Wie viel Science steckt in Science-Fiction? Menschen werden im Reagenzglas aufgrund ihrer besten genetischen Anlagen erzeugt und direkt nach der Geburt mittels eines Gentests analysiert. Bereits bei der Geburt ist so der genaue Zeitpunkt ihres Todes und ihre Leistungsfähigkeit für die Gesellschaft bekannt. Personen müssen sich mit ihrer DNA identifizieren und die DNA gilt als Bewerbungsgrundlage. Science oder Fiktion? Wie weit ist die Wissenschaft wirklich? Können wir unsere Gene beeinflussen? Und wie löst man in der Ethik Einzelfälle? A|C|G|T – die Sprache der Gene 100 Billionen Zellen – eine Kette, welche 40 Mal den Äquator umspannt – aus diesen setzt sich der menschliche Körper zusammen. Jede einzelne dieser Zellen (mit Ausnahme der roten Blutkörperchen) enthält einen Zellkern und darin die gesamte Information für den Bau eines Individuums, unsere DNA. Diese setzt sich aus den chemischen Bausteinen A, C, G und T zusammen. Die richtige Abfolge dieser Buchstaben ist dabei entscheidend, denn Fehler – sogenannte Mutationen – können sich auf unsere Gesundheit auswirken. Die Entschlüsselung des Erbguts Das 1990 gegründete HumanGenom-Projekt (HGP) setzte sich zum Ziel, das komplette Erbgut eines Menschen zu entschlüsseln. Mit Hilfe der sogenannten Sequenzierung, einer Methode, um die Abfolge der einzelnen DNA-Bausteine zu ermitteln, gelang im Jahr 2001 der Durchbruch: Das vollständige Erbgut eines Menschen wurde bekannt. Durch Vergleiche von Genomen kranker und gesunder Menschen (Genomweite Assoziationsstudien) können verschiedene Gene und regulative Sequenzen identifiziert werden, die bei der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen. Mit einem Gentest können daraufhin bekannte Mutationen in diesen Sequenzen nachgewiesen werden. Was können wir heute tatsächlich in unseren Genen lesen? Die meisten heute bekannten Volkskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht oder Allergien beruhen auf Veränderungen in mehreren Genen und dem Einfluss der Umwelt; man spricht von multikausalen Krankheiten. Nur wenige sogenannte monogene Erbkrankheiten, wie zum Beispiel die Sichelzellanämie oder die Bluterkrankheit, sind auf Mutationen in einzelnen Genen zurückzuführen. Gentests können heute die Veranlagung für eine monogene Erbkrankheit genau bestimmen. Sie geben aber höchstens eine Wahrscheinlichkeit für das Risiko multikausaler 1 Können wir unsere Gene beeinflussen? Krankheiten an. Gentests können keine verlässlichen Aussagen über den zeitlichen Ausbruch einer Krankheit machen. Dank fortschreitender Technologie entdecken Forscher jedoch immer mehr relevante Gene und verstehen so immer besser den Einfluss der Umwelt auf unser Erbgut. Gentests werden in Zukunft daher immer aussagekräftiger. Den Zeitpunkt unseres Todes wird man jedoch nie genau bestimmen können. Wie können Personen anhand des DNA-Profils identifiziert werden? Die Identifikation von Personen anhand des DNA-Profils wird heute bereits routinemässig angewendet, zum Beispiel bei Verbrechen oder Vaterschaftstests. Dabei wird aber nicht das komplette Erbgut eines Menschen analysiert, sondern ganz bestimmte kleine Abschnitte davon. Diese Abschnitte liegen in der sogenannten nichtkodierenden DNA-Sequenz, das heisst, die DNA- Abschnitte enthalten keine Gene. Im Gegensatz zu den Genen unterscheiden sich die nichtkodierenden DNA-Abschnitte von Mensch zu Mensch. Insgesamt enthält unser Erbgut nur etwa 2 % an Genen. 80 % des Genoms konnten durch ein Forschungsprojekt namens ENCODE einer biologischen Funktion zugeordnet werden. Die restlichen 20 % unseres Erbguts stellen Wissenschaftler bis heute vor ein Rätsel, ihre Funktion ist unbekannt. Unsere Gesetze legen fest, dass Menschen aufgrund ihres DNA-Profils nicht diskriminiert werden dürfen, daher werden Bewerbungen auch in Zukunft ohne DNA-Probe ablaufen. 2 Die Epigenetik erforscht die vererbbare Veränderung der Genaktivität, welche durch die Umwelt geprägt wird. Epigenetische Modifikationen ermöglichen eine Anpassung des Erbguts auf Umweltbedingungen wie zum Beispiel auf Nahrung, Schadstoffe, Stress und körperliche Aktivität. Diese Informationen können sogar an Nachkommen vererbt werden, lassen sich aber auch rückgängig machen. Epigenetische Modifikationen ereignen sich auf Ebene der DNA oder der Proteine. Chemische Gruppen, sogenannte Methylgruppen, können an den Baustein C der Doppelhelix gehängt werden. Je mehr Methylgruppen eine bestimmte DNA-Sequenz hat, desto weniger wird das Gen abgelesen und in Proteine übersetzt. Es wird «ausgeschaltet». Forscher aus Arkansas arbeiteten mit einer speziellen Maus, welche agouti viable yellow (avy) genannt wird. Die Mäuse haben ein identisches Erbgut, weisen jedoch einen unterschiedlichen Phänotyp auf: übergewichtige Mäuse mit einer gelben Fellfarbe und normalgewichtige Mäuse mit einer braunen Fellfarbe. Dies lässt darauf schliessen, dass epigenetische Faktoren eine Rolle spielen. Tatsächlich besitzen die für Fettleibigkeit anfälligen gelben Mäuse ein anderes Methylierungsmuster. Mütter, welche biologisch aktive Substanzen (Methyldonatoren) mit der Nahrung aufnahmen (Folsäure, Cholin und Vitamin D12), brachten gesunde Nachkommen zur Welt. Eine gesunde Ernährung scheint daher unsere Gene positiv zu beeinflussen. Baby nach Mass? Im Jahr 1978 gelang die künstliche Befruchtung (= In-vitro-Fertilisation, IVF) zum ersten Mal. Schlagworte wie «Superbabe» und «Retortenbaby» prägten damals die hitzige und stark emotionale Diskussion. Heute werden etwa 2 % aller Kinder in der Schweiz mit Hilfe einer In-vitro-Fertilisation gezeugt. Dies ermöglicht Paaren, die auf natürliche Weise keine Kinder bekommen können, eigene Kinder zu haben. Die Präimplantationsdiagnostik (PID) beruht auf einer In-vitro-Fertilisation (IVF). Diese ist oftmals mit einer physischen, psychischen und finanziellen Belastung der werdenden Eltern verbunden. Eine starke Hormonbehandlung ist notwendig, um mehrere Eizellen zur Reifung zu bringen. Bei einem operativen Eingriff werden diese Eizellen dann entnommen und im Reagenzglas befruchtet. Bei einer IVF werden die befruchteten Eizellen am zweiten oder fünften Tag nach der Befruchtung wieder in die Gebärmutter der Frau eingepflanzt. Bei einer PID wird am Tag drei bis fünf nach der Befruchtung eine embryonale Zelle entnommen und auf chromosomale Veränderungen oder bestimmte Erbkrankheiten untersucht. In der Schweiz ist die PID derzeit verboten. Im Parlament wird eine Zulassung für Eltern mit schweren Erbkrankheiten diskutiert. Übrigens können Eigenschaften wie Intelligenz oder Humor nicht mit einer PID analysiert werden. In der Medizinethik unterscheidet man vier zentrale ethische Prinzipien: Recht auf Selbstbestimmung, Fürsorge, Nichtschaden und Gerechtigkeit, welche dabei helfen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Ethikkommissionen, welche sich aus verschiedenen Fachpersonen zusammensetzen, treffen im Einzelfall Entscheidungen über ethisch heikle Fälle und bestimmen Richtlinien für den Umgang mit solchen Situationen. Wie beantwortet die Ethik schwierige Fragestellungen in der Biologie? Dürfen die Eltern eines Mädchens, in deren Familie eine bestimmte Art von Brustkrebs gehäuft vorkommt, ihr Kind nach der Geburt darauf testen lassen? Wie ist die Situation bei einer Krankheit, für die es keine Heilung gibt und die mit Sicherheit tödlich endet (Chorea Huntington)? Die Ethik stellt sich diesen Problemen. Sie definiert faktenbasierte Argumente (Werte und Normen) für oder gegen ein bestimmtes Handeln. Die Argumente werden in einer Güterabwägung gegeneinander abgewogen und gewichtet. Die Gewichtung der Argumente ist geprägt von Kultur, Politik, Religion und persönlicher Meinung. Die Ethik gibt aber keine allgemein gültigen Antworten. 3 Möchten Sie mehr wissen? Dieses Thema kann auch als Schulbesuch gebucht werden. BS20: Dr. Daniela Suter: Wie viel Science steckt in Science-Fiction?