Analog und Digital von Otl Aicher Flavio Berther und Marcial Franze Greifen und Begreifen «Die Relationen zwischen Denken und Körper sind so eng, dass das, was im Denken geschieht, oft in der Sprache der Hände beschrieben wird.» Diese elementare Erkenntnis ist Aichers Grundlage, auf der er in seinem vorliegenden Buch die evolutionsbedingte Entwicklung unserer Wahrnehmung analysiert und beleuchtet. Die Hand als wichtigstes Wahrnehmungsorgan, spielt eine übergeordnete Rolle über das reine Ertasten oder Begreifen von Gegenständen und Körpern. Ihr fällt neben der Aktion auch die Wahrnehmung derselben zu; dadurch wird sie ebenso zentral für unsere Fähigkeit, Aktionen auszuführen, wie das Auge und das Gehirn; und wird, wenn frei, sensibel und spielerisch eingesetzt, zur Vorraussetzung für einen sich frei entfaltenden Geist. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu unserer heutigen Kultur der Intellektualisierung aller Lebensbereiche ist aber die letzte Konsequenz zu einer völligen Vergeistigung der Menschen. Dadurch, dass der Mensch an einem geschichtlichen Punkt seine als Fangorgane überflüssig gewordenen Hände frei zum begreifen vieler Dinge einsetzte, wurde auch das Denken frei. Die umformenden und komplexer werdenden Hände setzten gleichzeitig eine Entwicklung des Gehirnes vorraus (oder regte diese an). Aus biologischen und neurologischen Gründen begann das Gehirn die typische Arbeitsteilung auf die beiden Gehirnhälften. Die dadurch bedingte innere Spaltung des Menschen, hat großen Einfluss auf sein soziales Zusammenleben. Doch auch der einzelne Mensch hat sein Leben mit seinen zwei geistigen und körperlichen Hälften zu kämpfen. In Diese Sachlage projeziert der Autor die Einseitigkeit unserer digitalisierten Welt, nicht als Utopie, denn mehr als Feststellung, dass die digitalisierung noch voll im Gange ist. Ein Prinzip einer solchen Welt ist die Verdrängung von Erfahrung zugunsten von messbaren Werten und rationalen Mustern, welche in der Gentechnologie sogar die Synthetisierung von Lebewesen anstreben. Doch in vielen Menschen regt sich durch den Einfluss dieser technisch perfekten Welt das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Wahrnehmung des Individuellen Erweiterungen des Ich Welche Größen gibt es? In unserem Wortschatz gibt es die körperliche Größe, die charakterliche Größe sowie die gesellschaftliche und geschichtliche Bedeutungsgröße. Wir sind nur in der Lage diese Größen als Verhältnisse zu gebrauchen, und zwar im Verhältnis zu uns selbst. Neben der körperlich wahrnehmbaren Größe, spricht Aicher auch von der wahren Größe eines Menschen; über seine Gliedmaßen hinaus bis zu den Werkzeugen, die er mit ihnen benützt und durch den Verstand zur Selbstverwirklichung einsetzt. Ein Besipiel ist hier ein Instrumentenspieler, der erst in der Einheit mit dem Instrument, als Musiker wahrgenommen wird, wie auch das Instrument erst in der Einheit mit dem Menschen seine Größe und Daseinsberechtigung zeigt. Da wir im Unterschied zum Tier ein Bewusstsein für die Zeit haben, benötigen wir dazu ein Hilfsmittel wie die Uhr. Erst die Einteilung in Zeiteinheiten vervollständigt schließlich unsere Wahrnehmung der Zeit. «Wenn das Wesen des Menschen ist, sich selbst zu bestimmen, statt in den Ablauf der Nartur eingebunden zu sein, dann ist Menschlichkeit nur mehr möglich mit Hilfe von Gerätschaften aller Art. Es ist kein Zwang, sondern eine Erweiterung der eigenen Möglichkeiten (…)» s.27 Aicher beschreibt diese Einsicht damit, dass der Mensch aus der Welt des starren Seins in eine Welt der Zustände macht. Durch die individuelle Unabhängigkeit im Tun, steigen aber auch die Gefahren für die Welt in der die Menschen leben. «Die gemachte Welt ist nicht von sich aus gut (…). Kommerzialismus ist Machen um des Machens Willen, eine um den Sinn beraubte amputierte Betriebsamkeit zur Optimierung des Betriebsergebnisses» S. 29 ff. Das Auge und Visuelles Denken Aicher beschreibt das Denken als ein rein visuelles, da die Begriffe und Assoziationen in der Sprache sich immer auf ein Bild derselben stützt. Dabei wird der allergrößte Teil der Erinnerung auf die wesentlichen visuellen Eindrücke reduziert, da die Erinnerungen sonst an Prägnanz verlören. Die berechtigte Frage, ob denn Blinde Menschen dann nicht denken können, wird damit beantwortet, dass auch ein Blinder Mensch mit seinen Händen ein Bild der ihn umgebenden Dinge schafft und diese in ein chronologisches Netzwerk einbaut. Die Wichtigkeit der Augen in unserer Kommunikation offenbart sich im Moment der Begrüßungm bei dem man immer in die Augen schaut. Es ist aber nicht das Auge selbst das sieht, sondern der Mensch mit seinen Erfahrungen und seinen Werten. Er sieht nur das, was er auch mit dem Verstand erkennen kann. In Griechenland gibt es beispielsweise keinen Begriff für Grün, welshalb die alten Griechen wohl auch kein Grün sahen. Analog und Digital Anhand zweier Orientierungssysteme lässt sich der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Arten der Darstellung aufzeigen: Der Routenplaner und die Landkarte. Beides hat gewisse visuelle Gemeinsamkeiten, die sich bei genauerer Betrachtung aber in gravierende Unterschiede umkehren. Der Routenplaner gibt dem Benutzer viele Details und Präzise Informationen in einer linearen und daher starren Aneinaderreihung. Durch ihn ist es möglich auch ohne Orts- und Wegkenntnisse präzise zu einem bestimmten Ort zu fahren oder laufen. Die Landkarte als analoges Gegenstück bietet im Gegensatz zum Planer einen Gesamtüberblick und ermöglicht den Aufbau von räumlichen Verhältnissen. Präzise Einzelorte müssen zwar gesucht werden und sind bei einer ungenauen Darstellung unter umständen nur schwer oder garnicht affindbar, können aber prinzipiell auf unterschiedlichen, flexiblen Wegen erreicht werden. Diese Unterschiede lassen sich problemlos auf Uhren übertragen. Auch hier entspricht die analoge Uhr eher der menschlichen Denkstruktur. Die digitale Darstellung zeigt einen Wert, die analoge Darstellung zeigt immer ein Verhältnis. So kann aber auch auf digitalen Trägermedien eine analoge Darstellungsform, wie zum Beispiel eine Ziffeblattuhr, gezeigt werden. Das Wort Analog birgt die Analogien in sich – Verhältnisse. Durch unsere Arbeitswelt, und ihre nahezu vollständige Bürokratisierung entstand der Bedarf an Statistik welche wiederum ausgwertet werden muss. Dazu werden digitale Rechner benützt. Trotz der analogen Natur des Menschen existieren alle Menschen in vielfacher Form als Zahlen. Zahlen der Herkunft, der Familie, als Arbeitskraft, Gehaltsempfänger etcetera… Provokant fragt Aicher an diesem Punkt ob unsere politische und Kulturelle Zivilisation wirklich auf der selben Genauigkeit aufbaut, wie unsere technische Zivilisation. Auf den vorhergehenden Ausführungen entwickelt Otl Aicher ein gewisses Plädoyer an Designer aller Arten, das dem Prinzip «Form follows function» entspringt und folgt. Im Sinne der größeren Selbstverwirklichung solten Designer es vermeiden von rein ökonomischen und politischen Zwecken missbraucht zu werden. Sonst degeneriert das Design zur reinen Verkaufsförderung. Eine Lösung ist das genaue Hinsehen, das eine Erwartungswahrnehmung umgeht und auch spontanen Ideen Raum gibt. Das Haus Wittgenstein Wittgenstein wurde 1889 gebohren und zählt heute zu den wichtigen Philosophen diese Jahrhunderts. Er studierte Ingenieurwissenschaft in Berlin wante sich aber dann der Philosophie zu. Er versuchte die ganze Welt anhand von Mathematischen Formeln zu erklähren, ja sie sogar in eine einzige zu quetschen. Er schrieb ein berühmtes Werk über diese Theorie welches „Tractatus“ heisst. Nach Beendigung dieser Arbeit viel Wittgenstein in eine persönliche Krise. Seine Schwester Margarethe Stronborough die sich gerade von einem Architekten namens Engelmann ihr Haus planen liess bat wittgenstein bei der Planung des Hauses zu helfen. Wittgestein ging in dieser Planung völlig auf. Er baute ein Haus das einer völlig neuen Idee des Bauens entsprach. Es wurde auf jegliche Verzierung verzichtet, denn Wittgenstein bezeichnete Ornament als verbrechen am armen Mann. Das Haus wiederholte sich nicht und war auch nicht in eine Symetrische Achsen zu teilen. Es wurde schlicht, sachlich. Und trotzdem war es perfekt auf seine Schwester zugeschnitten. Bei der Arbeit an diesem Haus veränderte seine auffassung der Welt grundlegend. Ein Zitat Wittgensteins aus dieser Zeit:„Die Arbeit an der Philosophie ist- wie vielleicht die Arbeit an der Architektur- eigentlich mehr die arbeit an einem selbst. An der eigenen auffassung. Daran wie man die Dinge sieht (und was man von ihnen verlangt).“ Nach Beendigung des Baus ging er wieder nach England um an seiner „Philosophie 2“zu arbeiten. Ein Werk namens „Philosophische Untersuchungen“ welches seinem früheren Werk stark wiedersprach. Er hatte die Idee aufgegeben, dass man die Welt anhand von Mathematischen Formeln erklären konnte und betrachtete die Welt nunmer als Fluss. “Wir dürfen keine Theorie aufstellen. Alle Erklährung muss fort und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ „Denk nicht, sondern schau!“ Wittgenstein fordert uns auf die Dinge immer wieder neu zu betrachten. Und Uns von unseren Vorurteilen gegenüber Dingen zu lösen um klar zu sehen. Planung und Steuerung Der Aufbruch dieses Jahrhunderts schäumte über in Grossplanungen wie Kanalbauten und dem verlegen des Eisenbahnnetzes. Die ländlichen Gegenden wurden elektrifiziert und der Volkswagen ging in Produktion. Sogar die Malerei wurde eine der geometrischen und technischen Abstraktion. Das Jahrhundert wurde ein solches der planbaren und machbaren Zukunft. Die Neuzeit begann mit dem Mathematisieren des Denkens. Doch dieses optimistische Planen der Zukunft zeigte schnell seine negative Seite wie Umweltverschmutzung, Missbildungen in der Natur, Krankheiten..... Inzwischen ist uns das Planen vergangen. Wir sind fast nur noch von Reparaturarbeiten in anspruch genommen. Die Welt ist, das wissen wir inzwischen, als ganzes auf unzählige weise zerstörbar geworden, und zwar hier und heute, in jedem Moment, und wir sind unfähig geworden, auch nur einer dieser Todesarten, sei es die des Nuklearkrieges oder die der Klimaveränderung, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Langsam merken wir das die Welt keiner Logig folgt und keinen sie hat weder eine Weltvernunft noch einen Weltenplan. An dieser Stelle bring Aicher den Begriff Steuerung ins Spiel. Das Planen bezeichnet Aicher als unaktuell und unflexibel. Denn wenn man etwas zu plannen beginnt geht man von der gegebenen Situation aus. Diese Situation ist aber bei beendigung der Planng sehr wahrscheinlich nicht die Selbe. Er fordert das man steuern statt planen soll. Wenn man etwas steuert kann man auf jegliche Situation und Problematik reagieren und einen Alternativweg wählen, welcher aber noch zum selben Schlussziel führt. Aicher vergleicht hier analog mit steuern und digital mit planen. Entwicklung Aicher unterscheidet beim Begriff Entwicklung unter zwei arten von Entwicklung. Nähmlich der passiven- und aktiven Entwicklung. Mit Passiver Entwicklung benennt er Dinge, Ereignisse die ohne unser Zutun auf uns zukommen und auf welche wir keinen Einfluss haben. IM aktiven Sinn wird der Begriff Entwicklung vor allem in der Technik und der angewandten Wissenschaft, verstanden als Hervorbringung, als Entfaltung eines neuen Produkts. Dabei wird eine Aufgabenstellung und ein Konzept nur als Einstieg angesehen. Die eigentliche Arbeit besteht in der Modellerprobung. Man vertraut sich bewusst einem Regelkreis von Experiment, Auswertung und Modifikation an. Man steuert anhand von Erfahrungen auf ein Resultat zu. Aicher Ist sehr überzeugt von dieser Art etwas neues zu schaffen. Ein Produkt lässt sich heute nicht mehr planen. Es muss entwickelt werden. Der Plan hat nur noch die Funktion einer allgemeinen Direktive. Ein Apfel und wie man die Welt betrachtet Der Apfel wir von den meisten Menschen als eine in sich geschlossene Einheit betrachtet. Wenn wir also einen Apfel betrachten sehen wir in ihm eine 1. Schon in der Schule als wir bekanntschaft mit Äpfel machen, Addieren und subrahiern wir mit ihnen: ein Apfel plus drei Äpfel sind... Wenn wir nun aber den Apfel in seinem grösseren Zusammenhang betrachten bemerken wir den Baum. Wenn wir wissen wollen was ein Apfel ist, müssen wir den Baum fragen. Der Baum hat Samen, welche den Fortbestand seiner Art sichert. Diese verpackt er mit einer Farblich Attraktiven und essbaren Hülle. Er will das die Tiere den Apfel so schnell wie möglich essen und die Smen gedungt an einer Stelle ausserhalb seines Wirkungskreises ausscheiden. Er will also nicht das Sein, sondern als Zerstörung. Fü den Baum ist der Apfel also mehr eine 0 als eine 1. Man muss also den Grösseren Zusammenhang eines Dinges betrachten um wirklich zu erkennen was es ist. www Aicher bringt noch ein weitere Beispiel der Betrachtung. Ein Wissenschaftler hat einmal gefragt, wie lange ist die Küste Englands? Einfach, denkt man. Man nimmt eine möglichst genaue Karte Englands und misst die Kontur des Landes und hat die Länge. Wenn man nun aber auch die kleinsten Buchten der Küste einbeziehen würde, würde sich die Länge wahrscheinlich verdoppeln. Und wenn man den Konturen der einzelnen Steinen nachfahre würde, würde die Küste um ein zigfaches länger sein. Die Frage ist, was ist eine Küste für den Betrachter und welche Massstäbe setzt man sich. Es kommt immer darauf an von wie weit weg oder wie fokusiert man etwas betrachtet. Ein Zitat als Nachwort: „Wir sehen alle den Zustand dieser Welt. Wir wissen alle, dass etwas getan werden müsste. Doch wir verfassen nur Apelle. Wir sind bei vollem Bewusstsein an dem Prozess beteiligt, dessen Ende voraussehbar ist aber es besteht die Gefahr, dass wir nichts mehr tun können. Wir sind Kinder einer Denkkultur geworden, die das Denken vom Machen abgekoppelt hat, um es allein auf logische Exaktheit zu fixieren. An die Stelle des Tuns trat der Genuss aus dem Konsum. Wir sitzen im Gefängnis der eigenen Vernunft. Je mehr wir wissen, um so weniger können wir tun.“ Quellenangabe: Otl Aicher, Analog und Digital, Berlin 1991, Ernst und Sohn.