Islam als Herausforderung Europas

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Abendländische Ethik und Kultur
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Zürich, im Dezember 2006
Rundbrief Nr. 153
An den Freundeskreis der
Stiftung für
Abendländische Ethik und Kultur
Islam als Herausforderung Europas
Von Alexander Schrepfer-Proskurjakov
Die grösste Herausforderung abendländischer Politik im 21. Jahrhundert wird die islamische Welt
sein. Den Kern dieser Herausforderung bildet eine Strömung innerhalb der heutigen islamischen
Zivilisation, die wir ernst nehmen müssen: der islamische Fundamentalismus, genannt auch
Islamismus. Der Fundamentalismus bedeutet inhaltlich eine Politisierung der Religion. Dadurch ist
der Islam in der letzten Zeit zu einem wichtigen politischen Faktor geworden. Die zentralste
Herausforderung des islamischen Fundamentalismus ist, dass er aus der Politisierung des Islam ein
Konzept einer neuen Weltordnung als Alternative für die bestehende Ordnung entwickelt. Seit den
massiven Terroranschlägen in den USA und in Europa hat die Konfrontation zwischen islamischarabischer Welt und dem Westen eine neue Dimension angenommen.
Es gibt bereits zahlreiche Untersuchungen darüber, welche wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Faktoren dem Islamismus zu Grunde liegen. Gibt es aber neben den äusseren Faktoren
auch bestimmte innere Besonderheiten dieser Religion, die zum Fundamentalismus führen?
Der Islam ist eine 1400 Jahre alte Offenbarungsreligion. Der Islamismus ist dagegen eine politische
Ideologie, eine politische und radikale Verengung des Islam. Die Islamisten sichern ihren
Machterhalt, indem sie sich auf die Unantastbarkeit des Koran und der Sunna berufen, damit aber
die Unantastbarkeit der eigenen Koran- und Sunnainterpretation meinen.
Der wichtigste interne religiöse Faktor ist der Unterschied zwischen den „göttlichen“ und
„menschlichen“ Quellen des Islam und die Notwendigkeit einer Interpretation der „göttlichen“
Quellen.
Die erste Quelle des Islam - der Koran - ist die heilige Schrift des Islam, die gemäss dem Glauben
der Muslime Gottes wörtliche Offenbarung an Mohammed enthält. Er stellt für Muslime das
unerschaffene, ewige und wahre Wort Gottes dar und ist dadurch unanfechtbar. Dem Koran folgt
die Sunna. Die Grundlagen für diese Quelle bilden die Hadîthe, wörtlich „Mitteilung“ oder
„Erzählung“. Im islamisch-religiösen Gebrauch bezeichnet dieser Begriff die Überlieferungen der
Aussagen von Mohammed, seiner Taten oder seiner stillschweigenden Billigungen oder Ablehnungen von Handlungen. In ihrer Gesamtheit bilden diese Überlieferungen die Sunna des Propheten.
Die islamische Tradition verbindet Koran und Sunna zu einem zu befolgenden Massstab als Garant
für die Einheit der Muslime. Diese göttliche Offenbarung wurde mit dem Tod des Propheten
Mohammed 632 beendet und darf nicht weitergeführt werden.
Die modernen Muslimen müssen jedoch feststellen, dass viele wichtige Aspekte des Lebens der
Umma - der religiösen Gemeinschaft aller Muslime - weder vom Koran noch von der Sunna
geregelt werden. Ein Moslem findet heutzutage keine Antwort im Koran oder in der Sunna auf die
Frage, ob er fernsehen bzw. das Internet benutzen darf, denn zu Lebzeiten des Propheten gab es
weder das eine noch das andere. Dabei erhebt der Islam als Religion den Anspruch, alle
Lebensbereiche zu regeln. Gleichzeitig ist es der Wunsch der Gläubigen, alle möglichen Antworten
in der heiligen Schrift zu finden. Der ägyptische Rechtwissenschaftler Muhammad Said alAshmawi betonte, dass der Koran „nur wenige Normen enthält, welche die zwischenmenschlichen
Beziehungen tangieren, und diese wenigen Normen regeln nicht alle Beziehungen“.
Diese Aufgabe zu erfüllen beansprucht die Scharia - eine religiöse Pflichtenlehre, die die Regelung
aller Bereiche des menschlichen Daseins anstrebt. In kasuistischem Aufbau bestimmt sie die
Rechte und Pflichten des Menschen gegenüber anderen und gegenüber Gott. Trotz gelegentlicher
Versuche ist die Scharia allerdings nie kodifiziert worden, weshalb Detailfragen immer wieder
durchaus strittig diskutiert werden. Dies veranschaulicht auch die Umsetzung der Scharia in der
Gesetzgebung. Diese ist zwar geltendes Recht in Saudi-Arabien, den Malediven, Iran,
Bangladesch, Mauretanien, Afghanistan, Marokko, Sudan, Katar, in der indonesischen autonomen
Provinz Aceh und in Pakistan. In Nigeria gilt jedoch die Scharia nur in islamisch dominierten
Landesteilen, in Tunesien wird diese ausschliesslich im zivilrechtlichen Bereich umgesetzt, und in
der Türkei ist eine rechtliche Verwendung dieses kanonischen Gesetzes des Islam praktisch nicht
erkennbar.
Die Scharia regelt zwar das rituelle Verhalten des Einzelnen und die äusseren Beziehungen des
Menschen zu Gott, kümmert sich allerdings nicht um Glaubensfragen. Aber auch die Fragen im
Alltag können durchaus religiöser Natur sein. Die Notwendigkeit, immer neue religiöse Fragen im
Leben zu beantworten, führte dazu, dass im Islam ein Verfahren herausgearbeitet wurde, welches
Idschtihad (oder Ijtihad) genannt wird. Dies bedeutet wörtlich "Bemühung", und dem Sinne nach eine selbständige Rechtsfindung bzw. Interpretation der Rechtsquellen, also des Koran und der
Hadîthen.
Es gibt genug Beispiele in der Geschichte, dass die Versuche, diese oder jene Religion neu zu
interpretieren, zu religiösen Spaltungen, bewaffneten Auseinandersetzungen oder gar zu Kriegen
führten. Im Islam war es der Streit um die Regelung der Nachfolge des Propheten Mohammed in
seiner Funktion als Vorsteher der Umma, der eine Spaltung des Islam in Sunniten, Schiiten und
Charidschiten herbeiführte. Und der Interpretationsstreit geht weiter.
Das System der Idschtihad ist eine menschliche Interpretation der Göttlichen Offenbarung. Das
bedeutet im Klartext, dass jeder Moslem das Recht hat, alle Ergebnisse dieser Interpretation
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anzuzweifeln. So bleibt nur ein einziger Weg, im Zweifelsfall die Wahrheit zu finden: man muss
zurückkehren zu der Göttlichen Offenbarung, also zu dem Koran und zur Sunna. Denn nur diese
Quellen gelten als göttlich und somit als fehlerfrei.
Genau auf dieser internen Basis entsteht im Islam diejenige intellektuelle und politische Bewegung,
die als islamischer Fundamentalismus bezeichnet wird. Das bedeutet auch das Wort
Fundamentalismus - man kehrt zum „wahren Fundament“ der Religion zurück. Die Muslime selbst
bezeichnen diesen Prozess als Salafismus. Der Begriff „Salafismus“ kommt vom arabischen
Ausdruck al-Salaf al-Saalih, wörtlich „die frommen Vorväter“. Dies ist also eine Rückbesinnung
auf den frühen, vermeintlich reinen Islam. Die Salafiten sind der Meinung, dass der Koran und die
Sunna überhaupt nicht interpretiert werden müssen, sie seien so zu akzeptieren, wie sie sind.
In der Praxis neigen die Salafiten jedoch durchaus dazu, die Koran- oder Sunnazitate selbst
auszulegen, und zwar so, wie sie es für richtig halten. So steht es z.B. im Koran (5: 44-45):
„Diejenigen, die nicht nach dem entscheiden, was Gott in der Schrift herabgesandt hatte,
sind die wahren Ungläubigen (kâfirun).“
Das wird von den Salafiten so ausgelegt, dass die „Ungläubigen“ z.B. alle Staatsoberhäupter sind,
die nach menschlichen Gesetzen richten, d.h. alle Demokratien. Und nicht nur die
Staatsoberhäupter, sondern auch alle, die „in ihrem Dienste stehen“, was auf die gesamte
Bevölkerung ausgedehnt werden kann. Hier entsteht ein Widerspruch: Während die Salafiten die
Rückkehr zum „wahren Islam“ und zu den unanfechtbaren Quellen propagieren, geht es in der
Wirklichkeit um ihre eigene Interpretation dieser Quellen.
Der Salafismus existiert dabei nicht als ein abstraktes Wertesystem, sondern wird durch die
Tätigkeit bestimmter Organisationen umgesetzt. Dabei werden zwei wichtige Begriffe besonders
hartnäckig realisiert: Takfir und Dschihad. Takfir bedeutet die Erklärung einer Person zum
„Ungläubigen“, zu einem Kâfir. Und das sind alle, die mit den Salafiten und mit deren
Glaubenssystem nicht einverstanden sind. Dabei sind Nichtmoslems - z.B. Christen und Juden nicht das Objekt der Takfir, denn diese sind ja ohnehin bereits Ungläubige (Kâfir). Deshalb richtet
sich die Takfir gegen die Moslems, die mit der salafitischen Auslegung des Islam nicht
einverstanden sind. Die andauernden Kämpfe im Irak, bei denen vor allem Moslems ums Leben
kommen, ist ein anschauliches Bespiel dazu.
Der zweite wichtige Begriff der Salafitenbewegung ist der Dschihad. Davon unterscheidet der
Islam zwei Arten. Der "grösste Dschihad" ist der Kampf gegen das niedere Selbst, die Seele, die
zum Bösen verführt. Insbesondere in der islamischen Mystik, im Sufismus, kommt dieser Form des
Dschihad besondere Bedeutung zu. Der "kleine" oder "äussere Dschihad" besteht in der
Ausbreitung und Verteidigung des Islam, notfalls auch mit Waffengewalt. Die Salafiten
akzeptieren und verabsolutieren nur die zweite Variante von Dschihad. Dieser Dschihad richtet
sich ebenfalls wie die Takfir auch gegen die Moslems, die keine Salafiten sind.
Der Fundamentalismus alias Salafismus beschränkt sich heute keinesfalls auf moslemische Staaten,
sondern erhebt einen Gültigkeitsanspruch für alle Staaten, wo Moslems leben, auch wenn diese
dort eine Minderheit bilden. Ein moderner Islamist, Musa Mukoschev, äusserte sich dazu
unmissverständlich auf der Homepage der tschetschenischen Rebellen am 23. September 2006.
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„Wie ist die Lage eines Moslems, der heute in einem Ungläubigen-Staat lebt? Es gibt hier nur eine
Antwort: in den Kampf gegen die Ungläubigen ziehen, zum Dschihad übergehen. Viele Brüder
irren sich, indem sie sich an ein bestimmtes Territorium oder ein bestimmtes Volk gebunden
fühlen. Sie vergessen, dass die ganze Umma und alle Moslems ein Volk und ein Körper sind, wie
es der Gesandte Allahs sagt“. Seine Ansichten untermauerte auch Mukoschev mit mehreren KoranZitaten wie z.B. „Und tötet sie [die Ungläubigen], wo immer ihr auf sie stosst.“ (Koran 2:192).
Auch die Schweiz gehört zum Aktionsfeld der „islamistischen Internationale“. Dies veranschaulichte besonders deutlich der Fall Malika al-Arouds, einer belgischen Staatsbürgerin
marokkanischer Abstammung, Witwe eines Selbstmordattentäters, der in Afghanistan den TalibanGegner Massud tötete. Zusammen mit ihrem zweiten Mann, einem Tunesier mit Schweizer
Aufenthaltsbewilligung, sammelte die überzeugte Gotteskriegerin al-Arouds in der Schweiz Geld
für verurteilte Al-Qaida-Terroristen und betrieb von Düdingen aus eine Internet-Seite, auf welcher
sie zum Dschihad aufrief. Und zwar zum heiligen Krieg nach der Salafiten-Art: Nur Dschihad,
keine Verhandlungen, keine Gespräche, kein Dialog. Im Februar 2005 wurde die Internet-Seite auf
Geheiss des Bundesanwaltes geschlossen, Malika al-Aroud verhaftet. Doch sie war bald wieder auf
freiem Fuss und hat sich inzwischen nach Belgien abgesetzt.
Die rund 12 Millionen Muslime in Europa bieten den Extremisten sowohl Versteck als auch
Rekrutierungsbasis. Bassam Tibi, Professor für Islamologie und Internationale Politik in St. Gallen
und Göttingen sowie Preisträger der STAB Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur 2003, hat
nicht zufällig vor einer Islamisierung Europas gewarnt.
300 von 2400 Mitarbeitern des deutschen Verfassungsschutzes setzten sich heute mit dem Thema
„Islamistischer Extremismus und Terror“ auseinander. Für die Analyse der islamistischen Szene
wird ein Modell angewendet, welches generell für die Darstellung von Radikalisierungsprozessen
politischer und religiöser Extremisten verwendet werden kann: ca. 90 Prozent Muslime in Europa
werden nach diesem Modell als “Unbeeinflusste” eingestuft (Einfluss durch Familie, Erziehung
und gemässigte Medien), ca. 9 Prozent fallen unter die Kategorie “Beeinflusste” (Einfluss durch
Moscheen und aggressive Medien), rund 1 Prozent der Muslime gehören zur Kategorie der
“Überzeugten” (Einfluss durch Internet, radikale Literatur und Geheimtreffen), von der eine
Weiterentwicklung zu potenziellen Terroristen als möglich angesehen wird. Natürlich bedeutet ein
Prozent eine Minderheit; jedoch ist nicht zu vergessen, dass es eine radikale Minderheit ist, die
Terroranschläge verübt. Dies würde eine Anzahl von 120 000 potentiellen Terroristen für Europa
bedeuten. Natürlich ist dieses Modell ein Konstrukt, bei dem statistische Fehler möglich sind;
dieses veranschaulicht jedoch das Ausmass der Terrorgefahr im Westen.
Die Errungenschaften der westlich Zivilisation werden von den Fundamentalisten durchaus
benutzt, obwohl diese gemäss der internen Logik der fundamentalistischen Bewegung verboten
werden sollten. Das Internet wurde inzwischen zu einem globalen Medium für die Verbreitung von
islamistischen Ideen. Der russische Islam-Forscher, Professor Alexander Igantenko listet in seinem
Buch „Islam und Politik“ über 50 Web-Seiten der islamistischen Organisationen auf.
Der Fundamentalismus benutzt den Terror als eine politische Strategie und bedient sich dabei des
Verstärkungseffekts der westlichen Massenmedien. Dabei ziehen die verübten oder vereitelten
Terroranschläge besonders stark die Aufmerksamkeit der Medien an. Auf diese Weise spielen die
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Massenmedien den Fundamentalisten in die Hände, denn ihnen wird mehr Aufmerksamkeit
geschenkt als den gemässigten modernen Moslems. Und dies ist auch ein negatives Zeichen für
gemässigte Moslems: Radikale Massnahmen finden eher Gehör durch die Massenmedien bei der
westlichen Gesellschaft.
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