Medizintechnologie.de Schwachsichtigkeit bei Kindern Mikrosensor und Hightech-Brillen für besseres Sehen Okklusionstherapie: Das bessere Auge wird mithilfe eines Pflasters zeitweise abgedeckt, um das schwache Auge zu stimulieren. Quelle: Fotolia 04.10.2016 Schwachsichtigkeit ist eine der häu figsten kindlichen Sehstörungen: Ein Auge gibt unscharfe oder gar versetzte Bilder wieder. Damit daraus nicht eine lebenslange Sehstörung resultiert, muss das besser sehende Auge abgedeckt werden – so der Goldstandard in der Behandlung seit rund 50 Jahren. Forscher der Universitäts-Augenklinik Tübingen wollen jetzt herausfinden, wie lange das oft nervenstrapazierende Abkleben wirklich sein muss. Dabei hilft ein Mikrosensor. Zudem gibt es innovative Ansätze, wie zum Beispiel eine Shutterbrille, die das Abkleben langfristig ersetzen könnten. von Anja Speitel Mehr auf Medizintechnologie.de Sehschwäche wird zur Normalität Mindestens 5,6 Prozent der Kinder in Deutschland sind von Schwachsichtigkeit (Amblyopie) betroffen. Das Abkleben eines Auges (Okklusionsbehandlung) ist wichtiger Bestandteil der Therapie: Um das „faule“ Auge zum Sehen zu motivieren, muss das „gute“ Auge abgedeckt werden. Wird nicht in der frühen Kindheit behandelt, kann sich kein vollwertiges Sehvermögen oder auch räu mliches Sehen entwickeln. Der Therapieerfolg ist stark abhängig von der Mitarbeit des Kindes und seiner Eltern. Doch für betroffene Familien bedeutet das Abkleben des Auges nicht selten Geheule und Kämpfe: Das Pflaster nervt die Kinder, behindert es doch enorm ihre Orientierung. Mikrosensor überwacht Abdeckzeit Therapiestandard ist heute, je nach Ursache und Ausprägung der Amblyopie das gute Auge zwischen vier und sechs Stunden täglich bis hin zu mehreren Tagen am Stück abzukleben“, so Dr. Charlotte Schramm, Oberärztin an der Sehschule der UniversitätsAugenklinik Tübingen. Seit 2013 sammelte sie mit ihrer Forschungsgruppe die Daten von rund 50 Kindern mit Amblyopie, deren Abklebezeiten per Mikrochip im Pflaster erfasst wurden. Über Hautwiderstand- und Temperaturmessungen ermittelt diese Weiterführung des TheraMon®-Microsensors, der bislang vor allem in der Zahnmedizin zur Überwachung der Tragezeiten von Zahnspangen zum Einsatz kommt, wie lange wirklich Dr. Charlotte Schramm ist Oberärztin an der abgeklebt wird. „Die elektronische Sehschule der Universita?ts-Augenklinik Tu?bingen Erfassung der Okklusionszeiten und leitet dort die Forschungsgruppe Amblyopie. belegt, dass meist kürzer abgeklebt Quelle: Universitäts-Augenklinik Tübingen wird, als verschrieben“, erläutert Schramm. Da eine kindliche Schwachsichtigkeit auch häufig durch eine Fehlsichtigkeit verursacht wird, spielt dann zudem das Tragen einer Brille eine wichtige Rolle in der Therapie. Dies kann ebenfalls mittels des Mikrosensors kontrolliert werden. Therapiestandard überprüfen Die Tübinger Ärzte erhoffen sich vom Einsatz des Mikrochips in Abdeckpflaster oder/und Brille wichtige Erkenntnisse für eine mehr evidenzbasierte Therapiesteuerung. „Wir wollen Daten von 100 Kindern sammeln, um herauszufinden, wie lange wirklich abgeklebt werden muss, damit sich die Sehkraft verbessert“, sagt Schramm. „Vielleicht reichen bei durch Fehlsichtigkeit verursachter Amblyopie ja schon täglich zwei bis drei Stunden Abdeckzeit plus Brillenkorrektur.“ Resultiert die Schwachsichtigkeit aus Schielen (Strabismus), wird das gute Auge sogar bis zu sechs Tage am Stück abgeklebt. „Das ist schon eine Belastung für die Kinder“, gibt die Ärztin zu bedenken. „Wir wollen ergründen, ob man wirklich so hart abkleben muss.“ Compliance verstärken Die Daten aus dem Mikrochip werden auf einen Computer übertragen und graphisch dargestellt. „Wir können unsere kleinen Patienten so besser in die Behandlung miteinbeziehen“, sagt Schramm. „Haben sie das Pflaster gut getragen, erscheint neben der Kurve ein Smiley; lässt die Mitarbeit Der Mikrosensor mit dem eingebauten Speicherchip ist nur 9 mal 13 Millimeter groß und extrem flach. Quelle: MC Technology GmbH zu wünschen übrig, erscheint ein trauriges Gesicht.“ Auch für die Eltern könne die Kontrolle der Compliance ein Ansporn sein, zudem gäbe sie Eltern Sicherheit, dass die Therapie auch im Kindergarten verfolgt wird. Hightech-Brille als Alternative Um das lästige Abkleben ersetzen zu können, wird auch an neuen therapeutischen Ansätzen geforscht: Mit Computerbrillen oder Übungen am Computer (z.B. Caterna Sehschulung) wird das schwache Auge durch Lichtreize stimuliert. Dies ergänzt die Okklusion und soll zu einer besseren beidäu gigen Zusammenarbeit und stabileren Sehverbesserungen führen. „Wir als Uniklinik sind damit noch zurückhaltend, da evidenzbasierte Studien fehlen“, sagt Schramm. Genauso mit einer speziellen elektronischen Shutterbrille, die ein Brillenglas im 30 Sekunden-Rhythmus abdunkelt (Amblyz). Eine kleine Pilotstudie aus den USA mit 34 Patienten zwischen drei und acht Jahren mit moderater Amblyopie erbrachte im Untersuchungszeitraum von zwölf Wochen jedoch kürzlich gleichwertige Ergebnisse von Abkleben für zwei Stunden täglich und dem ganztägigen Tragen der Shutterbrille. „Bei schwacher Amblyopie könnte das vielleicht eine elegante Lösung sein“, meint Schramm. Zumal sich in die Brille Gläser zum Refraktionsausgleich einsetzen lassen. In den USA sind Amblyz seit 2015 von der Gesundheitsbehörde FDA zugelassen. © Medizintechnologie.de/ga Studie zum TheraMon-Mikrosensor Studie zur Shutterbrille