizite bei der Konflikt- und Problemlösung sowie Störungen der sozialen Interaktionen. Neben den kindzentrierten Interventionen werden weitere Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer aktiv in die Behandlung einbezogen (multimodales Behandlungskonzept). Die Inhalte des Programms werden im Behandlungsmanual detailliert beschrieben (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010). Dort finden sich auch die kindgerechten Therapiematerialien, die bei der Behandlung zum Einsatz kommen. Ziel der Studie war es, die Wirksamkeit von THAV bezüglich der aggressiven Symptomatik, aufrechterhaltender Faktoren und prosozialen Verhaltens zu überprüfen. Die Studie wurde vorab von der Ethikkommission der Uniklinik Köln genehmigt und bei ClinicalTrials.gov registriert. 18 Methodik 2.1.1 Rekrutierung der Probanden Das Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten richtet sich an Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens, bei welcher die gleichaltrigenbezogene Aggressivität im Vordergrund steht. In die Studie aufgenommen wurden 101 Kinder, die folgende Einschlusskriterien erfüllten: • Alter 6-12 Jahre • männliches Geschlecht • IQ ≥ 80 • ICD-10-Diagnose F 91, F 92 oder F 90.1 • Aggressivität im Peer-Kontext mit beträchtlicher Beeinträchtigung der Beziehung zu Gleichaltrigen • ein hoher Grad (Stanine ≥ 7) und Stabilität der Symptomausprägung, gemessen mit dem Gesamtwert des Fremdbeurteilungsbogens Störungen des Sozialverhaltens (FBB-SSV, DISYPS-II; Döpfner, GörtzDorten, Lehmkuhl & Breuer, 2008) zu Beginn und Ende einer sechswöchigen Diagnostikphase. Das Vorliegen folgender Kriterien führte zum Ausschluss von Patienten aus der Studie: • komorbide psychische Störung im Vordergrund (z.B. Autismus) • geplante medikamentöse Einstellung oder bei bestehender Medikation geplante Veränderung der Dosierung • andere aktive psychotherapeutische Behandlung • schwere psychische Störung eines Elternteils / der primären Bezugsperson • mangelnde Deutschkenntnisse des Patienten bzw. der primären Bezugsperson. Die Rekrutierung der Teilnehmer erfolgte zum Einen über Aufrufe bzw. kurze Berichte in den lokalen Medien (z.B. Zeitung, Fernsehen), sowie gezielte Information von Schulen, Jugendämtern, Fach- und Kinderärzten in Form von Anschreiben und Flyern. Zum Anderen wurde Patienten die Teilnahme an der Studie angeboten, die in der Psychotherapieambulanz des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der 19 Methodik Uniklinik Köln (AKiP Köln) mit entsprechender Symptomatik vorstellig wurden (sogenannte Inanspruchnahmepopulation). Im Rahmen eines etwa halbstündigen, semistrukturierten Telefonscreenings wurde eine grobe Einschätzung bezüglich der Teilnahmevoraussetzungen getroffen und bei nicht Erfüllen der Voraussetzungen eine Empfehlung bezüglich alternativer Hilfsangebote gegeben. An drei Terminen im Rahmen einer sechswöchigen Diagnostikphase wurden die Ein- und Ausschlusskriterien überprüft und die Baseline-Werte erhoben. Die Diagnostik wurde von einem Team aus fünf Psychologen und Pädagogen durchgeführt, die sich in der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten befanden. Die Diagnosestellung erfolgte beim ersten Termin mittels eines semistrukturierten Interviews (DCL-SSV, DISYPS-II; Döpfner et al., 2008). 2.1.2 Intervention und Durchführung der Datenerhebung Die Behandlung mit THAV im Einzelsetting wurde mit einer aktiven Placebo-Kontrollbedingung verglichen. Diese bestand in einer Spielgruppe mit drei bis vier Teilnehmern. Sie wurde von zwei Psychologen oder Pädagogen geleitet und beinhaltete vorgegebene und frei wählbare Regelspiele und Bastelprojekte. Es fanden in der Spielgruppe zwölf Termine à 100 Minuten im zweiwöchentlichen Rhythmus statt. Die Spielgruppe wurde durch ein bis zwei Termine im Gruppensetting mit unspezifischem Beratungsangebot für die Eltern ergänzt. In der THAV-Bedingung fanden im wöchentlichen Rhythmus 24 Therapiesitzungen à 50 Minuten statt. Ergänzt wurden die kindzentrierten Interventionen durch Sitzungen mit den Eltern oder (meist telefonischen) Gesprächen mit den Lehrern, die je nach individuellem Bedarf in ihrer Frequenz variierten. Nach der Diagnostikphase und dem Informed Consent der Teilnehmer wurden diese einer der beiden Interventionsbedingungen randomisiert zugeordnet. Die Datenerhebung fand in festgelegten Intervallen statt, die durch die Anzahl der Sitzungen definiert waren. Neben der Erhebung der Baseline in der Diagnostikphase sowie der Abschlusserhebung nach 20 Methodik insgesamt 24 (THAV) bzw. 12 (Spielgruppe) Sitzungen, fanden drei weitere Datenerhebungen mit einem Teil der Messinstrumente während der Interventionsphase nach jeweils sechs bzw. drei Sitzungen statt. Die Durchführung der Datenerhebung und der Interventionen erfolgte in den gemeinschaftlichen Räumlichkeiten des Kölner Standorts der ChristophDornier-Stiftung für Klinische Psychologie und des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKiP Köln). Die THAV-Behandlungen wurden von einem Team von sieben Psychologen und Pädagogen durchgeführt, die sich in der Ausbildung zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten befanden. Die Therapien wurden im Verhältnis von mindestens eins zu vier von den beiden Studienleitern supervidiert, die selbst erfahrene Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten und Supervisoren sind. Zu Supervisionszwecken wurden – bei Einwilligung der Teilnehmer – in unregelmäßigen Abständen Videoaufnahmen von den Sitzungen erstellt. 2.1.3 Zentrale Ergebnisse der THAV-Studie Im Eigenkontrollgruppen-Design, bei dem die Verlaufsdaten der Teilnehmer aus der THAV-Bedingung mittels Multi-Level-Modelling analysiert wurden (n=60), ergab sich in der Interventionsphase eine signifikante Verbesserung bezüglich der aggressiven Symptomatik sowie aufrechterhaltender Faktoren (im Elternurteil), während sich in der Diagnostik- bzw. Wartephase keine signifikanten Veränderungen zeigten (Görtz-Dorten, Hautmann et al., 2014a). Die Ergebnisse des Kontrollgruppen-Designs (n=91) zeigen, dass es in der THAV-Bedingung zu einer signifikant größeren Verbesserung bezüglich der primären und z.T. der sekundären Outcome-Maße kam als in der Kontrollgruppe (Görtz-Dorten, Hautmann et al., 2014b). Für die primäre Zielvariable Gleichaltrigenbezogene Aggression im Elternurteil (FAVK-F) ergab sich bei der Kovarianzanalyse ein signifikanter Gruppeneffekt von dadj. post= 0,62. Für die sekundäre Zielvariable Oppositionelles Verhalten (FBB- SSV) ergab sich ein noch größerer Effekt von dadj. post= 1,02, wohingegen keine signifikanten Effekte bezüglich Dissozialen Verhaltens (FBB-SSV) auftraten (dadj. post= 0,16). Auch im Lehrerurteil lagen bezüglich der 21 Methodik Symptomatik z.T. signifikante Interventionseffekte vor. Im Hinblick auf die Callous-Unemotional Traits (ICU) ergaben sich signifikante kleine bis mittlere Effekte auf den Skalen Calloussness / Lack of Guilt or Remorse (dadj. post= 0,32) und Unemotional (dadj. post= 0,32), jedoch kein signifikanter Effekt auf der Skala Unconcerned about Performance (dadj. post= 0,16). Insgesamt kann geschlussfolgert werden, dass die multimodale Behandlung mit THAV eine wirksame Intervention bei gleichaltrigenbezogener Aggression im Kindesalter darstellt und der Testung gegen eine aktive Kontrollgruppe standhält. 2.2 Hypothesen 2.2.1 Hypothesen bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und der Symptomatik von Eltern und Kind Basierend auf den eingangs dargestellten empirischen Befunden bezüglich des Zusammenhangs von Expressed Emotion mit der aggressiven Symptomatik des Kindes und psychopathologischen Merkmalen der Eltern (siehe 1.1.1) werden im Folgenden die Hypothesen dargelegt. a. Es wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status (High vs. Low) und der Ausprägung von Depression, Angst und Stresserleben der Eltern erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Cartwright et al., 2011; Green et al., 2007; Harvey et al., 2011). b. Es wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status (High vs. Low) und der Ausprägung der aggressiven Symptomatik des Kindes erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Cartwright et al., 2011; Caspi et al., 2004; Christiansen et al., 2010; Green et al., 2007; Hastings et al., 2006; Hirshfeld et al., 1997b; Matthew Hodes & Garralda, 1999; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et al., 2003; Peris & Baker, 2000; Peris & Hinshaw, 2003; Psychogiou et al., 2007; Richards et al., 2014; Sonuga-Barke et al., 2009). 22 Methodik Ein solcher Zusammenhang wird außerdem für die Ausprägung von Aufmerksamkeitsproblemen des Kindes angenommen (vgl. Cartwright et al., 2011; Christiansen et al., 2010; Peris & Hinshaw, 2003; Psychogiou et al., 2007; Richards et al., 2014). c. Es wird ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der aggressiven Symptomatik des Kindes erwartet (vgl. Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Brennan, Hammen, Katz & Le Brocque, 2002; Green et al., 2007; Hastings et al., 2006; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et al., 2003). d. Zudem wird ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der Ausprägung von Callous-Unemotional Traits des Kindes erwartet (vgl. Barker et al., 2011). e. Ein weiterer signifikanter positiver Zusammenhang wird zwischen Depression, Angst und Stresserleben der Eltern und der Ausprägung komorbider internalisierender Symptome des Kindes erwartet (vgl. Brennan et al., 2002; Connell & Goodman, 2002; Köppe, 2001). f. Eine weitere Hypothese betrifft die multivariaten Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und der Symptomatik von Eltern und Kind: Expressed Emotion fungiert als Mediator zwischen depressiver Symptomatik der Eltern und aggressiver Symptomatik des Kindes, wobei kein totaler, sondern ein partieller Mediator-Effekt erwartet wird (vgl. Bolton et al., 2003; McCarty & Weisz, 2002; Nelson et al., 2003). g. Ferner wird ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß an Expressed Emotion bzw. dem Expressed Emotion-Status (High vs. Low) und der Ausprägung von Callous-Unemotional Traits des Kindes erwartet. Diese Hypothese hat einen explorativen Charakter, da diesbezüglich bislang keine empirischen Befunde vorliegen. Empirische Befunde zu verwandten Konstrukten weisen jedoch auf einen entsprechenden Zusammenhang hin (vgl. Pasalich et al., 2011) 23 Methodik Ergänzend sollen zudem Zusammenhänge von Expressed Emotion mit komorbiden internalisierenden Symptomen des Kindes untersucht werden. Diesbezüglich werden jedoch keine spezifischen Hypothesen aufgestellt. 2.2.2 Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed Emotion und die internalisierende Symptomatik der Eltern Basierend auf den eingangs dargestellten empirischen Befunden bezüglich der Effekte therapeutischer Interventionen auf Expressed Emotion sowie auf internalisierende Symptome und Stresserleben der Eltern (siehe 1.1.2), werden im Folgenden die Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte von THAV auf ebendiese Merkmale dargelegt. h. In der Therapiebedingung wird bei Interventionsende ein signifikant geringerer Anteil an High Expressed Emotion erwartet als in der Kontrollbedingung (vgl. Angelosante, 2007; Eisler et al., 2000; Harrington et al., 2000; le Grange et al., 1992; van Furth et al., 1996; Vostanis & Nicholls, 1995). i. Ferner wird in der Therapiebedingung eine signifikant stärkere Reduktion von Expressed Emotion erwartet als in der Kontrollgruppe. j. In der Therapiegruppe wird bei Interventionsende eine signifikant stärkere Reduktion von Depression, Angst und Stresserleben der Eltern erwartet als in der Kontrollgruppe (vgl. Borduin et al., 1995; Dadds & McHugh, 1992; Hautmann et al., 2008; Kazdin et al., 1992; Kazdin & Wassell, 2000; Köppe, 2001; Phillips et al., 2008; Scherer et al., 1994; Wells & Egan, 1988). 2.2.3 Hypothese bezüglich Expressed Emotion als Mediator der Interventionseffekte auf Callous-Unemotional Traits Wie bereits berichtet (siehe 2.1.3), konnten signifikante Effekte der THAVIntervention auf Callous-Unemotional Traits des Kindes festgestellt werden. Sollten darüber hinaus signifikante Interventionseffekte auf Expressed Emotion (Hypothese i) sowie ein positiver Zusammenhang zwischen Expressed Emotion und den CU-Traits gefunden werden (Hypothese g), so 24 Methodik käme es in Betracht, dass Expressed Emotion als ein Mediator des Interventionseffekts fungiert. Diese Hypothese hat einen explorativen Charakter. k. Die Veränderung in Expressed Emotion fungiert als Mediator zwischen der Intervention und der Veränderung in den CallousUnemotional Traits, wobei kein totaler, sondern ein partieller Mediator-Effekt erwartet wird. 2.3 Operationalisierung der Konstrukte 2.3.1 Expressed Emotion Expressed Emotion der Eltern wird mithilfe der Five Minute Speech Sample (FMSS; Magaña et al., 1986) erfasst. Dieses Verfahren ist in Durchführung und Auswertung erheblich weniger aufwändig als das Camberwell Family Interview (CFI), was insbesondere in Anbetracht der vorliegenden Stichprobengröße ausschlaggebend erscheint. Das ökonomischere Verfahren der FMSS liefert mit dem CFI vergleichbare Einschätzungen bezüglich Expressed Emotion (Magaña et al., 1986) und hat sich für den Einsatz bei Eltern von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens insofern bewährt, als es einen höheren prädiktiven Wert im Hinblick auf die Symptomatik des Kindes aufweist als das CFI (Calam & Peters, 2006). Bei der Interpretation der Ergebnisse muss jedoch berücksichtigt werden, dass das FMSSVerfahren im Vergleich zum CFI zu einer Unterschätzung des High Expressed Emotion-Anteils um 20-30% führt (Van Humbeeck, Van Audenhove, De Hert, Pieters & Storms, 2002; Hooley & Parker, 2006). Die FMSS beginnt mit einer standardisierten Instruktion. Die Eltern der Patienten werden gebeten, fünf Minuten etwas über ihr Kind und die Beziehung zu ihm zu erzählen. Dabei werden sie vom Untersuchungsleiter nicht unterbrochen und es werden bis zum Ablauf der fünf Minuten keine weiteren Fragen gestellt oder beantwortet. Die Sprechproben werden aufgezeichnet und von zwei Ratern ausgewertet. Die Auswertung erfolgt anhand einer modifizierten Version, die von der Arbeitsgruppe um Dave Daley für den Einsatz im Vorschulalter entwickelt wurde (PFMSS; Daley, 2001). Sie eignet sich nach Angaben des Autors auch für Eltern von 25 Methodik Schulkindern. Der Vorteil dieser Version liegt vor allem darin, dass im Gegensatz zur FMSS nach Magaña et al. (1986) die Skala Wärme berücksichtigt wird, die auch im CFI (Vaughn & Leff, 1976) enthalten ist und von Daley als wichtiger Indikator für Expressed Emotion im Kindesalter betrachtet wird. Außerdem sind die Kodier-Richtlinien an das Kindesalter angepasst, unter anderem weil Eltern von Kindern im (Vor-)Schulalter deutlich weniger offene Kritik äußerten als Eltern von erwachsenen Patienten. Das Verfahren weist mit Ausnahme der Skala Emotionale Überinvolviertheit, die in dieser Untersuchung nicht verwendet wird, befriedigende Code-Recode- und InterRater-Reliabilitäten auf (Daley et al., 2003). Die Test-Retest-Reliabilität ist nach sechs Monaten eher gering, was vermutlich mit der fraglichen Stabilität von Expressed Emotion im Kindesalter zusammenhängt (Vostanis & Nicholls, 1995). Daley et al. (2003) fanden eine befriedigende konvergente und diagnostische Validität der modifizierten FMSS: Es konnten signifikante Zusammenhänge der FMSS-Ratings mit der beobachteten Mutter-KindInteraktion, der Zufriedenheit mit der Elternrolle und mit dem Vorliegen einer ADHS-Diagnose (vs. keine Diagnose) aufgezeigt werden. Die Auswertung nach Daley sieht globale, dreistufige Ratings für die Subkomponenten Erste Äußerung (positiv, neutral, negativ), Wärme (niedrig, mäßig, hoch), Beziehungsqualität (positiv, neutral, negativ) und Emotionale Überinvolviertheit (niedrig, mäßig, hoch) vor sowie eine Häufigkeitszählung für Kritische Kommentare und Positive Kommentare. Für die globalen Ratings werden jeweils Indikatoren angegeben, zum Beispiel für die Skala Wärme die Indikatoren Tonfall, spontane Gefühlsäußerungen, Empathie und Sorge. Die Kodier-Richtlinien sind jeweils mit Beispielen versehen. High Expressed Emotion (Criticism) wird nach Daley kodiert, wenn mindestens ein negatives bzw. niedriges Rating auf einer der globalen Skalen sowie zugleich mehr kritische als positive Kommentare vorliegen. Das Manual von Daley (Daley, 2001) wurde für die vorliegende Untersuchung ins Deutsche übersetzt und in wenigen Punkten spezifiziert, um eine bessere Anpassung an den deutschen Sprachgebrauch zu erzielen (Scholz, Schuh & Döpfner, 2014; abgedruckt im Anhang). Die Skala Emotionale Überinvolviertheit wird in dieser Arbeit nicht in die Auswertungen einbezogen, da zum Einen die 26 Methodik Gütekriterien für diese Skala inakzeptabel sind (s.o.) und zum Anderen diesbezüglich keine Hypothesen vorliegen. Zur Sicherung der Objektivität und Reliabilität der Ratings in der vorliegenden Untersuchung wurden folgende Maßnahmen getroffen: a. Die Ratings der FMSS wurden von zwei trainierten Ratern (s.u.) durchgeführt, sodass die Inter-Rater-Reliabilität bestimmt werden konnte. b. Im Vorfeld der Auswertung fand ein Rater-Training statt, das von dem Autor des modifizierten Auswertungsmanuals des FMSS, Dave Daley, geleitet wurde. Zu Trainingszwecken wurden von diesem sechs Beispiel-FMSS zur Verfügung gestellt, die im Vorfeld des Trainings geratet und im Rahmen der Trainingssitzung erörtert wurden. c. Anhand von zehn FMSS von Fällen, die im Rahmen der Diagnostikphase ausgeschlossen worden waren, wurde eine weitere „Kalibrierung“ der beiden Rater erzielt. Diese Trainings-FMSS wurden zunächst unabhängig voneinander ausgewertet. Anschließend wurden Divergenzen zwischen den beiden Ratern analysiert, um zu einem gemeinsamen Urteil zu kommen. Im nächsten Schritt wurde die Inter-Rater-Reliabilität an einer Zufallsstichprobe von n=20 der Baseline-Erhebung bestimmt (entspricht 22%). Bei der Festlegung der Stichprobengröße für die Berechnung der Inter-Rater-Reliabilität wurde berücksichtigt, dass diese laut Neuendorf (2002) zwischen 10 und 20 % der Gesamtstichprobe betragen sollte. Zwar empfiehlt der Autor auch, dass die Stichprobe nicht kleiner als n=50 sein sollte; die gängige Praxis ist jedoch eine Orientierung an dem 10-20%-Kriterium (z.B. Daley et al., 2003; McCarty, Lau, Valeri & Weisz, 2004; Vostanis, Nicholls & Harrington, 1994). Die zufriedenstellenden Ergebnisse der Inter-Rater-Reliabilitätsanalyse finden sich in Abschnitt 3.2.2 dieser Arbeit. d. Die FMSS aus der Abschlussmessung wurden von einer externen (d.h. nicht an der Studie beteiligten) Raterin ausgewertet, sodass eine Ver- 27 Methodik blindung gegenüber der Interventionsbedingung gegeben war. Die zweite Raterin ist die Verfasserin dieser Arbeit. 2.3.2 Internalisierende Symptomatik der Eltern Die internalisierende Symptomatik und das Stresserleben der Eltern werden durch Selbstauskunft auf der Depression-Angst-Stress-Skala (DASS; Lovibond & Lovibond, 1995; dt. Version von Essau, 1995) erhoben, welche bereits zuvor in Wirksamkeitsstudien bei externalisierendem Problemverhalten eingesetzt wurde (Köppe, 2001; Hautmann et al., 2008; Phillips et al., 2008). Die DASS ist ein Fragebogenverfahren, das anhand von 42 Items mit vierstufiger Likert-Skalierung die Ausprägung von depressiven Symptomen, Angst und Stresssymptomen erfasst. In einer großen nicht-klinischen Stichprobe (n=1771) konnte (Crawford & Henry, 2003). die Faktorenstruktur bestätigt werden Der Fragebogen verfügt über hohe interne Konsistenzen (Cronbach’s α von .90 bis .97), eine hohe konvergente Validität sowie eine mäßige diskriminante Validität (Crawford & Henry, 2003). 2.3.3 Aggressive und komorbide Symptomatik des Kindes Die Symptomatik des Kindes wird von den Eltern anhand des Fremdbeurteilungsbogens Störung des Sozialverhaltens FBB-SSV (DISYPS-II; Döpfner et al., 2008) und der Child Behavior Checklist (CBCL/4-18; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) beurteilt – beide Verfahren sind in der deutschen bzw. internationalen Forschung im Bereich der klinischen Kinderpsychologie gut etabliert. Der Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens FBB-SSV (DISYPS-II; Döpfner et al., 2008) erfasst auf einer vierstufigen Likert-Skala die Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV und besteht aus den drei Subskalen Oppositionelles Verhalten, Dissoziales Verhalten und Prosoziales Verhalten/Kompetenzen. Die Skalen Oppositionelles Verhalten und Dissoziales Verhalten können darüber hinaus zu einem Gesamtwert zusammengefügt werden. Das Verfahren weist eine hohe faktorielle Validität und mittlere bis hohe interne Konsistenzen auf (Cronbach’s α von .69 bis .90) 28 Methodik und differenziert gut (nicht-klinische Stichprobe) bis befriedigend (klinische Stichprobe) zwischen Kindern mit und ohne Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens (Görtz-Dorten, Ise, Hautmann, Walter & Döpfner, 2014). In der vorliegenden Untersuchung werden die Skalen Oppositionelles Verhalten und Dissoziales Verhalten sowie die Gesamtskala verwendet. Die Child Behavior Checklist CBCL/4-18 (Achenbach, 1991; dt. Version: Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) ist ein weit verbreitetes Breitbanddiagnostikum, das zum Einen die sozialen Kompetenzen und zum Anderen ein breites Spektrum an Verhaltensproblemen im Kindes- und Jugendalter erfasst. Der Vorteil liegt vor allem in der internationalen Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Für diese Arbeit ist nur der zweite Teil der CBCL relevant, welcher die Verhaltensprobleme anhand von 120 Items mit dreistufigem Antwortformat erfasst. Die Subskalen Sozialer Rückzug, Körperliche Beschwerden und Ängstlich/Depressiv bilden zusammen die übergeordnete Skala Internalisierende Verhaltensprobleme. Die Subskalen Aggressives Verhalten und Dissoziales Verhalten bilden die Skala Externalisierende Verhaltensprobleme. Weitere Skalen sind Soziale Probleme, Schizoid/Zwanghaft, Aufmerksamkeitsprobleme. Ein Gesamtscore kann über alle Items gebildet werden. Faktorielle Validität, Reliabilität und diskriminante Validität der CBCL sind für deutsche Stichproben bestätigt (Döpfner, Schmeck, Berner, Lehmkuhl & Poustka, 1994; Poustka et al., 2001). In der vorliegenden Untersuchung werden aus der CBCL für die Erfassung der aggressiven Symptomatik die übergeordnete Skala Externalisierende Verhaltensprobleme mit den entsprechenden Subskalen und für die Erfassung der komorbiden Symptomatik die übergeordnete Skala Internalisierende Verhaltensprobleme mit den entsprechenden Subskalen sowie die Skala Aufmerksamkeitsprobleme verwendet. 2.3.4 Callous-Unemotional Traits des Kindes Die Callous-Unemotional Traits (CU-Traits) des Kindes werden anhand des Inventory of Callous-Unemotional Traits (ICU; Frick, 2004) erhoben. Das Verfahren wurde für den Einsatz als Eltern-, Lehrer- und Selbsturteil (für Jugendliche) entwickelt, wobei in der vorliegenden Untersuchung die 29 Methodik deutsche Übersetzung für das Elternurteil verwendet wird (Essau, Sasagawa & Frick, 2006). Der Fragebogen besteht aus insgesamt 24 Items mit vierstufiger Likert-Skalierung, die den drei Skalen Callousness, Uncaring und Unemotional zugewiesen und in einem Gesamtscore zusammengefasst werden. Diese Faktorenstruktur ist für das Selbsturteil von Jugendlichen in vier Studien bestätigt worden (Essau et al., 2006; Kimonis et al., 2008; Fanti, Frick & Georgiou, 2009; Roose, Bijttebier, Decoene, Claes & Frick, 2010). Im Fremdurteil konnte die Struktur für Jugendliche zwar ebenfalls bestätigt werden (Roose et al., 2010), für Kinder im Vorschulalter hingegen nicht vollständig (Ezpeleta, de la Osa, Granero, Penelo & Domènech, 2013). Da in dieser Studie das Elternurteil für Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren eingesetzt wird, musste die Anwendbarkeit dieser Faktorenstruktur sowie weitere psychometrische Gütekriterien in der THAV-Stichprobe (mit n=131) überprüft werden (Benesch, Görtz-Dorten, Breuer & Döpfner, 2014). Dabei ergab sich eine dreifaktorielle Faktorenstruktur mit der ursprünglichen Skala Unemotional sowie zwei neuen Skalen (Callousness/Lack of Guilt or Remorse und Unconcerned about Performance), welche weitgehend den Skalen Callousness und Uncaring aus der Originalversion entsprechen, jedoch in einigen wenigen Itemzuordnungen von diesen abweichen. Es wurden zudem drei Items mit geringer Faktorladung eliminiert, sodass sich eine Gesamtzahl von 21 Items ergibt. Die internen Konsistenzen (Cronbach’s α) lagen im zufriedenstellenden Bereich zwischen .73 und .81. Für die Skala Callousness/Lack of Guilt or Remorse, welche einen Mangel an Mitgefühl und Schuldempfinden abbildet, wurde eine bedeutsame konvergente Validität bezüglich der Symptomatik bei Störungen des Sozialverhaltens festgestellt. Callousness/Lack of Guilt or Remorse korrelierte jeweils signifikant mit den Skalen Oppositionelles Verhalten (r=.243) und Dissoziales Verhalten (r=.214) des FBB-SSV sowie mit den Skalen Aggressives Verhalten (r=.453) und Dissoziales Verhalten (r=.331) der CBCL. Für die Skalen Unconcerned about Performance (also Indifferenz bezüglich der eigenen Leistungen) und Unemotional (mangelnder Affektausdruck) ergaben sich hingegen bezüglich der aggressiven Symptomatik keine signifikanten Korrelationen. 30 Methodik In dieser Arbeit werden die ICU-Skalen nach Benesch et al. (2014) verwendet, da sie sich in der vorliegenden Stichprobe als das passendste Modell erwiesen haben und über eine klarere inhaltliche Zuordnung der Items verfügen als die ursprünglichen Skalen. 2.4 Statistische Methoden 2.4.1 Bestimmung der Inter-Rater-Reliabilität für die Five Minute Speech Sample Wirtz und Caspar (2002) unterscheiden zwischen Beurteilerübereinstimmung und Beurteilerreliabilität. Maße der Übereinstimmung machen eine Aussage über die Gleichheit der Urteile, wohingegen Maße der InterRater-Reliabilität Auskunft über die Ähnlichkeit der Urteile geben. Neben dieser Überlegung ist für die Auswahl geeigneter Koeffizienten das Skalenniveau der betreffenden Variablen ausschlaggebend. Für die Klassifikation als High vs. Low Expressed Emotion (Nominalskala) soll die Übereinstimmung der Rater als prozentuale Übereinstimmung angegeben werden. Der Wert sollte mindestens 80-85% betragen (Wirtz & Caspar, 2002). PÜ! = ! wobei nÜbereinst. !×!100 nRatings nÜbereinst.= Anzahl der übereinstimmenden Ratings nRatings = Gesamtzahl der Ratings Die prozentuale Übereinstimmung ist jedoch nicht zufallsbereinigt, sodass zusätzlich Cohen’s κ berechnet werden soll, welches die standardisierte Differenz der beobachteten und erwarteten Übereinstimmungshäufigkeit verwendet. Cohen’s κ liefert somit eine standardisierte Maßzahl (Wertebereich zwischen -1 und + 1) für das Ausmaß, in dem die tatsächlich beobachtete Übereinstimmung von der Zufallserwartung abweicht. 31 Methodik Cohen' s!!! = ! wobei Po -Pe 1-Pe Po = Relativer Anteil der Fälle, in denen die Rater identische Urteile abgegeben haben Pe = Relativer Anteil der Übereinstimmungen bei zufälligem Raterverhalten Zur Interpretation werden Richtwerte von Landis und Koch (1977) sowie Suen und Ary (1989) herangezogen. Eine Signifikanzprüfung wird für Cohen’s κ bei einem n von < 50 nicht empfohlen (Wirtz & Caspar, 2002). Für die dreistufigen globalen Ratings (Erste Äußerung, Wärme, Beziehung, Negativer Fokus, Positiver Fokus, siehe 3.2) sowie für die Anzahl der kritischen und positiven Kommentare wird das Ordinalskalenniveau angenommen. Geeignete Reliabilitätsmaße für ordinalskalierte Daten sind die Rangkorrelationskoeffizienten Spearman’s ρ und Kendall’s τ. Bei Stichproben von n < 30 empfehlen Wirtz und Caspar (2002) aufgrund von möglichen Rangbindungen die Anwendung von Kendall’s τ. Der Koeffizient kann (wie Cohen’s κ) Werte zwischen -1 und +1 annehmen. Es soll Kendall’s τb verwendet werden, welches Rangbindungen berücksichtigt und für quadratische Kreuztabellen, d.h. bei gleicher Kategorienzahl, geeignet ist. Kendall's τb = wobei nc − nd nc + !nd + tx ! nc + !nd! + !ty nc = Anzahl der konkordanten Paare nd = Anzahl der diskordanten Paare tx = Anzahl der Bindungen (ties) in Bezug auf die Variable X (bzw. hier Rating 1) ty = Anzahl der Bindungen (ties) in Bezug auf die Variable Y (bzw. hier Rating 2) Bei der Interpretation ist zu beachten, dass Kendall’s τ systematisch kleiner ausfällt als Spearman’s ρ. Die Signifikanzprüfung erfolgt näherungsweise anhand der z-Statistik. Zur besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Publikationen, insbesondere mit Daley et al. (2003), soll neben Kendall’s τ auch Cohen’s κ bzw. Spearman’s ρ angegeben werden. Für intervallskalierte Variablen eignet sich unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Wirtz & Caspar, 2002) der Koeffizient der Intraklassenkorrela32 Methodik tion (engl. Intraclass Correlation, ICC), dessen Berechnung dem Prinzip der Varianzanalyse folgt. Für den im Rahmen dieser Arbeit neu entwickelten Expressed Emotion-Score (siehe 3.2.1) wird Intervallskalenniveau angenommen. Da die Varianz, die auf Unterschiede in der Mittelwertetendenz der Rater zurückzuführen ist, hier als Fehler betrachtet werden soll, wird die sogenannte unjustierte Intraklassenkorrelation ICCunjust. verwendet, welche im Vergleich zur sogenannten justierten Intraklassenkorrelation ICCjust. die strengere Prüfung darstellt. Das Modell ist two-way mixed, d.h. die Rater wurden nicht zufällig aus einer größeren Stichprobe von Ratern ausgewählt und alle (d.h. beide) Rater beurteilen dieselben Fälle. ICC! = ! wobei MSzw – !MSerr MSzw + (! − 1)MSerr k = Anzahl der Rater MSzw = Mittlere Quadratsumme / Varianz zwischen den Fällen MSerr = Mittlere Quadratsumme / Fehlervarianz ICC-Werte von > .70 werden nach Greve und Wentura (1997) als Indikator für eine gute Reliabilität betrachtet. Die Signifikanzprüfung erfolgt anhand der F-Statistik. 2.4.2 Statistische Prüfung der Zusammenhangshypothesen Zur Prüfung der postulierten bivariaten Zusammenhänge wird die ProduktMoment-Korrelation Pearson r berechnet, ein parametrisches Verfahren für intervallskalierte Variablen. Pearson r kann Werte zwischen -1 (negativer Zusammenhang) und +1 (positiver Zusammenhang) annehmen. Die Interpretation von r im Sinne eines Effektstärkemaßes orientiert sich an Cohen (1988). Demnach spricht ein Wert von .1 für einen kleinen Effekt, von .3 für einen mittleren, und von .5 für einen großen Effekt. Das Quadrieren von r liefert ein anschauliches Maß für die Varianzaufklärung. Die Signifikanzprüfung erfolgt anhand der t-Statistik. Multivariate Zusammenhänge sollen mittels multipler linearer Regressionsanalysen (für intervallskalierte Prädiktor- und Kriteriumsvariablen) und binärer logistischer Regressionsanalysen (für dichotome Kriteriumsvariab33 Methodik len) untersucht werden. Bei der multiplen linearen Regression erfolgt die Signifikanzprüfung des Gesamtmodells anhand der F-Statistik. Der Beitrag der einzelnen Prädiktoren kann mithilfe des partiellen Korrelationskoeffizienten rpartiell als Effektstärkemaße analog zu r quantifiziert werden. Die Signifikanzprüfung für die jeweiligen Prädiktoren erfolgt anhand der tStatistik. Bei der binären logistischen Regression wird mittels χ2-Test geprüft, ob die Prädiktoren gemeinsam einen signifikanten Zuwachs gegenüber der Nullhypothese (Konstante) bei der Modellanpassung liefern. Die Effektgröße odds ratio quantifiziert den Einfluss der einzelnen Prädiktoren. Die Signifikanzprüfung erfolgt hierbei anhand der WaldStatistik. 2.4.3 Statistische Prüfung der Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte Mittels χ2-Test soll der Anteil von Fällen mit High Expressed Emotion in der Interventionsgruppe mit dem Anteil in der Kontrollgruppe verglichen werden. Darüber hinaus sollen als parametrische Verfahren für die Prüfung der Outcome-Hypothesen (Expressed Emotion-Score bezüglich und der intervallskalierten DASS-Skalen) Zeiteffekte Variablen (Cohen’s d) innerhalb der Gruppen berechnet und Kovarianzanalysen durchgeführt werden. Die Kovarianzanalyse verbindet Varianzanalyse und Regression in einem linearen Modell und bestimmt den Einfluss einer unabhängigen Variablen (hier: Interventionsbedingung) auf eine abhängige Variable (hier: Skalenwerte der jeweiligen Outcome-Maße) unter Berücksichtigung des potentiellen Einflusses einer Kovariate (hier: Skalenmittelwerte bei Interventionsbeginn). Die Varianz der Kovariate wird aus der Gleichung mit unabhängiger und abhängiger Variable herauspartialisiert. Dadurch soll verhindert werden, dass Gruppeneffekte durch potentielle Unterschiede der beiden Gruppen bei Interventionsbeginn zustande kommen. Die Signifikanzprüfung erfolgt anhand der F-Statistik. Als Effektstärkemaß für die Mittelwertunterschiede wird Hedges g berechnet (Hartung, Knapp & Sinha, 2008), welches die sogenannte gepoolte Standardabweichung im Nenner verwendet. Die Mittelwertdifferenz im Zähler wird hier jedoch nicht mit den 34 Methodik beobachteten, sondern mit den mithilfe der Kovariate geschätzten Gruppenmittelwerten gebildet. !"#$"%!!! = ! mit wobei M1 − M2 SDgepoolt n1!! ×SD12! n2!! ×SD22 SDgepoolt = ! n1 !!n2 !! Mi = Gruppenmittelwert (hier: geschätzt aus Kovarianzanalyse) SDi = Standardabweichung (hier: SD Prä) ni = Anzahl der Fälle Für die Interpretation der Effektstärke werden die Empfehlungen von Cohen (1988) herangezogen, denen zufolge bei .2 von einem kleinen Effekt, bei .5 von einem mittleren und bei .8 von einem großen Effekt gesprochen werden kann. 2.4.4 Statistische Prüfung der Mediatorhypothesen Nach MacKinnon (2008) müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein, um von einem Mediatoreffekt, d.h. von einem indirekten Effekt des Prädiktors, sprechen zu können: a) Der Prädiktor muss signifikant mit dem Mediator korrelieren (direkter Effekt a). b) Der Prädiktor korreliert i.d.R. signifikant mit der abhängigen Variable (totaler Effekt). c) Der Mediator muss signifikant mit der abhängigen Variable korrelieren (direkter Effekt b). d) Der indirekte Effekt des Prädiktors auf die abhängige Variable (direkter Effekt a x direkter Effekt b) muss signifikant von Null abweichen. Bedingungen a) bis c) sollen mittels linearer Regressionsanalysen schrittweise bezüglich der entsprechenden Variablen überprüft werden. Die Signifikanzprüfung des indirekten Effekts (Bedingung d) soll nach Empfehlungen von MacKinnon & Dwyer (1993) mittels des sogenannten Sobel-Tests erfolgen (Sobel, 1982). 35 Ergebnisse 3 Ergebnisse Im Folgenden soll zunächst die Stichprobe charakterisiert und die Ergebnisse bezüglich der Weiterentwicklung und psychometrischen Überprüfung der Five Minute Speech Sample dargestellt werden. Anschließend werden die Zusammenhänge der untersuchten Konstrukte vor Interventionsbeginn und schließlich die Interventionseffekte beschrieben. 3.1 Beschreibung der Stichprobe 3.1.1 Ein- und Ausschlüsse Insgesamt wurden 101 Patienten in die Studie eingeschlossen. Der Ein- und Ausschluss von Teilnehmern ist in Abbildung 3-1 dargestellt. Abbildung 3-1 Ein- und Ausschlüsse von Teilnehmern sowie Fallzahlen bei der Abschlussmessung 36 Ergebnisse Zehn Patienten bzw. deren Eltern stimmten einer randomisierten Zuweisung zur Interventionsbedingung nicht zu. Diese wurden dennoch in die Studie aufgenommen und in der THAV-Bedingung behandelt, jedoch aus den Wirksamkeitsanalysen im Kontrollgruppenvergleich ausgeschlossen. Daher ergibt sich für die Wirksamkeitsanalysen eine Stichprobengröße von n=91. In acht Fällen wurde die Behandlung, abweichend von der im Studiendesign vorgesehenen Anzahl an Sitzungen (vgl. 2.1.2), vorzeitig beendet. Gründe hierfür waren vor allem mangelnde Therapiemotivation bzw. ein als zu hoch empfundener Aufwand, aber auch eine Remission der Symptomatik oder Unzufriedenheit mit dem Behandlungsangebot. Für diese Fälle liegen Abschlussmessungen vor; es handelt sich nicht um Studienabbrüche, sondern um eine post hoc individuell angepasste Sitzungszahl. In fünf Fällen liegt jedoch aufgrund von Behandlungs- bzw. Studienabbrüchen keine Abschlussmessung vor. In einem weiteren Fall fehlt die Abschlussmessung nach planmäßig durchlaufener Intervention aus organisatorischen Gründen. 3.1.2 Anzahl der ausgewerteten Patienten und Umgang mit Missings Die vor Interventionsbeginn erhobene Five Minute Speech Sample liegt in 93 von insgesamt 101 Fällen vor. Die Gründe für das Fehlen von acht FMSS waren vorwiegend technische Probleme (z.B. nicht funktionierende Mikrofone); in einem Fall wurde die Aufnahme aus sozialphobischen Gründen verweigert. Für den Messzeitpunkt bei Interventionsende liegen insgesamt 90 FMSS bzw. von den randomisierten Fällen 81 FMSS vor. Elf bzw. zehn FMSS fehlen aufgrund von Behandlungsabbrüchen, Verweigerung der Aufnahme oder aus organisatorischen Gründen (z.B. Wohnort- und Bezugspersonenwechsel). In wenigen Fällen wurde von der standardisierten Instruktion leicht abgewichen, z.B. indem bei einer Pause im Redefluss nochmals explizit nach der Beziehung gefragt wurde, anstatt manualgetreu 30 Sekunden verstreichen zu lassen bevor die allgemeine Instruktion wiederholt wird. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass dies keinen bedeutsamen Einfluss auf das Ausmaß an Expressed Emotion hatte (vgl. Sandberg, Rutter & Järvi, 2003), sodass diese FMSS dennoch in die Analysen einbezogen wurden. 37 Ergebnisse Die Fragebögen wurden von den Patienten bzw. von deren Eltern in der Regel vor Ort ausgefüllt, sodass hier Missings weitgehend verhindert werden konnten. Wenn bei Vorliegen des entsprechenden Fragebogens weniger als 10 % der Items einer Skala fehlten, so wurden fehlende Itemwerte durch „0“ ersetzt. Bei mehr als 10 % Missings sollte der Skalenmittelwert für den entsprechenden Fall nicht berechnet und aus den Analysen ausgeschlossen werden; dies war jedoch in keinem Fall erforderlich. Bei der Analyse der Interventionseffekte handelt es sich um sogenannte Intention to Treat-Analysen, d.h. es wurden neben den Completers auch die Abbrecher in die Analysen aufgenommen. Es wurde die sogenannte Last (bzw. Baseline) Observation Carried Forward-Methode (LOCF) zur Missingsersetzung eingesetzt. Dabei werden bei Interventionsende fehlende Messungen durch die letzten verfügbaren Messwerte, d.h. bei den hier untersuchten Variablen durch die Baseline-Werte, ersetzt. Das LOCFVerfahren kam auch in den Fällen zum Einsatz, bei denen zwar die Intervention planmäßig beendet wurde, aber aus anderen Gründen keine Messwerte vorliegen (Missing at Random). Eine Übersicht der jeweiligen Fallzahlen findet sich in Tabelle 3-1. Um die Interpretation der Ergebnisse zu erleichtern, wurden aus der Analyse der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Konstrukten diejenigen Fälle ausgeschlossen, in denen die Beurteiler der jeweiligen Messinstrumente (Fragebögen, FMSS) nicht übereinstimmten. Auch bei den Outcome- und Mediatoranalysen wurden diejenigen Fälle ausgeschlossen, bei denen die Beurteiler zu den beiden Messzeitpunkten nicht übereinstimmten. Die entsprechend leicht voneinander abweichenden Stichprobengrößen sind zusammen mit den Ergebnissen (siehe 3.3 – 3.4) in den jeweiligen Tabellen angegeben. 38 Ergebnisse Tabelle 3-1 Fallzahlen für die verwendeten Messinstrumente Gesamtstichprobe (n=101) nur randomisierte Fälle (n=91) Post Post Prä (per (LOCF) protocol) Prä Post (per protocol) FMSS 93 90 84 81 89 DASS 101 93 91 83 91 ICU 101 93 91 83 91 FBB-SSV 101 93 91 83 91 CBCL 101 93 91 83 91 FMSS: Five Minute Speech Sample; DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens; CBCL: Child Behavior Checklist; ICU: Inventory of CallousUnemotional Traits 3.1.3 Patientencharakteristika zu Studienbeginn Die Patienten waren im Mittel 8,78 Jahre alt (SD=1,863); der Median lag bei 9 Jahren und der Range bei 6-12 Jahren. Die Verteilung der ICD-10Diagnosen kann der Abbildung 3-2 entnommen werden. Die meisten Patienten (77%) erfüllten die Kriterien einer Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten (ICD-10: F 91.3). Abbildung 3-2 Verteilung der ICD-10-Diagnosen in der Gesamtstichprobe (n=101) Die klinischen Charakteristika der Stichprobe vor Interventionsbeginn sind in Tabelle 3-2 aufgeführt. Anhand der Normwerte des FBB-SSV lässt sich die Stichprobe als hoch auffällig beschreiben (Oppositionelles Verhalten: Stanine 8-9; Dissoziales Verhalten: Stanine 8-9; Gesamt: Stanine 8-9). 39 Ergebnisse Die Bezugsperson, für die eine Five Minute Speech Sample vorliegt, war in 86% der Fälle die Mutter, in 13% der Fälle der Vater und in einem Fall (1%) die Großmutter, welche die primäre Bezugsperson des Kindes war. Tabelle 3-2 Klinische Charakteristika der Gesamtstichprobe vor Interventionsbeginn (Mittelwerte und Standardabweichung) M SD 1,058 0,411 Gesamt 1,692 0,455 Depression 1,575 0,585 Angst 1,392 0,398 Stress 2,109 0,528 Callousness / Lack of Guilt or Remorse 1,353 0,426 Unconcerned about Performance 1,192 0,556 Unemotional 1,215 0,681 Gesamt 0,998 0,300 Oppositionelles Verhalten 1,974 0,402 Dissoziales Verhalten 0,422 0,283 Gesamt 0,458 0,160 Externalisierendes Verhalten 0,774 0,262 Internalisierendes Verhalten 0,362 0,216 Aggressives Verhalten 1,031 0,322 Dissoziales Verhalten 0,379 0,227 Sozialer Rückzug 0,403 0,283 Körperliche Beschwerden 0,171 0,192 Ängstlich / Depressiv 0,472 0,310 Aufmerksamkeitsprobleme 0,623 0,281 FMSS Expressed Emotion-Score (n=93) DASS (n=101) ICU (n=101) FBB-SSV (n=101) CBCL (n=101) FMSS: Five Minute Speech Sample; DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens; CBCL: Child Behavior Checklist; ICU: Inventory of CallousUnemotional Traits 3.2 Weiterentwicklung der Five Minute Speech Sample Auf der Grundlage der FMSS-Kodierung nach Daley et al. (2003) wurde die Auswertung der FMSS durch zwei weitere Items bzw. Ratingskalen ergänzt 40 Ergebnisse sowie in Ergänzung zur dichotomen Expressed Emotion-Variable ein dimensionaler Composite Score für das Ausmaß an Expressed Emotion gebildet. Anstoß für die Entwicklung zweier neuer Ratingskalen war die Beobachtung, dass die Anzahl der kritischen Kommentare oftmals sehr gering ausfiel bzw. eine kritische Haltung der Eltern nicht angemessen wiederspiegelte. Dies liegt vor allem an einer Kodierungsregel, nach der auch das wiederholte Äußern von Kritik sowie das Aufzählen von Beispielen als nur ein Kritischer Kommentar gewertet werden, sofern es sich inhaltlich um dieselbe kritisierte Eigenschaft handelt. So kann es beispielsweise vorkommen, dass eine Bezugsperson fast während der ganzen Sprechprobe über das aggressive Verhalten des Kindes spricht und dabei diverse Beispielsituationen schildert, aber dennoch nur ein Kritischer Kommentar geratet wird. Erwähnt diese Bezugsperson aber kurz zwei positive Eigenschaften des Kindes, z.B. „Er ist sehr intelligent und auch charmant“, ohne dies jedoch weiter auszuführen, so hat sie mehr Positive als Kritische Kommentare und es kann aufgrund dieses Verhältnisses kein High Expressed Emotion geratet werden, selbst wenn zusätzlich ein negatives globales Rating vorliegt, z.B. Negative Beziehungsqualität. Aus diesem Grund wurden zwei neue Ratingskalen entwickelt: Positiver Fokus und Negativer Fokus. Dabei wird der Anteil positiver bzw. negativer (auf das Kind bezogener) Schilderungen an der Gesamtsprechzeit geschätzt. Das Antwortformat ist in Anlehnung an die anderen globalen Ratingskalen jeweils dreistufig (niedrig, mäßig, hoch). Es ergaben sich zufriedenstellende Werte für die Inter-Rater-Reliabilität der beiden Ratingskalen (siehe 3.2.2). 3.2.1 Expressed Emotion-Score Da eine Ergänzung des dichotomen durch ein dimensionales Maß für Expressed Emotion sinnvoll erschien (vgl. Lenior, Dingemans & Linszen, 1997; Lenior, Linszen & Dingemans, 1998; Stubbe, Zahner, Goldstein & Leckman, 1993), und darüber hinaus die o.g. konservativen Kodierungsregeln zu einem für eine klinische Stichprobe überraschend geringen Anteil (18 %) von High Expressed Emotion führten, wurden die einzelnen Ratingskalen 41 Ergebnisse der FMSS zu einem Expressed Emotion-Score aggregiert, der Werte zwischen 0 und 2 annehmen kann. Hierzu wurde zunächst die Anzahl Kritischer und Positiver Kommentare jeweils anhand der Stichprobenverteilung trichotomisiert, um sie in das dreistufige Antwortformat der globalen Ratingskalen zu überführen. Die Anzahl Positiver Kommentare, die Qualität der Ersten Äußerung, das Ausmaß an Wärme und die Beziehungsqualität wurden umgepolt, sodass höhere Werte des aggregierten Scores ein höheres Ausmaß an Expressed Emotion bedeuten. Neben diesem aus fünf Ratingskalen bzw. Items aggregierten Score wurde ein Score gebildet, in den zusätzlich die beiden neu entwickelten Items Positiver Fokus (umgepolt) und Negativer Fokus einfließen. Für den Fünf Items umfassenden Score ergab sich eine Korrelation mit der dichotomen Expressed Emotion-Variablen von r=.685 (p < .01, n=93) und eine interne Konsistenz von Cronbach’s α=.62 (n=93); für den sieben Items umfassenden Score ergab sich eine geringfügig niedrigere Korrelation von r=.633 (p < .01, n=93) und ein deutlich höheres Cronbach’s α von .74 (n=93). In beiden Fällen führte das Eliminieren einzelner Items nicht zu einer Verbesserung der internen Konsistenz (siehe Tabelle 3-3 & Tabelle 3-4). Auf Grundlage von Cronbach’s α wurde der Score ausgewählt, der neben den fünf ursprünglichen Ratingskalen auch die beiden neuen Items enthält. Der Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest erbrachte ein nicht signifikantes Ergebnis (Z=1.045, p=.225), sodass von einer annähernden Normalverteilung des Expressed Emotion-Scores ausgegangen werden kann. Tabelle 3-3 Expressed Emotion-Score (5 Items): Skalenmittelwerte und –varianzen, korrigierte ItemSkalen-Korrelationen und Cronbach’s α, wenn Item weggelassen (n=93) Skalenmittelwert Skalenvarianz Item-SkalaKorrelation Cronbach’s α Erste Äußerung 3,935 3,170 .366 .569 Wärme 4,097 2,806 .485 .507 Beziehungsqualität 3,925 3,201 .359 .572 4,075 2,788 .362 .568 3,538 2,556 .338 .598 FMSS Kritische Kommentare Positive Kommentare 42 Ergebnisse Tabelle 3-4 Expressed Emotion-Score (7 Items): Skalenmittelwerte und –varianzen, korrigierte ItemSkalen-Korrelationen und Cronbach’s α, wenn Item weggelassen (n=93) Skalenmittelwert Skalenvarianz Item-SkalaKorrelation Cronbach’s α Erste Äußerung 6,451 6,859 .406 .720 Wärme 6,612 6,588 .428 .714 Beziehungsqualität 6,440 6,967 .375 .725 6,591 6,244 .431 .714 6,053 5,660 .486 .704 Negativer Fokus 6,118 6,258 .466 .705 Positiver Fokus 6,182 5,781 .601 .672 FMSS Kritische Kommentare Positive Kommentare 3.2.2 Inter-Rater-Reliabilität Um die Objektivität der FMSS-Ratings zu überprüfen, wurde anhand einer Zufallsstichprobe von n=20 der vor Interventionsbeginn erhobenen Sprechproben die Übereinstimmung mit einem externen Rater bestimmt. Die Randomisierung erfolgte über random.org (Haahr, 2006). Im ersten Schritt wurde anhand von n=15 Sprechproben orientierend die Übereinstimmung geprüft. Dabei ergab sich ein inakzeptabler Reliabilitätskoeffizient für die globale Ratingskala Wärme (Kendall’s τ=.043). Aus diesem Grund wurden die Kodierrichtlinien diesbezüglich spezifiziert und die Sprechproben für diese Skala neu geratet. Die Zufallsstichprobe wurde auf n=20 erhöht und die endgültige Beurteilerübereinstimmung berechnet. Die prozentuale Übereinstimmung bei der dichotomen Beurteilung von Expressed Emotion beträgt 90%, das zufallsbereinigte Übereinstimmungsmaß liegt mit einem Cohen’s κ-Wert von .688 nach Landis & Koch (1977) und Suen & Ary (1989) im substantiellen Bereich. Zur Beurteilung der Reliabilität des Expressed Emotion-Scores wird die unjustierte Intraklassenkorrelation herangezogen (siehe 2.4.1); der Wert von .894 spricht nach Greve & Wentura (1997) für eine gute Reliabilität. Insgesamt ergeben sich bezüglich der einzelnen Ratingskalen akzeptable bis gute Werte für Kendall’s τ (siehe Tabelle 3-5). Die beiden Rater unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Mittelwerte des Expressed-Emotion-Scores (siehe Tabelle 3-6). 43 Ergebnisse Tabelle 3-5 Inter-Rater-Reliabilität für FMSS (n=20) Cohen’s κ Expressed Emotion High/Low Kendall’s τ Spearman ρ ICC unjust. .688 Expressed Emotion-Score .763 .866 .894 Erste Äußerung .741 .797 .822 .831 Wärme .543 .656 .685 .678 Beziehungsqualität .630 .698 .707 .678 Kritische Kommentare .716 .815 .820 Positive Kommentare .781 .842 .891 Negativer Fokus .667 .800 .831 .787 Positiver Fokus .528 .706 .743 .722 Tabelle 3-6 Mittelwertevergleich des Expressed Emotion-Scores (Prä) für beide Rater (n=20) Rater 1 2 M 1,064 1,086 SD 0,523 0,426 t df p 0,429 19 .673 3.3 Ergebnisse bezüglich der Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik von Eltern und Kind Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf Analysen der Stichprobe vor Interventionsbeginn. Von 93 der 101 Teilnehmer liegen für diesen Messzeitpunkt FMSS-Aufzeichnungen vor. Insgesamt ergibt sich in 17 von 93 bzw. in 18,3% der Fälle ein Rating von High Expressed Emotion. Die Altersgruppen der sechs- bis zehn- (n=71) und elf- bis zwölfjährigen Kinder (n=22) unterscheiden sich dabei nicht hinsichtlich des Expressed Emotion-Status (χ2 df=1=.382, p=.537) oder des Expressed Emotion-Scores ihrer Eltern (Tdf=91=.168, p=.867). 3.3.1 Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und internalisierender Symptomatik der Eltern Entgegen der Hypothese konnten keine nennenswerten Korrelationen zwischen Expressed Emotion und Depression, Angst oder Stresserleben der Eltern gefunden werden (siehe Tabelle 3-7). Daher muss auch die Hypothese bezüglich Expressed Emotion als Mediator zwischen Depression der Bezugsperson und aggressiver Symptomatik des Kindes verworfen werden. 44 Ergebnisse Tabelle 3-7 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit internalisierender Symptomatik und Stresserleben der Eltern (n=89) FMSS Expressed Emotion DASS High / Low Score Gesamt .080 .030 Depression .073 .081 Angst .043 .044 Stress .090 -.043 DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala 3.3.2 Bivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie Callous-Unemotional Traits des Kindes Es zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang des Expressed Emotion-Status der Bezugsperson mit dem dissozialen Verhalten des Kindes, sowohl gemessen mit dem FBB-SSV als auch mit der CBCL (siehe Tabelle 3-8 und Tabelle 3-9). Für den Expressed Emotion-Score liegt nur bezüglich des FBBSSV ein signifikanter Zusammenhang vor. Die Stärke des Zusammenhangs liegt mit r=.241 (FBB-SSV) bzw. r=.230 (CBCL) für das dichotome Expressed Emotion-Maß im mittleren, mit r=.184 (FBB-SSV) für den Expressed Emotion-Score im kleinen bis mittleren Bereich. Die Varianzaufklärung ist eher gering – beispielsweise 5,8% für den Zusammenhang von Expressed Emotion-Status und dissozialem Verhalten gemessen mit dem FBB-SSV. Weitere signifikante Korrelationen fanden sich für den Zusammenhang von Expressed Emotion-Status der Bezugsperson und aggressivem Verhalten sowie Aufmerksamkeitsproblemen des Kindes (CBCL); beide Korrelationen liegen im kleinen bis mittleren Bereich. Ein Zusammenhang von Expressed Emotion mit dem oppositionellen Verhalten (FBB-SSV) oder der internalisierenden Symptomatik des Kindes (CBCL) konnte nicht gefunden werden. Die Ergebnisse stützen die Hypothese, dass Expressed Emotion signifikant mit der aggressiven Symptomatik des Kindes zusammenhängt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass zwischen verschiedenen Symptomgruppen innerhalb der aggressiven Symptomatik differenziert 45 Ergebnisse werden muss: Der konstatierte Zusammenhang fand sich für aggressivdissoziales, aber nicht für oppositionelles Verhalten. Tabelle 3-8 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit oppositionellem und dissozialem Verhalten (FBB-SSV; n=92) Expressed Emotion FBB-SSV High / Low Score Gesamt .218* .170 Oppositionelles Verhalten .099 .043 Dissoziales Verhalten .241* .184* FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens * p < .05 Tabelle 3-9 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit externalisierenden und internalisierenden Verhaltensproblemen sowie mit Aufmerksamkeitsproblemen der Kinder (CBCL; n=88) Expressed Emotion CBCL High / Low Score Gesamt .164 .074 External .230* .108 Aggressives Verhalten .204* .100 Dissoziales Verhalten .230* .098 Internal -.066 -.014 Sozialer Rückzug -.010 .012 Körperliche Beschwerden -.067 -.052 Ängstlich / Depressiv -.065 -.016 Aufmerksamkeitsprobleme .213* .011 CBCL: Child Behavior Checklist * p < .05 Im Hinblick auf die Callous-Unemotional Traits des Kindes ergaben sich signifikante Korrelationen für die Skalen Callousness / Lack of Guilt or Remorse und Unconcerned about Performance, jedoch keine nennenswerten Korrelationen für die Skala Unemotional (siehe Tabelle 3-10). Dies gilt sowohl für den Expressed Emotion-Status als auch für den Expressed Emotion-Score. Mit r=.441 ergibt sich insbesondere für den Zusammenhang von Expressed Emotion-Score und Callousness / Lack of Guilt or Remorse eine relativ hohe Korrelation; sie entspricht einer Varianzaufklärung von 19,4%. 46 Ergebnisse Die Hypothese bezüglich des Zusammenhangs von Expressed Emotion und Callous-Unemotional Traits kann folglich zum Teil bestätigt werden. Auch hier muss zwischen verschiedenen Teilaspekten der CU-Traits unterschieden werden. Tabelle 3-10 Korrelationen (Pearson r) von Expressed Emotion mit Callous-Unemotional Traits (ICU; n=89) Expressed Emotion ICU High / Low Score Callousness / Lack of Guilt or Remorse .240* .441** Unconcerned about Performance .245* .212* Unemotional -.018 .105 ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits ** p < .01 3.3.3 Bivariate Zusammenhänge zwischen internalisierender Symptomatik der Eltern, Symptomatik des Kindes und Callous-Unemotional Traits des Kindes Bei Betrachtung der Zusammenhänge von internalisierender Symptomatik der Eltern mit psychopathologischen Merkmalen des Kindes ergibt sich bezüglich der aggressiven Symptomatik des Kindes ein ähnliches Bild wie bei Expressed Emotion: Es zeigen sich für Depression, Angst und Stresserleben der Eltern vor allem Zusammenhänge mit dem dissozialen Verhalten des Kindes (gemessen mit dem FBB-SSV). Mit oppositionellem Verhalten hängt hingegen nur die Angstsymptomatik der Eltern zusammen (siehe Tabelle 3-11). Das Stresserleben der Eltern korreliert darüber hinaus mit dem aggressiven Verhalten des Kindes (gemessen mit der CBCL; siehe Tabelle 3-12). Die Korrelationen liegen im mittleren Bereich. 47 Ergebnisse Tabelle 3-11 Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der Eltern (DASS) mit oppositionellem und dissozialem Verhalten der Kinder (FBB-SSV; n=99) FBB-SSV (n=99) DASS Gesamt Depression Angst Stress Gesamt .212* .154 .239** .198* Oppositionelles Verhalten .153 .105 .205* .128 .235** .199* .222* .221* Dissoziales Verhalten DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens * p < .05 ** p < .01 Ein deutlicherer Zusammenhang zeigt sich jedoch erwartungsgemäß zwischen der internalisierenden Symptomatik der Eltern und der internalisierenden Symptomatik des Kindes (siehe Tabelle 3-12), mit Ausnahme der Skala körperliche Beschwerden (CBCL). Die Korrelationen liegen im mittleren bis hohen Bereich. Darüber hinaus fanden sich signifikante Korrelationen der DASS-Skalen mit Aufmerksamkeitsproblemen des Kindes (CBCL); diese liegen ebenfalls im mittleren bis hohen Bereich. Tabelle 3-12 Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der Eltern (DASS) mit externalisierenden und internalisierenden Verhaltensproblemen sowie mit Aufmerksamkeitsproblemen der Kinder (CBCL; n=92) CBCL DASS Gesamt Depression Angst Stress Gesamt .328** .259** .333** .316** External .193* .159 .161 .201* Aggressives Verhalten .176* .137 .141 .196* Dissoziales Verhalten .177* .165 .161 .154 Internal .295** .215* .342** .275** Sozialer Rückzug .329** .277** .372** .273** .114 .111 .121 .082 Ängstlich / Depressiv .279** .184* .320** .285** Aufmerksamkeitsprobleme .334** .339** .297** .265** Körperliche Beschwerden DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; CBCL: Child Behavior Checklist * p < .05 ** p < .01 Im Hinblick auf den Zusammenhang der internalisierenden Symptomatik der Eltern mit den Callous-Unemotional Traits des Kindes zeigt sich genau 48 Ergebnisse das umgekehrte Muster wie beim Zusammenhang Letztgenannter mit Expressed Emotion: Die DASS-Skalen Depression und Angst weisen signifikante Korrelationen mit der ICU-Skala Unemotional auf und nicht mit den Skalen Callousness / Lack of Guilt or Remorse oder Unconcerned about Performance (siehe Tabelle 3-13). Die Korrelationen liegen im mittleren bis hohen Bereich. Für das Stresserleben der Eltern ergeben sich bezüglich der CU-Traits keine nennenswerten Zusammenhänge. Tabelle 3-13 Korrelationen (Pearson r) von internalisierender Symptomatik und Stresserleben der Eltern (DASS) mit Callous-Unemotional Traits der Kinder (ICU; n=101) DASS ICU Callousness / Lack of Guilt or Remorse Unconcerned about Performance Unemotional Gesamt Depression Angst Stress .104 .092 .097 .094 .118 .137 .089 .085 .235** .302** .226* .103 DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala; ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits * p < .05 ** p < .01 Die ICU-Skala Callousness / Lack of Guilt or Remorse korreliert ferner signifikant mit dem oppositionellen und dissozialen Verhalten des Kindes (gemessen mit dem FBB-SSV; siehe Tabelle 3-14). Für Unconcerned about Performance und Unemotional ergeben sich hingegen keine bedeutsamen Korrelationen mit dissozialem oder oppositionellem Verhalten. In Bezug auf die Hypothese kann also auch hier von einer partiellen Bestätigung gesprochen werden. Tabelle 3-14 Korrelationen (Pearson r) von oppositionellem und dissozialem Verhalten (FBB-SSV) mit Callous-Unemotional Traits der Kinder (ICU; n=99) FBB-SSV ICU Callousness / Lack of Guilt or Remorse Unconcerned about Performance Unemotional Gesamt Opp. Verhalten Diss. Verhalten .267** .182* .244** -.003 .037 -.009 .069 .117 .063 ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens; * p < .05 49 Ergebnisse 3.3.4 Multivariate Zusammenhänge zwischen Expressed Emotion und Symptomatik sowie Callous-Unemotional Traits des Kindes Wie die Ergebnisse der bivariaten Zusammenhang-Analysen zeigen, korrelieren die psychopathologischen Merkmale der Kinder nicht nur mit Expressed Emotion, sondern auch untereinander. Um die Zusammenhangmaße von dem Einfluss der korrelierenden Variablen zu bereinigen, werden multiple bzw. logistische Regressionsanalysen mit Expressed Emotion als Kriteriumsvariable durchgeführt. Als Prädiktorvariablen werden diejenigen Skalen des FBB-SSV und des ICU eingegeben, die signifikante bivariate Korrelationen mit Expressed Emotion aufweisen. Dabei zeigt sich, dass der Zusammenhang von Expressed Emotion mit dissozialem Verhalten nicht mehr signifikant ist, wenn man die Kovarianz mit den CU-Traits berücksichtigt. Zieht man als Kriterium den Expressed Emotion-Score heran, so bleibt nur die Skala Callousness / Lack of Guilt or Remorse als signifikanter Prädiktor erhalten (siehe Tabelle 3-15). Die gesamte Varianzaufklärung durch alle drei Prädiktoren beträgt 21,3%. Ist das Kriterium der Expressed-Emotion-Status der Eltern, bleibt nur die Korrelation mit der Skala Unconcerned about Performance signifikant; Callousness / Lack of Guilt or Remorse verfehlt knapp die Signifikanz (siehe Tabelle 3-16). Die gesamte Varianzaufklärung durch alle Prädiktoren beträgt hierbei 18,5%. Tabelle 3-15 Ergebnisse der Multiplen Regression mit dem Expressed Emotion-Score als Kriterium (n=88) Prädiktoren ICU Callousness / Lack of Guilt or Remorse ICU Unconcerned about Performance FBB-SSV Dissoziales Verhalten ßstandardisiert t p1-seitig r rpartiell .398 3,922 .000 .441 .393 .114 1,147 .127 .209 .124 .086 0,876 .192 .165 .095 ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens 50 Ergebnisse Tabelle 3-16 Ergebnisse der Logistischen Regression mit Expressed Emotion High/Low als Kriterium (n=88) Prädiktoren ICU Callousness / Lack of Guilt or Remorse ICU Unconcerned about Performance FBB-SSV Dissoziales Verhalten B SE Wald df p1-seitig odds ratio 1,128 0,708 2,542 1 .055 3,090 1,095 0,567 3,734 1 .027 2,990 1,418 1,031 1,885 1 .085 4,128 ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits; FBB-SSV: Fremdbeurteilungsbogen Störung des Sozialverhaltens 3.4 Ergebnisse bezüglich der Interventionseffekte Zur besseren Einordnung der Ergebnisse der Outcome-Analysen soll an dieser Stelle zunächst berichtet werden, dass vor Interventionsbeginn keine Unterschiede zwischen den Patienten der beiden Interventionsbedingungen hinsichtlich der Zielvariablen Expressed Emotion-Score (tdf=91=0,898, p=.371), Expressed Emotion-Status (χ2df=1=.139, p=.709) sowie Depression (tdf=99=1,239, p=.218), Angst (tdf=99=1,281, p=.205) und Stresserleben (tdf=99=0,423, p=.673) vorlagen. 3.4.1 Effekte der Intervention auf Expressed Emotion In der THAV-Bedingung liegt bei Interventionsende in 11 von 54 bzw. in 20,4% der Fälle High Expressed Emotion vor, in der Kontrollbedingung in 6 von 36 bzw. in 16,7% der Fälle. Hierbei sind alle tatsächlich vorliegenden FMSS einbezogen (n=90; per protocol), einschließlich der nicht randomisierten Patienten. Bei einer Betrachtung des Expressed Emotion-Status auf FallEbene zeigt sich, dass 6 der 17 Bezugspersonen mit High Expressed Emotion bei Studienbeginn nach der Intervention denselben Expressed-EmotionStatus aufweisen. Bei der Intention to Treat-Analyse der randomisierten Fälle mit LOCFMissingersetzung (n=89; siehe 3.1.2) ergibt sich für die THAV-Bedingung ein Anteil von 18,8%, für die Kontrollbedingung von 17,1% High Expressed 51 Ergebnisse Emotion. Ein Gruppenvergleich mittels χ 2-Test ergab ein nicht signifikantes Ergebnis (χ2df=1= .042, p=.837). Bei Interventionsende unterscheiden sich die Patienten der beiden Interventionsbedingungen also nicht hinsichtlich des Anteils an High Expressed Emotion. Ein anderes Bild ergibt sich bei Betrachtung des Expressed Emotion-Scores (siehe Tabelle 3-17). Hierbei reduziert sich die Stichprobengröße um drei Fälle, bei denen die Bezugspersonen zu den beiden Messzeitpunkten nicht übereinstimmen. In der Kontrollbedingung zeigt sich kein Zeiteffekt (Cohen’s d=0,09), wohingegen in der THAV-Bedingung ein großer Zeiteffekt vorliegt (Cohen’s d=0,83). Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse, bei der potentielle Mittelwertdifferenzen zwischen den Bedingungen vor Interventionsbeginn als Kovariate berücksichtigt werden, zeigen einen signifikanten mittleren bis großen Interventionseffekt (Hedges g=0,61). Tabelle 3-17 Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) des Expressed Emotion-Scores, Zeiteffekte (d Prä-Post) und Ergebnisse der Kovarianzanalyse ANCOVA Bedingung n THAV 43 Kontrolle 38 Prä (Rater 2) M (SD) 1,120 (0,397) 1,030 (0,406) Post (Rater 1) M (SD) 0,791 (0,499) 0,992 (0,377) d Prä-Post F p Hedges g (adj. Post) 7,165 .009 0,61 0,83 0,09 3.4.2 Effekte der Intervention auf die internalisierende Symptomatik der Eltern Bei der intention to treat-Analyse der randomisierten Fälle mit übereinstimmenden Beurteilern (n=86) ergibt sich bezüglich des Stresserlebens der Eltern in der THAV-Bedingung ein mittlerer bis großer Zeiteffekt (Cohen’s d=0,71), wohingegen in der Kontrollbedingung kein Effekt vorliegt (Cohen’s d=0,04; siehe Tabelle 3-18). Die Ergebnisse der Kovarianzanalyse zeigen einen signifikanten mittleren bis großen Interventionseffekt (Hedges g=0,66) für das Stresserleben der Eltern. Bezüglich Depression und Angst ergeben sich zwar kleine Zeiteffekte in der THAV-Bedingung (Cohen’s d=0,31 bzw. 52 Ergebnisse 0,33), jedoch keine signifikanten Interventionseffekte in der Kovarianzanalyse (Hedges g=0,23 für beide Skalen). Tabelle 3-18 Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) für internalisierende Symptomatik und Stresserleben der Eltern (DASS), Zeiteffekte (d Prä-Post) und Ergebnisse der Kovarianzanalyse ANCOVA DASS Bedingung n THAV 47 Kontrolle 39 THAV 47 Kontrolle 39 THAV 47 Kontrolle 39 THAV 47 Depression Angst Stress Gesamt Kontrolle 39 Prä M (SD) Post M (SD) 1,526 (0,567) 1,619 (0,597) 1,378 (0,317) 1,408 (0,430) 2,138 (0,521) 2,128 (0,520) 1,681 (0,423) 1,719 (0,468) 1,351 (0,430) 1,522 (0,590) 1,275 (0,295) 1,381 (0,428) 1,769 (0,440) 2,110 (0,610) 1,465 (0,348) 1,671 (0,492) d PräPost F p Hedges g (adj. Post) 1,824 .180 0,23 2,112 .150 0,23 12,654 .001 0,66 6,098 0,42 0,31 0,16 0,33 0,06 0,71 0,04 0,51 .016 0,10 DASS: Depressions-Angst-Stress-Skala 3.5 Mediatoreffekte von Expressed Emotion Zur Prüfung eines potentiellen Mediatoreffekts von Expressed Emotion auf die interventionsbedingte Veränderung der Callous-Unemotional Traits (siehe 2.2.3) wurde im ersten Schritt der Einfluss der Interventionsbedingung auf die Prä-Post-Differenz der ICU- bzw. Expressed EmotionSkalenmittelwerte mittels linearer Regressionsanalyse geprüft (siehe Tabelle 3-19). Analog zu den Ergebnissen der Kovarianzanalysen (siehe 2.1.3) zeigt sich ein Einfluss auf die Skalen Callousness /Lack of Guilt or Remorse sowie Unemotional. Für letztere wird dieser Effekt jedoch knapp nicht signifikant. Auch für den Expressed Emotion-Score ergibt sich erwartungsgemäß ein signifikanter Regressionskoeffizient (vgl. 3.4.1). 53 Ergebnisse Tabelle 3-19 Ergebnisse der linearen Regressionsanalysen mit der Interventionsbedingung (THAV vs. Kontrolle) als Prädiktor und der Veränderung (Prä-Post-Differenz) in CallousUnemotional Traits (ICU) und Expressed Emotion-Score als jeweiligem Kriterium (n=81) Kriterium ICU Callousness / Lack of Guilt or Remorse ICU Unconcerned about Performance ICU Unemotional Expressed Emotion Score ßstandardisiert t p1-seitig .235 2,153 .017 .048 0,428 .335 .182 1,645 .052 .307 2,867 .003 ICU: Inventory of Callous-Unemotional Traits Für die Überprüfung der Mediator-Hypothese kommt also nur die Skala Callousness / Lack of Guilt or Remorse als Kriteriumsvariable infrage. Im zweiten Schritt wurde daher eine lineare Regression mit der Veränderung in Expressed Emotion als unabhängiger und der Veränderung in Callousness / Lack of Guilt or Remorse als abhängiger Variable berechnet. Entgegen der Erwartung zeigt sich jedoch kein signifikanter Einfluss der Veränderung in Expressed Emotion auf die Veränderung in Callousness / Lack of Guilt or Remorse (ßstandardisiert=.144, t=1,296, p1-seitig=.099, n=81). Es besteht also kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem angenommenen Mediator und der abhängigen Variable, sodass die Mediatorhypothese verworfen werden muss. 54 Diskussion 4 Diskussion 4.1 Bewertung der Ergebnisse und Einordnung in den Forschungskontext Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Five Minute Speech Sample in dieser Stichprobe von sechs- bis zwölfjährigen Jungen mit einer Störung des Sozialverhaltens als ein praktikables und reliables Messinstrument zur Erfassung von Expressed Emotion (Criticism) bewährt hat. Die Kodierung nach Daley et al. (2003) stellt eine gute Adaptation der Originalversion von Magaña et al. (1986) für das Kindesalter dar. Gleichwohl erschien eine weitere Ergänzung durch die neu entwickelten Rating-Skalen Negativer und Positiver Fokus sowie durch den Expressed Emotion-Score sinnvoll. Die Inter-Rater-Reliabilität für Expressed Emotion High/Low und die einzelnen Rating-Skalen ist zufriedenstellend und vergleichbar mit den Ergebnissen anderer Arbeiten (Marshall, Longwell, Goldstein & Swanson, 1990; Hibbs, Hamburger, Kruesi & Lenane, 1993; Stubbe et al., 1993; Hirshfeld, Biederman, Brody, Faraone & Rosenbaum, 1997b; Asarnow, Tompson, Woo & Cantwell, 2001; Liakopoulou-Kairis, Alifieraki, Protagora, Korpa & Kondyli, 2002; McCarty & Weisz, 2002; Brennan et al., 2002; St Jonn-Seed & Weiss, 2002; Lenior, Dingemans, Schene, Hart & Linszen, 2002; Nelson et al., 2003; Peris & Hinshaw, 2003; Daley et al., 2003; Hastings et al., 2006; Greenberg et al., 2006; Boger et al., 2008; Psychogiou, Daley, Thompson & Sonuga-Barke, 2008; Christiansen et al., 2010). Dennoch erscheint eine kritische Betrachtung des Instruments angezeigt. Auffallend ist die niedrige High Expressed Emotion-Rate von 18% in dieser klinischen Stichprobe von Kindern mit ausgeprägtem aggressivem Problemverhalten. Zwar ist bekannt, dass die FMSS den Anteil an High Expressed Emotion im Vergleich zum Camberwell Family Interview (CFI) systematisch unterschätzt (Van Humbeeck et al., 2002; Hooley & Parker, 2006). Auch finden sich ähnlich niedrige Raten in einigen wenigen Arbeiten, so bei Boger et al. (2008) und Hirshfeld et al. (1997) (Risikostichproben) oder Greenberg et al. (2006) (Autismus). Da aber für die Kodierung von High Expressed 55 Diskussion Emotion die Richtlinien von Daley et al. (2003) angewandt, und die Rater von dem Autor selbst in der Auswertung geschult wurden, wäre indes zumindest eine ähnliche Quote wie bei Daley et al. (2003) zu erwarten. Diese geben einen Anteil von 43% High Expressed Emotion bei Müttern von Kindern mit ADHS an. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine provisorische, noch weiter zu validierende Kodierregel handelt. Tatsächlich finden sich in weiteren Publikationen der Arbeitsgruppe keine Angaben zur dichotomen Expressed Emotion-Variablen; vielmehr verwenden die Autoren die einzelnen Komponenten oder faktorenanalytisch extrahierte Skalen der FMSS (Caspi et al., 2004; Psychogiou et al., 2008; Cartwright et al., 2011). Dies erschwert die Vergleichbarkeit mit zahlreichen Studien, welche die bewährte Einteilung in High vs. Low Expressed Emotion vornehmen. Andererseits ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ohnehin eingeschränkt aufgrund der Verwendung verschiedener Messinstrumente oder Kodierschemata. Neben dem CFI, welches den „Goldstandard“ zur Erhebung von Expressed Emotion darstellt, werden oftmals andere Interviewformate eingesetzt, und auch die Kodierung der FMSS nach Magaña et al. (1986) wird nicht selten an die Charakteristika der jeweiligen Stichprobe angepasst – wie in dieser Arbeit zum Beispiel die Anpassung an die Altersgruppe. Ferner ist es üblich, die Anzahl der kritischen Kommentare, die zur Kodierung von High Expressed Emotion erforderlich ist, je nach Störungsbild herauf- oder herabzusetzen. Vaughn und Leff (1976) schlagen beispielsweise für das CFI einen Cut-Off von mindestens sechs kritischen Kommentaren für schizophrene Patienten und einen Cut-Off von mindestens zwei für depressive Patienten vor, wobei sie diese Empfehlung mit einer besseren prädiktiven Validität für die Kategorisierung anhand der angepassten CutOffs bezüglich des Rückfallrisikos begründen. Dies zeigt, dass in Hinblick auf die Dichotomisierung eine gewisse Willkür herrscht. Dementsprechend erhöht sich der Anteil an High Expressed Emotion in der vorliegenden Untersuchung von 18% auf 90%, wenn anstatt der Daley-Kriterien die Original-Kriterien nach Magaña et al. (1986) angelegt werden, was beispielsweise vergleichbar ist mit der Angabe von 86% in einer Stichprobe 56 Diskussion von drei- bis zehnjährigen Kindern mit Störung des Sozialverhaltens (Calam & Peters, 2006). Diese Beliebigkeit in der Anwendung des dichotomen Expressed EmotionKonstrukts sowie die Hinweise aus der Arbeitsgruppe um Lenior, dass ein dimensionales Maß kleinere Unterschiede und Änderungen sensitiver zu erfassen vermag (Lenior et al., 1997; Lenior et al., 1998), führten zu der Entwicklung eines Expressed Emotion-Scores im Rahmen dieser Arbeit. Dieser hat sich im Vergleich zum dichotomen Maß insofern bewährt, als er eine höhere Änderungssensitivität aufweist. Während bezüglich des Scores ein signifikanter Interventionseffekt vorliegt, kann in Bezug auf den Expressed Emotion-Status der Eltern bei Interventionsende kein Gruppenunterschied festgestellt werden. Einschränkend muss jedoch angemerkt werden, dass auch dieser Score von Charakteristika der Stichprobe abhängt, da nämlich unter anderem die trichotomisierte Anzahl kritischer und positiver Kommentare in die Berechnung desselben einfließt, und diese Trichotomisierung wiederum auf der Verteilung in der Stichprobe basiert. Jedenfalls ist in Hinblick auf die Operationalisierung von Expressed Emotion zu berücksichtigen, dass die Anpassung des Instruments an die untersuchte Population auf der einen Seite innerhalb der jeweiligen Stichprobe aussagekräftigere Ergebnisse bezüglich Korrelationen, prädiktiver und Interventionseffekte liefern kann, auf der anderen Seite aber die Vergleichbarkeit verschiedener Studien bzw. Populationen erheblich einschränkt. Mit Blick auf die Zusammenhangshypothesen ist zunächst vor allem bemerkenswert, dass sich wider Erwarten keine Korrelationen von Expressed Emotion mit internalisierender Symptomatik und Stresssymptomen der Eltern ergeben. Wie eingangs dargelegt, sind die bisherigen Forschungsbefunde hierzu jedoch auch inkonsistent, sodass dieses Ergebnis nicht völlig überraschend erscheint. Dennoch wäre insofern ein positiver Zusammenhang zu erwarten gewesen, als insbesondere in denjenigen Studien entsprechende Korrelationen berichtet werden, welche ebenfalls Stichproben von Kindern mit externalisierenden Verhaltensproblemen untersuchen (Baker et al., 2000; Bolton et al., 2003; Green et al., 2007; Harvey et al., 2011; Cartwright et al., 2011). In Feldstichproben fand sich hingegen kein signifikanter 57 Diskussion Zusammenhang von Expressed Emotion mit depressiven Symptomen der Eltern (Stubbe et al., 1993; Psychogiou et al., 2007). Harvey et al. (2011) liefern indes Hinweise auf einen stärkeren Zusammenhang von geringer Wärme bzw. negativem Affekt in der Mutter-Kind-Interaktion mit Cluster-APersönlichkeitszügen als mit depressiven oder Angstsymptomen der Mutter. Die in der vorliegenden Arbeit beobachtete Unabhängigkeit von Expressed Emotion und psychopathologischen Merkmalen der Eltern bestätigt aber vor allem die Annahme, dass es sich bei Expressed Emotion nicht lediglich um einen Ausdruck oder Indikator der psychischen Gesundheit der Eltern handelt, sondern vielmehr um ein Maß für die affektive Einstellung einer Bezugsperson gegenüber dem Kind und somit eigentlich um ein dyadisches Merkmal. Diese Annahme wird auch von der Beobachtung gestützt, dass Expressed Emotion der Mutter gegenüber ihren beiden Kindern variiert (Caspi et al., 2004; Cartwright et al., 2011). Die Korrelationen von Expressed Emotion sowohl mit der externalisierenden als auch mit der komorbiden Symptomatik des Kindes entsprechen den Erwartungen, die sich aus der empirischen Befundlage ergeben. Die vorliegenden Ergebnisse bringen aber auch über die Bestätigung dieser Befunde hinaus einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn: Expressed Emotion korreliert insbesondere mit dissozialen Symptomen (im Vergleich zu oppositionellen Symptomen) und mit Callous-Unemotional Traits des Kindes, das heißt mit Merkmalen, die im Allgemeinen mit einem schwereren Verlauf der Störung assoziiert und psychotherapeutischer Veränderung schwerer zugänglich sind. Die beiden Skalen der CBCL für aggressives und dissoziales Verhalten korrelieren signifikant positiv mit Expressed Emotion High/Low, wenn auch nicht mit dem Expressed Emotion-Score. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Skala Aggressives Verhalten aus der CBCL nicht mit der Skala Oppositionelles Verhalten aus dem FBB-SSV übereinstimmt; sie enthält einige Items, die im FBB-SSV und auch in der ICD-10 vielmehr dem Bereich des dissozialen Verhaltens zugeordnet sind (z.B. „greift andere körperlich an“ oder „bedroht andere“). Zieht man hingegen den FBB-SSV heran, so weisen sowohl Expressed Emotion-Score als auch Expressed Emotion High/Low signifikante positive Korrelationen mit dissozialem, aber 58 Diskussion nicht mit oppositionellem Verhalten auf. Zu diesen hinsichtlich oppositionellem und dissozialem Verhalten differentiellen Ergebnissen passen auch die Befunde bezüglich der CU-Traits. Expressed Emotion (sowohl Score als auch dichotomes Maß) korreliert signifikant positiv mit Callousness / Lack of Guilt or Remorse und Unconcerned about Performance, jedoch nicht mit Unemotional. Insbesondere ergibt sich ein hoher Korrelationskoeffizient von r=.441 für den Zusammenhang zwischen dem Expressed Emotion-Score und Callousness / Lack of Guilt or Remorse. Diese Skala bleibt auch bei Kontrolle der Korrelation mit dissozialem Verhalten signifikant, wohingegen die Korrelation von Expressed Emotion mit dissozialem Verhalten verschwindet, wenn die Korrelation mit Callousness / Lack of Guilt or Remorse kontrolliert wird. Dies gilt auch für Expressed Emotion High/Low, wobei hier Unconcerned about Performance und nicht Callousness / Lack of Guilt or Remorse signifikant bleibt. Für Depressivität und Angstsymptome der Eltern ergibt sich hingegen das umgekehrte Muster, nämlich das diese mit Unemotional und nicht mit Callousness / Lack of Guilt or Remorse oder Unconcerned about Performance korrelieren. Die Hypothesen bezüglich der Interventionseffekte auf Expressed Emotion und die Psychopathologie der Eltern können zum Teil bestätigt werden. THAV- und Kontrollgruppe unterscheiden sich zwar bei Interventionsende nicht in ihrem Expressed Emotion-Status, jedoch zeigt sich bezüglich des Expressed Emotion-Scores ein deutlicher Interventionseffekt (Hedges g=0,61). Während in der THAV-Bedingung das Ausmaß an Expressed Emotion deutlich abnimmt (d=0,83), zeigt sich in der Kontrollgruppe kein Zeiteffekt (d=0,09). Wie oben dargelegt, können diese auf den ersten Blick im Widerspruch stehenden Befunde auf die höhere Änderungssensitivität des Scores gegenüber dem dichotomen Maß zurückgeführt werden. Da keine vergleichbaren Arbeiten zu Interventionseffekten auf Expressed Emotion aus randomisierten Kontrollgruppenstudien mit SSV-Patienten vorliegen, stellen die berichteten Ergebnisse einen neuen, noch zu replizierenden Beitrag auf diesem Forschungsfeld dar. Des Weiteren zeigt sich ein hoher, signifikanter Interventionseffekt auf Stresssymptome der Eltern (Hedges g=0,66). Auch hier liegt in der THAV59 Diskussion Bedingung ein großer Zeiteffekt vor (d=0,77), wohingegen in der Kontrollgruppe keine Veränderung zu verzeichnen ist (d=0,04). Die Behandlung mit THAV hat im Vergleich zur Kontrollbedingung indes keine Effekte auf Angst und depressive Symptome der Eltern. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Eltern bei Interventionsbeginn deutlich mehr Stresssymptome als depressive oder Angstsymptome angeben (siehe 3.1.3), das heißt die Notwendigkeit und auch der Spielraum für Veränderung sind hinsichtlich depressiven Erlebens und Angst entsprechend geringer. Diese Ergebnisse stimmen mit den Effekten des Präventionsprogramms bei expansivem Problemverhalten (PEP, Hautmann et al., 2008) sowie der Parent Child Interaction Therapy (Schuhmann et al., 1998) überein. Die explorative Mediatorhypothese, dass die Veränderung von Expressed Emotion die Effekte der THAV-Behandlung auf Callous-Unemotional Traits vermittelt, kann nicht bestätigt werden. Zwar ergeben sich sowohl bezüglich Expressed Emotion als auch bezüglich der CU-Traits signifikante Interventionseffekte, jedoch scheinen diese voneinander unabhängig zu sein. Dieser Befund könnte dahingehend interpretiert werden, dass THAV über die kindzentrierten Interventionen direkt auf die Ausprägung der CU-Traits wirkt, und unabhängig hiervon Expressed Emotion der Eltern verändert – entweder direkt über die elternzentrierten Behandlungselemente oder indirekt über die Veränderung der Symptomatik des Kindes. 4.2 Stärken und Grenzen der Studie Die THAV-Studie ist – soweit bekannt – bislang die einzige randomisierte Kontrollgruppenstudie im deutschsprachigen Raum zur Evaluation eines manualisierten Behandlungsprogramms im Einzelsetting für Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens. Mit einer Stichprobengröße von insgesamt 101 Patienten (bzw. 91 randomisierten Patienten) und einer verhältnismäßig strengen Testung gegen eine Placebo-Kontrollbedingung erlaubt diese Studie zuverlässige Aussagen über die Wirksamkeit einer multimodalen, kognitiv-behavioralen Therapie für Kinder mit aggressivem Verhalten im Peer-Kontext. Limitationen liegen vor allem in der fraglichen 60 Diskussion Generalisierbarkeit auf Mädchen, da zur Bildung einer homogenen Stichprobe nur männliche Teilnehmer in die Studie eingeschlossen wurden. Neben einer Vielzahl von Fragebogenverfahren wurden auch auf Beobachtung basierende Messinstrumente eingesetzt. Hierzu zählt die Five Minute Speech Sample. Ein Vorteil gegenüber der Selbstauskunft mittels Fragebogen liegt in der angenommenen geringeren Verfälschbarkeit durch sozial erwünschtes Antwortverhalten. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn es um das Verhalten und die affektive Einstellung der Eltern gegenüber ihrem Kind geht. Natürlich spielt auch bei einer solchen Sprechprobe, die auf Video aufgezeichnet wird, die soziale Erwünschtheit eine Rolle. Auch, oder vielleicht sogar gerade in einem solchen Setting, können die Probanden versuchen, sich in ein gutes Licht zu rücken, d.h. ihre Beziehung zum Kind als positiver und ihre eigenen Gefühle gegenüber dem Kind als liebevoller und empathischer darzustellen als sie vielleicht in dieser Phase gerade sind. Dennoch ist anzunehmen, dass sich eine kritische Haltung, negative Gefühle oder mangelnde Wärme im freien Redefluss schlechter verbergen lassen (wenn dies denn überhaupt intendiert ist), als beim Ankreuzen von Antwortalternativen in einem Fragebogen. Dies war auch die Erfahrung bei der Datenerhebung. Obwohl die Eltern bereits beim ersten Diagnostiktermin drei Wochen vor der FMSS-Aufzeichnung die Gelegenheit hatten, die Verhaltensprobleme ihres Sohnes in aller Ausführlichkeit zu schildern, brachten sie in der Sprechprobe oftmals dennoch mehr oder weniger offen ihre negativen Gefühle gegenüber dem Kind zum Ausdruck. Auf der anderen Seite gab es auch Eltern, die trotz massiver Verhaltensprobleme des Kindes mit aufrechter Wertschätzung und Wärme von diesem sprachen. Dies zeigt, dass die FMSS keinen Gradmesser für den Schweregrad der Symptomatik darstellt, sondern vielmehr als spezifisches Maß für die affektive Einstellung einer Bezugsperson gegenüber einem Kind dient, welche sich mit einem Fragebogenverfahren wohl nicht in gleicher Weise abbilden ließe. Gleichwohl sind mit einem solchen Verfahren, das ein Rating erfordert, auch Nachteile verbunden. Insbesondere kann die Objektivität der Urteile, und somit vor allem die Vergleichbarkeit mit anderen Studien in Frage gestellt werden. Die Prüfung der Inter-Rater-Reliabilität allein stellt noch nicht die Überein61 Diskussion stimmung mit anderen Ratern aus anderen Untersuchungen sicher. Dieses Problem entfällt hingegen bei einem Fragebogenverfahren. Eine weitere Begrenzung der Untersuchung liegt in der Beurteilung der aggressiven Symptomatik durch die Bezugsperson, die auch die Sprechprobe abgibt. Hierbei sind zweifellos engere Zusammenhänge zu erwarten, als wenn das Verhalten des Kindes von einem Dritten beurteilt wird. Zwar wurde im Rahmen der THAV-Studie auch das Lehrerurteil erhoben, jedoch ist hier eine größere Anzahl von Missings zu verzeichnen als im Elternurteil. Das Lehrerurteil könnte eine sinnvolle Ergänzung des Elternurteils darstellen. Es gibt Hinweise, dass der Zusammenhang von Expressed Emotion der Eltern mit dem von Lehrern beurteilten externalisierenden Verhalten des Kindes in dieselbe Richtung wie hier beschrieben geht (Caspi et al., 2004; Tully et al., 2004). Eine weitere Einschränkung bei der Interpretation der Ergebnisse ist die fragliche Generalisierbarkeit auf Väter. In der THAV-Studie wurde Expressed Emotion von demjenigen Elternteil erhoben, welches das Kind in der Regel zur Therapie brachte (und somit meist auch die primäre Bezugsperson darstellte). Dies war in 86% der Fälle die Mutter. Eine Subgruppenanalyse wäre für einen so geringen Väter-Anteil nicht sinnvoll gewesen. In Anbetracht der insgesamt geringen Anzahl von Studien, die Expressed Emotion des Vaters untersuchen, wären Forschungsprojekte wünschenswert, die explizit die Rolle des Vaters bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Störungen des Sozialverhaltens unter die Lupe nehmen. Aus dem Studiendesign ergeben sich auch in Hinblick auf die Interpretation der signifikanten Interventionseffekte auf Expressed Emotion und Stresssymptome der Eltern gewisse Limitationen. Das Design lässt keinen Schluss über die zeitliche Reihenfolge der Effekte bzw. über die zugrundeliegenden Wirkmechanismen zu. Es ist nicht klar, ob die Reduktion von Expressed Emotion (und elterlichem Stress) ein direkter Effekt der (elternzentrierten) Interventionen ist, oder nicht vielmehr eine Folge der erfolgreichen Symptomreduktion beim Kind. Wie eingangs beschrieben käme auch eine Wechselwirkung zwischen den Kind- und Elternvariablen in Betracht, also eine positive Umkehrung des von Schimmelmann et al. (2003) vorgeschlage62 Diskussion nen Kreismodells (vgl. 1.1.1). Zur Klärung der zugrundeliegenden Wirkfaktoren wäre vor allem die Erhebung von Expressed Emotion zu mehreren Zwischenmesszeitpunkten erforderlich. Sollte es sich um einen direkten Effekt der THAV-Intervention handeln, so wäre zum Beispiel eine Veränderung von Expressed Emotion vor allem im ersten Abschnitt der Therapie zu erwarten, da hier eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung und die Förderung von wertschätzender Kommunikation und positiv verstärkendem Verhalten der Eltern im Vordergrund stehen. Eine Stärke dieser Arbeit gegenüber anderen Expressed Emotion-Studien liegt in der ausschließlichen Verwendung von Composite Scores. Sowohl die klassische dichotome Expressed Emotion-Variable als auch der neu entwickelte Score basieren auf einer Kombination der einzelnen FMSSKomponenten, also auf den globalen Ratings von Erster Äußerung, Wärme und Beziehung (sowie beim Score zusätzlich Negativer und Positiver Fokus) und der Anzahl Kritischer und Positiver Kommentare. In vielen Arbeiten werden inferenzstatistische Analysen mit diesen „Skalen“ durchgeführt, obgleich es sich eigentlich um einzelne, teils nur dreistufige, ordinalskalierte Items handelt. In der THAV-Studie zeigten sich z.T. deutlich schiefe Verteilungen für die einzelnen Ratingskalen, da aufgrund der konservativen Kodierrichtlinien beispielsweise selten niedrige Wärme geratet wurde. Zudem liegt der Vorteil eines Composite Scores bei Rating-Verfahren in der höheren Reliabilität. Wenn die Rater bezüglich eines einzelnen Urteils divergieren, so können sie insgesamt dennoch eine gute Übereinstimmung auf dem Composite Score erzielen, da in diesen noch weitere Urteile miteinfließen – einzelne Fehler oder Divergenzen fallen dadurch weniger ins Gewicht (Neuendorf, 2002, Kap. 7). 4.3 Implikationen für die klinische Praxis Die Studienergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Interventionen, bei denen die Eltern ins therapeutische Geschehen miteinbezogen werden – und zwar über das Training von Grenzsetzung oder den Einsatz von TokenEconomy-Plänen hinaus. Dies gilt insbesondere für Kinder mit dissozialem Verhalten und ausgeprägten Callous-Unemotional Traits, also vor allem mit 63 Diskussion mangelndem Mitgefühl und Schuldempfinden sowie Indifferenz bezüglich der eigenen Leistungen. Da Expressed Emotion in einem spezifischen, engen Zusammenhang mit diesen Verhaltensauffälligkeiten steht, könnte sich bei diesem Störungsbild der Einsatz einer Five Minute Speech Sample im Rahmen der standardisierten (Familien-)Diagnostik als nützlich erweisen. Das Verfahren ist – nach einem gewissen Training – sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Routine-Versorgung leicht umzusetzen und äußerst zeitökonomisch. Um als Kliniker den Rapport nicht zu gefährden, könnte man die Sprechprobe im Vergleich zum Einsatz in der Forschung ggf. dahingehend anpassen, dass die fünf Minuten nicht zwingend bis zum Ende „laufen gelassen“ werden, wenn der Bezugsperson nichts mehr einfällt oder sie von der Zeitvorgabe verunsichert ist. Dies sollte jedoch selten erforderlich sein, denn meist fällt es den Eltern nicht schwer, die fünf Minuten zu füllen. Die Diagnostik von Expressed Emotion könnte helfen, diejenigen Fälle zu identifizieren, bei denen Interventionen indiziert sind, die gezielt eine positive Eltern-Kind-Beziehung sowie die elterliche Wärme, die Empathie und den Ausdruck von Wertschätzung gegenüber dem Kind fördern. Dies stellt natürlich gerade für Familien von Kindern mit dissozial-aggressivem Verhalten eine echte Herausforderung dar. Umso wichtiger ist es, entsprechende Behandlungskonzepte weiterzuentwickeln und als Therapeut nicht nur dem Kind, sondern auch den Eltern empathisch und wertschätzend zu begegnen. 64 Zusammenfassung 5 Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung ist eingebettet in eine randomisierte Kontrollgruppenstudie zur Wirksamkeit des multimodalen Therapieprogramms für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV; Görtz-Dorten & Döpfner, 2010). Studienteilnehmer waren 101 sechs- bis zwölfjährige Jungen mit einer Störung des Sozialverhaltens sowie deren Eltern. Mit dieser Arbeit wurde das Ziel verfolgt, unser Verständnis der Bedeutung von Expressed Emotion bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Störungen des Sozialverhaltens zu erweitern. Zu diesem Zweck wurde im Vergleich zu deutlicher anderen zwischen thematisch verschiedenen verwandten Studien Symptomgruppen insbesondere innerhalb der Störungen des Sozialverhaltens differenziert und erstmals der Zusammenhang zwischen Expressed Emotion (Criticism) der Eltern und CallousUnemotional Traits des Kindes beleuchtet. Dabei zeigte sich, dass Expressed Emotion der Eltern signifikant positiv mit aggressiv-dissozialem Verhalten des Kindes korrelierte, mit oppositionellem Verhalten hingegen nicht. Zudem ergaben sich signifikante, teils hohe positive Korrelationen mit mangelndem Mitgefühl und Schuldempfinden (Callousness / Lack of Guilt or Remorse) sowie mit Indifferenz bezüglich der eigenen Leistungen (Unconcerned about Performance), gleichwohl nicht mit mangelndem Affektausdruck (Unemotional). Entgegen der Erwartungen zeigte sich kein Zusammenhang von Expressed Emotion mit psychopathologischen Merkmalen der Eltern. Neben diesen Querschnitt-Analysen, wurden zudem im Längsschnitt potentielle Interventionseffekte von THAV auf Expressed Emotion und psychopathologische Merkmale der Eltern überprüft. Obwohl der Schwerpunkt der Behandlung auf kindzentrierten Interventionen lag, zeigten sich signifikante Interventionseffekte bezüglich Expressed Emotion und elterlichem Stress. Auf Angstsymptome und Depressivität der Eltern hatte die Therapie des Kindes hingegen keinen Einfluss. Eine Hypothese bezüglich der denkbaren Mediatorfunktion von Expressed Emotion bei der interventi- 65 Zusammenfassung onsbedingten Reduktion von Callous-Unemotional Traits konnte ebenfalls nicht bestätigt werden. Insgesamt weisen die Ergebnisse auf eine noch näher zu untersuchende Beziehung zwischen Expressed Emotion, dissozialen Verhaltensauffälligkeiten und Callous-Unemotional Traits von Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens hin. Zudem zeigt sich Expressed Emotion als ein dyadisches Merkmal, das sich mittels multimodaler, kognitiv-behavioraler Interventionen modifizieren lässt. 66 Literaturverzeichnis 6 Literaturverzeichnis 1. Achenbach TM (1991). Manual for the child behavior checklist/ 4-18 and 1991 profile. Burlington, VT: University of Vermont, Department of Psychiatry 2. American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders - Fifth Edition. Washington, DC: American Psychiatric Publ. 3. Angelosante AG (2007). The relationship between expressed emotion and treatment outcome in anxious youth. In: Dissertation Abstracts International: Section B: The Sciences and Engineering 68: S. 615 4. 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Empathie als Indikator für die Skala Wärme). • Im Zweifelsfall konservativ, d.h. neutral, raten! • Eine Aussage kann in das Rating mehrerer Skalen einfließen. Wenn also eine Mutter beispielsweise mit der Aussage „Max ist ein sehr intelligenter Junge“ beginnt, wird dies 1.) als positive erste Äußerung geratet und 2.) als ein positiver Kommentar gezählt. 1 Modifikationen oder Ergänzungen von Scholz und Schuh sind mit einem Zeichen (*) als solche gekennzeichnet. 77 Anhang: Five Minute Speech Sample • Aussagen über die Vergangenheit oder über Veränderung werden als neutral geratet, es sei denn*, „früher“ hat eine explizite Bedeutung für heute (z.B. er war eine Frühgeburt und immer schwierig, deshalb ist heute unsere Beziehung schlecht). • Wenn nur berichtet wird, was die Geburt etc. angeht, dann nicht raten. Zusätzliche Skalen* (Scholz & Schuh) Negativer Fokus: Geschätzter Anteil auf das Kind bezogener negativer Schilderungen an der Gesamtsprechzeit (niedrig, mäßig, hoch) Positiver Fokus: Geschätzter Anteil auf das Kind bezogener positiver Schilderungen an der Gesamtsprechzeit (niedrig, mäßig, hoch) Erste Äußerung Dies ist ein globales Rating, eingestuft als positiv, negativ oder neutral. Es ist definiert als der erste Gedanke, der seitens der Bezugsperson geäußert wird und der sich spezifisch auf ihr Kind oder die Beziehung zu diesem bezieht. Generell: das Erste, was wir über das Kind oder die Mutter-KindBeziehung lernen “Oh, ich weiß nicht, was ich sagen soll” “Fünf Minuten, das ist schwer” “Ich bin 27 Jahre alt” „Ich bin eine gute Mutter.“ Jede Information, die sich auf das Kind bezieht, wird als Erste Äußerung betrachtet, auch wenn die Bezugsperson sagt: “Jack ist drei Jahre alt” “Jack ist mein einziges Kind” “Jack ist der Jüngste in der Familie” 78 Anhang: Five Minute Speech Sample Diese werden bewertet. Die Erste Äußerung kann als positiv, neutral oder negativ bewertet werden. Es kann manchmal schwer sein, herauszufinden, wo eine Erste Äußerung endet. Als eine gute Faustregel sollte der natürliche Redefluss der Eltern beachtet werden, um zu bestimmen, wo der erste Gedanke oder die erste Idee abgeschlossen ist. Es ist wichtig auf Konjunktionen zu achten, wenn man die Erste Äußerung kodiert. Wenn der Elternteil beispielsweise nach einer kurzen Pause eine Konjunktion verwendet, um seine Erste Äußerung fortzusetzen, sollte diese Ergänzung als Erweiterung der Ersten Äußerung verwendet werden. Wenn allerdings eine Konjunktion benutzt wird, um einen Gedanken zu beginnen, der sich nicht auf die ursprüngliche Stellungnahme bezieht, sollte diese beim Rating nicht beachtet werden. “Jack und ich haben eine liebevolle Beziehung, (kurze Pause), wir sind uns sehr nah.” Positiv + Positiv = Positive Erste Äußerung “Jack und ich kommen ganz gut/ok miteinander aus (kurze Pause) er ist ein sehr temperamentvolles Kind.“ Neutral + Negativ = {zwei unterschiedliche Gedanken} = Neutrale Erste Äußerung und ein kritischer Kommentar. Positive Erste Äußerung Es gibt zwei Typen von positiven Ersten Äußerungen: Positive Beschreibungen und positive Beziehungen. Positive Beschreibungen Das ist eine Aussage, die Lob, Anerkennung und Wertschätzung für das Verhalten oder die Persönlichkeit des Kindes ausdrückt. 79 Anhang: Five Minute Speech Sample “Er ist ein süßer Junge” “Sie ist so lieb und fürsorglich” “John ist ein schlaues Kind” Positive Beziehungen Eine Erste Äußerung, die als positive Beziehung bewertet wird, deutet darauf hin, dass der Elternteil und das Kind eine gute Beziehung haben. “Johnny und ich kommen sehr gut miteinander zurecht” “Wir haben eine starke Beziehung” Es ist wichtig zu erinnern, dass eine Erste Äußerung, die als positive Beziehung geratet wurde, auch einen Beitrag zu einem insgesamt positiven Rating bezüglich der Beziehung leisten kann. Neutrale Erste Äußerung Hierbei handelt es sich um eine Erste Äußerung, die deskriptive oder sachliche Informationen mit wenig oder keiner Tonmodulation oder Informationen, die irrelevant für die Sprechprobe sind, bereit stellt. “Jack ist der Jüngste in der Familie” “Sue ist jetzt drei Jahre alt” “Johnny spielt jeden Tag mit seinen Spielsachen” Neutrale Beziehung Diese wird kodiert, wenn ungenügende Hinweise/Belege vorliegen, um ein positives oder negatives Rating zu machen. Dies ist üblicherweise der Fall wenn Eltern ihre Beziehung beschreiben, indem sie „schwache Adjektive“ wie „gut“ oder „in Ordnung“ benutzen. “Johnny und ich kommen ganz gut miteinander aus” “Die Dinge zwischen uns sind im Grunde genommen gut” 80 Anhang: Five Minute Speech Sample “Wir machen uns ganz gut” Konditionale Äußerungen Erste Äußerungen, die durch eine Bedingung eingeschränkt werden, werden als neutral bewertet. “Wir kommen manchmal gut miteinander aus“ “Wir kommen normalerweise gut miteinander aus” “Er ist wirklich nett, außer wenn er müde ist” Äußerungen über Verbesserungen Erste Äußerungen, die Verbesserungen angeben, werden als neutral bewertet. “Er hat sich in den letzten Wochen gebessert” “Er hat sich sehr verbessert, seit er drei geworden ist” Äußerungen in der Vergangenheitsform Erste Äußerungen in der Vergangenheitsform werden als neutral geratet. “Früher war er ein gutes Kind” “Sie war sehr verschmust als sie kleiner war” “Wir haben es früher sehr genossen zusammen zu spielen” Positive und negative Äußerungen Erste Äußerungen, die sowohl positiv als auch negativ sind, werden als neutral geratet. “Jack ist ein kreatives, aber faules Kind“ “Sue ist süß, aber ungehorsam” Negative Erste Äußerung 81 Anhang: Five Minute Speech Sample Ein negatives Rating der Ersten Äußerung kann auf folgender Grundlage gemacht werden: Negative Beschreibung oder negative Beziehung. Negative Beschreibung Eine Erste Äußerung, welche die Persönlichkeit des Kindes oder sein Verhalten als ungünstig/nachteilig beschreibt, wird als negativ geratet. “Jack ist ein schreckliches Kind” “Clare ist ein bockiges Mädchen” “John gibt sich besondere Mühe, schwierig und patzig zu sein” Negative Beziehung Eine Erste Äußerung, die auf eine ungünstige Beziehung zwischen Eltern und Kind hinweist, wird als negativ geratet. “Jack und ich scheinen ständig miteinander in Streit zu geraten“ “Mir graut es davor, wenn nur er und ich zusammen sind” Wärme Wärme ist definiert als die Intensität einer Empfindung oder eines Gefühls, das die Eltern bezüglich ihres Kindes äußern. Das Rating bezieht sich nur auf die Wärme während der Sprechprobe, nicht auf die Wärme als Teil der Persönlichkeit des Befragten. Im PFMSS wird die Wärme als hoch, moderat oder niedrig geratet. Beim Kodieren der Wärme ist es wichtig, die folgenden Aspekte zu beachten: • Tonfall • Spontanität • Sorge • Empathie Hohe Wärme Tonfall 82 Anhang: Five Minute Speech Sample Dies ist das wichtige Kriterium, auf dessen Grundlage die Einschätzung bzgl. Wärme gemacht werden sollte. Der Rater sollte aufmerksam auf Hinweise für Enthusiasmus achten, wenn die befragte Person über ihr Kind spricht. Zudem sollten positive Veränderungen im Tonfall beachtet werden, wenn der Befragte nach einem neutralen Thema beginnt, über sein Kind zu sprechen. Im Gegensatz dazu ist ein monotoner Tonfall beim Erzählen über sein Kind ein Hinweis auf das Fehlen von Wärme. Bevor die Wärme anhand des Tonfalls eingeschätzt wird, ist es wichtig, dass sich der Rater sowohl ein Bild vom normalen Tonfall und der Tonlage des Befragten macht als auch von den Variationen im Tonfall. Es ist wichtig, dass Rating bzgl. Wärme ausschließlich auf Grund des Inhalts der Sprechprobe gemacht werden und nicht basierend auf der individuellen Interpretation von Gesichtsausdrücken oder anderen nonverbalen Verhaltensweisen des Befragten. Spontanität Wenn Hinweise auf Spontanität bestehen, ist das ein Hinweis auf hohe Wärme. Da im PFMSS keine spezifischen Instruktionen gegeben werden, über Gefühle von Zuneigung oder Liebe zu sprechen, resultieren spontane Äußerungen von Zuneigung, Liebe, Wertschätzung etc. in höheren Ratings von Wärme. Oft führen die Befragten bestimmte Punkte, die sie erzählen, genau aus und drücken damit positive Gefühle gegenüber ihrem Kind aus. “Sie malt gerne, sie bringt mir immer Bilder aus dem Kindergarten mit. Letzte Woche hat sie mir ein Bild mit einer Burg gezeichnet, es war sehr gut gemalt. Ich war sehr stolz auf sie, also habe ich es an einer besonders schönen Stelle in der Küche aufgehängt und es jedem gezeigt.“ “Er ist sehr musikalisch, ich glaube er hat ein sehr musikalisches Gehör. Es fällt ihm sehr einfach zu Liedern mit mir zu summen oder zu singen, er hat 83 Anhang: Five Minute Speech Sample außerdem angefangen, auf dem Klavier zu klimpern. Ich meine, er hatte keinerlei Musikunterricht, aber er kann trotzdem schon ein paar Noten spielen und seine eigenen kleinen Melodien komponieren. Er macht sie einfach so, aber sie klingen als ob sie richtig gut komponiert worden wären.“ CAVE: Spontanität kann auch bei neg. Beispielen vorhanden sein, z.B. erzählt sie amüsiert, dass er seine Hausaufgaben nicht machen will*. Sorge und Empathie Die Fähigkeit des Befragten, Sorge über sein Kind zu demonstrieren und die Fähigkeit, Dinge aus dem Blickwinkel des Kindes zu sehen bzw. zu verstehen, was das Kind durchmacht, sind ebenfalls wichtige Komponenten von Wärme. Sorge “Er hat wirklich Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Ich meine im Moment ist es kein großes Problem, aber ich mache mir Sorgen, wie er zurechtkommt, wenn er nächstes Jahr in die Schule kommt.“ “Er setzt sich nie hin und spielt mit jemandem oder etwas. Er zieht es immer vor alleine herum zu rennen. Ich mache mir Sorgen, dass er nicht mit anderen Kindern spielen und Freunde gewinnen will. Ich glaube, es liegt daran, dass die anderen Kinder nicht so viel herum wuseln möchten wie er, deshalb findet er sie langweilig. Ich mache mir Sorgen, dass er ein Einzelgänger wird.“ Empathie “Ich weiß, dass er sehr gerne die Teletubbies schaut, aber wenn ich den Fernseher anmache, schafft er es nur ein paar Minuten lang zu schauen, bevor er geht, mit einem anderen Spielzeug spielt oder aus dem Fenster schaut. Es muss furchtbar sein, nicht still sitzen zu können.“ 84 Anhang: Five Minute Speech Sample “Sie liebt Kinderfernsehen, aber sie schafft es nicht, still zu sitzen und zu schauen. Sie ist so ablenkbar, dass sie mittendrin weggeht und dann ist sie völlig aufgelöst, wenn sie bemerkt, dass sie es verpasst hat. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es ist, wenn man etwas wirklich machen möchte, aber es nicht schafft, es zu tun.“ Moderate Wärme Tonfall Ein moderates Rating bzgl. Wärme kann gemacht werden, wenn es Stellen gibt, an denen der Elternteil den Tonfall und die Tonlage ändert, wenn es über sein Kind spricht. Konsistenz/Beständigkeit ist es, was ein hohes Rating (wenn der Tonfall sich jedes Mal ändert, wenn der Elternteil über das Kind spricht) von einem moderaten Rating (Tonfall ändert sich nur gelegentlich) unterscheidet. Kein Hinweis auf hohe oder niedrige Wärme Spontanität Wärme wird basierend auf Spontanität als moderat geratet, wenn Hinweise auf Liebe, Zuneigung, Wertschätzung gegenüber dem Kind bestehen, diese aber nicht mit genügend Intensität für ein hohes Rating ausgedrückt werden. “Er ist gut im Football spielen, ich denke für sein Alter hat er eine bessere Koordinationsfähigkeit als die meisten anderen Kinder und ist wahrscheinlich insgesamt sportlicher“ “Sie malt gerne und schafft es normalerweise nicht über die Linien zu malen, was gut für ihr Alter ist” Sorge und Empathie Einige Hinweise für Sorge um das Kind und die Eltern zeigen eine Fähigkeit, die Dinge aus der Sicht des Kindes zu sehen oder zu verstehen, was das Kind durchmacht. 85 Anhang: Five Minute Speech Sample “Normalerweise endet ein Wutanfall damit, dass er seine Spielsachen zerstört und dann regt er sich auf, wenn er bemerkt, dass sein Spielzeug kaputt ist und darüber regt er sich dann noch mehr auf. Es macht mir Sorge, aber es ist sehr schwer zu wissen, wie man ihm helfen soll“ “Sie streitet sich mit den meisten Kindern, mit denen sie spielt, so dass diese normalerweise nicht lange bleiben und sie ziemlich einsam ist. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass sie nett zu den anderen Kindern sein muss, weil sie sonst nicht mit ihr spielen möchten“ Wenn Mutter z.B. sagt: „ich verstehe nicht, was er dann denkt. Er erzählt ja nichts. Ich kann ihn manchmal nicht einschätzen“ ist dies kein Hinweis auf niedrige Empathie, sondern erfordert ein neutrales Rating.* Niedriges Rating Tonfall Ein Mangel an warmem Tonfall ist, wenn die Bezugsperson von dem Kind in einer monotonen Art und Weise spricht, keine Veränderungen in der Stimme zeigt, wenn sie über das Kind spricht. Wenn die Bezugsperson in einer feindseligen Art und Weise über ihr Kind spricht. Spontanität Mangelnde Spontanität liegt vor, wenn der Befragte sich sehr sachlich / „matter-of-fact“ gibt und nur Aussagen ohne emotionale Beteiligung macht. “Sie zeichnet gut” “Er ist sehr musikalisch” Es ist wichtig zu beachten, dass Statements, die keinerlei Spontanität aufweisen, trotzdem als positive Kommentare geratet werden können. 86 Anhang: Five Minute Speech Sample Sorge und Empathie Ein Hinweis für das Fehlen von Empathie und Sorge ist, wenn der Elternteil von seinem Kind erzählt ohne die geringsten Hinweise, dass er Dinge aus der Sicht des Kindes sieht oder versteht, was das Kind durchmacht. Ein Hinweis für niedrige Wärme ist, wenn viel Negatives berichtet wird, aber mangelnde Sorge besteht. “Sie schnappt sich Spielsachen von den anderen Kindern und regt sich dann auf, wenn diese nicht mit ihr spielen wollen. Warum macht sie das, wenn ich ihr sage, dass sie es nicht tun soll, es will nicht in meinen Kopf.” “Er bittet mich, das Fernsehen anzuschalten, kann dann aber nicht still sitzen und schauen, er macht einen ganz schwindelig, so dass ich den Fernseher einfach aus mache” „Ich verstehe nicht, wie man so doof sein kann, er verbaut sich ja alles, ist immer frech zu seiner Lehrerin.“ Drei wichtige Aspekte beim Rating von Wärme: • Depression: Auch wenn der Untersuchungsleiter weiß, dass der Befragte depressiv ist, sollte dieses Wissen beim Rating der Wärme keine Rolle spielen. Auch depressive Personen sollten fähig sein, Wärme auszudrücken. • Kritische Kommentare: Die Häufigkeit von negativen Kommentaren sollte das Rating von Wärme nicht beeinflussen. • Stereotype Zärtlichkeiten: Kosenamen, Zärtlichkeiten wie “Liebling”, “Mäuschen” oder “Schätzchen” werden von Eltern häufig benutzt, um ihr Kind in einer stereotypen Art und Weise zu beschreiben, und sind nicht notwendigerweise ein Hinweis für Wärme. Beziehung Beziehung ist definiert als ein globales Rating der Qualität der Beziehung und gemeinsamer Aktivitäten von Eltern und Kind innerhalb der letzten 6 87 Anhang: Five Minute Speech Sample Monate. Wenn die Beziehung nicht angesprochen wird, wird ein neutrales Rating vergeben, da die Eltern in der Instruktion speziell aufgefordert werden, über die Beziehung zu ihrem Kind zu sprechen. Beim Kodieren der Beziehung mit dem PFMSS ist es wichtig, Folgendes zu beachten: • Die elterlichen Angaben über die Beziehung zu ihrem Kind • Aussagen der Eltern, dass sie es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Elterliche Berichte/Angaben über die Beziehung zu ihrem Kind Ein direktes Statement, dass Eltern und Kind sich gut verstehen ist ein starker Anhaltspunkt für eine positive Beziehung. Wenn dem Bericht einer guten Beziehung an anderer Stelle in der Sprechprobe nicht widersprochen wird bzw. es Anhaltspunkte, dass die Beziehung nicht positiv ist, wird die Beziehung als positiv geratet werden. “Johnny und ich kommen sehr gut miteinander aus” “Wir haben eine sehr starke und enge Beziehung” “Tatsächlich sind wir verwandte Seelen” Aussagen der Eltern, dass sie es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen Aussagen, dass die Eltern es genießen und schätzen, Zeit mit ihrem Kind zu verbringen sind, ebenfalls Hinweise für eine positive Beziehung. Allerdings ist es nicht ausreichend, wenn die Eltern nur berichten, dass sie Zeit mit ihrem Kind verbringen. Es ist notwendig, dass sie angeben bzw. andeuten, dass sie die gemeinsame Zeit genießen. Positive Beziehung “Wir gehen dienstags morgens immer zusammen schwimmen, ich freue mich immer darauf, weil es unsere Zeit ist” 88 Anhang: Five Minute Speech Sample “Wir backen in der Woche immer etwas zusammen, wir haben solchen Spaß, zusammen Zutaten zu mischen und ein Durcheinander zu machen.” Neutrale Beziehung Unklare Aussagen Eine Sprechprobe, die nicht genügend Aussagen für eine positive oder negative Beziehung enthält, bekommt ein neutrales Rating. Neutrale Ratings treten meist aus zwei Gründen auf: 1. Die Eltern machen eine direkte Aussage zu ihrer Beziehung mit dem Kind, aber diese enthält einschränkende Termini, welche die Aussagekraft für eine positive Beziehung schmälern. „Wir kommen einigermaßen gut zurecht” „Manchmal haben wir Spaß zusammen” „Unsere Beziehung ist in Ordnung” „Wir kommen sehr gut miteinander zurecht, wenn er nicht müde ist” „Wir kommen sehr gut miteinander zurecht, wenn ihr jüngerer Bruder nicht da ist” 2. Der Elternteil beschreibt genau gemeinsame Aktivitäten, aber deutet nicht an, dass er diese genießt oder schätzt. “Wir gehen oft in den Park” “Ich hole immer sein Lego raus und baue Dinge mit ihm“ Negative Beziehung Negative Beziehungen sollten mit Vorsicht kodiert werden. Negative Ratings treten überlicherweise auf, wenn der Elternteil eine direkte Aussage über eine schlechte/schwache Beziehung mit seinem Kind macht. “Wir scheinen einfach nicht miteinander zurecht zu kommen, er ignoriert mich einfach” 89 Anhang: Five Minute Speech Sample “Er macht einfach was er will, er hört nicht auf das, was ich sage” Es ist wichtig zu beachten, das eine negative Beziehung nur aufgrund eines direkten negativen Statements geratet werden kann, solange dieser Aussage nicht an anderer Stelle der Sprechprobe widersprochen wird. Für negative gemeinsame Zeit würde sprechen: Wenn man das Gefühl hat, die Eltern vermeiden es, mit dem Kind alleine zu sein, dann spricht dies für eine negative Beziehung.* Emotionale Überinvolviertheit (EOI) Die emotionale Überinvolviertheit (Emotional Overinvolvement; EOI) wird als hoch, grenzwertig oder niedrig geratet. Bei der Einschätzung der EOI ist es wichtig, folgendes zu beachten: • Aufopferndes / überbehütendes Verhalten • Mangel an Objektivität Hohe Ratings Aufopferndes / überbehütendes Verhalten Hinweise, dass der Elternteil sich in einer extremen und ungewöhnlichen Art und Weise für das Kind aufopfert und dass sie diese Opfer nicht genießen. “Ich hatte Angst, Jack mit dem Babysitter allein zu lassen, also habe ich meine Abendschule aufgegeben. Ich vermisse das wirklich, aber ich hatte keine andere Chance.” “Er ist sehr destruktiv, macht alle seine Spielsachen kaputt. Ich habe nie Geld für mich, mein ganzes Geld scheint für neue Spielsachen für Sam draufzugehen“ Mangel an Objektivität Hinweise, dass die Bezugsperson ihr Kind immer im Recht sieht und stets sein Verhalten entschuldigt oder rechtfertigt. 90 Anhang: Five Minute Speech Sample “Er streitet sich mit seiner Schwester, aber sie provoziert ihn auch immer.” “Im Kindergarten beschweren sie sich immer über sein aggressives Verhalten, aber er verhält sich nur deshalb aggressiv, weil die anderen Kinder schrecklich zu ihm sind.” Es ist wichtig, EOI konservativ zu raten. Moderate Ratings Aufopferndes / Überbehütendes Verhalten Hinweise, dass die Bezugsperson sich für ihr Kind aufopfert (ohne dies zu genießen), aber nicht in einem extremen oder ungewöhnlichen Ausmaß. “Manchmal bin ich besorgt, wenn ich Sam bei meinen Eltern lasse, denn sein Verhalten ist so unvorhersehbar. Manchmal sage lieber ich eine Verabredung ab, wenn er richtig schlimm war, als ihn bei meinen Eltern zu lassen.” “John zerstört immer seine Malbücher. Ich sag ihm immer, er soll sie nicht zerreißen, weil wir uns keine neuen leisten können, aber er macht es trotzdem und meistens kauf ich ihm dann doch ein neues, obwohl ich weiß, dass ich mein hart verdientes Geld verschwende.” Mangel an Objektivität Hinweise, dass die Bezugsperson in der Regel denkt, ihr Kind sei im Recht und dass sie das Verhalten ihres Kindes immer verteidigt. “Er streitet mit seiner Schwester. Aber ich bin sicher, sie ist diejenige, die meistens anfängt.” “Im Kindergarten sagen sie immer, er ist aggressiv und gemein. Ich denke, es sind doch die anderen Kinder, die ihn zu sowas anstacheln.” 91 Anhang: Five Minute Speech Sample Keine oder uneindeutige Hinweise auf EOI werden als niedrig geratet. Wichtig beim Rating von EOI aufgrund von überbehütendem Verhalten: Sorge darüber, das Kind der Aufsicht Anderer zu überlassen, bezieht sich auf das Wohlergehen des Kindes und nicht auf sein Verhalten in Abwesenheit der Bezugsperson. Überbehütendes Verhalten meint die Sorge der Bezugsperson, dass das Kind in ihrer Abwesenheit traurig sein oder zu Schaden kommen könnte. Nicht überbehütendes Verhalten wäre die Sorge, das Kind könnte in ihrer Abwesenheit einen Wutanfall haben oder Schaden verursachen. Kritische Kommentare Kritische Kommentare sind negative Äußerungen über das Verhalten oder die Persönlichkeit des Kindes. Sie können geratet werden auf der Basis von • Tonfall • Kritischen Äußerungen Tonfall Kritische Kommentare können auf der Grundlage des Tonfalls geratet werden, auch wenn der Inhalt nicht kritisch/negativ ist. Dies erfordert eine gewisse Übung. Erfasse zunächst eine Baseline des Tonfalls (jeder hat einen anderen Grund-Level im Tonfall). Auf dieser Grundlage können Fluktuationen im Tonfall entdeckt werden, die je nach “Färbung” kritische oder positive Kommentare anzeigen. Auch hier ist es wichtig, konservativ zu urteilen: Im Zweifelsfall nicht als kritischen Kommentar werten. „Da hat er sich echt mal wieder toll verhalten“: Positiver Inhalt, aber in negativem/ironischem Tonfall, also als kritischen Kommentar raten.* Kritische Äußerungen Zählen jener Äußerungen, die das Kind kritisieren oder ihm Fehlverhalten anlasten. Im Allgemeinen sind dies Beschreibungen negativer Eigenschaften 92 Anhang: Five Minute Speech Sample des Kindes wie z.B. Aggressivität und Reizbarkeit (meist in negativem Tonfall). “Jane ist ein schreckliches Kind” “Jack ist ein Albtraum, wenn wir im Supermarkt sind.” „Jack schmeißt mit Gegenständen um sich“ “Georg macht soviel Arbeit, das kann man sich gar nicht vorstellen.” „er ist kräftezehrend“ Ebenfalls eingeschlossen sind andere Beschreibungen des Verhaltens, die in einem negativen Tonfall geäußert werden oder die darauf hindeuten, dass die Bezugsperson das Verhalten missbilligt. “Er bespuckt mich.” “Beim Frühstück schmeißt er sein Essen an die Wand” Folgendes nicht als kritischen Kommentar werten: Beispiel: „ er hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren“ „ wir hatten letzte Woche einen riesen Streit“ „und manchmal denke ich, er ist nicht mein Kind“ (eher Beziehung) Stereotype Beschreibungen, wenn sie nicht in einem negativen Tonfall geäußert werden. “Er ist ein Lausbub.” “Sie kann manchmal echt den Affen spielen.” “Georg kann morgens echt ein kleiner Terrorist sein.” Richtlinien zur Kodierung von Aneinanderreihungen kritischer Kommentare Wenn Eltern richtig loslegen, machen sie oftmals mehrere kritische Kommentare in einem Satz. Die Richtlinien hierfür sind dieselben wie beim Original-FMSS und lauten wie folgt: 93 Anhang: Five Minute Speech Sample Äußerungen über voneinander unabhängige Verhaltensweisen werden als getrennte Kommentare gewertet. “Philip ist ein launischer Junge, immer motzig und nörgelnd, und er hört nicht.” Da zwei verschiedene Verhalten beschrieben werden (schlechte Laune und oppositionelles Verhalten), werden auch zwei kritische Kommentare gezählt. Äußerungen über ähnliches Verhalten werden als ein kritischer Kommentar gezählt. Zum Beispiel “Er ist zerstörerisch, er macht alle seine Spielsachen und meine Pflanzen im Garten kaputt, er zerstört einfach alles.” Da sich alle Äußerungen auf die Destruktivität des Kindes beziehen, werden sie als ein kritischer Kommentar gezählt. “Er ist ziellos, er setzt sich nie mal hin und macht irgendwas, alles was er tut, ist im Haus rumschleichen und seine Nase überall reinstecken.” Da es bei beiden Äußerungen um die Ziellosigkeit seines Verhaltens geht, wird nur ein kritischer Kommentar gezählt. CAVE: Wenn Bezugspersonen 1000 Beispiele erzählen, die z.B. alle mit Aggressivität zu tun haben, dann 1 kritischer Kommentar, aber Skala Negativer Fokus hoch.* Wichtig beim Rating kritischer Kommentare Kritische Kommentare müssen die Meinung der Bezugsperson widerspiegeln. 94 Anhang: Five Minute Speech Sample “Jack ist ein zerstörerisches Kind” und nicht “Jacks Lehrer sagt, er sei ein zerstörerisches Kind” Nicht geratet werden: Äußerungen in der Vergangenheitsform Äußerungen mit relativierenden Wörtern, z.B. “manchmal” oder “kann aggressiv sein” CAVE*: „ziemlich“ z.B. „er ist ziemlich aggressiv“ bedeutet eher eine Steigerung, daher als kritischen Kommentar raten. CAVE*: „er ist häufig unkonzentriert“ nicht relativierend, daher als kritischen Kommentar raten. „Er ist ein ängstliches Kind“: negative Eigenschaft, aber trotzdem kein Kritischer Kommentar, es sei denn kritischer Tonfall bzw. kritische Formulierung*: „er hat vor allem und jedem Schiss“ Positive Kommentare Positive Kommentare sind Äußerungen von Lob und Wertschätzung. Meistens handelt es sich um Beschreibungen positiver Eigenschaften des Kindes, aber es kann auch auf der Grundlage des Tonfalls geratet werden. Tonfall Positive Kommentare können auf der Grundlage des Tonfalls geratet werden, auch wenn der Inhalt nicht positiv ist. Dies erfordert eine gewisse Übung. Erfasse zunächst eine Baseline des Tonfalls (jeder hat ein anderes Grund-Level im Tonfall). Auf dieser Grundlage können Fluktuationen im Tonfall entdeckt werden, die je nach “Färbung” kritische oder positive Kommentare anzeigen. Auch hier ist es wichtig, konservativ zu urteilen: Im Zeifelsfall nicht als positiven Kommentar werten. 95 Anhang: Five Minute Speech Sample Positive Äußerungen Zählen von Äußerungen, die das Kind loben oder darauf hinweisen, dass die Bezugsperson das Kind oder sein Verhalten wertschätzen. Im Allgemeinen sind dies Beschreibungen positiver Eigenschaften des Kindes wie z.B. Intelligenz oder Hilfsbereitschaft (meist in positivem Tonfall). “Jack ist sehr intelligent.” “Chloe ist sehr liebenswert” “Georg ist sehr kreativ.” Bezugspersonen mit geringem Wortschatz geben möglicherweise Beispiele anstatt die Eigenschaften konkret zu benennen. Diese Beschreibungen werden ebenfalls als positive Kommenare gewertet. “Er ist gut im Puzzlen und Rätsellösen.” “Sie ist mir sehr nahe, umarmt mich immer und sagt mir, wie lieb sie mich hat.” „er ist offen, vertraut mir, kuschelt oft mit mir“ “Er bastelt immer Dinge aus alten Kartons und Papier, er kann einen alten Karton verwandeln.” Richtlinien zum Kodieren von Aneinanderreihungen positiver Kommentare Die Richtlinien zum Kodieren von Aneinanderreihungen positiver Kommentare gelten analog zu den kritischen Kommentaren. Äußerungen über voneinander unabhängige Verhaltensweisen werden als getrennte Kommentare gewertet. “Jack ist ein sehr schlauer Junge und er ist sportlich.” „ er ist offen, vertraut mir, kuschelt oft mit mir“ 96 Anhang: Five Minute Speech Sample Da zwei verschiedene Eigenschaften genannt werden (Intelligenz und Sportlichkeit), werden auch zwei positive Kommentare gezählt. Äußerungen über ähnliches Verhalten werden als ein positiver Kommentar gezählt. “Er ist sehr musikalisch. Er spielt Klavier und singt.“ Da sich beide Äußerungen auf die Musikalität des Kindes beziehen, wird nur ein positiver Kommentar gezählt. Nicht geratet werden: Äußerungen mit relativierenden Wörtern, z.B. “manchmal” oder “kann lieb sein” oder „eigentlich“ Äußerungen in der Vergangenheitsform CAVE*: „er ist häufig pfiffig“ nicht relativierend: Positiver Kommentar Beispiele* „Jack rastet nicht mehr so oft aus“ kein positiver Kommentar, neutral „Jack ist viel lieber geworden“ kein positiver Kommentar, neutral, man kennt das Ausgangsniveau ja nicht CAVE*: Eine Äußerung kann beides enthalten, positive und negative Kommentare, es ist nicht notwendigerweise so, dass sich positiv + negativ zu neutral aufhebt z.B. „Jack ist sehr intelligent, aber er kann sich häufig nicht konzentrieren“ (1 pos. + 1 negativer Kommentar) Es sei denn: durch die erweiterte Äußerung wird der positive bzw. negative Kommentar aufgehoben: „Er kennt sich gut mit Computern aus, aber nur mit dem Spiele-Scheiß“ (kein positiver Kommentar) 97 Anhang: Five Minute Speech Sample CAVE: Bloße Beschreibungen z.B. von Hobbies zählen nicht als positive Kommentare, es sei denn Mutter sagt, dass er es gut macht. „Er kocht gerne etc.“ (kein positiver Kommentar) „Er kocht sehr gerne, das macht er richtig gut“ (positiver Kommentar) Kodieren von High vs. Low Expressed Emotion (CRIT) High Expressed Emotion wird kodiert, wenn ein negatives bzw. niedriges Rating auf mindestens einer der globalen Skalen (ohne EOI) sowie mehr kritische als positive Kommentare vorliegen. 98 Lebenslauf 8 Lebenslauf Mein Lebenslauf wird aus Gründen des Datenschutzes in der elektronischen Fassung meiner Arbeit nicht veröffentlicht. 99