001-004_Titelei 02.07.2008 16:22 Uhr Seite 3 Dietrich Erben Komponistenporträts Von der Renaissance bis zur Gegenwart PHILIPP RECLAM JUN. STUTTGART 001-004_Titelei 02.07.2008 16:22 Uhr Seite 4 Alle Rechte vorbehalten © 2008 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart Gestaltung: Günter Jacki, Stuttgart Satz: Reclam, Ditzingen Reproduktionen: L & N Litho, Waiblingen Druck: Memminger MedienCentrum Buchbinderische Verarbeitung: Conzella Verlagsbuchbinderei, Aschheim-Dornach bei München Printed in Germany 2008 RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 978-3-15-010657-0 www.reclam.de 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 5 I N H A LT EINFÜHRUNG 11 GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA 24 Frontispiz zum Ersten Messenbuch, 1554 ORLANDO DI LASSO 26 Hans Mielich, 1570 CLAUDIO MONTEVERDI 28 Bernardo Strozzi, um 1640 GIROLAMO FRESCOBALDI 30 Gian Lorenzo Bernini, um 1640 NICHOLAS LANIER 32 Anthonis van Dyck, 1625 HEINRICH SCHÜTZ 34 Christoph Spetner, nach 1657 JOHANN ADAM REINKEN, DIETRICH BUXTEHUDE UND JOHANN THEILE 36 Johannes Voorhout, 1674 JEAN-BAPTISTE LULLY 38 Paul Mignard, um 1681 CHARLES MOUTON 40 François de Troy, 1690 ELISABETH-CLAUDE JACQUET DE LA GUERRE 42 François de Troy, um 1695 JEAN-FÉRY REBEL 44 Antoine Watteau, um 1720 ANTONIO VIVALDI 46 Pier Leone Ghezzi, 1723 GEORG FRIEDRICH HÄNDEL 48 Louis-François Roubiliac, 1738 JOHANN SEBASTIAN BACH 50 Elias Gottlob Haußmann, 1746 JEAN-PHILIPPE RAMEAU 52 Jean-Jacques Caffiéri, 1760 CHRISTOPH WILLIBALD GLUCK Joseph-Siffred Duplessis, 1775 5 54 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 6 ANNA AMALIA VON SACHSEN-WEIMAR-EISENACH 56 Johann Ernst Heinsius, um 1772 MARIANNE MARTINEZ 58 Anton von Maron, um 1773 CARL PHILIPP EMANUEL BACH 60 Scherenschnitt aus J.C. Lavater, Physiognomische Fragmente, 1777 KARL FRIEDRICH ABEL 62 Thomas Gainsborough, 1777 WOLFGANG AMADEUS MOZART 64 Joseph Lange, 1789 JOSEPH HAYDN 66 John Hoppner, 1791 DOMENICO CIMAROSA 68 Antonio Canova, 1808 LUDWIG VAN BEETHOVEN 70 Joseph Karl Stieler, 1820 FRANZ SCHUBERT 72 Wilhelm August Rieder, 1825 CARL MARIA VON WEBER 74 Caroline Bardua, 1821 GIACOMO MEYERBEER 76 Friedrich Georg Weitsch, 1802 FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY 78 James Warren Childe, 1830 FANNY MENDELSSOHN-HENSEL 80 Wilhelm Hensel, 1829 NICCOLÒ PAGANINI 82 Eugène Delacroix, 1832 FRÉDÉRIC CHOPIN 84 Eugène Delacroix, 1838 LUIGI CHERUBINI 86 Jean-Auguste-Dominique Ingres, 1841 HECTOR BERLIOZ 88 Gustave Courbet, 1848 ROBERT SCHUMANN Johann Anton Völlner, 1850 6 90 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 7 CLARA SCHUMANN UND JOSEPH JOACHIM 92 Adolph Menzel, 1854 JACQUES OFFENBACH 94 André Gill, 1874 FRANZ LISZT 96 Franz Hanfstaengl, 1869 GIOACCHINO ROSSINI 98 Francesco Hayez, 1870 RICHARD WAGNER 100 Auguste Renoir, 1882 EMMANUEL CHABRIER 102 Edouard Manet, 1881 PABLO DE SARASATE 104 James Abbot McNeill Whistler, 1884 GABRIEL FAURÉ 106 John Singer Sargent, 1889 GIUSEPPE VERDI 108 Giovanni Boldini, 1886 ANTON BRUCKNER 110 Fritz von Uhde, 1886 JOHANNES BRAHMS 112 Max Klinger, 1909 ANTONÍN DVOŘÁK 114 Seite aus dem New York Herald, 1893 PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY 116 Nikolai Kusnetzow, 1893 EDVARD GRIEG 118 Erik Werenskiold, 1902 HUGO WOLF 120 Totenmaske, 1903 GIACOMO PUCCINI 122 Luigi De Servi, 1903 EDWARD ELGAR 124 Philip Burne-Jones, 1913 GUSTAV MAHLER Auguste Rodin, 1909 7 126 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 8 CLAUDE DEBUSSY 128 Henri de Groux, 1909 MAURICE RAVEL 130 Achille Ouvré, 1911 ARNOLD SCHÖNBERG 132 Grünes Selbstporträt, 1910 ALBAN BERG 134 Arnold Schönberg, um 1910 ANTON WEBERN 136 Oskar Kokoschka, 1914 FERRUCCIO BUSONI 138 Umberto Boccioni, 1916 MAX REGER 140 Max Beckmann, 1917 RICHARD STRAUSS 142 Max Liebermann, 1918 ERIK SATIE 144 Pablo Picasso, 1920 LES SIX 146 Jacques-Emile Blanche, 1922 GEORGES AURIC 148 Joan Miró, 1929 MANUEL DE FALLA 150 Salvador Dalí, um 1923/25 BÉLA BARTÓK 152 Fotografie, um 1935 KURT WEILL UND LOTTE LENJA 154 Fotografie, 1928 CHARLES IVES 156 William Eugene Smith, um 1945 EDGARD VARÈSE 158 Alexander Calder, 1931 GEORGE GERSHWIN 160 Selbstporträt, 1932 SERGEJ RACHMANINOW 162 Boris Schaljapin, 1940 BENJAMIN BRITTEN UND PETER PEARS 164 Kenneth Green, 1943 PAUL HINDEMITH 166 Selbstporträt, 1950 IGOR STRAWINSKY Alberto Giacometti, 1957 8 168 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 9 OLIVIER MESSIAEN 170 Fotografie, 1962 PIERRE BOULEZ 172 Susanne Schapowalow, 1961 HANNS EISLER 174 Georg Eisler, 1962 KARL AMADEUS HARTMANN UND ADOLF HARTMANN 176 Adolf Hartmann, 1963 HANS WERNER HENZE UND INGEBORG BACHMANN 178 Stefan Moses, 1965 JOHN CAGE 180 Walter De Maria, 1965 PHILIP GLASS 182 Chuck Close, 1969 KARLHEINZ STOCKHAUSEN 184 Alfred Strobel, 1970 HARRISON BIRTWISTLE 186 David Hockney, 1970 DIMITRI SCHOSTAKOWITSCH 188 Takhir Salakhov, 1976 MORTON FELDMAN 190 Philip Guston, 1978 GYÖRGY LIGETI 192 . Aliute Mečys, 1984 LUIGI NONO 194 Karin Rocholl, 1986 ANHANG Literaturhinweise 199 Verzeichnis der Komponisten mit Literatur-, Zitat- und 201 Abbildungsnachweisen Personenregister 9 209 005-010_Inhalt 02.07.2008 11:15 Uhr Seite 10 10 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 11 EINFÜHRUNG Wege zum Komponistenporträt In der Musikkultur der Gegenwart hat das Bild des Interpreten längst das Bild des Komponisten verdrängt. Fast ohne Ausnahme sind auf dem Booklet der Compact Disc oder bis vor einigen Jahren auf der Schallplattenhülle die Sängerin und der Sänger, der Dirigent oder der Instrumentalist ins Bild gesetzt. Kaum ein Konzertplakat kommt ohne das Porträt der Musikerin und des Musikers aus, sehr wohl aber ohne das Bildnis des Komponisten. Die Gründe für diesen Sachverhalt sind nachvollziehbar, sie haben letztlich mit der Dominanz des Repertoires und mit deren Paradoxien zu tun. Beim Repertoire ist das Alte in seiner Wiederholung neu, während das Neue kaum vorkommt. Dem unübersehbaren Kosmos neuer und neuester Musik, die es nur bis zur Uraufführung, jedoch niemals ins Repertoire schafft, steht in einem absurden Missverhältnis der durchaus überschaubare Kanon der Repertoirewerke gegenüber. Diese sind vornehmlich im 18. und 19. Jahrhundert entstanden und erklingen in überwältigender Dominanz in der Oper, den Konzertsälen und Tonstudios. Die Zahl der Komponisten etablierter Repertoirewerke erweist sich als vergleichsweise konstant und beschränkt sich auf wenige Dutzende von Komponisten, die in diesem Buch mit ihren Porträts vorgestellt werden. Die Interpreten hingegen kommen und gehen, sie garantieren Ertrag und Reiz des Neuen, für das sie mit ihrem Bild einstehen. Damit ist ein doppelbödiges Phänomen angesprochen. Denn so wie für die Musikkultur die stetige Vergegenwärtigung des Repertoires durch eine kontinuierliche Aufführung schlechterdings das Lebenselixier ist, so sind die kommerziellen Aspekte des Musikbetriebs ebenso wenig von der Hand zu weisen. Der Dirigent, der sich »seiner« Interpretation der Symphonie widmet, oder die Sopranistin, die »ihre« Gestaltungsvorstellung von der Titelrolle der Belcanto-Oper dem Publikum überantwortet, verkörpern nicht nur eine lebendige Musiktradition, sondern sie fungieren auch als Stützen einer marktgerechten Diversifikation. Jede Interpretation befördert auch die Produktdifferenzierung – nämlich die Vielfalt der Deutungen und Sichtweisen auf das einzelne Werk aus dem Ganzen des Repertoires, bei dem es sich, wohlgemerkt, um eine durch den Publikumsgeschmack begrenzte Ressource handelt. All diese Phänomene, die auf die allmähliche Herausbildung des Repertoires seit dem frühen 19. Jahrhundert zurückverweisen, haben einen immensen Einfluss auf die Bildpräsenz von Komponist und Interpret in der Öffentlichkeit des Musiklebens. Für das 19. Jahrhundert lässt sich noch ein relativer Gleichrang von Komponist und Interpret konstatieren, was vor allem mit deren Zusammenführung in Personalunion zu tun hat. Dirigierende Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy oder Gustav Mahler und auch komponierende Instrumentalvirtuosen wie Niccolò Paganini oder Franz Liszt brachten eigene Werke zur Aufführung, haben sich aber auch um das Repertoire verdient gemacht. An der Wende zum 20. Jahrhundert hatte das Bild des Interpreten demjenigen des Komponisten bereits den Rang abgelaufen, und dabei ist es geblieben. Die Zeiten sind vorbei, in denen ein Komponistenbildnis noch zu Werbezwecken taugen und das Porträt Giuseppe Verdis zusammen mit dessen Landgut in Roncole auf einer Reklamemarke für »Liebig’s Fleisch-Extract« landen konnte. Seither tritt im Musikbetrieb dem Gehörten eine Form der visuellen Vermittlung zur Seite, die maßgeblich vom Interpreten geleistet wird. Es sind die berühmten und die neuen Gesichter der Musikerin und des Musikers, durch die Rang, Aktualität und Reiz eines Musikstücks verbürgt werden sollen. In den letzten Jahren lässt sich beobachten, dass mit dem Wiederaufleben theatralischer Gesten, die dem Geniekult des 19. Jahrhunderts abgeschaut sind und die man längst vergessen 11 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 12 EINFÜHRUNG glaubte, auch die visuelle Inszenierung der Interpreten nochmals überboten wird. Das hier vorgelegte Buch will eine Galerie ausgewählter Komponistenbildnisse erschließen und auf diesem Weg an eine historische Dimension der visuellen Vergegenwärtigung von Komponistinnen und Komponisten erinnern. In den Werken dieser Galerie sind Musik- und Kunstgeschichte vereint. Hauptanliegen des Buches ist es, ausgehend von den persönlichen Beziehungen zwischen Komponisten und bildenden Künstlern, den vielfältigen ästhetischen Konstellationen auf die Spur zu kommen, die beide miteinander verbanden. Damit werden die hier vorgestellten Porträts als historische Zeugnisse in einem speziellen Sinn verstanden. Gefragt wird weniger nach dem biographischen Quellenwert der Bildnisse für das Leben des Komponisten, sondern danach, welche Aussage die Bilder über den Dialog zwischen Komponist und Künstler machen und wie sich dieser Dialog im jeweiligen Porträt manifestiert. Die Porträts werden nicht unter dem Vorzeichen gesehen, in welchem Maß sie eine historische Realität widerspiegeln, sondern wie sie eine ästhetische Wirklichkeit erzeugen. Zugespitzt formuliert, richtet sich der Blick auf die Bildnisse nicht darauf, wie die Komponisten aussahen, sondern wie sie von den Malern, Bildhauern und Fotografen gesehen und dargestellt wurden. Wenn der Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg das Gesicht eines Menschen einmal als »die unterhaltsamste Fläche der Erde« bezeichnete und dabei die Zwiesprache einer Person mit ihrem Gegenüber vor Augen hatte, so liegt dieser Reiz der Unterhaltung zwischen Modell und Künstler auch im Gesicht als künstlerisch gestaltetem Porträt. Diese Überlegungen scheinen in den einzelnen Texten zu den Bildnissen in unterschiedlichen Brechungen auf. Die zusammengestellte Folge von Bildnissen ist im Hinblick auf ihre Anzahl überschaubar, sie umspannt aber chronologisch immerhin einen Zeitraum von mehr als vier Jahrhunderten. Das erste Bild stammt aus dem Jahr 1554, es handelt sich um ein als Holzschnitt für das Titelblatt eines Messenbuchs gefertigtes Autorenbildnis von Giovanni da Palestrina. Das abschließende Porträt von Luigi Nono wurde im Jahr 1986 fotografisch festgehalten. Komponist und Porträt Der Anfang des Betrachtungszeitraums um die Mitte des 16. Jahrhunderts begrenzt historisch ein einigermaßen gesichertes Terrain im Hinblick auf einen doppelten Sachverhalt, der für das Thema des Buches von einiger Relevanz ist: In dieser Epoche hatten sich die Vorstellungen davon, was ein Komponist ist und was ein Porträt, einigermaßen geklärt. Als Komponist wird seither der Verfasser eines schriftlich fixierten Tonsatzes bezeichnet, für den er auch die Urheberschaft beansprucht. Aufgrund dieser Autorschaft gelang es den Komponisten, sich in den Kreis der geistig tätigen litterati einzureihen und sich zugleich vom praktischen Musiker zu unterscheiden. Natürlich blieben die Grenzen von Theorie und Praxis über Jahrhunderte hinweg fließend. Weiterhin fungierten Komponisten als Agenten ihrer eigenen Werke, die sie als Interpreten selbst zur Aufführung brachten. Und nicht immer ist der Rang eines Musikers hinsichtlich der Arbeit als Komponist oder Interpret klar abzuwägen oder präzise zu bestimmen. Bis heute werden fast alle Komponisten auch als kongenial-authentische Inter- 12 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 13 EINFÜHRUNG preten ihrer Werke, sei es als Dirigent oder Instrumentalist, nachgefragt. Bisweilen hat sich auch die historische Beurteilung verschoben. Manche Musiker, wie Karl Friedrich Abel, Niccolò Paganini oder Franz Liszt, an die man sich heute eher als Virtuosen erinnert, galten zu ihrer Zeit als respektable Komponisten. Gustav Mahler steht heute als Dirigent völlig in seinem eigenen Schatten als Komponist, bei Leonard Bernstein ist es umgekehrt. Von all diesen notwendigen Unterscheidungen bleibt die kategoriale Bestimmung des Komponisten als Autor von ausgearbeiteten und notierten Musikwerken unbeschadet. Komponieren und Musizieren, Noten schreiben und Noten spielen gelten seit der Renaissance im musikalischen Metier als etwas grundsätzlich voneinander Trennbares. Damit lässt sich auch das Komponistenporträt als eigener Typus gegenüber zwei verwandten Bildtypen abgrenzen. Es unterscheidet sich einerseits von den vielen Bildnissen, die professionelle Musiker darstellen, und andererseits von den Bildern mit Musizierenden, die oftmals in der Form von Genrebildern Szenen des musikalischen Zeitvertreibs wiedergeben. Erinnert sei nur an die berühmten Musizierszenen von Jan Vermeer oder Antoine Watteau. Als sich der Begriff des Komponisten in Theorie und Praxis bis zum 16. Jahrhundert gefestigt hatte, war das Porträt im Kanon der Bildgattungen schon etabliert. Beim Porträt handelt es sich um diejenige Bildaufgabe, die sich der intentional erzeugten, gestalteten Darstellung des menschlichen Gesichts oder einer ganzen menschlichen Gestalt widmet. Der Humanist Leon Battista Alberti, dem man die Gründungsstatuten der neuzeitlichen Kunst- und Architekturtheorie verdankt, hatte um die Mitte des 15. Jahrhunderts für das Porträt die Naturwahrheit (similitudo) postuliert, eine Forderung, der die Renaissancekünstler in ihren Bildnissen auch in der Praxis sichtbare Gestalt zu verleihen suchten. Zudem hatte Alberti mit der Funktion, abwesende Personen oder Tote im Bild zu vergegenwärtigen und dadurch beim Betrachter die Erinnerung (memoria) heraufzubeschwören, die Hauptaufgabe des Bildnisses festgelegt. Ein Bildnis erfüllt dann seinen Zweck, wenn es die reale Abwesenheit einer Person aufhebt und in deren fiktive Anwesenheit im Bild verwandelt. Indem Alberti unter Berufung auf antike Erfindungslegenden den Ursprung der Malerei im Porträt zu erkennen meinte, hob er die Bildgattung schließlich über die bloße Naturschilderung hinaus in die Sphäre der vom Künstler geforderten Erfindung (inventio). Damit war der Gattung des Porträts ein immenses Entwicklungspotential in Aussicht gestellt. Der Bildnismaler musste sich mit der als unverzichtbar erachteten Ähnlichkeit zwischen Modell und Bild nicht zufriedengeben. Er wurde dazu ermuntert, Naturnachahmung und Idealisierung zur Synthese zu führen. Dem Künstler wurde die subjektive Sicht auf sein Modell nicht nur erlaubt, sie wurde von ihm erwartet. Schon in der Bildniskunst der Renaissance ist der hier angesprochene ästhetische Eigensinn der Gattung unübersehbar. Auch über die Frage nach den Gemeinsamkeiten und den Unterschieden zwischen den Künsten hat man bereits zu Beginn der neuzeitlichen Kunsttheorie nachgedacht. Innerhalb der Kunst- und der Musiktheorie wurde dabei die Dimension der Zeitlichkeit ins Zentrum gerückt und von diesem Kriterium aus das Verbindende und das Trennende zwischen Bild und Ton, imago und musica, bestimmt. Hatte Alberti die kommemorative Funktion des Bildnisses betont, die durch die überdauernde Präsenz des Bildes als Objekt gewährleistet wird, so hat der Musiktheoretiker Adam von Fulda am Ende des 15. Jahrhunderts die Flüchtigkeit der Musik hervorgehoben. Auch die Musik erfüllt eine kommemorative Funktion, da sie ihre reale Existenz dem zeitlichen Vergehen verdankt. Aber diese richtet sich auf die letzten Dinge: »Denn die Musik ist auch eine Philosophie und zwar die wahre Philosophie, diejenige des Nachdenkens über den Tod.« Diese allgemeinen Bestimmungen stammen aus einer früheren, historisch ferngerückten Epoche. Für das Verständnis der Gattung des Porträts sind sie trotz des erheblichen historischen und künstlerischen Wandels bis in die Gegenwart hinein grundlegend. Darüber hinaus bleibt eingehender zu klären, in welchem Sinn von einem eigenen Typus des Komponistenbildnisses innerhalb der Gat- 13 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 14 EINFÜHRUNG tung des Porträts gesprochen werden kann. Offenbar lässt sich ein solcher Typus nur im Hinblick auf die inhaltlichen und funktionalen Besonderheiten der Bildnisse bestimmen. Stilgeschichtlich verläuft die Entwicklung des Komponistenporträts völlig parallel zur allgemeinen Entwicklung der Gattung des Porträts. Die Porträts, die Thomas Gainsborough im 18. Jahrhundert und Pablo Picasso im 20. Jahrhundert von Komponisten angefertigt haben, unterscheiden sich in ihrer stilistischen Gestaltung in nichts von den Bildern, die sie von anderen Zeitgenossen gemalt haben. Bildinhalte Ikonographisch und funktional folgen die Komponistenporträts den typologischen Gesetzmäßigkeiten von Berufs-, Standes- oder Amtsbildnissen. Dieser Typus lässt sich über den ausgewählten Kreis der Dargestellten bestimmen, die oftmals durch besondere Attribute als Angehörige ihres Berufsstandes ausgezeichnet sind. Erscheinen Dichter und Dichterinnen mit der Schreibfeder, Architekten mit dem Zirkel oder Maler und Malerinnen mit der Palette auf ihren Bildnissen, so lassen sich auch Komponistinnen und Komponisten mit den Werkzeugen oder den Produkten ihres Metiers ins Bild setzen. Wie nicht anders zu erwarten, ist das weitaus geläufigste Motiv, das einen Hinweis auf den Beruf des Komponisten gibt, ein Instrument. Dies zeigt sich schon bei den frühesten Bildnissen, die von namentlich identifizierbaren Komponisten dokumentiert sind und die sich an deren Grabmälern finden. Der 1397 verstorbene Florentiner Komponist Francesco Landini ist auf seinem Grabstein in der Kirche San Lorenzo als Liegefigur mit einem Orgelportativ wiedergegeben. Ebenso ist Conrad Paumann, der seit 1451 im Dienst der Herzöge von Bayern stand, auf dem Relief seines Grabmals in der Münchner Frauenkirche beim Spielen eines Portativs dargestellt. Ein mehrstimmiges Instrument kann dabei auf die Fähigkeit verweisen, einen polyphonen Tonsatz zu erfinden. Der chronologische Bogen der Bildnisse, die den Komponisten in der Pose des Musizierens oder des Komponierens am Klavier darstellen, ist weit gespannt. Er reicht – um im Folgenden nur jeweils auf die Beispiele in diesem Buch hinzuweisen – von ElisabethClaude Jacquet de la Guerre bis zu Pierre Boulez. Wie dies im Zusammenhang mit der Definition des Komponisten bereits angedeutet wurde, wird mit dem Instrumentenmotiv auch immer wieder auf die virtuosen Fertigkeiten als Instrumentalist angespielt. Bei den Bildern, in denen die Dargestellten mit Soloinstrumenten gezeigt oder in Aufführungssituationen integriert sind, ist dieser Aspekt noch prononcierter hervorgehoben. Unter den Vorzeichen der hoch technisierten Aufführungspraxis elektronischer Musik behält er selbst noch für die Darstellung von Karlheinz Stockhausen am elektronischen Mischpult Gültigkeit. 14 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 15 EINFÜHRUNG Als Ausweis kompositorischer Inventionskunst haben sich illustre Vertreter des Standes darüber hinaus mit dem Attribut des Notenblattes oder der Partitur darstellen lassen. Giovanni da Palestrina führt zu Beginn in diesen Bildtypus ein, der bis in die Gegenwart mit dem Beispiel von Karl Amadeus Hartmann seine Verbindlichkeit bewahrt hat. Begleitende Personifikationen, die einer anderen Realitätssphäre als der Porträtierte angehören, sind bei allen Sparten von Berufsbildern nichts Ungewöhnliches und können auch das Komponistenporträt auszeichnen. Hier dienen allegorische Assistenzfiguren oftmals der Veranschaulichung der Inspiration. Georg Friedrich Händel bringt auf der Leier des Apoll seine Komposition einem Putto zu Gehör, der sie auf einem Notenblatt für die Nachwelt aufschreibt. Eine Musengestalt, die ebenfalls die Lyra des Apoll in Händen hält, hebt ihre inspirierende Hand über das Haupt von Luigi Cherubini. Bei der postumen Denkmalstatue für Johannes Brahms ist der Komponist umgeben von schwebenden Gestalten, die nicht präzise zu benennen sind; offenbar verdeutlichen sie nicht das Erfinden, sondern das Erleben von Musik. Bei dem 1985 gemalten Bildnis von György Ligeti ist die Grenze vom Allegorischen zum Surrealen überschritten, die Gestalt des Komponisten erscheint hier als Protagonist eines Totentanzes. Wie der allegorische Darstellungsmodus eröffnen auch Gruppen- und Paarbilder eine sinnbildliche Bedeutungsdimension, die sich vor allem auf den Gedanken der durch die Musik gestifteten Harmonie bezieht. Einen solchen allegorischen Gehalt besitzt das Gruppenbild, das Dietrich Buxtehude und zwei weitere Komponisten zusammen mit der Personifikation der »Musica« in einem Park zeigt. Bei diesem Bild verbindet sich die Versinnbildlichung des harmonischen Einklangs mit der im Barock beliebten Ikonographie der »Fünf Sinne«, bei der die Musik für das Gehör einsteht. In eine gänzlich andere Sphäre der Verklärung eines Komponisten führt das Abendmahlbild, bei dem der Maler Fritz von Uhde den Komponisten Anton Bruckner als Apostel Petrus ins Bild gesetzt hat. In den Paarbildern, die im 19. und 20. Jahrhundert geschaffen wurden, zeigt sich das erstaunlich lange Nachleben der Tradition des Freundschaftsbildnisses. Szenen des gemeinsamen Musizierens wie bei Clara Schumann oder einer intimen Vorspielgelegenheit wie bei Frédéric Chopin werden abgelöst von regelrechten freundschaftlichen Bekenntnisbildern wie bei Benjamin Britten oder Karl Amadeus Hartmann. Wenn Hans Werner Henze und die Dichterin Ingeborg Bachmann nach einem Wahlkampfauftritt zusammen in der Hotellobby von einem Fotografen in vertraulicher Intimität eingefangen werden, so ist auch hier das Freundschaftsbildnis noch einmal in amüsanter Wendung aktualisiert. Die angesprochenen motivischen Konventionen zeichnen das Komponistenporträt nicht nur als Standesbild aus. Sie verleihen ihm auch ein hohes Maß an motivischer Vielfalt und an ästhetischen Möglichkeiten. Allein schon der Darstellungstypus des Komponisten beim Spielen eines Instruments eröffnet einen weiten Gestaltungsspielraum, den sich die Künstler dankbar zu Nutze machten. Er bietet Gelegenheit zur Darstellung des Porträtierten bei einer Tätigkeit anstelle einer nur passiven Präsentation vor dem Betrachter. Damit verbindet sich auch die Aussicht auf die Schilderung von mehr oder minder aufwendig inszenierten architektonischen Innenräumen – seien es häusliche Interieurs oder Konzertsäle –, in denen musiziert wird. Nun fällt freilich auf, dass die Maler oftmals auf eine standesgemäße Attributausstattung des Porträtierten ebenso verzichtet haben wie auf die szenische Erweiterung der Darstellung oder das malerische Ausbreiten von Umgebungsräumen. Stattdessen findet sich häufig der Typus der scheinbar größtmöglichen Formreduktion, nämlich die Abbildung des Modells im reinen Brustbild vor neutralem Hintergrund. Für diesen Bildtypus sind zwar einzelne Beispiele bereits in der Renaissance- und Barockmalerei aufzufinden. Doch ist wie bei der Porträtmalerei insgesamt eine zunehmende Abkehr von der Ausstattung des Bildnisses mit attributiven Gegenständen unverkennbar. 15 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 16 EINFÜHRUNG Durch die Motivreduktion und die damit verbundene Konzentration auf das Gesicht des Modells sollen die Charakterschilderung oder die bildliche Erfassung der psychischen Gestimmtheit des Dargestellten im Moment der Anfertigung des Bildnisses an Intensität gewinnen. Beide Darstellungsabsichten sind schon in der Bildniskunst des 18. Jahrhunderts zu beobachten, nach der Erfindung der Fotografie werden sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch zu programmatischen Anliegen. Vieles spricht dafür, dass die Maler in den Fotografen weniger Konkurrenten um Porträtaufträge als vielmehr Befreier sahen, die sie von der lästigen Pflicht der getreulichen Realitätsabbildung nun endgültig erlöst haben. Der Verzicht auf die Ausstattung des Porträtierten mit Attributen erweist sich hier nur als eine Möglichkeit, zu neuen Darstellungszielen vorzustoßen. Die Maler verfolgten diese Ziele auch mit bestimmten Formen der Ausarbeitung ihrer Bilder, indem sie ihre eigene Pinselhandschrift hervorhoben und die malerische Faktur des Gemäldes sichtbar machten. Die Modelle sind nun meist nicht mehr in gegenständliche Interieurs eingebunden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden die Bildräume in neuartiger Weise als atmosphärische Umgebung aufgefasst, in der sich die augenblickliche emotionale Befindlichkeit des Porträtierten widerspiegeln soll. Suchte die Bildniskunst von jeher die Annäherung an die sichtbare Wirklichkeit, so wird mit den neuen Bildmitteln im Verlauf des 19. Jahrhunderts dieser Anspruch wenn nicht aufgegeben, so doch weiter gefasst. Das einzelne Bildnis schafft nicht eine vorgegebene Wirklichkeit nach, sondern wird nun in den Stand gesetzt, eine eigene Wirklichkeit zu entfalten. So wie die Porträtmalerei insgesamt an diesen Aufsehen erregenden ästhetischen Neuerungen partizipiert und in die allgemeine Kunstentwicklung eingebettet ist, so prägten diese auch das Komponistenporträt. Bildfunktionen Die Klassifikation des Komponistenbildnisses kann nicht nur aus besonderen Darstellungsinhalten begründet werden, sondern auch aus funktionalen Zusammenhängen. Historisch zu belegen ist eine Vielzahl von unterschiedlichen Auftrags- und Präsentationskontexten. Komponistenporträts wurden für den privaten Bereich in Auftrag gegeben und dort verwahrt, es traten aber auch öffentliche Institutionen als Besteller und Sammler auf. Dem einzelnen Bildnis wächst über seine jeweilige Zweckbestimmung auch eine spezielle Bedeutungsdimension zu. Dies gilt insbesondere für diejenigen Porträts, bei denen das Bild zum Status des Dargestellten selbst keine Aussage macht, sondern erst der Ausstellungskontext. Bei den in Ton, Marmor oder Bronze ausgeführten Büsten ist dieser Mechanismus auf Anhieb nachzuvollziehen. So fand etwa die Büste von Jean-Philippe Rameau, bei der auf jegliches Bildaccessoire verzichtet wird, Aufstellung im Pariser Opernhaus wie schon vor- und nachher zahlreiche weitere Komponistenbildnisse. Die Marmorbüste von Domenico Cimarosa, die den Komponisten in idealer, antikischer Nacktheit aus der Gegenwart in die Sphäre der Ewigkeit entrückt, wurde für die Künstlergalerie des Pantheon in Rom gestiftet. Auch die Büste Gustav Mahlers war in eine Serie von Musikerporträts eingereiht, als sie von dessen Witwe der Wiener Staatsoper geschenkt und im Foyer des Opernhauses aufgestellt wurde. Bei den Büsten wird beispielhaft eine der Hauptfunktionen des Komponistenporträts ablesbar, nämlich die visuelle Dokumentation von Traditionszusammenhängen. Diese Form der Erinnerungskultur wird bis heute vor allem von öffentlichen Musikinstitutionen gepflegt. Zahllose Opernhäuser würdigen in Bildnisgalerien neben den dort tätigen Musikern auch die Komponisten, deren Werke sie auf die Bühne gebracht haben. In ähnlicher Weise wird in Konservatorien und Musikakademien deren jeweilige Institutionsgeschichte veranschaulicht. Man hat kontinuierlich von den Direktoren und 16 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 17 EINFÜHRUNG Lehrern Porträts in Auftrag gegeben oder sie später erworben. Dienen die Büsten in den Opernhäusern als visuelle Vergegenwärtigung des Bühnenrepertoires, so wurde in den Akademien und anderen Ausbildungsstätten anhand von Komponistenporträts das Lehrpensum der Musikgeschichte und des Tonsatzes vor Augen gestellt. Bis heute verwahren die Konservatorien in Neapel, Mailand und Florenz, die Accademia di Santa Cecilia in Bologna oder das Royal College of Music in London respektable Bildnissammlungen. Da in diesen Institutionen oftmals die Kollektionen von Komponistenbildnissen durch Sammlungen von Musikinstrumenten und Notenbibliotheken ergänzt werden, fügen sich die Porträts in die Trias einer breiten Überlieferung von historischen Relikten ein. In der Zusammenstellung von sogenannten Bildnisreihen, die im Idealfall bis in die Gegenwart weitergeführt werden, vermittelt sich besonders eindringlich die Idee, dass die jeweilige Institution eine Historie hat, aber auch in die Zukunft offen ist. Für alle Bildnisgalerien, die in solchen Musikinstitutionen eingerichtet wurden, gilt die Maxime: Ein Komponistenporträt kommt niemals allein. Die regelrechte Porträtinflation, die hier augenfällig ist, konnte im Ausnahmefall auch einem einzigen Komponisten zugutekommen. Nachdem Giuseppe Verdi in Mailand die »Casa di riposo per musicisti« gestiftet hatte, wurde er dort nicht nur begraben. Dem Wunsch des Testators gemäß hat man für jedes der hundert Zimmer des Musikeraltenheims ein Bildnis des Stifters geordert, vor dem die Bewohner täglich den Rosenkranz zu beten hatten. Die Illustration geschichtlicher Kontinuität ist auch in den Museen, in denen Komponistenporträts innerhalb eines breiteren Sammlungsprofils Aufnahme fanden, ein Grundanliegen. Ihm trat das Ideal der Universalität zur Seite. Ein frühes und bedeutendes Beispiel für eine Sammlung universellen Anspruchs ist die Kunst- und Wunderkammer auf Schloss Ambras, die im späten 16. Jahrhundert eingerichtet wurde. Für sie ist zum Beispiel eine Fassung des berühmten Porträts von Claudio Monteverdi dokumentiert. Der Systematik solcher frühen Museen entsprechend, waren in der Ambraser Kunst- und Wunderkammer höchst unterschiedliche Sammlungskomplexe zusammengeführt. Wunderliche Hervorbringungen der Natur fanden sich neben kunstvoll hergestellten Artefakten, neben naturwissenschaftlichen und musikalischen Instrumenten, Büchern, Stichen und Gemälden. In diesem universellen Kosmos aller denkbaren Hervorbringungen der Menschheit und der Natur veranschaulichten die Komponistenporträts zusammen mit den Instrumenten die »Musica« als eine der Künste. Für die spätere Zeit sind zahlreiche weitere solcher fürstlichen Sammlungen durch Schriftquellen dokumentiert oder in Teilen auch noch erhalten. Sie machten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert allmählich den öffentlichen Museen Platz, denen bisweilen mehr oder minder umfangreiche Sammlungen von Komponistenporträts aus älteren Sammlungsbeständen einverleibt wurden oder die sie auch selbst anlegten. Es konnte nicht ausbleiben, dass in den Nationalmuseen, die seit dem 19. Jahrhundert eingerichtet wurden, auch Bildnisse von Komponisten zusammen mit den Porträts von Künstlern anderer Sparten sowie von Geistesgrößen und Staatsmännern erworben wurden. In der Londoner National Portrait Gallery finden sich von einem einzigen Komponisten wie Georg Friedrich Händel oder Benjamin Britten gleich mehrere, in unterschiedlichen Techniken angefertigte Bildnisse. Wendet man den Blick von den Institutionen auf die Privatpersonen, die ebenfalls Komponistenporträts bestellten oder solche erwarben, so ergibt sich auch hier ein vielfältiges Bild. Vielleicht noch eindrücklicher als bei den öffentlichen Institutionen, wo Bildnisse in erster Linie in den traditionellen Gattungen des Gemäldeporträts und der Büste gekauft wurden, eröffnet sich hier das ganze Panorama unterschiedlicher Herstellungstechniken. Als biographische Zeugnisse wurden Bildnisse in jedwedem Medium gesammelt, seien es Unikate wie Gemälde oder nur in geringen Auflagen hergestellte Plastiken, Schaumünzen und Totenmasken, oder seien es in hoher Auflage reproduzierbare Porträtstiche und Fotografien. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts trat das Fotoporträt seinen Sieges- 17 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 18 EINFÜHRUNG zug als Werbeträger an. Robert Schumann dürfte einer der Ersten gewesen sein, der auf Anraten seines Verlegers sein Bildnis im handlichen Format einer Visitenkarte anfertigen ließ. Unter den Komponisten war es Franz Liszt, der als Erster neben unzähligen gemalten, gezeichneten und plastischen Bildnissen die Fotografie systematisch für die Publizität seiner Person nutzte. Mehr als jeder andere Komponist verbrachte er seine Zeit im Fotoatelier. Über zweihundertfünfzig unterschiedliche Fotografien dokumentieren seinen Lebensweg für mehrere Jahrzehnte. Diese dichte Folge der Fotos exponiert vor der Öffentlichkeit einen biographischen Wandel des Images vom ungemein attraktiven Virtuosen zum entrückten Einsiedler. Die letzten Fotos machen selbst vor der Hinfälligkeit und den körperlichen Entstellungen nicht Halt. Spätere Komponisten, allen voran Richard Wagner, haben sich das Vorbild Liszts zu eigen gemacht. In der Moderne ist es in erster Linie Igor Strawinsky, der durch eine riesige Anzahl von Bildnissen im visuellen Gedächtnis der Musikwelt präsent ist. Neben gezeichneten Reproduktionsvorlagen, die in Zeitungen zur Illustration von Konzertbesprechungen oder für Karikaturen verwendet werden, ist es natürlich vor allem das Fotoporträt, das in den Massenmedien zur Information oder zur Werbung benutzt wird. Von einer Komponistin oder einem Komponisten der Gegenwart verirrt sich bisweilen auch eine Fotografie auf einen Programmzettel oder auf eine Compact Disc. Während sich über die Bestellung und die Herstellung von Komponistenporträts oftmals recht präzise Aussagen machen lassen, ist über die Nutzung solcher Bildnisse im privaten Bereich wenig bekannt. Die Motive der Erwerbung und Aufbewahrung von Komponistenporträts können ebenso wie die konkreten Kontexte, in denen sie betrachtet wurden, oft nur indirekt erschlossen werden. Es ist schwer abzuschätzen, in welchem Umfang Komponisten ihre eigenen Porträts verwahrt haben, im Einzelfall lässt sich dies aber belegen. Unter den älteren Bildnissen handelt es sich dabei um die bereits angesprochenen Standesporträts, die im Privathaus aufbewahrt wurden und in diesem Rahmen auch das Amt oder den Status des Hausherrn oder der Hausherrin zu beglaubigen hatten. Das gilt unter vielen anderen auch für das Porträt von Marianne Martinez, das die Komponistin nach ihrer Aufnahme in die Musikakademie von Lucca anfertigen ließ und auf dem ein entsprechender Inschriftentitulus von der neuen Würde Mitteilung macht. Darüber hinaus sind vereinzelt private Sammler oder Mäzene namhaft zu machen, die Komponistenbildnisse bestellten. Das Porträt von Max Reger wurde bei Max Beckmann von einem Hamburger Sammler bestellt, der schon mehrere Werke des Malers besaß und offenbar auch die Musik des Komponisten schätzte. Das Paarbild von Benjamin Britten und Peter Pears hat eine Gönnerin des Komponisten und des Sängers in Auftrag gegeben. Häufig waren es die Komponisten, die die Porträts ihrer Berufskollegen sammelten. Historische Aufnahmen von Wohnungsinterieurs oder die in Komponistenhäusern bis heute verwahrten Bestände können dies hinreichend belegen. So ließ sich Giacomo Puccini nicht nur selbst in seinem Arbeitszimmer malen, sondern bestückte diesen Raum seiner Villa auch mit zahlreichen Porträts. Meist handelte es sich um Fotografien, die ihm von seinen Komponistenkollegen mit einer handschriftlichen Widmung vermacht wurden und durch deren Präsentation der Komponist sein Renommee innerhalb der Zunft nach außen darzustellen suchte. Eine ebenso sprechende wie spannungsvoll zugespitzte Konstellation öffnet sich beim Blick in die letzte Wohnung von Johannes Brahms in Wien. Das ganze Appartement in dem Mietshaus war angefüllt mit Reproduktionen nach Kunstwerken, unter denen sich auch Komponistenbildnisse befanden. Dokumentiert sind Porträts von Bach, Händel, Haydn, Mendelssohn, Clara und Robert Schumann. Im Musikzimmer erscheint links die Reproduktion einer Variante des von Ingres gemalten Bildnisses von Luigi Cherubini. Auf der anderen Seite des Raumes hängt eine Landschaftsradierung von Max Klinger, darüber ist die Büste von Beethoven aufgestellt, die der Klavierspieler im Rücken hat. Die Präsentationsform macht eine bemerkenswerte Ambivalenz in der Auseinandersetzung mit der Tradition anschaulich. Kann man – wie es Reinhold 18 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 19 EINFÜHRUNG Brinkmann formuliert hat – die in der Wohnung verteilten Komponistenporträts als »Abbilder jener Vorbilder, die den Traditionszusammenhang darstellen«, verstehen, so lässt sich die Aufstellung der Büste Beethovens hinter dem Klavier lesen »wie eine Illustration der Traditionslast, die Brahms bekanntlich fühlte.« Brahms selbst hat in einer Bemerkung gegenüber dem Dirigenten Hermann Levi die Hypothek der Tradition herausgestellt. Dabei ist es eindrucksvoll zu sehen, dass er zu einer Formulierung greift, in der sich ebenfalls die räumliche Konstellation der Porträts abbildet: »Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.« Es zeichnet sich hier eine entscheidende Begründung für den Erwerb und die Aufbewahrung von Komponistenbildnissen ab. So war es sicherlich auch mehr als eine spontane Laune, als sich Peter Iljitsch Tschaikowsky ein Porträt von Georges Bizet kaufte. Er wurde dazu, wie sein Bruder in der Biographie des Komponisten berichtet, bewogen, als er die Aufführung der Carmen in Paris besucht hatte. Die Fotografie von Bizet diente Tschaikowsky als Erinnerungsbillet für dasjenige Werk, das ihn mehr als jedes andere begeisterte. Die ästhetische Dimension Ein Blick auf die Motive, die dem Sammeln von Komponistenbildnissen zugrunde liegen, erweist sich für das Verständnis der Ästhetik dieses Bildtypus als äußerst fruchtbar. Ganz offenkundig ist der Gehalt eines Komponistenporträts nicht darauf beschränkt, die biographische Existenz des Dargestellten zu dokumentieren. Vielmehr bezeugt der Bildtypus im Einzelfall die unsichtbare ästhetische Wirklichkeit der Musik eines Komponisten. In Analogie zum Dichterbildnis, bei dessen Betrachtung das literarische Werk in der Imagination aufgerufen werden kann, ist auch das Komponistenporträt als eine Kunstform zu verstehen, die dem Betrachter Assoziationsangebote für das musikalische Werk macht. Das Komponistenbildnis stellt sich aus dieser Sicht als eine visuelle Evokation von Musik dar. Es ist in diesem Sinne zu verstehen, wenn Tschaikowsky das Bildnis von Bizet als augenscheinliche Bürgschaft für das Hörerlebnis der Carmen-Oper erwarb und Brahms hinter sich den Riesen Beethoven – wie er selbst gegenüber Levi formulierte – »hört«. Dabei geht es nicht um eine synästhetische Einheit von Bild und Ton, sondern um den assoziativen, auf das musikalische Œuvre des Porträtierten bezogenen Gehalt, der bei der Betrachtung des Bildnisses stets mitgedacht und gleichsam »mitgehört« wird. So wäre im Hinblick auf die Ästhetik des Komponistenporträts zusammen mit den erörterten ikonographischen, formalen und funktionalen Dimensionen stets auch die Ebene der assoziativen, außerbildlichen Vermittlung von Musik an den Betrachter zu bedenken. Die klassische ästhetische Trias von Herstellung, Darstellung und Betrachtung erweist sich auch für die Gattungsbestimmung des Komponistenporträts als instruktiv, wobei sie in den einzelnen Aspekten der Präzisierung bedarf. So ist für das jeweilige Beispiel zu erörtern, in welchem Umfang dem Künstler bei der 19 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 20 EINFÜHRUNG Anfertigung des Porträts auch das musikalische Werk des Porträtierten präsent war und er diese Kenntnis in seiner Darstellung berücksichtigt. Im Hinblick auf den Rezipienten ist zu fragen, ob dieser in der Betrachtung des Bildnisses den Horizont der Musik reflektiert. Ein solcher Zugang zum Komponistenporträt kann hier nur in einer ersten Spurensuche unternommen werden. Dabei soll die Erschließung des Themas sowohl von der Kunst- als auch von der Musikgeschichte ausgehen. Überraschenderweise liegt eine Zusammenführung in der bisherigen Auseinandersetzung mit dem Komponistenporträt meist außerhalb des Blickfeldes. So hat sich die Kunstgeschichte bestenfalls um einzelne Werke der Gattung im Zusammenhang mit der Klärung der Autorschaft gekümmert, während sich die Musikwissenschaft vor allem für den dokumentarischen Wert und die Ikonographie der Bildnisse im Sinne eines »Quellenbezirks« der Musikgeschichte (Walter Braun) interessierte. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sich die zentralen Probleme des Komponistenporträts nur im Rahmen eines Dialogs zwischen Kunst- und Musikgeschichte angemessen diskutieren lassen. Die Bilder bieten für ein solches Gespräch zwischen zwei Fächern, die sich in bedauerlicher Weise aus den Augen verloren haben, noch viel Gesprächsstoff. Künstler und Komponist: Formen der Begegnung Nähert man sich den Bildnissen sowohl von der Kunst- als auch von der Musikgeschichte her, so eröffnet sich gleichsam von selbst die Vielfalt der Perspektiven auf das Thema. Dabei liegt es nahe, das Hauptaugenmerk auf die Begegnung zwischen den beiden Künstlern als den Fluchtpunkt dieser Perspektiven zu richten – also auf der einen Seite dem Maler, Zeichner, Bildhauer oder Fotografen und auf der anderen Seite dem porträtierten Komponisten. Der Dialog zwischen Kunst- und Musikgeschichte findet seine Konkretisierung aus diesen Künstlerbegegnungen, aus denen schließlich das Bildnis hervorgeht. Diese Begegnungen folgen höchst unterschiedlichen Anlässen und Gelegenheiten, ebenso vielfältig sind ihre Form und Intensität. Ausgehend von der im weitesten Sinn biographischen Ebene stellt sich darüber hinaus die Frage, inwiefern die persönlichen Beziehungen auch von gemeinsamen künstlerischen Überzeugungen oder ähnlichen ästhetischen Konstellationen getragen wurden. Wie jede Beziehung und jedes Gespräch folgen auch die Begegnungen zwischen den bildenden Künstlern und den Komponisten Regeln und Konventionen. Die unterschiedlichen Formen der Interaktion lassen sich in einer schematischen Einteilung als Gelegenheitsbeziehung, als Geschäfts- oder Arbeitsverhältnis, als Verwandtschaftsbeziehung oder Freundschaft klassifizieren. Im Einzelfall sind die Beziehungsformen nicht immer eindeutig voneinander zu trennen. Aus Arbeitsbeziehungen können immer auch Freundschaften werden. Ebenso versteht es sich von selbst, dass der Kontakt zwischen einem Künstler und seinem Modell nicht immer im Einverständnis vonstattenging. Wenn Komponisten schließlich selbst zum Stift oder zum Pinsel griffen, dann stellt die Anfertigung von Selbstporträts einen Sonderfall dar, bei dem die Rollen von Porträtist und Porträtiertem nicht auf zwei Protagonisten verteilt sind. Das Zustandekommen solcher Selbstbildnisse verdankt sich nicht mehr dem üblichen Dialog mit dem bildenden Künstler, sondern dem Selbstgespräch des Komponisten und seiner künstlerischen Selbstvergewisserung in einem Medium jenseits der Musik. Bisweilen sind sich Künstler und Komponist nur ein einziges Mal aus Anlass der Anfertigung des Bildnisses begegnet. Das Zusammentreffen konnte wie etwa bei Igor Strawinsky, Charles Ives oder Harrison Birtwistle ganz explizit in der Kenntnis und der Wertschätzung des jeweiligen Gegenübers arrangiert worden sein. Aus professionalisierten Geschäftsbeziehungen sind meist die zahlreichen 20 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 21 EINFÜHRUNG Fotografien entstanden, die im Atelier gemacht oder bei Fototerminen und Reportagen an anderen Orten aufgenommen wurden. Auch bei der älteren Porträtmalerei ist bisweilen von kommerziell bestimmten Auftragsarbeiten auszugehen; dies gilt vor allem für die typischen Amtsporträts. Bei den Arbeitsbeziehungen ist neben den Lehrer-Schüler-Verhältnissen wie beim Kreis um Arnold Schönberg und die Zweite Wiener Schule vor allem an Kooperationen bei Theaterproduktionen zu denken. So wurden die Porträts von Erik Satie, Benjamin Britten und György Ligeti von Malern geschaffen, die auch Bühnenbilder für deren Opern entworfen haben. Es gibt einen Kreis prominenter bildender Künstler, die, wie Salvador Dalí, Oskar Kokoschka und David Hockney, immer wieder auch als Bühnenbildner hervorgetreten sind und ebenfalls Komponisten porträtierten. Bei Bildnissen, die durch familiäre Beziehungen zustande kamen, ist ähnlich wie bei Selbstporträts der Aspekt autobiographischer Mitteilung vordergründiger als bei den anderen Porträts. Familiäre Konstellationen sind dokumentiert im unvollendeten Porträt Mozarts von der Hand seines Schwagers, in der Zeichnung von Fanny Mendelssohn, die ihr Ehemann angefertigt hat, sowie in den im jeweiligen Todesjahr der Komponisten entstandenen Erinnerungsbildern: jenem Hanns Eislers, das dessen Sohn gemalt hat, und im Bildnis von Karl Amadeus Hartmann, in dem sich der Bruder selbst mit ins Bild setzte. Bei den Künstlerfreundschaften ist das wechselseitige Interesse, das ein Künstler und ein Komponist an der Kunst des anderen haben konnte, am eindrucksvollsten nachzuvollziehen. Die Freundschaften eröffnen ein weites Feld möglicher Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten. Das Bildnis von Karl Friedrich Abel kann als Zeugnis für die musikalische Versiertheit des Malers Thomas Gainsborough gelten. Im berühmten Freundeskreis um Franz Schubert kamen Musiker, Maler und Dichter zusammen. Viele weitere Beispiele für solche Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten werden im vorliegenden Buch angesprochen. Immer wieder sind in den Porträts nicht nur die persönlichen Konstellationen aufgehoben, es werden in ihnen auch gemeinsame ästhetische Prämissen reflektiert. Beispielsweise kann es um Fragen der Formgestaltung gehen, die auch für den Stil der Epoche, in der das Bildnis entstand, von Relevanz waren. So ist im Porträt von Carl Philipp Emanuel Bach das für die Bildkünste wie auch für die Musik der Aufklärungszeit zentrale Problem des »Charakteristischen« aufzuspüren. Spätestens nach dem Abschied vom Gedanken eines einheitlichen Zeitstils im ausgehenden 19. Jahrhundert wird erkennbar, dass in den Bildnissen ästhetische Überzeugungen, die im Rahmen individueller Stilfindungen postuliert werden, in den Vordergrund rücken. Im Porträt Strawinskys setzt sich Alberto Giacometti mit dem Gestaltungsprozess der »Konstruktion« auseinander, der auch in Strawinskys musikalischer Ästhetik eine eminent wichtige Rolle spielt. Das Bild, das Chuck Close von Philip Glass gemalt hat, zeigt das gemeinsame Interesse beider Künstler an minimalistischen, seriellen Formstrukturen. In teilweise komplizierten Brechungen haben einzelne Komponisten in ihren Selbstporträts eine Standortbestimmung im Hinblick auf ihre soziale Position, aber auch hinsichtlich ihrer ästhetischen Überzeugungen vorgenommen. Dies gilt in unterschiedlicher Weise für Arnold Schönberg, George Gershwin und Paul Hindemith. Wie andere Beziehungen sind auch Künstlerbeziehungen nicht immer einvernehmlich gewesen. Die Gründe dafür können persönliche Unverträglichkeiten ebenso sein wie Differenzen in den künstlerischen Überzeugungen. So wussten Hector Berlioz und Gustave Courbet bei ihrem einmaligen Zusammentreffen schlechterdings nichts miteinander anzufangen. Richard Wagner stand der impressionistischen Porträtkunst Auguste Renoirs mit äußerster Distanz gegenüber. Weder Richard Strauss noch Edward Elgar haben die Darstellungen ihrer Person sonderlich geschätzt. Morton Feldman hat dem Maler Philip Guston die langjährige Freundschaft aufgekündigt, als dieser sich von der Abstraktion der Figuration zuwandte; erst durch diesen vermeintlichen Verrat war es aber dem Maler möglich geworden, das Bildnis des Komponisten zu schaffen. Von einer negativen Warte aus verdeut- 21 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 22 EINFÜHRUNG lichen auch solch problematische oder sogar gescheiterte Künstlerbegegnungen die besondere Prägung des Komponistenbildnisses, bei dem es sich sowohl um ein Dokument der persönlichen Beziehung zwischen zwei Künstlern unterschiedlicher Sparten handelt als auch um ein visuelles Manifest der Verständigung über künstlerische Grundfragen. Eine Pinakothek des Komponistenporträts Die hier skizzierten Überlegungen zur Gattung des Komponistenporträts waren bestimmend für die im vorliegenden Buch getroffene Auswahl der Bilder und deren Anordnung. Von Anfang an stand fest, nur die »klassische« Kunstmusik des europäischen Kulturkreises und die von Europa beeinflusste amerikanische Musik in den Blick zu nehmen. Durch das Darstellungsformat der Buchreihe, das selbständige Einträge zu den Bildern vorgab, bot es sich an, die einzelnen Texte als miniaturhafte Begegnungsszenen zwischen bildendem Künstler und Komponisten zu entwerfen. Trotzdem sollte der Versuch gemacht werden, zumindest punktuell die einzelnen Situationsschilderungen durch das Band weiter gespannter kunst- und musikgeschichtlicher Entwicklungen zu verknüpfen. Eine repräsentative Auswahl von Bildnissen war in mehrfacher Hinsicht angestrebt. So sollte die Geschichte verschiedener Darstellungstypen des Komponistenporträts ebenso ablesbar sein wie die Vielfalt unterschiedlicher Herstellungstechniken und die zunehmende Differenzierung unterschiedlicher Bildfunktionen. Immer wieder war für die Auswahl auch das Kriterium künstlerischer Qualität entscheidend. Natürlich sollten unter den Komponisten die »berühmten« Namen vertreten sein. Gleichzeitig werden aber auch Werke »berühmter« Maler und Bildhauer besprochen, selbst wenn die von ihnen porträtierten Komponisten weitgehend in Vergessenheit geraten sind oder nicht unbedingt zu den ubiquitären Gestalten im Musikbetrieb der Gegenwart gehören. Letzteres gilt nicht zuletzt für zahlreiche Komponistinnen, von denen hier nur einige wenige im Porträt vorgestellt werden. Deren Bildnisse geben einmal mehr zu bedenken, in welch horrendem Ausmaß das Komponieren bis heute eine Männersache geblieben ist. Bei keiner Auswahl dürfte es ausbleiben, dass die Leserin und der Leser sowohl bei den Komponisten als auch bei den Künstlern den einen oder anderen Namen vermissen und über die Aufnahme mancher Namen überrascht sein werden. Unter der Prämisse, die Begegnungen zwischen Komponisten und bildenden Künstlern darzustellen, versteht es sich von selbst, dass nur zu Lebzeiten entstandene Bildnisse berücksichtigt wurden. Die wenigen unmittelbar nach dem Tod des jeweiligen Komponisten angefertigten Porträts bestätigen als Ausnahmen die Regel. Ein riesiger Kontinent postumer Bildnisse und Denkmäler, die insbesondere im Verlauf des 19. Jahrhunderts Komponisten früherer Epochen gewidmet wurden und als Zeugnisse für die spätere Sicht auf diese Musiker zu bewerten sind, wurde nicht erkundet. Dies hätte den Umfang, vor allem aber den Rahmen der hier verfolgten Interpretation gesprengt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen folgt die Anordnung der Einzelmonographien dem Entstehungsjahr der Bilder in chronologischer Reihenfolge. Im Unterschied zur Berücksichtigung der Geburtsdaten der jeweiligen Komponisten war durch eine solche Anordnung möglich, sowohl kunst- als auch musikgeschichtliche Phänomene präzise im jeweiligen zeitlichen Entstehungskontext der Porträts zu verorten. Das vordringliche Interesse an den Künstlerbegegnungen hat schließlich auch die Überlegungen zur Gewichtung der verschiedenen Epochen und zur chronologischen Anordnung der Bildnisse bestimmt. Aus den Epochen vor 1800 wurden nur solche Porträts ausgewählt, bei denen sowohl die Identität des Dargestellten als auch die Autorschaft des Künstlers gesichert sind. Wenn die bespro- 22 011-023_Vorwort 02.07.2008 11:16 Uhr Seite 23 EINFÜHRUNG chenen Bildnisse zu etwa zwei Dritteln aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen, so hat dies mit dem gegenüber den früheren Epochen wesentlich zuverlässigeren Kenntnisstand zu tun. Erst für die neuere Zeit lassen sich auch Künstlerbegegnungen auf der Grundlage von umfangreich überlieferten Schriftquellen ausführlich dokumentieren. Hauptsächlich wurden hier die Selbstaussagen von Komponisten und bildenden Künstlern herangezogen. Wenn die vorliegende Darstellung in der Gegenwart mit der Generation der vor dem Zweiten Weltkrieg geborenen Komponisten schließt, so beruht diese Entscheidung zunächst auf dem Gedanken, dass für die kaum überschaubare Zahl jüngerer Komponistinnen und Komponisten eine notgedrungen extrem beschränkte Bildauswahl gänzlich fragwürdig bliebe. Hinzu kommt, dass die Konzentration auf die Vertreter »klassischer« Kompositionsformen für die Musikgeschichte seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus ganz verschiedenen Gründen nicht mehr aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Jede Auswahl beruht auf persönlichen Präferenzen und Kompetenzen. Es war aber ein vordringliches Anliegen, gegenüber historischen Werturteilen über einzelne Künstler Distanz zu gewinnen und Komponisten sowie bildende Künstler prinzipiell als gleichrangig zu betrachten. Dieser Versuch wirft bisweilen Probleme auf, die in den entsprechenden Zusammenhängen auch angesprochen werden. Das Buch möchte an keiner Stelle verleugnen, dass es von einem Kunsthistoriker geschrieben wurde. Wenn darin versucht wird, die Geschichte des Komponistenporträts aus der doppelten Perspektive von Kunst- und Musikgeschichte über mehrere Jahrhunderte nachzuzeichnen, so setzte dies von Seiten des Verfassers ein gewisses Maß an Unbekümmertheit, um nicht zu sagen Naivität voraus. Es steht ihm nur zu deutlich vor Augen, dass dabei Lücken, Fehlurteile und Unausgewogenheiten letztlich nicht zu vermeiden waren. Es bleibt zu hoffen, dass diese Mängel durch die Zusammenführung von Musik und Kunst in einer einheitlichen Perspektive, in die im vorliegenden Buch die Porträts gerückt werden, aufgewogen werden. Wolfgang Amadeus Mozart hat in einem Brief an seinen Vater im Jahr 1777 einen Blick auf die verschiedenen Künste seiner Zeit geworfen und dabei die Eigenständigkeit jeder Kunst in ihren formalen Mitteln ebenso betont wie die allen Künsten gemeinsame Fähigkeit zur Darstellung von Ideen und Werten: »Allerliebster Papa! Ich kann nicht poetisch schreiben; ich bin kein Dichter. Ich kann die Redensarten nicht so künstlich eintheilen, daß sie Schatten und Licht geben; ich bin kein Mahler. Ich kann sogar durchs deuten und durch Pantomime meine Gesinnungen und Gedancken nicht ausdrücken; ich bin kein Tänzer. Ich kann es aber durch Töne; ich bin ein Musikus.« Die Pinakothek des Komponistenporträts, durch die dieses Buch die Leserin und den Leser führt, kann zum Nachdenken über diese universelle Aussagekraft der Künste anregen. Wie jeder Museumsbesuch könnte die Lektüre vielleicht sogar eine Anleitung zum Genießen sein, indem sie für die Zwischentöne auf den Bildern hellhörig macht und für die Musik die Augen öffnet. 23 001-004_Titelei 02.07.2008 16:22 Uhr Seite 2 024-195_Text 02.07.2008 12:17 Uhr Seite 28 C LAUDIO M ONTEVERDI Bernardo Strozzi Öl auf Holz (94,5 x 71 cm), um 1640. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde. Kein Protagonist der sogenannten Alten Musik ist im musikalischen Bewusstsein der Gegenwart so präsent wie Claudio Monteverdi (1567–1643). Keinem seiner unmittelbaren Zeitgenossen scheint eine ähnliche Popularität vergönnt. Diese Zugehörigkeit zur heutigen Musikkultur verdankt sich den Konjunkturen der Rezeptionsgeschichte ebenso wie dem Rang von Monteverdis Musik. Auf die spektakuläre Wiederentdeckung seiner Opern im Zuge der historischen Aufführungspraxis vor nunmehr vier Jahrzehnten folgten Aufführungen der geistlichen und weltlichen Vokalmusik. Diese Fortüne bestätigt die heute noch faszinierenden, emotional anrührenden Gestaltungsdimensionen einer neuen dramatischen Musiksprache, wie sie Monteverdi vorschwebte. Monteverdi war trotz der heftigen Angriffe gegen seine musikalischen Neuerungen zurückhaltend, sich zu seinen Anschauungen grundsätzlicher zu äußern. Immerhin hat er im Vorwort zu seinem letzten, noch zu Lebzeiten 1638 in Venedig erschienenen achten Madrigalbuch theoretisch Stellung genommen und seine Komponierweise dabei aus der barocken Affektenlehre begründet. In diesem Vorwort schreibt er einleitend: »Ich habe die menschlichen Leidenschaften und Gemütsbewegungen betrachtet und fand als wichtigste deren drei, nämlich den Zorn, die Mäßigung und die Demut. Das wird sowohl von den besten Philosophen bestätigt, wie es sich auch in der Natur unserer Stimme und deren hoher, tiefer oder mittlerer Lage ausdrückt; es kann in der musikalischen Kunst auf die drei Ausdrucksformen von erregt, weich und gemäßigt gebracht werden.« Damit ist in wenigen Sätzen nicht nur die Einteilung expressiver Idiome in die drei Ausdrucksmodi – genere concitato, genere molle und genere temperato – vorgenommen, sondern auch der Grundgedanke einer aus der Affektdarstellung begründeten Musikdramatik formuliert. Monteverdi berichtet 1624 nicht ohne Stolz über die Aufführung seiner sicherlich berühmtesten Komposition in der »erregten Musikart«, nämlich des Combattimento di Tancredi e Clorinda, die Zuhörer seien »vom Affekt des Mitleidens so bewegt worden, dass sie gleichsam zu Tränen gerührt waren.« Die Suche nach einer gesteigerten Intensität der musikalischen Affektdarstellung prägt das gesamte Werk Monteverdis in seiner ungeheuren Vielfalt von Stilen, Formmodellen und Ausdrucksmöglichkeiten – von den drei Opern Orfeo, Ulisse und Poppea über die virtuosen Solomotetten, geistlichen Madrigale und konzerthaften Psalmvertonungen bis zu den streng polyphonen Messensätzen. Man ist versucht, auch Monteverdis Bildnis unter den Vorzeichen der Affektschilderung zu sehen. In den Blick des Komponisten scheinen sich skeptische Erwartung und neugierige Wachsamkeit ebenso einzumischen wie ein Moment der Überraschung. Der Musiker wendet sich dem Betrachter zu, der ihn bei der Lektüre des Notentextes gestört hat, und greift mit einer schützenden, ja verbergenden Geste nach dem Notenbuch. So soll es uns der erzählerische Plot des Bildes nahelegen, auch wenn nichts in dem gestaltlosen Raum auf eine Atmosphäre der Beschäftigung hindeutet. Es ist eine erdachte, nicht eigentlich dargestellte Szenerie, aus der ein Ausdruck konzentrierter Unmittelbarkeit hervorgeht. Der Maler kann sich solche Ambivalenzen der emotionalen Charakterisierung und solche Freiheiten einer verhaltenen Dramaturgie erlauben, weil er den festgefügten Bildaufbau sicher im Griff hat. Eine markante schräge Achse, die von der linken Hand über den ausgestreckten Arm ihren Ausgang nimmt und durch Manschette und Kragen für den Blick nachvollziehbar hervorgehoben wird, positioniert die Figur klar im Bildfeld, obwohl die Gestalt weitgehend im dunklen Hintergrund aufgeht. Der Kopf ist in der Gegendiagonale hell aus einem rückwärtigen diffusen Lichtfeld herausmodelliert. Beim schwarzen Kleidungsstück handelt es sich offenbar um ein geistliches Gewand. Monteverdi hatte seinen zeitweiligen Rückzug von den musikalischen Tagesgeschäften 1632 mit dem Empfang der geistlichen Weihen bekräftigt. Er hatte das Feld jüngeren Kollegen überlassen und einige Verpflichtungen als Kapellmeister der Markuskirche in Venedig dem seit 1627 dort tätigen Vizekapellmeister Giovanni Rovetta übergeben, der unverzüglich durch seine eleganten Kompositionen Berühmtheit erlangte. Erst in den letzten Lebensjahren wurde Monteverdi nochmals aktiv. Er schuf mit dem Ulisse und der Poppea seine zwei späten Opern und veröffentlichte das Vermächtnis seines Kirchenmusikschaffens, die Selva morale e spirituale. Wie beim Auftritt der Personifikation der Humana Fragilità zu Beginn der Odysseus-Oper wird man auch durch das Bildnis an diese Wechselfälle des Alterns erinnert. Das Porträt stammt von dem Genueser Maler Bernardo Strozzi (1581–1644). Er hatte in seiner Heimatstadt die Lektionen der Bildniskunst von Schülern Caravaggios sowie von Rubens gelernt, bevor er sich 1630 in Venedig niederließ. Strozzi gelangte dort als Prete Genovese zu Anerkennung, obwohl er dem Kapuzinerorden schon längst wieder entlaufen war. In die Jahre nach Strozzis Übersiedlung in die Serenissima lässt sich auch das Bildnis von Monteverdi datieren. Monteverdi selbst war schon 1612 aus dem von ihm stets als Knechtschaft empfundenen Hofdienst in Mantua entlassen worden und hatte im Jahr darauf mit der Stelle des Maestro di cappella am Markusdom in Venedig die bedeutendste Position übernommen, die im italienischen Musikleben der Zeit zu vergeben war. Die Identität des Dargestellten wird durch ein Bildnismedaillon bestätigt, das einer Elogensammlung auf Monteverdi im Titelkupfer vorangestellt ist und den Kopfausschnitt des Bildes wiederholt. Das Gemäldeporträt existiert in mehreren alten, etwa gleichzeitig entstandenen Fassungen. Die heute in der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien aufbewahrte Fassung ist kaum bekannt und hat offenbar in die musikwissenschaftliche Diskussion um die Monteverdi-Ikonographie immer noch nicht Eingang gefunden. Auf dem Bild ist die Frontseite des Postaments, auf dem der Notentext liegt, mit einer Inschrift in goldenen Lettern geziert. Es handelt sich um ein Epigramm des Florentiner Dichters Giulio Strozzi, in dem der Poet neben seinem eigenen Namen auch diejenigen von Monteverdi und Bernardo Strozzi nennt. Die bekannte Fassung des Tiroler Landesmuseums in Innsbruck stammt wahrscheinlich aus der Kunst- und Wunderkammer des Schlosses Ambras, für die jedenfalls in einem Inventar von 1665 ein Bildnis Monteverdis verzeichnet ist. In der Ambraser Kunst- und Wunderkammer, wo präparierte naturalia mit den artificialia der Wissenschaften und Künste vereinigt sind, konnte das Bildnis einen angemessenen Platz finden. Der innere Zusammenhang von Natur und Kunst bildete auch für die Affektschilderungen Monteverdis einen selbstverständlichen Horizont des Verständnisses. 28 024-195_Text 02.07.2008 12:17 Uhr Seite 29 024-195_Text 02.07.2008 11:37 Uhr Seite 112 J OHANNES B RAHMS Max Klinger Marmor (300 cm), 1909. Hamburg, Musikhalle. »Ich habe mich auch niemals malen oder aushauen lassen und damit manchen guten Freund und verehrten Künstler erzürnt, von Feuerbach an«, behauptete Johannes Brahms (1833–1897) im April 1887. Schon auf den ersten Blick entspricht dieses Bekenntnis genauso wenig der Wirklichkeit wie Brahms’ berühmte Ankündigung: »Ich werde nie eine Symphonie komponieren!« Tatsächlich konnte und wollte Brahms wie alle seine Kollegen die Anfertigung von Bildnissen nicht verhindern, aber sie war ihm lästig. Den Überdruss bekam der Maler Anselm Feuerbach zu spüren, der ein begonnenes Porträt von Brahms resigniert aufgab: »Wieder ein von Brahms verdorbener Abend […]. Ich war nicht eine Sekunde lang böse auf Brahms, aber ich habe seine Leinwand für jetzt beiseite gestellt.« Das Verhältnis zwischen einem Komponisten und einem Maler entschied sich in dieser Epoche nicht mehr an der Bildgattung des Porträts, dafür spricht bei allem Unmut die Konzilianz in der Äußerung Feuerbachs. Die Intensität der Beziehungen zwischen der Musik und den bildenden Künsten basierte mehr denn je auf gemeinsamen ästhetischen Überzeugungen oder analogen Kunstanschauungen, die sich in Künstlerfreundschaften oder Wahlverwandtschaften konkretisieren konnten. Das galt für Johannes Brahms nicht nur im Hinblick auf Anselm Feuerbach, sondern auch für Adolph Menzel, Arnold Böcklin und Max Klinger. Mit all diesen bildenden Künstlern war Brahms bekannt und mit ihnen verband ihn eine je unterschiedlich gelagerte, von kritischen Einwänden und Differenzen keineswegs freie künstlerische Zeitgenossenschaft. Einzelne Kompositionen von Brahms dienten Böcklin und Klinger als künstlerische Inspirationsquelle und programmatischer Ausgangspunkt für ihre bedeutendsten Werke. Die postum entstandene Brahms-Statue von Max Klinger (1857–1920) bildet den Endpunkt einer lebenslangen Auseinandersetzung des Malers und Bildhauers mit dem Werk von Brahms. Anfänglich hatte sich der um eine Generation jüngere Leipziger Künstler dem Komponisten in ungebändigtem Enthusiasmus regelrecht aufgedrängt. 1877 hatte er Brahms erstmals eine Liedillustration gewidmet, doch reagierte dieser auf die Werke Klingers zunächst mit Zögern. Es war einige Zeit später die Idee seines Hamburger Verlegers Fritz Simrock, den Künstler 1885 mit der Gestaltung von Titelzeichnungen für die Druckausgaben von einzelnen BrahmsWerken zu beauftragen. Brahms stimmte diesem verlegerischen Plan zu und regte an, nicht nur Instrumentalwerke illustrieren zu lassen, sondern auch die bedeutenden Chorwerke mit Orchesterbegleitung wie das Schicksalslied und den seinerzeit vollendeten Gesang der Parzen. Der Auftrag des Verlegers und die Empfehlung des Komponisten standen am Anfang von Klingers berühmter Brahms-Phantasie. Brahms selbst hat den graphischen Zyklus mit seiner offenen, nicht eindeutigen Motivwelt, die eine bloße Illustration der Musik weit hinter sich lässt, gegenüber Klinger als eine kongeniale Fortführung seiner künstlerischen Absichten in einem anderen Medium gewürdigt: »Ich sehe die Musik, die schönen Worte dazu – und nun tragen mich ganz unvermerkt Ihre herrlichen Zeichnungen weiter; sie ansehend ist es, als ob die Musik in’s Unendliche weiter töne und Alles ausspräche, was ich hätte sagen mögen, deutlicher als es die Musik vermag und dennoch ebenso geheimnißreich und ahnungsvoll.« Klinger konzipierte das Brahms-Monument als Gruppe mit symbolischen Figuren um die weit überlebensgroße Gestalt des Komponisten. Diese ist in einen Umhang gehüllt, dessen matter, schwerer Stoff durch die ungeglättete, geriefelte Oberfläche angegeben ist und dessen Faltenwurf sich durch die Armstellung und das sonderbare Spiel der Hände nachvollziehen lässt. Während Brahms’ Rechte im Melancholiegestus zur Wange geführt ist, hat die Linke zur Hand des weiblichen Genius gegriffen, der den Komponisten von hinten in die Arme nimmt. Die Statue will weder in der Darstellung des distanzierten, streng dreinblickenden Grüblers noch in der Reminiszenz an eine gotische Gewandfigur die ganz offenkundige innere und formale Verwandtschaft mit Rodins BalzacStatue verleugnen. Die geschlossene Form der Einzelgestalt weicht links einer mehrfigurigen Komposition mit einem in die Tiefe gestaffelten Relief, einer aufgelösten Kontur und einer polierten Oberfläche. Von der rücklings gegebenen Büste eines schlafenden Mannes steigt ein Reigen dreier nackter Frauengestalten empor, der sich einer eindeutigen räumlichen und zeitlichen Festlegung des Verhältnisses zur Hauptfigur entzieht. Die Frauenfiguren sind auch als Allegorien nicht mehr unmittelbar verständlich. Mit einem jeweils unterschiedlichen Grad an psychischer Präsenz scheint jede Gestalt dem Widerhall der Musik selbst zu lauschen. Die Frauen fügen sich in eine symbolistische Bildsprache, wie sie Klinger auch in seiner Brahms-Phantasie ausgearbeitet hatte. Klinger verweigerte sich einer Erwartung von Ähnlichkeit, wie sie seinerzeit gerade bei Denkmälern gefordert wurde. Auch Max Beckmann folgte, als er die Brahms-Gruppe 1909 in Augenschein nahm, offenbar dieser Konvention, wenn er meint, Klinger sei ein »Gehirnkünstler« und besitze »kein unmittelbares Verhältnis zum Leben«. Die Brahms-Gruppe sei »scheußlich, einfach unhaltbar, in jeder Beziehung.« Anders sah es der Wiener Kunstkritiker Hermann Bahr, er verstand die Figur als ein genuin symbolistisches Werk und näherte sich ihm auf verschiedenen Wegen: »Ist es aber einer, der durch den Geist wirkt, den sein zufälliges Angesicht nur wie eine Maske verbirgt, was soll uns dann das Porträt? Und heute gar, wo doch an Treue der Fotograf jeden Künstler schlägt! Und so hat wohl Klinger auch seinen Brahms gemeint. So stark scheint der Künstler diese Musik völlig als seine eigene zu empfinden, dass er, wenn er nun ihren Schöpfer bilden soll, unwillkürlich sich selbst daraus macht. Auch hier hat er nicht gefragt, wie Brahms war, sondern was es ist, das ihm selbst mit solcher Macht aus diesen Tönen an die Seele schlägt. Das hat er, denk ich, darstellen wollen: wie er selbst durch diese Musik gerettet worden ist, durch ihren Ruf, sich im Gedränge der Dämonen zu bewahren, festen Sinnes zu stehen und ein wehrhaft aufrechter Mann zu sein.« Bahr sieht das Werk Klingers als eine bewusste Absage an das konventionelle Denkmal. Er versteht es als Ausdruck für den Versuch des Bildhauers, seiner Erfahrung der Brahms’schen Musik Gestalt zu verleihen, und er sieht in der Brahms-Figur schließlich auch eine Gleichnisgestalt für die moderne Künstlerexistenz. Es spricht viel dafür, dass sich in der Interpretation Bahrs die künstlerischen Intentionen Klingers widerspiegeln. Brahms wird damit als Leitfigur einer symbolistischen Moderne auserkoren, an deren Ziele er in seinem eigenen Schaffen aber nicht mehr heranreichte. 112 024-195_Text 02.07.2008 11:37 Uhr Seite 113 024-195_Text 02.07.2008 11:40 Uhr Seite 184 K ARLHEINZ S TOCKHAUSEN Alfred Strobel Fotografie, 1970. Kürten, Stockhausen Foundation for Music. Vermutlich hat kein anderer Komponist der Avantgarde zeitweilig ein so riesiges Publikum erreicht wie Karlheinz Stockhausen (1928–2007). Das beträchtliche Innovationspotential des Werks, die künstlerische Wandlungsfähigkeit des Komponisten, sein Sendungsbewusstsein und seine globale Präsenz waren dafür ebenso verantwortlich wie seine Marketingkompetenz. Stockhausen hat in seinem kompositorischen Schaffen einen weiten Weg zurückgelegt. Bereits im Alter von Mitte zwanzig galt er zusammen mit Pierre Boulez und Luigi Nono als maßgeblicher Vertreter der seriellen Avantgarde und als einer der führenden Protagonisten der elektronischen Musik. In den Jahren um 1970 vollzog sich ein deutlich wahrnehmbarer Wandel in seinem Schaffen. Er vermittelt sich auch auf dem Foto, das Stockhausen im Sommer 1970 im Inneren des Deutschen Pavillons der Weltausstellung in Osaka zeigt. Der Komponist hatte bereits 1966 im elektronischen Studio des japanischen Rundfunks in Tokio gearbeitet. Kompositorisches Ziel jener Jahre war nichts weniger als die Schöpfung einer »Weltmusik«, in der – ausgehend von der kreativen »Intuition« des Komponisten – die Musik aller Kontinente und Völker zu einer universellen Synthese zusammengeführt werden sollte. Stockhausen legte seinen früheren Materialpurismus ab, er erweiterte die Musik auch um szenischvisuelle Elemente. Eine Konstante im Schaffen von Karlheinz Stockhausen bildet die Einbeziehung des Raumes als konstitutives Moment in die Musik. Der Ort der Klangerzeugung und der Aufführung hat als einer der seriellen Parameter des Tones zu gelten, der in der Komposition mitzuorganisieren ist. Stockhausens frühestes und zugleich berühmtestes Werk, in dem der Komponist diese serielle Konzeption aufnimmt, ist das Orchesterstück Gruppen von 1957. Drei Orchester mit jeweils eigenem Dirigenten umgeben im Halbkreis die Zuhörer. Die Klänge und Geräusche wandern von einem Orchester zum anderen durch den Raum, bis sie zu einer Musik verschmelzen, wobei durch verschiedene Tempi unterschiedliche Zeiträume erfahrbar werden. Das vorläufige Endstadium von Stockhausens Idee einer Raummusik bildete der Licht-Zyklus, dessen Aufführung am Wohnort des Komponisten bei Köln in sieben eigens hierfür errichteten Musikhallen jährlich an zwei Monaten stattfinden soll. Alle sieben Jahre ist geplant, die sieben Tages-Teile der monumentalen Opern-Heptalogie gleichzeitig aufzuführen. Mit seinem demiurgischen Projekt hatte der Komponist eine Art niederrheinisches Bayreuth im Sinn. Auf der Weltausstellung des Jahres 1970 erhielt Stockhausen in Osaka erstmals die Möglichkeit, das Konzept der Raummusik in großem Maßstab für ein Millionenpublikum zu realisieren. Auf dem Expo-Gelände wurde das berühmte Kugelauditorium errichtet, in dem von Mitte Mai bis Mitte September täglich während vier Stunden Werke Stockhausens zu hören waren. Die Idee für das Auditorium stammte von Stockhausen, geplant hatte es der Architekt Fritz Bornemann. Die visuellen Effekte realisierte der Maler und Installationskünstler Otto Piene. Das Gebäude in Form einer Kugel mit abgeflachtem Boden wurde in Leichtbauweise konstruiert und war über ein unterirdisches Gangsystem zu erschließen. Über Rolltreppen gelangten die Besucher auf eine Bühnenplattform, die etwas un- terhalb des Äquators der Kugelhalle lag. Die Plattform bestand aus einem Gitter, wodurch der Durchblick auf die untere Kugelhälfte und die Beschallung von unten möglich wurde. Am Tragesystem der Kugelmembran waren in gleichmäßiger Verteilung Lautsprecher angebracht, die von einem Schaltkasten aus bedient wurden, während auf der Plattform zusammen mit den Zuschauern auch die Musiker Platz fanden. Der Architekt Fritz Bornemann antwortete mit seiner ephemeren Modularchitektur auf die von seinem japanischen Kollegen Kenzo Tange für das Expo-Gelände entworfene Plazabebauung aus Pavillons, Kapseln, Türmen und Kuppeln in Tragfachwerkbauweise. Zugleich stellte er sich mit dem Kugelbau selbstbewusst in die Reihe der architektonisch spektakulären deutschen Expo-Bauten der Nachkriegszeit wie die von Egon Eiermann und Sep Ruf in Brüssel errichtete Pavillongruppe (1958) und die von Frei Otto und Rolf Gutbrot entworfene Zeltlandschaft für Montreal (1967). Zwar hat man auch schon früher auf gegenständliche Exponate bei diesen internationalen Leistungsschauen verzichtet, doch stellte der deutsche Beitrag in Osaka mit seinen elektronisch gesteuerten Licht- und Klanginstallationen ein frühes Beispiel für eine technisch und künstlerisch avancierte Multi-Media-Schau dar. Auf dem Foto wendet sich Stockhausen in Richtung der Kamera zurück, hat eine Hand zur Schalttafel geführt und hört auf die Klänge im Raum. Bei der ganzen Disposition des Raums – dies gilt für die architektonischen Elemente ebenso wie für die Anordnung der technischen Gerätschaften und für die Verteilung der Menschen im Raum – ist die Assoziation an einen Sakralraum im HightechGewand offenbar beabsichtigt gewesen. Von der Krypta in Form eines Souterrains fährt man mit der Rolltreppe unter das elektrisch besternte Kuppelfirmament. Der Komponist am Reglerpult ist in die Rolle des Organisten geschlüpft, während im Blick über die sitzende Gemeinde hinweg auf der Gegenseite des Raums das Altarkreuz in der Form eines Lautsprechergestells sichtbar wird. Feierliche Andacht und meditative Einkehr waren es auch, die der Komponist seiner eigenen Aussage gemäß zu erzeugen suchte: »Die Klänge fliegen frei im Raum herum, in Kreisen, Spiralen, unter und über den Zuhörern. Zu sehen gibt es nur die einzelnen Musiker. Vor Beginn jeder Aufführung werden die Türen geschlossen, der Saal verdunkelt, so dass die Menschen in all dem Ausstellungstrubel einen Ort finden, wo sie eine Reise ins Eigene Innere mit Hilfe der neuen Raum-Musik machen können.« Zweifellos beförderte die körperlich erfahrbare und die esoterische Qualität der Musik Stockhausens ihre seinerzeit eklatante, aus heutiger Sicht nicht mehr unbedingt nachzuvollziehende Breitenwirkung. In den angelsächsischen Ländern wurden seine Platten unter dem Etikett Pop verkauft und es erschienen Stockhausen’s Greatest Hits-Sampler. Manche klanglichen und technischen Errungenschaften der Rockmusik von Pink Floyd bis zu Frank Zappas Mothers of Invention wären ohne die Musik von Stockhausen schwer vorstellbar. Als die Beatles für ihr Sargeant Pepper-Album das Schallplattencover in Auftrag gaben, ließen sie in die Collage, auf der sich die Ahnengalerie des Pop ein Stelldichein gibt, Stockhausens Foto einmontieren. 184 024-195_Text 02.07.2008 11:40 Uhr Seite 185