Hauptströmungen zur ethischen Bewertung

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SCHRIFTEN DER GESELLSCHAFT FÜR WIRTSCHAFTS- UND
SOZIALWISSENSCHAFTEN DES LANDBAUES E.V.
Ziche, J.: Hauptströmungen zur ethischen Bewertung technischer Fortschritte in der
Landwirtschaft. In: Buchholz, H.E., Neander, E., Schrader, H.: Technischer Fortschritt in der
Landwirtschaft – Tendenzen, Auswirkungen, Beeinflussung. Schriften der Gesellschaft für
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e.V., Band 26, Münster-Hiltrup:
Landwirtschaftsverlag (1990), S. 251-257.
HAUPTSTRöMUNGEN ZUR ETHISCHEN BEWERTUNG
TECHNISCHER FORTSCHRITTE IN DER LANDWIRTSCHAFT
von
J. ZICHE, Freising-Weihenstephan
Vor fü'nfzehn Jahren veröffentlichte der australische Philosophieprofessor John Passmore
einen Aufsatz, dessen inzwischen ins Deutsche ü,bertragener Titel lautet: Den Unrat
beseitigen. Überlegungen zur ökologischen Mode (pASSMORE, 1980, S. 207-246). Der
Titel hört sich so an, als habe ein zorniger John Passmore die Worte eigens geprägt, um
eine Mode seiner Zeit zu geißeln, er hat sie aber entlehnt und zwar bei John Locke und
will sich wie es Locke mit seinen berü,hmten aufklärerischen Schriften ü,ber die
menschliche Erkenntnis Ende des 17. Jahrhunderts versucht hatte, "als Hilfsarbeiter (zu)
betätigen, dessen Aufgabe es ist, etwas sauber zu machen und von dem Unrat zu
befreien, der auf dem Weg zum Wissen liegt" (pASSMORE 1980, S. 207). Wer
PASSMOREs Aufsatz studiert, wird finden, daß er ein tü,chtiger Hilfsarbeiter gewesen
ist, nur hat sich der gleiche Unrat seitdem erneut angesammelt, und heute stehe ich kleiner Agrarprofessor wieder vor einer ähnlichen Aufgabe wie damals der bedeutende John
Passmore und einst der große John Locke:, Hauptströmungen zur ethischen Bewertung
technischer Fortschritte in der Landwirtschaft zu entdecken in einer Wirrnis wuchernder
Gedankenläufe, erscheint aussichtslos, solange nicht der Unrat abgeräumt ist.
Was schon PASSMORE störte, aber inzwischen ü,ppig weiterwucherte, ist - wie Passmore
bemerkt (ebd. S. 207) - der "mystische 'Unrat', die Ansicht, Mystizismus könne uns
retten, wo die Technik versagt. Wissenschaft und Technik, Demokratie und freies Unternehmertum wurden stets angefeindet, Mystizismus, Primitivismus und autoritäres Verhalten hatten stets ihre Anhänger", und PASSMORE fährt fort, sie hätten ihre Anhänger
heute dort, wo der ökologisch begrü,ndete Protest "als eine neue machtvolle Waffe in dem
alten Kampf zwischen Rationalismus und Mystizismus" eingesetzt wü,rde. Mit dieser
Waffe kämpft PASSMOREs Meinung nach FRASER-DARLING, wenn er "uns (... ) zu
ü,berzeugen versucht, daß der Westen seine ökologischen Probleme nur lösen könne,
indem er sich der 'Ganzheitsphilosophie' bediene" und östliche Weisheiten über eine
Heilige Natur annehme (vgl. FRASER-DARLING, 1980, S. 9-19).
Hier nun beginnt sich die Wirrnis der Gedankenläufe doch schon in zwei Strömungen zu
teilen: eine dem Mystizismus und eine dem Rationalismus zustrebende. Die dem Rationalismus zustrebende Richtung gehorcht einer Ethik, die sich in der bekannten jü,dischchristlichen Tradition am Menschen und seinem Wohlergehen orientiert und darum
anthropozentrisch und utilitarisch heißt. Verteidiger dieser Richtung argumentieren, "daß
das anthropozentrische Fundament der herkömmlichen westlichen ethischen Systeme fü,r
eine wirksame und konsequente übernahme von Umweltverantwortung durchaus ausreiche, darüber hinaus jedoch den Vorzug biete, mit dem vorherrschenden naturwissenschaftlichen Weltbild besser verträglich zu sein" (BIRNBACHER, 1980, S. 6). Darum
neigen Naturwissenschaftler und an derem Denken orientierte Menschen am stärksten
anthropozentrischen ethischen Entwürfen zu wie jeder z.B. bei den Autoren der Reihe
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"Ethik der Wissenschaften" (LEN'K u.a.) oder "Dimensionen der modernen Biologie"
(NAGL 1987. MOHR. 1987) oder in Publikationen der großen wissenschaftlichen
Gesellschaften (vgl. z.B. Max-Planck-Gesellschaft. 1984) nachlesen kann. Anthropozentrisch ist auch - nach wie vor - die Ethik des menschlichen Verhaltens gegenüber der
Natur. die von den christlichen Kirchen vertreten wird (vgl. Kirchenamt ...• 1985).
Die dem Mystizismus zustrebende Richtung fordert. "daß wir zur Bewältigung der aktuellen und für die Zukunft zu erwartenden Umweltprobleme ( ... ) lernen sollten. die
außermenschliche Natur stärker als Selbstzweck statt als bloße Ressource für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse wahrzunehmen und zu behandeln" (BIRNBACHER.
1980. S. 5). Folglich heißen entsprechende ethische Entwürfe "nicht-anthropozentrisch".
gelegentlich auch "physiozentrisch" oder "biozentrisch" • weil der Mensch darin nur noch
als bloßes Stück Natur. nicht mehr als eigenständiges Gegenüber zur Natur vorkommt.
Bekannte Vertreter dieser Richtung sind Klaus M. MEYER-ABICH (z.B. 1986). Robert
SPAEMANN (z.B. 1980) oder der anfangs erwähnte FRASER-DARLING. Autoren
dieser Richtung plädieren vielfach für ein "Eigenrecht der Natur auf menschliche Hege
und Pflege" (BIRNBACHER. 1980, s. 6). operieren öfter mit einem "konturlosen Lebensbegriff" (KLUGE. 1988. S. 51) und verlangen eine "deutliche Kurskorrektur" in Wissenschaft und Technik: diese seien. so MEYER-ABICH; "durch die Gefährdung der
Lebensbedingungen der heutigen Welt dazu herausgefordert, der ausdrücklichen Bewertung des Erkannten - als gesund oder ungesund im komplementären Naturzusammenhang
des menschlichen Lebens - neben der Erkenntnis anderer Seinsweisen als einem neuen
Erkenntnisideal Raum zu geben" (MEYER-ABICH. 1989, S. 126). Von solcher Kurskorrektur wäre der technische Fortschritt stark betroffen. denn nur noch als "gesund im
komplementären Naturzusammenhang des menschlichen Lebens" erkannter technischer
Fortschritt wäre mit dieser Ethik vereinbar. Je weiter wir der mystischen Strömung
folgen. desto weniger Erscheinungsformen des technischen Fortschritts gelten noch als
"gesund". und umso mehr Eingriffe in den Naturzusammenhang erscheinen ethisch verwerflich. Schließlich fallen ganze wissenschaftliche Disziplinen unter ethische Verdikte
wie z.B. die Nuklearphysik. die Genforschung. die Chemie und mit ihnen die Agrarwissenschaft. zu deren Wesen es ja gehört. in großem Umfang Erkenntnisse der biologischen und chemi~chen Disziplinen praktisch anwendbar zu machen.
Je weiter wir der rationalistischen Strömung folgen. desto seltener werden ethische Skrupel gegen technischen Fortschritt geäußert. Die Extrema beider Strömungen. also überhaupt keine menschlichen Eingriffe in die Natur bzw. alle machbaren menschlichen Eingriffe sind ethisch zulässig. werden heute nur von Außenseitern vertreten. So viele vermittelp.de Positionen zwischen den beiden divergierenden Strömungen sind seit dem Ausbruch der "ökologischen Mode" bezogen worden. daß sich daraus im Laufe der Jahre eine
dritte ethische Hauptströmung gebildet hat. ROHRMOSER (1980) trifft den Kern ihres
Wesens. wenn er sie so charakterisiert: der Mensch hat keine absolute Überlegenheit über
die Natur. er muß seine Einheit mit der Natur anerkennen. ohne daß er sich deswegen
aus seiner Verantwortung für die Natur entläßt. "Verantwortlich umgehen mit der Natur
kann aber nur der Mensch. der sich zu beherrschen weiß. Wer unter der Abhängigkeit
und Diktatur seiner eigenen Lebensbedürfnisse steht. ist nicht fähig zu einem pfleglichen. verantwortbaren und ethisch begründeten Umgang mit der Natur" (ROHRMOSER.
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1981, S. 203). Verantwortung ist der Schlüsselbegriff der dritten ethischen Hauptströmung.
Was diese Verantwortung uns zu tun gebietet und was sie uns verbietet, darüber gehen
die Meinungen auseinander. Was sich mit ihr auf keinen Fall verträgt, ist die häufig zu
beobachtende Schizophrenie unseres Bewußtseins. ROHRMOSER bringt als Beispiel für
diesen Zustand: "Auf einem ihrer Kongresse haben sie (die neuen alternativen Bewegungen, Verf.) die Rettung des letztmöglichen Grashalms gefordert und gleichzeitig die
Tötung ungeborenen Lebens freigegeben" (ROHRMOSER, 1981, S. 203). Die Unvereinbarkeit der von vielen Protestgruppen unserer Gesellschaft gutgeheißenen Praxis der
Abtreibung mit Forderungen der gleichen Gruppen nach dem Verbot von Tierversuchen
prangert NAGL (1987, S. 142) an und MOHR (1987, S. 158) wundert sich über Juristen
und Theologen, die "mit Scharfsinn und Eifer über Sterbehilfe, extrakorporale Befruchtung und über die imaginären Probleme einer Gentechnologie am Menschen (diskutieren), ohne sich von der Tatsache beirren zu lassen, daß in unserem Land pro Jahr mehr
als 200 000 legale Abtreibungen vorgenommen werden. Die meisten dieser Abtreibungen
("soziale Indikation") bedeuten die absichtliche Tötung eines genetisch gesunden
Menschen in seiner vorgeburtlichen Zeit". Ein groteskes, aber leider gar nicht abwegiges
Beispiel führt der katholische Theologe ROCK (1980, S. 92) an: "Ein Jugendlicher montiert den Auspuff seines Motorrads ab, fährt durch eine Wohnsiedlung und genießt dabei
den so erzeugten höllischen Lärm der Maschine. Danach rast er auf demselben Vehikel
zu einer Umweltschutzinitiative, die gegen eine Flughafenerweiterung protestiert und
demonstriert, weil sie die damit verbundene zusätzliche Lärmbelästigung für unzumutbar
hält". Alle diese schizophrenen Demonstranten handeln verantwortungslos und können
darum gar nicht· glaubwürdig sein. Das wissen auch die Kirchen: "Das gewachsene
Umweltbewußtsein ist freilich nicht frei von Widersprüchen: Vielen Menschen ist nur
unzureichend bewußt, wie sehr ihre progressive ökologiepolitische Meinung und ihr
persönlicher Lebensstil auseinander klaffen (... ). Verantwortung wahrnehmen für die
Schöpfung bedeutet also Disziplin und Einschränkung. Es führt zu schöpferischen Akti. vitäten, beispielsweise zu sozialem und politischem Engagement, das sich freilich von
sektiererischen und skurrilen Auswüchsen freihalten sollte" (Kirchenamt... , 1985, S. 44).
Wie Verantwortung verstanden wird, gerät zur Wasserscheide zwischen zwei entgegengesetzten Strömungen zur ethischen Bewertung des technischen Fortschritts: eine läuft in
Richtung "totaler Immobilismus" (WILD, 1985, zitiert bei MOHR, 1987, S. 155), eine in
Richtung "(Forschungs-)Freiheit". Als ein Kronzeuge der "immobilen" Strömung gilt der
Philosoph Hans JONAS, nicht ganz zu Recht wie jeder finden wird, der sein Buch "Das
Prinzip Verantwortung" (1979) tatsächlich von vorn bis hinten durchstudiert hat. JONAS
begründet, warum wir heute nur dann verantwortlich handeln, wenn wir jede Handlung
unterlassen, an deren Unschädlichkeit wir begründete Zweifel hegen. Solche Zweifel
beschleichen viele Menschen angesichts der modernen Hochtechniken von Biologie,
Pharmazie und Kernphysik, ganz besonders aber angesichts dessen, was sie von modernen Agrartechniken hören. Hans JONAS empfiehlt deshalb, den technischen Fortschritt
zu verlangsamen und auf die Anwendung gewisser Techniken überhaupt zu verzichten.
Darin sind ihm auch andere Denker gefolgt, vor allem aber Mitglieder und Sympathisanten der alternativen Szene. Dort sind JONAS' Ideen vergröbert und in Anweisungen
für praktisches Handeln, "Wissenschaftssturm", "Widerstand im Alltag", "Verzicht, Boy-
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kott, kritischer Konsum" (EURICH, 1988, S. 189 ff) umgesetzt worden, nicht selten im
Namen einer "neuen Wissenschaftlichkeit".
Dagegen verstehen Vertreter des geltenden Wissenschafts verständnisses ihre Verantwortung folgendermaßen (vgl. z.B. SAß, 1985; MOHR, 1987; NAGL, 1987): Natürlich
dürfen wir in der Wissenschaft nicht alles tun, was wir innerhalb der Grenzen unserer
Leistungsfähigkeit tun könnten. "Die vom Grundgesetz garantierte Freiheit der Wissenschaft wird durch den ebenfalls in der Verfassung festgeschriebenen sittlichen Minimalkonsens, der die Menschenwürde garantiert, eingeschränkt" (MOHR, 1987, S. 154).
Die Verantwortung für Mensch und Umwelt ist somit selbstverständlicher Bestandteil des
wissenschaftlichen Ethos. Sich solchermaßen verantwortlich fühlende Wissenschaftler
müssen symmetrisch argumentieren, also nicht nur immer und immer wieder prüfen,
welche (Rest- )Risiken wir eventuell eingehen, wenn wir neue Techniken anwenden, sondern mit derselben Sorgfalt prüfen, welche Versäumnisse wir auf uns nehmen, wenn wir
z.B. auf Gentechnik in der Landwirtschaft verzichten. WILD (1985, zitiert bei MOHR,
1987, S. 155) spitzt das Argument zu: "Wenn wir immer und unter allen Umständen der
Unheilsprophezeiung den Vorrang vor der Heilsprophezeiung einräumen, wie das Hans
JONAS fordert, dann führt das zu einem totalen Immobilismus, denn wir durchschauen
die Folgewirkungen unserer Handlungen niemals' in allen ihren Konsequenzen" - und
technischer Fortschritt wäre künftig ausgeschlossen. Ohne technischen Fortschritt, der
ihre Ernährung und Energieversorgung aufrechterhält, kann aber die Menschheit nicht
einmal in ihrem heutigen Umfang erhalten werden. Wir sind dazu verdammt, mit der
Technik vorwärts zu schreiten, was selbstverständlich überhaupt nicht bedeutet, mit solchen technischen Ansätzen weiterzuarbeiten, die erkennbar gegen die Natur gerichtet
sind.
"Neue Techniken erfordern neue und umfangreichere Verantwortungen", stellt SAß
(1985, S. 59) fest und folgert daraus " eine Intensivierung der öffentlichen Diskussion
über die Mittel und Möglichkeiten der Technik und über die kulturellen und sittlichen
Normen, gemäß deren wir den Technikgebrauch steuern und beherrschen wollen". Darin
pflichten ihm alle Wissenschaftler bei, die sich öffentlich in die Ethikdebatten eingeschaltet haben, und viele politische und gesellschaftliche Organisationen. Die Kirchen
haben meiner Ansicht nach dazu die ausgewogenste Aussage formuliert, wenn sie fordern: "Bildungsbemühungen des Staates, der Kirchen und der gesellschaftlichen Gruppen
müssen Zusammenhänge deutlich machen, Lebensmöglichkeiten und Fertigkeiten vermitteln und Beratungsarbeit leisten. ( ... ) Zugleich muß auch ein 'negativer Bildungsprozeß' zum Stillstand gebracht werden, der mit problematischen Leitbildern der
Anspruchsmentalität und Selbstdurchsetzung das Verhalten des Individuums in hohem
Maße prägt. ( ... ) Die Bildungsbemühungen müssen eine fundierte und offene Information
der Bevölkerung einschließen und auf eine problembewußte Umweltverantwortung
abzielen, sollten also nicht Teil einer fragwürdigen politischen Indoktrination sein"
(Kirchenamt ... , 1985, S. 44).
Mit derartigen Bildungsbemühungen steht es, was den technischen Fortschritt in der
Landwirtschaft anlangt, nicht nur meiner eigenen Erfahrung nach sehr schlecht. "Die
modernen Agrartechnologien sehen sich einer wachsenden und zum Teil schon sehr starken öffentlichen Kritik ausgesetzt. Diese Kritik belastet das Image der Land- und
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Ernährungswirtschaft und ihrer Produkte. Sie hat darüber hinaus Einflußauf die Setzung
von Forschungsprioritäten", stellt von ALVENSLEBEN (1989) fest. LÜCKEMEYER und
PETERS sowie de HAEN und ZIMMER (beide 1989) bestätigen, daß Teile der Bevölkerung dazu neigen, Fortschritt im Agrarbereich sogar vollkommen abzulehnen. Ob es
hier überhaupt eine Lösung geben kann, bezweifle ich, denn diese Kritik beruht oft auf
mangelndem Wissen. Das Wissen des einzelnen Menschen wird aber immer mehr zum
Stückwerk, je rasanter das Wissen der Menschheit wächst. "Dadurch kommt es, daß nicht
nur die 'Laien' Wissenschaft nicht mehr verstehen, sondern daß sich auch Wissenschaftler
untereinander nicht mehr verständlich machen können" (NAGL, 1987, S. 135). "Die
unvorstellbare Zunahme an Wissen - und damit an Macht - macht die Verantwortung
zum zentralen Moment einer neuen, dem wissenschaftlich - technischen Zeitalter entsprechenden Ethik", folgert daraus nicht· nur der Biologe NAGL (1987, S. 137). Ob eine
solche Ethik wirklich das Prädikat "neu· verdient. wird auch in kirchlichen Kreisen diskutiert. Beide Kirchen sprechen in ihren offiziellen Stellungnahmen zu unserer Verantwortung für die Schöpfung nirgends von einer neuen Ethik. ja könnten das auch
niemals, ohne ihren theologischen Grundsätzen untreu zu werden. Die Kirchen zeigen
allerdings. "daß der christliche Glaube eine vertiefte Sicht der Umwelt als Schöpfung
erschließt und unserem Denken und Handeln einen neuen umfassenderen Sinnhorizont
eröffnet" (Kirchenamt ...• 1985. S. 31).
Einer anthropozentrischen Strömung. die unsere Verantwortung betont, neigen
soweit
ich sehen kann - die meisten Wissenschaftler zu. die sich in der letzten Zeit zur Ethik
geäußert haben. Neu ist daran eigentlich nichts. denn dieselben ethischen Regeln. die für
jedes menschliche Verhalten in einer säkularen. pluralistischen Gesellschaft gelten.
reichen auch für die sittliche Bewertung gentechnischer und fortpflanzungstechnischer
Maßnahmen aus. meint MOHR (1987. S. 168) und John PASSMORE (1980. S. 228 ff)
weist die These zurück. "daß der Westen jetzt nicht nur einen neuen Naturbegriff.
sondern ein neues Arsenal von ethischen Grundsätzen brauche. die ihm als Le.itfaden in
seinem Verhältnis zur Natur dienen könnten. (... ) was er eher braucht, ist keine neue
Ethik, sondern ein konsequentes Festhalten an einer Ethik. die ihm durchaus vertraut
ist". neue Verhaltensweisen seien viel wichtiger als neue ethische Grundsätze.
Eine neue Hauptströmung zur ethischen Bewertung technischer Fortschritte. die die
ganze Wirrnis an Gedankenläufen aufnimmt. von der ich am Anfang sprach. wird sich
demnach wohl nicht bilden. Die Diskussion über ethische Normen wird somit vielschichtig bleiben. vor allem wird sie intensiver werden. "nicht weil wir die Technik zu
weit getrieben haben. sondern weil wir die Verantwortung nicht weit genug getrieben
haben". wie SAß (1985. S. 60) sagt. Ich halte die deutsche Agrarwissenschaft in geistiger
Hinsicht für schlecht gerüstet. um sich in dieser Diskussion zu behaupten.
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