DAS WAHRHEITSVERSTÄNDNIS MARTIN HEIDEGGERS UND HANS URS VON BALTHASARS INAUGURALDISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER DOKTORWÜRDE VORGELEGT DER THEOLOGISCHEN FAKULTÄT DER PHILOSOPHISCH-THEOLOGISCHE HOCHSCHULE SVD ST. AUGUSTIN VON GERHARD POLLMEIER AUS FRANKFURT 2015 1 ERSTGUTACHTER: ZWEITGUTACHTER: DATUM DER RIGOROSA: Prof. Dr. Peter Ramers, Sankt Augustin Dr. Fidelis Regi Waton, Sankt Augustin 17.11.2015; 07.12.2015; 14.12.2015 2 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................... 3 1 Einleitung ........................................................................................................................... 6 2 Die phänomenologischen Methoden Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars ... 9 2.1 Hermeneutische Phänomenologie Martin Heideggers ............................................... 9 2.1.1 Die phänomenologische Hermeneutik der Faktizität des Daseins in Sein und Zeit 10 2.1.2 Hermeneutische Phänomenologie nach der sogenannten „Kehre“ .................... 13 2.1.3 Exkurs: Heidegger und Husserl.......................................................................... 15 2.1.4 Husserls Philosophie .......................................................................................... 15 2.1.4.1 Heideggers Kritik an Husserl ...................................................................... 17 2.1.5 Fazit .................................................................................................................... 19 2.2 Phänomenologie Hans Urs von Balthasars .............................................................. 20 2.2.1 Schau von Gestalten in Hinblick auf Goethes Morphologie .............................. 21 2.2.2 Der seinsphilosophische Aspekt der Phänomenologie von Balthasars .............. 22 2.2.3 „Orphische Erkenntnisform“ im Hinblick auf Rilke und Trakl ......................... 24 2.2.4 „Symphonie der Wahrheit“ im Hinblick auf Bach und Mozart ......................... 26 2.2.5 Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Romano Guardini.................................... 28 2.2.6 Fazit .................................................................................................................... 31 3 Die Ontologie Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars .................................... 33 3.1 Grundbegriffe der Fundamentalontologie Heideggers in Sein und Zeit .................. 33 3.1.1 Der Sinn von Sein und Dasein als Existenz ....................................................... 33 3.1.2 Die ontologische Differenz ................................................................................ 34 3.1.3 Das Dasein und die Frage nach dem Sein .......................................................... 36 3.1.4 Darstellung der wichtigen Existenzialien des Daseins ....................................... 37 3.1.4.1 Das In- der- Welt-sein ................................................................................. 37 3.1.4.2 Das Mitsein und das Man ........................................................................... 38 3.1.4.3 Die Erschlossenheit ..................................................................................... 39 3.1.4.3.1 Die Befindlichkeit................................................................................... 40 3.1.4.3.2 Das Verstehen ......................................................................................... 41 3.1.4.3.3 Die Rede ................................................................................................. 43 3.1.4.4 Das Verfallen als Uneigentlichkeit ............................................................. 44 3.1.4.5 Die Entschlossenheit ................................................................................... 45 3.1.4.5.1 Die Angst ................................................................................................ 46 3.1.4.5.2 Das Sein zum Tode und die Sorge.......................................................... 46 3.1.4.5.3 Der Ruf des Gewissens ........................................................................... 48 3.1.4.6 Fazit............................................................................................................. 49 3.2 Die Seinsphilosophie Hans Urs von Balthasars ....................................................... 52 3.2.1 Das Sein.............................................................................................................. 52 3.2.2 Die Realdistinktion ............................................................................................. 53 3.2.2.1 Realdistinktion und Zeit .............................................................................. 55 3.2.2.2 Realdistinktion und Gottesbeweis............................................................... 56 3.2.3 Metaphysik der Singularität ............................................................................... 57 3.2.4 Der analoge Charakter des Seins ........................................................................ 59 3.2.5 Die transzendentalen Bestimmungen des Seins ................................................. 61 3.2.6 Subjekt-Objekt ................................................................................................... 63 3.2.7 Fazit .................................................................................................................... 64 4 Das Wahrheitsverständnis Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars ................. 67 4.1 Martin Heideggers philosophische Denkwege von der „Neuscholastik“ zum hermeneutischen Wahrheitsverständnis ............................................................................... 67 3 4.1.1 Wahrheit in Sein und Zeit .................................................................................. 69 4.1.2 Anknüpfung beim traditionellen Wahrheitsbegriff ............................................ 70 4.1.3 Wahrheit als Erschlossenheit ............................................................................. 71 4.1.4 Die ontologische Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes ............. 72 4.1.5 Zwei äquivoke Wahrheitsbegriffe in Sein und Zeit ............................................ 72 4.1.6 Vom Wesen der Wahrheit .................................................................................. 73 4.1.7 Blick auf das Wesen der Wahrheit ..................................................................... 74 4.1.8 Wahrheit und Freiheit......................................................................................... 78 4.1.8.1 Wahrheit und Un-Wahrheit......................................................................... 81 4.1.8.2 Die Wahrheit des Wesens ........................................................................... 84 4.1.8.3 Die „Kehre“ und der Wandel in Heideggers Wahrheitsverständnis ........... 85 4.1.9 Wahrheit des Seyns als Ereignis ........................................................................ 86 4.1.10 Wahrheit als Überwindung der Ästhetik ............................................................ 89 4.1.11 Die Wahrheit und das Göttliche ......................................................................... 92 4.1.12 Fazit .................................................................................................................... 95 4.2 Wahrheitsverständnis Hans Urs von Balthasars....................................................... 98 4.2.1 Wahrheit als Natur ............................................................................................. 99 4.2.2 Wahrheit als Freiheit ........................................................................................ 105 4.2.3 Wahrheit als Geheimnis ................................................................................... 108 4.2.4 Wahrheit als Teilnahme ................................................................................... 110 4.2.5 Wahrheit und Person ........................................................................................ 112 4.2.6 Fazit .................................................................................................................. 115 5 Das Wahrheitsverständnis der beiden Denker – eine kritische Gegenüberstellung ....... 118 5.1 Grundsätzliches zur Position Hans Urs von Balthasars im Hinblick auf Martin Heidegger ........................................................................................................................... 119 5.2 Phänomenologie ..................................................................................................... 120 5.3 Metaphysik ............................................................................................................. 124 5.4 Wahrheit als Offenheit und als Geheimnis ............................................................ 128 5.5 Wahrheit als Freiheit .............................................................................................. 133 5.6 Wahrheit-Zeit-Geschichte ...................................................................................... 135 5.7 Wahrheit und Logik ............................................................................................... 139 5.8 Wahrheit und Singularität ...................................................................................... 141 5.9 Wahrheit und Gewissen ......................................................................................... 141 5.10 Wahrheit und Ästhetik ........................................................................................... 143 5.11 Wahrheit und die Frage nach dem Göttlichen ........................................................ 145 5.12 Fazit ........................................................................................................................ 148 6 Kritik von Seiten der Philosophie und Theologie an Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars Wahrheitsverständnis..................................................................................... 152 6.1 Kritische Stimmen zu Martin Heidegger ............................................................... 152 6.1.1 Theologische Kritik .......................................................................................... 152 6.1.2 Philosophische Kritik ....................................................................................... 158 6.1.2.1 Die „Frankfurter Schule“ am Beispiel Jürgen Habermas ......................... 158 6.1.2.2 Emmanuel Levinas.................................................................................... 165 6.2 Kritische Stimmen zu Hans Urs von Balthasar ...................................................... 173 6.2.1 Kritik von Seiten der Metaphysik am Beispiel des Philosophen und Theologen Jörg Disse ....................................................................................................................... 174 6.2.2 Literaturtheologie ............................................................................................. 176 6.2.3 Bach und Mozart .............................................................................................. 180 6.2.4 Literatur, Musik und Heilige (Spiritualität)- loci theologici? .......................... 181 6.2.5 Die Transzendentalphilosophie und Transzendentaltheologie Karl Rahners .. 182 7 Resümee: Beiträge Heideggers und Balthasars zum Wahrheitsverständnis .................. 189 4 7.1 Beiträge Heideggers zum Wahrheitsverständnis.................................................... 189 7.2 Beiträge von Balthasars zum Wahrheitsverständnis .............................................. 193 8 Abkürzungsverzeichnis Heidegger Balthasar ................................................................ 197 8.1 Martin Heidegger ................................................................................................... 197 8.2 Hans Urs von Balthasar .......................................................................................... 197 9 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 198 9.1 Primärliteratur ........................................................................................................ 198 9.1.1 Heidegger, Martin ( Gesamtausgabe und Einzelschriften) .............................. 198 9.1.2 Hans Urs von Balthasar .................................................................................... 198 9.1.3 Primärliteratur (Jürgen Habermas, Emmanuel Levinas, Bernhard Welte) ...... 199 9.1.3.1 Habermas, Jürgen ...................................................................................... 199 9.1.3.2 Levinas, Emmanuel................................................................................... 199 9.1.3.3 Welte, Bernhard ........................................................................................ 199 9.2 Sekundärliteratur .................................................................................................... 200 5 1 Einleitung In der vorliegenden Dissertation geht es um zwei Denkwege auf der Suche nach der Wahrheit. Den einen hat Martin Heidegger (1889–1976) beschritten, den anderen der katholische „Literaturtheologe“ Hans Urs von Balthasar (1905–1988). Gerade Martin Heidegger und Hans Urs von Balthasar haben sich zeitlebens mit ihrer ganzen intellektuellen Kraft der Wahrheitsfrage gewidmet und bis in unsere Tage weltweit mir ihren Denkanstößen großen Einfluss ausgeübt. Heidegger versuchte nichts Geringeres als eine Revolution der Philosophie, eine Destruktion der überkommenen Metaphysik („Verwindung“ der Metaphysik, wie er es ausdrückte) und vollzog dabei den Bruch mit dem „System des Katholizismus“. Trotz seiner zum Teil despektierlichen Beschreibung der „Onto-Theologie“ übte er großen Einfluss auf katholische Philosophen und Theologen aus; zu nennen sind neben Hans Urs von Balthasar vor allem Bernard Welte, Gustav Siewerth, Johann Baptist Lotz und Karl Rahner. Aber auch auf andere Philosophen verfehlte sein Denken hinsichtlich seiner (religions-)philosophischen und theologischen Implikationen ihre Wirkung nicht; man denke an Max Müller, Emmanuel Levinas, Richard Rotry, Jürgen Habermas u.a. Von Balthasar hingegen reiht sich ein in die Schar der Philosophen und Theologen vor ihm. Sein Ziel ist nicht die Zertrümmerung von Philosophie und Theologie. Sein Anliegen ist es, die Schultheologie grundsätzlich vor Schaden zu bewahren, sie jedoch gleichsam zu entrümpeln und aus der Erstarrung in einem neuscholastischen Denkkorsett zu befreien. Ob sich Heidegger mit von Balthasar auseinandergesetzt hat, ist nicht bekannt. Von H.U. von Balthasar wissen wir jedoch, das sein Mentor Erich Przywara S.J. (1889–1972) ihm vorschlug, das Studium der Neuscholastik mit Gelassenheit zu betreiben und „Augustin und Thomas mit Hegel, Scheler und Heidegger zu konfrontieren“.1 Frucht der daraus erwachsenden „Theologie aus dem Dialog“, wie sie für Balthasar charakteristisch ist – nicht zuletzt auf Grund seines Seinsverständnisses, nach dem das Sein nicht als Bei-sich-sein, sondern als Gespräch und Begegnung zu denken ist – sind wichtige Beiträge, in denen der Theologe von Balthasar von der Philosophie Heideggers inspirieren lässt, wie vor allem der dritte Band seiner Apokalypse der deutschen Seele zeigt.2 Ähnlich wie Heidegger favorisiert von Balthasar ein Wahrheitsverständnis, das Wahrheit wesentlich auf einer anderen Ebene als der aussagenlogischen ansiedelt: Wahrheit gehört zum „Wesen des Seins“, das nur aus sich selbst in unmittelbarer Evidenz erfahren werden kann.3 Eine genauere Untersuchung des Einflusses des Heideggerschen Denkens auf das Verständnis von Wahrheit, wie es von Balthasar entwickelt hat, stellt nach wie vor ein Desideratum dar. 1 Hans Urs von Balthasar: Prüfet alles, das Gute behaltet (Ostfildern 1986), S. 9. Hans Urs von Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele. Bd. 3: Die Vergöttlichung des Todes (Salzburg – Leipzig 1939). 3 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Theologik. Bd. 1: Wahrheit der Welt (Einsiedeln 1985), S. 25. 2 6 Diesem Mangel abzuhelfen, möchte vorliegendes Dissertationsprojekt einen kleinen Beitrag leisten. 1. Ausgehend von der auf einer kritischen Rezeption Husserls beruhenden hermeneutischen Phänomenologie Heideggers ist es in einem ersten Schritt notwendig, die für die Frage nach der Wahrheit zentrale phänomenologisch ausgerichtete Grundhaltung („theologische Phänomenologie“) von Balthasars genauer in den Blick zu nehmen – eine Grundhaltung, die wesentlich in einer „vollen, indifferenten Aufnahmebereitschaft [besteht], die zunächst nichts anderes wünscht, als das Phänomen so rein wie möglich aufzunehmen“.4 Schon in jungen Jahren prägte sich durch die Begegnung mit der Welt der Musik (Mozart, Bach u.a.) und der Dichtung (Goethe, Rilke, Trakl, Hölderlin) bei von Balthasar die Sensibilität für die Kategorie „Gestalt“ aus und die damit verbundene Grundhaltung des aus dem wahrnehmenden Sehen und Hören erwachsenden Staunens angesichts der sich zeigenden „Gestalten“. 2. In einem zweiten Schritt soll sodann das Wahrheitsverständnis Heideggers und von Balthasars entfaltet werden. Ausgangspunkt der Beschäftigung mit Heidegger ist sein Werk Sein und Zeit (1927), in dem er die Frage nach der Wahrheit eng mit seiner Analyse dessen, was er „Dasein“ nennt, verbindet. In diesem Zusammenhang wird es unerlässlich sein, die Grundbegriffe der Heideggerschen Daseinsanalyse noch einmal näher in den Blick zu nehmen. Seit Heideggers Schrift Vom Wesen der Wahrheit (1930) umkreist sein Denken bis in sein Spätwerk hinein besonderes die Frage nach der „Unverborgenheit der Wahrheit“ (aletheia), der ein besonderes Augenmerk gelten wird. In den Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis) (verfasst zwischen 1936 und 1938, posthum 1989 veröffentlicht) bedenkt Heidegger das Problem der Wahrheit in Bezug zur Geschichtlichkeit („Seynsgeschichte“). In diesem Zusammenhang spielt der Begriff des „Ereignisses“ eine herausragende Rolle. Seit 1935 nähert sich Heidegger dem Thema Wahrheit auch von Seiten der Dichtung her; hier wurde vor allem Hölderlin sein zentraler Gesprächspartner. Was das Verständnis von Wahrheit bei von Balthasar angeht, so werden sich die Analysenneben den für die Thematik relevanten Passagen seiner Werke – vor allem auf sein Opus Wahrheit der Welt (1947) konzentrieren müssen, das er später unverändert im Rahmen der Theologik I in sein Hauptwerk, die Trilogie aus Herrlichkeit, Theodramatik und Theologik, aufgenommen hat.5 3. Im Zentrum des dritten Teils der These steht die Gegenüberstellung der Positionen der beiden Protagonisten. Dabei wird es zunächst noch einmal um die von beiden favorisierte „phänomenologische Methode“ gehen. Sodann werden die Parallelen der von ihnen jeweils vertretenen Seinsphilosophie herauszuarbeiten sein. Besondere Aufmerksamkeit muss sodann 4 Ebd., S. 74. Vgl. dazu ausführlich Gerhard Pollmeier: „Wahrheit der Welt“ als erste Skizze der Trilogie (Frankfurt a.M. 2008). 5 7 der für Heidegger wie für von Balthasar bedeutsamen Frage nach der Zeit, näherhin nach „Wahrheit und Geschichte“ und „Wahrheit und Situation“ („Einmaligkeit“), gewidmet werden. In einem weiteren Schritt wird es darum gehen, die Beziehung von Freiheit und Wahrheit (Gewissen) und das Verhältnis von Wahrheit und Ästhetik (Dichtung) genauer in den Blick zu nehmen. Des Weiteren gilt es, die bei beiden Denkern untrennbare Verbindung von Wahrheit und Singularität herauszuarbeiten; beide vertreten ja im Gegensatz zu Kant und der abendländischen Philosophie den Primat des Individuellen vor dem Allgemeinen. Schließlich gilt es, den von beiden Denkern unterschiedlich gebrauchten Schlüsselbegriff des „Geheimnisses“, der im Zusammenhang mit dem Wahrheitsverständnis von zentraler Bedeutung ist, zu entfalten. 4. Die Positionen Heideggers und von Balthasars haben zum Teil recht heftigen Widerspruch erfahren. In einem vierten Durchgang soll deshalb das Wahrheitsverständnis beider Denker noch einmal aus einer philosophischen und theologischen Perspektive kritisch in den Blick genommen werde. Außerdem soll in der Zusammenschau versucht werden, ihren nach wie vor unverzichtbaren Beitrag für eine verantwortliche philosophische wie theologische Urteilbildung im Hinblick auf die Frage nach der Wahrheit zu würdigen. 8 2 Die phänomenologischen Methoden Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars Sowohl H.U. von Balthasar als auch M. Heidegger sehen einen Zusammenhang zwischen Sein und Wahrheit.6 Man kann beider Seins- und Wahrheitsverständnis nur verstehen, wenn man sich zuerst mit ihrer jeweiligen phänomenologischen Methode befasst, der Behandlungsart und Zugangsmethode zum Phänomen der Wahrheit. Heideggers Ausgangspunkt ist die Phänomenologie Edmund Husserls, von Balthasar beruft sich als Doktor der Germanistik auf Goethes Morphologie der Pflanzen. Heidegger trennt sich nach dem Abbruch des Studiums der katholischen Theologie in einer längeren Übergangsphase bis zu seiner Vorlesung im Wintersemester 1919 in einem Prozess der Auseinandersetzung mit diversen Philosophen und Theologen (Husserl, Scheler, Lask; Dilthey, Paulus, Luther, Pasqual etc.) vom „System des Katholizismus“, in dem es um ewige und unveränderliche Wahrheiten geht. 2.1 Hermeneutische Phänomenologie Martin Heideggers Heidegger übernimmt zunächst die Philosophie in Form der Phänomenologie Husserls. In „Mein Weg in die Phänomenologie“ beschreibt er den mühsamen Weg zum Verständnis der Logische[n] Untersuchungen (Halle a.d.S. – Tübingen 1913) Husserls“7. Trotz aller Schwierigkeiten, die Phänomenologie als „Verfahrensweise“ zu verstehen, beschäftigte er sich nach bestimmten Zeitabschnitten immer wieder mit den Logische[n] Untersuchungen. So griff er beispielsweise nach dem Studium der beiden Bücher Emil Lasks Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre. Eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form (Tübingen 1911) und Die Lehre vom Urteil (Tübingen 1912) erneut auf die Logische[n] Untersuchungen zurück, um Antworten auf Fragen zu finden, die beim Studium Lasks aufgetaucht waren. Auch diesmal verlief die Lektüre unbefriedigend.8 Trotzdem hielt die Faszination, die dieses Buch auf ihn ausübte auch nach der Veröffentlichung des neuen Werkes Husserls Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Halle a.d.S. 1913) an. Erst nachdem Heidegger ab 1916 Husserl in Freiburg persönlich kennen lernte und Schritt für Schritt in das phänomenologische Sehen eingeführt wurde, erkannte er, wie die Auseinandersetzung mit Husserl sein Verständnis der Philosophie des Aristoteles beförderte.9 Trotz des großen Einflusses Husserls und der Bestrebungen Husserls, ihn zu seinem Nachfolger aufzubauen, entwickelte Heidegger die Phänomenologie weiter zu einer „hermeneutischen“ durch die Entdeckung des Hermeneutischen und Geschichtlichen beim Studium der Geschichtsphilosophie Diltheys. 6 Vgl. SuZ (GA 2), S. 282, und Hans Urs von Balthasar: W, S 18f.; S. 246-255. Vgl. Martin Heidegger: „Mein Weg in die Phänomenologie“. In: ZSD, S. 81-90, hier S. 82ff. 8 Vgl. ebd., S. 83. 9 Ebd., S. 86. 7 9 2.1.1 Die phänomenologische Hermeneutik der Faktizität des Daseins in Sein und Zeit Aus der Verbindung der Phänomenologie mit der Hermeneutik entwickelt Heidegger die phänomenologische Hermeneutik der Faktizität. Sie ist das Grundthema der frühen Freiburger Vorlesungen. Im Sommersemester 1923 liest Heidegger „Ontologie“ (Hermeneutik der Faktizität).10 In dieser Vorlesung wird deutlich, was Heidegger unter der phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität versteht. In Sein und Zeit wird zwar auf diese „»Hermeneutik der Faktizität« des Daseins“ in einer Fußnote (S. 72) hingewiesen11, aber sie lässt sich besser verstehen, wenn man die frühen Freiburger Vorlesungen studiert. Beginnen möchte ich in einem ersten Schritt mit dem Begriff der Phänomenologie, mit dem sich Heidegger sehr intensiv seit 1909 auseinandergesetzt hat. Der Phänomenologiebegriff, wie er insbesondere in Sein und Zeit und in der Marburger Vorlesung Sommersemester 1927 „Die Grundprobleme der Phänomenologie“ vorkommt12, soll als Behandlungsart (erstes methodisches Prinzip) und als Zugangsmethode zum thematischen Untersuchungsfeld (zweites methodisches Prinzip) sowie als Bestimmungsart des Themas der Fundamentalontologie dargestellt werden13. Am Anfang des Methoden-Paragraphen § 714 weist Heidegger darauf hin, dass Phänomenologie in erster Linie ein Methodenbegriff sei. „Er charakterisiert nicht das sachhaltige Was der Gegenstände, sondern das Wie dieser.“15 Die Phänomenologie übernehme weder einen Standpunkt noch eine Richtung.16 In Sein und Zeit stellt Heidegger zunächst den formalen Begriff der Phänomenologie vor. Er erklärt den formalen Phänomenologie-Begriff durch die Übersetzung und Erklärung des Sinngehaltes des aus zwei griechischen Wörtern zusammengesetzten Wortes Phänomenologie. Phänomen von φαινόμενον übersetzt er mit: das Sich-an-ihm-selbst-Zeigende. „Das, als was sich die Sache zeigt, ist solches, was die Sache in Wahrheit ist.“17 Der zweite Teil des Wortes Phänomenologie leitet sich von dem griechischen Wort λόγος ab, dessen Grundbedeutung für Heidegger die Rede, das Offenbarmachen von etwas, das aufweisende Sehenlassen ist.18 In diesem Phänomenologie-Begriff ist das zusammengefasst, was in der Maxime: »zu den Sachen selbst!«19 zum Ausdruck kommt. Vom formalen Phänomenologiebegriff leitet Heidegger sowohl den vulgären als auch den phänomenologischen Phänomenologie-Begriff durch Entformalisieren ab. „Die Entformalisierung ist das Problem des Bezuges der Methode 10 O (GA 63). Vgl. Ben Vedder: „Die Faktizität der Hermeneutik. Ein Vorschlag.“ In: Heidegger Studies 12 (1996), S. 95107, hier S. 95. 12 GP (GA 24). 13 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Hermann: Der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Wissenschaft und Gegenwart. Geisteswissenschaftliche Reihe, Heft 63. (Frankfurt a.M. 1981), und ders.: Weg und Methode. Zur hermeneutischen Phänomenologie des seinsgeschichtlichen Denkens. Wissenschaft und Gegenwart: Geisteswissenschaftliche Reihe, 66. (Frankfurt am Main 1990). 14 Vgl. SuZ (GA 2), S. 27. 15 Ebd., S. 37. 16 Ebd. 17 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 17. 18 Vgl. SuZ (GA 2), S. 44. 19 Ebd., S. 37. 11 10 zu ihrem Gegenstand, ohne dass dadurch die Scheidung zwischen Methode und thematischem Gegenstand wieder rückgängig gemacht würde.“20 Der vulgäre Phänomenologie-Begriff bezieht sich auf Seiendes wie es Gegenstand der positiven Wissenschaften ist und nicht wie es sich in vorwissenschaftlicher Hinsicht zeigt.21. Auch beim vulgären Phänomenologie-Begriff handelt es sich um eine Methode. Insofern kann die wissenschaftliche Forschung sich in methodischer Hinsicht als phänomenologisch ansehen lassen.22 Anders im vorwissenschaftlichen Bereich: „Im vorwissenschaftlichen Alltag bedarf es keiner Methode, keiner methodischen Aufweisung, um die Dinge unserer natürlich-alltäglichen Lebenspraxis allererst zum Sichzeigen zu bringen.“23 Im Methoden-Paragraphen von Sein und Zeit geht es aber ausschließlich um den phänomenologischen Phänomenologie-Begriff, um die Behandlungsart, die Zugangsmethode und die Bestimmungsart des Themas der Fundamentalontologie zu ihrem thematischen Gegenstand, dem Sein des Seienden. „Wird der formale Phänomenbegriff entformalisiert in Richtung auf das Sein des Seienden und dessen Sinn, dann gewinnen wir den philosophischen, den eigentlichen und deshalb phänomenologischen Phänomen- und Phänomenologie-Begriff.“24 Heidegger schreibt in diesem Zusammenhang: „Was ist das, was die Phänomenologie »sehen lassen« soll? Was ist es, was in einem ausgezeichneten Sinne »Phänomen« genannt werden muß? Was ist seinem Wesen nach notwendig Thema einer ausdrücklichen Aufweisung? Offenbar solches, was sich zunächst und zumeist gerade nicht zeigt, was gegenüber dem, was sich zunächst und zumeist zeigt, verborgen ist, aber zugleich etwas ist, was wesenhaft zu dem, was sich zunächst zeigt, gehört, so zwar, dass es seinen Sinn und Grund ausmacht.“25 Ausdrückliche Aufweisung eines phänomenologischen Phänomens bedeutet demnach, dass es sich um ein Phänomen handelt, dass im Gegensatz zu den Phänomenen im außerwissenschaftlichen- und positiv-wissenschaftlichen Bereich verborgen ist, nämlich das Sein des Seienden. Für Heidegger ist zunächst das faktische Leben und seit dem SS 192O das Dasein26 „das entscheidende Seiende, weil nur aus ihm und nur ‚für‘ es entschieden werden soll, ob und wie das Sein selbst sich bekundet“.27 Zu diesem verborgenen Sein des Seienden führt eine Zugangsmethode in drei Schritten, die auf die Schwierigkeit dieses Weges hinweist. „Die Begegnisart des Seins und der Seinsstrukturen im Modus des Phänomens muß den Gegenständen der Phänomenologie allererst abgewonnen werden.“28 Ein erster Schritt auf dem Weg (erstes Grundstück) ist die phänomenologische Reduktion, die den 20 Friedrich-Wilhelm von. Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 20. Vgl. ebd., S. 21. 22 Vgl. ebd., S. 22f. 23 Ebd., S. 22. 24 Ebd., S. 23 25 SuZ (GA 2), S. 47. 26 Vgl. Helmuth Vetter: „Dasein“. In: Helmuth Vetter (Hrsg): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe (Hamburg 2004), S. 99. 27 Ilya Inishev: „Von der Lebenswelt zur Seinsgeschichte. Verwandlungen des Philosophiebegriffes Martin Heideggers“. In: Emmanuel Mejia – Ingeborg Schüßler (Hrsg.): Heideggers Beiträge zur Philosophie (Frankfurt 2009), S. 134. 28 SuZ (GA 2), S. 49. 21 11 untersuchenden Blick vom naiv erfassten Seienden zurückführt zum Sein.29 Aber diese Reduktion reicht als Grundstück der phänomenologischen Methode nicht aus, um das Verborgene des Seins zu entbergen, denn man kann das Sein, auf das das Seiende in der phänomenologischen Reduktion zurückgeführt wird, nicht ohne weiteres finden. Deshalb fordert Heidegger als zweites Grundstück der phänomenologischen Methode, die phänomenologische Konstruktion. Das Sein muss „jeweils in einem freien Entwurf in den Blick gebracht werden. Dieses Entwerfen des vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen bezeichnen wir als phänomenologische Konstruktion“.30 Das dritte Grundstück der phänomenologischen Zugangsmethode (die Destruktion) ist wohl am besten beschrieben in § 6 von Sein und Zeit: „Die Aufgabe einer Destruktion der Geschichte der Ontologie.“31 Die Destruktion der Geschichte der Ontologie soll den kritischen Blick schärfen für das eigene Dasein und seine geschichtliche Verfasstheit. Vor allem der Seinsbegriff muss in seiner Entwicklungsgeschichte von den Anfängen an genau in den Blick genommen und jeweils auf seine Bedeutung hinterfragt und überprüft werden. Heidegger sagt: „Soll für die Seinsfrage selbst die Durchsichtigkeit ihrer eigenen Geschichte gewonnen werden, dann bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen.“32 Die kritische Funktion der Destruktion wird zwar an dritter Stelle genannt, kommt aber als kritische sowohl bei der Reduktion als auch bei der Konstruktion zur Anwendung.33 Für Heidegger ist spätestens in den frühen Freiburger Vorlesungen die Seinsfrage offen gehalten durch die phänomenologische Hermeneutik der Faktizität des Daseins. Was Hermeneutik bedeutet, war Heidegger klar durch das Studium der Hermeneutik Friedrich D.E. Schleiermachers im Rahmen seines Theologiestudiums. Dazu kam die Auseinandersetzung mit der Geschichtsphilosophie Wilhelm Diltheys. Aber er versteht die Hermeneutik anders als Schleiermacher und Dilthey. Es geht ihm um eine Bestimmung der Hermeneutik als eine Hermeneutik der Faktizität oder auch Hermeneutik des Daseins.34. Faktizität ist Gelebtes und Erlebtes, kurz das Leben, die Lebenswelt selbst. Es geht in der Hermeneutik der Faktizität darum, „das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich verstehend zu werden und zu sein.“35. Das griechische Wort ἑρμηνεύειν bedeutet nicht nur „auslegen“, sondern auch „kundgeben“. Der erste Sinn der phänomenologischen Hermeneutik besteht darin, dass das Dasein im „entwerfend-auslegenden Verstehen“36 sich 29 GP (GA 24), S. 29. Ebd., S. 29f. 31 SuZ (GA 2), S. 31-36. 32 Ebd., S. 30. 33 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 44. 34 Vgl. O (GA 63), § 3 „Hermeneutik als Selbstauslegung der Faktizität“, S. 14ff. 35 Ebd., S. 15. 36 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 17. 30 12 selbst kundgibt. „Dieses gibt sich in der Phänomenologie des Daseins aus seinem je schon im Vollzug stehenden unthematischen Seinsverständnis durch das von ihm vollzogene ausdrückliche ἑρμηνεύειν die in seinem Seinsverständnis verhüllten Grundstrukturen seines eigenen Seins, die Seinsweisen des Seienden und den Sinn von Sein überhaupt kund.“37 Bei der phänomenologischen Hermeneutik im zweiten Sinn geht es um den dienenden Charakter der Hermeneutik des Daseins im ersten Sinn für die regionalen Ontologien.38 Hermeneutik wird verstanden als Ausarbeitung „im Sinne der Ausarbeitung der Bedingungen der Möglichkeit jeder ontologischen Untersuchung“39. Hermeneutik im dritten Sinn heißt „Analytik der Existenzialität“.40 „Und sofern schließlich das Dasein den ontologischen Vorrang hat vor allem Seienden – als Seiendes in der Möglichkeit der Existenz, erhält die Hermeneutik als Auslegung des Seins des Daseins einen spezifischen dritten – den, philosophisch verstandenen, primären Sinn einer Analytik der Existenzialität der Existenz.“41 Primärer Sinn bedeutet, nur über diesen Sinn kann die Fundamentalontologie die Frage nach dem Sinn von Sein erreichen.42 Über die Vollzugsbedingungen der phänomenologischen Hermeneutik (der Vorhabe, der Vorsicht, des Vorgriffs) und dem hermeneutischen Zirkel werden wir im Rahmen der Daseinsanalyse vordringen bei der Frage nach dem Verstehen. Zum Schluss muss noch kurz auf den Unterschied zwischen Phänomen, Erscheinung und Schein eingegangen werden, um Begriffsverwirrung zu vermeiden. Erscheinungen und Schein sind immer im Phänomen fundiert. Ein Phänomen als das „Sich-an-ihm-selbstzeigende“43 ist nie eine Erscheinung oder ein Schein. Nur ein Schein kann sich im Gegensatz zum Phänomen so zeigen, wie es nicht ist (Schein). Der Zahnschmerz kann als Erscheinung einer Entzündung angesehen werden. Dann wäre die Entzündung das eigentliche Phänomen, um das es in diesem Beispiel geht. Erscheinung kann sich auch als Schein herausstellen. „Sofern für »Erscheinung« in der Bedeutung von Sichmelden durch ein Sichzeigendes ein Phänomen konstitutiv ist, dieses sich aber privativ abwandeln kann zum Schein, so kann auch Erscheinung zum bloßen Schein werden.“44 2.1.2 Hermeneutische Phänomenologie nach der sogenannten „Kehre“ Martin Heidegger vollzieht zwischen 1930 und 1938 eine Wende in seinem Denken von der fundamentalontologisch angesetzten Seinsfrage zur seinsgeschichtlich angesetzten Seinsfrage, die durch eine „gewandelte Struktur des Hermeneutisch-Phänomenologischen“45 ausgezeichnet ist. Das bedeutet, dass Heidegger auch nach der Wende bis in sein Spätwerk 37 Ebd., S. 17. Ebd., S. 18. 39 SuZ (GA 2), S. 50. 40 Ebd., S. 50. 41 Ebd. 42 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 18. 43 SuZ (GA 2), S. 38. 44 Ebd., S. 41. 45 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 22. 38 13 die hermeneutisch-phänomenologische Methode als Denkweg beibehalten hat, aber im Sinne des hermeneutisch-phänomenologischen Ereignis-Denkens als Zugangsweg zum Sein als Ereignis.46 Zunächst muss nachvollzogen werden, welche Denkerfahrung dem Wandel im Denken (Kehre) Heideggers zugrunde liegt. Es handelt sich um eine Kehre des Blickpunktes in der phänomenologischen Erfahrung. Es ist „die phänomenologische Erfahrung von der Herkunft der Geworfenheit aus dem Wurf als dem Zuwurf der Wahrheit des Seins, die den Weg des seinsgeschichtlichen Denkens der Seinsfrage eröffnet“.47 Nach der Kehre wendet sich der Blick zur Wahrheit des Seyns. Zu dieser Wahrheit des Seins gehört, dass das Seyn sich von sich selbst her entbirgt als auch verbirgt. Warum erwies sich demnach die transzendentalhorizontale Blickbahn von Sein und Zeit als nicht hinreichend? In Sein und Zeit bleibt die „Geschichtlichkeit der Erschlossenheit vom Sein im Ganzen“48 unbeachtet. Es ist aber notwendig, über die Geschichtlichkeit nachzudenken, wenn man phänomenologisch erfährt, „dass sich die Anwesenheitsweise des Seienden geschichtlich wandelt“.49 Heidegger sah die Wahrheit in Sein und Zeit als Unverborgenheit, aber das Dasein (der Mensch) ist nicht in der Lage, diese Unverborgenheit des Seins aus sich herzustellen.50 In diesem Zusammenhang spielt der Begriff des Ereignisses, wie er vor allem in den Beiträgen zur Philosophie51 herausgearbeitet wird, eine zentrale Rolle. „Hier wird unüberhörbar gesagt, dass das Geworfensein des Entwurfs sein Er-eignetsein durch das Seyn für die Wesung des Seyns ist. Er-eignen heißt, dass der Mensch aus dem Bezug des Seyns zu ihm »zum Eigentum des Seyns« bestimmt wird.“52. Eigentum des Seyns bedeutet in hermeneutischer Hinsicht, dass der Mensch Kunde zu bringen hat von der gehörten Botschaft als »Botengänger«53. Botschaft heißt, den „Zuwurf der Wahrheit des Seins denken, der den Menschen als Da-sein eröffnet und in das Da-sein wirft, so, dass es als geworfen existiert.“54 Nach der Kehre kommt der Ausdruck „Hermeneutik“ nur noch an wenigen Stellen vor, dann aber im Sinne von „Botschaft und Kunde“ bringen. Ebenso ist es mit dem Begriff der „Methode“. In den Naturwissenschaften hat für ihn der Begriff der Methode einen „Herrschaftscharakter“.55 Herrschaftscharakter bezeichnet hier, dass die Methode den Gegenstand der Forschung bestimmt. „Nicht ist es das Seiende selbst, das den Zugangsweg zu ihm vorzeichnet, sondern die Methode zwingt das Seiende, nach ihrer Vorgabe sich zu zeigen.“56 Anstelle der Methode setzt Heidegger die »Gegend« und den »Weg«57. „Im 46 Vgl. ebd., S. 31. Ebd., S. 23. 48 Ebd., S. 26. 49 Ebd. 50 Vgl. Seminar in Le Thor 1969 ( GA 15), S. 345 51 BP (GA 65). 52 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 24. Vgl. BP (GA 65), S. 263. 53 Ebd., S. 26. Vgl. US (GA 12), S. 129. 54 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 25. 55 Ebd., S. 28. 56 Ebd. 57 Ebd., S. 29. 47 14 Gegnen der Gegend kommt das Zudenkende für das Denken entgegen. Es begegnet ihm. Im Gegnen gibt die Gegend das Zudenkende für das Denken frei.“58 2.1.3 Exkurs: Heidegger und Husserl Um Heideggers Kritik an seinem Lehrer und Förderer, dem Begründer der Phänomenologie, Edmund Husserl verstehen zu können, ist es notwendig, sich Husserls Philosophie kurz und vor allem hinsichtlich der Punkte, die für Heideggers Kritik bedeutsam sind. anzuschauen. Das ist auch deshalb von Relevanz, da es häufig zu Missverständnissen gekommen ist, da viele Forscher sich nicht die Mühe gemacht haben, eine differenzierte Analyse der Heideggerschen Phänomenologie durchzuführen. 2.1.4 Husserls Philosophie Worum ging es eigentlich in Husserls Philosophie? Erstens sollte die Philosophie neu begründet werden als Grundlage der Natur-und Geisteswissenschaften.59 Zweitens intendierte der wissenschaftstheoretische Cartesianer Husserl60 „eine streng wissenschaftliche, unpersönliche, Wesensforschung betreibende, systematische, universale, anti-relativistische, anti-skeptische, den ‚Stempel Ewigkeit‘ tragende und sachlich orientierte Philosophie, die als erste, selbst voraussetzungslose Philosophie“.61 Der Kenner Heideggers weiß nach dieser kurzen Definition bereits, wo Heideggers Kritik ansetzen wird. Die Frage nach der Wahrheit stand dabei im Mittelpunkt des Husserlschen Forschungsinteresses.62. Auf Husserls Wahrheitsbegriff kann hier nicht ausführlich eingegangen werden, aber es soll eine kurze Zusammenfassung folgen, um Heideggers Wahrheitsverständnis im Laufe der Arbeit umso deutlicher als Kontrastfolie abheben zu können. Man kann zwischen dem (enger logischen) Wahrheitsbegriff der Logische[n] Untersuchungen und dem (umfassenderen metaphysischen) der Cartesianische[n] Meditationen unterscheiden.63 Im Zusammenhang der Logische[n] Untersuchungen spielen die Begriffe „Intentionalität“ und „Evidenz“ im Rahmen einer phänomenologischen Korrespondenztheorie eine zentrale Rolle. „Das Anliegen der in den Logische[n] Untersuchungen entwickelten deskriptiven Phänomenologie ist daher eine Untersuchung der verschiedenen Weisen von Intentionalität und damit auch der verschiedenen, auf bestimmte Intentionalitätsweisen korrelativ bezogenen Weisen der Gegebenheit von Gegenständen.“64 Vor allem der Begriff der Intentionalität wird noch genauer bei der Beschreibung der Besonderheiten der Husserlschen Phänomenologie 58 Ebd. Vgl. Holger Zaborowski: „Wahrheit und die Sachen selbst. Der philosophische Wahrheitsbegriff in der phänomenologischen und hermeneutischen Tradition der Philosophie des 20. Jahrhunderts: Edmund Husserl, Martin Heidegger und Hans Georg Gadamer“. In: Markus Enders – Jan Szaif (Hrsg): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit (Berlin – New York 2006) S. 340. 60 Vgl. Michael Großheim:„Phänomenologie des Bewusstseins oder Phänomenologie des ‚Lebens‘? Husserl und Heidegger in Freiburg“. In: Günter Figal (Hrsg.): Heidegger und Husserl (Frankfurt a.M. 2009), S. 106. 61 Holger Zaborowski: „Wahrheit und die Sachen selbst“, S. 340. 62 Vgl. ebd. 63 Vgl. ebd. 64 Ebd., S. 341. 59 15 besprochen, denn Heidegger setzt hier mit seiner Kritik der phänomenologischen Methode Husserls an, obwohl er selbst den Begriff in seine eigene Phänomenologie neuinterpretierend übernimmt. Husserl geht im Paragraphen 39 der Logische[n] Untersuchungen von vier verschiedenen Wahrheitsbegriffen auf der Grundlage der Interpretation der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus aus65. Husserl entwickelt vor allem in den Cartesianische[n] Meditationen in phänomenologischer Reduktion auf das „transzendentale Ego“ die Phänomenologie zu einer idealistischen transzendentalen Phänomenologie weiter.66 Wir wissen bereits, dass Husserls und Heideggers formale Phänomenologiebegriffe inhaltlich übereinstimmen. Beim Entformalisieren der formalen Phänomenologiebegriffe ergeben sich jedoch deutliche Differenzen, denn Husserl entformalisiert den formalen Phänomenologiebegriff in Richtung auf das Bewusstseinsleben, anstatt wie Heidegger auf das Dasein. „Der thematische Gegenstand der Husserlschen Phänomenologie ist das Bewusstseinsleben mit seinen Erlebnissen bzw. Akten und demjenigen, was in den Bewusstseinsakten gegenständlich bewusst ist.“67 Dabei ist zu beachten, dass es nicht um die Bewusstseinsakte im naiven Sich-an-ihm-selbst-zeigen geht, sozusagen ohne ausdrückliche Aufweisung, sondern um die Bewusstseinsakte, reflektiert in der phänomenologischen Analyse. Sie sollen so reflektiert werden, dass sie enthüllt werden können, um zum reinen Wesen der Akte (immanenten Sinngehalt) und ihrer wesensmäßigen Beziehung auf die Gegenstände zu gelangen.68 „Das, was die phänomenologische Reflexion zum Aufweis bringt, was als Verhülltes des naiven Aktvollzuges nunmehr durch die phänomenologische Denkhaltung sich an ihm selbst zeigt und somit zum Phänomen wird, ist das reine Wesen der Akte und ihre wesensmäßige Beziehung auf die Gegenstände.“69 Es handelt sich bei den Phänomenen im Verständnis Husserls immer um intentionale Bewusstseinsakte.70 Intentionalität bedeutet bei Husserl, „dass jeder Bewusstseinsakt wesensmäßig und nicht erst aufgrund des zufälligen Auftauchens von Gegenständen ein Sichbeziehen-auf etwas ist“.71 Die Intentionalität ist für Husserl die wichtigste Entdeckung der Phänomenologie, weil durch sie die nachfolgenden Entdeckungen erst möglich sind72. Husserl selbst schreibt: „Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heißt Intentionalität.“73 Die Gegenstände sind bewusst in der intentionalen Immanenz des Bewusstseins. D.h. Husserl unterscheidet zwischen dem generellen Wesen der Bewußtseinsakte (Intentionalität) und dem speziellen Wesen, d.h. „dass jede Aktart sich 65 Ebd., S. 342. Vgl. ebd. S. 343. 67 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 34. 68 Vgl. ebd., S. 35. 69 Ebd., S. 36. 70 Vgl. ebd., S. 39. 71 Ebd., S. 36. 72 Vgl. Celeszine Chibueze Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach. Europäische Hochschulschriften, Reihe XX, Philosophie, Bd./Vol. 705 (Frankfurt a.M. 2007) S. 136. 73 Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie I (Halle a.d.S. 1913), S. 337. 66 16 gemäß ihrem artmäßigen Wesen auf ihren Gegenstand bezieht, der wahrnehmende Akt gegenwärtigend auf ein leibhaft Anwesendes, der wiedererinnernde Akt vergegenwärtigend auf ein leibhaftig Gegenwärtig-Gewesenes“.74 2.1.4.1 Heideggers Kritik an Husserl Zwar ist Sein und Zeit Edmund Husserl in Verehrung und Freundschaft zugeeignet, aber es lässt sich nicht verbergen, dass es in diesem Buch auch um eine Auseinandersetzung mit Husserls Philosophie geht, ja man sogar von einem Bruch mit Husserl sprechen kann.75 Schon in seiner ersten Vorlesung als Assistent Husserls in Freiburg (1919) treten Differenzen zu Husserl zu Tage. Auch in den frühen Freiburger Vorlesungen erarbeitet sich Heidegger immer deutlicher eine eigenständige philosophische Position. „So entwickelt er in den Vorlesungen der zwanziger Jahre eine an die Wurzel gehende Kritik an Husserls theoretisierender Auffassung der Phänomenologie, die im gescheiterten Versuch einer gemeinsamen Abfassung des »Phänomenologie«-Artikels für die Encyklopedia Britannica deutlich zum Ausdruck kam.“76 Trotzdem hält Husserl an ihm als seinen Nachfolger auf dem Freiburger Philosophenstuhl auch nach den Querelen um den Artikel für die Encyclopedia Britannica (1927–1928) und nach Sein und Zeit fest, denn er hoffte immer noch, dass Heidegger die Phänomenologie in seinem Sinn fortführen würde. Nach Heideggers Freiburger Antrittsvorlesung zum Thema „Was ist Metaphysik“ kam es dann zum endgültigen Bruch mit Husserl.77 Drei wichtige Kritikpunkte Heideggers sollen hervorgehoben werden, die begreiflich machen, wie es zu einem unterschiedlichen Wahrheitsverständis kommen musste: 1. Heideggers Kritik des Husserlschen Bewusstseinsbegriffes; 2. die unterschiedliche Auffassung über das, was Philosophie als Wissenschaft bedeutet; 3. das faktische Selbst (Ich) im Lebensvollzug. Zu 1. Heidegger benutzt seine Darstellung von Husserls Bewusstseinsbegriff zur grundsätzlichen Kritik an dessen Phänomenologie. Laut Heidegger sei in der Grundstellung des Daseins die Grundstellung des Bewusstseins verlassen.78 Nach Husserl ist, so Heidegger, die phänomenologische Reduktion „die Methode der Rückführung des phänomenologischen Blickes von der natürlichen Einstellung des in die Welt der Dinge und Personen hinlebenden Menschen auf das transzendentale Bewusstseinsleben und dessen noetisch-noematische Erlebnisse, in dem sich die Objekte als Bewusstseinskorrelate konstituieren.“79 Für Heidegger 74 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 36 Vgl. Thomas Rentsch: „»Sein und Zeit«. Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch. Leben – Werk – Wirkung (Stuttgart – Weimar 2003), S. 54. 76 Christoph Jamme: „Phänomenologie, Heidegger und Husserl“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 44. 77 Vgl. ebd., S. 45. 78 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 50. 79 GP (GA 24) S. 29. 75 17 hingegen „ist das reduktiv eröffnete absolute Sein des Bewusstseins nicht die genuine Seinsweise des ‚Subjekts‘. Vielmehr gründet sich im reduktiven Zugang zur absoluten Seinssphäre das ,Subjekt‘ in sich selbst als dem transzendentalen ego-cogito-cogitatum und verschließt sich endgültig gegen die Möglichkeit phänomenologischer Enthüllung seiner existenzialen Seinsverfassung und der selbsthaft-ekstatisch-horizontalen Erschlossenheit von Sein überhaupt“80. D.h. Heidegger nimmt eine Neuinterpretation der „Epochē“ (Einklammerung) vor. Husserl versteht darunter die Einklammerung des faktischen Vorkommens von etwas, „damit statt der zufälligen jeweiligen Gegebenheit das Wesen einer Sache sich zeigen und in den Blick kommen kann. […] Sie ist im Wortsinne eine »Enthaltung« vom Realismus der natürlichen Einstellung, derart, daß die Aufmerksamkeit nicht mehr bei den Dingen, sondern bei ihrer reinen Gegebenheit im Erscheinen ist.“81 So kann man, indem die Gegebenheit der Dinge im Bewusstsein sichtbar wird, ihren inneren Aufbau bzw. ihre innere Struktur erkennen.82 Heideggers Begriff der Epochē „setzt nicht die alltägliche Orientierung an den »tatsächlich« gegebenen Dingen außer Kraft, sondern die wissenschaftliche Einstellung nicht, sofern sie noch in einer natürlichen Einstellung befangen ist, sondern als wissenschaftliche Einstellung.“83 Husserl ist für Heidegger ein Innenweltdenker84, dem im Wesentlichen nur die Sphäre des Bewusstseins wichtig erscheint. Wenn Heidegger von „Immanenz“ und „Transzendenz“ spricht, ist immer Husserl gemeint.85 In Sein und Zeit sagt Heidegger in § 13 über das Verhältnis von Immanenz und Transzendenz: „Im Sichaufrichten auf …und Erfassen geht das Dasein nicht etwa erst aus seiner Innensphäre hinaus, in die es zunächst verkapselt ist, sondern es ist seiner primären Seinsart nach immer schon »draußen« bei einem begegnenden Seienden der je entdeckten Welt. Und das bestimmende Sichaufhalten bei dem zu erkennenden Seienden ist nicht etwa ein Verlassen der inneren Sphäre, sondern auch in diesem »Draußen-sein« beim Gegenstand ist das Dasein im rechtverstandenen Sinne »drinnen«, d.h. es selbst ist es als In-der-Welt-sein, das erkennt.“86 Zu 2. Heidegger gilt wissenschaftstheoretisch als Aristoteliker, obgleich er gleichzeitig auch kritisch Aristoteles gegenübersteht. Husserl orientiert sich wissenschaftstheoretisch an Descartes87, d.h. er wendet sich vom „naiven Objektivismus zum transzendentalen Subjektivismus“.88 Heidegger hält Descartes für einen Philosophen, der sich nicht an den 80 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 47. Günter Figal: Heidegger Lesebuch (Frankfurt a.M. 2007), S. 12. 82 Vgl. ebd. 83 Ebd., S. 12. 84 Michael Großheim „Phänomenologie des Bewusstseins oder Phänomenologie des ‚Lebens‘? Husserl und Heidegger in Freiburg“. In: Günter Figal – Hans-Helmut Gander (Hrsg.): Heidegger und Husserl. Neue Perspektiven (Frankfurt a.M. 2009), S. 101-136, hier S. 111. 85 Vgl. ebd., S. 115. 86 SuZ (GA 2), S. 83. 87 Vgl. Michael Großmann: Phänomenologie des Bewusstseins, S. 106. 88 Ebd., S. 107. 81 18 Sachen orientiert, sondern an vorgefassten formalen Ansprüchen. In den Paragraphen 19-21 von Sein und Zeit beschäftigt sich Heidegger eingehend mit diesem Problem. Für Heidegger ist Aristoteles der eigentliche Phänomenologe. Aus diesem Grund übernimmt er im Gegensatz zu Husserls theoretisch orientierten Subjektauffassung viele Elemente aus dem Bereich der Aristotelischen Anthropologie.89 Für den Metaphysiker Aristoteles war es selbstverständlich, „dass zuerst das, was erkannt wird, als das Bestimmende anerkannt wird“.90 Zu 3. Heidegger verwirft den egologischen Ansatz Husserls als metaphysisch, d.h. eine Trennung zwischen dem transzendentalen Ego und dem faktischen Ich91. Er entwickelt stattdessen einen Erfahrungsbegriff, der bei der Faktizität des konkreten Lebensvollzugs ansetzt (lebensphilosophische Phase). Später ab der „Ontologie“ (1923) wird aus dem faktischen Ich oder Selbst das Dasein. Gemeint ist, dass „[d]as Selbst des faktischen Lebens […] kein neutraler Beobachter [ist], sondern eingelassen in die Bedeutungszusammenhänge einer holistisch verflochtenen Lebenswelt, in denen es sich »bekümmernd« und »sorgend«, also praktisch handelnd, bewegt“.92 Dieses Selbst bzw. Dasein existiert auslegend-verstehend in seiner Lebenswelt.93 2.1.5 Fazit Man kann Heideggers Wahrheitsverständnis nur erfassen und mit dem Wahrheitsverständnis anderer Denker vergleichen, wenn man sich zuerst mit dem phänomenologischen Phänomenologie-Begriff auseinandersetzt, der Behandlungsart und Zugangsmethode zum Phänomen der Wahrheit. Dabei handelt es sich um einen mühsamen Weg, wie man aus „Mein Weg in die Phänomenologie“ (GA 14) entnehmen kann. Heidegger trennt sich bei der Entwicklung seiner phänomenologischen Methode nicht nur vom „System des Katholizismus“, sondern auch von seinem Lehrer und Förderer Edmund Husserl. Aus der Verbindung der Phänomenologie mit der Hermeneutik erarbeitet Heidegger die phänomenologische Hermeneutik der Faktizität. Im Methodenparagraphen von Sein und Zeit zeigt Heidegger auf, was unter der Maxime, zu den Sachen selbst, zu verstehen ist. Er beantwortet die Frage danach, was in einem ausgezeichneten Sinn Phänomen genannt werden muss. Es geht um die Aufweisung dessen, was sich zunächst und gerade nicht zeigt, um das Sein des Seienden. Durch die Entformalisierung des formalen Phänomenologie-Begriffes in Richtung auf das faktische Ich (Selbst), später Dasein, wird der Weg eröffnet für die 89 Vgl. Franco Volpi: „Der Rückgang auf die Griechen in den zwanziger Jahren. Eine hermeneutische Perspektive auf Aristoteles, Platon und die Vorsokratiker im Dienst der Seinsfrage“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 26-37, hier 31. 90 Martin Heidegger: Einführung in die phänomenologische Forschung (GA 17), S. 103. 91 Christoph Jamme: „Phänomenologie, Heidegger und Husserl“, S. 44. 92 Matthias Jung: „Die frühen Freiburger Vorlesungen und andere Schriften 1919–1923, Aufbau einer eigenen Philosophie im historischen Kontext“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 13-22, hier S. 17. 93 Vgl. ebd., S. 20. 19 ontologische Analytik in Sein und Zeit „als Freilegung des Horizontes für eine Interpretation des Sinnes von Sein überhaupt“.94 Die sogenannte Kehre bedeutet keineswegs, dass Heidegger Abschied nimmt von der Hermeneutischen Phänomenologie, sondern nach der Kehre wendet sich der Blick zur Wahrheit des Seyns. Wegen des Herrschaftscharakters des Methodenbegriffs in den Naturwissenschaften ersetzt Heidegger den Begriff Methode durch die Begriffe Gegend und Weg. An seinem Lehrer Husserl bemängelt er vor allem den egologischen Ansatz in der Trennung von Immanenz und Transzendenz. Außerdem kritisiert Heidegger den wissenschaftstheoretischen Ansatz Husserls, der sich von Descartes herleitet. Heideggers Wissenschaftskritik richtet sich gegen die Herrschaft des Theoretischen. Wissenschaft ist für Heidegger nicht ein „System von Sätzen und Begründungszusammenhängen“. In der Philosophie gehe es vielmehr um etwas, „worin sich das faktische Dasein mit sich selbst auseinandersetzt“.95 2.2 Phänomenologie Hans Urs von Balthasars Wie von Balthasar die Maxime: „Zu den Sachen selbst!“, umgesetzt und in seinem grundlegenden Buch Wahrheit der Welt (1947) gebraucht hat, ist nicht einfach zu beantworten. Fest steht, dass der Ausdruck „Phänomenologie der Wahrheit“ in Wahrheit der Welt, das später im Rahmen der „Trilogie“ den Titel Theologik I erhält, mehrfach auftaucht. Von Balthasar schreibt: „So bleibt uns nur der dritte Weg offen: die Wahrheit der Welt in ihrer prävalenten Welthaftigkeit zu beschreiben, ohne jedoch die Möglichkeit auszuschließen, dass die so beschriebene Wahrheit gewiß Elemente in sich schließt, die unmittelbar göttlicher, übernatürlicher Herkunft sind. Eine solche Methode ist augenscheinlich vorurteilsloser als jene, die apriori mit der Unmöglichkeit göttlicher Offenbarung rechnet. Unsere erste Untersuchung über die Wahrheit in der Welt wird also eine Art Phänomenologie der uns bekannten und begegnenden Wahrheit enthalten, und damit vorwiegend das beschreiben, was als natürliche Wahrheit anzusprechen ist.“96 In Wahrheit der Welt gibt es sicherlich Anklänge an Heidegger und Husserl, aber das Problem bezüglich der Herkunft seiner Ideen besteht darin, dass er nur Thomas von Aquin zitiert, und zwar aus dem Grund, „[…] um den Leser unabgelenkt durch geschichtliche Seitenblicke ursprünglich vor das Thema zu stellen und ihn durch unvoreingenommene Schau eine neue Anpassung des geistigen Auges an das in der Überlieferung enthaltene Gut gewinnen zu lassen“.97 »Eine Art Phänomenologie« bedeutet, dass er sich mit seiner Phänomenologie der Wahrheit nicht direkt auf eine bestehende Phänomenologie (Husserl, Heidegger etc.) bezieht, sondern eher, wie auch das Studium seiner 94 Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«. Ein einführender Kommentar. Studienkommentar zur Philosophie. 2., korr. Auflage (Paderborn [u.a.] 2007), S. 20. 95 O (GA 63), S.72. 96 Hans Urs von Balthasar: W, S. 21f. 97 Ebd., S. 9. 20 Werke nahe legt, selektiv, eklektisch zu seiner Seinsphilosophie (Transzendentalien) und Theologie passende Elemente aus der Literatur, Philosophie und Musik auswählt und sich auf diese Weise eine eigene Methode des Zugangs zur Wahrheit erarbeitet. Manfred Lochbrunner spricht bei von Balthasars Entwurf der „Wahrheit“ von einer objektbetonten, phänomenologischen Grundorientierung: „Der objektorientierten Denkhaltung entspricht der phänomenologische Duktus der Wahrheitsstudie. Deshalb ist der Gestus des Auf-weisens vorherrschend, weniger des Be-weisens. Das Staunen über die daseienden Dinge ist stärker als die kritische Vergewisserung und Begründung im erkennenden Ich. Die Beweiskraft des zwingenden Arguments wird in die gewährende, sich-schenkende Evidenz des Sachaufweises überstiegen.“98Welchen Einfluss Goethes Schau der Gestalten auf von Balthasars phänomenologischen Ansatz gehabt hat, soll an erster Stelle dargestellt werden. 2.2.1 Schau von Gestalten in Hinblick auf Goethes Morphologie Von Balthasar befasste sich als Germanist, Philosoph und Theologe zeitlebens mit Johann Wolfgang von Goethe. Goethe mit seiner phänomenologischen Vorgehensweise, die an Gestalten orientiert war, stand ihm näher als die Transzendentalphilosophie Kants. 99 Zwei eigene Texte über Goethe sind für von Balthasar als Philosoph und Theologe bezeichnend, und zwar der Text über Goethe im ersten Band der Apokalypse der deutschen Seele100 und zweitens der Text in Herrlichkeit III/1101. Werner Löser greift aus den Texten Goethes die Wahrnehmungslehre, die sich aus der Farbenlehre ableiten lasse, heraus und schreibt: „Entscheidend ist, dass Goethe sich jedem reduktionistischen Programm verweigerte, im Gegenteil: er vereinte die analysierende Erforschung der Phänomene mit der synthetischen Wahrnehmung ihrer Gestalt, und er vereinte gleichzeitig seine Hinwendung zur ganzen irdischen Natur mit seiner Aufmerksamkeit auf die Gegenwart des Göttlichen in ihr.“102 Das bedeutet, der Begriff der Gestalt ist eine Abstraktion, die Goethe als Naturforscher aus der Natur entnimmt.103 Zweitens bezieht sich die Gestalt als formgebendes Prinzip der Dinge „auf deren geistigen Ursprung im Göttlichen, das in der Natur anwesend ist“.104 Von Balthasar wehrte sich gegen die „Zerlegung des Lebendigen“, wie sie in der Psychoanalyse und den meisten Schulen der Psychologie durchgeführt werde105. Er geht von Ganzheiten aus, von Gestalten, mehr von der Synthese als von der Analyse derselben. Deshalb kann er in Wahrheit der Welt schreiben: „Jede Blume, die wir sehen, ist ein Ausdruck, jede Landschaft hat ihre Bedeutung. Es wäre völlig vergeblich, diese Sprache in Begriffe umsetzen zu wollen. Diese 98 Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis. Freiburger Theologische Studien, Bd. 120 (Freiburg 1981), S. 105. Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar (Freiburg 2005), S. 40f. 100 (Einsiedeln 1998), S. 407-514. 101 Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. III/1: Im Raum der Metaphysik (Einsiedeln 1965), S. 682-748. Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 42 102 Ebd. 103 Vgl. Peter Legnowski: „Die letzte »säkulare Verwirklichung der Herrlichkeit«. Zur Goetherezeption Hans Urs von Balthasars“. In: Walter Kardinal Kasper (Hrsg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes, Hans Urs von Balthasar im Gespräch (Ostfildern 2006), S. 134-145, hier S. 141. 104 Ebd., S. 141. 105 Hans Urs von Balthasar: W, S. 126. 99 21 Ausdruckssprache wendet sich nicht primär an das begriffliche Denken; sondern an das verstehende, das gestaltende Denken.“106 Das Gestaltverständnis der Berliner Gestaltpsychologie war ein anderes. Sie lehnte den zentralen Gedanken Goethes und von Balthasars ab, dass nämlich das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Gestaltpsychologen in Berlin gingen von der Messbarkeit der seelischen Funktionen aus. Für sie korrelieren die seelischen Funktionen miteinander.107 Von Balthasar geht es beim Erfassen von Gestalten nicht um das Messen, die Analyse oder die Ursachenforschung, wie in den modernen Naturwissenschaften, sondern um eine Synthese der „Vielfalt der Daten“.108 Während Goethe sich mit dem Gestaltbegriff mehr unter dem Aspekt der Erscheinung auseinandersetzte, „die auf etwas diese Erscheinung hervorbringendes verweist, steht bei von Balthasar bei der Verwendung des Gestaltbegriffes der Schwerpunkt auf der Frage nach dem Wesen, das die Erscheinung der Gestalt hervorbringt“.109 Es ist kein leichtes Unterfangen, die Gestalt der Wahrheit zu erfassen, zumal es bei der Wahrheit nicht um eine Gestalt der Geistesgeschichte oder der Heilsgeschichte geht. Man kann sagen, dass seine Methode eher der hermeneutischen Phänomenologie als der transzendentalen Phänomenologie nahe steht. Das ergibt sich aus dem Bemühen von Balthasars „um eine sachgerechte Erschließung der Sinngestalten“.110 An zweiter Stelle möchte ich kurz auf den seinsphilosophischen Aspekt der Phänomenologie von Balthasars eingehen. 2.2.2 Der seinsphilosophische Aspekt der Phänomenologie von Balthasars Die Metaphysik der Transzendentalien ist die ontologische Grundlage für das, was im vorherigen Abschnitt über die Schau der Gestalten gesagt worden ist. Die Transzendentalien, „die alles einzelne Seiende überschreitenden Eigenschaften“111, werden in Wahrheit der Welt noch in der Reihenfolge wahr, gut, schön beschrieben. In seinem großen theologischen Hauptwerk der „Trilogie“, das nach den Transzendentalien gegliedert ist, kann man von einer umgekehrten Reihenfolge sprechen: „Ästhetik“, „Dramatik“ und „Logik“. Wie sich ein Vergleich der Transzendentalien mit dem „Verfahren der Phänomenologie“112 aufzeigen lässt, ist gut zu erkennen im Epilog, in dem von Balthasar in einer Rückschau begründet, warum er nicht der „traditionellen Traktaten oder Loci-Theologie“113 folgt, sondern von den Transzendentalien ausgeht“. Im II. Teil des Epilogs „Schwelle“ genannt, spricht er vom Sichzeigen, Sich-geben und Sich-sagen des Wahren, Guten und Schönen. Was bedeutet das Sich106 Ebd. S. 154. Vgl. Hans Urs von Balthasar: H III.1, S. 31. 108 Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 40. 109 Peter Legnowski: „Die letzte »säkulare Verwirklichung der Herrlichkeit«, S. 142. 110 Jean Greisch: „Eine phänomenologische Wende der Theologie“. In: Walter Kardinal Kasper (Hrsg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes (Ostfildern 2006), S. 371-358, hier S. 382. 111 Hans Urs von Balthasar: Epilog (Einsiedeln 1987), S. 37. 112 Jean Greisch: „Eine phänomenologische Wende der Theologie“, S. 379f. 113 Hans Urs von Balthasar: Epilog, S. 7. 107 22 zeigen im phänomenologischen Sinn? Das Sich-zeigen bezieht sich auf das Schöne als Urphänomen. Für von Balthasar ist alles Schöne »epiphan« in einer Doppelheit. „In dieser Doppelheit von in sich ruhender lichter Form und von Über-sich-Hinausweisen der Form auf ein sich in ihr lichtendes (wirkliches) Wesen liegt die innere Polarität der transzendenten Seinseigenschaft Schönheit.“114 Es fällt auf, dass Balthasar bei der Beschreibung der Gestalt der Schönheit in Wahrheit der Welt mehr Begriffe aus seinem reichen Sprachschatz als bei der Beschreibung der beiden anderen transzendentalen Bestimmungen des Seins benutzt. So spricht er von Neidlosigkeit oder Selbstpreisgabe der Schönheit, Preisgegebenheit, Wehrlosigkeit und Selbstschutz der Schönheit, um zu beschreiben, was die Gestalt der Schönheit ausmacht.115 Diese Reichhaltigkeit der Begriffe und dieses Ringen um den Begriff der Schönheit deuten auf die besondere Bedeutung der Schönheit für von Balthasars Philosophie und Theologie hin. Wie verweist zweitens das Sich-geben als zweite phänomenologische Komponente (entspricht der transzendentalen Idee des Guten) auf die Gestalt des Guten? Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass die transzendentalen Bestimmungen nicht isoliert beschrieben werden dürfen. „Sie erbringen in ihrer Gemeinsamkeit den Beweis für die unerschöpfliche Tiefe und den überbordenden Reichtums des Seins.“116 D.h. das Gute ist mit dem Schönen verbunden und umgekehrt, so dass sich zusammen mit der Gestalt des Guten auch die Gestalt des Schönen zeigt. Das Sich-geben verweist also auch auf das Sich-zeigen, auf die klassische Maxime, der Phänomenologie, nämlich auf die Sache selbst. Auf diese Weise ist also die Ästhetik die Brücke zur Ethik und umgekehrt. Das Sich-sagen ist die dritte phänomenologische Komponente und entspricht der transzendentalen Idee des Wahren. Auch hier können wir festhalten, dass sich die Transzendentalien gegenseitig durchdringen und aufeinander verweisen. „Insofern das Schöne und das Gute das Wahre präfigurieren, kann man in ihnen Vorformen des Sichsagens erkennen.“117. Am Ende des Epilogs wird noch einmal auf das Prinzip der „circumincessio der Transzendentalien“ verwiesen. Das bedeutet, dass es sich beim Sich-zeigen, Sich-geben und Sich-sagen „um ein einziges »epiphanes« Urphänomen“ handelt.118 114 Ebd., S. 46. Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 255. 116 Ebd. 117 Jean Greisch: „Eine phänomenologische Wende der Theologie“, S. 384. – Da es sich in dieser Arbeit hauptsächlich um die philosophischen Aspekte des von Baltarsarschen Wahrheitsverständnisses handelt, möchte ich nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass von Balthasar seinen philosophischen Ansatz nach seiner Kehre (1947) in seinem Hauptwerk („Trilogie“) mit dem Theologischen verzahnt. Er bemerkt zum Verhältnis von Philosophie und Theologie in der Einleitung zur Wahrheit der Welt: „Versäumt man diese philosophische Vorarbeit, so leidet darunter am meisten die Theologie, die sich dann auf nichts anderes stützen kann, als auf einige trockene abstrakte Begriffe, und dadurch in Gefahr gerät, ihren Eigengehalt aus Mangel an zubereitetem Material nicht allseitig genug entfalten zu können“ (W, S. 22). 118 Vgl. Jean Greisch: „Eine phänomenologische Wende der Theologie“, S. 384. 115 23 2.2.3 „Orphische Erkenntnisform“ im Hinblick auf Rilke und Trakl Von Balthasar verdankt Goethe das Wahrnehmen von Gestalten, den Dichtern Georg Trakl und Rainer Maria Rilke, wie die neuere Forschung zeigt, maßgebliche Inspiration für seine Denk- oder Wahrheitsform, die Krenski als „orphische Erkenntnisform“ beschreibt.119 Orpheus steht als Symbol für den, „der das göttliche Geheimnis als Ganzes wahrnimmt (Poesie des Hörens) und besingt“.120 Balthasar war als Germanist sehr gut mit den beiden Dichtern vertraut, war aber auch offen für alle logoi spermatikoi, die er bei Philosophen, Dichtern und Theologen in der Geistesgeschichte suchte. 121. Er verfasste über Rilke wichtige Essays122 und unterhielt Kontakte zu den Kreisen um Rilke und Trakl. Auch von Balthasars Doktorvater Robert Faesi stand in direktem Kontakt mit Rilke123. Am Beispiel des Sonetts „Wolle die Wandlung“ versucht Krenski, lyrische Motive Rilkes mit Motivketten der Theologie von Balthasars zu verknüpfen.124 Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt; jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert, liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt. Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte; Wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau`s? Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte. Wehe-: abwesender Hammer holt aus! Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung; und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffene, das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt. Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung, den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne 119 Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘. Zur Wahrheits-Form der trinitarischen Gottes- und Erlösungslehre Hans Urs von Balthasars“. In: Magnus Striet – Jan Tück (Hrsg.): Die Kunst Gottes verstehen (Freiburg i.Br. 2005), S. 181-219, hier S. 216. 120 Ebd. 121 Dieser von den Stoikern und Vätern benutzte Ausdruck, war von Balthasar geläufig (vgl. z.B. Epilog 1987, S. 11). Krenski nennt von Balthasar „Katalysator der in der Poesie seiner Zeit schlummernden logoi spermatikoi“ (Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘“, S. 216). 122 Vgl. Apokalypse der deutschen Seele III, S. 193-315. 123 Vgl. Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘“, S. 185. 124 Vgl. ebd. S. 197ff. Dabei ist zu berücksichtigen, was Romano Guardini zur Gedichtsinterpretation gesagt hat, nämlich dass „das Gedicht größer [sei] als sein Urheber, so dass „die Aufgabe des Interpreten auch darauf [gehe], dieses Größere herauszuholen“ (Romano Guardini: „Bemerkungen über Sinn und Weise des Interpretierens“. In: Ders.: Sprache – Dichtung – Deutung. Gegenwart und Geheimnis (Mainz – Paderborn 1992), S. 231234, hier 242f. 24 will, seit sie lorbeern fühlt, dass du dich wandelst im Wind. Bei seinem Versuch, die lyrischen Motive Rilkes mit den Motivketten der Philosophie und Theologie von Balthasars zu verbinden, bietet Krenski keine Interpretation im Sinne der Germanistik (Strophe für Strophe, Versmaß, Inhalt und Form), sondern er sucht nach den logoi spermatikoi, die von Balthasar in seine Wahrheitsform (Denkform) integriert. Das Gedicht fordert dazu auf, dass Harte und Erstarrte zu zertrümmern, um eine Wandlung herbeizuführen. Für von Balthasar ist das Harte und Erstarrte der statische Seinsbegriff der Theo-Ontologie der Neuscholastik. Hier fordert er eine Wende hin zu einer Seinsphilosophie, die Sein als Liebe auslegt. Krenski stellt heraus, das Rilke „[…] das Sein, das sich ins Bleiben verschließt, mit den Worten ‚Wandlung‘, ‚Verwandlung‘, ‚Schwung‘ und ‚Wenden‘ [kontrastiert], in denen Gott die immerwährende Bewegung des innergöttlichen Kreislaufes angesprochen sieht,“125 und er vermutet, dass von Balthasar „neben patristischen Impulsen von Rilkes Werde-Metaphysik beeinflusst ist“, wenn er von einer „Metaphysik des Werdens“ spricht.126 Die Rilke-Interpretation der 1920er und 1930er Jahre zeigt, dass auch die Literaturwissenschaft durchaus die Werde-Metaphysik bei der Interpretation der Rilkesonette im Blick hat.127 Von großer Bedeutung in Bezug auf von Balthasars Ontologie bzw. Theologie ist der Vers „Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung“, ist doch von Balthasars Ontologie eine Ontologie von einem „theologischen Apriori“128 her. Von Balthasars Theologie geht aus von der innertrinitarischen Dynamik des göttlichen Lebens129 und interpretiert die Quelle im Sinne des klassischen Terminus als „fons totius trinitatis“ (D 490).130 Der Vater (Gott) ist die Quelle, die sich ergießt. Mit dieser Metapher ist für von Balthasar die erste radikale Kenose verbunden. Diese Kenose (Selbstpreisgabe) bezieht sich auf die Beziehungen (Relationen) der göttlichen Personen im innertrinitarischen Bereich. Von Balthasar bemerkt dazu: „[…] nur in der Preisgabe des Eigenen, die die Trennung ernst nimmt (der Andere soll ja Er und nicht Ich sein!), in diesem »unter«-gehen, damit der Andere in sich selber »auf«-geht, ereignet sich die absolute Liebe, in der die Weseneinheit verbürgt ist [...].“131 Hier wird die Liebe Gottes 125 Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘“, S. 200. Nach dem Rilke Herausgeber Manfred Engel deutet das Sonett darauf hin, dass „Rilke Gott nicht als seiend, sondern als werdend versteht“ (Manfred Engel: „Mit Nietzsche auf der Suche nach Gott“. In: Ders. [Hrsg,]: Rilke, Gedichte 1895–1910 I, S. 735-740, hier 736. 126 Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘“, S. 201. Ähnlich interpretiere auch der Heideggerschüler Hermann Mörchen („Sonette an Orpheus“) das Wesen des Seins gleichbedeutend mit dem Wandel (vgl. ebd.). 127 Krenski verweist in diesem Zusammenhang auf Jakob Henry Wilds Monographie über Rainer Maria Rilke (ebd., S. 201), in der dieser ausführt, dass Rilke in Gott „die sich verwandelnde Gestalt“ erblicke (Jakob Henry Wild: Rainer Maria Rilke. Sein Weg zu Gott [Zürich – Leipzig 1936], S. 49). Solche Interpretamente findet Krenski auch bei Gertrud Höhler: Niemandes Sohn. Zur Poetologie Maria Rilkes (München 1979), S. 245, und Adrienne von Speyer: Die Welt des Gebetes (Einsiedeln 1951) S. 22. 128 Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis. Freiburger Theologische Studien, Bd. 120. (Freiburg i.Br. 1981), S. 244. 129 Vgl. Thomas Krenski: „‚Kind oder Enkel von Trennung‘“, S. 200. 130 Vgl. ebd., S. 202. 131 Hans Urs von Balthasar: TD IV, S. 74. 25 sichtbar, die „[…] nicht vor allem Transzendenz, und vor allem nicht Sich-Verlieren, SichEntwerfen, sondern ebenso sehr Einwohnen des Geliebten in uns“ ist.132 Für von Balthasar ist mit Erkennung der Sohn gemeint. In Theologik III drückt er es in seiner ihm üblichen Bildsprache so aus: „So bleibt nur übrig, die väterliche Hingabe als Akt unvordenklicher Liebe zu verstehen, die der Sohn als solche empfängt, und zwar nicht »passiv« als Geliebter, sondern da er die substantia des Vaters als dessen Liebe empfängt, zugleich als Mitliebender, Rückliebender, dem All der väterlichen Liebe Antwortender, zu allem in Liebe bereit.“133 Von Balthasar übernimmt den Sonettverses „Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung“ – ohne diese Metapher kenntlich zu machen – in seiner Trinitätstheologie. Er spricht im Blick auf die Zeugung des Sohnes von einer Trennung in Gott. Durch diese Trennung entstehe ein unendlicher Abstand in Gott, so „dass der Ganz-Andere entsteht“.134 2.2.4 „Symphonie der Wahrheit“ im Hinblick auf Bach und Mozart Was hat Musik mit Philosophie und Theologie zu tun? Bei von Balthasar lohnt es sich, diesem Zusammenhang nachzuspüren, denn schon in seinen Kinder- und Jugendjahren beschäftigte er sich mit keinem Bereich der Kultur mehr als mit Musik.135 Seine Klavierlehrerin führte ihn, der selbst über ein absolutes Gehör verfügte, ein in die Musikliteratur des 19. Jahrhunderts.136 Nach seinem Abitur in Feldkirch begann er ein Germanistikstudium in Wien, der Stadt, die nach dem 1. Weltkrieg im Wagner-Fieber lag.137 Er besuchte die musikalischen Aufführungen, die Wien als Stadt der Musik bot. Er wohnte bei dem Psychologen Rudolf Allers, einem hervorragenden Pianisten, mit dem er oft abends Mahlersymphonien spielte, die er vierbändig gesetzt hatte. Dieses Interesse für Musik hielt bis ins hohe Alter an. Am 22. Mai 1987 erhielt er in Innsbruck den „Mozart-Preis“.138 Anlässlich der Preisverleihung sagte von Balthasar: „Die Jugend war bestimmt durch Musik, ich hatte als Klavierlehrerin eine alte Dame, die Schülerin von Clara Schuhmann gewesen war, die mich in die Romantik einführte, deren letzte Ausläufer ich in Wien auskostete: Wagner, Strauß und besonders Mahler. Das alles nahm ein Ende, als ich Mozart ins Ohr bekam, der dieses Ohr bis heute nicht mehr verließ; so teuer mir in den reifen Jahren Bach und Schubert blieben, Mozart war der unverrückte Polarstern, um den die zwei anderen ( der Große und der kleine Bär) kreisten.“139 Man kann nicht genau sagen, wann er, um bei der bildhaften Redeweise zu 132 Hans Urs von Balthasar: „Rilke und die religiöse Dichtung“. In: Stimmen der Zeit 63 (1932), S. 183-192, hier S. 183f. In diesem Zitat zeigt sich eine Bildsprache, die von Fachtheologen häufig kritisiert worden ist (dazu später mehr). 133 Hans Urs von Balthasar: TL III, S. 145. 134 Hans Urs von Balthasar: TD IV, S. 7. –Diese Interpretation von Balthasars hat im Bereich der Dogmatik zu erheblicher Kritik geführt. Darüber wird noch ausführlicher bei der Kritik von Balthasars von Seiten der Theologen hingewiesen. 135 Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 43. 136 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama (Mainz 1995), S. 15. 137 Vgl. ebd. 138 Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 43. 139 Hans Urs von Balthasar: „Dank des Preisträgers an der Verleihung des Wolfgang Amadeus Mozart-Preises am 22. Mai 1987 in Innsbruck“. In: Elio Guerriero: Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie (Einsiedeln – Freiburg 1993), S. 419-424. hier 420. 26 bleiben, Mozart ins Ohr bekam, aber es gilt als historisch gesichert, dass es in den ersten Baseler Jahren war, als er die Gelegenheit hatte, über Adrienne von Speyer Karl Barth kennenzulernen.140 Es kam zu einer Freundschaft, in der neben der Philosophie (Analogia entis, Transzendentalien) und der Theologie Mozart eine entscheidende Rolle spielte. Karl Barth äußerte sich im dritten Teil der Kirchliche[n] Dogmatik141 in einem „Sonderexkurs über Mozart“ zu Mozarts Musik. Darin weist er darauf hin, dass eine wichtige Eigenschaft der Musik Mozarts ihre „große freie Sachlichkeit“ sei, die „das Subjektive nie Thema“ werden ließe. Mozart sei frei „von dem Krampfe, selber durchaus etwas sagen zu müssen und zu wollen. Er war selber nur Ohr für jenes Klingen und sein Vermittler für andere Ohren“.142 Sowohl von Balthasar als auch Karl Barth verstehen seine Musik als ein absichtsloses Spiel.143 „Dieses absichtlose Spiel begreifen beide als ein Gleichnis jenes Gottes, dessen hypostasierte Weisheit von Anbeginn vor seinem Thron spielt und in Jesus von Nazareth Mensch wurde.“144 Karl Barth sieht in Mozarts Musik zwar nicht das Evangelium, aber doch sieht er in ihr „Gleichnisse des im Evangelium von Gottes freier Gnade geoffenbarten Reiches“.145 Von Balthasar erkennt in der Zauberflöte und in der Jupitersymphonie „ein Gleichnis der absichtlosen Schönheit Gottes“146 selbst, bei dem es nicht um die Vertonung subjektiver Gefühle ( Abschiedsschmerz )147, nicht um einen Mythos geht, sondern um einen unsichtbaren jenseitigen offenen Raum.148 Dieser Raum könne, so von Balthasar, das irdische Spiel aufnehmen: „Dieses wird in diesem Raum nicht erst nachträglich gerechtfertigt oder umgewertet, es wird auch nicht zerfällt in eine vergängliche Spreu und einen ewigen Kern, der allein in die himmlischen Scheunen eingeheimst würde, vielmehr spielt sich das unverkürzte Irdische jeweils schon im raumgebenden Medium des Jenseitigen ab. Keine Transposition findet statt: die Welt ist im Raum der Erlösung, die Erde befindet sich im Himmel in ihrer wahren und eigentlichen Position.“149 Demnach könne man Mozarts Musik nicht als etwas rein Irdisches deuten, da sie umschlossen werde vom Raum der Gnade. Eine „natura pura“ gebe es nicht. Alles Geschaffene befinde sich im Raum der Gnade. In diesem „Raum der Gnade“, so Werner Löser, „kann sich das Irdische in seiner weltlichen Gestalt und in all seinen Schattierungen spielerisch entfalten. So deutet sich an, dass von Balthasar Mozarts Werk, dessen Dimensionen am Zauberflöten-Abschiedsterzett exemplarisch abgetastet werden, als Entsprechung zu seiner Theologie versteht, in der es darum geht, die 140 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 20. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik III/3. Die Lehre von der Schöpfung (Zürich 1950). 142 Ebd., S. 330. 143 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 21. 144 Ebd. S. 21. 145 Karl Barth: Der Götze wackelt (Basel 1961). S. 209. 146 Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 222. 147 Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 45. 148 Hans Urs von Balthasar: „Das Abschiedsterzett“. In: Jahrbuch der Renaissance 13 (1943), o. S. (Abgedruckt in: ders.: Spiritus Creator (Einsiedeln 1967), S. 467-468. 149 Ebd. 141 27 Welt aus ihrer Beheimatung in Gott und seiner Gnade zu begreifen.“150 Wahrheit wird hier gleichsam „symphonisch“ wahrgenommen, besteht sie doch wie eine Symphonie aus verschiedenen und doch in Harmonie zusammenklingenden Teilen. 2.2.5 Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Romano Guardini Romano Guardini (1885–1968) spielt in der Religionsphilosophie eine bedeutende Rolle. Medard Kehl nennt ihn in seiner Schöpfungstheologie in einer Reihe mit Irenäus, Augustinus und Thomas von Aquin.151 Zwischen von Balthasar und seinem Lehrer Romano Guardini (beide Literaturtheologen) bestehen nicht nur wissenschaftliche, sondern auch persönliche Übereinstimmungen. Die Denk- oder Wahrheitsformen Guardinis üben von ihrer ersten Begegnung an eine solche Faszination auf von Balthasar aus, dass er sich immer wieder mit ihm (auch kritisch) auseinandersetzt. Von Balthasar hatte sich zum Wintersemester 1926/27 an der Berliner Friedrich-Wilhelm Universität (heute Humboldt Universität) immatrikuliert.152 Zu dieser Zeit war Romano Guardini Lehrstuhlinhaber des im April 1923 neu gegründeten Lehrstuhls (ad personam) für »Katholische Weltanschauung und Religionsphilosophie«. Von großer Bedeutung für von Balthasar wurde vor allem die Teilnahme an einem Seminar Guardinis über Sören Kierkegaard, das ihm das Denken dieses großen Philosophen erschloss. Gerade die Auseinandersetzung mit Kierkegaard sollte für von Balthasar von großer Bedeutung werden. Schon in seiner Dissertation stellt von Balthasar Kierkegaard und Nietzsche gegenüber – eine Gegenüberstellung die fortgesetzt wird in seiner Apokalypse der deutschen Seele.153 Das Studium Kierkegaards hat viele weitere Spuren hinterlassen bis hinein in sein theologisches Hauptwerk der „Trilogie“ (Herrlichkeit). Aus der Beschäftigung mit und in Absetzung von Kierkegaard erwuchs für von Balthasar eine besondere Beziehung zu Gottes Schöpfung, die prägenden Einfluss auf seine Schöpfungstheologie ausüben sollte, nämlich die aus dem Herzen kommende Bejahung der geschaffenen Welt.154 Von Balthasar setzte sich dabei von der antiästhetischen Haltung des Dänen ab, standen sich doch in Kierkegaards Sicht das Ästhetische und das Ethisch-Religiöse gegenüber. Verständlich, dass für ihn Mozart als Inbegriff des Ästhetischen mit Religion unvereinbar war.155 150 Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 46. Wenn auch mit einer gewissen Einschränkung „Während diese drei unbestritten als prägende Gestalten ihrer Epoche gelten, lässt sich dies von Romano Guardini so einhellig (noch ?) nicht sagen“ (Medard Kehl: „Herausgefordert vom neuzeitlichen Denken:Romano Guardini“. In: Ders.: Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung [Freiburg – Basel – Wien 2006], S. 218-236. hier 218). 152 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Guardini und Balthasar. Auf der Spur einer geistigen Wahlverwandtschaft“. In: Forum katholische Theologie 12 (1996), S. 229-246, hier S. 230. 153 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele. Bd.1: Der deutsche Idealismus (Salzburg 1937), S. 695-735. 154 Vgl. Werner Löser: „Der herrliche Gott. Hans Urs von Balthasars ‚theologische Ästhetik‘“. In: Rainer Kampling (Hrsg.): Herrlichkeit. Zur Deutung einer theologischen Kategorie (Paderborn 2008), S. 269-293, hier 270. 155 Vgl. Thomas Krenski: „La Muse qui est la Grace. Theologische Ästhetik“. In: Ders.: Haus Urs von Balthasars Literaturtheologie. THEOS. Studienreihe Theologischer Forschungsergebnisse, Bd. 76 (Hamburg 2007), S. 123-153, hier S. 149. 151 28 Am besten kann man die Wahlverwandtschaft zwischen beiden Theologen erkennen, wenn man sich mit von Balthasars Buch über Romano Guardini beschäftigt, das nach dem Tod Guardinis erschienen ist und von der bleibenden Wertschätzung Guardinis durch von Balthasar ein beredtes Zeugnis ablegt. 156 Von Balthasar weist in diesem aufschlussreichen Buch auf die für unseren Zusammenhang wichtige Tatsache hin, dass Guardini die Frage beantworten musste, mit welchem »Wahrheitsbereich« es sein Lehrstuhl zu tun haben sollte.157 Von Balthasar bemerkt hierzu: „Guardini hat die Frage mit einer genial zu nennenden Einfachheit für sich und sein Auditorium gelöst“,158 indem er zwischen drei Bereichen unterscheidet: Der erste Bereich ist der Bereich der Schöpfung, wobei es die Aufgabe der Philosophie ist, nach dem letzten Sinn der Schöpfung zu fragen. Die biblische Offenbarung ist als zweiter Bereich Gegenstand der Theologie. Den dritten, für von Balthasar bedeutsamsten Bereich159, „der durch das christliche Anschauen der Welt entsteht, erachtete Guardini als seine Domäne, als ein beinah noch unentdecktes Land, weshalb er seine Streifzüge darin fast immer als ‚Versuche‘ bezeichnet und die Ergebnisse sorgsam gegenüber der Philosophie und der Theologie (als »zünftigen Wissenschaften«) abgrenzt“.160 Guardini entwickelt in Distanz zur wissenschaftlich-systematischen Theologie bzw. Philosophie ein neuzeitliches Profil des Katholischen161 in Abgrenzung zur Ambivalenz des neuzeitlichen Bewusstseins, wobei er unter „Neuzeit“, so Medard Kehl, „nicht primär eine bestimmte, mehr oder weniger genau einzugrenzende historische Epoche [versteht], sondern eher einen Typos von Weltanschauung, eine typische Mentalität oder Denkform, die in der Geschichte der europäischen Neuzeit in großem Stil aufgetreten ist und sich gesamtkulturell durchgesetzt hat“.162 Guardini konstatiert einen Bruch zwischen Kultur und Theologie.163 Dieser Bruch besteht darin, dass der Mensch sich in der Neuzeit vom mittelalterlichen Weltbild gelöst habe. „Die geschaffene Person setzt sich absolut als Subjekt schlechthin, das die objektive Welt und die Kultur (die hominisierte Welt) als ihr Produkt einfordert.“164 Das bedeutet, dass der Mensch eine unbedingte Autonomie für sich in Anspruch nimmt.165. Der Mensch begreift die Natur als ein Werk, ein Faktum, ein nicht „Notwendig-Seiendes“, als ein Produkt.166 Aber Guardini wie von Balthasar erkennen auch Positives am Wirklichkeitsverständnis der zu Ende gehenden Neuzeit. Die Natur, die personale Lebenswelt des Menschen und die Kultur 156 Hans Urs von Balthasar: Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung. Münchener Akademie-Schriften, Bd. 53 (München 1970). 157 Vgl. ebd., S. 22. 158 Ebd. 159 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Guardini und Balthasar“, S. 241. 160 Hans Urs von Balthasar: Romano Guardini, S. 22. 161 Vgl. Medard Kehl: Und Gott sah, dass es gut war, S. 218f. 162 Ebd., S. 219. 163 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar. Integration von Theologie und Literatur“. In: Internationale katholische Zeitschrift »Communio« 34 (Freiburg 2005), S. 168-185, hier S. 177. 164 Hans Urs von Balthasar: Romano Guardini, S. 39. 165 Vgl. ebd. 166 Vgl. ebd., S. 40f. 29 erhalten ihren eigenen Wert167. Diese neue Erfahrung der Positivität und Bejahbarkeit des Endlichen führte bei Balthasar während seines Studiums der Philosophie Erich Przywaras (Analogia entis) in Auseinandersetzung mit dem univoken Seinsbegriff der Neuscholastik und in Anknüpfung an das Studium bei Guardini auch physisch zu einem Gefühl der Befreiung und Ermutigung.168 Die Zugangsmethode zum dritten Bereich ist die Interpretation von Literatur. Hier kommen hermeneutische Fragen ins Spiel, die an dieser Stelle nicht im Einzelnen ausgeführt werden können.169 Guardini versuchte den Bruch zwischen Kultur und Theologie durch die Begegnung mit der Literatur zu überwinden, indem er hinarbeitet auf eine Integration von Theologie und Literatur.170 Im Gegensatz zu von Balthasar beginnt Guardini nach einer längeren Zeit des Suchens als Theologe und nähert sich als Universitätslehrer aus inhaltlichen Erfordernissen seines „Faches“ mit Hilfe der Ratschläge Max Schelers 171 der Literatur, während von Balthasar mit dem Studium der deutschen Literatur beginnt und dabei wie selbstverständlich zur Theologie findet, wobei „[d]as Zueinander von Literatur und Theologie auf der dritten Ebene […] unter dem Zeichen der Interpretation [steht].“172 Sowohl Guardini wie von Balthasar sind fasziniert von Gestalten wie Sokrates, Platon, Augustinus, Bonaventura, Hölderlin, Mörike und Rilke und vielen anderen mehr.173 Bei von Balthasar kommt noch hinzu die Beschäftigung mit den Dichtern und Schriftstellern des »Renouveau catholique«: Paul Claudel (1868–1955), Charles Peguy (1873–1914) und Georges Bernanos (1888–1948).174 Das eigentlich Neue bei von Balthasar ist die vierte Ebene).175 In der Theodramatik, die wie bei einem Triptychon in der Mitte der „Trilogie“ steht hat von Balthasar das Theologische in einer ganz eigenen Weise mit dem Dramatischen – beispielhaft sei hier genannt El gran teatro del mundo, von Calderón de la Barca (1600–1681) – verbunden. Lochbrunner führt dazu aus: „Auf der vierten Ebene der Integration steht nicht mehr die Verkündigung im Vordergrund, sondern die Theologie selbst, nämlich ihre Neustrukturierung unter dem Prinzip des Dramatischen. Zu dieser vierten Ebene ist Guardini nicht vorgedrungen; er hat sich vornehmlich auf der dritten Ebene bewegt.“176 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass beide Theologen eine Affinität zur Literatur, Philosophie und Kunst hatten.177 Bei beiden gibt es Analogien in Bezug auf „Weite des 167 Medard Kehl: Und Gott sah, dass es gut war, S. 221. Vgl. Eva-Maria Faber: „Hans Urs von Balthasar und sein ‚Mentor‘ Erich Przywara“. In: Magnus Striet – JanHeiner-Tück (Hrsg.): Die Kunst Gottes verstehen, S. 384-409. 169 Vgl. Romano Guardini: „Bemerkungen über Sinn und Weise des Interpretierens“. In: Ders.: Sprache – Dichtung – Deutung. Gegenwart und Geheimnis (Mainz – Paderborn 1992), S. 231-234. 170 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar“, S. 177. 171 Vgl. ebd., S. 173. 172 Ebd., S. 178. 173 Vgl. ebd., S. 179. 174 Vgl. ebd., S. 179. 175 Vgl. ebd., S. 178. 176 Ebd. 177 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Guardini und Balthasar“, S. 238. 168 30 Geistes, Interpretation der Wirklichkeit, Unterscheidung des Christlichen 178. Erkennen bedeutet Sehen von Gestalten179: „Der Erkenntnisprozeß wird mit solchen Metaphern wie Sehen, Erblicken, Auge, Licht u.ä. umschrieben. Die erschaute Gestalt wird dann in einem dem künstlerischen Schaffensvorgang analogen Prozeß dem Hörer, bzw. dem Leser objektivierend vor Augen gestellt.“180 Beide wenden sich ab vom Spezialistentum und öffnen sich für das Ganze der Wirklichkeit.181 Während Guardini oft darunter litt, kein Fachtheologe zu sein und sich selbst den Vorwurf des Dilettantismus machte, bewegte sich von Balthasar unabhängig und frei „im Kosmos der Katholizität.“182 Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass auch im persönlichen Bereich eine hohe Wertschätzung zwischen beiden Theologen vorhanden war. Davon zeugen drei wichtige Begebenheiten: So bot Guardini 1949 von Balthasar an, nach München zu kommen, um sich dort zu habilitieren. Von Balthasar befand sich zu dieser Zeit in einer schwierigen persönlichen Lage, weil er entscheiden musste, ob er sich vom Jesuitenorden trennen oder auf die Leitung der Johannesgemeinschaft verzichten sollte.183 – Am 2. Oktober 1953 besucht Guardini Adrienne von Speyer und von Balthasar.184 Bei diesem Gespräch stimmten beide darin überein, dass die „Synthesis“ nicht herausgebracht werden sollte. Guardini befürchtete, dass eine systematische Zusammenfassung seines Werkes noch nicht die Letztgestalt sein könnte und zog es vor, noch frei bleiben zu können.185 – Ein Jahr nach dem Tod von Guardini (1.10.1969) hatte von Balthasar beim ersten Jahresgedächtnis die Ehre, Guardini mit dem (unveröffentlichten) Vortrag „Romano Guardini in dieser Stunde“ zu würdigen. Aus diesem Vortrag entstand das Buch Romano Guardini. Reform aus dem Ursprung, dass man als „Guardini-Synthesis“ ansehen kann.186 2.2.6 Fazit Von Balthasars Phänomenologie ist nach seiner eigenen Interpretation eine „Art von Phänomenologie“. Sie ist nicht einfach eine Kopie der Phänomenologie Husserls, Schelers, Heideggers u.a., sondern eine sehr komplexe Synthese eklektisch und passgenau ausgewählter Bausteine aus Literatur, Philosophie, Theologie und Musik. Die Schau der Gestalten steht im Mittelpunkt dieser Art von Phänomenologie, wobei sich von Balthasar im Besonderen auf Goethe beruft. Wie Goethe geht es ihm um die synthetische Wahrnehmung von Gestalten, das analytische Zerlegen des Lebendigen lehnt er ab. Er verwirft eine Philosophie und Theologie, die bestrebt sind, alles auf den Begriff zu bringen. Seinsphilosophisch verankert er seine 178 Vgl. ebd., S. 238. Vgl. ebd., S. 239. 180 Ebd. 181 Vgl. ebd. 182 Ebd., S. 240. 183 Vgl. ebd., S. 234. 184 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Romano Guardini und Hans Urs von Balthasar“. In: Ders.: Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde (Würzburg 2005), S. 55-89, hier S. 65. 185 Vgl. ebd., S. 67. 186 Vgl. ebd., S. 76. 179 31 Schau der Gestalten in der Lehre von den Transzendentalien. Im II. Teil des Epilogs analysiert er die drei phänomenologischen Komponenten entsprechend der Maxime der Phänomenologie: „Zu den Sachen selbst!“ Es geht um das Sich-zeigen (entspricht der Gestalt des Schönen), das Sich-geben (entspricht der Gestalt des Guten) und das Sich-Sagen (entspricht der Gestalt des Wahren). Es herrscht das Prinzip der „circumincessio der Transzendentalien. Es handelt sich beim Sich-zeigen, Sich-geben, Sich-sagen um nur ein „Urphänomen“.187 Blickt man auf von Balthasar, ist man erstaunt über die außerordentliche Sprachbegabung, die sich in den vielen Sprachbildern und Metaphern äußert, die er gleichsam spielerisch zur Beschreibung philosophischer bzw. theologischer Sachverhalte verwendet. Seine Denk- oder Wahrheitsform war maßgeblich durch Literatur geprägt, so dass er auch „Literaturtheologe“ genannt worden ist. Sein Denken wurde beispielsweise durch Rilkes Sonette an Orpheus beeinflusst, was exemplarisch an Rilkes Gedicht „Wolle die Wandlung“ nachgewiesen werden konnte. Darüber hinaus versuchte er eine Integration zwischen Drama und Theologie im Rahmen der von ihm entwickelten Theodramatik. Auf diese Weise gelang ihm eine Neustrukturierung der Theologie unter dem Prinzip des Dramatischen. Charakteristisch dafür ist die Hinordnung der Ästhetik und der Logik auf die Dramatik, die wie bei einem Triptychon in der Mitte steht.188 Von Balthasars Leben war von Jugend an von der klassischen Musik geprägt. Gleichsam der „Polarstern“ wurde für ihn vor allem Mozart, der in von Balthasars Freundschaft mit Karl Barth neben und in der Theologie eine wichtige Rolle spielte. Beide sehen in Mozarts Musik ein absichtsloses Spiel: „Dieses absichtslose Spiel begreifen beide als ein Gleichnis jenes Gottes, dessen hypostasierte Weisheit von Anbeginn vor seinem Thron spielt und in Jesus von Nazareth Mensch wurde.“189 Für das Wahrheitsverständnis von Balthasars von unschätzbarem Wert war seine Begegnung mit dem Religionsphilosophen Guardini in Berlin. Durch ihn wurde er vertraut vor allem mit Kierkegaard und Nietzsche, was ihn lebenslang bei seiner Suche nach der Integration aller Wahrheiten in der „Weite des Wahrheitsraumes“190 inspirierte. Mit Guardini verband ihn besonders die sogenannte dritte Ebene der Integration, das Zueinander von Literatur und Theologie. 187 Vgl. Jean Greisch: „Eine phänomenologische Wende der Theologie“, S. 384. Peter Henrici: „Die Trilogie Hans Urs von Balthasars. Eine Theologie der europäischen Kultur“. In: Internationale katholische Zeitschrift »Communio« 34 (2005), S. 117-127, hier S. 118. 189 Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 21. 190 Hans Urs von Balthasar: Von den Aufgaben der Katholischen Philosophie in der Zeit (Freiburg i.Br. 1998), S. 35. 188 32 3 Die Ontologie Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars 3.1 Grundbegriffe der Fundamentalontologie Heideggers in Sein und Zeit Ein Verständnis der Wahrheitskonzeption Heideggers ist ohne die Darstellung der Grundbegriffe seiner Fundamentalontologie nicht möglich. Deutlich wird der Zusammenhang zwischen der Frage nach der Wahrheit und der Frage nach dem Sinn von Sein dadurch, dass Heidegger sein Wahrheitsverständnis in Sein und Zeit (§ 44) einbettet in seine Daseinsanalyse. Ziel der folgenden Darstellung der Grundbegriffe der Fundamentalontologie ist die Hinführung zum Zentrum der Fragestellung dieser Arbeit. – Gleiches gilt dann mutatis mutandis für von Balthasar. – Dabei geht es darum, das Wesentliche der Ontologie beider Autoren zur Sprache zu bringen, um auf diese Weise die Bedeutung der Ontologie für die Wahrheitsfrage herauszuarbeiten. Christof Landmesser schreibt in einer vergleichbaren Hinführung zum existential-ontologischen Wahrheitsbegriff Heideggers: „Die Darstellung einiger Grundbegriffe aus Sein und Zeit ist […] deshalb notwendig, weil jeder ausdrückliche, unausdrückliche und sogar unbewusste Anknüpfungsversuch an Heideggers existentialontologischen Wahrheitsbegriff von diesem Kontext geprägt ist.“191 Die Frage nach dem Sinn des Seins steht im Fokus von Sein und Zeit und soll als erste behandelt werden. 3.1.1 Der Sinn von Sein und Dasein als Existenz Heidegger wirft der philosophischen Tradition seit Platon und Aristoteles vor, das Sein und die Wahrheit vergessen zu haben. Er spricht von „Seins-“ bzw. „Wahrheitsvergessenheit“. Die Tradition habe die Seinsfrage nicht mehr radikal gestellt, sondern zu einem „Dogma“ erstarren lassen.192 „Dieses Dogma erklärt die Frage nach dem Sein für ‚überflüssig‘, mehr noch, es ‚sanktioniert‘, es erklärt das ‚Versäumnis‘ einer Wiederholung der Seinsfrage als rechtmäßig.“193 Heute gebe es laut Heidegger kein Verständnis mehr für die Grundfrage der Ontologie nach dem Sinn von Sein. Zur Zeit Heideggers waren im Bereich der Philosophie folgende Richtungen maßgebend: Neukantianismus, Lebensphilosophie, Neupositivismus und die Phänomenologie des Bewusstseins.194 „Und selbst dort, wo sich die philosophische Arbeit als Ontologie bezeichnete, bei Nicolai Hartmann, stand Ontologie gerade nicht unter der 191 Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“. In: Ders.: Wahrheit als Grundbegriff neutestamentlicher Wissenschaft. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Bd. 113 (Tübingen 1999), S. 111-168, hier S. 111. 192 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. Eine Erläuterung von „Sein und Zeit“. Band 1. „Einleitung: die Exposition der Frage nach dem Sinn von Sein“ (Frankfurt a.M. 1987), S. 27. 193 Ebd., S. 27. 194 Vgl. ebd., S. 12. 33 Führung der Grundfrage nach dem Sinn von Sein.“195 Heidegger nimmt sich vor, die Frage „nach dem Sinn von Sein neu und radikal zu stellen“.196 Die Frage nach dem Sinn von Sein hat für Heidegger ontischen (sich auf die faktische Existenz beziehend) und ontologischen (sich auf die selbstreflexive Existenz beziehend) Vorrang vor allen anderen Fragen.197 Sie setzt voraus, dass das Sein Sinn hat und dass dieser Sinn erschlossen werden kann.198 Die Frage nach dem Sinn von Sein ist die Frage danach, wie überhaupt Sein verstanden wird. Heidegger versucht nachzuzeichnen, wie dieses Sein immer schon verstanden worden ist und in Zukunft verstanden werden kann.199 Die Notwendigkeit der Frage nach dem Sinn von Sein ergebe sich auch aus der Krise des ontologischen Fundamentes der Wissenschaften, die trotz ihrer Bedeutung für unser Leben immer weniger Orientierungsmöglichkeiten geben könnten.200 Um die Voraussetzungen für eine solche Frage zu erarbeiten, fragt Heidegger zunächst nach der Form einer solchen Frage und bestimmt das Gefragte, das Befragte und das Erfragte als die Strukturmomente der Frage nach dem Sinn von Sein.201 Beim Gefragten handelt es sich um das Sein, „von dem wir ein vages Vorverständnis besitzen, das unsere Frage anleitet“.202 Das Erfragte ist das, wonach wir fragen, nämlich der „bestimmte Sinn von Sein“.203 Beim Befragten geht es um ein Seiendes, dessen spezifische Seinsweise für uns erschließbar ist. Das sei nur bei uns selbst der Fall. Heidegger „führt hierfür definitorisch einen Begriff ein, der dasjenige, was wir selbst sind und was zugleich die Möglichkeit des Fragens besitzt, bezeichnet: das Dasein“.204 Sein bzw. der Sinn von Sein sei angewiesen auf ein verstehendes Dasein. Heidegger bemerkt in diesem Zusammenhang. „Wenn innerweltliches Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. Verstanden aber ist, streng genommen nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das, worin sich Verständlichkeit von etwas hält. Was im verstehenden Erschließen artikulierbar ist, nennen wir Sinn.“205 3.1.2 Die ontologische Differenz Heidegger geht nach seinem Verständnis der Philosophiegeschichte im Gegensatz zu Aristoteles nicht vom Seienden, sondern vom Sein aus. Das Seiende scheint ihm nur in Hinsicht auf das Dasein von Interesse zu sein. In Sein und Zeit bemerkt Heidegger zum Seienden: „Aber »seiend« nennen wir vieles und in verschiedenem Sinne. Seiend ist alles, wovon wir reden, was wir meinen, warum wir uns so und so verhalten, seiend ist auch, was 195 Ebd. SuZ (GA2), S. 1. 197 Vgl. ebd., S. 13-20. 198 Vgl. Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung (Stuttgart 2004), S. 12. 199 Ebd. 200 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 17. 201 Vgl. ebd., S. 14. 202 Ebd. S. 15. 203 Ebd. 204 Ebd., S. 16. 205 SuZ (GA 2), S. 201. 196 34 und wie wir selbst sind.“206 Hingegen sagt er vom Sein: Sein liegt im Daß- und Sosein, in Realität, Vorhandenheit, Bestand, Geltung, Dasein, im »es gibt«.“207 Sein ist demnach Sein von Seiendem.208 D.h.: „Das Sein des Seienden »ist« nicht selbst ein Seiendes.“209 Es „ist keine Gattung eines Seienden. […] Sein ist das transcendens schlechthin. 210“ Was das Sein ist, kann man demnach nicht durch eine Erforschung des Seienden erkennen.211 Im Hinblick auf die Unterscheidung von Sein und Seiendem spricht Heidegger von der „ontologischen Differenz“,212 die „für Heideggers Denken der Grund [ist], weil alles, was ist, und die Möglichkeit, dieses zu verstehen, diesem Unterschied zu verdanken ist. Abgrund ist die ontologische Differenz, weil alles Seiende und dessen Verständnis wesentlich auf die Möglichkeit des Nicht-Seins und Nicht-Verstehens bezogen ist […].“213 Worin ist nun der Unterschied zwischen Sein und Seiendem begründet? Die Antwort auf diese Frage ist schwierig und selbst für Heidegger, wie wir später bei einer Kritik seines metaphysischen Ansatzes sehen werden, nicht eindeutig zu beantworten, denn er richtet im Laufe seines Denkweges immer mehr den Blick von der Differenz auf die Identität. Ausgehend von der Differenz zwischen Sein und Seiendem sieht er nach der sogenannten Wende immer mehr die Identität zwischen Sein und Seiendem. „Das heißt, dass nicht mehr vom Seienden aus nach dem Sein gefragt werden kann, sondern das nunmehr vom Seyn her nach dem Seyn gefragt wird. Das Selbstwidersprüchliche transformiert sich ins Selbstreferenzielle:“214 Nach der Kehre spricht Heidegger nicht mehr wie in Sein und Zeit davon, dass das Sein jeweils das Sein von Seiendem ist, „sondern vom ‚Sein als Sein‘ oder ‚Sein selbst‘ oder ‚Seyn‘, falls diese Ausdrücke als mehr oder minder äquivalent genommen werden dürfen“.215 In Sein und Zeit werden Sein und Seiendes mehr als different und getrennt aufgefasst, dagegen denkt Heidegger später die beiden Gegensätze mehr als Einheit. „Entsprechend werden Wahrheit, Seyn und Geschichte als Einheit betrachtet.“ 216 In den Beiträgen äußert er sich zu dieser wie folgt: „Diese Wahrheit des Seyns ist gar nichts vom Seyn Verschiedenes, sondern sein eigenstes Wesen, und deshalb liegt es an der Geschichte des Seyns, ob es diese Wahrheit und sich selbst verschenkt oder verweigert und so erst eigentlich in seine Geschichte das Abgründige bringt.“217 An dieser Stelle wird erneut der Zusammenhang zwischen Seins- und Wahrheitsverständnis erkennbar. 206 SuZ (GA 2), S. 9. Ebd., S. 9. 208 Vgl. ebd. 209 Ebd., S. 8. 210 Vgl. ebd. S. 51. 211 Ebd. 212 Vgl. GP (GA 24), S. 322ff. 213 Willem van Reijen: Martin Heidegger (Paderborn 2009), S. 29. 214 Ebd. S. 30. 215 Gerd Haeffner: „Heideggers ‚Seins‘-Frage. Beitrag zu einer Klärung“. In: Theologie und Philosophie, 85 (2010) 2, S. 161-184, hier S. 181. 216 Willem van Reijen: Martin Heidegger, S. 34. 217 Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65) S. 93. 207 35 Auch bei Hans Urs von Balthasar spielt die ontologische Differenz eine wichtige Rolle für sein Wahrheitsverständnis. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird ein Vergleich beider Denker im Hinblick auf diese Thematik Ähnlichkeiten und Differenzen aufzeigen. 3.1.3 Das Dasein und die Frage nach dem Sein Im Rahmen unserer Überlegungen zur phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität des Daseins in Sein und Zeit wurde schon Wichtiges zur Bedeutung des Begriffes Dasein für Heideggers Fundamentalontologie gesagt. Für Heidegger war das Dasein das Seiende, das in der Lage ist, nach dem Sinn seines eigenen Daseins zu fragen bzw. sich selbst auch im „entwerfend-auslegenden Verstehen“ kundgeben zu können. Für das nicht daseinsmäßige Seiende interessierte er sich kaum. Heidegger war überzeugt, durch eine ontologische Analytik des Daseins den Horizont für eine Interpretation des Sinnes von Sein zu eröffnen.218 In seinem Spätwerk allerdings ist das Sein nicht mehr im Dasein zu finden, sondern nimmt Einfluss auf das Verstehen von außen.219 In Sein und Zeit fasst Heidegger den mehrfachen Vorrang des Daseins kurz und präzise zusammen: „Das Dasein hat sonach einen mehrfachen Vorrang vor allem anderen Seienden. Der erste Vorrang ist ein ontischer: dieses Seiende ist in seinem Sein durch Existenz bestimmt. Der zweite Vorrang ist ein ontologischer: Dasein ist auf dem Grunde seiner Existenzbestimmung an ihm selbst »ontologisch«. Dem Dasein gehört nun aber gleichursprünglich – als Konstituens des Existenzverständnisses – zu: ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden. Das Dasein hat daher den dritten Vorrang als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien. Das Dasein hat sich so als das vor allem anderen Seienden ontologisch primär zu Befragende erwiesen.“220 Einige Begriffe aus dieser Definition sollen erklärt werden, um das, was Dasein heißt, genauer verstehen zu können. Existenz ist nicht einfach das Dasein (ein Seiendes), sondern die Seinsweise des Daseins, d.h. die Bestimmung des Daseins durch die Existenz. Ontischer Vorrang heißt: seinsmäßiger Vorrang des Daseins als Gegenstand einer Ontologie, dass das Dasein als ontologisches Wesen nach seinem Sein fragt. 221 Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, das es ontologisch ist.222 Das Dasein als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien bedeutet, dass die Ontologien, die sich mit nicht daseinsmäßigem Seienden befassen in der ontischen Struktur des Daseins selbst begründet sind.223 Die Existenz eines Daseins ist, das ergibt sich aus dem Vorhergehenden, nicht zu verwechseln mit der Existenz eines x-beliebigen Gegenstandes. Das, was üblicherweise Existenz genannt wird, nennt Heidegger „Vorhandenheit“.224 Von Bedeutung ist, dass jeder 218 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 20. Vgl. Dorothea Frede: „Zum Sinn von Sein und Seinsverstehen“. In: Dieter Thomä (Hrsg): Heidegger Handbuch, S. 84. 220 SuZ (GA 2), S. 18. 221 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 19. 222 SuZ (GA 2), S. 16. 223 Vgl. ebd., S. 18. 224 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 30. 219 36 nur über sich selbst sprechen kann, d.h., dass die „Jemeinigkeit“ ein Strukturelement des Daseins ist.225 Das bedeutet in der Sprache Heideggers: „Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses selbst zu seinem Sein. Als Seiendes dieses Seins ist es sich selbst überantwortet.“226 Der Ausdruck „Jemeinigkeit“ verweist nicht auf einen „privilegierten Zugang“ zu uns selbst, denn Heidegger geht in seiner Philosophie nicht von einem Subjekt aus, dem in der Außenwelt Objekte gegenüberstehen.“ Für das Dasein gibt es weder „Introspektion“ noch eine „Außenwelt.“227 Das Dasein ist schließlich nicht in seine Eigenschaften zerlegbar. Es muss in seinen Möglichkeiten betrachtet werden. Diese Möglichkeiten sind nicht als Eigenschaften einer Substanz mit Namen Dasein anzusehen, sondern wir haben es hinsichtlich der Möglichkeiten des Daseins schon mit diesem selbst zu tun.228 Es gibt zwei Modi des Daseins, nämlich »eigentliches Dasein« und »uneigentliches Dasein«, d.h. das Dasein lebt entweder entsprechend den Möglichkeiten des Daseins oder aber es verpasst sie.229 3.1.4 Darstellung der wichtigen Existenzialien des Daseins Bei der Analyse der Seinsstrukturen des Daseins geht es um eine ontologische Fragestellung.230 Heidegger nennt diese Seinsstrukturen Existenzialien.231 „Diese Seinsbestimmungen des Daseins müssen nun aber a priori auf dem Grunde der Seinsverfassung gesehen und verstanden werden, die wir das In-der-Welt-sein nennen.232 3.1.4.1 Das In- der- Welt-sein Dieser Begriff bezeichnet ein einheitliches Phänomen. Aber wie können wir diese Welt als einheitliches Phänomen beschreiben, da wir nur „innerweltlichen“ Phänomenen begegnen, aber doch nie der Welt als ganzer?233 Phänomenologisch zugänglich ist nur die Weltlichkeit des Daseins.234 Deshalb: „Ohne Dasein keine Weltlichkeit, aber auch: kein Dasein ohne Weltlichkeit.“235 „Welt“ ist nach Heidegger kein Raum im Sinne des französischen Philosophen Descartes, der das Wesen (die Substanz) des Raumes als Ausdehnung begreift (res extensa). Heidegger lehnt den Begriff der Substanz, wie ihn Aristoteles, die Scholastik oder Descartes verstanden haben, ab und wirft Descartes eine Reduktion des Seins auf Substanz vor. Descartes überspringe damit das Phänomen der Weltlichkeit, das als Existenzial des Daseins in Erscheinung trete. So könne der Seinscharakter der Zuhandenheit nicht 225 Vgl. ebd. S. 30. SuZ (GA 2), S. 56 f. 227 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 30. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. ebd., S. 31. 230 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 111-186, hier S. 145. 231 SuZ (GA 2), S. 59. 232 Ebd., S. 53. 233 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 37. 234 Vgl. ebd., S. 39. 235 Ebd. 226 37 gedacht werden.236 Heidegger hingegen strebt danach, die Weltlichkeit der Welt als Phänomen darzustellen. Er unterscheidet zwischen der Räumlichkeit des Zuhandenen und der Räumlichkeit des Vorhandenen. Bei der Räumlichkeit des Vorhandenen geht es um den dreidimensionalen Raum (res extensa).237 Sie ist gegründet als abkünftiges Phänomen in der Räumlichkeit des Daseins.238 „Das In-sein bedeutet nicht ein räumliches Verhältnis des Daseins zu anderem Seienden, sondern meint die Vertrautheit des Daseins mit anderem Seienden, mit dem das Dasein schon immer umgeht, weshalb das Dasein nicht als isoliertes Subjekt verstanden bzw. phänomenologisch beschrieben werden kann.239 Der vertraute Umgang des Daseins mit nicht daseinsgemäßen Seienden ist selbst eine Struktur des Daseins und heißt das Besorgen.240 Für Heidegger haben folgende Weisen des In-Seins die Seinsart des Besorgens: „zutunhaben mit etwas, herstellen von etwas, bestellen und pflegen von etwas, unternehmen, durchsetzen, erkunden, befragen, betrachten, besprechen, bestimmen … Weisen des Besorgens sind auch die defizienten Modi des Unterlassens, Versäumens, Verzichtens, Ausruhens […]“.241Alles dreht sich um das alltägliche Dasein, dessen Raum die Umwelt ist. Das Dasein hat es in seiner Umwelt nicht mit dem Vorhandenen, sondern mit dem Zuhandenen (im Besorgen) zu tun. Das Zuhandene wird Zeug genannt. „Zeug ist wesenhaft »etwas, um zu« …“242. Die Struktur „Um-zu“ nennt Heidegger Verweisung, denn Zeug verweist auf ein Zeugganzes.243 Deshalb „[…] kann sich das Erkennen nicht mehr nur als Vorstellen eines ständig Vorhandenen verstehen, sondern muß sich an der Umsicht des praktischen Besorgens messen, sich auskennen in den Bewandtnisbezügen und Verweisungszusammenhängen der Welt.“244 3.1.4.2 Das Mitsein und das Man Auch das von Heidegger so genannte »Mitsein« ist phänomenologisch ein Existenzial des Daseins. Mitsein bezieht sich auf das Verhältnis des jeweiligen Daseins zu anderem Dasein. Die Anderen sind laut Heidegger „auch und mit da“.245 Dabei sind „»Mit« und »Auch« […] existential und nicht kategorial zu verstehen. Auf dem Grunde dieses mithaften In-der-Weltseins ist die Welt je schon immer die, die ich mit anderen teile“.246Deshalb läuft die Kritik derer, die Heideggers Dasein individualistisch missverstehen, ins Leere.247 Selbst dann, wenn das jeweilige Dasein anderes Dasein in autistischer oder andere Weise nicht wahrnimmt, kann unser jeweiliges Dasein nicht isoliert von anderem Dasein beschrieben werden. „Im 236 Vgl. ebd., S. 46ff. Vgl. ebd., S. 50. 238 Vgl. SuZ (GA 2), § 22f. 239 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 117. 240 Vgl. ebd., S. 18. 241 SuZ (GA 2), S. 75f. 242 Ebd., S. 92. 243 Vgl. ebd. 244 Otto Pöggler: Der Denkweg Martin Heideggers (Pfullingen 1963), S. 55. 245 SuZ (GA 2), S. 158. 246 Ebd., S 158 f. 247 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 120. 237 38 umweltlich Besorgten begegnen die Anderen als das, was sie sind; sie sind das, was sie betreiben.“248 Auch die Fürsorge „gründet in der Seinsverfassung des Daseins als Mitsein“.249 Heidegger unterscheidet die einspringend-beherrschende Fürsorge, die den anderen entmündigt von der vorspringend-befreienden Fürsorge („wahre Fürsorge“), die dem anderen dessen Seinsmöglichkeiten eröffnet und auf diese Weise befreit.250 Vom Mitdasein ist es nur ein kleiner Schritt zum »Man«. Das Man ist nicht einfach vorhanden, sondern es handelt sich auch in diesem Fall um ein nicht wegzudenkendes Existenzial, das immer und alltäglich vorhanden ist, – wenn auch nicht im Bewusstsein.251 „Man ist die Seinsweise des alltäglichen Daseins, das sich über allgemein verfügbare Normen und Werte identifiziert. Die institutionelle Seinsweise besteht in einer Nivellierung bzw. Einebnung aller spezifischen Seinsmöglichkeiten auf die Durchschnittlichkeit von abstraktallgemeinen, gar nicht zu personifizierenden Standards.“252 Mit dem Begriff des Man hängen die Begriffe „Man-Selbst“ und das „eigentliche Selbst“ zusammen.253 Unter „Man-Selbst“ versteht Heidegger, das alltäglich-durchschnittliche im Man aufgehende Selbst. Dem steht das „eigentliche Selbst“ gegenüber, das sich dem von Gerede, Neugier und Zweideutigkeit bestimmten Raum der Öffentlichkeit, dem Mitsein mit Anderen entzogen hat. 254 Das Man kann sich sowohl positiv als auch negativ auswirken. Positiv übernimmt das Man eine Entlastungsfunktion, so dass das Dasein nicht erdrückt wird durch Entscheidungen zu den Daseinsfragen.255 Negativ wird von der „Diktatur des Man“ gesprochen, denn es hindert das Dasein daran, die Frage nach dem Sinn des Seins selbstreflexiv zu stellen. Das „Man“ stellt keine Fragen, denn es ist einverstanden mit den Antworten des Geredes.256 Es ist das »Fremde« an und in uns. 3.1.4.3 Die Erschlossenheit Ein weiteres Existenzial ist die Erschlossenheit. Heidegger schreibt apodiktisch: „Das Dasein ist seine Erschlossenheit.“257 Dem Dasein ist sein eigenes Da in der Welt und einschlussweise die Welt erschlossen.258 Dies erfordert eine existenziale Analyse des In-Seins.259 Das Dasein erstreckt sich in der „selbsthaft-ekstatischen“ Erschlossenheit seiner Existenz „in die horizontale Erschlossenheit der Seinsweise des nichtdaseinsmäßigen Seienden“.260 Zur 248 SuZ (GA 2), S. 168. Vgl. SuZ (GA 2), S. 162. 250 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 57 (vgl. dazu SuZ [GA 2], S. 122). 251 Vgl. ebd., S. 60. 252 Ebd. 253 Vgl. ebd., S. 59 254 Vgl. SuZ (GA 2), § 35-38. 255 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 60 256 Vgl. Willem van Reijen: Martin Heidegger, S. 23. 257 SuZ (GA 2), S. 177. 258 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 122. 259 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 62. 260 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 33. 249 39 Erschlossenheit des In-der-Welt-seins gehört auch das Mitsein, das Zuhandene und das Vorhandene. Dabei ist dem Dasein in erster Linie das Möglichsein erschlossen und erst in zweiter Linie die Wirklichkeit.261 „Das Dasein realisiert sich also nicht in ihm mitangelegte Möglichkeiten, sondern es ist in der Weise des Möglichseins.“262 Die Erschlossenheit des Daseins konstituiert sich in verschiedenen Weisen, und zwar in den gleichursprünglichen Weisen der Befindlichkeit und des Verstehens.263 „Diese beiden Weisen der Erschlossenheit sind ihrerseits bestimmt durch die Rede.“264 Was meint hier „Befindlichkeit“? 3.1.4.3.1 Die Befindlichkeit Am besten lässt sich erkennen, was Heidegger unter dem Begriff „Befindlichkeit“ versteht, wenn man den ontologischen Wesenscharakter der Befindlichkeit in drei Schritten nachvollzieht.: 1. „Die Befindlichkeit erschließt das Dasein in seiner Geworfenheit und zunächst in der Weise der ausweichenden Abkehr.“265 Unter Befindlichkeit ist eine Stimmung zu verstehen, ohne die der Mensch seine Existenz nicht erfahren könnte.266 Diese Stimmung ist kein Gegenstand der Psychologie, sondern der Ontologie. Es handelt sich um die Seinsstruktur, die die alltägliche Stimmung bzw. das Gestimmtsein des Daseins ermöglicht. Der Begriff „Geworfenheit“ bezieht sich auf die Faktizität des Daseins. Das Dasein wird in sein Da überantwortet.267 Unter ausweichender Abkehr versteht Heidegger das Verschließen des Da. „Die »bloße Stimmung« erschließt das Da ursprünglich, sie verschließt es aber hartnäckiger als jedes Nicht-Wahrnehmen.“ In diesem Zusammenhang spricht Heidegger von „Verstimmung“.268 2. Die Befindlichkeit „ist eine existenziale Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz, weil diese selbst wesenhaft In-der-Welt-sein ist.“269 Das Wort Existenz deutet auf den Entwurf des Daseins hin. Damit wird deutlich, dass das Dasein zwischen Geworfenheit (Passivität) und Entwurf (Aktivität) pendelt.270Der dritte ontologische Wesenscharakter der Befindlichkeit ist für Heidegger die Weltoffenheit des Daseins: „Die Gestimmtheit der Befindlichkeit konstituiert existenzial die Weltoffenheit des Daseins.“271 D.h. die Weltoffenheit ist die Voraussetzung dafür, dass das Dasein von der Welt und Innerweltlichem betroffen werden kann.272 261 Vgl. SuZ (GA 2), S. 51. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 67. 263 Vgl. Christof Landmesser: Der existenzial- ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers, S. 123. 264 Ebd., S. 123. 265 SuZ. (GA 2), S. 181. 266 Vgl. Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung (Stuttgart 2004), S. 113 267 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 123. 268 Vgl. SuZ (GA 2), S. 182. 269 Ebd. 270 Vgl. Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung, S. 115. 271 SuZ (GA 2), S. 183. 272 Vgl. Celestine Chibueza Uzondu: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach. Europäische Hochschulschriften, Reihe XX, Philosophie, Bd. 705 (Frankfurt a.M. [u.a.] 2007), S. 130. 262 40 Die „Furcht“ ist ein Modus der Befindlichkeit.273 Auch hier geht es um ein Phänomen der Phänomenologie und nicht der Psychologie. Für Heidegger hat die Furcht drei konstitutive Momente: 1. das „Wovor“, 2. das „Fürchten selbst“ und 3. das „Worum“.274 Beim „Wovor“ geht es um „innerweltlich Begegnendes von der Seinsart des Zuhandenen, des Vorhandenen oder des Mitdaseins.“275 Das „Fürchten selbst“ ist eine Möglichkeit des Daseins.276 Das Dasein erschließt aus seinem In-der-Welt-sein, „dass aus ihr so etwas wie Furchtbares nahen kann.“277 Das Worum des Fürchtens selbst deutet darauf hin, dass nur das Dasein zum Fürchten fähig ist, denn „[n]ur Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, kann sich überhaupt fürchten.“278 3.1.4.3.2 Das Verstehen Das Verstehen ist gleichursprünglich mit der Befindlichkeit.279Wie bei der Befindlichkeit ist dem Dasein beim Verstehen das In-der-Welt-sein erschlossen. Dabei geht es beim Verstehen nicht in erster Linie um einen Akt des Intellekts (Ratio), sondern um ein Seinkönnen (Praxis).280 Das Dasein versteht sich auf das Seinkönnen, indem es sich zu sich selbst verhält und handelt. Heidegger formuliert in Sein und Zeit: „Das Dasein ist die Möglichkeit des Freiseins für das eigene Seinkönnen.“281 Das Dasein hat die Möglichkeit, sein eigenes Selbst zu entwerfen oder aber zu scheitern, indem es dem Man verfällt. Der Entwurf des eigenen Selbst ist nicht als ausgefeilter Plan misszuverstehen, „sondern als Dasein hat es sich je schon entworfen und ist, solange es ist, entwerfend.“282 Um die Bedeutung des Verstehens für das Dasein besser abschätzen zu können, kann ein Blick auf das Fundierungsverhältnis in der Heideggerschen Ontologie wertvolle Hinweise bieten. Nach der Heideggerschen Ontologie in Sein und Zeit ist das Fundierende die Möglichkeitsbedingung (conditio sine qua non) für das Fundierte.283 Das bedeutet, dass Erkennen, Anschauung, Denken fundiert sind im existenzialen Verstehen. 284 In diesem Zusammenhang übt Heidegger Kritik an der Kantschen Erkenntnistheorie: „Durch die Fundierung aller Erkenntnisweisen im Verstehen ,ist dem puren Anschauen sein Vorrang genommen, der noetisch dem traditionellen ontologischen Vorrang des Vorhandenen entspricht‘ [SuZ (GA 2), S. 196].“285 273 Vgl. SuZ (GA 2), § 30 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 65. 275 SuZ (GA 2), S. 186. 276 Vgl. ebd., S. 187. 277 Ebd., S. 186f. 278 Vgl. ebd., S. 188. 279 Vgl. Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 125. 280 Vgl. ebd., S. 125. 281 SuZ (GA 2), S. 191. 282 Ebd., S. 193. 283 Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 107. 284 Vgl. SuZ (GA 2), S. 196. 285 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 135. 274 41 Verstehen ist im Tiefsten ein Verstehen des Sinns des Daseins. Heidegger schreibt in Sein und Zeit: „Der Seinssinn des Daseins ist nicht ein freischwebendes Anderes und »Außerhalb« seiner selbst, sondern das verstehende Dasein selbst.“286 Und weiter heißt es dort zur Sinnfrage: „Das Seiende »hat« nur Sinn, weil es als Sein im vornhinein erschlossen, im Entwurf des Seins, d.h. aus dessen Woraufhin verständlich wird. Der primäre Entwurf des Verstehens von Sein »gibt« den Sinn.“287 Auch die Auslegung ist fundiert im Verstehen. „Alle Auslegung, die Verständnis bereitstellen soll, muß schon das Auszulegende verstanden haben.“288 Dieser Zirkel im Verstehen ist kein circulus vitiosus. Es handelt sich um einen Zirkel, der mit jedem Verstehen gegeben ist, der unvermeidbar ist und auch nicht vermieden werden soll.289 „Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen.“290 Jedes Verstehen ist mit Auslegung verbunden. „Die Auslegung ist nicht die Kenntnisnahme des Verstandenen, sondern die Ausarbeitung der im Verstehen entworfenen Möglichkeiten.“291 Die Auslegung ist als Prozess zu verstehen: 1. In der „Vorsicht“ macht sie sich das Auszulegende in einer bestimmten Hinsicht zu eigen. 2. In der „Vorhabe“ zielt sie auf eine bestimmte Auslegbarkeit des Auszulegenden. 3. Im „Vorgriff“ entschließt sie sich für eine bestimmte Begrifflichkeit.“292 Das, was im Verstehen erschlossen ist (das Verstandene), ist „als etwas“ erschlossen. Um zu differenzieren, unterscheidet Heidegger das „hermeneutische Als“ vom „apophantischen Als“. Das hermeneutische Als bezieht sich auf die Auslegung, das apophantische Als auf die Aussage. Die Aussage gründet in der Auslegung, d.h. das apophantische Als gründet im hermeneutischen Als. „Während die Auslegung des Verstehens das Auszulegende im Ganzen seiner Welt aneignet (im hermen. Als), bringt die Aussage eine Modifikation der existenzialen Fundamente der Auslegung und des Verstehens (d.h. von Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff) in Ausblendung der Weltzugehörigkeit des Begegnenden.“293 Die Aussage wird von Heidegger deutlich von der Auslegung und dem Verstehen abgehoben und fundiert in Auslegung und Verstehen, um seine Kritik an der Logik phänomenologisch abzusichern und sein Seins- und Wahrheitsverständnis darzulegen: „Sodann hat die Analyse der Aussage innerhalb der fundamentalontologischen Problematik eine ausgezeichnete Stelle, weil in den entscheidenden Anfängen der antiken Ontologie der λόγος als einziger Zugang zum eigentlichen Seienden und für die Bestimmung des Seins 286 SuZ (GA 2), S. 430. Ebd. 288 Ebd., S. 202. 289 Ebd., S. 203. 290 Ebd. 291 Ebd., S. 197. 292 Helmuth Vetter: „Verstehen“. In: Ders. (Hrsg): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe (Hamburg 2004), S. 591. 293 Ebd. 287 42 dieses Seienden fungierte. Schließlich gilt die Aussage von alters her als der primäre und eigentliche »Ort« der Wahrheit.“294 Nach Heidegger hat die Aussage drei umgrenzende Bedeutungen: 1. „Aussage bedeutet primär Aufzeigung.“295 Aufzeigung heißt, das Seiende von ihm selbst her sehen lassen. 2. „Aussage besagt soviel wie Prädikation.“296 D.h., ein Subjekt wird durch ein Prädikat bestimmt. 3. „Aussage bedeutet Mitteilung, Heraussage.“297 3.1.4.3.3 Die Rede Heidegger lehnt die Aristotelische Definition des Menschen als vernünftiges Wesen (ζῷον λόγον ἔχον) ab. Für Heidegger ist der Mensch das Seiende, das im Miteinander redet.298 Befindlichkeit, Verstehen und Rede erschließen dem Dasein das In-der-Welt-sein. Sie sind als Existenziale gleichursprünglich.299 „Die befindliche Verständlichkeit des In-der-Welt-seins spricht sich als Rede aus.“300 Zwischen Rede und Sprache besteht terminologisch und sachlich ein Unterschied. Sprache bezeichnet die Verlautbarkeit, während das Reden das existenziale Wesen der verlautenden Sprache bezeichnet.301 Sprache ist demnach fundiert in der Rede. Voraussetzung für das Miteinanderreden ist das Dasein als Mitsein. Zu den Seinsmodi des Redens gehört auch das Schweigen, das sich vom Stummsein durch Beredsamkeit (beredtes Schweigen) abhebt.302 Auch im Modus des Schweigens zeigt es sich, dass das Dasein versteht und auf stille Weise das Gerede bezwingt.303 Das Gerede steht der Eigentlichkeit des Selbst im Wege. „Nur im echten Reden ist eigentliches Schweigen möglich.“304 Auch das Hören ist eine Seinsweise der existenzialen Rede. 305 Was das Fundierungsverhältnis betrifft, steht an erster Stelle das Verstehen, dann erst kommt das Hören. Allerdings beschäftigt sich Heidegger in Sein und Zeit viel mehr mit dem Verstehen als mit dem Hören. Erst in Heideggers Spätphilosophie gerät der Begriff des Hörens in den Fokus seines philosophischen Denkens.306 In seinem Bestreben, die Grammatik von der Logik zu befreien, zeigt sich Heidegger kritisch gegenüber jeder Sprachphilosophie bzw. Sprachwissenschaft, die mit der Sprache wie mit 294 SuZ (GA 2), S. 204f. Ebd., S. 205. 296 Ebd. 297 Ebd., S. 206. 298 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 75. 299 Vgl. SuZ (GA 2), S. 213. 300 Ebd. S. 214. 301 Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 145. 302 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 74. 303 Vgl. SuZ (GA 2), S. 219. 304 Ebd. 305 Vgl. ebd., S. 217. 306 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 149. 295 43 einem Objekt umgehen. Gegen ein Vorhandenheitsmodell der Sprache macht er die Zeitlichkeit der Rede geltend. „Aus der Zeitlichkeit der Rede, d.h. des Daseins überhaupt, kann erst die »Entstehung« der »Bedeutung« aufgeklärt und die Möglichkeit einer Begriffsbildung ontologisch verständlich gemacht werden.“307 Über das Verhältnis von Sein und Zeit wird im Rahmen der Analyse der Sorge als Sein des Daseins nachzudenken sein, um verstehen zu können, warum für Heidegger Sein und Zeit identisch sind. Am Ende von § 34 (SuZ) fragt Heidegger nach der Seinsart der Sprache . „Am Ende muß sich die philosophische Forschung einmal entschließen zu fragen, welche Seinsart der Sprache überhaupt zukommt. Ist sie ein innerweltlich zuhandenes Zeug, oder hat sie die Seinsart des Daseins oder keines von beiden?“308 Diese Frage wird in Sein und Zeit nicht geklärt, sondern wird wieder aufgeworfen im Brief über den Humanismus bzw. in der Abhandlung Unterwegs zur Sprache.309 3.1.4.4 Das Verfallen als Uneigentlichkeit Das Dasein ist es selbst, wenn es als geworfener Entwurf sich selbst entwirft. Allerdings steht dem eigentlichen Seinkönnen ein uneigentliches gegenüber. „Uneigentlichkeit meint so wenig dergleichen wie Nicht-mehr-in-der-Welt-sein, als sie gerade ein ausgezeichnetes In-der-Weltsein ausmacht, das von der »Welt« und dem Mitsein Anderer im Man völlig benommen ist.“310 D.h. das Verfallen gehört zum Lebensvollzug des Daseins in seiner Alltäglichkeit.311 Deshalb wird der Abfall auch nicht als eine schlechte und beklagenswerte ontische Eigenschaft betrachtet oder als ein „»Fall aus einem reinerem und höheren »Urstand«.“312Es ist also kein Abfall von Gott gemeint und daraus resultierend eine Erlösungsbedüftigkeit, sondern eine Grundart des Seins der Alltäglichkeit. Heidegger sieht im Gerede, in der Neugier und in der Zweideutigkeit die Kennzeichen der Uneigentlichkeit. Gerede betrifft das, was im öffentlichen Raum gesprochen wird bzw. alle institutionalisierten Redeweisen im Miteinandersein. Dazu gehören beispielsweise Schlagwörter, Modethemen, Floskeln usw. Es handelt sich um das, was weitergesagt und nachgeredet wird.313 Es wird mit Selbstverständlichkeit weitergegeben und setzt dabei im Gegensatz zur Rede kein eigenes Verständnis voraus.314 Heidegger wirft Parmenides, Aristoteles, Augustinus und Hegel vor, die Wahrheit und das Sein nur durch anschauendes Vernehmen zu erkennen.315 Ebenso sei die Neugier nur noch auf das bloße „Ansehen“ aus. Die Neugier ist bestrebt, „die Last des In-derWelt-seins abzuschütteln: sie ist ein Unverweilen in der Welt“316 und sucht nach Zerstreuung. 307 SuZ ( GA 2), S. 462. Ebd., S. 221. 309 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 150. 310 SuZ (GA 2), S. 233. 311 Vgl. ebd., S. 171. 312 Ebd., S. 233. 313 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 76. 314 Ebd. 315 Ebd. 316 Ebd., S. 76f. 308 44 Sie ist durch Aufenthaltslosigkeit charakterisiert: sie ist überall und nirgends. „Die Neugier ist damit das Gegenteil des philosophischen Staunens, das gerade bei einer Sache bleibt, weil sie nicht verstanden wird.“317 Bedenkenswert im Zusammenhang mit dem Thema Wahrheitsverständnis ist auch, welche Merkmale der Zweideutigkeit zugeordnet werden. Durch die Zweideutigkeit entsteht der falsche Eindruck, als hätte man etwas verstanden. „Es hört sich an und sieht so aus, als wenn es ein echtes Verstehen wäre, ist es aber nicht.318 Durch Gerede und Neugier wird das Erschlossene zweideutig.319 3.1.4.5 Die Entschlossenheit Den drei Formen der Erschlossenheit (Befindlichkeit, Verstehen, Rede) stehen die drei Formen der Entschlossenheit (Stimmung der Angst, Verstehen des Todes, Ruf des Gewissens) zur Seite.320 Die Entschlossenheit ist die Möglichkeitsbedingung für die Eigentlichkeit.321Sie darf aber nicht mit einer Form des Solipsismus verwechselt werden, denn Dasein heißt: apriori verbunden zu sein mit der Umwelt und ausgerichtet zu sein auf „das fürsorgende Mitsein mit den Anderen“.322 Unter Entschlossenheit ist auch kein „Akt der Willensanstrengung“ gemeint.323 Entschlossenheit bezeichnet also nicht eine existenzielle Entscheidung, sondern: „Die Entschlossenheit ist ein ausgezeichneter Modus der Erschlossenheit des Daseins.“324 Das Dasein widersetzt sich in diesem ausgezeichneten Modus der Erschlossenheit entschlossen der Verschlossenheit und dem Verfallen.325 Allerdings ist die Entschlossenheit inhaltlich unbestimmt, was Karsten Harries zu folgender Kritik veranlasst: „Entschlossen, so heißt es in Sein und Zeit, weiß der Mensch, was zu tun ist. Aber solche Entschlossenheit lässt sich so wenig verstehen wie Satres verwandter Versuch, den Grund aller Wertung in einer abstrakten Freiheit zu suchen.“326 Andererseits verteidigt Celestine Chibueza Uzondo die Unbestimmtheit der existenzial-ontologischen Entschlossenheit und stellt einen Bezug zu Kants Pflichtbegriff her, der auch nicht eine bestimmte Verpflichtung zum Ausdruck bringt.327 Die erste Form der Entschlossenheit ist die Angst. 317 Ebd., S. 77. Ebd. 319 Vgl. ebd. 320 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 101f. 321 Vgl. SuZ (GA 2), S. 394 322 Ebd. S. 395. 323 Vgl. Günter Figal: Heidegger zur Einführung (Hamburg 1996), S. 75. 324 SuZ (GA 2), S. 393. 325 Vgl. Günter Figal: Heidegger zur Einführung, S.75. 326 Karsten Harries: „Das Geviert“. In : Dieter Thomä (Hrsg.) Heidegger Handbuch, S. 296. 327 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 101f. 318 45 3.1.4.5.1 Die Angst Die Angst ist der Modus der Befindlichkeit, in der sich das Dasein als individuelles und ungeteiltes erschließt in seiner Ganzheit.328 „Wenn die Ganzheit des Daseins als Phänomen in der Welt aufdeckbar sein soll, muß sie uns auf jeden Fall in einer besonderen Befindlichkeit zugänglich sein. In dieser Grundbefindlichkeit müsste uns unsere Ganzheit erschlossen sein.“329 Diese Grundbefindlichkeit ist die Angst. In der Angst ängstigt sich das Dasein vor dem Nichts, nicht vor dem totalen Nichts, sondern vor dem Nichts an Zuhandenheit. 330 „Das Nichts von Zuhandenheit gründet im ursprünglichsten »Etwas«, in der Welt.“331 Das Wovor der Angst ist nirgends und unbestimmt und weder im Vorhandenen noch im Zuhandenen zu verorten. Die Angst ängstigt sich vor dem „In-der-Welt-sein selbst“.332 Die Furcht fürchtet sich hingegen vor innerweltlich Zuhandenem. Wir können sagen, wovor wir uns fürchten. Wovor wir uns ängstigen, können wir nicht sagen. Die Angst ist das Fundamentalere und die Möglichkeitsbedingung für die Furcht.333 Weil die Angst unbestimmt und nirgends festzumachen ist, ist es dem Dasein unheimlich in der Welt. Heidegger spricht vom „Nichtzuhause-sein“334, vom „existentiellen »Modus« des Un-zuhause“.335 Warum ängstigt sich das Dasein, wenn das Wovor unbestimmt und nirgends ist? Es ängstigt sich um seine Möglichkeiten, um seinen Entwurf.336 Ein im ersten Hinschauen irritierendes Merkmal der Angst ist die Vereinzelung des Daseins. Mehrmals wurde darauf hingewiesen, dass das Dasein Mitsein miteinschließt. Was bedeutet also Vereinzelung? Heidegger antwortet: „Diese Vereinzelung holt das Dasein aus seinem Verfallen zurück und macht die Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Möglichkeiten seines Seins offenbar.“337 3.1.4.5.2 Das Sein zum Tode und die Sorge Der Tod ist ein bedeutsamer Bestandteil der Daseinsanalyse. Er gehört wie die Angst existenzial-ontologisch zum Dasein selbst. „Der Tod ist eigenste Möglichkeit des Daseins.“338 Es geht beim Sein zum Tode also nicht um Verwirklichung, denn „das eigentliche Sein zum Tode ist nicht im Sinne einer ‚Verwirklichung‘ denkbar“.339Heidegger bestimmt das Sein zum Tode als ein „Vorlaufen in ein Seinkönnen des Seienden, dessen Seinsart das Vorlaufen selbst ist“.340 Es handelt sich um die „Möglichkeit des Verstehens des eigensten äußersten 328 Vgl.Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 82. Ebd., S. 80. 330 Vgl. SuZ. (GA 2), S. 248. 331 Ebd. S. 248 f. 332 Ebd. S. 249. 333 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 83. 334 SuZ (GA 2), S. 250. 335 Ebd., S. 251. 336 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, 82. 337 SuZ (GA 2), S. 253. 338 Ebd., S. 349. 339 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 111. 340 SuZ (GA 2), S. 348. 329 46 Seinkönnens, das heißt als Möglichkeit eigentlicher Existenz“.341 Wie sieht das Vorlaufen in ein Seinkönnen des Seienden aus? Um diese Frage beantworten zu können, ist es hilfreich, sich die Merkmale, die Heidegger dem Sein zum Tode beimisst, genauer anzusehen. Der Tod ist für Heidegger als eigenste Möglichkeit unbezüglich, unüberholbar, gewiß und unbestimmt.342 Der Tod als eigenste Möglichkeit des Daseins bedeutet, dass kein Dasein das je andere Dasein im Tod vertreten kann.343 Die Aussage, der Tod sei unbezüglich, weist auf die Vereinzelung des Daseins hin. Kein anderes Dasein kann dem jeweiligen Dasein das Sein zum Tode abnehmen. Im Vorlaufen auf den Tod kann das Dasein, das als In-der-Welt-sein definiert wurde, nicht zurückgreifen auf das Besorgen oder die Fürsorge.344 Der Tod ist unüberholbar, heißt, das Dasein ist zeitlich immer vor der Möglichkeit des Todes und das Dasein wird durch den Tod begrenzt.345 Der Tod ist gewiß meint nicht „Gewißheit bezüglich eines innerweltlich begegnenden Seienden oder der formalen Gegenstände,346 heißt nicht empirische Gewissheit, Erfahrungstatsache, oder biologisches Ableben.347 Gewissheit bedeutet im existenzial-ontologischen Zusammenhang des Seins zum Tode die „strukturell dem Dasein eingeschriebene Gewissheit des je eigenen Todes“.348Schließlich ist die eigenste Möglichkeit des Daseins zum Tode unbestimmt. D.h.: „Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst.“349 Das Dasein ängstigt sich „vor dem Nichts der möglichen Unmöglichkeit seiner Existenz.“350 Wenn das Sein zum Tode wesentlich Angst ist, dann gilt auch, was schon bei der Analyse der Angst deutlich wurde, nämlich dass sich das Dasein im Sein zum Tode als individuelles und ungeteiltes erschließt in seiner Ganzheit. „Das Sein zum Tode bzw. Sein zum Ende ist die gesuchte Bedingung der Möglichkeit des Ganzseinkönnens.“351 Bei der ontologischen Analyse der Angst ist darauf zu achten, dass alle Fragen, die sich in diesem Zusammenhang auf nicht-daseinsmäßiges Sein beziehen, außen vorgehalten werden müssen. Beispielsweise ist die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, im Rahmen der Daseinsanalyse nicht zu beantworten, da sich die Daseinsanalyse strikt auf das In-der-Weltsein bezieht.352 Mit der Frage nach dem Sein zum Tode hängt der Seinsmodus der Sorge zusammen, bei der keinesfalls an die alltägliche Sorge zu denken ist. Auch und gerade bei der Analyse der Seinsstruktur der Sorge geht es um den Bezug des Daseins zu seinem Ganzsein. Die Sorge ist als Grundphänomen des Daseins komplex und in sich gegliedert.353 Heidegger entwickelt eine 341 Ebd., S. 349. Ebd., S. 349ff. 343 Vgl. ebd. 344 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 112. 345 Vgl. SuZ. (GA 2), S. 350. 346 Vgl. ebd., S. 351. 347 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 110. 348 Ebd. 349 SuZ (GA 2), S. 353. 350 Ebd. S. 352. 351 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 101. 352 Ebd., S. 107. 353 Ebd., S. 85. 342 47 komplexe Bindestrichformel, um die Strukturganzheit des Daseins, die er Sorge nennt, auszudrücken: „Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnenden Seienden).“354 Sich-vorweg-sein deutet hin auf die Existenzialität des Daseins als verstehend-entwerfendes Sich-vorweg. Das Schon-sein-in der Welt verweist auf die Faktizität des Daseins als befindlich-geworfenes Schon-sein-in- derWelt. Das Sein bei innerweltlich Begegnenden zeigt an die Verfallenheit des Daseins.355In dieser Bindestrichformel sind alle Strukturen enthalten, die wir in der Daseinsanalyse kennen gelernt haben.356 Auch die Zeitlichkeit des Daseins ist enthalten, auf die schon im Zusammenhang mit der Rede hingewiesen wurde. Mit dem Sich-vorweg-sein als sich entwerfender Entwurf wird auf die Zukunft hingewiesen. Das Schon-sein hat den zeitlichen Aspekt der Gewesenheit. Das Sein-bei verweist auf das Gegenwärtige.357 „Die Daseinsanalyse hat die Fundamentalontologie zur Räumlichkeit des In-der-Welt-seins und dieses wiederum zur Sorge geführt, in der sich der Umschlag zur Zeitlichkeit ergeben hat.“358 Heideggers Frage nach dem Sinn von Sein läuft durch den Raum zur Zeit. „Dieser Sinn wird durch den Durchgang durch den Raum – das Da des Daseins – gesucht und vor dem Horizont der Zeit gefunden.359 3.1.4.5.3 Der Ruf des Gewissens Die dritte Form der Entschlossenheit ist der Ruf des Gewissens. Es handelt sich bei diesem Ruf um ein Seinsphänomen, einen Ruf, der uns dazu aufruft, sich zu stemmen gegen das Gerede, die Neugier und die Zweideutigkeit. Das Dasein ruft sich selbst dazu auf, sich zu wehren gegen das „Man-selbst“, das Verfallen in die Uneigentlichkeit. Beim Ruf des Gewissens handelt es sich um einen Seinsmodus der Rede. Das Dasein, das auf diesen Ruf hört, versteht sich auf sein eigenstes Seinkönnen.360 „Festzuhalten gilt es: der Ruf, als welchen wir das Gewissen kennzeichnen, ist Anruf des Man-selbst in seinem Selbst; als dieser Anruf der Aufruf des Selbst zu seinem Selbstseinkönnen und damit ein Vorrufen des Daseins in seine Möglichkeiten.“361 Inhaltlich bedeutet der Ruf des Gewissens nichts Bestimmtes, keine konkrete Anweisung, auch ist der Rufer nicht ein anderes Dasein, sondern „[d]er Ruf redet im unheimlichen Modus des Schweigens“.362 Der Ruf offenbart sich als Anruf der Sorge zum Schuldigsein. „Das Gewissen ist der Ruf der Sorge aus der Unheimlichkeit des In-der-Welt-seins, der das Dasein zum eigensten Schuldigsein aufruft.“363 Das Dasein versteht diesen Ruf als Aufruf zur Wahl: 354 SuZ (GA 2), S. 256. Vgl. Matthias Flatscher: „Sorge“. In: Helmuth Vetter (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, S. 494. 356 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 85. 357 Vgl. Christof Landmesser: „Der existenzial-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 136. 358 Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung, S. 142. 359 Ebd., S.142. 360 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 115ff. 361 SuZ (GA 2), S. 364. 362 Ebd., S. 368. 363 Ebd., S. 383. 355 48 „Gewählt wird das Gewissen-haben als Freisein für das eigenste Schuldigsein. Anrufverstehen besagt: Gewissen-haben-wollen.“364 Die Stimmung, die dem Gewissenhabenwollen entspricht, ist die Angst, die sich ergibt durch die Unheimlichkeit der Vereinzelung. 365 Das Dasein ruft sich selbst auf, bereit zur Angst zu sein.366 Alle Gewissenstheorien stimmen darin überein, das Gewissen mit Schuld verbunden ist. Auch in der heideggerschen Konzeption ist das Gewissenhabenwollen an die Bereitschaft zur Übernahme von Schuld gekoppelt.367 Schuldsein ist allerdings im existenzialen Sinn gemeint und hat nichts damit zu tun, dass das Dasein sich hat etwas zu Schulden kommen lassen oder gegen die Regeln der Moral verstoßen hätte bzw. sich gegen das Gute entscheidet.368 Schuldsein heißt Verantwortung zu übernehmen für die Wahl bestimmter Daseinsmöglichkeiten unter Verzicht auf andere.369Die Frage erhebt sich, was kann das Dasein für sein Geworfensein in sein Dasein und weshalb kann es dann schuldig genannt werden? Die Antwort liegt in der existenzialen Daseinsanalyse, die zu dem Ergebnis kommt, dass jeder existentielle Entwurf nichtig ist und eo ipso bestimmte Seinsmöglichkeiten ausschließt. „In der Struktur der Geworfenheit sowohl wie in der des Entwurfes liegt wesenhaft eine Nichtigkeit.“ 370 Aus diesem Grund ist das Dasein schuldig, auch wenn wir davon ausgehen, dass wir in einer bestimmten Weise handeln mussten.371Zusammenfassend kann man sagen, dass sich das heideggersche Gewissenskonzept von allen anderen Gewissenskonzepten unterscheidet, seien es theologische, philosophische, soziologische oder psychologische. Auch das Konzept des freudschen Über-Ichs ist nicht kompatibel mit der Daseinsanalyse.372 3.1.4.6 Fazit Das Kapitel 3.1. beabsichtigte eine Einführung in die Ontologie Heideggers. Die Begriffe Sein, Existenz, Dasein und die mit dem Dasein verknüpften Existenzialien standen im Zentrum. Es zeigt sich, dass das Sein das transcendens schlechthin ist. Sein ist nicht wie in der traditionellen Philosophie etwas Unveränderliches, Starres, „für Heidegger ist es die Zeit, die das Sein und damit den Sinn von Sein konstituiert.“373 Sinn ist wesentlich, was im verstehenden Erschließen im Sein-zum-Tode (Zeitlichkeit) vom Dasein erschlossen wird.374 Im Zentrum des heideggerschen Denkens steht der Unterschied zwischen Sein und Seiendem (ontologische Differenz). Worin dieser Unterschied liegt, bleibt für Heidegger selbst zeitlebens eine schwierige Frage. In späteren Jahren denkt Heidegger die Gegensätze als Einheit. Aufschlussreich wird an entsprechender Stelle der Vergleich zwischen der 364 Ebd., S. 382. Vgl. ebd., S. 295. 366 Vgl. ebd., S. 392. 367 Vgl. ebd., S. 371 ff. 368 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 118 f. 369 Vgl. ebd., S. 119. 370 SuZ. (GA 2), S. 378. 371 Vgl. Andres Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 115. 372 Vgl. ebd., S. 114. 373 Willem van Reijen: Martin Heidegger, S. 14. 374 Vgl. SuZ (GA 2), S. 200f. 365 49 ontologischen Differenz in der heideggerschen Variante und der Realdistinktion bei Hans Urs von Balthasar. Dasein ist als einziges Seiende fähig, die Bedingungen der Möglichkeit seiner Existenz zu erschließen. Existenz ist nicht mit der Existenz x-beliebiger Gegenstände zu verwechseln, sondern: „Das Sein selbst, zu dem das Dasein sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz.“375 Nur das Dasein kann in der Frage nach dem Sinn von Sein auf sich selbst (selbstreflexiv) zurückgreifen. Zu beachten ist, dass das Dasein nicht in seiner theoretischen, sondern in seiner praktischen Befähigung dazu in der Lage ist nach dem Sinn von Sein zu fragen.376 Schon früh wurde auf den Zusammenhang zwischen Sein und Wahrheit hingewiesen: „Die Philosophie hat von alters her Wahrheit mit Sein zusammengestellt.“377 Auch das Dasein ist eng mit der Wahrheit verbunden: „Die ursprünglichste und zwar eigentlichste Erschlossenheit in der das Dasein als Seinkönnen sein kann, ist die Wahrheit der Existenz. Sie erhält erst im Zusammenhang einer Analyse der Eigentlichkeit des Daseins ihre existenzial-ontologische Bestimmtheit.“378 Es zeigt sich, dass ohne eine ordentliche, wenn auch nicht bis in die letzten Verzweigungen reichende Daseinsanalyse, dem Wahrheitsverständnis bei Heidegger nicht beizukommen ist. Ausgangspunkt war die Frage nach dem Sein bzw. nach dem Sinn von Sein. Die Sinnfrage setzt ein Sein voraus, dass in der Lage ist selbstreflexiv nach seinem Sein zu fragen, eben das Dasein. Man kann das Dasein nicht in seine Eigenschaften zerlegen, sondern das jemeinige Dasein mit seinen Möglichkeiten steht im Mittelpunkt. „Dasein ist vor allem Möglichsein.“379 Heideggers Bindestrichformel, den er im Zusammenhang mit der Sorgestruktur des Daseins entwickelt, fasst das Ergebnis der Daseinsanalyse kurz zusammen und soll noch einmal zitiert werden, um das Wesentliche der Daseinsanalyse zusammenzufassen und ins Gedächtnis zurückzurufen: „Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnenden Seienden)“380 Heidegger nennt diese Seinsstrukturen Existenzialien. In diesem Begriff ist Raum und Zeit enthalten. Raum drückt ein Vertrautsein des Daseins mit anderem Seienden aus (Zuhandenheit). Mit Zeitlichkeit ist ein Horizont gemeint: „Welt muss einen Horizont haben, aber dieser Horizont ist ein Horizont der Zeit […].“381Raum und Zeit hängen zusammen: Dies „ist über das Dasein vermittelt, das im Raum da ist, aber erst in der Zeit seinen Sinn erhält, also sich zeitlich – in der Zeit und mit der Zeit – konstituiert.“382 – Über den Begriff der Zeit wird noch zu reden sein beim Vergleich mit dem Zeitbegriff bei Urs von Balthasar. – Das In-der-Welt-sein schließt Begriffe wie Subjekt und Objekt aus. Es geht um eine holistische Betrachtungsweise, was besagt, dass das Dasein ein In-sein und Mitsein ist, fähig sich sein Sein zu erschließen. Es ist ein Sein-zum-Tode, das im 375 Ebd., S. 16. Vgl. Willem van Rejen: Martin Heidegger, S. 14. 377 SuZ (GA 2)., S. 282. 378 Ebd., S. 293. 379 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 31. 380 SuZ (GA 2), S. 256. 381 Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung, S. 137. 382 Ebd., S. 137. 376 50 Ruf des Gewissens aufgerufen ist zur Eigentlichkeit und zur Angstbereitschaft. Das Sichvorweg-sein verweist auf die Existenzialität des Daseins, das sein Seinkönnen versteht und sich entschlossen auf den Tod hin entwirft. Das Schon-sein deutet hin auf die Faktizität des Daseins, d.h. auf die Geworfenheit, für die das Daseins nichts kann. 51 3.2 Die Seinsphilosophie Hans Urs von Balthasars Auch für Hans Urs von Balthasar gilt, dass man sein Wahrheitsverständnis nur verstehen kann, wenn man sich zunächst mit seiner Seinsphilosophie beschäftigt. Von herausragender Bedeutung für die Entwicklung seines Seinsbegriffes war die Begegnung mit seinem Mentor Erich Przywara SJ, der das Seins- und Wahrheitsverständnis Balthasars zutiefst beeinflusste. Mit ihm führte er viele Gespräche, die „für den jungen Philosophiestudenten von einzigartiger Bedeutung [waren] und dies sicherlich auch darum, weil die (philosophische und dann auch theologische) Lehre von der Analogie des Seins auch eine tragfähige Metaphysik des endlich Seienden in sich barg: die Lehre von der Realdistinktion von Sein und Wesen und damit verbunden von der Positivität und Bejahbarkeit des Endlichen.“383 Um die Komplexität der Balthasarschen Metaphysik verstehen zu können, ist zunächst ein Blick auf den Seinsbegriff sinnvoll. 3.2.1 Das Sein Der Seinsbegriff ist der Ausgangspunkt von Balthasars Denken. Die Neuscholastik vertrat einen univoken Seinsbegriff und viele neuscholastische Theologen stützten sich dabei auf Franz Suarez, für den auch Gott unter diesen univoken Seinsbegriff fallen muss. 384 Das hatte für Balthasar persönliche Konsequenzen negativer Art, was die Positivität und Bejahbarkeit des Endlichen angeht. Deshalb war er froh, dass ihm Erich Przywara einen philosophischen Ausweg aufzeigen konnte durch das Nachdenken über die Analogie des Seins (analogia entis). Balthasar empfand nach diesen Gesprächen ein Gefühl der Befreiung, denn der univoke Seinsbegriff widersprach dem dialogischen Ansatz der Heiligen Schrift, wie sie Balthasar verstand. Er konnte an den Erkenntnissen anknüpfen, zu denen er schon bei der Beschäftigung mit Platon, Kierkegaard und Nietzsche gelangt war.385 Balthasar erkannte, dass mit dem Analogieprinzip, wie es von seinem Mentor entwickelt worden war, die Einheit von Gott und Welt trotz bleibender Verschiedenheit gewahrt werden kann. Erich Przywara stellte mit seinem Neuansatz die Seinslehre der Neuscholastik als ideologieanfällig dar und versuchte „Vernunft und Religion, Sein und Seiendes dialektisch und geschichtlich in ein Verhältnis zu bringen“.386 Balthasar unterscheidet zwischen weltlichem Sein (endliches Sein) und dem Sein selbst (unendliches Sein). Das endliche Sein tritt auseinander in Dasein und Wesen. Das Dasein kann nur sein im konkreten Sosein. Das endliche Sein existiert nicht aus sich („esse accidens“).387 Es existiert durch einen Akt, der das Sein gibt („actus essendi“). Das Sein selbst 383 Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 71. Vgl. ebd. 385 Vgl. ebd. 386 Wolfgang W. Müller: „Hans Urs von Balthasar im Gespräch mit Karl Barth“. In: Wolfgang W. Müller (Hrsg.): Karl Barth-Hans Urs von Balthasar. Eine theologische Zwiesprache (Zürich 2006). S. 11-26, hier: S. 17. 387 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 47. 384 52 (unendliches Sein) existiert aus sich selbst („esse ipse subsistens“).388Die Einheit zwischen Gott und der Welt ist in analoger Weise zu verstehen. Die Analogie zwischen dem „Sein selbst“ und dem „endlichen Sein“ besteht darin, dass das „Sein selbst“ und auch die „endlichen Dinge“ sind. Für Balthasar ist das endliche Sein ein „strukturelles Abbild des dreieinigen Seins“.389 Er vergleicht das dreieinige Sein mit der Polarität, die zwischen Dasein und Sosein im Bereich des Seienden besteht. „Wie das ‚Dasein‘ nicht jenseits eines konkreten ‚So-seins‘ existiert, subsistiert das göttliche Sein nicht jenseits der Personen.“390 Jedes endliche Sein besitzt das ganze „Dasein“. Ebenso besitzen die göttlichen Personen das Gottsein. Während das endliche Sein das „Dasein“ zwar ganz, aber im Fragment besitzt, besitzen die göttlichen Personen das ganze Gottsein, und zwar in Fülle und nicht im Fragment.391 Balthasar fasst Im Raum der Metaphysik seine Metaphysik, in vier Regeln zusammen,392 die schon grundgelegt sind in Wahrheit der Welt. Elio Gerriero fasst diese Regeln wie folgt zusammen: 1. „Die Seinserfahrung ist etwas für alles späteres Bewusstsein Unüberholbares.“ 2. „Alle Seienden nehmen am Sein teil, erschöpfen es aber nie.“ 3. „Das Sein kommt im Seienden zur Existenz. Dabei ist aber eine Verplanung des Seins, um sich selber in den Seienden auszudrücken, wie auch eine Beziehung der Indifferenz zwischen Sein und Seiendem auszuschließen.“ 4. „Die Differenz zwischen Sein und Seiendem ist keine letzte, in sich abgeschlossene Wirklichkeit. Die ontologische Differenz verweist über sich hinaus auf die Differenz zwischen Gott und Welt, worin Gott der einzig zureichende Grund sowohl für das Sein wie für das Seiende in seiner Gestalthaftigkeit ist.“393 Es zeigt sich, dass Balthasars Seinsphilosophie wesentlich von Heideggers Daseinsanalyse abweicht.394 Obwohl Balthasar Heideggers Beschreibung der ontologischen Differenz als zu verschwommen und unbestimmt ansieht, begrüßt er doch Heideggers Staunen über das Sein und sieht in Heideggers Philosophie einen positiven Ansatz für eine Philosophie der Herrlichkeit.395 3.2.2 Die Realdistinktion Schon in der Einleitung zu „Wahrheit der Welt“ betont Balthasar, dass die Frage nach der Realdistinktion, die Frage nach dem Unterschied zwischen Sein und Wesen, nicht endgültig beantwortet werden könne, sondern immer wieder neu gestellt werden müsse.396 Die Realdistinktion ist für ihn der eigentliche Punkt, „an welchem das Je-mehr- und Je-reicher388 Vgl. ebd., S. 47. Vgl. Hans Urs von Balthasar: Epilog, S. 38. 390 Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 47. 391 Vgl. ebd., S. 49. 392 Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. III/1: Im Raum der Metaphysik (Einsiedeln 1965), S. 946. 393 Elio Guerriero: Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie, S. 315. 394 Dasein ist bei Heidegger nicht das Subjekt der Tradition, „sondern die Möglichkeit einer Selbstreflexion, die das Befragte, das Erfragte und das Fragen als Einheit fasst und diese nicht in abstrakten und generalisierenden Kategorien (Urteilen) fixiert“ (Willem van Reijen: Martin Heidegger, S. 17f.). 395 Vgl. ebd., S. 313f. 396 Hans Urs von Balthasar: W, S. 12. 389 53 sein des Seins aufleuchtet“.397 Die Tiefsten und aussagekräftigsten Versuche, das, was mit Realdistinktion gemeint ist, in seiner Denkform zu erfassen, bieten die Abschnitte „Geheimnis des Seins“ (S. 107-113) und „Situation“ (S. 217-221). Balthasar nennt Dasein und Sosein die zwei Pole des Seins, wobei jeder Pol für sich geheimnisvoll und bestaunenswert ist. Die Pole seien aufeinander bezogen. Sie seien nicht wie bei einer Komposition zusammengesetzt, sondern es herrsche ein „strenges Durcheinander der Spannungspole“.398 Deshalb könne es nicht gelingen, die beiden Pole gedanklich so zu trennen, dass man das Geheimnis des Seins lösen kann. Der Zusammenhang zwischen Existenz und Essenz sei seinsmäßig so eng, dass man allein vom Geheimnischarakter von Existenz und Essenz sprechen kann. Man müsse feststellen, dass das Sein als solches das Geheimnis hinter den Geheimnissen der beiden Pole ist.399 Jeder der beiden Pole könne nicht auf Kosten des anderen als geheimnisvoll erklärt werden, denn schon allein, dass ein Ding oder eine Person existiert, ist wunderbar und im höchsten Maße geheimnisvoll. Sobald man den Eindruck habe, entweder das Dasein oder das Sosein begriffen zu haben, würde man erkennen, dass sofort auf den anderen Pol als Geheimnis verwiesen wird.400 Balthasar bemerkt: „Mag das Denken sich so klug gebärden, wie es will, mag es die höchsten Türme der Spekulation über Wesen und Sein errichtet haben, immer wird es durch die schlichte Tatsache, dass überhaupt etwas ist, dass ein Ding auftaucht aus dem Nichts, dass es Dasein dem Nichtsein vorzieht, dass es die unfassliche Gnade hat, vorhanden zu sein und sich als unerschöpflicher Gegenstand einer Erkenntnis darzubieten, wie von höchster Offenbarung zu Boden geschleudert zu werden.“401 In diesem Kontext verweist Balthasar auf die menschliche Existenz. Auch die Existentialphilosophie müsse feststellen, dass man die Existenz des Menschen nicht von seinem Wesen trennen könne.402 Er schreibt: „Den Intimitätscharakter eines einzelnen Wesens erforschen, die Frage seiner Einmaligkeit, seiner Personalität aufwerfen, heißt zugleich nach seiner Essenz und Existenz fragen.“403 Im Abschnitt „Situation“ wird der Gedankengang vertieft und erweitert. Balthasar weist noch einmal darauf hin, wie Dasein und Sosein aufeinander bezogen sind. Er nennt diese Beziehung „innerseinshafte Bewegung,“404 die er in dreifacher Weise entfaltet.405 Erstens: „Dasein erscheint (als existentia) als jenes Moment am Seienden, das wesenhaft außerhalb der Reihe der Soseins-Eigenschaften steht, das ihnen »zukommt« (esse accidens) oder, wenn das Wesen ein nur gedachtes, nur mögliches ist, jetzt nicht, oder überhaupt nicht zukommt.“406 397 Ebd., S. 220. Ebd., S. 110. 399 Vgl. ebd., S. 110. 400 Vgl. ebd., S. 112. 401 Ebd., S. 111. 402 Vgl. ebd., S. 111. 403 Ebd. 404 Vgl. ebd., S. 218.. 405 Vgl. Werner Löser: Im Geiste des Origenes: Hans Urs von Balthasar als Interpret der Theologie der Kirchenväter. Frankfurter Theologische Studien, Bd. 23 (Frankfurt a.M. 1976) , S.19 ff. 406 Hans Urs von Balthasar: W, S. 218. 398 54 Zweitens: „Das, was es in irgendeinem Querschnitt seines Lebens gerade ist, ist nur ein verschwindender Teil seines gesamten Wesens und verhält sich zu diesem wie der mikroskopische Schnitt zur ganzen Fülle. Das Wesen ist also weit davon entfernt, jeweils verwirklicht zu sein, es ist wie eine überzeitliche Idee, die sich als einheitlicher Plan während des ganzen Ablaufs eines Daseins durchhält, aber auch wie eine plastische Potenz, die sich in diesem Dasein fortschreitend entwickelt und darstellt.“407 Bei den ersten beiden „innerseinshaften Bewegungen“ erscheint das Sosein als der bedeutendere, reichere Pol. Bei der dritten der „innerseinshaften Bewegungen“ erscheint das Dasein als einer der beiden Pole in seiner unbegrenzten Fülle. Balthasar führt dazu aus: „Es kann endlich das weltliche Dasein betrachtet werden als die gleichsam aus der Fülle des Seins herausgetretene Form des Seins (Existentia im wörtlichen Sinn), deren Außenseite sich kundgibt an dem diese Fülle beschränkenden Umriß des Wesens (quidditas als limitatio des esse), das doch im Bestreben, an der Fülle Anteil zu behalten und sich dadurch im Sein zu halten, von der ewigen Ganzheit das Sein, das jeweils-jetzt-sein zugemessen bekommt.“408 3.2.2.1 Realdistinktion und Zeit Im Abschnitt „Situation“ beschreibt Balthasar den Zeitcharakter des Seins und der Wahrheit in Anlehnung an Heidegger als ontologischen Sachverhalt: „Wie immer man die Bewegung des geschöpflichen Seins betrachten mag, soviel wird klar, dass sich die geheimnisvolle Nichtidentität zwischen Wesen und Dasein innig berührt mit dem Phänomen der Zeit, ja, mit diesem, soweit die Zeit ein ontologisch grundlegender Sachverhalt ist, sogar deckt.“ 409 Sein und Zeit seien zwar nicht identisch, aber Zeit sei eine fundamentale Eigenschaft der Schöpfung und ihre Analyse könne zu einer Erhellung der Polarität zwischen Dasein und Sosein beitragen. Werner Löser weist darauf hin, dass sich die Scholastik zu wenig mit dem Phänomen der Zeit auseinandergesetzt habe.410 Obwohl die Zeit zwar der Welt und der Schöpfung zugeordnet werden müsse und vergänglich sei, wehrt sich Balthasar gegen eine negative Kritik der Zeit. Sie verfüge über „Wesensmomente“, „welche auch positiv einen Abglanz, eine Ähnlichkeit und Nachahmung des ewigen Seins darbieten.“411 Man dürfe in der Zeit nicht nur negative Eigenschaften erkennen, die sie von der Ewigkeit trennen.412 Über diese positiven Eigenschaften der Zeit sinnt Balthasar nach im Kontext des Begriffs „Situation“. Das Sein als Enthülltheit des Seins zeige sich zunächst in der konkreten Situation als Gegenwart. Das gegenwärtige Dasein habe die Seinsform des Inchoativen, d.h. in der Gegenwart sei der Beginn von etwas Zukünftigen angelegt. 413 „Zukunft ist keine neben der Gegenwart liegende, von ihr trennbare Zuständlichkeit des Seins oder der Zeit, sondern eine 407 Ebd., S. 218f. Ebd., S. 219. 409 Ebd. 410 Werner Löser: Im Geiste des Origenes, S. 27. 411 Hans Urs von Balthasar:W, S. 220f. 412 Vgl. ebd. 413 Vgl. ebd., S. 221. 408 55 Richtung der Gegenwart oder und des Daseins selbst. Kraft dieser immanenten Zukünftigkeit ist das Dasein wesentlich unabgeschlossen, mehr: es ist wesentlich Anfang, Verheißung, Hoffnung, Entspringen, es hat die Seinsform des jeweils gerade Beginnens, des Inchoativen, oder, was dasselbe besagt, die Richtung auf Sein hin, also auf mehr Sein als was jeweils ist; es hat somit komparativen Charakter.“414 Was bedeutet das für den Menschen? In jeder einzelnen Situation erkenne der Mensch den überzeitlichen und allgemeingültigen Anspruch der Wahrheit. Dadurch erhalte jede Situation, die als solche vergänglich ist und sich nicht wiederholt, ein „unendliches, ewiges Gewicht“.415 Geschichte sei die Summe aller Situationen der Wahrheit.416 Die Geschichtlichkeit der Wahrheit bringe es mit sich, dass das Suchen und Finden der Wahrheit nie zu einem Ende kommen könne. Das Individuum entscheide sich in jeder Situation nicht nur im Sinne seiner privaten Wahrheit, sondern im Dialog mit anderen Individuen im Lichte der Gesamtwahrheit, die nur in Gott gefunden werden könne. Balthasar plädiert für eine identische Wahrheit und ein identisches Wesen, d.h. er lehnt den „historischen Relativismus“417 ab. Wir könnten im Sinne Leopold von Rankes von einer »Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott« sprechen, d.h. die großen Denker der Weltgeschichte hätten im Rahmen ihrer Epoche über den jeweiligen Anspruch der Wahrheit für ihr Leben nachgedacht und entsprechend gehandelt.418 Diese Analyse passt zu Balthasars Verständnis zwischen Partikulärem und Allgemeinen, d.h., dass das Einmalige jeder historischen Situation bei jeder Reflexion mitberücksichtigt werden müsse.419 Festzuhalten bleibt, dass Balthasar die Schöpfung und damit auch die Zeit in einem positiven Licht sieht. 3.2.2.2 Realdistinktion und Gottesbeweis Die Unterscheidung zwischen Existenz und Essenz weist auf die Endlichkeit des geschaffenen Seins als dessen wichtigste Eigenschaft hin.420 Die Endlichkeit des Seins liegt im geschöpflichen Sein selbst, wo eine Spannung herrscht zwischen universaler und individueller Einheit, zwischen Existenz und Essenz, zwischen Faktizität und Nezessität.421 Nur Gott erweist sich als unendlich. Die Kontingenz des geschöpflichen Seins deutet hin auf den Grund allen Seins, auf Gott. Die menschliche Vernunft transzendiert die Endlichkeit des weltlichen Seins auf Gottes unendliches Sein hin.422 Ebenso wie das geschaffene Sein ist auch die weltliche Wahrheit geschöpflich und folglich kontingent. „Kontingenz ist eine innere Qualität der weltlichen Wahrheit [...].“423Auch bei der geschaffenen Wahrheit gilt der „Schluß vom Kontingenten auf das Unbedingte“.424 Es handelt sich dabei um ein zentrales Element 414 Ebd. Ebd., S. 223. 416 Vgl. ebd., S. 230. 417 Vgl. ebd., S. 223. 418 Vgl. ebd. 419 Vgl. ebd., S. 223f. 420 Vgl. Werner Löser: Im Geiste des Origenes, S. 28; Hans Urs von Balthasar: W, S. 278. 421 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 283ff. 422 Vgl. ebd., S. 288. 423 Ebd., S. 260. 424 Werner Löser: Im Geiste des Origenes, S. 28. 415 56 der Lehre von der Analogia entis,425 über die noch ausführlicher zu sprechen sein wird. Balthasar hat sich nach der Erschließung der Seinsphilosophie mit Hilfe seines Mentors Przywaras lange Zeit immer wieder neu mit der Lehre von der Realdistinktion zwischen Sein und Wesen befasst. Sie war für ihn der wichtigste Baustein, „den eine ihre scholastische Tradition nicht verleugnende christliche Philosophie zum philosophischen Gespräch beisteuern kann“426 – dies vor allem im Dialog mit der Lebens- und Existentialphilosophie.427 Darauf detaillierter einzugehen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 3.2.3 Metaphysik der Singularität Die „Metaphysik der Singularität“ ist ein zentrales Thema in Balthasars Seinsphilosophie. Er beschäftigte sich intensiv mit dieser Thematik in Auseinandersetzung mit dem Faschismus, der das Individuum zu zerstören trachtete.428Im Gegensatz zur Geschichte des abendländischen Denkens steht für ihn die Vorrangigkeit des Singulären vor dem Allgemeinen – sowohl seins- als auch erkenntnismäßig – fest.429 „Kants kopernikanische Wende ist in gewisser Hinsicht nichts anderes als eine Verstärkung des die Philosophiegeschichte bereits bestimmenden Primats des Allgemeinen.“430 Balthasar begründet seinen Standpunkt auch theologisch, indem er sich auf die Einmaligkeit des Personseins Gottes beruft. Aufgrund der Schöpfungsanalogie müsse es einen Vorrang des Individuellen vor dem Allgemeinen geben.431 Inwiefern diese Umkehrung der Prioritäten auch im Zusammenhang mit der thomanisch-thomistischen Lehre von der Realdistinktion steht, soll hier nicht herausgearbeitet werden. Aber eines ist klar: Balthasar sieht ein gegenseitiges Verhältnis zwischen Dasein und Sosein, „[…] ein gegenseitiges Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen, das dem früher beschriebenen zwischen Wesen und Dasein analog ist […].“432 In Wahrheit der Welt setzt sich Balthasar auf verschiedenen Ebenen mit der „Metaphysik der Singularität“ auseinander433 und zeigt am Beispiel des Menschen eindrucksvoll, wie er sich das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen vorstellt.434 Das Bewusstsein erfasse zunächst etwas Partikuläres, nämlich einen einzelnen Menschen mit seinem individuellen Charakter und Schicksal. „Was Mensch im Wesen ist, was er im Umfang vermag, was seine Tiefe und Breite ist, das kann allein der Einzelne zeigen. Und so enthält er jeweils das Ganze in sich (denn es fehlt ihm nichts an der Menschennatur), obwohl das Ganze ihn unendlich übersteigt (da es sich in einer unendlichen Zahl anderer 425 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 288. Werner Löser: Im Geiste des Origenes, S. 28. 427 Vgl. ebd., S. 22f. 428 Vgl. Jörg Disse: Metaphysik der Singularität. Eine Hinführung am Leitfaden der Philosophie Hans Urs von Balthasars (Freiburg i.Br. 1994), S. 11. 429 Vgl. ebd., S. 6. 430 Ebd., S. 2. 431 Vgl. ebd., S. 11. 432 Hans Urs von Balthasar: W, S. 172. 433 Vgl. ebd., S. 53; 55; 81f; 92; 169f.; 186f.; 202f.; 209f; 212f. 434 Ebd., S. 169f. 426 57 Erscheinungen manifestiert).“435 Nur durch das Erfassen des Partikulären könne der Mensch erfahren, was das Allgemeine ist, denn das Besondere enthalte das Allgemeine in sich wie das Allgemeine das Besondere.436 „Das Allgemeine ist im Individuellen allein verwirklicht, und zwar so, dass dieses jeweils einen unerklärlichen Überschuß über das Allgemeine bedeutet.“437 Aber Balthasar sieht in diesem Kontext auch eine Demütigung für die geistige Person, denn auch in ihrer Einmaligkeit, in allen ihren Äußerungen wird immer das zu sehen sein, was dem Menschen zugeordnet werden müsse.438 Er unterscheidet zwischen zwei Einheitszentren, nämlich dem Individuum (Wesen) und der Person (Sein). „Indem nun jeder Mensch sowohl Individuum seiner Gattung wie unverwechselbare Person ist, wird in der geheimnisvollsten Weise nach zwei Zentren hin polarisiert. Er ist die Einheit, die er ist, auf eine völlig unerklärliche Weise. Denn wird er als Individuum betrachtet, so bildet sein Wesen seine Einheit, also das, was ihn mit den anderen Individuen seiner Gattung verbindet. Seine individuellen Merkmale nehmen sich diesem Wesen nur wie akzidentelle Unterscheidungen aus. Wird er aber als Person betrachtet, so bildet diese seine Einheit, also gerade das, was ihn gegenüber allen anderen Wesen nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ unterscheidet, und die gemeinsamen Merkmale, die ihn mit anderen verbinden, erscheinen dieser unauflöslichen Einheit gegenüber als akzidentelle Ähnlichkeiten.“439 An anderer Stelle in „Welt der Bilder“ spürt Balthasar den Auswirkungen dieser Sachverhalte auf die Erkenntnisebene nach. Auf der Erkenntnisebene befasse sich der Mensch bewusst mit der Polarität zwischen dem allgemeinen und dem Besonderen und dem Problem der beiden Formen der Einheit.440 Er erkenne, dass beide Formen der Einheit reale ontologische Formen der Einheit sind.441 Indem er die arthafte Einheit betrachtet, verstehe er, dass der Mensch auf ein „Du“ hin angelegt ist, indem er die individuelle Einheit betrachtet, erkenne er sich als Individuum.442 „Ebenso ursprünglich, wie ein Mensch weiß, dass er Mensch ist, weiß er auch, dass er ein Mensch unter Menschen ist.“443 Das bedeutet, dass der Mensch nicht nur zum Bewusstsein seiner eigenen Identität gelangt, sondern auch zum Bewusstsein eines menschlichen Gegenüber. Der Gedanke an ein „Du“, an einen Dialogpartner durchzieht Balthasars Philosophie und Theologie. Vor allem in seiner „Trilogie“ tritt er ein in einen Dialog mit allen bedeutenden Philosophen und Theologen der abendländischen Geschichte. In diesem Dialog erscheint die Wahrheit in subjektiver Form, denn jede Person vertritt zunächst ihre eigene persönliche Wahrheit in einer individuell einmaligen Situation des eigenen Lebens in einer bestimmten historischen Epoche. 435 Ebd., S. 171. Vgl. ebd., S. 169f. 437 Ebd., S. 172. 438 Vgl. ebd., S. 171. 439 Ebd., S. 173. 440 Vgl. ebd., S. 187. 441 Vgl. ebd. 442 Vgl. ebd. 443 Ebd. 436 58 3.2.4 Der analoge Charakter des Seins „Balthasars Metaphysik ist eine Metaphysik der Seinsanalogie.“444 Wie sein Mentor Przywara ist von Balthasar davon überzeugt, dass der Analogiesatz am klarsten in der Formel des IV. Laterankonzils (1215) zum Ausdruck kommt. Dort heißt es: „[…] inter creaturam et creatorem non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda“ (DS 432).445 Diese Strukturformel umreißt jede mögliche Beziehung zwischen Gott und Welt.”446 Der Analogiesatz enthält in der Formulierung des IV. Laterankonzils einen negativen Komparativ („maior dissimilitudo“). Der größeren Unähnlichkeit zwischen Geschöpf und Schöpfer korreliert eine gewisse Ähnlichkeit. In der Ähnlichkeit zeigt der Komparativ sein positives Gesicht.“447 In Wahrheit der Welt spielt der Komparativ an mehreren Stellen eine wichtige Rolle. 448 Als erstes möchte ich auf den positiven Aspekt des Seins und der Wahrheit zu sprechen kommen, um dann auf die Schöpfer-Geschöpf-Relation einzugehen. Was versteht Balthasar unter Positivität bzw. Fülle des Seins und der Wahrheit? Zunächst bedeutet Fülle des Seins ein „ewiges Mehr“. Man kann diese Fülle nicht in Begriffe fassen. Man kann sich keinen »Über-blick« darüber verschaffen, was mit Sein und Wahrheit gemeint ist.449 Das hängt mit dem geheimnisvollen Charakter des Seins und der Wahrheit zusammen, die jeweils reicher sind, als was der Mensch zu erkennen in der Lage ist. Auch das, was schon bei der Beschreibung der Realdistinktion von Dasein und Sosein über den inchoativen Charakter der Gegenwart gesagt wurde, also über die Richtung des Seins und der Wahrheit auf die Zukunft, auf ein Mehr hin, gilt Balthasar als „einer der positivsten, unüberholbarsten Aspekte des Seins“.450 Ganz besonders erstrahlt das Positive des Seins und der Wahrheit aber in der Schönheit der geschaffenen Welt. – Zum Charakter der Schönheit wird noch Genaueres im Abschnitt über die Transzendentalien gesagt werden müssen. – Die Haltung des Menschen gegenüber dem positiven Charakter des Seins und der Wahrheit ist die Haltung der Demut und nicht „eine unbekümmerte existentialphilosophische Pose“.451 An zweiter Stelle möchte ich die Schöpfer-Geschöpf-Relation vorstellen, die im Zentrum der Formel des IV. Laterankonzils steht. Balthasar greift dieses Thema im letzten Kapitel seines Buches Wahrheit der Welt auf.452 Er geht nicht von einer Definition der Seinsanalogie aus, wie man sie in philosophischen Wörterbüchern finden kann.453 Vielmehr umschreibt er, seiner phänomenologischen Methode folgend, facettenreich und nicht einfach zu verstehen, auf 444 Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 108. Vgl. Werner Löser: Im Geiste des Origenes, S. 29. 446 Ebd., S. 29. 447 Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 108. 448 Hans Urs von Balthasar: W, S. 15; 112-113; 156-157; 214; 221; 254; 261; 267-268; 298. 449 Vgl. ebd., S. 156. 450 Ebd., S. 157. 451 Ebd., S. 214. 452 Vgl. ebd., S. 261; 263; 264; 69-274; 277-278; 291-292; 297; 306. 453 Z.B. Johannes B. Lotz: „Analogie“. In: Walter Brugger (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 10., verbesserte Auflage (Freiburg 1963) S. 9. 445 59 mehr als 40 Seiten, wie er sich dem Thema der Analogie annähert. Man kann das Bemühen erkennen, fast allen möglichen Beziehungen zwischen Gott und seiner Schöpfung nachzuspüren. Auf der einen Seite versucht er den Weg zur Erkenntnis Gottes über die Schöpfung offenzuhalten (gegen den Agnostizismus), andererseits ein Ineinanderfallen von Gott und Welt auszuschließen (gegen den Pantheismus). Er erforscht die Schöpfungsanalogie und die Beziehungen der innerweltlichen Analogie zur Schöpfungsanalogie und schreibt: „Die durch die Schöpfung hergestellte Analogie zwischen Gott und Geschöpf ist so beschaffen, dass sie mit jeder anderen Analogie nur analog übereinkommt. Daß nun dennoch eine solche Analogie der Analogie tatsächlich besteht, das folgt aus dem Wesen der jede innerweltliche Analogie begründenden Analogie der Schöpfungsoffenbarung Gottes.“454 Das bedeutet, dass die innerweltlichen Analogien ihr Maß in der Schöpfungsanalogie haben, dass also die Schöpfungsanalogie einzigartig gegenüber allen anderen Analogien ist. Die innerweltlichen Analogien können hilfreich sein, das Wesen der Schöpfungsanalogie zu verstehen, „zumal dabei in letzter Instanz doch wieder das Innerweltliche durch das Zwischen-Gott-Weltliche seine entscheidende Deutung erhält.“455 Die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf kann nicht auf einen univoken Nenner gebracht werden. Das hängt mit den besonderen Eigenschaften der Analogate (SchöpferGeschöpf) zusammen. Denn Gott ist im Gegensatz zum geschöpflichen Sein nicht kontingent. Gott erfasst das Wesen der Geschöpfe unmittelbar. Das Geschöpf ist in allem, auch in seiner Erkenntnis kontingent. Geschöpfliche Erkenntnis ist an die Zeichensprache der Dinge gebunden.456 Das gilt auch für die Erkenntnis Gottes, die ohne Deutung menschlicher Zeichen undenkbar ist. Das Verhältnis zwischen Gott und Geschöpf hängt vollständig von Gott ab, d.h. der Mensch ist in seinem ganzen Sein an Gott und Gottes Wahrheit gebunden. „Eine analoge Vermittlung zwischen der göttlichen und weltlichen Wahrheit scheint in der transzendenten Analogie die Sphäre der »Ideen« oder »Urbilder« anzunehmen.“457 Balthasar warnt aber gleichzeitig vor der Annahme einer Ideensphäre zwischen Gott und der Welt.458 Sie hätte die Verneinung der Willensfreiheit Gottes zur Folge und würde zu einer „Art Gnosis oder Pantheismus“459 führen. Urbilder der Schöpfung können nur von Gott selbst in freier Entscheidung hervorgebracht werden. „Stünde die Freiheit in Gott den Ideen so gegenüber wie der platonische Demiurg seiner Ideenwelt, so hätte das Geschöpf an diesen Ideen (possibilia) eine Appellationsinstanz, die von der Souveränität der göttlichen Verfügung unabhängig wäre.“460 Von der Realdistinktion von Dasein und Sosein her gesehen, wäre allein das Dasein ein Zeichen dafür, dass die Geschöpfe geschaffen sind, „während ihr Wesen sich 454 Hans Urs von Balthasar: W, S. 263. Ebd. 456 Ebd., S. 265. 457 Ebd., S. 270. 458 Vgl. ebd., S. 271. 459 Ebd. 460 Ebd., S. 274. 455 60 in einer Art mystischen Einheit mit den notwendigen »Ideen« und naturgegebenen Nachahmungsmöglichkeiten Gottes befinden würde.“461 Von Bedeutung ist auch der Gedanke der „Analogie der Situation“. Von dem Zeitcharakter der „Situation“ war schon im Rahmen der Realdistinktion die Rede. Bei der Analyse der „Analogie der Situation“ kommt ein neuer Gesichtspunkt hinzu. Die Wahrheit trifft den Menschen in einer bestimmten Situation, an einem bestimmten Punkt seiner Existenz, in einer bestimmten historischen Epoche. Jede Situation des menschlichen Lebens ist einmalig und unwiederholbar und damit von existentieller Bedeutung. Die existentielle Bedeutung wird umso deutlicher, je mehr wir erkennen, dass hinter der weltlichen die göttliche Wahrheit erkennbar wird. Hier, wo weltliche und göttliche Wahrheit aufeinander treffen, kommt der analoge Charakter der Situation zum Vorschein.462 Balthasar formuliert diesen Sachverhalt folgendermaßen: „So wird auch eine Analogie der Situation deutlich: die Vergänglichkeit des weltlichen Augenblicks, die als solche die betonte Nicht-Ewigkeit der irdischen Daseinsform anzeigt, wird zum Ort und Mittel, dessen die Ewigkeit sich bedient, um ihre unvergängliche Intensität anzuzeigen. Gerade weil hinter dem vergänglichen Augenblick die unvergängliche Ewigkeit steht, ist die Vergänglichkeit so aufregend, so kostbar, so fordernd.“463 3.2.5 Die transzendentalen Bestimmungen des Seins Die Auseinandersetzung mit der Seinsphilosophie hatte Balthasar dazu geführt, die Transzendentalien als koextensive Eigenschaften des Seins zu erfassen (siehe 1.2.2.). „Wahrheit, Gutheit und Schönheit sind so sehr transzendente Eigenschaften des Seins, dass sie nur ineinander und durcheinander begriffen werden können.“464 Schon in der Einleitung zur ersten Ausgabe von Wahrheit der Welt heißt es: „So stellt sich die die ganze elementare Forderung einer Ethik und Ästhetik der Wahrheit und der Wahrheitserkenntnis aus der Einsicht heraus, dass nur die drei transzendentalen Bestimmungen des Seins dessen inneren Reichtum offenbaren, wie er ist, d.h. seine Wahrheit enthüllen, dass folglich auch nur eine dauernde lebendige Einheit der theoretischen, ethischen und ästhetischen Haltung wahre Erkenntnis des Seins vermitteln kann.“465 Zwar lassen sich die transzendentalen Bestimmungen des Seins formal trennen, aber eine isolierte Betrachtungsweise der Wahrheit auf rein theoretische Sachverhalte führt zum Rationalismus. Dann wäre das Gute und das Schöne rational nicht mehr überprüfbar und würde zu einer Angelegenheit des privaten Geschmacks, der persönlichen Willkür.466 Wenn die Wahrheit von der persönlichen Entscheidung (Ethik) getrennt wird, kann der persönlichen Entscheidung keine Wahrheit zugesprochen werden.467 Balthasar verweist zur Untermauerung seiner Seinsphilosophie auf 461 Ebd., S. 274. Vgl. ebd., S. 276. 463 Ebd., S. 277. 464 Ebd., S. 255 465 Ebd., S. 18. 466 Vgl. ebd., S. 19. 467 Vgl. ebd. 462 61 den englischen Theologen Henry Newman, der schon vor ihm auf die Gefahren einer Trennung von theoretischer und ethischer Haltung hingewiesen hat. Eine solche Trennung hätte Auswirkungen auf „das theologische Problem von Glauben und Wissen“468; d.h. Glauben und Wissen hätten nichts mehr miteinander zu tun. Fundamentaltheologie und Seinsphilosophie wären hinfällig. Im Abschnitt „Wahr, Gut, Schön“ versucht Balthasar eine zusammenhängende Darstellung der transzendentalen Bestimmungen des Seins, um den Geheimnischarakter der weltlichen Wahrheit in Bezug zur göttlichen Wahrheit deutlicher darstellen zu können. 469 Die Wahrheit als „Erschlossenheit des Seins“ (siehe Heideggers Begrifflichkeit) setzt die Seinsbewegung des Sicherschließens voraus.470 Bei der Erschließung des Seins geht es um einen Akt, an dessen Ursprung der Seinsgrund steht. „Am Ziel und Ende des Aktes steht die Erscheinung als das Ausgedrückte.471 Grundlegend bei dieser Seinsbewegung sind Lichtung und Maß; man beachte hier die Parallele zu Heideggers Begriff der „Lichtung des Seins“. Der Seinsgrund wird, indem er erscheint „für sich und andere Licht; er ist in der Bewegung der Mitteilung begriffen, in der er sich und Anderen erfassbar wird. Aber er ist nur, sofern er darin sein eigenes Maß erhält: als Bild sich selber seinen Grund gegenübergestellt und im Bild als Grund sich erfasst.“472 Auf diese Weise tritt das Wesen der Dinge hervor, d.h. das Sein erschließt sich als Wahrheit473; auch hier zeigt sich eine Parallele zu Heidegger. Die Bewegung könne auch gegenläufig dargestellt werden: als Bewegung vom An-sich-sein (bloße Erscheinung) in den Seinsgrund hinein.474 Beim Guten handelt es sich um einen Wert, der über das Wahre hinausgeht, da die bloße formale Entsprechung zwischen Grund und Bild noch keinen Wert darstellt.475 Das Sein erhält seinen Wert durch die Mitteilung des inneren Gehaltes des Seinsgrundes. Indem das Sein seinen inneren Gehalt mitteilt, wird es zu einem „gehaltvollen Sein“. 476 „Sofern also der Grund des Seins die Mitteilung selbst ist, ist er unmittelbar eins mit dem Guten; das heißt mit der sich grundlos schenkenden Liebe.“477 Das Gute erschließt sich entsprechend dem Wahren im bewegten Verhältnis zwischen Grund und Erscheinung.478 Es entspricht 1. das Mitteilende dem Seinsgrund, 2. das Mitgeteilte dem Sein als Erscheinung, 468 Ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 246-255. 470 Ebd., S. 247. 471 Ebd. 472 Vgl. ebd., S. 248. 473 Vgl. ebd., S. 249. 474 Vgl. ebd., S. 247. 475 Vgl. ebd., S. 251 476 Vgl. ebd., S. 249. 477 Ebd., S. 250. 478 Vgl. ebd., S. 249. 469 62 3. die Mitteilung selbst der Bewegung vom Grund zu Erscheinung.479 In dieser Bewegung geht das Sein über das „Für-sich-allein-sein“ hinaus, teilt sich öffnend mit und so wächst ihm ein einmaliger Wert zu.480 Balthasar macht an dieser Stelle auf die Gefahren von Subjektivismus und Relativismus aufmerksam, die drohen, wenn man dem Missverständnis erliegen würde, als Begründung für das Gute nur das persönliche Bedürfnis des je einzelnen Menschen gelten zu lassen.481 Die Befriedigung des je persönlichen Bedürfnisses ist nicht der entscheidende Grund des Guten, denn das Gute ist im angestrebtenund nicht im strebenden Sein grundgelegt („bonum est principaliter in re“)482 Die Vollendung des Begriffs des Guten sieht Balthasar im Zusammenklang zwischen dem Sein, das sich „neidlos“ mitteilt und der „Entsprechung zwischen Grund und Erscheinung“.483 Die Schönheit ist die dritte transzendentale Bestimmung des Seins. Auch sie kann man – ebenso wie Wahrheit und Gutheit – nicht einfach definieren. Das liegt an dem Geheimnischarakter ihres Daseins und ihres Wesens, an dem Je-mehr-sein, das nicht durch Worte ausgedrückt werden kann. Denn „Schönheit“, so Balthasar, „ist […] nichts anderes als das unmittelbare Hervortreten der Grundlosigkeit des Grundes aus allem Begründeten. Sie ist die Transparenz durch alle Erscheinungen hindurch des geheimnisvollen Hintergrundes des Seins. Darin ist sie zunächst unmittelbare Offenbarung des nicht zu bewältigenden Überschusses an Offenbarung in allem Geoffenbarten, des ewigen Je-mehr, das im Wesen des Seienden selbst liegt. Es ist nicht nur die einfache Entsprechung zwischen Wesen und Erscheinung, die das ästhetische Wohlgefallen erregt, sondern die völlig unbegreifliche Feststellung, dass das Wesen wirklich in der Erscheinung (die doch das Wesen nicht ist) erscheint als ein Wesen, das ewig mehr ist als es selbst, das also nie endgültig erscheinen kann.“484 In diesem Erscheinen erstrahle das Wahre und Gute „um seiner selbst willen.“485 – Auf die Transzendentalien wurde schon kurz unter 2.2.2 („Der seinphilosophische Aspekt der Phänomenologie von Balthasars“) eingegangen. 3.2.6 Subjekt-Objekt Balthasar nennt das Seiende Subjekt, das reflektierend, rezeptiv und spontan im Horizont des Seins sich selber und das Sein im Ganzen als seiend erkennt: „Indem es sich […] als seiend erkennt, begreift es zugleich, was Sein im ganzen ist […].“486 Balthasar spricht von der Seinserschlossenheit487 als einer objektiven Eigenschaft des Subjekts.488 Auch die folgende 479 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 250. 481 Vgl. ebd. S. 252. 482 Ebd. 483 Ebd., S. 251. 484 Ebd., S. 253f. 485 Ebd., S. 254. 486 Ebd., S. 35. 487 „Seinserschlossenheit“ bezieht sich bei Heidegger auf das Dasein in seinem In-der-Welt-sein, das nach dem Sinn von Sein fragt. Seinserschlossenheit bei Balthasar umfasst auch in analoger Weise das unendliche Sein. 488 Vgl. ebd., S. 32. 480 63 Feststellung Balthasars über das Wesen des Subjekts zeigt eine große Nähe zu Heideggers Begriffswelt in Sein und Zeit: „Sofern es sich selber enthüllt und nicht länger verborgen ist, ist es ein inwendig lichtes, sich selber erhelltes und durchsichtiges Sein; sein Sein hat die Form des Selbstbewusstseins.489 „Selbstbewusstsein“ meint, dass das Subjekt ein Seiendes ist, das sich seiner selbst bewusst ist, indem es sich als Seiendes erkennt. Bewusstsein bezieht sich intentional auch auf andere Subjekte und auf, wie Heidegger sagen würde, nicht daseinsmäßiges Sein. Balthasar nennt die Dinge, die dem Subjekt zugleich gegenüberstehen und innerlich sind, Objekte. Das Subjekt braucht die Objekte, um sich selbst zu erkennen: „Die Selbsterkenntnis des Subjekts bedarf zu ihrer Verwirklichung des Umweges über die Fremderkenntnis; erst in seinem Ausgehen aus sich selbst, in seiner schöpferischen Dienstleistung an der Welt, erfährt das Subjekt seinen Sinn und damit sein Wesen.“490 Erkenntnis setzt bei den geschaffenen Subjekten die Objekte voraus. „Das Objekt tritt als sinnenhaftes Bild in den Wahrnehmungsraum des sinnlich-geistigen Subjekts. Die Spontaneität des intellectus agens verwandelt die species impressa in eine species expressa.“491 In welchem Verhältnis steht nun das Erkennen eines Subjektes (geschaffenes Sein) zum Erkennen Gottes, dem Schöpfer aller Dinge? Beim menschlichen Subjekt ist die Entdeckung eines leeren, grenzenlosen Horizonts von Sein Ausgangspunkt „zur Ermöglichung jeder beliebigen Erkenntnis von Objekten.“492 Menschliche Erkenntnis des Seins – und damit der Wahrheit der Dinge – ist kontingent. Dem endlichen Sein wird mit Evidenz bewusst, dass das eigene Sein und alle anderen endlichen Seienden mit Notwendigkeit kontingent sind. Ebenso wird ihm mit Evidenz klar, dass endliches und unendliches Sein nicht identisch sind.493 Dagegen sind das Sein und die Wahrheit Gottes transzendent und nicht geschaffen. Gott und Mensch unterscheiden sich letztendlich dadurch, dass Gott (das Sein selbst) aus sich heraus existiert, „während das Seiende durch Teilhabe am Sein ist.“494 3.2.7 Fazit Im Jahre 1947 veröffentlichte Balthasar sein wichtigstes philosophisches Werk Wahrheit der Welt, dass er Jahre später als Theologik I vollständig und unverändert in seine Summe der Theologie, die „Trilogie“ übernahm. Wahrheit ist ein Bekenntnis zu den Fähigkeiten der menschlichen Vernunft, Sein und Wahrheit zu erkennen. Dabei ist die Wahrheit eine transzendentale Eigenschaft des Seins. Da wo das Sein ist, ist auch die Wahrheit und umgekehrt. Wie Thomas von Aquin ist Balthasar davon überzeugt, dass Glaube und Vernunft zusammengehören. Dabei beschränkt sich von Balthasars Liebe zur Philosophie nicht auf eine Schule der Philosophie, obwohl man eine gewisse Bevorzugung des Aquinaten herauszulesen 489 Ebd., S. 35. Ebd., S. 58. 491 Martin Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 87f. 492 Hans Urs von Balthasar: W, S. 258. 493 Ebd., S. 258f. 494 Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 47. 490 64 geneigt ist: Erstens, weil er nur Thomas von Aquin zitiert und zweitens sich in seiner Seinslehre (Realdistinktion) an Thomas anlehnt. Er präsentiert sein Denken über das Sein und die Wahrheit nicht in trockenen Lehrsätzen, sondern in Gestalten. Man ist als Leser gezwungen, seine Philosophie in mühseliger Kleinstarbeit zu eruieren. Beeinflusst durch seinen Mentor Przywara (Analogia entis) und später durch seinen Freund Gustav Siewerth (Realdistinktion), einem Schüler Heideggers, entwickelt er ein positives Seinsverständnis, indem er sich klar vom univoken Seinsbegriff des Franz Suarez löst und in der thomanischthomistischen Lehre von der Realdistinktion (distinctio realis) einen „wichtigen Baustein“ einer mit der Tradition (philosophia perennis) verbundenen Philosophie für einen Dialog mit der Lebens- und Existentialphilosophie erblickt. Die Auseinandersetzung mit der Seinsphilosophie führte Balthasar dazu, die Transzendentalien als koextensive Eigenschaften des Seins zu erfassen. Schon in der Einleitung zur ersten Ausgabe von Wahrheit der Welt (1947) hebt er die Bedeutung der Transzendentalien hervor: „So stellt sich die ganze elementare Forderung einer Ethik und Ästhetik der Wahrheit und der Wahrheitserkenntnis aus der Einsicht heraus, dass nur die transzendentalen Bestimmungen des Seins dessen inneren Reichtum offenbaren, wie er ist, d.h. seine Wahrheit enthüllen, das folglich auch nur eine lebendige Einheit der theoretischen, ethischen und ästhetischen Haltung wahre Erkenntnis des Seins vermitteln kann.“495 Balthasar setzte den Dialog, den Przywara seit 1921 mit Karl Barth über die Seinsanalogie geführt hatte, fort. In diesem Dialog ging es letztendlich um eine Zuordnung von Gottes- und Schöpfungsordnung.496 Balthasar bestand gegenüber Karl Barth auf der Analogia-entis-Lehre, entwickelte sie aber weiter in Richtung Analogia libertatis und Analogia caritatis. Auch Karl Barth bewegte sich von einer totalen Ablehnung der Seinsanalogie – denn dafür war in seiner Offenbarungstheologie keine Stelle frei497 – in Richtung einer Analogia-fidei-Lehre: „Sie erschließt sich nur im Glauben, nicht aber ist sie der natürlichen Vernunft zugänglich; zum anderen ist diese »Analogie« ursprünglich nur in Jesus Christus verwirklicht.“498 Balthasar interpretiert Karl Barth so, dass die Analogia fidei die Analogia entis einschlussweise erfasst.499 Die Frage nach der Erkenntnis von Sein und Wahrheit löste Balthasar im Sinne des erkenntnistheoretischen Realismus. Balthasar spricht von Erschlossenheit des Seins und beklagt wie sein Freund Siewerth die Seinsvergessenheit nach Thomas von Aquin.500 Dabei 495 Hans Urs von Balthasar: W, S. 18. Vgl. Hans-Anton Drewes: „Karl Barth und Hans Urs von Balthasar – ein Baseler Zwiegespräch“. In: Magnus Striet – Jan-Heiner Tück (Hrsg.): Die Kunst Gottes verstehen, S. 368. 497 Vgl. Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 65. 498 Werner Löser: „Von Balthasars Karl-Barth-Buch – eine theologische Würdigung“. In: Wolfgang W.Müller (Hrsg.): Karl Barth – Hans Urs von Balthasar. Eine theologische Zwiesprache. Schriften ökumenisches Institut Luzern 3 (Zürich 2006), S. 79. 499 Vgl. ebd. 500 Während Heidegger den Philosophen von Plato bis Nietzsche vorwirft, dass „bei den sog. Vorsokratikern, sich gelichtet habende Sein selbst vergessen und durch das Sein des Seienden ersetzt zu haben, wirft Gustav Siewerth der nachthomanischen Philosophie vor, das wahre Sein als die erste Wirkweise und damit als größtes und bestes Bild und Gleichnis des göttlichen Seinsgrundes vergessen und durch dessen Verkehrung in einen 496 65 distanzierte er sich sowohl vom „naiven Realismus“ (W, 61f.) als auch vom „Kritizismus“ (W, 62f.).501 Das menschliche Subjekt erkennt im Horizont des Seins sowohl das eigene Selbst als auch das Sein im Ganzen, und zwar in evidenter Weise. Dem Subjekt ist auch evident, dass Gott das unendliche Sein ist, das unerschaffene Sein, an dessen Sein und Wahrheit der Mensch durch Gottes Schöpfung Anteil erhält. Trotz aller Liebe zur Seinsphilosophie ist festzuhalten, dass Balthasar auch als Metaphysiker von einem theologischen Apriori ausgeht.502 „Die Ontologie ist letztlich von Christus her bestimmt.“503 Begriff des menschlichen Intellekts verfälscht zu haben“ (Markus Enders: „Die Schönheit der Seinsordnung im Lichte der Herrlichkeit Gottes“. In: Walter Kardinal Kasper [Hrsg.]: Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch. [Ostfildern 2006], S. 85). 501 Vgl. Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 87. 502 Vgl. ebd., S. 110. 503 Ebd., S. 111. 66 4 Das Wahrheitsverständnis Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars In diesem Kapitel kommt das zentrale Thema der Dissertation in den Blick: das Wahrheitsverständnis Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars. Beide Denker waren mit ganzer Kraft darum bemüht, das Thema Wahrheit im Lichte ihrer Seinsphilosophie zu analysieren und zu beschreiben. Sie waren ursprünglich Studenten der Neuscholastik, mit der sie sich später dann kritisch auseinandersetzten. Heideggers Weg führte über die Begegnung mit der Phänomenologie Edmund Husserls zur Daseinsanalyse in Sein und Zeit und weiter nach der Kehre zur seinsgeschichtlich angesetzten Seinsfrage, zum Sein als Ereignis. Von Balthasar, der offen war für alle logoi spermatikoi, die er in der abendländischen Philosophie, Theologie- und Literaturgeschichte entdecken konnte, und der sich auch intensiv mit Sein und Zeit beschäftigte und dazu wichtige Beiträge veröffentlichte, erarbeitete sich in Anlehnung an die philosophia perennis und in Auseinandersetzung mit ihr, im Ausgang von der Gestalt der Wahrheit in Wahrheit der Welt ein philosophisches Fundament für sein theologisches Hauptwerk, der Trilogie. Heideggers Wahrheitsverständnis soll als erstes zur Sprache kommen. Dabei liegt der Hauptakzent auf Sein und Zeit, Vom Wesen der Wahrheit und den Beiträge[n] zur Philosophie (Vom Ereignis). Thematisiert werden muss auch das Verhältnis von Wahrheit und Ästhetik, Wahrheit und Sprache. 1935 nähert sich Heidegger dem Thema von Seiten der Dichtung her; vor allem Hölderlin wurde eine Inspirationsquelle für seine Wahrheitssuche, auch wegen dessen Nähe zu den Griechen. 4.1 Martin Heideggers philosophische Denkwege von der „Neuscholastik“ zum hermeneutischen Wahrheitsverständnis Um dem Denkweg Heideggers gerecht werden zu können, ist es sinnvoll, die Entwicklung des Wahrheitsverständnisses bei Heidegger von den Anfängen an zu verfolgen, um dann anhand seines frühen Hauptwerkes Sein und Zeit verstehen zu können, welch gewaltiger Wandel von einem traditionellen Wahrheitsbegriff auf dem Weg zum hermeneutischen Seinsverständnis und darüber hinaus die Bewunderung seiner Zeitgenossen hervorgerufen hat. Am Beginn des Heideggerschen Denkens steht der Wahrheitsbegriff der Neuscholastik. Heidegger selbst weist auf seine theologischen Wurzeln hin. „Ohne diese theologische Herkunft wäre ich nie auf den Weg des Denkens gelangt. Herkunft aber bleibt stets Zukunft.“504 Demnach ging Heidegger zu Beginn seines Denkweges von ewigen und unabänderlichen Wahrheiten aus. Die Philosophie hatte in seiner neuscholastischen Phase die Aufgabe – und das brachte er in seinen frühen Schriften eindeutig zum Ausdruck – die Wahrheit, wie sie durch die katholische Theologie und Kirche dargestellt wurde, zu 504 Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache [GA 12] (Frankfurt am Main 1985). S. 96. 67 bewahren. Selbst in seiner Dissertation Die Lehre vom Urteil im Psychologismus505 ging es auch um eine Verteidigung der unveränderlichen Wahrheit.506 Als dezidierter Verteidiger des Anti-Modernismus geht es kritisch ins Gericht mit Relativismus, Individualismus, Naturalismus, Subjektivismus und Psychologismus.507 Auf der Suche nach Bestätigung für seine philosophische Grundeinstellung zur Wahrheit befasst er sich beispielsweise wiederholt mit den Logische[n] Untersuchungen Edmund Husserls, mit dem Neukantianismus Heinrich Rickerts und mit Emil Lasks. „Dieses im weitesten Sinne apologetische und antimodernistische Interesse Heideggers erklärt […] (wenn auch nicht ausschließlich) seine frühe Annäherung an die Phänomenologie Edmund Husserls – vor allem seine intensive Auseinandersetzung mit den Logischen Untersuchungen – und an den Neukantianismus Heinrich Rickerts und Emil Lasks.“508 Wir erinnern uns, dass die Frage nach der Wahrheit im Zentrum des Husserlschen Denkens stand, der eine systematische, universale, antirelativistische, anti-skeptische Philosophie (vgl. 1.1.4.1) anstrebte. Das klingt vorläufig zunächst wie Neuscholastik. Aber auf dem langen Weg zum Verständnis der Philosophie Husserls in Rückkoppelung mit Rickert, Lasks und Dilthey und wiederum Rückkehr zu Husserl zeigen sich schon in seinen ersten Vorlesungen als Assistent Husserls in Freiburg 1919 Unterschiede zu Husserls theoretisierender Auffassung der Philosophie (vgl.1.1.4.1). Heidegger trennt sich bei der Entwicklung seiner phänomenologischen Methode schließlich nicht nur von dem „System des Katholizismus“, sondern auch von seinem Lehrer Husserl (vgl. 1.1.5). Er verbindet in den frühen Freiburger Vorlesungen Phänomenologie mit Hermeneutik zur phänomenologischen Hermeneutik der Faktizität (vgl. 2.1.1). Was heißt das für das neue hermeneutische Wahrheitsverständnis Heideggers? Es handelt sich um die Wahrheit des Verstehens, sowohl im Sinne des genitivus objectivus als auch im Sinne des genitivus subjectivus. Unter Wahrheit des Verstehens im Sinne des genitivus objectivus ist die „Angemessenheit, die Adäquatheit des Verstehens“509 gemeint. Unter Wahrheit des Verstehens im Sinne des genitivus subjectivus ist die Wahrheit gemeint, „die dem Verstehen als solchem eignet“510. Dieses Verstehen ist nicht zu verwechseln mit dem traditionellen Wahrheitsbegriff im Sinne einer veritas est adaequatio rei et intellectus (Thomas von Aquin). Von jetzt an wehrt sich Heidegger gegen das Ausweichen „in den Bereich einer ewigen, zeitlos gültigen Wahrheit theoretischer Sätze und entwickelt ein radikales Verständnis des Historischen und des zeitlichen Vollzugs des faktischen Lebens, in dem der Wahrheitsbegriff letztlich nur noch im Sinne der individuellen Wahrheit bzw. Wahrhaftigkeit des faktischen 505 Martin Heidegger: Die Lehre vom Urteil im Psychologismus. Ein kritisch-positiver Beitrag zur Logik (Leipzig 1914) ( = ders.: Frühe Schriften [GA 1] [Frankfurt am Main], S. 59-188. 506 Vgl. Holger Zaborowski: „Der hermeneutisch-phänomenologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers: Wahrheit als Unverborgenheit“. In: Markus Enders – Jan Szaif (Hrsg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, S. 347. 507 Vgl. ebd., S. 346. 508 Ebd., S. 347. 509 Jean Grondin: „Heidegger und Augustin. Zur hermeneutischen Wahrheit“. In: Ewald Richter (Hrsg.): Die Frage nach der Wahrheit (Frankfurt a.M. 1997), S. 165-177, hier S. 165. 510 Ebd. 68 Lebensvollzuges oder „jeweiligen Daseins“ eine Rolle zu spielen vermag“.511 Diese Wahrheit muss nicht unbedingt passen oder nützlich sein. Auch die schmerzliche Wahrheit gehört zur hermeneutischen Erfahrung.512 Diese Wahrheit geht mich an, auch wenn sie sonst niemand verstehen kann.513 Diese Verbundenheit der Wahrheit mit dem jeweiligen Dasein bringt Heidegger kurz und prägnant wie folgt auf den Punkt: „Wahrheit »gibt es« nur, sofern und solange Dasein ist.“514 Im Vorfeld von Sein und Zeit findet sich in den Beilagen zur Vorlesung Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) (GA 63) skizzenhaft Andeutungen auf eine Weiterentwicklung an: „Griechen. (Wahrheit (Falschheit)- Entdecktheit.)“ […] „Entdecktheit – Dasein usf. ergreifen.“515 Diese Notizen weisen schon auf einen Zusammenhang zwischen Dasein und Entdecktheit und Wahrheit als Unverborgenheit hin.516 Von hier aus ist es kein weiter Schritt zum Wahrheitsverständnis in Sein und Zeit. 4.1.1 Wahrheit in Sein und Zeit In Sein und Zeit (1927) macht Heidegger in § 7 und § 44 deutlich, welch zentralen Rang das Thema Wahrheit in seiner Daseinsanalyse hat. Im Folgenden geht es vornehmlich um § 44, da das in §7 zu diesem Thema Gesagte inhaltlich schon im Abschnitt 2 vorliegender Untersuchung zur Sprache gebracht worden. Obwohl es von wissenschaftlichem Interesse wäre, das Wahrheitsverständnis in Sein und Zeit mit dem Wahrheitsverständnis der, was das Thema Wahrheit betrifft ausführlicheren Marburger Vorlesung Wintersemester 1925/26, Logik. Die Frage nach der Wahrheit (GA 21) zu vergleichen (GA 21), da sie Heidegger beim Verfassen von Sein und Zeit vorlag, soll hier darauf verzichtet werden; dies würde hier zu weit führen. Der § 44 trägt die Überschrift: „Dasein, Erschlossenheit und Wahrheit“. „In diesem längsten Paragraphen von Sein und Zeit, der als Abschluss des ersten Abschnittes – und Überleitung zum zweiten – eine textarchitektonisch tragende Funktion besitzt, geht es um den Zusammenhang von Dasein und Wahrheit.“517 Das Dasein sucht nach der Wahrheit des Seins. Schon Aristoteles beschrieb die Philosophie in zweifacher Weise, nämlich als „Wissenschaft von der Wahrheit“ und auch als „Wissenschaft vom Seienden“.518 Heidegger stellt deshalb die Frage: „Was bedeutet dann aber der Ausdruck »Wahrheit«, wenn er terminologisch als »Seiendes« und »Sein» gebraucht werden kann?519 511 Holger Zaborowski: „Der hermeneutisch-phänomenologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 349. Vgl. Jean Grondin: „Heidegger und Augustin. Zur hermeneutischen Wahrheit“, S. 165. 513 Ebd. 514 SuZ (GA 2), S. 299. 515 Ebd. 516 Holger Zaborowski: „Der hermeneutisch-phänomenologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“, S. 349. 517 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 91. 518 Vgl. ebd. 519 SuZ (GA 2), S. 282f. 512 69 4.1.2 Anknüpfung beim traditionellen Wahrheitsbegriff Mit dem traditionellen Wahrheitsbegriff ist der korrespondenz- bzw. adäquationstheoretische Wahrheitsbegriff gemeint.520 „Die Analyse geht vom traditionellen Wahrheitsbegriff aus und versucht dessen ontologisches Fundament freizulegen.“521 Dies deutet auf Heideggers Suche nach dem Fundierungsverhältnis hin, auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit für den traditionellen Wahrheitsbegriff. Der traditionelle Wahrheitsbegriff erscheint ontischfaktisch als das Erste, ist aber im existenzial-ontologischen Fundierungszusammenhang das Letzte.522 Zunächst verweist Heidegger auf den Wahrheitsbegriff bei Thomas von Aquin (adaequatio intellectus et rei),523 Avicenna und Isaak Israeli.524 Was sind die wesentlichen Merkmale dieses Begriffes? Es geht erstens um adaequatio, das mit »Übereinstimmung« oder »Angleichung« wiedergeben wird. Was meint »Übereinstimmung«? „Übereinstimmung von etwas mit etwas hat formalen Charakter der Beziehung von etwas. Jede Übereinstimmung und somit auch »Wahrheit« ist eine Beziehung. Aber nicht jede Beziehung ist Übereinstimmung. Ein Zeichen zeigt auf das Gezeigte.“525 Im Urteil bzw. der Aussage kommt es zu einer Übereinstimmung zwischen Verstand (Urteilsgehalt) und Gegenstand (Realität). Die Frage nach der Möglichkeit des wahren Erkennens bleibt für Heidegger nach den traditionellen Erklärungsversuchen offen. Deshalb fragt er nach der Seinsart und Seinsweise dieser Übereinstimmung zwischen intellectus und res.526 Es genügt ihm nicht, „[…] dieses Beziehungsganze einfach vorauszusetzen, sondern es muß in den Seinszusammenhang zurückgefragt werden, der dieses Ganze als solches trägt.“527 Für Heidegger ist Wahrheit ein Phänomen. „Erkenntnis soll die Sache so »geben«, wie sie ist.“528 Ferner gilt: „Die Aussage ist wahr, bedeutet: sie entdeckt das Seiende an ihm selbst.“529 In beiden Formen der Darstellung der Wahrheitsaussage stimmt Heidegger mit Husserl überein. Erst in der dritten Formulierung, in der Heidegger nicht nur das „So-Wie“ streicht, sondern auch das „an ihm selbst“ und formuliert: „Wahrsein (Wahrheit) muß verstanden werden als entdeckend sein“530, verlässt Heidegger den transzendental-phänomenologischen Ansatz Husserls.531 In dieser letzten Formulierung wird klar, dass „Wahrheit im Aufzeigen, Entdecken als solchem besteht“532 Heidegger sieht die Wahrheit einer Aussage nicht statisch als ein Vorstellen und 520 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 91. SuZ (GA 2), S. 283. 522 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 181. 523 Martin Heidegger (GA 2), S. 284, Fußnote 11(Vgl. Quaest. Disp. De veritate qu. 1, art. 1.). 524 SuZ (GA 2), S. 284. 525 SuZ (GA 2), S. 285f. 526 Vgl. ebd., S. 286. 527 Ebd., S. 286. 528 Ebd. 529 Ebd., S. 289. 530 Ebd., S. 290. 531 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 182ff. 532 Ebd. 521 70 Meinen wie Husserl, sondern aktiv als ein Entdecken und Aufzeigen.533 Zusammenfassend lässt sich feststellen: Erkennen der Wahrheit als eine Seinsweise des Daseins hat zur Voraussetzung das In-der-Welt-sein des Daseins. Demnach ist die Wahrheit einer Aussage keine Angleichung an ein außerhalb des Daseins befindliches Seiendes, vielmehr geht es um das Entdecken und Aufdecken des innerweltlich Seienden.534 4.1.3 Wahrheit als Erschlossenheit Da das Dasein über die Möglichkeit des Entdeckens verfügt, ist zugleich nach der Bedingung der Möglichkeit für die Entdecktheit des innerweltlich Seienden zu fragen. Sie liegt laut Heidegger in der Erschlossenheit des Daseins begründet. Die Erschlossenheit konstituiert sich in verschiedenen Weisen (Befindlichkeit, Verstehen und Rede). „Sofern das Dasein wesenhaft seine Erschlossenheit ist, als erschlossenes erschließt und entdeckt ist es wesenhaft »wahr«. Dasein ist »in der Wahrheit«.“535 Charakteristisch für die Seinsverfassung des Daseins ist seine Geworfenheit und der Entwurf.536 In der Geworfenheit kommt die Faktizität des Daseins zum Ausdruck. Der Entwurf bedeutet die eigentliche Erschlossenheit, in der sich dem Dasein die Möglichkeit zu seinem eigentlichen Seinkönnen erschließt. „Diese eigentliche Erschlossenheit zeigt das Phänomen der ursprünglichen Wahrheit im Modus der Eigentlichkeit. Die ursprünglichste und zwar eigentlichste Erschlossenheit, in der das Dasein als Seinkönnen sein kann, ist die Wahrheit der Existenz.“537 Ebenso gilt, dass dem eigentlichen Dasein ein uneigentliches gegenübersteht, dessen Seinsverfassung Heidegger mit dem Ausdruck „Verfallen“ bezeichnet.538 Verfallensein heißt, dass das Dasein auch in der Unwahrheit ist. „Zur Faktizität des Daseins gehören Verschlossenheit und Verdecktheit.“539 „Das Seiende ist verborgen und verdeckt und nur da, wo etwas verborgen und verdeckt ist, kann das Dasein das Verborgene entdecken, so dass es unverborgen ist (Aletheia als Unverborgenheit).“540 „Der volle existenzial-ontologische Sinn des Satzes »Dasein ist in der Wahrheit« sagt gleichursprünglich mit: »Dasein ist in der Unwahrheit«. Aber nur sofern Dasein erschlossen ist, ist es auch verschlossen.“541 Für Heidegger besteht die Herausforderung darin, die Möglichkeiten des eigenen Seinkönnens zu ergreifen, denn es droht immer die Uneigentlichkeit. „Ohne in der Unwahrheit, der scheinhaften ‚Pseudo‘-Erschlossenheit des Man zu sein, kann das Dasein auch nicht in der Wahrheit sein“542, denn: „Die Wahrheit (Entdecktheit) muß dem Seienden immer erst abgerungen werden.“543 533 Ebd., S. 184. Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 94. Ergänzende Bemerkungen zur Aussage finden sich in 3.1.4.3.2. 535 SuZ (GA 2), S. 292. 536 Ebd. 537 Ebd., S. 293. 538 Vgl. ebd. 539 Ebd., S. 294. 540 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 94. 541 SuZ (GA 2), S. 294. 542 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 95. 543 SuZ (GA 2), S. 294. 534 71 Als Ergebnis kann mit Heidegger festgehalten werden: „1. Wahrheit im ursprünglichsten Sinne ist die Erschlossenheit des Daseins, zu der die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gehört. 2. Das Dasein ist gleichursprünglich in der Wahrheit und Unwahrheit.“544 Damit steht auch fest, dass die Wahrheit für Heidgger zur Grundverfassung des Daseins zählt und deshalb als Existenzial gedeutet wird.545 4.1.4 Die ontologische Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffes Wenn Wahrheit im ursprünglichen Sinn Erschlossenheit des Daseins ist, kann gefolgert werden, dass der traditionelle Wahrheitsbegriff ontologisch abkünftig ist von der Wahrheit der Existenz. Erschlossenheit des Daseins als Möglichkeit des In-der-Welt-seins ist das Fundament der Wahrheit der Aussage. „Die Aussage und ihre Struktur, das apophantische Als, sind in der Auslegung und deren Struktur, dem hermeneutischen Als, und weiterhin im Verstehen, der Erschlossenheit des Daseins, fundiert“546. Es genügt aber nicht, die Abkünftigkeit der Aussagewahrheit auszuweisen, sondern es muss auch das Phänomen der Abkünftigkeit der Übereinstimmung aufgezeigt werden.547 Heidegger setzt an bei der Rede, in der sich das Dasein in Aussagen über das innerweltlich Seiende ausspricht. Aussagen gehören zur Seinsweise des Zuhandenen. Sie dienen der Erkenntnis der Wahrheit. Die Übereinstimmung zwischen idealem Urteilsgehalt und Gegenstand ist nach Heidegger keine Übereinstimmung zwischen Psychischem und Physischem und besteht nicht in Vorstellungen oder Bewusstseinsinhalten. „Übereinstimmung ist schlicht die Weise, in der die Wahrheit in der Welt zuhanden, d.h. zu gebrauchen ist.“548 Die Wahrheit lässt sich nur mitteilen im Ausgesprochenen, in der Aussage, in der Rede, in der Seinsweise des Zuhandenen. „Auf diese Weise wird die Wahrheit, die ursprünglich als Erschlossenheit im Sinne der Beziehung zwischen entdeckendem Sein und entdecktem Seienden zu verstehen ist, mittels der Aussage zu einer Wahrheit im Sinne einer Übereinstimmung von intellectus und res.“549 4.1.5 Zwei äquivoke Wahrheitsbegriffe in Sein und Zeit Heidegger legt in Sein und Zeit einen doppelten Wahrheitsbegriff vor: 1. Wahrheit im Sinne des traditionellen Wahrheitsbegriffes, und 2. Wahrheit als Existenzial. Mit einer Neuinterpretation korrigiert er sich selbst in einem Vortrag „Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens“ (Paris 1964)550 Er bezieht den Begriff Wahrheit nun nur noch auf die Aussagewahrheit, während er die Erschlossenheit des Daseins als Unverborgenheit im Sinne seiner Deutung des griechischen Begriffes a-letheia interpretiert. „Der griechische 544 Ebd., S. 295. Vgl. ebd., S. 299. 546 Ebd., S. 295. Vgl. auch Abschnitt 2.1.4.3. der vorliegenden Untersuchung. 547 Vgl. ebd., S. 296. 548 Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 96. 549 Christof Landmesser: „Der existential-ontologische Wahrheitsbegriff Martin Heideggers“.. S. 156. 550 Vgl. ebd., S. 159. 545 72 Ausdruck Aletheia kann dann nicht mehr mit ‚Wahrheit’ übersetzt werden.“551 Obwohl Heidegger jetzt die Identität des traditionellen Wahrheitsbegriffes mit dem Begriff a-letheia bestreitet und die Frage nach der Unverborgenheit von der Frage nach der Wahrheit trennt, besteht für ihn auch weiterhin das Fundierungsverhältnis, d.h. Wahrheit ist in der Erschlossenheit des Daseins fundiert. Diese Erschlossenheit des Daseins im Sinne der a-letheia ist an das Dasein gebunden und existiert nur, solange es Dasein gibt. Das gilt beispielsweise auch für die Gesetze Newtons, denn mit diesen Gesetzen hat Newton (Dasein) Seiendes entdeckt. „Die Gesetze Newtons waren vor ihm weder wahr noch falsch, kann nicht bedeuten, das Seiende, das sie entdeckend aufzeigen, sei vordem nicht gewesen. Die Gesetze wurden durch Newton wahr, mit ihnen wurde für das Dasein Seiendes an ihm zugänglich.“552 Das bedeutet für die a-letheia nicht Beliebigkeit oder Subjektivismus, denn das Dasein ist nicht in der Lage, subjektiv über die Welt zu verfügen, sondern ist in der Seinsweise des In-der-Welt-seins und Mitseins mit Anderen.553 Wir setzen immer schon das Dasein als Erschlossenheit des Daseins voraus. Sie ist als Existenzial die Voraussetzung überhaupt. „Ohne Wahrheit als Entdeckendsein ist überhaupt nichts.“554 Auch der Skeptiker muss als Voraussetzung seines Skeptizismus von der Wahrheit ausgehen, denn sonst könnte er seinen Skeptizismus nicht voraussetzen. „So wenig erwiesen ist, dass es »ewige Wahrheiten« gibt, so wenig ist es erwiesen, daß es je, was die Widerlegungen des Skeptizismus trotz ihres Unternehmens im Grunde glauben – einen »wirklichen« Skeptiker »gegeben« hat.“555 Heidegger kann zum Schluss des Paragraphen 44 deshalb feststellen: „Sein und Wahrheit »sind« gleichursprünglich.“556 In den Jahren nach Sein und Zeit (1928–1932) findet in Heideggers Denken eine „Kehre“ statt. Ausdruck dafür ist die Wiederaufnahme der Wahrheitsfrage in seinem mehrfach überarbeiteten Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ (1930). 4.1.6 Vom Wesen der Wahrheit In seinem Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“, der zuerst 1930 in Bremen, Marburg und Freiburg gehalten und erst 1943 in einer überarbeiteten Fassung gedruckt wurde, kreist Heideggers Denken weiterhin zentral um den Begriff der a-letheia. Außerdem setzt er sich wieder kritisch mit dem abkünftigen Korrespondenzbegriff der Wahrheit auseinander.557 Ferner philosophiert Heidegger über das Verhältnis von „Wahrheit und Freiheit“ und zum Schluss seines Vortrages über das Thema „Wahrheit und Unwahrheit“. Beim Thema „Wahrheit und Unwahrheit“ kommen auch zwei wichtige Begriffe zur Sprache, die bei einem Vergleich zwischen Heidegger und von Balthasar von Bedeutung sind, nämlich „Irrtum“ und 551 Ebd. SuZ (GA 2), S. 300. 553 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger. »Sein und Zeit«, S. 96 f. 554 Ebd., S. 97. 555 SuZ (GA 2), S. 303. 556 Ebd., S. 304. 557 Vgl. Dorothea Frede: „Wahrheit: Vom aufdeckenden Erschließen zur Offenheit der Lichtung“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch (Stuttgart – Weimar 2003), S. 130. 552 73 „Geheimnis“. „Vom Wesen der Wahrheit“ ist kein Gelegenheitswerk. „Wie in den Vorträgen »Was ist Metaphysik?« (1929) und »Der Ursprung des Kunstwerkes« (1935/36) wird auch in »Vom Wesen der Wahrheit« der gewonnene Stand des Wesensdenkens in eine verdichtete und streng gefügte Textgestalt gebracht. Der Text „Vom Wesen der Wahrheit zeigt, wie Heidegger die Wahrheitsfrage nach ihrer ersten, fundamental-ontologischen Ausarbeitung in einer Weise weitergeführt hat, die sich schon im Übergang zur seinsgeschichtlichen Fragebahn befindet.“558 Das, was auf eine Kehre in Heideggers „Denk-Bewegung und DenkRichtung“559 hinweist, sind neue Begriffe und die Interpretation der Freiheit als Wesen der Wahrheit. Die „Kehre“ wird von Heidegger so kommentiert: „Ich habe einen früheren Standort verlassen, nicht um dagegen einen anderen einzutauschen, sondern weil auch der vormalige Standort nur ein Aufenthalt war in einem Unterwegs. Das Bleibende im Denken ist der Weg. Und Denkwege bergen in sich das Geheimnisvolle, dass wir sie vorwärts und rückwärts gehen können, dass sogar der Weg zurück erst vorwärts führt.“ 560 Deshalb verändern sich Begriffe bzw. werden durch neue ersetzt. Beispielsweise wird der Begriff „Inder-Welt-sein“ ersetzt durch den Begriff der „Ek-sistenz“, um den transzendentalen Charakter des In-der- Welt-seins hervorzuheben.561 Die Schreibweise „Ek-sistenz“ statt „Existenz“ deutet auf eine Weiterentwicklung in der Denk-Bewegung hin. Es findet ein Wechsel der Perspektive im Hinblick auf das Seiende statt: vom Besorgen hin zu einer gewissen Eigenständigkeit, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Begriff des „Entwurfs“ durch „Offenständigkeit“ ersetzt wird. Das, was unter „Entwurf des Daseins“ zu verstehen ist, wird dem „Sichunterwerfen unter das Seiende“ untergeordnet.562 Für das „Sichunterwerfen unter das Seiende“ gebraucht Heidegger den Ausdruck das Sein-lassen.563 „Seinlassen – das Seiende nämlich als das Seiende, das es ist- bedeutet, sich einlassen auf das Offene und dessen Offenheit, in die jegliches Seiende hereinsteht, das jene gleichsam mit sich bringt.“564 Im Rahmen der Textanalyse der Freiheit als Wesen der Wahrheit und beim Thema „Wahrheit und Unwahrheit“ wird genauer auf die Veränderungen in Heideggers Denk-Bewegung eingegangen werden. 4.1.7 Blick auf das Wesen der Wahrheit In der Hinführung zum Thema seines Vortrages verweist Heidegger darauf, dass es ihm einzig um das Wesen der Wahrheit gehe und nicht um das Wesen irgendeines Teilbereiches der Wahrheit: „Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit kümmert sich nicht darum, ob die 558 Friedrich-Wilhelm v. Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte. Eine systematische Untersuchung zu Heideggers Schrift Vom Wesen der Wahrheit (Frankfurt a.M. 2002), S. 44. 559 Hans Hübner: „Wahrheit und Wort: Heideggers ‚Vom Wesen der Wahrheit‘ und Wahrheit im Johannesevangelium“. In: Mrázek Jirí – Jan roskovec (Hrsg.): Testimony and Interpretation. Early Christology in its JudeoHellenistic Milieu. Studies in Honor of Petr Pokoruý (London [u.a.] 2004), S. 202-222, hier S. 206. 560 US (GA 12), S. 94. 561 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 198. 562 Vgl. ebd., S. 199. 563 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 188. 564 Ebd. 74 Wahrheit jeweils eine Wahrheit der praktischen Lebenserfahrung oder einer wirtschaftlichen Berechnung, je die Wahrheit einer technischen Überlegung oder der politischen Klugheit, im besonderen eine Wahrheit der wissenschaftlichen Forschung oder einer künstlerischen Gestaltung, oder gar die Wahrheit einer denkenden Besinnung oder eines kultischen Glaubens ist.“565 Zunächst setzt sich Heidegger – ähnlich wie in Sein und Zeit – mit dem traditionellen Wahrheitsbegriff, der durch die Idee der Übereinstimmung erklärt wird (veritas est adaequatio rei et intellectus), auseinander. Dazu bemerkt er: „Das Wahre, sei es eine wahre Sache oder ein wahrer Satz, ist das was stimmt, das Stimmende. Wahrsein und Wahrheit bedeuten hier Stimmen, und zwar in der gedoppelten Weise: einmal die Einstimmigkeit einer Sache mit dem über sie Vorgemeinten und zum anderen die Übereinstimmung des in der Aussage Gemeinten mit der Sache.“566 Bei Heidegger geht diese Struktur auf das mittelalterlich-thomanische Wahrheitsverständnis zurück. „Die Möglichkeit der Wahrheit menschlicher Erkenntnis gründet, wenn alles Seiende ein »geschöpfliches« ist, darin, dass Sache und Satz in gleicher Weise ideegerecht und deshalb aus der Einheit des göttlichen Schöpfungsplanes aufeinander zugerichtet sind. Die veritas als adaequatio rei (creandae) ad intellectum (divinum) gibt die Gewähr für die veritas als adaequatio intellectus (humani) ad rem (creatam).“567 D.h., dass Verstand und die Dinge, die er erfasst, gemäß der göttlichen Idee beschaffen sind. Das ist auch, so Josef Pieper, die Lehre des Thomas von Aquin.568 Doch Pieper moniert zwei „charakteristische Fehldeutungen und Missdeutungen“, die Heidegger bei seiner Interpretation der mittelalterlichen Seinslehre unterlaufen.569 Vor allem die zweite Fehldeutung ist für unseren Zusammenhang von Interesse, weil es hier um die zentrale These im Heideggerschen Wahrheitsverständnis geht, nämlich um die These vom Wahrsein als Entdeckendsein. Heidegger übersehe in seiner These, so Pieper, eine gleichlautende mittelalterliche These. „Der Satz des Hilarius von Poitier, verum est manifestum esse- das Wahre ist Sein enthüllend, und der andere Satz Augustins »veritas est qua ostenditur id quod est« – Wahrheit ist, wodurch sich zeigt, was ist, stehen zeitlich am Beginn der mittelalterlichen Reflexion über das Wesen der Wahrheit, und beide Sätze – vermutlich beide in gleicher Weise Übersetzungen antiker Formulierungen wie auch Heideggers eigene Wendung – beide Sätze gehören zum Grundbestand der in den mittelalterlichen Quaestiones immer wieder angeführten auctoritates.“570 Auch Heidegger weist auf die Antike hin, nämlich auf Aristoteles und vor Aristoteles auf die Vorsokratiker Anaximander, Heraklit und Parmenides. Aristoteles habe als erster die Aussagewahrheit als Übereinstimmung von 565 Ebd., S. 177. Ebd., S. 179f. 567 Ebd., S. 180f. 568 Josef Pieper: „Heideggers Wahrheitsbegriff“. In: Berthold Wald (Hrsg.) Schriften zum Philosophiebegriff (Hamburg 1995), S. 186-198, hier S. 188f. 569 Vgl. ebd. 570 Ebd., S. 189 f. 566 75 Aussage und Sache (ὁμοίωσις) auf den Begriff gebracht.571 Die Vorsokratiker hätten als erste in der Überlieferungsgeschichte die Wahrheit (a-letheia) „als die Unverborgenheit des Seienden in seinem Sein“572 erfahren. Nachdem Heidegger das mittelalterliche Wahrheitsverständnis analysiert hat und ihm eine Darstellung nach der Schöpfungsordnung attestiert hat, wendet er sich dem Wahrheitsverständnis zu, das im säkularen Verständnis der Wahrheit, in der sogenannten vernünftigen Weltordnung, in der es um die Beachtung der Gesetze der Logik geht, zum Tragen gekommen ist. Man übernehme auch im säkularen Verständnis der Wahrheit, so Heidegger, „[d]aß das Wesen der Satzwahrheit in der Richtigkeit der Aussage besteht […].“573 Man setze auch das Wesen der Wahrheit im Sinne der adaequatio intellectus ad rem als selbstverständlich voraus. Auch tradiere man die Überzeugung, dass „die Sachwahrheit immer die Einstimmigkeit des vorhandenen Dinges mit seinem »vernünftigen« Wesensbegriff“574 ist. Damit zusammenhängend nehme man auch selbstverständlich an, dass es ein Gegenteil der Wahrheit gäbe, nämlich die Unwahrheit. Die Unwahrheit werde immer als ein Nichtstimmen dargestellt. Und so stellt Heidegger die Frage nach dem Wesen der Wahrheit neu, nachdem es selbstverständlich geworden war, Wahrheit losgelöst von der Frage nach dem Wesen des Seins alles Seienden, zu denken. Für Heidegger kann das Wesen der Wahrheit nicht erkannt werden, wenn man die Frage nach dem Wesen des Menschen außen vor lässt.575 Im zweiten Abschnitt steht die Frage nach dem Grund, der es ermöglicht, dass man von einer Übereinstimmung sprechen könne, im Zentrum des Gedankenganges. Es geht um zwei Arten der Übereinstimmung, um die Übereinstimmung zwischen zwei und mehreren Dingen und um die Übereinstimmung zwischen Aussage und Ding. Zwei Sachen können übereinstimmen, wenn sie in Einem übereinstimmen. Es handelt sich bei diesem Einen um dingliche Eigenschaften (Aussehen, Gestalt, Material, Zweck).“576 In dieser Weise können Aussage und Ding nicht übereinstimmen: „Die Ungleichheit von Aussage und Ding ist so groß, dass sie keine Gleichheit, keine Übereinstimmung zuzulassen scheint.“577 Um das Problem der Übereinstimmung bzw. der Angleichung zwischen Aussage und Ding erklären zu können, ist es notwendig, die Weise der Beziehung zwischen Aussage und Ding zu betrachten. Aber es reicht nicht aus, die Art der Beziehung zu erklären, sondern es darf das Wesen der Beziehung nicht „unbestimmt“ und „ungegründet bleiben“578 D.h., man muss nach dem Grund suchen, nach der Bedingung der Möglichkeit, „worin die Beziehung von Aussage und Sache gründet.“579 Beispielsweise bezieht sich die Aussage über ein Geldstück, dass es rund ist oder 571 Vgl. Friedrich- Wilhelm v. Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 71. Ebd. 573 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 181. 574 Ebd. 575 Vgl. ebd. 576 Vgl. Friedrich Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 74. 577 Ebd., S. 74. 578 Martin Heidegger: WM (GA 9), S. 183. 579 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 75. 572 76 dass es aus Metall ist, „auf dieses Ding, indem sie es vor-stellt und vom Vor-gestellten sagt, wie es mit ihm selbst nach der je leitenden Hinsicht bestellt sei.“580 „Vor-stellen“ mit Bindestrich bedeutet bei Heidegger nichts Psychologisches oder Bewusstseinstheoretisches, sondern das „Vor-gestellte“ ist das Ding selbst. „Vor-stellen“ bedeutet, „das Entgegenstehenlassen des Dinges als Gegenstand“.581 Hier erweist sich Heidegger – wie in Sein und Zeit – als Phänomenologe, dem es um das Sich-an-ihm-selbst-zeigende geht. Das Sich-an-ihm-selbstzeigende steht entgegen als Gegenstand heißt, der Gegenstand steht in einem Bereich, der von Heidegger jetzt als etwas Offenes, nicht Verschlossenes beschrieben wird. Aber das Offene des Offenen ist keine Kreation des Menschen, das durch das menschliche Vor-stellen zustande käme, „sondern der Mensch ist Mensch durch seinen Bezug zum Offenen.“ 582 Er steht in Bezug zum Entgegenstehenden, denn das Entgegenstehende könnte als gänzlich Unbekanntes, gänzlich Verschlossenes nicht im Bereich des Offenen stehen. 583 Heidegger nennt diesen Bezug zum Offenen, diesen Bezug des Vor-stellenden zur Lichtung des Offenen die „Offenständigkeit“. Aus diesem Grund ist das Verhalten des Menschen dem Sein gegenüber offenständig. Heidegger scheint hier den Begriff des Entwurfes durch den Begriff der Offenständigkeit zu ersetzen, was nicht heißt, dass der Entwurfscharakter des Daseins gänzlich geleugnet würde, „aber der Entwurf selbst wird im Sinne des Freilegens des Seienden verstanden, das im offenständigen Verhalten vollzogen wird“.584 Verhalten als ein zentraler Begriff in Heideggers Philosophie bedeutet „in Bezug stehen zu“ (Bezugssinn). Die Offenständigkeit des Menschen ist unterschiedlich, da sie abhängt von „der Art des Seienden und der Weise des Verhaltens […].“585. Wie ist nun das Verhältnis der Aussage zur Sache im Urteil? Durch seine Offenständigkeit ist es dem Menschen möglich, sich nach der Sache auszurichten, das Seiende auszusagen, so wie es ist. Nur so kann der Vor-stellende sich das Entgegenstellende vor-stellen und eine Aussage darüber machen, wie es beschaffen ist. „Das Wahre als das Richtige ist so zurückgeführt auf das, was es als Richtiges ermöglicht: die Offenständigkeit.“586 Nur durch die Offenständigkeit des Verhaltens „kann überhaupt Offenbares zum Richtmaß werden für die vor-stellende Angleichung“.587 Damit ist aber noch nicht beantwortet, was der Grund für die Ermöglichung der Richtigkeit ist. Heidegger gibt im 3.Abschnitt seines Vortrages eine Antwort. 580 Martin Heidegger: WM (GA 9), S. 183 f. Ebd., S. 184. 582 Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 208. 583 Vgl. ebd. 584 Ebd., S. 199. 585 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 184. 586 Celestine Chibueza Vgl. Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 209. 587 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 185. 581 77 4.1.8 Wahrheit und Freiheit Die dritte Frage Heideggers zu Beginn des 3. Abschnittes fragt nach dem Grund für die Ermöglichung der Richtigkeit der Wahrheit der Aussage: „Wie allein kann dergleichen wie die Leistung der Vorgabe einer Richte und die Einweisung in ein Stimmen geschehen?“588 Die Antwort darauf gibt er einige Zeilen später: „Die Offenständigkeit des Verhaltens als innere Ermöglichung der Richtigkeit gründet in der Freiheit.“589 Das ist eine gewagte Behauptung, und so sieht es Heidegger selbst, denn ohne Erklärung klingt seine Behauptung keineswegs plausibel. Deswegen bringt Heidegger zunächst die Einwände, die im traditionellen Freiheitsverständnis gegen seine These sprechen, vor, „[d]enn im Begriff der Freiheit denken wir aber doch nicht die Wahrheit und schon gar nicht ihr Wesen. Der Satz, das Wesen der Wahrheit (Richtigkeit der Aussage) sei die Freiheit, muß daher befremden.“590 Es handelt sich bei diesem Einwand nicht um einen rhetorischen Einwand, sondern um einen Einwand derer, die das Wesen der Freiheit im traditionellen Sinn verstehen. Im traditionellen Verständnis der Wahrheit klingt die Behauptung, das Wesen der Wahrheit ist die Freiheit, nach Beliebigkeit, nach Subjektivität, nach Willkür.591 Der zweite Einwand der Gegner seiner These besteht in der Behauptung der Unvergänglichkeit und Ewigkeit der Wahrheit. Unter Voraussetzung dieser These, könne man nicht erkennen, wie das Wesen der Wahrheit in der Freiheit des Menschen gründen könne.592 Die Denker des traditionellen Wahrheitsverständnisses sind zudem davon überzeugt, dass alle Formen der Unwahrheit nur dem Menschen aufgelastet werden dürften. Um Heideggers These, dass die Freiheit das Wesen der Wahrheit sei, verstehen zu können, ist es nötig, alle Vormeinungen, also vor allem diejenigen, die als selbstverständlich in der Tradition galten, zu hinterfragen. Für Heidegger ist die hartnäckigste dieser Vormeinungen: „die Freiheit ist eine Eigenschaft des Menschen. Das Wesen der Freiheit braucht und duldet keine weitere Befragung. Was der Mensch sei, weiß jedermann.“593 Im vierten Abschnitt seiner Ausführungen zum „Wesen der Wahrheit“ erklärt Heidegger, wie es um den Zusammenhang zwischen der Aussagewahrheit und der Freiheit in phänomenologischer Sicht steht, um so die Vormeinungen zu widerlegen. Voraussetzung dafür ist eine Bereitschaft zu einer Änderung des Denkens.594 Erinnert sei hier an Platos Kampf gegen die Meinung (δόξα).595 Erinnert sei an Kant: „Wenn man sich vergegenwärtigt, dass z.B. Kant in der „Kritik der reinen Vernunft“ die Urteilswahrheit in der transzendentalen Wahrheit fundiert sein lässt, dann erscheint die fundamentalontologische und auch die seinsgeschichtliche Gründung der Aussagewahrheit in einem ontologisch früheren Bereich 588 Ebd. Ebd., S. 186. 590 Ebd. 591 Vgl. ebd. 592 Vgl. ebd., S. 187. 593 Ebd. 594 Vgl. ebd. 595 Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 211. 589 78 nicht mehr als Außergewöhnliches.“596 Man muss allerdings bereit sein, Heideggers Verständnis des Daseins nachzuvollziehen und seine Ablehnung des traditionellen Begriffes des Menschen als animal rationale bzw. als Subjekt mitzugehen. Wie erklärt er nun das Wesen der Freiheit? Indem er zunächst feststellt: „Das Offenbare, dem sich ein vorstellendes Aussagen als richtiges angleicht, ist das jeweils in einem offenständigen Verhalten offene Seiende.“597 Und dann erklärt: „Die Freiheit zum Offenbaren eines Offenen lässt das jeweilige Seiende das Seiende sein, das es ist. Freiheit enthüllt sich jetzt als das Sein-lassen von Seiendem.“598 Seinlassen hat einen ontologischen – und nicht einen ontischen Sinn. Im ontischen Sinn bedeutet Seinlassen etwas Negatives: „[…]Absehen von etwas, des Verzichtens auf etwas, der Gleichgültigkeit und gar der Unterlassung.“599 Im ontologischen Verständnis bedeutet Sein-lassen positiv, „das Sicheinlassen auf das Seiende“, „sich einlassen auf das Offene und dessen Offenheit, in die jegliches Seiende hereinsteht, das jene gleichsam mit sich bringt.“600 Das Sein-lassen in „Vom Wesen der Wahrheit“ ist weiter gefasst als der Begriff der Bewandtnis in Sein und Zeit: „weiter gefaßt, über die jeweilige Umwelt hinaus in die Weite des Seienden im Ganzen. Solches Sein-lassen des Seienden ist das primäre Offenbarwerdenlassen jedes möglichen Seienden, das in „Sein und Zeit“ ontologisch als Zeug und Zuhandenes bezeichnet wird.“601 Heidegger geht davon aus, dass „das Offene“ dem griechischen Wort τὰ ἀλήθεια, das er mit Unverborgenheit übersetzt, entspricht. Die Übersetzung des griechischen Wortes ἀλήθεια mit „Wahrheit“ verdecke mit seinem Bezug zur Richtigkeit der Aussage das wahre Wesen der Wahrheit, das im Griechischen anklinge.602 Heidegger führt nun im Zusammenhang mit der Übersetzung von ἀ-λήθεια als „Unverborgenheit“ zwei neue ontologische Begriffe ein: 1. „Entborgenheit“ und 2. „Entbergung“.603 Diese Übersetzung (Unverborgenheit) enthalte eine Weisung, „den gewohnten Begriff der Wahrheit im Sinne der Richtigkeit der Aussage um-und zurückzudenken in jenes noch Unbegriffene der Entborgenheit und der Entbergung des Seienden.“604 Unter Entborgenheit ist die Unverborgenheit als Offenheit gemeint und unter Entbergung des Seienden ist „das vorprädikative Entdecken und Offenbarmachen des Seienden“605 zu verstehen. Da Heidegger die Offenheit als Unverborgenheit bezeichnet, kann er eine Verbindung zwischen Sicheinlassen (Freiheit) und Entborgenheit herstellen. „Das auf das Wesen der Wahrheit hin erblickte Wesen der Freiheit zeigt sich als die Aussetzung in die Entborgenheit des Seienden.“606 Heidegger sieht einen Zusammenhang zwischen aus-setzend 596 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 106. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 188. 598 Ebd. 599 Ebd. 600 Ebd. 601 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 110. 602 Vgl. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 188. 603 Vgl. ebd. 604 Ebd. 605 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 113. 606 WdW in WM (GA 9), S. 189. 597 79 (Substantiv: Aussetzung) und ek-sistent. „Aussetzung ist der ek-sistente Grundzug der Freiheit, das zweifach-einige Sichaussetzen der Entborgenheit als der Offenheit und der Entbergung des Seienden in und aus der Entborgenheit und Offenheit.“607 Freiheit ist nicht nur, was gewöhnlich als negative oder positive Freiheit verstanden wird. Freiheit ist also nicht nur Wahlfreiheit oder Unabhängigkeit des Verhaltens. Es geht auch nicht nur darum willens zu sein, „Gefordertes und Notwendiges“608 zu tun. Freiheit ist im Wesen ein Sicheinlassen auf das Unverborgene, auf die Entborgenheit des Seienden, auf das Offene und dessen Offenheit. Dasein als Ek-sistenz ist der Wesensgrund des Menschen und nicht das Existenzielle der Existenzphilosophie oder die Existenz im Sinne von Wirklichkeit (existentia). Am Ende des vierten Abschnittes geht es um schwierige Fragen: 1. Besitzt der Mensch die Freiheit als Eigenschaft? 2. Wann beginnt die Geschichte? 3. Wie steht es um das Verhältnis von Wahrheit und Unwahrheit? Die erste Frage beantwortet Heidegger zunächst überraschend, indem er sozusagen die Besitzverhältnisse in ihr Gegenteil verkehrt. „Der Mensch »besitzt« die Freiheit nicht als Eigenschaft, sondern höchstens gilt das Umgekehrte: die Freiheit, das ek-sistente, entbergende Da-sein besitzt den Menschen und das so ursprünglich, dass einzig sie einem Menschentum den alle Geschichte erst begründenden und auszeichnenden Bezug zu einem Seienden im Ganzen als einem solchen gewährt.“ 609 Jetzt sind wir schon mitten bei der Beantwortung der zweiten Frage, die nach der Geschichtlichkeit der menschlichen Ek-sistenz fragt. Nicht ein allgemeines Menschentum ist gemeint, sondern ein geschichtliches. „Die ek-sistente Freiheit gewährt einem bestimmten geschichtlichen Menschentum seinen bestimmten geschichtlichen Bezug zu einer bestimmten geschichtlichen Entborgenheitsweise des Seienden im Ganzen.“610 Die abendländische Geschichte beginnt mit der Frage der Griechen nach dem Sein im Ganzen. „Erst wo das Seiende selbst eigens in seine Unverborgenheit gehoben und verwahrt wird, erst wo diese Verwahrung aus dem Fragen nach dem Seienden als solchem begriffen ist, beginnt die Geschichte.“611 Was ist nun dieses Seiende im Ganzen? Es ist auf jeden Fall nicht die „Summe des gerade bekannten Seienden. Im Gegenteil. Wo für den Menschen das Seiende wenig bekannt und durch die Wissenschaft kaum oder nur roh erkannt ist, kann die Offenbarkeit des Seienden im Ganzen wesentlicher walten als dort, wo das Bekannte und jederzeit Kennbare unübersehbar geworden ist und der Betriebsamkeit des Kennens nichts mehr zu widerstehen vermag, indem sich die technische Beherrschbarkeit der Dinge grenzenlos gebärdet.“612 Heidegger beschreibt im 5. Abschnitt („Das Wesen der Wahrheit“) die Verwiesenheit des geschichtlichen Menschen in seinem Verhalten durch die Gestimmtheit (Stimmung) auf das Ganze des Seienden. Die Stimmung darf nicht mit „Erlebnis“ oder „Gefühl“ gleichgesetzt werden: „Eine Gestimmtheit, d.h. eine 607 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 115. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 189. 609 Ebd., S. 190. 610 Friedrich –Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 129. 611 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 190. 612 Ebd., S. 192. 608 80 ek-sistente Ausgesetztheit in das Seiende im Ganzen, kann nur »erlebt« und »gefühlt« werden, weil der »erlebende Mensch«, ohne das Wesen der Stimmung zu ahnen, je eine das Seiende im Ganzen entbergende Gestimmtheit eingelassen ist.“613 Das Eingelassensein deutet hin auf die Geworfenheit des Daseins. Das Sein im Ganzen bleibt unberechenbar und ungreifbar und lässt sich im täglichen Verhalten des Menschen nicht ergreifen. 614 Es bleibt verborgen. „In der ek-sistenten Freiheit des Daseins ereignet sich die Verbergung des Seienden im Ganzen, ist die Verborgenheit.“615 Die dritte Frage nach dem Verhältnis zwischen Wahrheit und Un-wahrheit wird im 4. Abschnitt summarisch zusammengefasst und erst im 6. Abschnitt in Zusammenhang mit der Verbergung ausführlich zur Sprache gebracht. 4.1.8.1 Wahrheit und Un-Wahrheit Die Abschnitte 6 und 7 handeln von Wahrheit, Un-wahrheit, Geheimnis und Irre (Irrtum). All diese Begriffe haben in Heideggers Seinsphilosophie einen radikal anderen Inhalt als in der traditionellen Philosophie. Wahrheit meint nicht in erster Linie die Satzwahrheit, sondern die Unverborgenheit (Entborgenheit). Deshalb meint auch der Begriff der Un-wahrheit nicht in erster Linie Lüge oder Irrtum und Ähnliches und nicht das Gegenteil von Wahrheit, sondern deutet hin auf Verborgenheit. „Die Verborgenheit versagt der ἀλήθεια das Entbergen und lässt sie noch nicht als στέρσις (Beraubung) zu, sondern bewahrt ihr das Eigenste als Eigentum.“616 Was ist das Wesen der Verborgenheit und wie steht es um das Verhältnis zwischen Verborgenheit und Wahrheit? Drei Verben kennzeichnen das aktive Verhalten der Verborgenheit gegenüber der Wahrheit: 1. versagen, 2. zulassen und 3. bewahren. Beginnen wir mit dem Versagen. Die Verborgenheit versagt der ἀλήθεια erstens das Entbergen, d.h. die Verborgenheit ist verantwortlich dafür, dass Wahrheit nicht ans Licht kommt. Was lässt die Verborgenheit zweitens noch nicht zu? Sie lässt nicht zu, dass das Dasein die Wahrheit an sich reißen kann. Drittens bewahrt die Verborgenheit der Wahrheit (ἀλήθεια) das Eigenste als Eigentum. Das heißt, dass die Verborgenheit zutiefst mit der Wahrheit verbunden ist. Sie bewahrt der Entbergung (ἀλήθεια) das Eigenste als Eigentum, was auf eine ganz besondere Verbindung hindeutet, indem sie dafür sorgt, dass der Entbergung nichts abhanden kommt. Durch dieses Ineinander von Versagen, Zulassen und Bewahren, von Verborgenheit und Entborgenheit wird ein streitbares Verhältnis zwischen Verbergung und Entborgenheit erkennbar.617. Dieses Verhältnis zeigt sich auch in der Weise, dass die Wahrheit (ἀλήθεια) in der Verborgenheit gründet. Die Verborgenheit erweist sich in diesem Verhältnis als die eigentliche Unwahrheit. „Die Un-wahrheit ist so nicht etwa das Gegenteil der Wahrheit, sondern ihre ursprüngliche Voraussetzung eben als Verborgenheit.“618 Die Vorsilbe „Un-“ 613 Ebd. Vgl. ebd., S. 193. 615 Ebd. 616 Ebd. 617 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 216. 618 Ebd., S. 217. 614 81 wie in Un-wahrheit, Un-verborgenheit, Un-wesen bedeutet nicht eine Verneinung, ein Nicht an Wahrheit im traditionellen Sinn (etwa Lüge statt Wahrheit), sondern ein „Ur-“ (wie in Ursprung etc.), ein ursprünglich zur Wahrheit Gehöriges.619 Dabei ist es so, dass die Verborgenheit älter ist als die Wahrheit (ἀλήθεια) „Die Verborgenheit des Seienden im Ganzen, die eigentliche Un-wahrheit, ist älter als jede Offenbarkeit von diesem und jenem Seienden. Sie ist älter auch als das Seinlassen selbst, das entbergend schon verborgen hält und zur Verbergung sich verhält.“620 Älter-sein darf nicht zeitlich missverstanden werden, sondern sagt etwas aus über das Fundierungsverhältnis und zwar derart, dass die Verborgenheit der Wahrheit zugrunde liegt.621 Heidegger bezeichnet nun die Verborgenheit – er nennt sie auch „Verbergung des Verborgenen im Ganzen“622 – „Geheimnis“ und beschreibt sie als das eigentliche Un-wesen der Wahrheit. Gewöhnlich hat der Begriff Unwesen etwas mit Verunstaltung zu tun Aber bei Heidegger, der Un-wesen mit Bindestrich schreibt, erhält dieser Begriff einen neuen Inhalt. Un-wesen bezeichnet bei Heidegger das vor-wesende Wesen.623 Das bedeutet, „daß die Verborgenheit als das eigentliche Un-wesen der Wahrheit selbst auch ein »Wesen«, selbst ein wesendes, waltendes Wesen ist.“624 Es ist in seinem Versagen, Zulassen und Bewahren von Entbergung, Weisung gebend für die Entbergung des Seienden.625 Wenn der Mensch diese Zusammenhänge vergisst, wenn er also die Verbergung des Verborgenen (das Geheimnis) vergisst, bleibt er beim Gangbaren und Beherrschbaren auch da, wo es das Erste und Letzte gilt. Worauf bezieht nun Heidegger die Begriffe das „Gangbare“ und das „Beherrschbare“? Das wird gegen Ende des 6. Abschnittes deutlich. Der Mensch bewegt sich, wie es schon in Sein und Zeit bei der Beschreibung des Man und beim Verfallen als Uneigentlichkeit beschrieben wurde, im Gängigen. Heidegger spricht in „Vom Wesen der Wahrheit“ von der „Ansässigkeit im Gängigen“. Das heißt konkret, er bleibt in dem gefangen, was man so sagt und macht, was dem Zeitgeist entspricht. Das hat auch Konsequenzen für den „geschichtlichen Menschen“. Der Mensch wird, so sagt Heidegger, stehengelassen „in seinem Gangbaren bei seinen Gemächten“.626 Der Mensch entnimmt seine Maßstäbe aus Technik und Wissenschaft. „Wissenschaftliche Technik und technische Wissenschaft sind zweifellos heute die Maß-gebenden Mächte für das Leben im Ganzen geworden.“627 Der Mensch wendet sich weg vom Geheimnis, er wendet sich hin zu Technik und Wissenschaft und entnimmt der Technik und Wissenschaft seine Maßstäbe. „Statt auf die Weisung zur Entbergung aus der Verbergung zu achten, statt aus dieser Weisung seine Maße für sein Selbst- und Weltverhältnis zu nehmen, entnimmt er seine Maße lediglich den 619 Vgl. ebd., S. 216. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 194. 621 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 217. 622 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 194. 623 Vgl. ebd. 624 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 154. 625 Vgl. ebd., S. 161. 626 Vgl. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 195. 627 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit Freiheit Geschichte, S. 167. 620 82 Bedürfnissen und Absichten, Planungen und Vorhaben im Horizont der technischwissenschaftlichen Beherrschbarkeit des Seienden im Ganzen.“628 So existiert der Mensch uneigentlich, insistent, umhergetrieben. Allerdings gehören das Dasein in seiner Ek-sistenz und das Dasein in seiner insistenten Zuwendung zum Gangbaren zusammen. „E k - s i s t e n t i s t d a s D a s e i n i n s i s t e n t . Auch in der insistenten Existenz waltet das Geheimnis, aber als das vergessene und so »unwesentlich« gewordene Wesen der Wahrheit.“629 Heidegger deutet durch das Setzen von Anführungszeichen an, dass er das Wort unwesentlich nicht in einer gewöhnlichen Bedeutung meint. Heidegger meint hier: „Das »unwesentlich« gewordene Wesen ist das nicht vor-wesende Wesen.“. Das »un« in »unwesentlich« ist jenes »nicht«, das im Sichversagen der Verbergung beschlossen ist.“630 Damit ist der Übergang vom Geheimnis (Verbergung des Verborgenen) zum Irrtum (Irre) erreicht. Auch das Wort Irrtum ist nicht im gewöhnlichen Sinn zu interpretieren derart, dass es dem Sprichwort „errare humanum est“ entspricht. Irren (Irrtum) ist bei Heidegger eine Weise der Un-wahrheit, aber nicht im Sinne einer Verbergung des Verborgenen. Irren bedeutet also nicht, ich habe mich beispielsweise in der Straße geirrt oder den falschen Namen gesagt etc.; Heidegger formuliert es vielmehr so: „Die Umgetriebenheit des Menschen weg vom Geheimnis hin zum Gangbaren, fort von einem Gängigen, fort zum nächsten und vorbei am Geheimnis, ist das Irren.“631 Während die Verbergung des Verborgenen (das Geheimnis) die eigentliche Un-wahrheit ist, ist die Irre (Irrtum) eine zweite Form der Un-wahrheit, das wesentliche Gegenwesen zum anfänglichen Wesen der Wahrheit. „Die Irre ist das wesentliche Gegenwesen zum anfänglichen Wesen der Wahrheit.“632 Was soll das heißen? „Das »anfängliche« Wesen ist das »ursprüngliche« Wesen der Wahrheit. Die »Verbergung des Verborgenen«, zu lesen als genitivus subjectivus, gehört als das vorwesende Wesen, als die Herkunft, in das anfängliche, ursprüngliche Wesen der Wahrheit, das aus der Verbergung anfängt. Die Irre gehört demgegenüber als das wesentliche Gegenwesen so zum anfänglichen, ursprünglichen Wesen der Wahrheit, dass die gewährte Entborgenheitsweise durch die Weisen des Beirrens bestimmt ist.“633 Bei Heidegger gehört das Gegenwesen wesentlich zum Wesen dazu. Bei Hegel dagegen stehen These und Gegenthese in einem dialektischen Spannungsverhältnis (dialektische Methode). In einem dialektischen Prozess ergibt sich dann die Synthese. Hegel versucht die Widersprüche aufzulösen. Heidegger lässt die Gegensätze stehen, löst die Widersprüche nicht auf, sondern zeigt ihr notwendiges Zusammengehören auf.634 Welche Auswirkungen hat das volle Wesen der Wahrheit, dass die zweifache Gestalt des Un-wesens (Geheimnis und Irre) einschließt auf das Da-sein?635 Heidegger spricht von der zweifachen Not: „Gemeint ist das Hin und Her 628 Ebd. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 196. 630 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 171. 631 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 196. 632 Ebd., S. 197. 633 Friedrich–Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 188. 634 Vgl. Celestine Chibueza Uzondo: Die Fundierung des Erkennens im „Verstehen“ in Heideggers Sein und Zeit und danach, S. 220. 635 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 186. 629 83 zwischen dem nötigenden Walten des Geheimnisses und dem nötigenden Beirren durch die Irre.“636 Dieses Hin und Her zwischen Geheimnis und Irre gehört wesentlich zum Da-sein und damit zum Menschsein in seiner geschichtlichen Ek-sistenz. „Die Irre, durch die der Mensch geht, ist nichts, was nur gleichsam neben dem Menschen herzieht wie eine Grube, in die er zuweilen fällt, sondern die Irre gehört zur inneren Verfassung des Daseins, in das der geschichtliche Mensch eingelassen ist.“637 Im nächsten Abschnitt geht es im Wesentlichen um die Interpretation des Satzes aus den Anmerkungen in „Vom Wesen der Wahrheit“: „Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit entspringt aus der Frage nach der Wahrheit des Wesens.638 Dies dient der Hinführung zum Abschnitt 4.1.2.5.: „Die ‚Kehre‘ und der Wandel in Heideggers Wahrheitsverständnis.“ 4.1.8.2 Die Wahrheit des Wesens Als Überschrift dieses Abschnittes steht mit Absicht „Die Wahrheit des Wesens“, denn in diesem zweiten Abschnitt des angesprochenen Satzes geht es um Wesentliches in Heideggers Denkweg, um eine innige Vernetzung von Wahrheitsfrage und Seinsfrage.639 Was bedeutet dieser Satz hinsichtlich der Vernetzung zwischen Sein und Wahrheit und inwiefern wird hier schon die sogenannte „Kehre“ sichtbar? Heidegger selbst hatte ursprünglich (1930) vor, den Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ durch einen Entwurf „Von der Wahrheit des Wesens“ zu ergänzen. Das Vorhaben, so deutet er es im „Brief über den Humanismus“ an, misslang.640 Zur Erinnerung: Das Wesen der Wahrheit ist nicht die Richtigkeit einer Aussage, sondern ist vorprädikativ in der Freiheit der Ek-sistenz begründet. Es besteht ein Unterschied zwischen Wesen im ersten Teil des oben genannten Satzes und dem Wesen im zweiten Teil des Satzes, so wie er in der Überschrift zu diesem Abschnitt gemeint ist. Während das Wesen im ersten Teil substantivisch zu verstehen ist, ist es im zweiten Teil verbal zu verstehen. Im ersten Teil bezieht sich Wesen auf die „quidditas“ („Washeit“), während im zweiten Teil das Wesen im Sinne von Sein zu verstehen ist.641 Dann heißt der Satz: Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit entspringt aus der Frage nach der .Wahrheit des Seins. „Die aus der Seinsfrage entspringende Wahrheitsfrage übernimmt für das Fragen der Seinsfrage die Aufgabe, die Frage nach dem eigensten Wahrheitswesen des Seins vorzubereiten.“642 Im erstanfänglichen Denken geht es der Philosophie (Plato, Aristoteles) um die Seiendheit des Seienden. In Heideggers andersanfänglichem Denken des Seins steht die Ek-sistenz als geschichtsbegründende im Mittelpunkt des Denkens mit der Folge, dass die Ek-sistenz die ek-sistente Freiheit im Lebensvollzug zum Vollzug bringt. „Mit der Ek-sistenz ist somit zugleich das 636 Ebd. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 196. 638 Ebd., S. 201. 639 Vgl. Martin Brasser: Wahrheit und Verborgenheit. Interpretationen zu Heideggers Wahrheitsverständnis von „Sein und Zeit“ bis „Vom Wesen der Wahrheit“. Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie Band 2003 (Würzburg 1997), S. 333. 640 Vgl. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9). S. 201. 641 Vgl. ebd. 642 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 345. 637 84 ursprüngliche Wesen der Wahrheit und diese als die Wahrheit des Seins genannt.“ 643 Dem andersanfänglichen Denken geht es nicht nur um das Wesen des Seienden, sondern in erster Linie um das Wesen des Seins und dessen Wahrheit. D.h. das Denken wendet sich nicht ab vom Seienden, sondern es denkt „das Seiende und dessen Offenbarkeit vom Wesen des Seins her“644. Somit ist auch klar, dass Heidegger das erstanfängliche Denken (Metaphysik) nicht in Bausch und Bogen verwirft. Für Heidegger sind die metaphysischen Fragen nicht einfach falsche Fragen. Wenn er von Überwindung der Metaphysik spricht, dann zielt er auf eine Überwindung der Begrenzung der Metaphysik. Er bemüht sich um ein ursprünglicheres Fragen nach der Wahrheit, dem Sein und der Welt.645 An diesem Punkt ist die Hinführung zur Kehre im Wesentlichen abgeschlossen. 4.1.8.3 Die „Kehre“ und der Wandel in Heideggers Wahrheitsverständnis Im „Brief über den Humanismus“ spricht Heidegger dem Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ einen „gewissen Einblick“ in das Denken der „Kehre“ zu.646 Das bedeutet, dass im Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ noch kein vollständiger Einblick in das Denken der „Kehre“ vorliegt, sondern ein wichtiger Schritt von der fundamentalontologischen Blickbahn in Sein und Zeit zur seinsgeschichtlichen Blickbahn.647 „Der entscheidende Schritt im Übergang zum seinsgeschichtlichen Denken ist zum einen die Einsicht, daß die aus der Eksistenz erfahrene Freiheit das Wesen der Wahrheit nur insofern ist und vollzieht, als sie dem anfänglichen Wesen (Walten) der Wahrheit entstammt, und zum anderen die damit zusammenhängende Einsicht, daß zum vollen Wesen der Wahrheit die Verbergung als die Herkunft aller Entborgenheit und Entbergung gehört.“648 Es geht demnach auf dem Denkweg von der fundamentalontologischen zur seinsgeschichtlichen Blickbahn nicht um eine Änderung des Standpunktes, sondern Heidegger bleibt auf seinem Denkweg, der vorwärts zum andersanfänglichen Denken oder zurück zum erstanfänglichen Denken gehen kann: „Diese Kehre ist nicht eine Änderung des Standpunktes von »Sein und Zeit«, sondern in ihr gelangt das versuchte Denken erst in die Ortschaft der Dimension, aus der >>Sein und Zeit>> erfahren ist, und zwar in die Grunderfahrung der Seinsvergessenheit.“649 Der Anschlussvortrag „Von der Wahrheit des Wesens (1930) konnte nicht gelingen, weil die entsprechenden Denkvoraussetzungen noch nicht erarbeitet waren. Erst mit den „Beiträgen zur Philosophie“ (Vom Ereignis) 1936–1938 war Heidegger auf seinem Denkweg so weit, um über die Wahrheit des Wesens adäquat schreiben zu können.650 Deswegen bemerkt er in dem erst 1943 veröffentlichten Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“ in der Anmerkung: „Die entscheidende Frage (Sein und Zeit), 1927) nach dem Sinn, d.h. (S. u Z. S. 151) nach dem 643 Ebd. Vgl. ebd., S. 201. 645 Vgl. ebd., S. 221. 646 Vgl. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 328. 647 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 214. 648 Ebd. 649 Martin Heidegger: „Brief über den »Humanismus«“ in: WM (GA 9), S. 328. 650 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 219. 644 85 Entwurfsbereich, d.h. nach der Offenheit, d.h. nach der Wahrheit des Seins und nicht nur des Seienden, bleibt absichtlich unentfaltet.“651 Erst in seinem sogenannten zweiten Hauptwerk gelang es Heidegger, eine Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Seins zu finden. 4.1.9 Wahrheit des Seyns als Ereignis Teilt man Heideggers Denkweg in drei Phasen ein, dann ist „Ereignis“ das Grundwort der zweiten- und dritten Phase. Die zweite Phase von 1930 an ist geprägt von der Frage nach der Wahrheit des Seins, die dritte Phase von der Frage nach dem Ort oder der Ortschaft des Seins.652 In Heideggers zweitem Hauptwerk Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65) wird dieser Begriff nach einer Vorbereitungsphase ab 1932 zum zentralen Begriff. Im Text „Ein Rückblick auf den Weg“, der kurz nach den Beiträgen veröffentlicht wurde, drückt sich Heidegger zur Bedeutung der Beiträge aus: „Seit dem Frühjahr 1932 steht in den Grundzügen der Plan fest, der in dem Entwurf »Vom Ereignis« seine erste Gestalt gewinnt.“653 D.h. nichts anderes, als das von 1932 an Heideggers Denken auf die seinsgeschichtliche Blickbahn gerichtet ist. Das gilt auch für die Spätphase seines Denkweges. Auch das topologische Denken der dritten Phase ist seynsgeschichtlichem Denken verpflichtet: „Weil die »Ortschaft des Seins« lediglich eine Erläuterung der »Wahrheit des Seyns« ist, gehört das topologische Denken in das seynsgeschichtliche Denken.“654 Wahrheit des Seins und seinsgeschichtliche Blickbahn sind eng miteinander verbunden; aus dem Nachdenken über die Wahrheit des Seins erwächst das seinsgeschichtliche Denken. „So etwas wie den »Sinn von Sein überhaupt« gibt es für Heidegger nun nicht mehr; eine Philosophie, die nach diesem Sinn suchte, wäre wohl nicht nur Metaphysik, sondern Meta-Metaphysik, also eine Art Super-Metaphysik.“655 Er geht jetzt aus von geschichtlichen Wandlungen des Seins und teilt die abendländische Geschichte in drei Großepochen ein. Wie erklärt Heidegger den Wandel des Seins? Er greift auf das Wort „Ereignis“ zurück, aber jetzt nicht wie in der Umgangssprache gebraucht, sondern im Sinne des andersanfänglichen Denkens.656 Beim erstanfänglichen Denken ging es kurz gesagt um das Sein des Seienden, wobei Sein als „Seiendheit“ verstanden wird. Beim andersanfänglichen Denken fragt Heidegger nach dem Sein (Seyn) in einem nichtmetaphysischen Sinne.657 Was bedeutet das Wort „Ereignis“ im Zusammenhang des seinsgeschichtlichen Denkens? Das ist nicht einfach zu sagen: „Das, was Heidegger als Ereignis denkt, ist nicht mit einem Male da und hält sich bis in die Spätzeit, sondern wandelt und konkretisiert sich von Jahrzehnt zu 651 Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9). S. 201. Vgl. Günter Seubold: „Ereignis“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 302. 653 Martin Heidegger: „Ein Rückblick auf den Weg“ . In: Besinnung (GA 66), S. 424 654 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie« (Frankfurt a.M. 1994), S. 24. 655 Günter Seubold: „Ereignis“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 303. 656 Vgl. ebd. 657 Vgl. Richard Polt: „»Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«. Ein Sprung in die Wesung des Seins“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 186. 652 86 Jahrzehnt.“658 „Ereignis“ lässt sich nicht definieren. Es hat keine Eigenschaften oder eine Funktion wie ein Ding oder ein Mensch.659 „»Das Seyn« meint nicht nur die Wirklichkeit des Wirklichen, auch nicht nur die Möglichkeit des Möglichen, überhaupt nicht nur das Sein vom jeweiligen Seienden her, sondern das Seyn aus seiner ursprünglichen Wesung, in der vollen Zerklüftung, die Wesung nicht auf »Anwesenheit« einschränkt.“660 Was meint „das Seyn aus seiner ursprünglichen Wesung“? Die Frage ist verbal ausgedrückt. Wie west das Sein? Heidegger antwortet an späterer Stelle: „Das Seyn west als das Ereignis. Das ist kein Satz, sondern die unbegriffliche Verschweigung des Wesens, das sich nur dem vollen geschichtlichen Bezug des anfänglichen Denkens eröffnet.“ 661 „Das ist kein Satz“ bedeutet, das ist kein Urteil im Sinne von Richtigkeit. Es geht um die Verbergung des Wesens im Sinne der Erkenntnis Heideggers, dass zum vollen Wesen der Wahrheit die Verbergung gehört. „Um der dem Ereignis innewohnenden Tendenz zur Selbstverbergung Rechnung zu tragen, kultiviert Heidegger eine Art zu sprechen, bei der niemals vorgegeben wird, das Thema sei sprachlich vollkommen zu fassen noch vollkommen darzustellen.662 Außerdem ist Heidegger davon überzeugt, dass sich die Wahrheit des Seyns mit der gewöhnlichen Sprache nicht sagen lasse: „Mit der gewöhnlichen Sprache, die heute immer weitgreifender vernutzt und zerredet wird, lässt sich die Wahrheit des Seyns nicht sagen. Kann diese überhaupt unmittelbar gesagt werden, wenn alle Sprache doch Sprache des Seienden ist? Oder kann eine neue Sprache für das Seyn erfunden werden? Nein. Und selbst wenn dies gelänge und gar ohne künstliche Wortbildung, wäre diese Sprache keine sagende.“663 Trotzdem redet und schreibt Heidegger über die Wahrheit des Seyns in der Sprache des Seienden und das deshalb, weil die Wahrheit des Seienden ursprünglich in der Wahrheit des Seyns beruht.664 Um das, was Heidegger unter Ereignis versteht, besser verstehen zu können, sollen im Anschluss an Friedrich-Wilhelm von Herrmann einige wichtige Stellen aus den „Beiträgen zur Philosophie vorgestellt und kurz erläutert werden.665 Im 132. Abschnitt heißt es: „Deshalb gilt es, nicht das Seiende zu übersteigen (Transzendenz), sondern diesen Unterschied und damit die Transzendenz zu überspringen und anfänglich vom Seyn her und der Wahrheit zu fragen.“666 Das ist der Denkweg des seynsgeschichtlichen Denkens: „Hier übersteigt nicht der Seinsentwurf das Seiende auf den Seinshorizont hin, um von diesem auf das Seiende, es 658 Günter Seubold: „Ereignis“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 302. Vgl. ebd. 660 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 75. 661 Ebd., S. 260 662 Richard Polt: „»Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«. Ein Sprung in die Wesung des Seins“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 185. 663 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 78. 664 Marco Casanova: „Die Sprache des Ereignisses“. In: Emmanuel Mejia – Ingeborg Schüßler (Hrsg.): Heideggers Beiträge zur Philosophie Internationales Kolloquium vom 20.-22. Mai 2004 an der Universität Lausanne (Schweiz) (Frankfurt a.M. 2009), S. 383. 665 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Die ‚Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)‘ als Grundlage des seinsgeschichtlichen Denkens“. In: Emmanuel Mejia – Ingeborg Schüßler (Hrsg.): Heideggers Beiträge zur Philosophie, S. 28f. 666 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 250f. 659 87 entdeckend zurückzukommen. Vielmehr ist der Seinsentwurf ein aus der sich zuwerfenden Wahrheit des Seyns geworfener und als solcher kommt er unmittelbar aus der Wahrheit des Seins zum Seienden.“667 Dass es sich hierbei schon um das Ereignis handelt, können wir in einer weiteren Schlüsselstelle nachlesen. Dort heißt es: „Der Sprung ist der Vollzug des Entwurfs der Wahrheit des Seyns im Sinne der Einrückung in das Offene, dergestalt, dass der Werfer des Entwurfs als geworfener sich erfährt, d.h. er-eignet durch das Seyn.“668 Der Werfer des Entwurfs (das Dasein) erfährt sich selbst als geworfener, erfährt sich selbst als ereignet durch das Seyn. „Die Erfahrung der Geworfenheit als Ereignetsein aus dem ereignenden Zuruf des Seyns ist für das seynsgeschichtliche Denken die Primärerfahrung, die den immanenten Wandel der zuerst transzendental angesetzten Seinsfrage nachsichzieht.669 Was hat das Er-eignen und das Er-eignetsein mit dem Menschen zu tun? Im 143. Abschnitt der Beiträge sagt Heidegger dazu Folgendes: „Das Seyn als Ereignis. Die Ereignung bestimmt den Menschen zum Eigentum des Seyns.“670 Was bedeutet es, dass der Mensch (Da-sein) Eigentum des Seyns ist? Im 133. Abschnitt gibt Heidegger eine Antwort darauf: „Das Seyn braucht den Menschen, damit es wese, und der Mensch gehört dem Seyn, auf dass er seine äußerste Bestimmung vollbringe.“671 Die Verben dieses Satzes sind brauchen, wesen und gehören. Warum braucht das Seyn den Menschen, damit es wese? „Ohne den Menschen könnte das Ereignis nicht »sein«, d.h. ereignen. Ohne den Menschen wäre keine Geschichte und kein Selbstverständnis. Mensch und Ereignis hängen nach Heidegger so eng zusammen, dass es schon ein fundamental falscher Ansatz ist, sie zunächst als Getrennte zu denken, um sie dann zusammenzudenken.“672 Inwiefern gehört der Mensch dem Seyn? Dadurch, dass das Seyn sich er-eignet, durch die Ereignung ist der Mensch Eigentum des Seyns. Heidegger spricht im Zusammenhang von brauchen und gehören vom Gegenschwung: „Dieser Gegenschwung des Brauchens und Zugehörens macht das Seyn als Ereignis aus […].“673 Seyn und Dasein gehören zusammen. Ohne den Menschen gäbe es kein Ereignis. Trotzdem kann man nicht sagen, dass der Mensch Herr des Ereignisses ist. Das widerspräche schon der Aussage, dass der Mensch Eigentum des Seyns ist. „Der Bezug des er-eignenden Zuwurfs zu dem daraus er-eigneten Entwurf ist in sich ein Brauchen dieses daseinsmäßigen Entwurfs. Umgekehrt ist der Bezug des er-eigneten Entwurfs zum er-eignenden, brauchenden Zuwurf die Zugehörigkeit des Seins des Menschen zur Wesung der Wahrheit des Seyns.“ 674 Dieser Gegenschwung wird im 140. Abschnitt der „Beiträge“ als Kehre bezeichnet. „Was hier »die Kehre« genannt wird ist das Ereignis selbst, das als in sich gegenschwingend zwischen dem 667 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Die ‚Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)‘ als Grundlage des seinsgeschichtlichen Denkens“, S. 29. 668 Ebd. 669 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 18. 670 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (G 65), S. 263. 671 Ebd., S. 251. 672 Günter Seubold: „Ereignis“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 304. 673 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 251. 674 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Die ‚Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)‘ als Grundlegung des seinsgeschichtlichen Denkens!“, S. 30. 88 ereignenden Zuwurf und dem ereigneten Entwurf kehrig ist.675 Das Ereignis ist in diesem Gegenschwung die Blickbahn, auf die alles seynsgeschichtliche Denken ausgerichtet ist. Im 34. Abschnitt der Beiträge heißt es dazu: „Das Ereignis ist die sich selbst ermittelnde und vermittelnde Mitte, in die alle Wesung der Wahrheit des Seyns im voraus zurückgedacht werden muß.“676 Die Beiträge sind inhaltlich sehr kompliziert, was auch damit zusammenhängt, dass Heidegger dabei weder Studenten (Vorlesungen) noch eine bevorstehende Veröffentlichung im Auge hatte. Deshalb wählte er eine dem Thema angemessene Sprache (Ereignis, Seyn, Kehre, Fuge, Gegenschwung, Inständlichkeit, Sprung, Fügung, die Zu-künftigen des letzten Gottes Fehl Gottes etc.).677 Im nächsten Abschnitte wird am Beispiel der Wahrheit als Überwindung der Ästhetik am Beispiel des Kunstwerkes noch deutlicher, was Ereignis im Sinne der Beiträge und anderer Schriften Heideggers bedeutet. 4.1.10 Wahrheit als Überwindung der Ästhetik Heidegger befasst sich mit ästhetischen Phänomenen in der Malerei (Van Gogh, Cezanne, Klee), in der Lyrik (Hölderlin, Rilke, Trakl, Celan), in der Auseinandersetzung mit der Ästhetik Nietzsches etc.678 Nach seinem Verständnis wurde die traditionelle Ästhetik von der Metaphysik der philosophischen Tradition geprägt. Deshalb betrachtet er sie als „metaphysische Kunstlehre“.679 Da er die traditionelle Metaphysik als erstanfänglich ansah, suchte er seit 1932 nach einer „Überwindung der Aesthetik“ im andersanfänglichen Denken und entwickelte seine grundlegenden Gedanken hierzu vor allen in seinen Werken „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (1935/36)680 und in den Beiträgen zur Philosophie. Im Lichte des seynsgeschichtlichen Denkens erklärt er das Wesen des Kunstwerkes aus ihm selbst. Er entfaltet in „Der Ursprung des Kunstwerkes“ zwei Thesen: 1. „Im Werk der Kunst hat sich die Wahrheit des Seienden ins Werk gesetzt.“ 681 2. „Das Wesen der Kunst besteht in der »Stiftung aus der Wahrheit«, die »Geschichte gründet«.“682 Bei der Beschäftigung mit Kunstwerken geht es immer um den Bezug der Werke zur Wahrheit als Unverborgenheit und zur Geschichte. „Die Frage nach dem Ursprung des Kunstwerkes will nicht auf eine zeitlos gültige Feststellung des Wesens des Kunstwerkes hinaus, die zugleich als Leitfaden zur historisch rückblickenden Erklärung der Geschichte der Kunst dienen könnte. Die Frage steht im innersten Zusammenhang der Aufgabe der Überwindung der Aesthetik und d.h. zugleich 675 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 57. Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65). S. 73. 677 Vgl. ebd., S. 21. ?? 678 Vgl. Artur Böderl: „Ästhetik“. In: Helmut Vetter (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, S. 48. 679 Vgl. Martin Heidegger: Hölderlins Hymne »Der Ister« (GA 53), S. 21. 680 Martin Heidegger: „Der Ursprung des Kunstwerkes“. In: Holzwege (GA 5), S. 1-74. 681 Ebd., S. 21. 682 Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 163 (GA 5, S. 65). 676 89 mit einer bestimmten Auffassung des Seienden als des gegenständlich Vorstellbaren. Die Überwindung der Aesthetik wiederum ergibt sich als notwendig aus der geschichtlichen Auseinandersetzung mit der Metaphysik als solcher.“683 Heidegger widerspricht jeder Kunsttheorie, die das ästhetische Erlebnis des Subjektes in den Vordergrund schiebt. Stattdessen knüpft er an die Werksästhetik Hegels an und nicht an die von Kant und Nietzsche herkommende Erfahrungsästhetik.684 Für ihn war ein Kunstwerk etwas Dinghaftes, aber nicht etwas Dinghaftes in der überlieferten Form. Er setzt sich in „Der Ursprung des Kunstwerkes“ mit den drei wichtigsten Interpretationen über das Dinghafte auseinander und lehnt alle drei ab: 1. das idealistische Dingverständnis, 2. das materialistische Dingverständnis, 3. das Dingverständnis, das nach Stoff und Form unterscheidet. Diese unterschiedlichen Dingbegriffe waren für ihn „verstellende Vorgriffe“, die er zu ersetzen suchte durch „den Weg zur unmittelbaren Erfahrung des Kunstwerkes unter ausdrücklicher Umgehung der kritisch zurückgewiesenen Dingbegriffe und somit auch unter ausdrücklicher Vermeidung des Begriffspaares Stoff-Form“.685 Hier geht es um die Erfüllung des zweiten und dritten Grundstückes der phänomenologischen Methode, wie Heidegger sie in Die Grundprobleme der Phänomenologie686 zur Sprache bringt.687 Heidegger entfaltet nun seine zwei Thesen zum Kunstwerk in acht Schritten.688 „Das Werksein des Werkes besteht in der Aufstellung einer Welt.“689 „Werksein heißt: eine Welt aufstellen.“690 Was diese Welt bedeutet, ist schon bekannt seit der Beschreibung der Existenzialien in Sein und Zeit. Auch in „Der Ursprung des Kunstwerkes“ geht es um die Welt in ihrer Bedeutungsganzheit, deren Sinnbezüge sich uns vor allem im praktischen Umgang durch den Vollzug erschließen. Die Welt ist dem Dasein erschlossen. An die Stelle des Begriffes Erschlossenheit tritt im Kunstwerk-Aufsatz der Begriff der »Lichtung«691 „Das Seiende kann als Seiendes nur sein“, so Heidegger, „wenn es in das Gelichtete dieser Lichtung herein- und hinaussteht. Nur diese Lichtung schenkt und verbürgt uns Menschen einen Durchgang zum Seienden, das wir selbst sind“.692 Im zweiten bis vierten Schritt geht es um das Verhältnis zwischen Welt und Erde. „Indem das Werk eine Welt aufstellt, stellt es die Erde her.“693 „Das Gegeneinander von Welt und Erde ist ein Streit.“694 „Indem das Werk eine Welt aufstellt und die Erde herstellt ist eine Anstiftung 683 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 503f. Vgl. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 164. 685 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 203. 686 GA 24, S. 26-32. 687 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 203. 688 Zum Folgenden vgl. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 164f. 689 Ebd., 164 690 „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (GA 5), S. 30. 691 „Siehe auch den Vortrag „Vom Wesen der Wahrheit“. 692 „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (GA 5), S. 40. 693 Ebd., S. 32. 694 Ebd., S. 35. 684 90 dieses Streites.“695 Heidegger behauptet also zunächst, das Kunstwerk sei in der Lage, eine Welt aufzustellen und dadurch die Erde herzustellen. Diese Einheit und gleichzeitig dieses Gegeneinander muss man sich als Streit vorstellen. Folgende Begriffe müssen erklärt werden, um Heideggers Gedanken nachvollziehen zu können: Erde herstellen, Erde, Streit im Gegeneinander von Welt und Erde. „Die Erde her-stellen heißt: sie ins Offene bringen als das Sichverschließende.“696 Beim Herstellen ist also nicht das Produzieren gemeint, sondern das durch den Bindestrich deutlich gemachte, wörtlich zu verstehende Stellen in das Offene.697 „Und zwar macht das Kunstwerk die Erde dadurch eigens sichtbar, dass es die Welt, die es aufstellt, in die Erde zurückstellt.“698 Die Erde ist als die Sichverschließende kein Gegenstand der Geographie oder der Astrophysik. Heidegger ersetzt den Begriff der „Natur“ durch den Begriff „Erde“, wie er beispielsweise auch den Begriff der „Erschlossenheit“ durch den Begriff „Lichtung“ ersetzt hat. „Erde tritt an die Stelle von Natur in deren Begriffsgeschichte Heidegger problematische, weil sachverstellende semantische Verschiebungen ausmacht,699 die er mit dem Begriff der Erde abbauen möchte.“700 Die Umschreibungen Heideggers für die Erde scheinen auf den ersten Blick nicht in direkter Verbindung miteinander zu stehen, denn er gebraucht unterschiedliche Metaphern, sich dem Wesen der Erde zu nähern. So schreibt er beispielsweise: Sie lichtet zugleich jenes, worauf und worin der Mensch sein Wohnen gründet.“701 Oder: „Die Erde ist das, wohin das Aufgehen alles Aufgehenden und zwar als ein solches zurückbirgt. Im Aufgehenden west die Erde als das Bergende.“702 Der Begriff der Erde ist nicht eine Metapher für ein bestimmtes Seiendes, „sondern ist das Phänomen des bedeutungshaft Seienden selbst. Die Erde ist der Name dafür, dass diese sinnhafte Welt von Bahnen und Bezügen von etwas bedingt ist, dessen Anwesenheit sie selbst »nicht mächtig« ist: nämlich vom Gegebensein des bedeutungshaft Seienden [GA 3, S. 228]“.703 Im 5. und 6. Schritt geht es einerseits um den Streit zwischen Lichtung und Wahrheit, andererseits um den Streit zwischen Erde und Welt.704 Worum geht es dabei? „Da Heidegger den Streit zwischen Lichtung und Verbergung als den Urstreit bezeichnet, ist zunächst dieser zu betrachten, damit der Streit zwischen Welt und Erde gedeutet werden kann.“ 705 Das hängt mit der Seinsweise der Lichtung zusammen, die Vollzugscharakter (Geschehen) hat und gleichzeitig Verbergung bedeutet. „Das Wesen der Wahrheit besteht daher in einem Streit 695 Ebd., S. 36. Ebd., S. 33. 697 Vgl. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 168. 698 Ebd. 699 Vgl. Heidegger, „Vom Wesen und Begriff der Φύσις. Aristoteles, Phyik B,1“. In: Wegmarken (GA 9), S. 239301 700 David Espinet: „Kunst und Natur – Der Streit von Welt und Erde“. In: David Espinet – Tobias Keiling (Hrsg.): Heideggers Ursprung des Kunstwerks (Frankfurt a.M. 2011), S. 47. 701 „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (GA 5), S. 28. 702 Ebd. 703 Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 169. 704 Vgl. ebd., S. 164. 705 Ebd. 696 91 zwischen Lichtung und Verbergung. Das streitbare Verhältnis von Welt und Erde ist so zu verstehen: „Das Sichöffnende der Welt streitet gegen das Geborgenwerden im Sichverschließenden der Erde. Das Sichverschließende der Erde streitet gegen das Sichöffnende der Welt. Im wechselseitigen Bestreiten heben sich die Offenheit der Welt und das Sichverschließende der Erde wechselseitig in die Selbstbehauptung ihres je eigenen Wesens.“706 Das bedeutet, dass Welt und Erde wechselseitig aufeinander angewiesen sind, um im Streit miteinander zu ihrem eigenen Wesen zu kommen. Streitend miteinander befördern sie sich. Mit dieser Feststellung sind wir vorbereitet auf den siebten und achten Schritt: „Der Vollzug des Streites zwischen Welt und Erde ist ein Prozeß des Sich-ins-Werk-Setzens der Wahrheit [GA 5, S. 42].“707 „Der Prozeß des Sich-ins-Werk-Setzens der Wahrheit ist eine Stiftung der Wahrheit [GA 5, S. 63]“708 Es handelt sich demnach bei diesem Prozess um ein Geschehen (Streit). Dieser Streit vollzieht sich durch das Ins-Werk-setzen der Wahrheit. Dadurch stiftet er zur gleichen Zeit Wahrheit. Der Stiftungsgedanke wird in der KunstwerkAbhandlung ausgeführt und das Stiften als das Wesen der Dichtung im weitesten Sinne angesehen.709 Das ist ein wichtiger Aspekt im Kunstverständnis Heideggers, weil hier eine Verbindung zwischen Kunst und Dichtung (Sprache) hergestellt wird. „Dichtung im weiten Sinne ist für Heidegger das entwerfende Sagen, und in diesem zeigt sich das Wesen der Sprache. Daher gründen alle Kunstgattungen im Wesen der Sprache, auch wenn nur eine von ihnen Sprachwerke hervorbringt. Von hier aus erhält die Dichtung im engeren Sinne, die Poesie, einen Vorrang unter den Kunstgattungen. Die Dichtung im weitesten Sinne, das Wesen der Kunst, wird schließlich als Unverborgenheit des Seienden gedacht.“ 710 Auf diesen Zusammenhang zwischen Dichtung, Kunst und Wahrheit wird im nächsten Abschnitt (Die Wahrheit und das Göttliche) noch einmal genauer eingegangen, denn wichtige Gedanken der Beiträge sind inspiriert durch die Dichtung (Hölderlin). Auch „Der Ursprung des Kunstwerkes“ lässt sich laut „Zusatz“ einordnen in das Ereignis: „Die Besinnung darauf, was die Kunst sei, ist ganz und entschieden nur aus der Frage nach dem Sein bestimmt. Die Kunst gilt weder als Leistungsbezirk der Kultur, noch als eine Erscheinung des Geistes, sie gehört in das Ereignis, aus dem sich erst der >> Sinn von Sein<< (vgl. »Sein und Zeit«) bestimmt.“711 4.1.11 Die Wahrheit und das Göttliche Heideggers Anrufung des „letzten Gottes“ stellt vielleicht den Dreh- und Angelpunkt der Beiträge zur Philosophie dar.712 Auch viele Jahre später bezieht sich Heidegger im Gespräch 706 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 206. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 164. 708 Ebd. 709 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 194. 710 Ebd., S. 209. 711 „Der Ursprung des Kunstwerkes“ (GA 5), S. 73. 712 Vgl. Richard Polt: „»Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«. Ein Sprung in die Wesung des Seins“. S. 188. 707 92 mit dem Spiegel (1966)713 auf den „letzten Gott“, der in seinem Spätwerk nichts an Bedeutung verloren hat. „Der oft zitierte, seinerzeit mit Überraschung aufgenommene Satz ‚Nur noch ein Gott kann uns retten‘ [GA 16, S. 671] verweist, wie auch Heideggers Erläuterungen im Spiegel-Gespräch deutlich machen, direkt auf die Beiträge zurück. Wollte man die Theologie aus Heideggers spätem Denken streichen, hätte man dieses seines Zentrums beraubt:“714 Persönlich gesehen steht Heidegger vor einem Neuanfang, nachdem er nach dem Scheitern seines philosophisch-politischen Programms in einem Brief vom 12. April 1934 seinen Rücktritt als Rektor der Freiburger Universität eingereicht hatte.715 Heidegger beginnt sich intensiv mit der Kunst auseinander zu setzten. Sein Interesse für die Kunst wird geweckt vor allem durch die Begegnung mit Hölderlin. Im Wintersemester 1934/35 hält er seine erste Vorlesung über Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (GA 39).716 Heidegger versucht eine Neuorientierung mit Hölderlin. „Hölderlin ist, wie Heidegger es in einem Vortrag aus dem Jahre 1936 zusammenfasst, der Dichter »der entflohenen Götter und des kommenden Gottes« (GA 4, 47); Hölderlin ist damit zugleich der Dichter einer gottlosen und darin »dürftigen Zeit. Hölderlin ist der Dichter der Gegenwart als Zwischenzeit, der Zeit zwischen der Götterflucht und dem vorenthaltenen Kommen >>des Gottes«.“717 Wie rechtfertigt Heidegger, dass er auf die Dichtung zurückgreift, denn die Rede über das Göttliche, die Götter, den letzten Gott oder vom Fehl Gottes sollen nicht mythologisch missverstanden werden, handelt es sich doch in dieser Rede um Philosophie. Heidegger rechtfertigt sich, indem er für die dichterische Grunderfahrung Hölderlins auf seinem eigenen Denkweg die entsprechende seynsgeschichtliche Antwort von der Wahrheit als Lichtung erarbeitet. Trotzdem irritiert es zunächst viele, dass Heidegger Dichtung auslegt, statt in gewohnter Weise seinen Denkweg weiter zu verfolgen.718 Zu Beginn seiner HölderlinVorlesung gibt Heidegger seine Absichten preis: „Es soll nichts Griffiges und Gangbares für Tagesbedürfnisse angeboten und gar die Vorlesung damit in Empfehlung gebracht werden, so dass die verderbliche Meinung entstehen könnte, wir wollten Hölderlin eine billige Zeitgemäßheit verschaffen. Wir wollen nicht Hölderlin unserer Zeit gemäß machen, sondern im Gegenteil: wir wollen uns und die Kommenden unter das Maß des Dichters bringen“.719 Nun zurück zum Anruf des „letzten Gottes“. Wer ist dieser „letzte Gott? Darauf gibt es keine einfache, allen zugängliche Antwort. Es ist kein persönlicher Gott wie in den monotheistischen Religionen, der am Ende der Welt erscheint. „Der ‚letzte Gott‘ ist nicht das Ende, sondern der andere Anfang unermesslicher Möglichkeiten unserer Geschichte.“ 720 Der 713 „Spiegel-Gespräch mit Martin Heidegger (23. September 1966)“ (GA 16), 652-683. Günter Figal: „Gottesvergessenheit“. In: Ders. (Hrsg.): Zu Heidegger. Antworten und Fragen (Frankfurt a.M. 2009), S. 146. 715 Vgl. Günter Figal: Martin Heidegger zur Einführung (Hamburg 1996), S. 130. 716 Vgl. ebd. 717 Ebd., S. 133. 718 Vgl. ebd. 719 Martin Heidegger: Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein« (GA 39), S. 4. 720 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 411. 714 93 „letzte Gott steht im Dienste des Seyns. Durch ihn erlangt das Seyn eine Reife, in der alles Sein umgestaltet wird.721 Die Welt wird durch den Vorbeigang des „letzten Gottes“ verwandelt. Heidegger gibt gleichzeitig auch von den Göttern folgende Bestimmung: „Götter sind jene, die das Da-sein, die Wächterschaft des Menschen, ernötigen, aber so, dass ihre Not, die ihrer eigenen Gottschaft, aus dem Seyn als Ereignis entspringt.“722 Was heißt das? Wenn wir uns der „Heideggerschen Theologie“ nähern wollen, müssen wir uns mit dem andersanfänglichen Denken befassen, mit dem seynsgeschichtlichen Denken, ein mühsamer Prozess, der den Zukünftigen vorbehalten ist. Hierbei handelt es sich um jene langsamen und langhörenden Gründer der Wahrheit.723 Sie sind als künftiges Dasein zu verstehen. Sie achten auf den Wink des „letzten Gott“ Er west im Wink. Dem Da-sein wird etwas zugewunken. Es soll etwas verstehen. Was wird dem Dasein zugewunken? „In diesem Winken wird das Gesetz des letzten Gottes zugewunken, das Gesetz der großen Vereinzelung im Da-sein, der Einsamkeit des Opfers, der Einzigkeit der Wahl der kürzesten und steilsten Bahn.“ 724 Die Zukünftigen verstehen durch den Wink des „Letzten Gottes“. Voraussetzung für das Ereignis als Ereignung der Götter ist demzufolge die Gründung der Wahrheit des Seyns und die entsprechende Anstrengung und Vorbereitung der Zukünftigen. Dabei gibt es neben dem Denken noch die „Dichtung“ und „Tat“ und „Opfer“ (GA 65, S. 96), die es den Zukünftigen (den Wenigen) ermöglichen, „den Sprung in das Seyn zu erspringen“ (GA 65, S. 395).725 Trotzdem reicht diese Anstrengung der Zukünftigen nicht aus, denn das Erscheinen des Gottes oder der Götter hängt wesentlich auch vom Geschick des Seins ab: „…ob und wie der Gott und die Götter, die Geschichte und die Natur in die Lichtung des Seins hereinkommen, an- und abwesen, entscheidet nicht der Mensch. Die Ankunft des Seienden beruht im Geschick des Seins.“726 Wie verhalten sich Gott, die Götter und der „letzte Gott zum Sein? Heidegger sagt in den Wegmarken: „Das Sein ist nicht Gott und der Weltgrund.“727 Johannes B. Lotz SJ weist in diesem Zusammenhang auf den leichtfertigen Umgang mit dem Begriff des Seins hin: „Eine vorschnelle Auslegung wollte es früher mehr oder weniger mit Gott gleichsetzen.“728 Heidegger sieht den „Wesensort“ der Gottheit, der Götter oder des Gottes in der Wahrheit als Lichtung des Seins und betont, dass das Göttliche nicht mit dem Sein gleichgesetzt werden dürfe. Es ist „das Andere des Seins, denn als das Andere des Seins erlangt die Dimension des 721 Vgl. Branko Klun: „Die Gottesfrage in Heideggers ‚Beiträgen‘“. In: Theologie und Philosophie 81 (2006) S. 544. 722 Martin Heidegger: Besinnung (GA 66), S. 242. 723 Vgl. Richard Polt: „»Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«. Ein Sprung in die Wesung des Seins“, S. 191. 724 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 408. 725 Vgl. Richard Polt: „»Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)«. Ein Sprung in die Wesung des Seins“, S. 191. 726 Martin Heidegger: „Brief über den »Humanismus«“. In: WM (GA 9), S. 330. 727 Martin Heidegger: „Vom Wesen der Wahrheit“. In: WM (GA 9), S. 331. 728 Johannes B. Lotz: „Zur Frage nach Gott in der Seinsphilosophie nach Martin Heidegger“. In: Stimmen der Zeit 204 (1986), S. 744-754, hier S. 747. 94 Göttlichen ihre eigene Würde.“729 Gleich deutlich betont Heidegger die Seinsbedürftigkeit der Götter: „»Die Götter« bedürfen des Seyns nicht als ihres Eigentums, darin sie selbst einen Stand finden. »Die Götter« brauchen das Seyn, um durch dieses, das ihnen nicht gehört, doch sich selbst zu gehören.“730 Dieses Verständnis des Seyns, nämlich als Seyn, das die Götter brauchen, weist auf seine Größe hin.731 Im Zusammenhang mit dem Göttlichen steht das Heilige. Im „Brief über den Humanismus“ wird der Weg zu dem, was das Wort Gottes nennen soll so beschrieben: „Erst aus der Wahrheit des Seins lässt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gott zu denken. Erst im Lichte des Wesens der Gottheit kann gedacht und gesagt werden, was das Wort »Gott« nennen soll.732 Heidegger äußert sich kritisch zum Christentum. Die christliche Theologie wird abschätzig als „ens creatum“ und „analogia entis“733 abqualifiziert, während der „letzte Gott“ keine Schöpfung kenne. Trotzdem muss davor gewarnt werden, Heidegger als Feind des Christentums oder als einen Atheisten zu betrachten. Es geht Heidegger in seinen Denkversuchen nicht um eine Marginalisierung des Religiösen, wie das in weiten Teilen der Moderne der Fall war. Er berücksichtigt sogar die Voraussetzungen der Moderne, die vom Tod Gottes (Nietzsche) oder in Anlehnung an Hölderlin (Heidegger selbst) vom Fehl Gottes sprachen oder die Religion als etwas Mythologisches betrachteten: „Der letzte Gott manifestiert sich nicht und wird nicht offenbar; er entzieht sich – also auch der mythischen Fassung in eine Gestalt und der Bestimmung im philosophischen Begriff, sofern diese durch eine Auslegung des Seienden im Ganzen, durch eine Ontologie, gewonnen ist.“734 Die Erfahrung der Götterflucht ist eine Erfahrung aus der Geschichte, die auf etwas verweist, was gewesen ist. „Götterflucht ist Seinserfahrung, sofern in ihr Sein selbst – oder eben Seyn – in seinem Grundzug des Sichverweigerns zur Geltung kommt.“735 Zum Schluss möchte ich darauf verweisen, dass in dieser Arbeit nicht erschöpfend auf das Göttliche eingegangen werden kann. Auch kann auf den Wandel der ontologischen Differenz im Denken Heideggers, auf sein Sprachverständnis und seine Auseinandersetzung mit der Technik nicht in wünschenswerter Ausführlichkeit eingegangen werden. 4.1.12 Fazit Versuchen wir, Heideggers Denkweg in Bezug auf sein Wahrheitsverständnis kurz zusammenzufassen. Heidegger beginnt beim traditionellen Wahrheitsverständnis ewig, zeitlos 729 Paola-Ludovica Coriando: „Seinsbedürfnis: Zum »letzten Gott« in Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers (Hamburg 2011), S. 89-103, hier S. 94. 730 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 438. 731 Vgl. Paola-Ludovica Coriando: „Seinsbedürfnis: Zum »letzten Gott« in Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«“, S. 95. 732 Martin Heidegger: „Brief über den »Humanismus«“. In: WM (GA 9), S. 351. 733 Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65) S. 273. 734 Günter Figal: „Gottesvergessenheit“. In: Ders. (Hrsg.): Zu Heidegger. Antworten und Fragen, S. 145-162, hier S. 147. 735 Ebd., S. 154f. 95 gültiger Wahrheiten. Die Auseinandersetzung mit Husserl, Dilthey und anderen Denkern führt ihn zum hermeneutischen Wahrheitsverständnis. Von diesem Punkt an ist Wahrheit nicht mehr ewig, sondern aus dem persönlichen Lebensvollzug (Dasein) vor dem Hintergrund eines radikalen Verständnisses des Historischen zu verstehen. Die Wahrheit betrifft mich persönlich, was aber nicht bedeutet, dass die Wahrheit mir passt oder nützlich ist. Die „schmerzliche Wahrheit“ gehört auch zum Dasein.736 In Sein und Zeit geht es um die fundamentalontologische Ausarbeitung der Seinsfrage, die die Frage nach der Wahrheit einschließt. Heidegger knüpft beim traditionellen, auch korrespondenz bzw. adäquationstheoretischen Wahrheitsbegriff im Sinne der Sach- und Satzwahrheit (veritas est adaequatio rei et intellectus) an. Bei diesem Begriff geht es um die Übereinstimmung, die eine wahre Sache zu einer wahren und einen wahren Satz zu einem wahren macht.737 Hier setzt seine Kritik an. Er lehnt diesen Begriff nicht ab, sondern sucht im § 44 unter dem Titel „Dasein, Erschlossenheit und Wahrheit“ nach der Fundierung dieses Begriffes. Wahrheit bedeutet für ihn letztendlich Erschlossenheit und nicht im Sinne der Sach- und Satzwahrheit Übereinstimmung bzw. Richtigkeit. Das Ziel ist es, den traditionellen Wahrheitsbegriff auf seine verborgenen ontologischen Fundamente hin zu durchleuchten. Diese verborgenen ontologischen Fundamente findet Heidegger in einer am Phänomen ausgewiesenen phänomenologischen Auslegung.738 Er wendet sich gegen diejenigen, die das Wesen der Wahrheit allein in der Blickbahn von Logik und Erkenntnistheorie sehen.739 Stattdessen sucht er die Wahrheit in der Erschlossenheit des Daseins im In-der-Welt-sein. Für ihn gibt es eine enge Verbindung zwischen Wahrheit und Sein. „Die Aussage ist wahr bedeutet: sie entdeckt das Seiende an ihm selbst. Sie sagt aus, sie zeigt auf, sie »lässt sehen« (ἀπόφανσις) das Seiende in seiner Entdecktheit. Wahrsein (Wahrheit) der Aussage muß verstanden werden als entdeckend-sein. Wahrheit hat also gar nicht die Struktur einer Übereinstimmung zwischen Erkennen und Gegenstand im Sinne einer Angleichung eines Seienden (Subjekt) an ein anderes (Objekt).“740 Kürzer oder präziser als Heidegger selbst kann man die Erschlossenheit (existenziale Verfassung des Daseins) der Wahrheit als Phänomen nicht ausdrücken. Auch in seiner Rede „Vom Wesen der Wahrheit“ kreist Heideggers Denken um das Phänomen der Wahrheit (ἀλήθεια). Der Ausgangspunkt ist wie in Sein und Zeit das traditionelle Wahrheitsverständnis. Es geht Heidegger wieder um einen phänomenologischen Ansatz in der Frage nach dem Fundierungsverhältnis von Aussage und Sache. Er ersetzt einige Begriffe aus Sein und Zeit durch neue. Statt „erschließen“ und „Erschlossenheit“ gebraucht er jetzt bevorzugt „öffnen“ und „Offenständigkeit“. Die Offenständigkeit ermöglicht die Richtigkeit der Aussage. Das Neue auf dem Denkweg Heideggers ist nun, dass 736 Jean Grodin: „Heidegger und Augustin. Zur hermeneutischen Wahrheit“, S. 165. Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 57. 738 Vgl. ebd., S. 23. 739 Vgl. ebd., S. 67. 740 Martin Heidegger: SuZ (GA 2), S. 289. 737 96 die Offenständigkeit in der Freiheit gründet, die als „Seinlassen von Seiendem“ verstanden wird. Sie gehört zur Ek-sistenz des Da-seins: „Die ek-sistente Freiheit ist das-sein des Da –, das ausgesetzt ist in das Da und nur als so ausgesetztes sich dem Da aussetzt und in diesem ausgesetzten Sich-aussetzen entbergend an der Entborgenheit des Seins und Entbergung des Seienden teilhat.“741 Also ist die ek-sistente Freiheit die Grundlage für die Handlungsfreiheit und gründet die Richtigkeit der Aussage in der Freiheit. Bemerkenswert ist zudem, dass der Mensch die Freiheit nicht als Eigenschaft besitzt, sondern das vom umgekehrten Sachverhalt ausgegangen werden muss. In seinen Überlegungen erläutert er auch die Begriffe Un-Wahrheit, Irrtum, Lüge, Geheimnis, Verborgenheit. Zusammenfassend lässt sich sagen. Wahrheit und Un-wahrheit gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Geheimnis und Irre stellen sich dar als zwei Weisen der Un-wahrheit. Das Geheimnis (die erste Weise der Un-wahrheit) bezeichnet das Verbergen des Verborgenen. Verborgen ist dem Da-sein das Sein im Ganzen. Der Mensch neigt dazu, das Geheimnis in Vergessenheit geraten zu lassen und sich stattdessen mit dem Gängigen, dem Man-Selbst, zufrieden zu geben und die Möglichkeiten, die im eigentlichen Selbst realisiert werden könnten, unberücksichtigt zu lassen. Die Irre (die zweite Form der Un-wahrheit) wird als „das wesentliche Gegenwesen zum anfänglichen Wesen der Wahrheit“ bezeichnet. Dabei gehören Wesen und Gegenwesen zusammen wie Tag und Nacht. – Man denke hier an Heraklit. – Ohne Tag keine Nacht und ohne Wesen kein Gegenwesen. Im Dasein, das sich irrt, sieht Heidegger die Wirksamkeit der Geschichte anwesen: „Die Irre ist die offene Stätte und der Grund des Irrtums. Nicht ein vereinzelter Fehler, sondern das Königtum (die Herrschaft) der Geschichte jener in sich verwobenen Verstrickungen aller Weisen des Irrens ist der Irrtum.“742 Ebenso wirkmächtig in die Geschichte hinein wirkt das Geheimnis. „Das Motiv, die Geschichte – anders als noch in Sein und Zeit – in das Wesen der Wahrheit aufzunehmen, ergibt sich demnach aus der in WW [„Vom Wesen der Wahrheit“] zum ersten mal formulierten Einsicht in die gestalterische Kraft der Verborgenheit, die in der Offenbarkeit selber mit da ist. Denn die Geschichte, in der wir leben, ist nicht nur schon vergangen (oder noch ausstehend), sondern wirkt auf unsere Gegenwart ein.“743 Noch in der Rede „Vom Wesen der Wahrheit“ setzt die Wende zum seynsgeschichtlichen Denken ein, indem Heidegger den Denkschritt vollzieht vom „Wesen der Wahrheit“ zur „Wahrheit des Wesens“. Die Wahrheit des Seienden gründet in der Wahrheit des Wesens. Das seynsgeschichtliche, andersanfängliche Denken bleibt bestimmend bis ins Alterswerk. Ab 1932 entwickelt Heidegger den Begriff der Wahrheit des Seins als Ereignis. Dieser Begriff wird zuerst in seinem 2. Hauptwerk Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) entfaltet. Im Zentrum der Beiträge stehen Heideggers Gedanken zum Göttlichen bzw. zu Gott und den Göttern, zum Fehl Gottes, eine „Theologie“, die vom Seyn als Ereignis her zu verstehen ist. Jede monotheistische Religion, die von einem persönlichen Gott ausgeht, steht 741 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit. Geschichte, S. 128. Martin Heidegger: WdW in WM (GA 9), S. 197. 743 Martin Brasser: Wahrheit und Verborgenheit, S. 327. 742 97 im Widerspruch zu Heideggers Wahrheitsverständnis. Das Göttliche ist kein Bestandteil des Seins, sondern das „Andere des Seins“. Der Mensch ist somit nicht in der Lage, Gottes faktische Vorhandenheit zu erkennen oder ihn als faktisch existierend zu postulieren, denn das würde ein summum ens voraussetzen.744 Auch in der Auseinandersetzung mit der traditionellen Ästhetik (Wahrheit als Überwindung der Ästhetik) wird vom Seyn als Ereignis her gedacht. Beweis dafür sind die Beiträge zur Philosophie und auch der „Zusatz“ zu Heideggers Werk „Der Ursprung des Kunstwerkes“. Wie ordnet er das Da-sein (den Menschen) in das Seyn als Ereignis ein? Der Mensch ist Voraussetzung für das Seyn, nicht im Sinne der Dominanz, sondern als Eigentum des Seyns. 4.2 Wahrheitsverständnis Hans Urs von Balthasars Auch Hans Urs von Balthasar setzt sich kritisch mit dem Christentum, der scholastischen Philosophie und Theologie auseinander und entwickelt als Theologe, der von der Germanistik und Philosophie herkommt, Positionen, die andere Theologen bis in die Gegenwart zu heftigen Protesten anregen. Aber trotz aller Kritik an der Theologie und an der Seinsphilosophie der Neuscholastik kehrt er dem Christentum und der scholastischen Philosophie und Theologie wie sein „Zeitgenosse“ Heidegger nie den Rücken. Er entwickelt eine Seinsphilosophie, die es ihm ermöglicht, Sein und Wahrheit zusammen zu sehen und diesen Gedanken, den er in seinem philosophischen Hauptwerk Wahrheit der Welt ausarbeitet, auch zur Grundlage seiner theologischen Forschungen zu machen. In der Einleitung des Buches erfährt der Leser, warum sich der Autor mit dem Thema Wahrheit befasst. Er beabsichtigt als Theologe, philosophische Vorarbeit zu leisten. Es geht dabei um einen Versuch und nicht um ein Lehrbuch. Es sollen auch nicht die Hauptwerke der abendländischen Tradition über das Thema Wahrheit ersetzt werden. 745 Wir wissen schon von der Methodenanalyse unserer beiden Denker, dass es sich auch bei Hans Urs von Balthasar um die phänomenologische Methode handelt, die sich, wie schon beschrieben, von der Heideggers wesentlich unterscheidet. Für Hans Urs von Balthasar ist die Wahrheit eine transzendentale Eigenschaft des Seins. Der erste Band der Wahrheit der Welt betrachtet das Thema „Wahrheit“ hauptsächlich vom philosophischen Standpunkt aus, wobei von Balthasar betont, dass die real existierende Welt schon immer in Beziehung zum Gott der Gnade stehe, weil es keine natura pura gebe: „Wurzelt sich doch das Übernatürliche in die innersten Strukturen des Seins ein, um sie wie einen Sauerteig zu durchsäuern, wie ein Hauch und allgegenwärtiger Duft zu durchwehen.“746 Eine Definition der Wahrheit ist nicht möglich, da es sich beim Begriff der Wahrheit nicht um einen Gattungsbegriff handele. Dem Rationalismus wirft er vor, die Wahrheit auf eine rein theoretische Evidenz reduzieren zu wollen. Von Balthasar bedauert, dass moderne Lehrbücher christlicher Philosophie im 744 Vgl. Paola-Ludovica Coriando: „Seinsbedürfnis: Zum »letzten Gott« in Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«“, S. 94. 745 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 9. 746 Ebd., S. 21. 98 Vergleich zu den Kirchenvätern (Klemens, Origenes, Gregor von Nyssa, Augustinus) oder zu Anselm und Thomas nur karge Sätze über das Thema „Wahrheit“ geäußert hätten. 747 Außerdem warnt von Balthasar in seiner Einleitung zur Wahrheit der Welt davor, von vorgefassten Begriffen und Definitionen auszugehen, sondern der Wahrheit dadurch als unbegrenzte Seinsbestimmung gerecht zu werden, dass man ihr die ganze Fülle zugesteht.748 In diesem Zusammenhang bezieht er sich vor allem auf Thomas von Aquin, den er auch in seinem Buch als Einzigen zitiert: „Von dieser Weite und diesem unerschöpflichen Reichtum der Wahrheit waren alle großen Denker überzeugt. Auch und gerade bei jenem Philosophen, der mit Vorliebe als Paradigma und Vorbild schulmäßigen Denkens hingestellt wird, bei Thomas von Aquin, umfasst der Traktat De Veritate eine ganze Welt von Gegenständen, deren unmittelbarer Zusammenhang mit dem Problem der Wahrheit dem Einsichtigen durchaus evident ist, während Kurzsichtige hier von Abschweifungen und willkürlichen Exkursen sprechen konnten.“749 Das, was von Balthasar als Weite der Wahrheit ansieht und im Bewusstsein des Fragmentarischen jeder Erkenntnis zu diesem Thema zu sagen hat, soll im Folgenden in fünf Schritten dargestellt werden. 4.2.1 Wahrheit als Natur „Wahrheit ist die schlechthin unhintergehbare Urgegebenheit für den, der den Akt selbstbewussten Erkennens vollzieht.“750 Von Balthasar beginnt das Kapitel „Wahrheit als Natur“ mit den naturhaften Voraussetzungen der Wahrheit. Erstens geht es um einen vorläufigen Wahrheitsbegriff, zweitens um die komplexen Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt bei der Erkenntnis der Wahrheit und drittens um das Phänomen der Erkenntnis Gottes beim Akt des Erkennens der Dinge der Welt. Man kann in diesem Zusammenhang von einer Phänomenologie der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis und des eigentlichen Erkenntnisprozesses sprechen. Zunächst erschlösse sich die Wahrheit dem Selbstbewusstsein im Horizont des Seins in der Form der Unverborgenheit (ἀλήθεια). Darüber hinaus erfahre das Subjekt die Wahrheit als etwas Beständiges, dem man trauen könne (Emeth).751 Sein und Wahrheit seien dem Subjekt in der Weise erschlossen, dass es sich auf die erkannte Wahrheit verlassen könne. In einem späteren Werk Spiritus Creator wird von Balthasar konkreter, indem er das Erwachen der Wahrheit im Menschen erklärt durch die Begegnung des Kindes mit dem Du der Mutter, deren Lächeln es erwidert im Zurücklächeln. 752 „In der Wahrheit sein und für die Wirklichkeit aufgeschlossen zu sein heißt somit von Anfang an und bleibend: von Liebe zu antwortender Liebe gerufen sein.753 Die Zweifler an der Erkenntnis der Wahrheit 747 Ebd., S. 17. Vgl. ebd., S. 15. 749 Ebd., S. 15f. 750 Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit. Hans Urs von Balthasars theodramatischer Erkenntnisbegriff in vergleichender Auseinandersetzung mit der transzendentalphilosophischen Erkenntniskritik Reinhard Lauths. Münchener Theologische Studien Bd. 55 (St. Ottilien 1999), S. 87. 751 Vgl. ebd., S. 29. 752 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Spiritus Creator S. 13-50. 753 Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 89. 748 99 werden auf Augustinus verwiesen, der sinngemäß sagt: Falls jemand an der Wahrheit zweifelt, ist ihm der Zweifel bewusst und damit wird ihm bewusst, dass er denkt, also existiert.754 Unter beiden Aspekten (ἀλήθεια) und (emeth) weise die Wahrheit über sich hinaus. Trotz aller Offenheit bliebe die Wahrheit aber ein Geheimnis und könne nicht in eine Definition gezwungen werden. Auch Heidegger spricht im Zusammenhang mit der Wahrheit von Offenheit und Geheimnis. Vor allem der Begriff des Geheimnisses hat jedoch eine andere Bedeutung bei Heidegger. Darauf wird später genauer eingegangen werden. Komplexer sei das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt. Diesem Verhältnis widmet sich von Balthasar in akribischer und ausführlicher Weise, wobei er auch bekannte Begriffe aus der scholastischen Philosophie zur Erklärung heranzieht. Zunächst beschreibt er das Subjekt und das Selbstbewusstsein beim Akt des Erkennens. Aber auch die Objekte kommen immer wieder zur Sprache, denn Erkenntnis setzte bei den geschaffenen Subjekten die Objekte voraus. Insgesamt finde eine „Angleichung des Intellekts an den Sachverhalt (adaequatio intellectus ad rem)“ statt.755 Es komme zu einer Deckung zwischen Sein und Bewusstsein. Trotzdem bleibe das Subjekt frei in seiner spontanen Urteilskraft (intellectus agens).756 Das Maß der Wahrheit sei aber verteilt auf Subjekt und Objekt. Das Subjekt sei gleichzeitig maßgebend und maßnehmend. Es erkenne sich als ein Seiendes, dass sich seiner selbst bewusst sei, „das sich selber ermessen kann“757 und offen sei für die Erkenntnis des Seins als Ganzes. Es erfasse die Identität zwischen Sein und Wahrheit und erkenne, dass sich das Sein durch die Wahrheit enthülle.758 Die Ansprechbarkeit des Subjekts durch „fremde Wahrheiten“ (fremdes Sein) und die Fähigkeit, diese Wahrheiten zu erkennen und sich gleichsam von ihnen beschenken zu lassen, nennt von Balthasar die „Rezeptivität des Subjekts“.759 Unter Rezeptivität, einem zentralen Begriff in Wahrheit der Welt, versteht er eine „eindeutige Seinsvollkommenheit“.760 Die Seinsvollkommenheit „bedeutet Ansprechbarkeit durch fremdes Sein, Offenstehen für etwas anderes als für den eigenen subjektiven Innenraum, Fenster haben für alles, was seiend und wahr ist.“761 Auch der zweite Aspekt der Rezeptivität, das Sich-beschenken-Lassen durch die Wahrheiten der Dinge (fremdes Sein), ist wichtig für ihr Verständnis. Diesem Reichtum der Seinsvollkommenheit stellt er eine Art von Armut auf Seiten des Subjektes gegenüber, was eine Lernbereitschaft des Subjekts für fremde Dinge bedeutet, damit das Subjekt nicht auf seine eigene Wahrheit bezogen bleibt, sondern offen sein kann für das Sein als Ganzes.762 Beim Menschen sei die Rezeptivität an die sinnliche Wahrnehmung gebunden, d.h. von 754 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 26. Vgl. ebd., S. 32. 756 Vgl. ebd., S. 34. 757 Ebd., S. 35. 758 Vgl. ebd. 759 Vgl. ebd., S. 36. 760 Vgl. ebd. 761 Ebd. 762 Vgl. ebd., S. 38. 755 100 Balthasar erkennt das Positive der Sinnlichkeit an, denn sie ist nötig im aktiven und spontanen Sinn, damit das Subjekt offen sein kann für das Sein als Ganzes. Auch die Vernunft sei nicht nur aktiv und spontan, sondern sei in ihrer Funktion als „intellectus passibilis“763 auch rezeptiv, denn die Vernunft sei nicht nur maßgebend, sondern auch maßnehmend. Die Rezeptivität sei desto vollkommener je mehr sie spontan sei. Dadurch würde „auch die Möglichkeit und Fähigkeit, sich von Anderem bestimmen zu lassen“764 verstärkt. Diese Passivität hänge mit der „Freiheit des Geistes“765 zusammen, „der sich in der Freiheit der Liebe erschließt“766. Die Rezeptivität sei mit Hingabe verbunden, denn das Subjekt, das sich hingebe, sei nicht auf die eigene Bereicherung aus, sondern es gehe ihm um die Wahrheit um ihrer selbst willen.767 Dem Subjekt werde bewusst, dass es eigentlich nicht im Besitz der Wahrheit sei, sondern dass es bereit sein müsse, sich im Umgang mit den Dingen der Welt der göttlichen Gnade, die es als Geschenk erfahren würde, zu öffnen („potentia oboedentialis“)768. Die Fähigkeit des Subjekts, die Wahrheit zu erkennen, sei weder ein reiner Akt im Sinne von „angeborenen Ideen“, „Schemata“ bzw. „Kategorien“ (gegen pantheistischen Idealismus), sondern es handele sich bei ihr um die aktive Potenz des Subjekts, die offen nach allen Seiten sei.769 Das Subjekt erkenne, dass die Wahrheit nie abgeschlossen sei, dass es nie zum Ende der Wahrheit gelangen könne. Dem Subjekt werde eine doppelte Begrenzung klar, denn es erfahre einerseits das entgegentretende Objekt als partikulär im Verhältnis zum ganzen Sein, das in seiner Ganzheit nicht überschaubar ist, und andererseits erkenne es, dass das im Selbstbewusstsein erschlossene Sein nicht das Sein schlechthin sein könne. Hinter jedem partikulären Sein trete das absolute Sein auf, „ein von sich selbst gemessenes, sich selbst gegenwärtiges“770 und mit Selbstbewusstsein begabtes Sein. Das Selbstbewusstsein erkenne in jedem seiner Erkenntnisakte einschlussweise Gott [omnia cognoscentia implicite Deum in quolibet cognito (De Ver. Q 22 a 2 ad 1)].771 Diese Gotteserkenntnis sei nicht unmittelbar zugänglich, sondern nur der Zugang zur eigenen Kontingenz und zur Kontingenz der Welt. Durch die Vermittlung der Erkenntnis gelange das Subjekt in einem „impliziten Kausalschluß“772 zur Erkenntnis Gottes. Zum besseren Verständnis des 1. Kapitels ist es sinnvoll, den letzten Abschnitt „Die Doppelgestalt der Wahrheit“, in dem es vor allem um die Leistungen des Selbstbewusstseins geht, vorzuziehen. Erst dann wird genauer auf das eingegangen werden, was von Balthasar noch zum Thema „Objekt“ zu sagen hat. 763 Vgl. ebd. Ebd. 765 Ebd., S. 40 766 Ebd., S. 40f. 767 Ebd., S. 47. 768 Ebd. 769 Vgl. ebd., S. 41. 770 Ebd., S. 44. 771 Ebd., S. 45. 772 Vgl. ebd., S. 46. 764 101 Das Subjekt erfasse das Objekt zunächst in seiner sinnlichen Sphäre in Form von Bildern und ihrer Anschauung. Mit Hilfe dieser Bilder könne es zum Wesen des Objekts vorstoßen, das absolut unanschaulich sei. Voraussetzung dafür sei, dass die sinnliche Sphäre Teil des „totalen geistigen Erkenntnisraumes“773 sei, dessen Wesen das Selbstbewusstsein sei. Das ist eine sehr dichte Aussage, in der es um wesentliche Grundlagen der von Balthasarschen „Erkenntnislehre“ geht und nicht mit dem kompatibel ist, was wir von Heideggers Fundamentalontologie her aufgenommen haben. Nach von Balthasar leiste das Selbstbewusstsein ein Dreifaches: 1. Es fasse die Bilder zur Einheit der Anschauung zusammen. 2. Es gebe diesem zu einer Einheit zusammengefassten Bild, die Einheit des Begriffs774. 3. Die dritte Leistung sei die Stiftung der Einheit des Seins, die „Setzung der Existenz“775, da das Anschauliche nicht auf eine Existenz verweise. Zusammenfassend kann man sagen, dass das Selbstbewusstsein eine zentrale Rolle im Erkenntnisprozess spielt. Es ist in der Lage, die Sinnesbilder, die das Bewusstsein von den Dingen aufnimmt, zur Einheit zusammenzufassen, so dass ein einheitliches Gesamtbild entstehen kann. Dann ist es in der Lage, die zu einer Einheit der Anschauung zusammengefassten Objekte mit einem einheitlichen Begriff zu belegen. Das Selbstbewusstsein ist außerdem fähig, die Objekte auch in ihre Existenz zu setzen, d.h. auch als real existierende zu verstehen. Scholastisch ausgedrückt spricht von Balthasar von „abstractio speciei a phantasmate“ und von „conversio intellectus ad phantasma“,776 d.h. die Bilder würden einerseits zu Begriffen erhoben und andererseits würde der „geistige Sinn“777 in die Anschauung eingesenkt. Beim Erkennen komme es dann irgendwie zu einer Identität zwischen Subjekt und Objekt. Das Subjekt erfasse die ganze Wahrheit des Objekts, wenn es das Objekt als ein ihm gegenüber stehendes „Für-sich-Sein“778 verstehe. Das Subjekt verfüge über einen „personal, freien und souveränen Innenraum, den man sich nicht als leere Tafel, sondern als Geist, das kostbarste Material der Welt vorzustellen habe.779 Das geistige Wort (verbum mentis) sei mehr als ein faktisch vorhandenes Objekt, denn es spreche dem Objekt Sinn zu. Deshalb sei diese schöpferische Tat des „intellectus agens“ mehr als Gerechtigkeit, es sei ein Akt der Liebe, der vom Objekt nicht eingefordert werden könne.780 Dieser Akt sei analog zur schöpferischen Zumessung durch die urbildliche, produktive Erkenntnis Gottes, der mit einem Blick der Liebe seine Geschöpfe betrachtet.781 Hier kommt ein in der Philosophiegeschichte neuer Aspekt zum Tragen, der Wahrheit und Liebe zusammen sieht (Erkenntnis und Wille als Akt der Liebe). 773 Ebd., S. 70. Vgl. 71 775 Vgl. ebd., S. 72. 776 Vgl. ebd. 777 Vgl. ebd. 778 Vgl. ebd., S. 73. 779 Vgl. ebd., 780 Vgl. ebd., S. 77. 781 Vgl. ebd., S. 78. 774 102 Was sagt von Balthasar von den Objekten? Im Abschnitt „Das Objekt“ geht es um die Bedingung der Möglichkeit der Erkennbarkeit der Objekte, die nicht übereinstimmen müsse mit den Bedingungen der Erkenntnis.782 Das Maß für die Enthüllung des Wesens der Dinge liege bei Gott als Urbild des Seins. Nur in dem Maße, in dem Gott Menschen an der Wahrheit der Dinge und Subjekte teilnehmen lasse, werde den Subjekten das Sein licht. Die Wahrheit der Dinge sei mehr als das faktische Vorhandensein. Das verdeutlicht von Balthasar am Beispiel der Pflanze. Die Wahrheit einer Pflanze transzendiere ihr bloßes Dasein, denn man könne von einem „geistigen Plan“ (Entelechie) der Pflanze sprechen, obwohl die Pflanze selbst nicht geistig sei.783 Das Sein der Dinge sei auf Gott hin offen und nicht in sich selbst abgeschlossen. Die Dinge seien aus folgenden Gründen nicht nur bloße Tatsachen: Sie überstiegen in ihrem Wesen entweder als Einzelwesen „den vergänglichen Augenblick oder als Artwesen ihre Individualität.784 Die Wahrheit des Objektes habe ontologisch gesehen die Form einer Rezeptivität, denn es würde ihr sowohl ihre zeitliche Existenz als auch ihre Idee in jedem Moment von Gott zugesagt.785 Deshalb dürfe das Subjekt nur im Auftrag Gottes sagen, was die Dinge im Lichte Gottes seien oder wie sie sein sollten.786 Im Abschnitt „Subjekt und Objekt“ vergleicht er das Erkennen mit einem Abenteuer, denn das Subjekt wisse nicht schon im Voraus, was sich aus dem Zusammenspiel und in der Ergänzung von Subjekt und Objekt ergäbe.787 Subjekt und Objekt fänden im Zusammentreffen auf wunderbare Weise ihre Erfüllung, denn sie würden sich gegenseitig offenbaren und sich gegenseitig erkennen. Selbsterkenntnis vollzöge sich nur über Fremderkenntnis.788 Was auffällig erscheint in diesem Zusammenspiel zwischen Subjekt und Objekt ist die starke Betonung des Objekts beim Finden der Wahrheit im gegenseitigen Erkennen. Auch im nächsten Gedankenschritt, der noch einmal deutlich auf die Hinordnung der Objekte auf den Raum der Subjekte hinweist, scheint die Darstellung der Objekte ihre tatsächliche Bedeutung zu übertreffen. Der Baum beispielsweise brauche den Sinnesraum der Subjekte und die Wirkung, die von ihm auf seine Umwelt (Mensch, Erde, Luft, Landschaft) ausgehe, um er selber sein zu können, um Gottes Idee zu verwirklichen und sich nur so in einer „ihm überlegenen Welt“789 vollenden könne. Diese Aussage scheint übertrieben zu sein. Die Wahrheit des Baumes sei wesentlich mehr als das „unbekannte Lebensprinzip“790 desselben. Wahrheit entstehe aus dem Zusammenwirken von Subjekt und Objekt. Der naive Realismus übersehe dieses Zusammenwirken und sehe die ganze ontologische Wahrheit allein in den 782 Vgl. ebd., S. 49. Vgl. ebd., S. 51. 784 Vgl. ebd., S. 54. 785 Vgl. ebd., S. 55. 786 Vgl. ebd., S. 57. 787 Vgl. ebd., S. 58. 788 Vgl. ebd. 789 Vgl. ebd., S. 60. 790 Vgl. ebd. 783 103 Objekten.791 Die kritische Erkenntnistheorie trenne den subjektiven vom objektiven „Anteil der Erkenntnis“.792 Das würde dazu führen, dass dieser Anteil von der Gesamtwirklichkeit abgezogen würde und das Objekt deshalb seine eigene objektive Wahrheit innerhalb des Erkenntnisraumes nicht zur Entfaltung bringen könne. Aus diesem Grund sehe man von den sogenannten sekundären Sinnesqualitäten (Farbe, Ton, Geschmack, Geruch etc.) ab. Man betrachte nur die primären Sinnesqualitäten (Zeitlichkeit und Ausdehnung) als relevant. Wenn man davon noch die primären Sinnesqualitäten eliminiere, bleiben auf Seiten der Wahrheit nur noch ein Rest abstrakter, unanschaulicher Begriffe des „An-sich-seins, der Substanz etc.“793 Diese Kritik Balthasars am naiven und am kritischen Realismus ist durchaus berechtigt. Besonders hervorzuheben sind die Leistungen des Selbstbewusstseins. Es handelt sich nicht wie bei Kant (Idealismus) um angeborene Ideen, um Kategorien von Raum und Zeit, sondern um die je neue Leistung des „intellectus agens“, der gleichzeitig rezeptiv Sinnesdaten aufnimmt und diese dann selbständig aufbereitet zur Einheit der Anschauung und des Begriffs. Um Missverständnissen vorzubeugen bedeuten Sinn »verleihende« und Sein »stiftende« Tätigkeit beim Erkennen der Wahrheit der Objekte nicht „Belehnung des fremden Objekts mit dem Eigenbesitz des Subjekts“, sondern sind zu verstehen „als eine Zusprechung dessen, was dem Objekt auch in der Selbsterkenntnis des Subjekts von jeher und ursprünglich zusteht“794. Im Abschnitt „Das Subjekt im Objekt“ wird herausgestellt, dass das Subjekt auf die Objekte angewiesen sei, um zu sich selbst zu kommen. Von Balthasar schreibt: „Ohne die Welt bleibt es ein ungebildetes Ich. Es hat keine Form, keinen Umriss, keine Prägung, keinen Charakter. Bildung erhält es in dem Maße, als es Welt in sich aufnimmt und gestalten hilft.“795 Bevor das Ich Form annehmen und in Freiheit die Welt beherrschen könne, seien Dienst und Unterwerfung angesagt. Zunächst sehe sich das Ich von allen Seiten mit Eindrücken konfrontiert und sehe sich gezwungen, die harte Arbeit der „mühsamen Sichtung und Zerlegung, der Ausscheidung und Zusammensetzung“796 zu leisten. Was wird hier gesagt. Nichts anderes, als das das Ich nicht ohne die Welt, d.h. die Welt der Objekte (Subjekte und Natur eingeschlossen) sinnvoll leben könnte. Der Mensch könnte nicht zur Erkenntnis seines Ichseins gelangen, geschweige denn in Freiheit die Welt beherrschen. Im Übrigen ist Dienst an der Erkenntnis der Wahrheit und keinesfalls Streben nach Macht oder Befriedigung des Erkenntnisdranges (appetitus naturalis) angesagt.797 Dabei lerne das Subjekt die sinnlichen Worte als Ausdruck eines geistigen Gehalts zu verstehen und auf diese Weise sein eigenes Maß zu erhalten.798 Das Maß der Objekte gelange in den inneren Raum des Subjekts 791 Vgl. ebd., S. 62. Vgl. ebd., S. 63. 793 Vgl. ebd. 794 Ebd., S. 71. 795 Ebd., S. 64. 796 Vgl. ebd., S. 66. 797 Vgl. ebd. 798 Vgl. ebd., S. 67. 792 104 (Rezeptivität) und hinterließe dort einen Eindruck (species impressa), und durch die Spontaneität des Subjekts (intellectus agens) würden diese Eindrücke in bewusste, an dem eigenen Maß des Selbstbewusstseins messbare Maße (species expressa) verwandelt.799 Von Balthasar wiederholt mit anderen Worten, was er schon vorher bei den Leistungen des Selbstbewusstseins gesagt hat. 4.2.2 Wahrheit als Freiheit Während von Balthasar im 1. Kapitel mehr den erkenntnistheoretischen Aspekt der Wahrheit beschreibt, beschäftigt er sich im 2. Kapitel hauptsächlich mit dem ethischen Aspekt der Frage nach der Wahrheit. Zentrales Thema des 2. Kapitels ist die Freiheit der Subjekte und der Objekte. Im Mittelpunkt steht die Freiheit des Menschen, dessen Freiheit ihn befähige, Zeugnis für die Wahrheit abzulegen, denn ohne Zeugnis könne die Wahrheit nicht ans Licht kommen.800 Das Zeugnisgeben könne nur in Liebe geschehen. Die Liebe sei die Norm der Wahrheit, denn sie sei frei von Lüge.801 Sie sei die Voraussetzung dafür, dass die Wahrheit nicht missbraucht werde.802 Die Liebe achte die Intimität des je besonderen Menschen und lasse beispielsweise nicht zu, dass das Innere eines Menschen zum Vorschein komme (Hypnose).803 Von Balthasar durchläuft zunächst die Stufenleiter der arbor porphyriana: leblose Substanz, vegetatives Leben, rationales Leben, Intelligenzen. Freiheit sei in der Innerlichkeit der Subjekte und Objekte angelegt, denn jedes Sein, ob Stein, Tier, Mensch, Engel oder an oberster Stelle Gott verfüge über ein Selbstsein.804 Ich beginne mit dem Menschen, weil es letztendlich um die Gegenüberstellung der Wahrheit des Menschen als Subjekt und dem Dasein in formalontologischer und in seynsgeschichtlicher Blickbahn geht. Der Mensch steht nicht an der Spitze der Stufenleiter, aber er erfasst in seinem Bewusstsein die Wahrheit der Dinge und transzendiert diese durch Teilhabe auf die Wahrheit Gottes hin. Im Gegensatz zu den Tieren kann sich der Mensch frei äußern, wann, wo, und wie er will: „Im Menschen verinnerlicht sich das Bewusstsein zum Selbstbewußtsein. Der innere Raum ist nicht nur, wie beim Tier; licht, sondern Licht für sich selbst. Der Mensch ist das erste Wesen, dass sich selber besitzt und somit frei ist.“805 Er übernehme die Verantwortung für das, was er sagt und entscheidet, ob er die Wahrheit sagen wolle oder nicht.806 Er habe die Fähigkeit zum ethischen Handeln. Mittels der Erkenntnis der Kontingenz der Welt habe er Zugang zu sich selbst, zur übrigen geschaffenen Welt und zu Gott. Er hat die Freiheit aus einer großen Zahl von Zeichen (Wörtern, Metaphern, Sprachen etc.) über die Dinge zu sprechen. Zurück zur arbor porphyriana, und zwar zu den Dingen, Pflanzen und Tieren. „Die Dinge besitzen ein Selbstsein, und darin liegt ein einmaliger, unvertauschbarer Wert begründet, der 799 Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 129. 801 Vgl. ebd., S. 132. 802 Vgl. ebd., S. 134. 803 Vgl. ebd., S. 135. 804 Vgl. ebd., S. 84ff. 805 Ebd., S. 95. 806 Vgl. ebd. 800 105 Wert des Für-sich-seins, der zunächst ihnen allein geschenkt und anvertraut ist.“807 Die Dinge besäßen als Individualitäten einen Eigenwert, d.h. sie seien kein „Fall von“ und könnten in ihrem Geheimnis nicht erkannt werden, wenn man sie nur unter dem Aspekt „Artwesen“ zu erkennen versucht.808 Schon die leblosen Substanzen öffneten sich nicht vollständig dem subjektiven Streben nach Erkenntnis, denn die Hypothesen der Naturwissenschaften hätten keinen endgültigen Charakter, sondern wären nur Vorstufen auf dem Weg zur Wahrheit.809 In dieser Aussage ist eine Kritik der Naturwissenschaften herauszulesen, insofern sie den Anspruch erheben, im vollen Besitz der Wahrheit zu sein oder andeuten, eines Tages zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Innerlichkeit des Seins wird dichter auf der nächst höheren Stufe der Stufenleiter, nämlich im Bereich des vegetativen Lebens. Das Lebensprinzip des Lebens werde keine Forschung je erkennen.810 Trotzdem erfassten wir etwas vom Wesen des Lebens, z.B. beim Beobachten des Pflanzenwuchses könnte man erkennen, dass die Möglichkeiten des Lebens unendlich viel reicher seien als seine Darstellungen.811 Die Innerlichkeit des Seins wird noch einmal dichter auf der nächst höheren Stufe der Stufenleiter im Bereich der Tierwelt. Von Balthasar spricht in diesem Zusammenhang von »subjektiven Weltbildern«.812 Der Mensch könne nicht sagen, was die unterschiedlichen Tiere exakt über ihre Sinneswahrnehmungen aufnehmen können. Er könne nur mit Hilfe von Analogieschlüssen etwas zu den Tieren sagen, deren Sinnesorgane qualitativ und quantitativ nicht mit denen des Menschen übereinstimmen.813 Im Abschnitt „Die Freiheit des Subjekts“ beschreibt von Balthasar die Freiheit des Selbstbewusstseins des Menschen. Ausgangspunkt jeder Erkenntnis seien die Sinne. Aus diesem Grund lasse sich die Spontaneität des Denkens (intellectus agens) nicht vollkommen von der Rezeptivität lösen. Trotzdem sei die Spontaneität mit Wahlfreiheit verbunden, die Voraussetzung dafür, dass es sich bei der Erkenntnis um einen geistigen Akt handelt. Der Mensch habe die Fähigkeit aus den auf ihn einströmenden Sinnesdaten wie ein Zensor auszuwählen, was zu seinem Weltbild passt.814 So gesehen sei Erkennen kein reiner Akt des Erkennens, sondern werde durch den Willensakt mitbestimmt.815 Von Balthasar unterscheidet zwischen voluntas ut natura und voluntas elicita. Unter voluntas ut natura versteht er eine Aufgeschlossenheit des Subjekts für die Dinge der Welt als Voraussetzung für eine freie Willensentscheidung. Die freie, persönliche Willensentscheidung nennt er „voluntas elicita“. So wie der Wille zum vollen Begriff der Erkenntnis gehöre, so gehöre der Begriff der Liebe 807 Ebd., S. 81. Vgl. ebd. 809 Vgl. ebd., S. 86. 810 Vgl. ebd., S. 87. 811 Vgl. ebd., S. 89. 812 Vgl. ebd. 813 Vgl. ebd., S. 91. 814 Vgl. ebd., S. 115. 815 Vgl. ebd., S. 117. 808 106 zum vollen Begriff der Wahrheit.816 Nur der Liebende habe den wahren Blick für die Wahrheit. Da Gott die Liebe ist, ist die Wahrheit in Gott. Die übrigen Subjekte (Menschen und Engel) schauten auf das Idealbild der Wahrheit in Gott und könnten durch Teilhabe an Gottes Wahrheit und Liebe die Wahrheit der Dinge erkennen. Das Urbild oder Idealbild sei in Gottes Liebe verborgen. Der liebende Mensch, dessen liebender Blick auf den Objekten ruht, könne nur mit Gottes Gnade in Demut zur Wahrheit der Dinge gelangen. Der Mensch solle nicht nur erkennen, was ist, sondern auch, was sein soll, was also beispielsweise aus einem Menschen werden soll.817 Menschliche Erkenntnis könne niemals urbildliche Wahrheit im absoluten Sinne setzen, aber es liege im Gesetz der Seinsanalogie und der Zweitursächlichkeit, dass Gott dem Geschöpf etwas von seiner schöpferischen Kraft, auch im Bereich der Wahrheit, mitteilt. „Die aktive Potenz, die Gott seinen Geschöpfen verliehen hat, kann sich im Bereich der Wahrheit nicht nur nebenbei auswirken, sie muß eine zentralere Rolle haben, als man ihr gemeinhin zugesteht.“818 Im Abschnitt „Geheimnis des Seins“ geht es um die Intimität, die Innerlichkeit des Seins, die der Grund für den Geheimnischarakter des Seins ist. Die „bloße Faktizität des Seins“819 reiche nicht aus, um den Wert bzw. das Wesen des Seins zu verstehen. „Die Intimität der Dinge […] ist es, die ihren Wert ausmacht. Hier entgehen sie der bloßen Quantität, hier werden sie einmalig, geheimnisreich und liebenswürdig.820 Der Begriff der „Faktizität des Seins“ ist wahrscheinlich von Heidegger entlehnt, meint aber bei von Balthasar etwas anderes als im Zusammenhangs des In-der-Welt-seins. Von Balthasar legt Wert auf das Jeweils-mehr der Dinge. Er versteht darunter, dass das Sosein mehr ist als das, was faktisch realisiert ist.821 Dasein und Sosein seien wie zwei Pole aufeinander bezogen. Beide Pole könnten nicht auf Kosten des anderen als geheimnisvoll erklärt werden, denn schon allein, dass ein Ding oder eine Person existiert, ist wunderbar und in höchstem Maße geheimnisvoll. „Mit dem Wunder eines Daseins wird kein Erkennender fertig, und wenn ein Liebender einmal vermeinte, das Sosein seines Geliebten wahrhaft zu erkennen, er würde es dennoch nicht lassen, ihm täglich neu für das unbegreifliche Wunder zu danken.“822 Im letzten Abschnitt „Die Verwaltung der Wahrheit“ beschreibt von Balthasar auch den Missbrauch der Wahrheit. Jede partielle Wahrheit stehe im Zusammenhang mit der totalen Wahrheit. Der Mensch komme dann seiner Verantwortung nicht nach und könne schuldig werden, falls er vorgefasste Meinungen oder Weltanschauungen übernimmt.823 Im religiösen Bereich sei dies der Fall, wenn vorgefasste Meinungen zur Häresie oder Sektenbildung führen.824 Dagegen erleuchte die Liebe den Weg zur Wahrheit.825 816 Vgl. ebd., S. 117f. Vgl. ebd., S. 126. 818 Ebd., S. 127. 819 Vgl. ebd., S. 110. 820 Ebd., S. 109. 821 Vgl. ebd., S. 110. 822 Ebd., S. 113. 823 Vgl. ebd., S. 138. 824 Vgl. ebd., S. 139. 817 107 Für von Balthasar steht das Zusammenspiel zwischen Freiheit, Wahrheit und Selbstbewusstsein im Vordergrund seiner Metaphysik der Wahrheit. Dieses Zusammenspiel ist evident. „Balthasar fasst den Erkenntnisakt in seinem Ermöglichtsein und in seinem konkreten Vollzug als Freiheitsgeschehen auf. Erkenntnis im eigentlichen Sinn ist Erfahrung von Evidenz und Freiheit in einem unlösbaren inneren Zusammenhang“826 4.2.3 Wahrheit als Geheimnis Im 3. Kapitel kommt ´von Balthasars Metaphysik am Ausführlichsten zum Vorschein. Es ist nicht leicht, den Zusammenhang der angesprochenen Gedanken zu erkennen. Es kommt allerdings zu „Wiederholungen und Überschneidungen mit den vorausgehenden Kapiteln. Gedanklich ist es wohl der profilierteste und originellste Teil.“827 Im letzten Abschnitt des 3. Kapitels tritt der Gedanke der Wahrheit als Geheimnis am klarsten hervor, denn in ihm geht es expressis verbis um die gleichzeitige Verhüllung und Enthüllung des Seins, der Wahrheit und der Liebe. Heidegger spricht von der Verbergung und Entbergung der Wahrheit des Seins, aber meint wiederum etwas Anderes als von Balthasar, wie noch gezeigt werden wird. Von Balthasar bemerkt: „Die Dinge sind tatsächlich als verhüllte enthüllt, und in dieser Gestalt werden sie zum Gegenstand der Erkenntnis.“828 Geheimnislose, total enthüllte Dinge, könne man nicht lieben. Das gelte sowohl für den sakralen Bereich wie auch für die menschliche Liebe. So sei beispielsweise die Gottesverehrung nur möglich, wenn der Mensch das Sakrale den Blicken der Öffentlichkeit verschließe. Auch in der menschlichen Liebe gebe es zwei Formen der Wahrheitsverhüllung, nämlich die Scham und das schöpferische Vergessen und Überschauen.829 Alles was der Liebe zuträglich sei, könne enthüllt werden, aber alles, was die Liebe beschädige, muss verhüllt bleiben.830 Exhibitionismus und Promiskuität hätten keinen Platz in der Liebe. Die Liebe sei das Maß des Seienden und der Wahrheit, sie sei Sinn und Ziel aller Dinge. Schon im ersten Abschnitt geht es im Zusammenhang mit der Welt der Bilder um geheimnisvolle Vorgänge. Von Balthasar spürt der Frage nach der Bedeutung dieser Welt nach. Er versucht den Zusammenhang zwischen den Bildern, dem Sein und der Erkenntnis der Wahrheit herauszuarbeiten. Das Sein könne sich dem Subjekt nur erschließen und seine Wahrheit offenbaren, wenn es sich in Bildern darböte.831 Der Geist (intellectus agens) sei in der Lage, aus den Bildern eine „Ganzheit der Gestalt“832 herauszulesen. Der Geist spreche den Bildern Wesen und Dasein zu, die sie aus sich nicht hätten.833 Von Balthasar schreibt: „Wesen verleiht man ihnen, indem man sie als Erscheinung eines nicht-erscheinenden 825 Vgl. ebd., S. 140. Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 100. 827 Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 94. 828 Hans Urs von Balthasar: W, S. 234. 829 Vgl. ebd., S. 244. 830 Vgl. ebd., S. 240. 831 Vgl. ebd., S. 163. 832 Vgl. ebd., S. 147. 833 Vgl. ebd., S. 146. 826 108 Sinnzusammenhangs deutet; Dasein, indem man sie als Anzeige an sich seiender Dinge auslegt.“834 Von Balthasar spricht von zwei Bewegungen zwischen den beiden Polen Wesen und Erscheinung. Bei der ersten Bewegung offenbare sich das Wesen aktiv in der Erscheinung. Die zweite Bewegung sei rückläufig, indem die Erscheinung beim Prozess des eigenen ZuGrunde-Gehens das Wesen als Grund sichtbar werden lasse.835 Nur wenn die Erscheinung zugrunde ginge, könne der Geist zwischen Wesen und Erscheinung unterscheiden.836 Auch auf der Erkenntnisebene fänden wir diese zwei Bewegungen vor. Von Balthasar drückt diesen Sachverhalt in einer reichen Bildersprache aus, indem er schreibt: „Erkenntnis der Wahrheit ist daher nicht anders möglich, als dadurch, dass das Subjekt zunächst in der inneren Verbundenheit in ihm zwischen Sinnlichkeit und Geist die Spiegelung des Wesens in der Erscheinung seinerseits unmittelbar abzuspiegeln vermag, welche Spiegelung – nämlich das Stehen alles Rezeptiven in einem unmittelbar mehr-als-sinnlichen, eben geistigen Raumes – den weiteren Schritt erlaubt, dass, wie die Erscheinung in ihrer Bewegung auf das Wesen zurückgeht, um es als solches erscheinen zu lassen, so auch die Anschauung sich in den Begriff auflöst, um diesem die Einsicht in das Wesen des Seienden zu ermöglichen.“837 Für den Thomisten stelle sich die Frage, wie es möglich sein könne, dass die Erscheinungen (Akzidentien) etwas von der Substanz vermitteln. Die Kantianer würden wissen wollen, wie die Erscheinung allgemeines und notwendiges Wissen grundlegen könne.838 Die Antwort auf diese Frage ist, dass das Subjekt in der Lage ist, die Spiegelung des Wesens in der Erscheinung zu spiegeln und die Erscheinung auf das Wesen zurückzuführen. Auf diese Weise löse sich die Anschauung in den Begriff auf, und so erhalte das Subjekt Zugang zum Wesen des Seienden.839 Hier werden einige Deutungen der Bilder vorgestellt, die von Balthasar zurückweist: (1) den Rationalismus, (2) den Empirismus und (3) die Wendung vom Objekt zum Subjekt (Kant).840 Für den Rationalismus enthält die Welt der Bilder keine Wahrheit. 841 Für den Empirismus gilt das genaue Gegenteil. Für ihn sind die Bilder, die Erscheinungen selbst die Wahrheit. „Das Subjekt ist solange in der Wahrheit, als es im Aufnehmen der Bilder verharrt und sich dieser Aufnahme vollkommen hingibt.“842 In Kants »kopernikanischer Wendung« vom Objekt zum Subjekt sind die Bilder nicht mehr Erscheinungen der Welt, „sondern letztlich nur noch eine Projektion der setzenden Kräfte der Erkenntnis“.843 834 Ebd. Vgl. ebd., S. 160. 836 Vgl. ebd., S. 161. 837 Ebd., S. 169. 838 Vgl. ebd., S. 168. 839 Vgl. ebd., S. 169. 840 Vgl. ebd., S. 150f. 841 Vgl. ebd., S. 149. 842 Ebd., S. 150. 843 Ebd., S. 151. 835 109 Im 2. Abschnitt des 3. Kapitels geht es um die Bedeutung der Objekte um uns herum. „Jede Blume, die wir sehen, ist ein Ausdruck, jede Landschaft hat ihre Bedeutung, jedes tierische und menschliche Antlitz spricht eine wortlose Sprache Es wäre völlig vergeblich, diese Sprache in Begriffe umsetzen zu wollen. Wir können das Ausgedrückte zwar umschreiben, auch zu beschreiben versuchen; es adäquat wiederzugeben wird niemals gelingen. Diese Ausdrucksprache wendet sich nicht primär an das begriffliche Denken, sondern an das verstehende, das gestaltende Denken.“844 Am Beispiel einer Symphonie von Mozart werde klar, dass wir ihre Bedeutungsfülle nicht in Begriffe fassen können. Die Vollkommenheit ihres Ausdrucks werde immer ein wesenhaftes Geheimnis bleiben.845 Von Balthasar warnt davor, den Ausdruck von der Bedeutung zu isolieren, also bei der Welt der Bilder stehenzubleiben, weil eine solche Isolation zum Ästhetizismus führen könne. Der Ästhet verzichte auf die Frage nach der Bedeutung der Erscheinungen. Er lasse sich von der Oberfläche der Welt der Bilder blenden.846 Im Kontext seiner Kritik am Ästhetizismus wendet sich von Balthasar gegen ein rein symbolisches Weltbild und gegen eine Metaphysik der bedeutungsgeladenen „Chiffren des Seins, deren letzte Deutbarkeit für den menschlichen Geist unzugänglich ist oder nur im »Scheitern« erreicht wird“847 Das Thema „Wahrheit und Person“ wird ebenfalls im 3. Kapitel behandelt. Es wird später als eigenes Kapitel aufgegriffen. Am Ende des 3. Kapitels kommt von Balthasar ausführlich auf die transzendentalen Eigenschaften des Seins zu sprechen, um den Geheimnischarakter der weltlichen Wahrheit in Bezug zur göttlichen Wahrheit deutlicher darstellen zu können. Es geht also um das Wahre, das Gute und das Schöne. Im 3. Kapitel werden wichtige Aspekte der Metaphysik beschrieben, wie sie auch in späteren Werken von Balthasars, vor allem auch in der Trilogie von Wichtigkeit sein werden. 4.2.4 Wahrheit als Teilnahme Im 4. Kapitel „Wahrheit als Teilnahme“ denkt von Balthasar im Rahmen der philosophischen Gotteslehre zunächst über das Verhältnis zwischen geschöpflicher und göttlicher Wahrheit nach. In einem zweiten Schritt bezeichnet er die beiden Haltungen des kontingenten Subjekts gegenüber dem absoluten Schöpfer als Geborgenheit und Bekenntnis. Ausgangspunkt jeder Erkenntnis sei erstens die Entdeckung eines leeren, grenzenlosen Horizonts von Sein „zur Ermöglichung jeder beliebigen endlichen Erkenntnis von Objekten“848 und zweitens der „ausdrückliche und notwendige Schluß auf ein unendliches Bewusstsein als Bedingung der Möglichkeit von endlichen Subjekten“. 849 Die Kontingenz des geschöpflichen Seins und damit der geschöpflichen Wahrheit deute hin auf den fraglosen 844 Ebd., S. 154. Vgl. ebd. 846 Vgl. ebd., S. 158. 847 Ebd., S. 160. 848 Ebd., S. 258. 849 Ebd. 845 110 Grund allen Seins, auf Gott. Bei der geschöpflichen Wahrheit handele es sich um eine geschaffene Wahrheit. „Wie das Sein des Geschöpfes geschaffen, so ist es auch seine Wahrheit (veritas creata S. Th. 1 q 16 a 7).“850 Das ergebe sich aus der Kontingenz der endlichen Wahrheit.851 Dagegen sei die Wahrheit Gottes transzendent und nicht geschaffen. Ermöglichungsgrund für endliches Sein und endliche Wahrheit sei die freie, schöpferische Tat Gottes.852 Gott offenbare durch die kontingente Schöpfung, was er von sich offenbaren will. Ein zentraler Gedanke in diesem Kontext ist der Gedanke einer Welt der Ideen, und zwar nicht einer frei schwebenden Ideensphäre zwischen Gott und der Welt, sondern als von Gott frei erdachte Urbilder, nach denen sich die Schöpfung richtet. „Die Aufstellung einer Ideensphäre zwischen Gott und Welt kommt daher, wenn mit ihr Ernst gemacht wird, einer Leugnung der Freiheit Gottes gleich und führt zu einer Art von Gnosis oder Pantheismus.853 Im Abschnitt „Endlichkeit und Unendlichkeit“ geht es um die Endlichkeit als wichtigste Eigenschaft des geschaffenen Seins und der geschaffenen Wahrheit.854 Nur Gott erweise sich als unendlich. Das zeige sich beispielsweise bei der Suche nach der Einheit der Erkenntnis in entgegengesetzten Richtungen, nämlich durch Analyse auf der einen und Synthese auf der anderen Seite. Die Endlichkeit liege im geschöpflichen Sein selbst, wo Spannung herrsche zwischen universaler und individueller Einheit, zwischen Existenz und Essenz, zwischen Faktizität und Nezessität.855 Die Dinge der Welt (einschließlich der Subjekte) können nicht bis zum Grund ihres Seinsgeheimnisses durchschaut werden. So erweise sich menschliches Denken als endlich im Gegensatz zur unvergleichlichen Einheit des göttlichen Denkens.856 Das weltliche Sein sei Sein im Werden, ein Sein in Bewegung. 857 Manche Menschen wendeten sich von der Wahrheit ab, weil sie sich nach der „einfachen Identität“858 der göttlichen Wahrheit sehnen. Sie nähmen nicht zur Kenntnis, dass sie Gott erkennen würden, wenn sie die Schöpfung als Schöpfung wahrnähmen. Die menschliche Vernunft transzendiere die Endlichkeit des weltlichen Seins auf Gottes unendliches Sein hin und jedes Urteil sei deswegen ein „Gottesbeweis“.859 Der Lebensphilosophie wirft von Balthasar vor, die Welt zu teilen, in „eine theoretische, rationale Wahrheit des Denkens und eine praktische, vitale und irrationale Wahrheit des Lebens“.860 850 Ebd., S. 278. Vgl. ebd., S. 259f. 852 Vgl. ebd. 853 Ebd., S. 271. 854 Vgl. ebd., S. 278. 855 Vgl. ebd., S. 282f. 856 Vgl. ebd. 857 Vgl. ebd., S. 285. 858 Vgl. ebd., S. 287. 859 Vgl. ebd., S. 288. 860 Ebd., S. 289. 851 111 4.2.5 Wahrheit und Person Von Balthasar widmet dem Thema „Wahrheit und Person“ nur einen relativ kurzen Abschnitt unter der Überschrift „Personalität“,861 kommt aber an zahlreichen anderen Stellen seines Werkes Wahrheit der Welt, wie die vorhergehenden Kapitel zeigen, auf diese Thematik zu sprechen. Der Mensch nimmt sich nicht nur als individuelle, einmalige Person wahr, sondern auch als Person, die auf Kommunikation mit anderen Menschen angelegt ist. Das heißt auf der einen Seite, dass nur das Individuum uns zeigt, was der Mensch in seinem Wesen ist, auf der anderen Seite, dass der Mensch auf Dialog angelegt ist. „Der Mensch, der zu sich selber erwacht, erwacht ebenso unmittelbar zum Du, und dies nicht nur psychologisch, sondern durchaus gnoseologisch, weil ontologisch.“862 Die volle Wahrheit hat also dialogischen, sozialen Charakter.863 Im Dialog erfährt der Mensch die Wahrheit über sich selbst, über Gott und die Dinge der Welt. Der Mensch als kontingentes Wesen ist demnach keine nach außen abgeschottete Monade, sondern er ist im Horizont des Seins ausgerichtet auf den Dialog mit seinem Schöpfer, mit den anderen Menschen und mit allen übrigen Dingen der Welt. In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach dem Sinn des Seins, auch wenn sich dieser Sinn nicht immer enthüllt. Das gilt auch in Bezug auf die Erkenntnis der Wahrheit, die sich in ihrer Fülle dem kontingenten Individuum nicht offenlegt. „So entstehen eine Unzahl persönlich gefärbter Weltbilder und Weltanschauungen, die alle je eine bestimmte perspektivische Ansicht, bestenfalls eine standpunktlich bedingte Rundsicht über das Land der Wahrheit vermitteln, aber auf keinen Fall eine Übersicht, eine Art Vogelschau über seine ganze Lagerung bieten können.“864 Von Balthasar unterscheidet zwischen dem erkenntnistheoretischen, dem ethischen und dem historischen Aspekt der Wahrheit. Erkenntnistheoretisch führt er das Einmalige der Person auf das Zusammenspiel zwischen dem sinnlichen und dem geistigen Anteil (intellectus agens) zurück. Ohne die Sinne gibt es für den Menschen keine Möglichkeit in evidenter Weise Maß zu nehmen (an den Dingen der Welt). Bedingung der Möglichkeit des spontanen Erkenntnisaktes sei die Rezeptivität. „Mit Rezeptivität aber meint von Balthasar nicht nur die Fähigkeit, die objektive Beschaffenheit des Gegenstandes in sich aufzunehmen, sondern mehr noch eine Art heideggerisches In-die-Welt-der-Gegenstände-Hineingestellt-sein noch vor aller spontanen, freiwilligen Zuwendung zu den Dingen.“865 Erst im nächsten Schritt tritt die spontane Erkenntnis in Aktion (intellectus agens). Der intellectus agens ordnet die Sinneseindrücke (Bilder) und befähigt den Menschen, den Sinneseindrücken durch Abstraktion Begriffe (Worte) und Urteile zuzuordnen, so zwar dass er keine Denkraster (Schemata) oder Kategorien den Sinnesdaten überstülpt, „sondern das spontane Erkennen fällt seine Urteile dieser rezeptiven Haltung gemäß, macht sich die Rezeptivität zur Aufgabe, wird 861 Ebd., S. 211-216. Ebd., S. 188. 863 Vgl. ebd., S. 192. 864 Ebd., S. 208. 865 Jörg Disse: „Person und Wahrheit in der Theologie Hans Urs von Balthasars“. In: Peter Reifenberg – Anton van Hooff (Hrsg.): Gott für die Welt (Mainz 2001), S. 372. 862 112 zur, wie es bei Balthasar heißt, spontanen Rezeptivität.“866 Die Haltung des Subjekts ist eine indifferente Aufnahmebereitschaft: „Die Grundhaltung des erkennenden Subjekts kann demnach keine andere sein als die phänomenologisch geforderte einer vollen, indifferenten Aufnahmebereitschaft, die zunächst nichts anderes wünscht, als das Phänomen so rein wie möglich aufzunehmen und zu reproduzieren.“867. Diese Hingabe des Menschen an die Dinge der Welt ist personal und wird von H.U. von Balthasar mit den Begriffen Gerechtigkeit und Liebe umschrieben, wobei die Gerechtigkeit in der Liebe gründet. Dabei handelt es sich noch nicht um die „volle, freie und geistige Liebe […] denn die Erkenntnis hebt ja gerade nicht in der freien Zuwendung des Subjekts zum Objekt, sondern in dem Hineingeworfensein in das Erkennenmüssen an. Aber sofern das Subjekt vom Ursprung her dieser Hingegebenheit überantwortet ist und sie in jedem Akte der Erkenntnis ausübt und damit gültigspricht, wird die seinshafte Wurzel der Hingabe sichtbar, die im bewussten und freien Nachvollzug zur geistigen Liebe sich veredelt.“868 Der ethische Aspekt der Wahrheit kommt in vielfacher Hinsicht zum Ausdruck. Sich in Evidenz zeigende Wahrheit weist hinaus über die Ebene der Faktizität auf das Gut-sein (Transzendentalien). Wahrheit schließt Gut-sein mit ein. „Wahrheit als Selbstmitteilung lässt Wirkliches und Gutes evident werden. Als solcher Grund jeglicher Evidenz ist sie selber in gültiger Weise, evidentermaßen nicht in Frage zu stellen.“869 Zunächst fasst von Balthasar das Personsein als Gnade, als Geschenk auf. Staunend und in der Haltung der Demut nehme der Mensch sein Personsein als Geschenk entgegen.870 Der Mensch erhält die freie Entscheidung zur Verwaltung der Wahrheit und ist dazu verpflichtet, Zeugnis von der Wahrheit zu geben. Deshalb ist das Fundierungsverhältnis eindeutig: Wahrheit gründet in der Freiheit. Zur Erinnerung: Auch bei Martin Heidegger gründet die Wahrheit in der Freiheit, aber die Begründung für eine solche Gründung ist eine Andere. Von Balthasar ist überzeugt davon, dass der Mensch im Dialog Verantwortung für sich und die Welt übernimmt. Wahrheit ohne Dialog sei sinnlos, denn sie hätte niemand, der sie hört und Antwort geben könnte.871 Auch in diesem Zusammenhang ist ein Hinweis auf Heideggers Ansicht lohnend, in der er zu verstehen gibt, dass die Wahrheit ohne Da-sein nicht existent ist. Später kommen wir darauf zurück. Wie äußert sich das Gute beim Sprechen der Wahrheit? Wann überschreitet der Mensch seine Kompetenzen im Dialog mit den Anderen? Einige Aspekte, die von Balthasar in diesem Zusammenhang vorbringt, sollen erwähnt werden. Sie stehen in Verbindung mit Freiheit, Klugheit und Liebe. „Die Freiheit im Evidenzvollzug aber verwirklicht sich in der Bereitschaft zum vollen, unwiderruflichen Dienst an der sich-gebenden Wahrheit und 866 Ebd., S. 373. Hans Urs von Balthasar:W, S. 74. 868 Ebd., S. 77. 869 Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 106. 870 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 214. 871 Vgl. ebd., S. 195. 867 113 Gutheit.“872 Dienst an der Wahrheit bedeutet Verzicht auf Herrschaft über die Wahrheit, Verzicht auf ideologischen Machtmissbrauch, was in den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts auch immer zur Verbiegung der Wahrheit geführt hat. Gegen das Ethos handelt der, der Ideologien, vorgefasste Meinungen und Weltanschauungen übernimmt. Jede partielle Wahrheit steht im Zusammenhang mit der totalen Wahrheit. Im religiösen Bereich führt das Beharren auf partielle Wahrheiten zur Sektenbildung und zu Häresien. Die Liebe ist die wichtigste Norm für das Verhalten des wahrhaften Menschen. Das soll ausdrücken, dass im ethischen Sinn nur das im Dialog, also im Austausch von Wahrheiten, erlaubt ist, was nicht gegen die Liebe gerichtet ist. Wahrheit widerspricht nie der Liebe. Dabei regelt die Tugend der Klugheit die rechte Auswahl der Wahrheit.873 Zum historischen Aspekt der Wahrheit gehört, dass sich der Mensch als ein historisches Wesen erfährt. Der Mensch steht in den einzelnen Situationen seines Lebens konkret existentiell vor der Wahrheitsfrage und muss sich entweder für das Gute oder das Böse entscheiden. Auf diese Weise entsteht eine Gesamtschau der für das Leben wichtigen Situationen, die sich im Bewusstsein als Zeitfolge der eigenen Geschichte verdichten. „Hier kommt ein Moment ins Spiel, das über das bloße Gegebensein von faktischen Sachverhalten hinausgreift: die Präsenz von Wahrheit als (sowohl erfüllte wie auch zu erfüllende) Gutheit, die allein das Subjekt zum freien Ergreifen des Aufgegebenen, somit auch zum gestalterischen Eingreifen in die Gegebenheiten der jeweiligen Situation ermächtigt und auf diese Weise zu einem wirklich »geschichtlichen«, in freien Entscheidungen sich ausbildenden, persönlich-einzigartigen Wesen konstituiert.“874 Aus den einzelnen Geschichten der Individuen entsteht durch Dialog mit anderen Menschen als Trägern je eigener Geschichte ein Geschichtsbild. Trotz ihrer Standpunktgebundenheit können die Menschen ihre Erfahrungen miteinander vergleichen und trotz ihrer partikulären Erkenntnisse teilhaben an der Wahrheit.875 Eingebettet ist von Balthasars Geschichtsbild in seine ontologische Deutung des Zeitphänomens.876 Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind aufeinander bezogen. „Nur wenn sich im Gegenwärtigen nicht ausschließlich nur alles Vergangene ansammelt, sondern zugleich auch Zukünftig-Neues anmeldet, kann dieses Gegenwärtige als überraschendes Angebot und so als wirkliche Aufgabe erscheinen, die als »auf uns Zu-kommendes« echte »Zu-kunft« aufschließt.“877 Von Balthasar wehrt sich entschieden gegen den Vorwurf des Relativismus, denn für ihn ist die Wahrheit unmittelbar, aber eingebettet in Zeit und Geschichte und persönlich freie Entscheidung. „Unwandelbar ist sie in ihrer Dauer-Präsenz in den sich wandelnden Situationen, in denen sich ihre unbedingte 872 Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 109. Vgl. Hans Urs von Balthasar: W, S. 129f. 874 Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 153. 875 Vgl. ebd., S. 151. 876 Vgl. 3.2.2.1. „Realdistinktion und Zeit“. 877 Ebd., S. 152. 873 114 und unwandelbar zur Entscheidung drängende Geltung als vollkommen beanspruchender »Ruf« stets neu konstelliert und aktualisiert.“878 Abschließend möchte ich noch auf einen wichtigen Aspekt hinweisen, der sich daraus ergibt, dass sich der Mensch als Geschöpf erfährt und als solcher keinen absoluten Anspruch auf die Fülle der Wahrheit hat, wobei unter Fülle auch die Wahrheit Gottes zu verstehen ist. Es gibt keinen Anspruch des Menschen auf die Offenbarung oder gar Schau Gottes. Es existiert also kein „appetitus naturalis visionis bzw. beatitudinis“ als „Norm des erstrebbaren Wissens“.879 Eine Erkenntnislehre, die auf dem Begriff des „appetitus naturalis“ aufbaut, gerät unweigerlich in die Gefahr, in die Kompetenz Gottes einzugreifen. 880 Das hat auch Konsequenzen für unser Verhalten zu allen anderen Geschöpfen im Sinne einer Haltung des Dienstes.881 „Die Umgriffenheit der menschlichen Evidenz durch die göttliche ist nicht quantitativ zu fassen als das Behaltenseins eines kleineren Kreises innerhalb eines größeren Kreises, sondern qualitativ als das Aufgehobensein des Relativen im Absoluten.“882 Trotz dieser Abhängigkeit des Menschen von Gott, die auch darin besteht, dass der Mensch bis in sein Innerstes offen vor Gott steht, also gleichsam bis in seine Privatsphäre hinein, fühlt sich der Mensch geborgen. „Was zu Gott hin enthüllt ist, ist eben damit auch in Gott hinein verborgen und verhüllt. Es ist dem Geheimnis zugekehrt und vom Schleier des Geheimnisses mitbedeckt. Darum allein weiß sich das Geschöpf in Gott wirklich geborgen.“883 4.2.6 Fazit Da der vorherige Abschnitt schon wie eine Art Fazit des von Balthasarschen Wahrheitsverständnis gelesen werden kann, erscheint es sinnvoll, das Thema „Wahrheit der Welt“, das von Balthasar später unverändert im Rahmen der Theologik I in sein Hauptwerk, die Trilogie aus Herrlichkeit, Theodramatik und Theologik, aufgenommen hat, in den Gesamtzusammenhang der Trilogie“ einzuordnen, damit verstanden werden kann, warum der Autor so viel Wert auf ein philosophisches Fundament für seine Theologie legt. Von Balthasar führt das philosophische Denken in eine unvermeidbare Aporie auch um der Theologie willen.884 Was soll das heißen? In seiner Theodramatik bemerkt von Balthasar: „Eine Theodramatik muss unerbittlich darauf beharren, das zunächst das von der realen Welt her sich darstellende Pathos mit all seinen Aporien voll in Sicht komme, ehe von der freien Antwort Gottes […] gesprochen wird. Lässt man dieser Selbstoffenbarung der Welt ihre Zeit und ihren Raum nicht, weil man in sie das »Immer-schon« der göttlichen Antwort hineinmischt, dann riskiert man, dem Welt-Gott-Bezug jede Dramatik zu rauben.“885 878 Ebd., S. 155. Hans Urs von Balthasar: W, S. 299. 880 Vgl., ebd. S. 293 881 Vgl. ebd., S. 292. 882 Ebd., S. 302. 883 Ebd., S. 307. 884 Vgl. Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit, S. 160 f. 885 Hans Urs von Balthasar: TD III, S. 71. 879 115 Im Rahmen der Überlegungen zu „Wahrheit und Person“ wurde der Mensch als freie, mit Geist ausgestatte Person beschrieben. Diese Aussage hat einen Bezug zur Theologie, näherhin zur Trinitätslehre. Problematisch ist laut Karl Rahner, der kurze Zeit mit von Balthasar an einer neuen Dogmatik gearbeitet hat, die Übertragung des von Balthasarschen Personenbegriffs auf die Trinitätslehre. Karl Rahner war als Vertreter des „chalkedonischen Konzepts“ davon überzeugt, dass man nicht von drei Personen in Gott sprechen dürfe, denn mit dem Begriff der Person ist die Vorstellung eines eigenständigen Subjekts mit individuellem Personsein verbunden. Nach Rahner kann nicht von interpersonalen Akten in Gott die Rede sein, da es in Gott nur ein Bewußtsein gebe.886 Der Begriff der Person spielt auch eine überragende Rolle in von Balthasars Theodramatik. Mit Hilfe der „Metapher des Dramas“ versucht von Balthasar das gesamte Geschehen der Erlösung zu deuten. In diesem Drama geht es um ein Gegenüber von endlicher Freiheit (Mensch) und unendlicher Freiheit (Gott). Gott nimmt unmittelbar am Schicksal des Menschen teil. Im vierten Akt des Dramas tritt der Sohn (Jesus) an die Stelle des Sünders. Diese Stellvertretung bedeutet, dass Jesus Christus die Rolle des Erlösers übernimmt, nachdem sich die Spieler (Menschen) geweigert haben, ihre ihnen vom Spielleiter (Gott) aufgetragene Rolle im Drama der Erlösung zu übernehmen. Im ersten Teil der Theologik (Wahrheit der Welt) geht es in erster Linie um das innerweltliche Vorverständnis der Wahrheit, also um ein hauptsächlich philosophisches Verständnis der Wahrheit. Im Schlusskapitel werden Gott und Gottes Wahrheit im Sinne des Ersten Vatikanischen Konzils im philosophischen Sinn erkennbar. Von Balthasar schreibt: „Wir stehen hier am Ende einer philosophischen Untersuchung, die keine andere Offenbarung Gottes betrachtet als die in der Schöpfung selbst ergangene, innerhalb derer sich der Schöpfer als Dominus (Vat. Dz. 1806) und als Principium et Finis (ebd. 1785) anzeigt, aber darüber hinaus das unerforschliche Geheimnis bleibt.“887 Im 2. Teil der Theologik arbeitet von Balthasar mit theologischen Methoden. Es geht um die Frage, wie sich göttliche, unendliche Wahrheit in menschliche, endliche Wahrheit übersetzen lässt. Wie kann sich Gott mitteilen, ohne seinen göttlichen Charakter zu verlieren? Judentum und Islam sehen in einem Gottmenschen einen Widerspruch in sich. Wie kann Gott Fleisch annehmen, das Niedrigste für den heiligen Gott („major dissimilitodo“ DS 806).888 In Bezug auf all diese Fragen ist es ein Mysterium, wie der Mensch in seiner menschlichen Logik diese Übersetzung der göttlichen Logik verstehen kann. Von Balthasar weist auf Lukas 9,45 hin: „Sie verstanden dieses Wort nicht, es war ihnen verborgen, sie sollten es nicht erfassen.“889 Es bedarf also eines Übersetzers der Übersetzung. Im dritten Teil der Theologik geht es um den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, der uns in die Wahrheit einführt. „Wenn der Geist der Wahrheit kommt, wird er euch in alle Wahrheit 886 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 68. Hans Urs von Balthasar: W, S. 311. 888 Hans Urs von Balthasar: TL I. S. XVI. 889 Ebd., S. XVIII. 887 116 einführen (Joh 16,13).890 Im Schlussabschnitt des trinitarischen Glaubensbekenntnisses wird aufgelistet, was die Theologik des Heiligen Geistes erhellen muß: „die heilige katholische Kirche“ als der fortlebende „mystische Leib“ des menschgewordenen Logos, ihre Vorgeschichte im inspirierten Wort der „Propheten“, ihr Sich-Ereignen in den „Sakramenten“, welche das Wunder der „Sündenvergebung“ in der Taufe und der Buße, der Gemeinschaft in den heiligen Dingen (der Eucharistie) vermittelt und damit eine menschlich unbegreifliche Gemeinschaft der Geheiligten bis in das Mysterium der Stellvertretung füreinander hinein in eine Nachfolge des Kreuzes und schließlich eine solche in die „Auferstehung der Toten“ und „das Ewige Leben“ hinein“.891 890 891 Ebd. Ebd., S. XVIIIf. 117 5 Das Wahrheitsverständnis der beiden Denker – eine kritische Gegenüberstellung Nach der Klärung wesentlicher Grundzüge des Wahrheitsverständnisses der beiden Denker kann eine kritische Gegenüberstellung gewagt werden. Von Heidegger liegt nichts Schriftliches zu von Balthasar vor und auch in einem Abendgespräch, das der Jesuit Gerd Haeffner 1971 mit Heidegger geführt hat892, erkundigte sich Heidegger nicht nach Hans Urs von Balthasar, sondern nach den Jesuiten in Lyon und nach anderen herausragenden französischen Jesuiten und ganz allgemein nach der aktuellen Situation der Philosophie in Frankreich.893 Die ihm von Gerd Haeffner genannten Jesuiten aus Pullach kannte Heidegger außer Johann Baptist Lotz nicht. Er erkundigte sich nach der Ontologie von Lotz und bemerkte, dass er die Erklärungen von Lotz über das „esse subsistens“ nie verstanden habe. 894 Dagegen hat sich Hans Urs von Balthasar schon früh mit Heideggers Sein und Zeit auseinandergesetzt, was aus zwei Briefen zu entnehmen ist, die er Anfang 1929 an Emil Lech geschrieben hat.895 Werner Löser zitiert aus Manfred Lochbrunners Buch Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde folgende Sätze aus dem Brief vom 25. Januar 1929: „Kennst Du das unvergleichliche Buch von Heidegger: Sein und Zeit? Ich empfehle Dir diese letzte ,Blüte‘ des Chaosʼ und deutschen Tiefsinns zur Lektüre. Hier ist eine unmöglich scheinende Synthese von Husserl, Dilthey und Kierkegaard versucht […]. Bis Ende der Woche bin ich in Freiburg bei A. Hänle (Glümerstr. 3). Heideggers Vorlesungen werde ich nicht versäumen.“896 In einem zweiten Brief vom 27. März schreibt er unter anderem: „Heidegger ist meine neue Entdeckung: fascinierende Filosofie, die sich eine positive Destruktion der Ontologie nennt und die phänomenologische Analyse des Seins; vorab des ,Daseins’ (d.h. Mensch), durchführt. Synthese von Aristoteles, Thomas, Kierkegaard, Husserl.“897 Von Balthasar hat sich mehrmals schriftlich zu Heidegger geäußert, und zwar ausführlich in seiner Apokalypse der deutschen Seele im Kapitel „Heidegger und Rilke“.898 Hier beschäftigt er sich unter anderem mit den Themen: „die Zeitlichkeit des Daseins, der Tod als Horizont des Lebens, die Wahrheit und die Freiheit im Zeichen der Endlichkeit.“899 Auch veröffentlichte er 1939 einen Artikel mit dem Titel „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“900 Ferner bezieht sich von Balthasar in seinem philoso892 Gerd Haeffner SJ: „Abendgespräch mit Martin Heidegger“. In: Theologie und Philosophie 82 (2007), S. 392398. 893 Vgl. ebd., S. 393. 894 Vgl. ebd. 895 Vgl. Werner Löser SJ: „Der christliche Beitrag zur Metaphysik. Hans Urs von Balthasar im Gespräch mit Martin Heidegger“. In: Thomas Schmidt u.a. (Hrsg.): Herausforderungen der Modernität. Religion in der Moderne 25 (Würzburg 2012), S. 19-34, hier S. 21. 896 Ebd. 897 Ebd. 898 Hans Urs von Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele. Band III. Die Vergöttlichung des Todes, S. 193316. 899 Vgl. Werner Löser SJ: „Der christliche Beitrag zur Metaphysik“, S. 23. 900 Hans Urs von Balthasar: „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“. In: Stimmen der Zeit 137 (1939), S. 1-8. 118 phischen Hauptwerk, Wahrheit der Welt (1947) auf Heidegger, ohne sich aus schon früher genannten Gründen mit Fußnoten auf direkte Heideggerstellen zu beziehen. Man kann vielleicht sagen, dass er Wahrheit der Welt mit der Absicht verfasst hat, auf Heideggers Fragen, eine christliche Antwort zu finden. In seinem theologischen Hauptwerk, der „Trilogie“ würdigt er im dritten Band „Im Raume der Metaphysik“ unter der Überschrift „Heidegger“ die Seinsphilosophie Heideggers, die er in das abendländische Denken einordnet. 901 Auch an verschiedenen anderen Stellen des Bandes wird der Name Heidegger erwähnt. Ihn betrachtet er aus der Perspektive der Metaphysik des Aquinaten „innerhalb einer Ellipse“ „wie zwei Brennpunkte“.902 Mit dem Thema „Angst“ beschäftigt sich von Balthasars in seinem Werk Der Christ und die Angst903 (1953) wo er ebenfalls Heidegger wie einem Dialogpartner kritisch gegenübersteht. 5.1 Grundsätzliches zur Position Hans Urs von Balthasars im Hinblick auf Martin Heidegger Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Hans Urs von Balthasar trotz aller Kritik an Martin Heidegger insgesamt positiv über ihn urteilt. Er sieht in Heideggers Ansatz den „fruchtbarste[n] für eine mögliche Philosophie der Herrlichkeit“.904 Und er warnt vor dem neuen Naturalismus: „Wenn die Christenheit nicht selbst, alle Theologie der Herrlichkeit fahren lassend, dem neuen Naturalismus verfallen will – wofür im Siegeszug Teilhards de Chardin erschreckende Anzeichen vorhanden sind – wird sie das Erbe Heideggers antreten müssen und damit das echte Anliegen der ganzen Periode wahrnehmen, die hier als »antike Vermittlung« umrissen wurde, und die, wie Heidegger stets richtig betont, nicht deshalb Vergangenes gegenwärtigt, weil es historischen Wert hat, sondern weil es unentbehrlich ist für das aufgetragene Denken der Gegenwart.“905 In seinem Beitrag „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“ ordnet von Balthasar Heidegger ein in die Geschichte der Philosophie.906 Er vergleicht das griechische Denken mit dem Denken der Moderne und stellt fest, dass das griechische Denken sich in Richtung auf den Geist und die Unendlichkeit bewegt hätte, während das moderne Denken hinziele auf das Endliche. Der Kampf zwischen griechischem Denken und dem christlichen Geist hätte direkt und konsequent zu Heidegger geführt. Inhaltlich sei es bei dieser Auseinandersetzung wesentlich um die „Rechte des Partikulären“ gegenüber der „Alleinherrschaft des Allgemeinen“ gegangen.907 Von Balthasar folgert: „So steht das christliche Denken, wenn es den in der Offenbarung Christi beleuchteten philosophischen Wahrheiten Ausdruck geben will, zuletzt in gleichem Abstand vom modernen wie vom 901 Hans Urs von Balthasar: H III/1, S. 769-787. Werner Löser SJ: „Der christliche Beitrag zur Metaphysik“, S. 27. 903 Hans Urs von Balthasar: Der Christ und die Angst. 6. Aufl. (Trier 1989). 904 Vgl. Hans Urs von Balthasar: H III/1, S. 786. 905 Ebd., S. 787. 906 Hans Urs von Balthasar: „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“. In: Stimmen der Zeit 137 (1939), S. 5ff. 907 Vgl. ebd., S. 6. 902 119 griechischen Geist.“908 Gegenüber den Griechen müsse das „Positive“, „Einmalige“, „Endliche“ und „Geschichtliche“ betont werden, gegenüber der Moderne und Heidegger, dass die „Endlichkeit“ und „Zeitlichkeit“ des Weltseins nicht gegen einen Schöpfergott sprechen und negativ bewertet werden dürften.909 Hier, wie in allem, was er über Heidegger schreibt, kommt seine intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Philosophie zum Ausdruck. Vor allem im Bereich der Seinsphilosophie ist von Balthasars im Dialog mit Hegel, Heidegger, Thomas von Aquin und Dionysius Areopagita.910 Selbstverständlich verschweigt von Balthasar nicht, dass er Heideggers Endlichkeitsphilosophie als nicht christlich einstuft: „Wir sagen gegen Heidegger: Endlichkeit ist als solche nicht gleichbedeutend mit Vollkommenheit. Darum ist ein Wesen nicht umso vollkommener, je endlicher es ist. Wohl aber sagen wir: Auch Endlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit Unvollkommenheit. Es gibt in der Welt ebenso sehr eine »gute Endlichkeit« wie eine »schlechte Unendlichkeit« (Hegel).“911 Hans Urs von Balthasar bleibt trotz seiner positiven Würdigung Martin Heideggers, die unter anderem auch darin zum Ausdruck kommt, dass er auf Heideggers Warnung vor den Gefahren der Technik und des Nihilismus aufmerksam macht,912 ein Theologe der katholischen Kirche, damit also in Heideggers Augen ein Onto-Theologe. Das kann aber von Balthasar nicht abhalten, sich selbstbewusst und kritisch mit Heidegger auseinanderzusetzen: „Die Zauberformeln »Dasein«, »In der Welt sein«, »Sorge«, »Angst«, »Tod«, »Zeitlichkeit«, gleichsam ein elektrischer Stacheldraht, an dem eine ganze Schwadron von Philosophierenden sich verfing, sollen uns nicht bannen. Wir wollen zur Grundthese Heideggers vordringen.“913 Nachdem nun grundsätzlich geklärt ist, welche Position Hans Urs von Balthasar gegenüber Martin Heidegger vertritt, kann in den folgenden Abschnitten konkret herausgearbeitet werden, in welchen Bereichen der Phänomenologie, der Metaphysik etc. von Balthasar mit Heidegger übereinstimmen kann und inwiefern er sich von Heideggers Philosophie distanziert. Es ist empfehlenswert, auf das zurückzugreifen, was im 2. Kapitel zur Phänomenologie und im 3. Kapitel zur Seinsphilosophie der beiden Denker ausgeführt wurde. 5.2 Phänomenologie Für Husserl, Heidegger von Balthasar u.a. ist Phänomenologie ein Methodenbegriff. Dazu wurde unter der Überschrift „Die phänomenologischen Methoden Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars“ Wesentliches gesagt. Mit der phänomenologischen Methode wird nicht der inhaltliche Gegenstand der Philosophie angegeben, sondern es werden die Schritte 908 Ebd., S. 6. Vgl. ebd., S. 6. 910 Vgl. D. C. Schindler: Hans Urs von Balthasar and the Dramatic Structure of Truth: A Philosphical Investigation (New York 2004), S. 25. 911 Hans Urs von Balthasar: „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“, S. 8. 912 Vgl. Hans Urs von Balthasar: H III/1, S. 786. 913 Hans Urs von Balthasar: „Heideggers Philosophie vom Standpunkt des Katholizismus“, S. 1. 909 120 aufgezählt, die notwendig sind, um Philosophie in „Standpunktsunabhängigkeit“ und „Richtungsfreiheit“ betreiben zu können.914 Die Unterschiede zwischen den Phänomenologen treten bei der Weise zu Tage, wie der formale Phänomenologie-Begriff entformalisiert wird, d.h. auf seinen thematischen Gegenstand geführt wird. „Die Entformalisierung ist als Konkretisierung die Frage der inhaltlichen Bestimmung des thematischen Gegenstandes, der in der Begegnisart des Sich-an-ihm-selbst-zeigens wissenschaftlich aufgewiesen und erfasst werden soll.“915 Der formale Phänomenologie-Begriff kann nach Heidegger unter Berücksichtigung der ontologischen Differenz (Sein –Seiendes) in zweierlei Richtung entformalisiert werden, nämlich in Richtung auf das Seiende oder in Richtung auf das Sein des Seienden. Wird er in Richtung auf das Seiende entformalisiert, dann erhalte ich den vulgären Phänomenbegriff. Er betrifft das Seiende, wie es Gegenstand der positivwissenschaftlichen Forschung ist. Wird er hingegen in Richtung auf das Sein des Seienden entformalisiert, dann erhalte ich den philosophischen Phänomenologie-Begriff, auch phänomenologischer Phänomenologie-Begriff genannt.916 Das Problem der Entformalisierung war schon aufgetaucht beim Vergleich der Phänomenologie Heideggers und Edmund Husserls, denn obgleich das Gemeinsame zwischen Heidegger und Husserl in dem liegt, was Heidegger den formalen Phänomenologie-Begriff nennt, kommen beide zu unterschiedlichen Philosophien, da Heidegger den formalen Phänomenologiebegriff in Richtung auf das Sein des Seienden und dessen Sinn (phänomenologischer Phänomenologie-Begriff) entformalisiert, während Husserl dies in Richtung auf das reine bzw. transzendentale Bewusstseinsleben tut.917 Dem formalen Phänomenologiebegriff würde auch von Balthasar seine Zustimmung nicht verweigern, aber beim Entformalisieren kann er weder Husserl noch Heidegger zustimmen. Es ist nicht leicht zu sagen, wie er den formalen PhänomenologieBegriff entformalisiert, denn sein Methodenbegriff ist deshalb schwer auf einen Begriff zu bringen, weil er sich einerseits nicht direkt weder nur auf Husserl 918 bzw. Heidegger bezieht, sondern selektiv auch entsprechende methodische Elemente aus Literatur, Philosophie und Musik auswählt, um sich einen individuellen Zugang zur Wahrheit zu verschaffen. Vor allem orientiert sich von Balthasar an Gestalten, wobei sich der „[b]althasarsche Begriff der Gestalt […] sich der husserlschen und heideggerschen Definition des Phänomens an[nähert].“919 Abgesehen davon entformalisiert von Balthasar auch nicht wie Husserl in Richtung auf das reine bzw. transzendentale Bewusstsein oder wie Heidegger auf das Sein des Seienden und dessen Sinn. 914 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Der Begriff der Phänomenologie, S. 11. Ebd., S. 20. 916 Vgl. ebd., S. 20ff. 917 Vgl. ebd., S. 23ff. 918 Vgl. David C. Schindler: „Metaphysics within the Limits of Phenomenology: Balthasar and Husserl on the Nature of the Philosophical Act“. In: Teologia y vida I (2009), S. 243- 258. 919 Balint Vass: Die geschichtliche Bewertung des endlichen Seins in der Theologie Hans Urs von Balthasars (Budapest 2010),S. 90. 915 121 Bevor eine genauere Analyse des Unterschiedes zwischen von Balthasar und Heidegger in Hinblick auf die Entformalisierung und das grundlegende philosophische Verständnis vorgenommen werden kann, ist festzuhalten, dass Heidegger in Anschluss an Husserl einen umfangreicheren und systematischeren Phänomenologie-Ansatz vorgelegt hat als von Balthasar.920 Heidegger entformalisiert Husserls Phänomenologie-Begriff in Richtung auf seine Seinsphilosophie. Daraus ergibt sich für von Balthasar zweierlei: Einerseits beschäftigt er sich nicht so ausführlich mit Husserl,921 weil ihn Husserls Vernachlässigung der Seinsphilosophie mehr auf Heidegger verweist, in dessen Seinsphilosophie er Ansätze für eine Philosophie der Herrlichkeit entdecken kann. Andererseits kann er auch Heideggers Daseinsanalyse und dem daraus sich ergebenden Wahrheitsverständnis nicht folgen, die in seinen Augen zu einer Endlichkeitsphilosophie hinführen, die er als antichristlich betrachtet. Obwohl von Balthasar auch vom Bewusstsein beim Erkennen der Wahrheit ausgeht, kann er sich dennoch nicht in allen Bereichen der Phänomenologie auf Husserl beziehen, weil es sich bei Husserl um einen Bewusstseinsbegriff handelt, der mit seinem eigenen nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann: „What Balthasar shares with Husserl is a desire to open subjectivity, to broaden the notion of reason, so that it does not exclude from the outset dimensions of reality that are essential to the humanum. Husserl’s discovery of the ‘lifeworld,’ which is pretheoretical and yet already transcendentally ‘constituted,’ allows areas formerly considered extra-rational to receive series intellectual attention, and is no doubt in part why religious thinkers have generally been positively disposed to phenomenology.“922 Auf der anderen Seite gibt es drei wichtige Einwände von Balthasars gegenüber Husserl.923 „The first is the difficult question of intersubjectivity: if the phenomenological reduction eliminates the distinction between being and appearance, what sort of access can we have to the inner life, the not appearing subjectivity, of another person.“924 Zweitens war von Balthasar klar, dass Husserls Begriff der „Epoché“ (Einklammerung) ein deutlicher Hinweis auf die Seinsvergessenheit der Husserlschen Philosophie war.925 In dieser Beurteilung der Husserlschen „Epoché“ stimmt er durchaus mit Heideggers Kritik an Husserl überein. Drittens ist für von Balthasar die Öffnung des menschlichen Suchens nach der Wahrheit der Dinge auf die Offenbarung Gottes eine Voraussetzung dafür, eine der Wahrheit der Dinge gemäße Philosophie und Theologie betreiben zu können. Deshalb stellt sich für ihn die Frage im Hinblick auf die phänomenologische Reduktion auf das „transzendentale Ego“ in Husserls Philosophie („Cartesianische Meditationen“), ob nicht durch diese Art der Reduktion apriori jede Möglichkeit einer Offenbarung Gottes unmöglich gemacht würde und deshalb Religion als Aberglauben betrachtet werden müsste.926 920 Vgl. ebd., S. 244. Vgl. ebd. 922 Ebd. S. 247 923 Vgl. ebd. 924 Ebd. 925 Vgl. ebd. 926 Vgl. ebd. 921 122 Ein wichtiger Unterschied zwischen Heidegger und von Balthasar liegt in der Radikalität des Heideggerschen phänomenologischen Phänomenologie-Begriffs. Das hängt mit der Beschränkung Heideggers auf das verborgene Sein des Seienden (faktisches Leben, Dasein, Seyn als Ereignis) zusammen, die erst mühsam den Seinsstrukturen im Modus des Phänomens abgerungen werden müssen. Der Zugang in den Schritten Reduktion, Konstruktion, Destruktion ist dermaßen fordernd und radikal und wird von Heidegger lebenslang durchgehalten, weshalb nur derjenige einen Einblick in seine Philosophie erlangen kann, der sich eingehend mit dem phänomenologischen Phänomenologie-Begriff auseinandergesetzt hat.927 Der dritte Schritt (Destruktion) zeigt wohl am deutlichsten, dass Heidegger radikaler sein konnte und innerhalb seiner Philosophie sein musste als von Balthasar. Von Balthasar war keineswegs daran gelegen, das „System des Katholizismus“ zu zertrümmern, sondern es ging ihm um Schadensbegrenzung und Entrümpelung der Schultheologie bzw. um die Befreiung aus dem neuscholastischen Denkkorsett. Trotzdem kommt seine Interpretation in bestimmten Bereichen der Philosophie oder Theologie einer Dekonstruktion nahe, wenn er mit Auslegungsversuchen anderer Theologen nicht einverstanden ist.928 Heidegger aber macht radikal ernst mit der Destruktion der überkommenen Metaphysik und vollzieht als ehemaliger Jesuitenschüler den Bruch mit dem „System des Katholizismus“. Auch den zweiten Schritt (Konstruktion) kann von Balthasar nicht mitgehen, da er einen anderen Seinsbegriff hat als Heidegger. Von Balthasar könnte der Fundamentalontologie Heideggers nicht zustimmen, die davon ausgeht, dass durch die Konstruktion „die Endlichkeit des Daseins als dessen innerste Möglichkeit“929 freigelegt wird. Im Hinblick auf den ersten Schritt (Reduktion) sehe ich folgende Problematik: Da es für Heidegger in der Reduktion darum geht, den Blick vom Seienden zurückzuführen auf das Sein,930 könnte von Balthasar nur unter der Bedingung zustimmen, dass das endlich Seiende in seiner kontingenten Seinsverfasstheit auch entsprechend seiner Bedeutung für das Verständnis der Wahrheit der Dinge berücksichtigt würde. Der Gegensatz zwischen endlichem und unendlichem Sein aber ist für Heidegger Onto-Theologie und damit nicht mehr im Bereich seiner Daseinsanalyse des endlichen Daseins. Für Heidegger gehören Dasein, Verstehen und Auslegung zusammen: „Dasein ist verstehendes, darin zur Klarheit kommendes Sein, und Verstehen nichts anderes als die Klarheit, oder wie Heidegger sagen würde: die Durchsichtigkeit dieses Seins als Dasein.“931 Hier wird von der Durchsichtigkeit nicht ausgesagt, dass sie „vollkommen“ und „absolut“ zu denken ist, sondern Durchsichtigkeit hat einen Bezug zur Geschichte: „Im Verstehen und 927 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Weg und Methode, S. 36. Vgl. Andrzej Wiercinski: „Hermeneutik der Gabe. Die Wechselwirkung von Philosophie und Theologie bei Hans Urs von Balthasar“. In: Walter Kardinal Kasper (Hrsg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch (Ostfildern 2006), S. 366. 929 Helmuth Vetter: „Phänomenologie, phänomenologisch“. In: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, S. 410-425, hier S. 416. 930 Vgl. ebd. 931 Günter Figal: „Wie philosophisch zu verstehen ist. Zur Konzeption des Hermeneutischen bei Heidegger“. In: Ders. (Hrsg.): Zu Heidegger Antworten und Fragen (Frankfurt a.M. 2009), S. 163f. 928 123 Auslegen bleibt jede Klärung geschichtlich begrenzt, bei aller Überzeugungskraft an ihre ‚Situation‘ gebunden und bleibt so etwas, was sich der Klärung entzieht.“932 Inwiefern steht nun von Balthasars Methode der hermeneutischen Phänomenologie Heideggers nahe? Für von Balthasar gilt, dass Person, Verstehen und Auslegung zusammengehören. Auch er spricht sich, ähnlich wie Heidegger, gegen eine „Subjekt-Objekt-Spaltung“ aus.933 Denn menschliche Subjektivität bedeutet bei von Balthasar kein „einsames“ und „selbstgenügsames“ Bezogensein auf sich selbst, sondern ein „Immer-je-schon-beschäftigtsein mit der Wahrheit der Welt der Dinge.934 Heidegger spricht vom Dasein als In-der-Welt-sein. Verstehen (Erschlossenheit des In-der-Welt-seins) und Auslegung (fundiert im Verstehen) beziehen sich bei ihm auf das endliche Dasein. Verstehen und Auslegung beziehen sich dagegen bei von Balthasar sowohl auf das endliche als auch auf das unendliche Sein. Zur Erkenntnis des geschaffenen Seins wie des ungeschaffenen Seins bedarf es des Dialoges mit anderen Menschen und mit Gott. Dieser personalistische Ansatz spielt bei von Balthasar in Philosophie und Theologie eine wichtige Rolle. Die Kritiker haben von Balthasar deshalb auch nie vorgeworfen, ein unterentwickeltes Intersubjektivitätsverständnis vertreten zu haben, auch wenn von Balthasar den Terminus „Intersubjektivität“ nicht gebraucht, sondern von „fremden Wahrheiten“ oder „fremden Sein“935 bzw. von Dialog im Zusammenhang mit Menschen und Gott spricht, während Heidegger sich immer wieder gegen den Verdacht des Solipsismus wehren musste.936 Für von Balthasar gehören Glauben und Vernunft zusammen und beeinflussen sich gegenseitig Sie dürfen nicht getrennt werden. Deshalb kann eine Metaphysik des Wahren erst ganz im Lichte der Theologie zur Entfaltung gebracht werden. Demnach genügt auch für Balthasar die Durchsichtigkeit des Seins als Dasein nicht, damit der Mensch sein Sein als kontingentes von der Wahrheit des göttlichen Seins her verstehen kann. 5.3 Metaphysik Martin Heidegger gilt bei vielen als der größte Philosoph des 20. Jahrhunderts.937 Hans Urs von Balthasar gilt vielen nach Karl Rahner als der zweitwichtigste katholische Theologe des 20. Jahrhunderts. Doch spielt auch bei von Balthasar die Philosophie eine für seine Theologie grundlegende Rolle: „Von seinem ersten bis zu seinem letzten sind Balthasars Bücher mit Philosophie durchsetzt. […] Diese Philosophie auszumessen und darzustellen, bleibt eine Aufgabe, der keine Doktorarbeit und schon gar nicht ein kurzer Aufsatz gewachsen ist,“938 so 932 Ebd., S. 164. Vgl. Markus Enders: „Grundzüge philosophischer und theologischer Hermeneutik der Wahrheit in der Theologik des Hans Urs von Balthasar“. In: Philotheos International Journal for Philosophy and Theology 3 (2003), S. 274-293, hier S. 284. 934 Vgl. ebd. 935 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W., S. 36. 936 Vgl. Jean Greisch: „Der philosophische Umbruch in den Jahren 1928-32. Von der Fundamentalontologie zur Metaphysik des Daseins“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch (Stuttgart – Weimar), S. 124. 937 Vgl. Dieter Thomä: „Heidegger und Leo Strauss. »Here is the Great Trouble. The only Great Thinker in our time is Heidegger«“. In: Ders. (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 380. 938 Peter Henrici: „Zur Philosophie Hans Urs von Balthasars“. In: Karl Lehmann/Walter Kasper (Hrsg.): Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk (Köln 1989), S. 237-259, hier S. 237. 933 124 der Philosoph Peter Henrici SJ. Fragen wir dennoch: Wie kann man beider Denker Denken über die Metaphysik gegenüberstellen und kritisch miteinander vergleichen? Es kann sich dabei nur um einen Versuch handeln, denn beide Denker beziehen die ganze Philosophiegeschichte in ihr Denken ein und legen jeweils einen langen Weg zurück, auf dem sie selbst auch eine Kehre wie bei Heidegger vollziehen oder wie von Balthasar ganz Neues nach einer Reihe von Publikationen im Bereich der Seinsphilosophie entdecken, vor allem durch seinen Gedankenaustausch mit den Philosophen Gustav Siewerth (1903–1963) und Ferdinand Ulrich (1931– ). Was Heidegger unter »Metaphysik«, »Verwindung der Metaphysik« und schließlich »Denken« versteht und wo auch für ihn die Grenzen des Denkens erreicht sind, lässt sich gut nachvollziehen, wenn man sich beispielsweise näher mit seiner Freiburger Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“ (1929) auseinandersetzt, die in späteren Auflagen zunächst durch ein Nachwort (1943) und durch eine Einleitung (1949) ergänzt worden ist. Ein Verstehen des Gedankengangs setzt allerdings voraus, dass man mit seinen Werken Sein und Zeit, „Einführung in die Metaphysik“, den Beiträge[n] und dem „Brief über den Humanismus“ vertraut ist. Nur so kann man die entsprechenden Verweise auf die Fundamentalontologie von Sein und Zeit (anfängliches Denken) und auf das andersanfängliche Denken nach der „Kehre“ richtig einordnen. Damit eröffnet sich zugleich ein breites Spektrum des heideggerschen Denkens und man erhält einen Einblick in die Auseinandersetzung mit den Kritikern, die sich im Zeitraum von 1929–1949 mit der Freiburger Antrittsvorlesung beschäftigt haben. In der Vorlesung „Was ist Metaphysik?“ mit Einbeziehung von Nachwort und Einleitung geht es um wesentliche Gesichtspunkte, die Grundlage für einen Vergleich des heideggerschen und balthasarschen Denkens im Hinblick auf ihr jeweiliges Wahrheitsverständnis sind. Heidegger, der die Kritik seiner Kritiker durchaus zur Kenntnis nimmt, fasst diese Kritiken in seinem Nachwort in drei Punkten zusammen. Auf die ersten zwei „Irrmeinungen“ wird direkt eingegangen, die dritte steht im Zusammenhang mit seiner Kritik der traditionellen Kritik der Logik und wird an der entsprechenden Stelle interpretiert. Den ersten Vorwurf der Kritiker fasst Heidegger folgendermaßen zusammen: „Die Vorlesung [„Was ist Metaphysik?“] macht »das Nichts« zum alleinigen Gegenstand der Metaphysik. Weil jedoch das Nichts das schlechthin Nichtige ist, führt dieses Denken zur Meinung, alles sei nichts, so dass es sich nicht lohne, weder zu leben noch zu sterben. Eine »Philosophie des Nichts«, ist der vollendete »Nihilismus«.“939 Heidegger wehrt sich gegen diese Vorwürfe, indem er darauf hinweist, dass die wissenschaftliche Forschung das Sein nicht finden könne, da sie sich immer nur mit dem Seienden auseinandersetze.940 Vielmehr: „Dies schlechthin Andere zu allem Seienden ist das Nicht-Seiende. Aber dieses Nichts west als das Sein. Wir sagen dem Denken zu übereilt ab, wenn wir das Nichts in billiger Erklärung für das bloß Nichtige ausgeben und es dem Wesenlosen gleichsetzen:“941 Heidegger bestimmt Nihilismus als Seinsvergessenheit. 939 Martin Heidegger: „Nachwort zu: »Was ist Metaphysik?«“. In: WM (GA 9), S. 305. Vgl. ebd. 941 Ebd., S. 306. 940 125 Überwindung des Nihilismus bedeutet „Verwindung der Metaphysik“.942 Dementsprechend trifft auf seine Philosophie der Vorwurf, eine „Philosophie des Nichts“ im Sinne des Nihilismus zu betreiben, nicht zu. Allerdings grenzt er sich ab von der Definition des „Nichts“ im Sinne der christlichen Dogmatik, d.h. inhaltlich auch von Urs von Balthasar, in der das Nichts zum Gegenbegriff des eigentlich Seienden werde.943 Der zweite Vorwurf der Kritiker lautet in Heideggers eigener Diktion: „Die Vorlesung erhebt eine vereinzelte und dazu noch gedrückte Stimmung, die Angst, zu der einzigen Grundstimmung. Weil jedoch die Angst der seelische Zustand der »Ängstlichen« und Feigen ist, verleugnet dieses Denken die hochgemute Haltung der Tapferkeit. Eine »Philosophie der Angst« lähmt den Willen zur Tat.“944 Heidegger verteidigt seine Phänomenologie der Angst im Rahmen seiner Suche nach dem Sein (Wahrheit des Seins) und unterscheidet die wesenhafte Angst von der »Angst« vor der Angst. Die wesenhafte Angst „ist das Ja zur Inständigkeit, den höchsten Anspruch zu erfüllen, von dem allein das Wesen des Menschen getroffen ist. Einzig der Mensch unter allem Seienden erfährt, angerufen von der Stimme des Seins, das Wunder aller Wunder: daß Seiendes ist. Der also in seinem Wesen in die Wahrheit des Seins Gerufene ist daher stets in einer wesentlichen Weise gestimmt. Der klare Mut zur wesenhaften Angst verbürgt die geheimnisvolle Möglichkeit der Erfahrung des Seins.“945 Klar ist zu erkennen, dass für Heidegger die Erfahrung der Angst, die er in Sein und Zeit strikt von der Furcht unterscheidet, die Voraussetzung für die Erfahrung des Seins ist. Ohne die Grundstimmung der Angst hätten wir demnach auch keine Erfahrung des Nichts. Mit den Worten Heideggers in „Was ist Metaphysik?“: „Daß die Angst das Nichts enthüllt, bestätigt der Mensch selbst unmittelbar dann, wenn die Angst gewichen ist. In der Helle des Blickes, den die frische Erinnerung trägt, müssen wir sagen: wovor und warum wir uns ängstigen, war »eigentlich« – nichts. In der Tat: das Nichts selbst – als solches – war da:“946 Von dieser wesenhaften Angst ist die »Angst« vor der Angst zu unterscheiden. Dazu Heidegger: „Die »Angst« vor der Angst dagegen kann sich soweit verirren, dass sie die einfachen Bezüge im Wesen der Angst verkennt. Was wäre alle Tapferkeit, wenn sie nicht in der Erfahrung der wesenhaften Angst ihren ständigen Gegenhalt fände. In dem Grade, als wir die wesenhafte Angst und den in ihr gelichteten Bezug des Seins zum Menschen herabsetzen, entwürdigen wir das Wesen der Tapferkeit. Diese aber vermag das Nichts auszustehen.“947. Dagegen setzt Urs von Balthasar seine Interpretation der Angst im Angesicht des Alten und Neuen Bundes und in der Auseinandersetzung mit antiken und modernen Vorstellungen zu diesem Thema. Er sieht die Angst überwunden durch das Kreuz. Für ihn gilt deshalb ein striktes Verbot der Angst, ein Gebot der Angstlosigkeit.948 Er schreibt apodiktisch: „Der 942 Vgl. Martin Heidegger: „Zur Seinsfrage“. In: WM (GA 9), S. 414. Vgl. Martin Heidegger: „Was ist Metaphysik?“. In: WM (GA 9), S. 119. 944 Martin Heidegger: „Nachwort zu: »Was ist Metaphysik?«“. In: WM (GA 9), S. 305. 945 Ebd., S. 307. 946 Martin Heidegger: „Was ist Metaphysik?“. In: WM (GA 9). S. 112. 947 Martin Heidegger: „Nachwort zu: »Was ist Metaphysik?«“. In: WM (GA 9), S. 307f. 948 Hans Urs von Balthasar: Der Christ und die Angst (Einsiedeln 1951), S. 45. 943 126 Christ hat zu dieser Angst schlechterdings keine Erlaubnis, keinen Zugang. Ist er trotzdem Neurotiker oder Existentialist, dann fehlt es ihm an christlicher Wahrheit, dann ist sein Glaube krank oder schwach.“949 Das bezieht auch eine falsch verstandene Solidarität mit den Ängstlichen ein, die auf eine Ängstlichkeit mit den Ängstlichen hinausläuft.950 Er bedauert die neurotische Angst bei Christen, die christliche Berufungen zerstört.951 Kritik an dieser apodiktischen Einstellung von Balthasars übt Jörg Splett in seinem Beitrag „Der Christ und seine Angst erwogen mit Hans Urs von Balthasar“.952 Darüber wird noch zu sprechen sein, wenn es um die Kritik an der Philosophie und Theologie Hans Urs von Balthasars geht. Jedenfalls ist der Gegensatz zu Heidegger evident. Heidegger sieht in der Angst die Bedingung der Möglichkeit zur Eigentlichkeit, die Voraussetzung zum Seinkönnen. Er fordert eine Bereitschaft zur Angst. Für von Balthasar ist die Angst oder Furcht ein Zeichen dafür, die christliche Wahrheit und damit die dem endlichen geistigen Sein angebotene Teilnahme am ewigen Sein zu verfehlen. Es wird deutlich, dass der Gegensatz zwischen den Philosophien beider Denker in der jeweiligen Seinsphilosophie zu suchen ist. Die Verschiedenheit in den jeweiligen Positionen lässt sich zeigen, wenn wir die „ontologische Differenz“ bzw. „Realdistinktion“ unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Seinsbegriffe und eines jeweils verschiedenen Wahrheitsverständnisses betrachten. Während Heidegger zwischen Sein und Seiendem unterscheidet, denkt von Balthasar den Unterschied zwischen Sein (Dasein) und Wesen (Sosein) und beide gehen davon aus, dass die jeweilige Differenz im Zentrum ihres Denkens zu stehen habe. Beide ringen auch ein Leben lang um eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis der beiden Pole zueinander bzw. nach dem Unterschied von Sein und Seienden und Dasein und Sosein – eine Antwort, die nicht so eindeutig ausfällt, wie man es als Leser erhofft. Das liegt nach Heidegger an der Seinsvergessenheit der bisherigen Philosophie. Bei seinen Bemühungen, die Seinsvergessenheit zu überwinden, versteht er die Unterschiede immer mehr als Einheit, aber es gelingt ihm nie, diese Einheit so zu beschreiben, dass eine eindeutige Antwort zu erwarten wäre. Dass sich die Differenz immer mehr zur Identität wandelt, liegt an Heideggers Seinsverständnis nach der „Kehre“. Allerdings lehnt Heidegger das Konzept der Realdistinktion (distinctio realis), das ihm aus seiner intensiven Beschäftigung mit der Scholastik bekannt war, ab.953 Heidegger fragt nämlich, „ob die These, dass zu jedem Seienden essentia und existentia gehören, in dieser Form zu Recht besteht, - ob sie in ihrer vermeintlich universalen ontologischen Geltung überhaupt begründet werden kann. Versucht man eine solche Begründung, dann zeigt sich, dass sie unmöglich ist.“954 Warum dies unmöglich ist, rührt daher, dass er die ontologische Differenz als deshalb „verwickelter“ 949 Ebd., S. 46. Vgl. ebd. 951 Vgl. ebd., S. 47. 952 In: Peter Reifenberg – Anton van Hooff (Hrsg.): Gott für die Welt. Henri de Lubac, Gustav Siewerth und Hans Urs von Balthasar in ihren Grundanliegen. Festschrift für Walter Seidel) (Mainz 2001), S. 315-331. 953 Vgl. Martin Heidegger: GP (GA 24), S. 116ff. 954 Ebd., S. 168. 950 127 ansieht, „weil unter dem Titel >Sein< jetzt nicht nur essentia und existentia stehen, sondern zugleich auch Werheit und Existenz in unserem Sinne.“955 Die Scholastik frage nur nach der Washeit, was aber beim Dasein keinen Sinn mache, da bei diesem nach der Werheit gefragt werden müsse.956 Heidegger sieht in der distinctio realis „nur eine speziellere Frage, die die ontologische Differenz überhaupt betrifft […].“957 Auch von Balthasar spricht von Seinsvergessenheit; insofern schließt er sich Heidegger an. Aber er besteht auf der Gültigkeit der Unterscheidung zwischen essentia und existentia. Heidegger hingegen unterscheidet in seinem „Brief über den Humanismus“ im Zusammenhang mit seinem Verständnis des Wesens des Menschen existentia und essentia klar von seinem Begriff der Existenz: „In »Sein und Zeit« (S.42) steht gesperrt der Satz : »Das >Wesen< des Daseins liegt in seiner Existenz.« Hier handelt es sich aber nicht um eine Gegensetzung von existentia und essentia, weil diese beiden metaphysischen Bestimmungen des Seins überhaupt noch nicht, geschweige denn ihr Verhältnis, in Frage stehen.“958 Im Übrigen ist es denkbar, dass die essentia (Washeit) auch die Werheit (Dasein) mit einschließt, da es sich um die Frage nach dem Wesen handelt, also um eine geschlechtsneutrale Frage. Von Balthasar würde auch entschieden bestreiten, das Sein zugunsten des Seienden vergessen zu haben, denn für ihn deutet die distinctio realis auf die wichtigste Eigenschaft des geschaffenen Seins hin, nämlich auf seine Endlichkeit. Darüber hinaus ist für ihn das endliche Sein mit dem unendlichen Sein durch Teilhabe verbunden im Sinne der analogia entis. Die analogia entis ist für Heidegger kein Begriff der Philosophie, sondern gehört in die Onto-Theologie. Es ist deutlich geworden, dass die Beschreibung der ontologischen Differenz bzw. der Realdistinktion zum Kompliziertesten gehört, was in der Geschichte der Philosophie gedacht worden ist, denn einerseits behauptet Heidegger die Differenz, andererseits in seinem Spätwerk die Identität. Denn „[w]ir sollen das Sein nicht als Anwesenheit des Seienden denken, weil wir sonst das Sein im Seienden verdinglichen. Aber andererseits sollen wir doch das Sein des Seienden akzeptieren.“959 Alle Widersprüche können auf die Differenz zurückgeführt werden. „So ist das Sein das Fernste und im Seienden zugleich das Nächste. Denn das Dasein, als Verstehendes, hat sich selbst immer schon verstanden, hat aber von diesem Selbstverständnis keine Ahnung. Das ontisch Nächste ist somit das ontologisch Fernste.“960 Auch von Balthasar ringt um das geheimnisvolle Zusammenspiel zwischen essentia und existentia und gerät darüber ins Staunen. 5.4 Wahrheit als Offenheit und als Geheimnis Auch beim Thema Wahrheit als Offenheit und als Geheimnis ergibt der Vergleich zwischen beiden Denkern verblüffende Ähnlichkeiten, aber auch unüberwindbare Gegensätze. Obwohl 955 Ebd., S. 170. Vgl. ebd., S. 169. 957 Ebd., S. 170. 958 Martin Heidegger: „Brief über den Humanismus“. In: WM (GA 9), S. 325. 959 Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung, S. 99. 960 Ebd., S. 100 956 128 von Balthasar in Wahrheit der Welt eindeutig Heideggersche Begriffe benutzt (wie Sein, Seiendes, Öffnung, Lichtung des Seins, Nichts, Erschlossenheit, Seinsverschlossenheit, Unverborgenheit, Geheimnis), um seine eigene Philosophie in die Zeit nach Sein und Zeit hineinzustellen, geht beim Studium des Werkes unmittelbar auf, dass sich von Balthasar im Bereich der philosophia perennis bewegt, während Heidegger auf dem Denkweg hin zur „Verwindung“ der Metaphysik unterwegs ist. Von Balthasars Grundsatz: „Prüfet alles und behaltet das Gute!“ gilt auch in Hinblick auf Heidegger, dessen Seinsphilosophie ihm entgegenkommt, weil sie einige wichtige Begriffe der abendländischen Metaphysik in eine Zeit hinüber rettet, in der ein Großteil der Philosophen die Metaphysik ablehnt. Sowohl für von Balthasar als auch für Heidegger bedeutet Wahrheit Öffnung, in letzter Fundierung „Lichtung des Seins“: Von Balthasar ist überzeugt, dass es sich bei der Wahrheit um eine Öffnung einerseits „zu sich“ und „in sich“, andererseits „zu weiterer Wahrheit“ hin handelt.961 Die Öffnung der Wahrheit ermöglicht die Entdeckung des Seins bzw. die Entdeckung der Zusammenhänge des Seins.962 Von beiden Beschaffenheiten der Wahrheit (1. Unverborgenheit, 2. Vertrauenswürdigkeit) behauptet von Balthasar eine Öffnung über sich hinaus.963 In der Öffnung der „Unverborgenheit“ öffnet sich das Seiende der Erkenntnis, wobei Erkenntnis mit Selbstbewusstsein und Reflexion verknüpft ist. „Auf Grund des Selbstbewusstseins oder der Reflexion ist also das Seiende offen, sowohl zu sich selbst wie zu Anderem.“964 Das Selbstbewusstsein ordnet er dem Subjekt zu, das in der Lage ist, wahre Urteile zu sprechen: „Erst im Akt des Urteils über die Wahrheit ist Wahrheit im vollen Sinne verwirklicht: als bessere Offenbarkeit des Seins in einem Bewusstsein.“ 965 In der Öffnung der Vertrauenswürdigkeit geht es um das Vertrauen, der Evidenz der Wahrheit zu folgen. Dem erkennenden Bewusstsein wird evident, dass auf der einen Seite die Wahrheit in ihrer „Durchsichtigkeit“ und Fasslichkeit gegeben ist, auf der anderen Seite sie aber sich jeder „festlegenden Definition“ entzieht.966 Was Heidegger unter „Offenheit“ versteht, wurde bereits thematisiert. Einige neue und ergänzende Aspekte ergeben sich im vorliegenden Fragekontext. Nach der Kehre spricht Heidegger nicht mehr von Entdeckung, sondern von „Öffnen“, „Offenheit“ und „Offenständigkeit“.967 Es geht Heidegger mit dem Begriff der Offenheit um die Frage nach der Wahrheit des Seins und nicht nur des Seienden. Nach Heideggers Überzeugung entspricht das Offene dem, was er bei der Übersetzung des griechischen ἀλήθεια als Unverborgenheit bezeichnet. Ein wichtiger Aspekt der Öffnung ist Heideggers These von der Offenheit des Daseins. Das Dasein ist Dasein oder der Mensch ist Mensch in seinem Bezug zum Offenen. Dementsprechend nennt er diesen Bezug zur 961 Vgl. Hans Urs von Balthasar: W. S. 30. Vgl., ebd. 963 Vgl., ebd. 964 Ebd., S. 36. 965 Ebd., S. 33. 966 Vgl. ebd., S. 30 f. 967 Vgl. Dorothea Frede: „Vom aufdeckenden Erschließen zur Offenheit der Lichtung“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 130. 962 129 Lichtung des Offenen auch Offenständigkeit. Da das Dasein die Offenheit ist, macht sie auch die Offenheit für das Seiende als eines solchen erst möglich. In seiner Vorlesung „Was ist Metaphysik?“ setzt er die Offenheit direkt mit dem Nichts als Bedingung der Möglichkeit für Offenheit in Verbindung. Er schreibt: „Das Nichts ist die Ermöglichung der Offenbarkeit des Seienden als eines solchen für das menschliche Da-sein.“968 Und: „Nur auf dem Grunde der ursprünglichen Offenbarkeit des Nichts kann das Dasein des Menschen auf Seiendes zugehen und eingehen. Sofern aber das Dasein seinem Wesen nach zu Seiendem, das es nicht ist und das es selbst ist, sich verhält, kommt es als solches Dasein je schon aus dem offenbaren Nichts her.“969 Der Versuch nun, die beiden Denker gegenüberzustellen, ist schwierig, vielleicht auch deshalb, weil beide Seinsphilosophen sind. Heidegger kritisiert die Position von Balthasars frontal, in dem er apodiktisch zu dem, was von Balthasar „Offenbarkeit des Seins in einem Bewusstsein“ nennt, feststellt: „Der Mensch ist nie zunächst diesseits der Welt Mensch als ein »Subjekt«, sei dies als »Ich« oder als »Wir« gemeint. Er ist auch nie erst nur Subjekt, das sich immer zugleich auch auf Objekte bezieht, so dass sein Wesen in der Subjekt-ObjektBeziehung läge. Vielmehr ist der Mensch zuvor in seinem Wesen ek-sistent in die Offenheit des Seins, welches Offene erst das »Zwischen« lichtet, innerhalb dessen eine »Beziehung« vom Subjekt zum Objekt »sein« kann.“970 Hier könnte man geneigt sein, eine vollständige Inkompatibilität beider Denker anzusetzen. Falls man nicht nur auf die Unterschiedlichkeit der Begriffe schaut (Subjekt-Dasein, Objekt- In-der-Welt-sein), sondern auch auf das, was sie bei beiden Denkern inhaltlich repräsentieren, dann entdeckt man, das von Balthasar keineswegs das Subjekt so beschreibt, dass es den Objekten der Welt fremd und unverbunden gegenüber stünde, als hätten Subjekt und Objekt nichts miteinander zu tun; auch er geht davon aus, dass die Wahrheit des Seins dem Subjekt offen ist und äußert sich gegen jedwede Subjekt-Objekt- Spaltung. Der zentrale Unterschied bei gleichzeitiger Nähe liegt meines Erachtens in der unterschiedlichen Zuordnung von Mensch und Sein begründet. Heidegger sagt zu dieser Zuordnung: „Im Menschen waltet ein Gehören zum Sein, welches Gehören auf das Sein hört, weil es diesem übereignet ist. Und das Sein? Denken wir das Sein nach seinem anfänglichen Sinne als Anwesen. Das Sein west den Menschen weder beiläufig noch ausnahmsweise an. Sein west und währt nur, indem es durch seinen Anspruch den Menschen an-geht. Denn erst der Mensch, offen für das Sein, lässt dieses als Anwesen ankommen. Solches An-wesen braucht das Offene einer Lichtung und bleibt so durch dieses Brauchen dem Menschenwesen übereignet.“971 Wer den Begriff des Seins nach seinem anfänglichen Sinne nicht so denkt wie Heidegger und das Denken nach der „Kehre“ nicht nachvollziehen kann, nämlich dass der Mensch als Eigentum des Seyns Botengänger des Seyns ist, der das, was er als Botschaft gehört hat, zu kündigen hat, der kann Heideggers Seinsbegriff nicht 968 Martin Heidegger: „Was ist Metaphysik?“ In: WM (GA 9). S. 115. Ebd., S. 114f. 970 Martin Heidegger: „Brief über den Humanismus“. In: WM (GA 9), S. 350. 971 Martin Heidegger: Identität und Differenz. 13. Aufl. (Stuttgart 2008), S. 18f. 969 130 verstehen. Der Begriff des Seins bei Heidegger ist mißverständlicher als er bis hierher in dieser Arbeit dargestellt worden ist. Gerd Haeffner weist dazu in einem Beitrag zur Seinsfrage bei Heidegger auf Hans Georg Gadamer und auf einen japanischen Gast bei Heidegger hin, die beide ihre Verständnisschwierigkeiten mit Heideggers Seinsbegriff äußerten.972 Gadamer bekannte, dass er nicht verstanden habe, was Heidegger unter dem Begriff des Seins denkt. Der japanische Gast (Prof. Tezuka) wollte von Heidegger wissen, warum er den Begriff „Sein“ nicht der Metaphysik überlassen hätte. Heidegger antwortete: „Wie soll einer nennen, was er erst sucht?“973 Und fügt noch hinzu: „Das Finden beruht doch im Zuspruch des nennenden Wortes.“974 Es scheint so, dass Heidegger seinen Denkweg in seine eigene Denkgeschichte hineinstellt und auf dem Weg von der Metaphysik hin zur Verwindung der Metaphysik auf die Sprache als dem „Haus des Seins“ („Brief über den Humanismus“) angewiesen ist. Also hängt auch die Wahrheit des Seins davon ab, was das Da-sein als auf das Seyn hörender Botengänger des Seyns durch den Zuwurf des Seyns in einer bestimmten geschichtlichen Situation im Vollzug versteht und nicht nur vom Tun Heideggers als Philosophie treibendes Subjekt.975 Bei den protestantischen Kollegen in Heideggers Marburger Zeit gab es zunächst das Missverständnis, Heidegger hätte vor, die katholische Scholastik zu erneuern, weil er seine Philosophie um die Differenz des „Seins“ zum „Seienden“ herum aufbauen wollte. Auch katholische Interpreten hatten diesen Eindruck.976 Auch in Urs von Balthasars Wahrheitsverständnis werden wir vom Sein bestimmt und hören in den Situationen des Lebens auf das Sein, aber dieses Sein ist als „esse non subsistens“ gedacht und nicht als Seyn, das sich ereignet wie eine „anonyme Macht“.977 Wie steht es nun um die „Wahrheit als Geheimnis“ im Denken beider Denker gegenübergestellt. Beide interpretieren die Wahrheit unter dem Aspekt des Geheimnisses. Das kann man am besten erklären, wenn man sich in einem Zwischenschritt zuerst dem Begriffspaar „Verbergung“ und „Entbergung“ nähert. Bei Heidegger ist „Verbergung“ eine Sache des Seienden selbst.978 Der Mensch (Da-sein) ist dieser Verbergung ausgeliefert, denn das menschliche Verstehen hängt davon ab, ob sich das Seiende offenbart oder aber verbirgt.979 Heidegger definiert, wie wir bereits gesehen haben, „Geheimnis“ als „Verbergung des Verborgenen“ . Der Mensch ist gleichsam schicksalhaft dem „Unwesen der Wahrheit als des Geheimnisses“ (Unwesen als „vorwesendes Wesen“) ausgeliefert. Der Mensch, der sich mit „Offenheit für das Geheimnis“ verhält, sich in Freiheit („Seinlassen von Seiendem“) auf 972 Gerd Haeffner: „Heideggers ‚Seins‘-Frage. Beitrag zu einer Klärung“. In: Theologie und Philosophie 85 (2010) 2, . S. 161. 973 Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache (Pfullingen 1959), S. 110. 974 Ebd. 975 Vgl. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 167. 976 Gerd Haeffner: „Heideggers ‚Seins‘-Frage. Beitrag zu einer Klärung“, S. 166. 977 Vgl. Dirk Mende: „‚Brief über den »Humanismus«‘ Zu den Metaphern der späten Seinsphilosophie“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 248. 978 Vgl. Andrea Kern: „»Der Ursprung des Kunstwerkes«. Kunst und Wahrheit zwischen Stiftung und Streit“, S. 167. 979 Vgl. ebd. 131 das Sein einlässt, ist gelassen: „Wenn die Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis in uns erwachen, dann dürften wir auf einen Weg gelangen, der zu einem neuen Grund und Boden führt. In diesem Boden könnte das Schaffen bleibender Werke neue Wurzeln schlagen.“980 Dem Menschen ist so bewusst, dass er Eigentum und gleichermaßen Voraussetzung des Seyns ist. Ist der Mensch nicht offen für das Geheimnis des Seins, besteht die Gefahr, dass er seine Maßstäbe aus Technik und Wissenschaft bezieht. Auch von Balthasar befasst sich in seinem philosophischen Hauptwerk ausgiebig mit dem Phänomen des Geheimnisses des Seins und der Wahrheit. Er lehnt sich wahrscheinlich an Heideggers Begriffswahl an. Statt Verbergung und Entbergung miteinander zu verschränken, verschränkt er Verhüllung und Enthüllung „als enthüllende Verhüllung“.981 Er schreibt in Wahrheit der Welt: „Daß es Sein und folglich Wahrheit überhaupt gibt, dass das Wirkliche wirklich und dass die Wahrheit wahr ist: wer vermöchte je mit diesem Geheimnis fertig zu werden? Hier erscheint wirklich und buchstäblich das Geheimnis als Geheimnis: gerade das Enthülltsein des Seins ist als solche seine tiefste Verhüllung.“982 Das bedeutet, dass durch die Offenheit des Seins des Seienden paradoxerweise enthüllt wird, dass es verhüllt ist. Ähnliches konstatiert auch Heidegger, der phänomenologisch in der Entbergung des Seins des Seienden die Verborgenheit des Seins erkennt. Auch von Balthasar sieht die Abhängigkeit des Erkennens vom Sein des Seienden. Allerdings unterscheidet von Balthasar zwischen unterschiedlichen Bedeutungstiefen und Bedeutungsebenen des Begriffes „Geheimnis“ (z.B. Beichtgeheimnis, Geheimnisse im sakralen Bereich, Geheimnis des Seins und der Wahrheit, Geheimnis der Erkenntnis, Geheimnis der Liebe). Im Unterschied zu Heidegger ist der Mensch diesen verschiedenen Arten des Geheimnisses nicht wie einer „anonymen Macht“ unterworfen. Was für von Balthasar zählt, ist die Liebe, die der Enthüllung von Geheimnissen Grenzen setzt, denn nur sie kann in rechter Weise mit der Wahrheit umgehen. Daß für von Balthasar Sein und Liebe konvertibel sind, lässt sich in philosophischer Begrifflichkeit kaum ausdrücken. Von Balthasar versucht in seiner Lehre von der Konvertibilität der Transzendentalien eine Antwort zu finden.983 Die Transzendentalien „erbringen in ihrer Gemeinsamkeit den Beweis für die unerschöpfliche Tiefe und den überbordenden Reichtum des Seins. Sie zeigen schließlich, dass alles nur darum verständlich und enthüllt ist, weil es in einem Mysterium gründet, dessen Geheimnischarakter nicht in einem Mangel an Klarheit, sondern im Gegenteil in der Überfülle des Lichtes beruht. Denn was ist unbegreiflicher, als dass der Kern des Seins in der Liebe besteht und dass sein Hervortreten als Wesen und Dasein keinen anderen Grund hat als den der grundlosen Gnade?“984 Für Heidegger ist eine solche Sicht undenkbar, obwohl vom Sein, von Licht und vom Geheimnis geredet wird. Auch die „Liebe“ als „Kern des Seins“ („Onto-Theologie“) hat keinen Ort auf Heideggers Denkweg. 980 Martin Heidegger: Gelassenheit. 14. Aufl. (Stuttgart 2008), S. 26. Vgl. Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 99. 982 Hans Urs von Balthasar: W. S. 235. 983 Vgl. Manfred Lochbrunner: Analogia Caritatis, S. 100. 984 Hans Urs von Balthasar: W. S. 255. 981 132 5.5 Wahrheit als Freiheit Das Thema „Freiheit“ hat nicht nur in der Zeit der Aufklärung und der Französischen Revolution die Gemüter der Menschen erregt. Schon in der Reformation in der Auseinandersetzung Martin Luthers (De servo abitrio, 1525) mit dem Papst, Erasmus von Rotterdam und anderen stand das Thema im Zentrum der theologischen und philosophischen Debatte und hat eine die europäische Geschichte stark verändernde Wirkung ausgeübt. Auch das II. Vatikanische Konzil setzte sich mit dem Thema Freiheit auseinander und forderte schließlich die Religionsfreiheit für alle Religionen. Es stellen sich zwei Fragen im Diskurs mit Heidegger und von Balthasar: 1.Was hat Freiheit mit Wahrheit zu tun? 2. Gibt es Ähnlichkeiten, aber auch unaufhebbare Widersprüche zwischen den beiden Denkern? Auf die erste Frage wurde schon eingegangen, aber sie soll an dieser Stelle noch einmal aufgegriffen werden, um eine kritische Auseinandersetzung zu erleichtern. Wir wissen, dass Heidegger immer nach dem ursprünglichen Wesen fragt und das ursprüngliche Wesen der Wahrheit in der Freiheit begründet sieht. Freiheit versteht er nicht wie die Traditionalisten als positive bzw. negative Freiheit, sondern als Aussetzung in die Entborgenheit für die Entbergung des Seienden. „Aussetzung ist der ek-sistente Grundzug der Freiheit, das zweifach-einige Sichaussetzen der Entborgenheit als Offenheit und der Entbergung des Seienden in und aus der Entborgenheit und Offenheit.“985 Die so verstandene ek-sistente Freiheit ist die Grundlage für die Handlungsfreiheit. Die Fundierung der Wahrheit in der Freiheit war für die Traditionalisten (im Sinne Heideggers) nicht nachvollziehbar, denn sie setzt den anerkennenden Nachvollzug der Fundamentalontologie Heideggers voraus. So spricht Heidegger, bezogen auf die Freiheit, von dem entwerfenden Sicheinlassen auf die Offenheit des Offenen. Oder er benutzt den Begriff der „Eingelassenheit“. Es wird eine dreifache Struktur der Freiheit deutlich: „die Eingelassenheit (Geworfenheit), das Sicheinlassen auf die Offenheit (Entwurf), das Sicheinlassen auf das Offenbarmachen des Seienden (besorgendes Sein-bei).“986 Auch von Balthasar fundiert die Wahrheit in der Offenheit des Seins. In Wahrheit der Welt sieht er die endliche Freiheit angelegt in der Innerlichkeit der Subjekte. Der Erkenntnisakt ist in seinem Ermöglichtsein und in seinem konkreten Vollzug ein Freiheitsgeschehen. Der Mensch ist dazu fähig, aus den Sinnesdaten frei auszuwählen, diese Daten dann so zu ordnen, wie es dem eigenen Weltbild entspricht. Erkenntnis im eigentlichen Sinn ist die Erfahrung von Evidenz und Freiheit in einem Unlösbaren inneren Zusammenhang. In Spiritus Creator und anderen Schriften, aber vor allem in der „Trilogie“ bezieht er sich bei der Beschreibung von Wahrheit und Freiheit phänomenologisch auf eine „Urerfahrung“ des Menschen, die mit dem ersten Lächeln der Mutter in Verbindung steht. In dieser Urerfahrung erfährt der Mensch ein Angerufensein von einem Du. Dieses Angerufensein durch die Liebe der Mutter 985 986 Friedrich-Wilhelm v. Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 115. Ebd., S. 116f. 133 ermöglicht es dem Kind ein Antwortender zu werden.987 „Antwortender zu sein ist für von Balthasar das eigentliche Grundmerkmal des selbstbewusst-freien Ich.“ 988 Das Angerufensein ist für ihn so zentral, dass er Im Raum der Metaphysik feststellen kann: „Alles, restlos alles, was später hinzutreten mag und unweigerlich dazukommen wird, muß Explikation dieser ersten Erfahrung bleiben.“989 Er drückt diesen Sachverhalt in Anlehnung an Heideggers Begrifflichkeit („Eingelassenheit“) auch so aus: „Die Erfahrung des Eingelassenseins in ein bergend-Umgreifendes ist für alles kommende, wachsende und erwachsene Bewusstsein unüberholbar.“990 Verbindet man die Erklärung für die Entstehung des Selbstbewusstsein und die Erkenntnis der Wahrheit und Freiheit und allem, was daraus für die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins folgt mit der Analyse der „Urerfahrung“, dann kann man von einem apriorisch-aposteriorischen Erklärungsversuch sprechen. Apriorisch ist das Stehen des Menschen im Horizont des Seins als Ermöglichungsgrund der Urerfahrung. Aposteriorisch ist das in der „Urerfahrung“ sich erschließende Du mitsamt all dem, was das für die „endliche Freiheit“ bedeutet.991 „Daraus ergibt sich seine bedenkenswerte These, dass die Apriorität, welche diese transzendentale Erfahrung auszeichnen soll, einer Ur-Aposteriorität dieser Erfahrung zu verdanken ist.“992 In dieser Urerfahrung hat die Ontologie der Transzendentalien des Seins ihren Wurzelgrund.993 Um Ähnlichkeiten und Unvereinbarkeiten ausmachen zu können, bietet es sich an, die dreifache Struktur (1. Geworfenheit, 2. Entwurf, 3. besorgendes Sein-bei), die Heidegger als Merkmale der Freiheit angibt und als Ermöglichung der Wahrheit bezeichnet, dem gegenüberstellen, was von Balthasar über Wahrheit und Freiheit im Ermöglichtsein durch die „Urerfahrung“ sagt. Statt „Geworfenheit“ würde von Balthasar das Bergend-Umgreifende „Geborgenheit“ nennen, Geborgenheit durch die empfangene Liebe in der Urerfahrung. Geworfenheit weist hin auf die „anonyme Macht“ eines Geschickes. Geworfenheit betont, dass der Mensch seine Existenz einem Schicksal verdankt, einem „im Schicksal gründenden Geschehen des Daseins.“994 Von Balthasar betont ebenso wie Heidegger, dass der Mensch seine Existenz nicht sich selbst verdankt, aber nicht einem Geschick, sondern der Gnade eines Du. Und auf diese Weise wird die unerbittliche Schicksalhaftigkeit des Heideggerschen Denkens in eine personale Beziehung zwischen Mensch und Mitmensch, zwischen Mensch und Gott eingebettet. Auch der Entwurf als das Sicheinlassen auf die Offenheit klingt bei von Balthasar weniger stoisch oder sollte man sagen heroisch als bei Heidegger. Von Balthasar sieht die Voraussetzung für das Sicheinlassen auf die Offenheit gegeben durch die 987 Vgl. Lorenz Gadient: Wahrheit als Anruf der Freiheit. S. 88ff. Ebd., S. 89. 989 Urs von Balthasar: H III/1 S. 946. 990 Ebd. 991 Vgl. Thomas Möllenbeck: Endliche Freiheit, unendlich zu sein. Zum metaphysischen Anknüpfungspunkt der Theologie mit Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar und Johannes Duns Scotus. Paderborner Theologische Studien, Bd. 53 (Paderborn [u.a.] 2012), S. 185ff. 992 Ebd., S. 185. 993 Ebd., S 190. 994 Helmuth Vetter: „Geschick“. In: Ders. (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, S. 227. 988 134 Urerfahrung, in der der Mensch das Selbstbewusstsein erlangt und frei das Sein im Ganzen sich zu erschließen beginnt. Auch das besorgende Sein-bei – ein Ausdruck Heideggers im Zusammenhang der Sorgestruktur – kann von Balthasar auch nur in seinem Konzept der Urerfahrung zum Ausdruck gebracht werden mit der Einschränkung, dass das Sicheinlassen auf das Offenbarmachen des Seienden nicht bedeutet, sich das Sein als eine Schicksalsmacht vorzustellen, der man ohne Dialog wie einem Geschick ausgeliefert ist. Klar ist, dass beide Denker die Freiheit als Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis der Wahrheit postulieren. Heidegger fundiert die Wahrheit in der endlichen Freiheit, in der das Dasein in dem Dreischritt „Geworfenheit, Entwurf, Sein-bei“ sein Seinkönnen im praktischen Lebensvollzug versteht und vollzieht, von Balthasar im Rahmen einer Analogie zwischen endlicher und unendlicher Freiheit, in der der Mensch in einer Urerfahrung sich als frei für die Wahrheit erfährt und in der das Wahre, Gute und Schöne koextensiv miteinander verbunden sind. 5.6 Wahrheit-Zeit-Geschichte Das Thema „Zeit“ ist eines der wichtigen Themen der Philosophiegeschichte.995 Auch Heidegger und von Balthasar greifen dieses Thema an zentraler Stelle auf. In vorliegender Untersuchung wurde das Zeitproblem im Denken Heideggers und von Balthasars schon thematisiert unter den Überschriften „Die Rede“, „Das Sein zum Tode und die Sorge“ und „Realdistinktion und Zeit“. Was verbindet Heideggers und von Balthasars Zeitverständnis mit der Wahrheit und der Geschichte? Heideggers Zeitverständnis ist komplexer als das von Hans Urs von Balthasar. Er setzt sich schon sehr früh mit der frühchristlichen Zeiterfahrung auseinander: „Der junge Heidegger sieht in der frühchristlichen Zeiterfahrung die Erfassung eines echten Grundzugs des faktischen Lebens in dessen eigentlicher, praxis- und heilsorientierter Zeitlichkeit.“996 Daneben beschäftigt er sich immer und immer wieder mit der Zeitauffassung des Stagiriten und versucht dessen Konzept des καιρός mit dem, was frühchristliche Zeitlichkeit bedeutet, zu verbinden.997 In Sein und Zeit denkt er über das Thema „Zeitlichkeit des Daseins“ ausführlich nach und bemerkt schon in der Einleitung: „Als der Sinn des Seins desjenigen Seienden, das wir Dasein nennen, wird die Zeitlichkeit aufgewiesen.“998 Aber erst sehr viel später (ab § 45) bestimmt er die zeitliche Verfasstheit des Daseins auf dem Hintergrund der Strukturelemente des Daseins, die er zuvor beschrieben hatte, am Beispiel der Formen der Erschlossenheit und der Entschlossenheit. Zu den Strukturelementen gehört ganz zentral das Existenzial des In-der-Welt-seins, das auf die Räumlichkeit der Welt verweist. Heidegger sucht im ersten Teil von Sein und Zeit den Sinn des Seins, indem er im Durchgang durch den 995 Mike Sandbothe: „Zeit – Von der Grundverfassung des Daseins zur Vielfalt der Zeit-Sprachspiele“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 87. 996 Franco Volpi: „Der Rückgang auf die Griechen in den zwanziger Jahren – Eine hermeneutische Perspektive auf Aristoteles, Platon und die Vorsokratiker im Dienst der Seinsfrage“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch. S. 34. 997 Vgl. ebd. 998 SuZ (GA 2). S. 24. 135 Raum das Da des Daseins findet. Im zweiten Teil interpretiert er den ersten Teil in der Weise, dass er von der ontischen Raumanalyse zur ontologischen Zeitanalyse weiterschreitet. 999 So interpretieren sich die veröffentlichten Teile von Sein und Zeit wechselseitig.1000 Alle Strukturelemente des Daseins, die in der Analytik zutage gefördert worden sind, lassen sich so als Modi der Zeitlichkeit interpretieren. Auf diese Weise ist auch ein Zusammenhang der Wahrheit (als Erschlossenheit) mit der Zeit deutlich erkennbar. Und da Heidegger eine enge Verbindung zwischen Entschlossenheit und Erschlossenheit feststellt, ist auch eine Verbindung zum Wahrheitsverständnis gegeben. Dazu schreibt er in Sein und Zeit: „Die hinsichtlich ihres zeitlichen Sinnes charakteristische Entschlossenheit repräsentiert eine eigene Erschlossenheit des Daseins.“1001 Um nicht formal und abstrakt zu bleiben und den Zusammenhang zwischen Wahrheit, Zeit und Geschichtlichkeit verständlich zu machen, soll konkret auf die Zeitlichkeit der Erschlossenheit und der Entschlossenheit eingegangen werden, und zwar so, dass ein Vergleich beider Denker ermöglicht wird. Ausgangspunkt für einen solchen Vergleich ist die von Heidegger angestrebte Einheit von Ontologie und Thanatologie.1002 Im Seinsprozess zum Tode – Heidegger spricht auch von der „vorlaufenden Entschlossenheit“ – ist die „eigentliche Zukunft“ enthalten: „Die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt, die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht, enthüllt sich selbst als endliche.“1003 Im Dasein zum Tode verwirklicht sich das Dasein im Hinblick auf das Mögliche (eigentliches Selbst) oder es verfällt (uneigentliches Selbst). Das besagt: „Meine Zeit, die ich bin, ist die Zeit, die mein Sein ist.“1004 Der Bezug zur Wahrheit des Seins ist folgender: „Wer wahrhaft existiert und seine Zeit, seine Zukunft, sein Tod ist, braucht keine Uhr, kann keine in Gebrauch nehmen.“1005 Heidegger nennt die Zukunft an erster Stelle, denn für ihn ist die Zukunft das Phänomen der eigentlichen Zeitlichkeit.1006 Wie es mit der „Gewesenheit und der Gegenwart aussieht, ergibt sich aus der Bindestrichformel der dreiteiligen Sorgestruktur, die wir bereit kennengelernt haben. Beim im „Schon sein“ wird auf den zeitlichen Aspekt, „die Gewesenheit“, verwiesen und beim „Seinbei“ auf das „Gegenwärtigen“. Heidegger spricht von der „ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit“ und meint damit, dass die drei Ekstasen der Zeit (Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart) „in sich gleichursprünglich zusammengehören.“1007 Ekstase heißt, „sich von etwas trennen können, über sich hinausgehen können und das lässt sich von den Formen der Zeit in der Tat sagen – jede von ihnen ist nur 999 Vgl. Oliver Jahraus: Martin Heidegger. Eine Einführung, S. 142. Vgl. ebd., S. 143. 1001 SuZ (GA 2) S. 444. 1002 Vgl. Rainer Marten: „»Der Begriff der Zeit«. Eine Philosophie in der Nußschale“. In: Dieter Thomä (Hrsg.) Heidegger Handbuch, S. 22. 1003 SuZ (GA 2), S. 436. 1004 Rainer Marten: „»Der Begriff der Zeit«. Eine Philosophie in der Nußschale“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 23. 1005 Ebd., S. 23. 1006 Vgl. SuZ (GA 2) S. 435f,. 1007 Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24), S. 377. 1000 136 derart, dass sie zugleich auch über sich hinaus ist, dass sie in die anderen Formen der Zeit »umschlägt« keine ist ohne die anderen.“1008 Horizontal meint nicht das Gegenteil von vertikal, sondern meint bezogen auf einen Erfahrungsbereich.1009 Der Horizont zum Verständnis des Seins ist die Zeit. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass Heidegger unterscheidet zwischen der „linearen Zeitauffassung“ – „auch „vulgäre Zeitauffassung“ – genannt und der „ekstatisch-horizontalen Zeitauffassung“. Die erstere ist mit dem Gebrauch der Uhr verbunden und mit allem, was sich für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft im alltäglichen Gebrauch daraus ergibt; die zweite bezieht sich ausschließlich auf das Dasein und seine Möglichkeiten. Heidegger sieht die „lineare Zeitauffassung“ fundiert in der „ekstatisch-horizontalen Zeitauffassung“. Auf diese Weise relativiert er die „lineare Zeitauffassung“ und die „gegenwartszentrierte Zeitauffassung“.1010 Wichtig für den Vergleich beider Denker ist es, auf die Zeitlichkeit der Erschlossenheit einzugehen, und zwar am Beispiel der Zeitlichkeit des Verstehens und der Zeitlichkeit der Rede. Auf die Zeitlichkeit der Entschlossenheit wird noch unter der Überschrift „Wahrheit und Gewissen“ einzugehen sein. Dem Verstehen als Existenzial liegt die „eigentliche Zukunft“ zugrunde.1011 Das bedeutet, dass das Dasein sein Seinkönnen im praktischen Lebensvollzug im Vorlaufen auf den Tod versteht und sich als geworfenes Sein mit Entschlossenheit auf den Tod hin entwirft.1012 Es versteht im Augenblick, wie es sein kann als Existenz, frei sich als eigentliches Selbst der „Diktatur des Man“ zu entziehen. Von Balthasar wird statt „Augenblick“ den Ausdruck „Situation“ gebrauchen. Der Augenblick ist für Heidegger der „Ausbruch“ aus der Innerzeitigkeit, der Perspektive des Alltäglichen. 1013 In Sein und Zeit erklärt Heidegger den Begriff des Vorlaufens und unterscheidet zwischen „eigentlicher und „uneigentlicher Zukunft: „Für die terminologische Kennzeichnung der eigentlichen Zukunft halten wir den Ausdruck Vorlaufen fest. Er zeigt an, daß das Dasein, eigentlich existierend, sich als eigenstes Seinkönnen auf sich zukommen lässt, dass sich die Zukunft erst selbst gewinnen muß, nicht aus der Gegenwart, sondern aus der uneigentlichen Zukunft.“1014 Der uneigentlichen Zukunft entspricht das uneigentliche Verstehen des Manselbst und „hat den Charakter des Gewärtigens“.1015 Die Zukunft bedeutet kein Nach in dem Sinne, dass sie nach den anderen Ekstasen stattfindet: „Zeitlichkeit zeitigt sich als gewesendegegenwärtigende Zukunft.“1016 1008 Günter Figal: Martin Heidegger zur Einführung, S. 81. Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 151. 1010 Vgl. Mike Sandbothe: „Zeit – Von der Grundverfassung des Daseins zur Vielfalt der Zeit Sprachspiele“, S. 88. 1011 SuZ (GA 2) S. 445. 1012 Vgl. ebd. 1013 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«,S. 144. 1014 Vgl. SuZ. (GA 2) S. 445f.. 1015 Vgl., S. 446. 1016 Ebd., S. 463. 1009 137 Außer der Zeitlichkeit des Verstehens soll noch kurz die Zeitlichkeit der Rede zur Sprache gebracht werden. Die Rede ist allerdings nicht in der Zukunft, sondern in der Gegenwart fundiert. Heidegger drückt dies so aus: „Weil jedoch die Rede faktisch sich zumeist in der Sprache ausspricht und zunächst in der Weise des besorgend-beredenden Ansprechens der »Umwelt« spricht, hat allerdings das Gegenwärtigen eine bevorzugte konstitutive Funktion.“1017 Die Rede fordert zum Selbstsein auf und entspricht dem „Ruf des Gewissens“, der im Existenzial der Rede fundiert angesehen wird.1018 Auch Urs von Balthasar richtet bei seiner Zeitanalyse eine besondere Achtsamkeit auf die Bedeutung der Zeit für den Menschen (Situation). Es geht um die Entscheidung für das eigentliche Selbst, was für von Balthasar wie für Heidegger, wenn auch in unterschiedlicher Interpretation, heißt, dem „Ruf des Gewissens“ zu folgen, und zwar in jeder Situation des Daseins neu. Auch dem Gedanken des Vorlaufens auf den Tod kann von Balthasar folgen, allerdings deutet er als Christ die „Angst“ und die Begrenzung des Daseins durch den Tod anders als Heidegger. Den drei Ekstasen des heideggerschen Zeitverständnisses als ontologischem Sachverhalt setzt von Balthasar sein Konzept der Zeit gegenüber, wobei er Sein und Zeit nicht als identisch, sondern die Zeit als eine grundlegende Eigenschaft der Schöpfung betrachtet. Auch für von Balthasar handelt es sich bei der Zeit um einen ontologischen Sachverhalt. Beide benötigen die „ontologische Differenz“ bzw. die „Realdistinktion“ als Erklärung für die Zeitlichkeit des Daseins. Indem Heidegger – kursiv hervorgehoben – formuliert: „Der Unterschied von Sein und Seiendem ist in der Zeitigung der Zeitlichkeit gezeitigt“1019, wird deutlich, dass er die Zeit nicht als Seiendes versteht, sondern als Zeichen der Differenz von Sein und Seiendem.1020 Von Balthasar äußert sich in dem Sinne, dass es Zeit ohne die Realdistinktion, d.h. ohne die Trennung zwischen Dasein und Sosein nicht geben könne. Er ist davon überzeugt, „dass die philosophische Analyse der Zeit der eigentliche Zugang zu einem lebendigen und konkreten Verständnis der Realdistinktion ist.“1021 Ebenso in Bezug auf den Tod sieht von Balthasar einen Zusammenhang zwischen Gegenwart und Zukunft. Die gegenwärtige Situation bezieht sich auf die Zukunft, d.h. auch bei ihm steht die gegenwärtige Situation nicht beziehungslos und getrennt von der Zukunft, denn von der Zukunft her gestaltet der Mensch sein Leben, freilich nicht durch den Tod begrenzt. Von Balthasar spricht nicht von der Gleichursprünglichkeit der Ekstasen, aber wahres und richtiges Leben geschieht in der Ausrichtung der Gegenwart auf die Zukunft, und zwar indem der Mensch dem Ruf des Gewissens folgt. Sowohl für Heidegger als auch für von Balthasar öffnet sich die Wahrheit des Seins dem Dasein (Mensch) als ein Prozess im Lebensvollzug. Dieser zeitliche Prozess ist ein Vorlaufen zur Wahrheit des Seins bis zum Tod bei Heidegger bzw. ein Vorlaufen, um bei Heideggers 1017 Ebd., S. 461f.. Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 148, Fußnote. 66. 1019 Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie (GA 24). S. 454. 1020 Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 180. 1021 Hans Urs von Balthasar: W, S. 220. 1018 138 Begrifflichkeit zu bleiben, von der geschaffenen Wahrheit (kontingenten Wahrheit) zur ewigen Wahrheit in Gott bei von Balthasar. Heidegger leitet die Geschichtlichkeit des Daseins im Gegensatz zum „vulgären Geschichtsverständnis“ aus der Geschichtlichkeit der Daseinsstruktur ab, die zeitlich und damit geschichtlich ist.1022 Sie wurde in Sein und Zeit „als die vorlaufende Entschlossenheit, was das eigentliche Existieren angeht, als das Sichentwerfen auf Schuldigsein, was seine Faktizität betrifft und als die entschlossene Übernahme der Situation, in der es steht, was seine Verfallenheit betraf, charakterisiert.“ 1023 Nach der sogenannten Kehre verwandelt sich der Mensch. Jürgen Habermas beschreibt das in seiner kritischen Auseinandersetzung mit Heidegger so: „Der Mensch ist nicht mehr Platzhalter des Nichts, sondern Hüter des Seins, das Hinausgehaltensein in die Angst weicht der Freude und dem Dank für die Huld des Seins, der Schicksalstrotz der Ergebung ins Seinsgeschick, die Selbstbehauptung der Hingabe.“1024 Der Mensch (das Dasein) wartet im ereignisgeschichtlichen Denken auf das Ereignis. „Die Zeitlichkeit des Daseins ist nun nur noch der Kranz eines sich zeitigenden Seinsgeschicks.“1025 Von Balthasar beschreibt gelingende persönliche Geschichte der Wahrheit als die Summe aller Situationen, in denen der Mensch jeweils sich neu für die Wahrheit entscheidet. Der Mensch bestimmt frei in seiner irdischen Zeit, wie er sich der Wahrheit gegenüber in den wechselnden Situationen verhält. Der Mensch unterliegt letztendlich keinem Seinsgeschick, das mit dem Tod seine Macht verliert, sondern fühlt sich aufgehoben in Gottes Hand. 5.7 Wahrheit und Logik Man kann das Wahrheitsverständnis beider Denker besser nachvollziehen, wenn man analysiert, was sie unter Logik verstehen. Es fällt auf, dass Heidegger an vielen Stellen, die hier nicht im Einzelnen aufgeführt werden müssen, die traditionelle Logik bekämpft. Wenn wir in traditioneller Weise über die Wahrheit nachdenken, kommt uns die Logik und die Erkenntnistheorie in den Sinn: „In Wissenschaftstheorie und analytischer Philosophie, in denen formale Logik und Erkenntnistheorie mannigfache Verbindungen eingehen, hat sich die Ansetzung der Wahrheitsfrage als ein Problem von Logik und Erkenntnistheorie verfestigt.1026 Diesen Sachverhalt hinterfragt und kritisiert Heidegger. Er stellt sich vielmehr die Frage nach dem wahren Logos und wie Seiendes phänomenologisch zugänglich wird. Deshalb sind nicht die Logik und die Erkenntnistheorie die philosophischen Disziplinen, um sich mit der Wahrheitsfrage auseinanderzusetzen, „sondern Fundamentalontologie und ereignisgeschichtliches Denken als das Fragen nach dem Wesen des Seins werden zur primären Blickbahn für die Wahrheitsfrage“.1027 Die Frage nach dem wahren Logos wird dann anders beantwortet als in der traditionellen Philosophie. Der Logos ist wahr, „wenn er 1022 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 160. Ebd., S.161. 1024 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne (Frankfurt a.M. 1983), S. 181. 1025 Ebd. 1026 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wahrheit, Freiheit, Geschichte, S. 11. 1027 Ebd. 1023 139 das, wovon die Rede ist, ,entdeckt‘, d.h. aus der Verborgenheit herausführt“ (vgl. SuZ, § 44).1028 Die traditionelle Aussagenlogik ist nach Heidegger fundiert im wahren Logos. Von Balthasar geht in seinem Verständnis der Logik von der Begriffs- und Sprachlogik des Aristoteles aus, aber er verweist über die reine Formalität hinaus, indem er die Logik mit der Wahrheit des Seins verbindet.1029 Deshalb kann man bei von Balthasar analog zu Heidegger von einem ontisch geprägten Logikverständnis sprechen. Von Balthasar legt also die Adäquations- oder Korrespondenztheorie seinem Logikverständnis zu Grunde mit dem Verweis auf das ontische Fundament der Wahrheit des Seins. Damit vermeidet er, dass die Wahrheit auf den Aspekt der formalen Richtigkeit der Entsprechung reduziert wird.1030 Für von Balthasar ist das Wort Logik, das im Begriff der Theologie auftaucht, ein wichtiger Begriff im Rahmen seines theologischen Hauptwerkes als Bezeichnung der letzten drei Bände seiner „Trilogie“. Mit der Begrifflichkeit Theologie bzw. Theologik bezeichnet er Unterschiedliches: 1. „Theologik“ bezeichnet den dritten Teil der Trilogie Balthasars. 2. „Theo-Logik“ hat zum Inhalt die Sachfragen, die mit dem „Wort Gottes“ gegeben sind und denkt nach über das menschliche Reden über Gott. 3. Theologie ist die Wissenschaft gemäß der opinio communis.1031 In der Gegenüberstellung der zwei Denker spielt die unter Nr. 2 angeführte Bedeutung die entscheidende Rolle, denn hier geht es um die Rede über die Wahrheit des Seins. „Wozu nach alldem [d.h. den Bänden „Herrlichkeit“ und „Theodramatik“] noch eine »Theologik«?“ – so fragt von Balthasar und gibt die Antwort: „Weil in den beiden ersten Teilen das Faktum als gegeben vorausgesetzt wurde, dass Gott sich selbst den Menschen verständlich machen und erst in seiner Nachfolge befähigen kann, aber nicht darauf reflektiert wurde, wie die unendliche Wahrheit Gottes und seines Logos imstande sein kann, sich in dem engen Gefäß menschlicher Logik nicht nur vage und annähernd sondern adäquat auszudrücken.“1032 Grundlage dieses Nachdenkens über diese Zusammenhänge ist das Werk Theologik I., in dem sich von Balthasar schon 1947 ontologisch mit der Wahrheit der Welt auseinandersetzt. Von Balthasar entwickelt in seiner Theologie, die immer auf philosophische Gedanken und Zusammenhänge angewiesen ist, ein Spiel zwischen menschlicher und göttlicher Freiheit, zwischen menschlichem und göttlichem Logos, wobei Logos einmal eine göttliche Person bezeichnen kann, ein anderes Mal die folgerichtige und verständliche Rede über die Wahrheiten des endlichen und unendlichen Seins. Der wesentliche Unterschied zwischen Heideggers und von Balthasar Logosverständnis liegt im unterschiedlichen Seinsbegriff begründet und im unterschiedlichen Zugang zur Wahrheit des Seienden. Genaueres hierzu wird in 5.11 folgen, wenn es um die Frage nach dem Göttlichen geht. 1028 Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 25. Vgl. Thomas Schumacher. Perichorein. Zur Konvergenz von Pneumatologik und Christologik in Hans Urs von Balthasars theodramatischem Entwurf einer Theologik. Wortmeldung 7 (München 2007), S. 22ff. 1030 Vgl. ebd. S. 26, Fußnote 61. 1031 Vgl. ebd. S. 11, Fußnote 1. 1032 Hans Urs von Balthasar: TL I, S. XXI. 1029 140 Heideggers Kritik der traditionellen Logik, aber auch der „Kalkülsprache“ basieren auf der Überzeugung, dass das „hermeneutische Als“ das „apophantische Als“ übersteigt.1033 Eine Kalkülsprache, wie sie Frege, Wittgenstein und Russel forderten, eine Sprache, die die Mängel der natürlichen Sprache mit Hilfe einer Sprachnormierung im Sinne einer normierten Syntax beseitigen könnte, könne es nach Heidegger nicht geben. Denn jede Kalkülsprache sei angewiesen auf die Umgangssprache. 5.8 Wahrheit und Singularität Singularität ist ein Begriff der von Balthasarschen, von der Metaphysik her geprägten Philosophie und hebt die Bedeutung des einzelnen Menschen gegenüber der Gemeinschaft hervor. Wenn Heidegger vom Menschen und der Bedeutung des Einzelnen schreibt, verwendet er Begriffe, die in der von ihm entwickelten fundamental-ontologischen Blickbahn liegen. Statt Singularität, Mensch oder Person gebraucht er die Begriffe Dasein und Jemeinigkeit. Wie sieht Heidegger den Menschen im Unterschied zu von Balthasar? Diese Frage lässt sich beantworten mit Hilfe des Humanismusbriefes, in dem Heidegger die Frage nach dem Wesen des Menschen stellt und eine Antwort zu finden versucht. Heidegger distanziert sich im Humanismusbrief von allen humanistischen Wesensbestimmungen des Menschen. Ihnen wirft er vor, den Menschen als Exemplar seiner Art und Gattung als animal rationale zu beschreiben, und zwar im Horizont der Unterscheidung von essentia und existentia. Es gehe bei der Unterscheidung von essentia und existentia zugegebener Weise um einen wirklichen Unterschied im Sein, gebe aber keine Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen. Die Definition des Wesens des Menschen in der Metaphysik kommt nach Heidegger aus der Seinstendenz des Verfallens.1034 Humanitas im Unterschied zur animalitas sei laut Heidegger das eigenste Wesen des Menschen.1035 Humanitas wird von Heidegger beschrieben als das „Stehen in der Lichtung des Seins“.1036 Der Mensch steht als Ek-sistenz in der Lichtung des Seins. Das bedeutet für die Leiblichkeit des Menschen, dass diese von der Ek-sistenz bestimmt wird.1037 5.9 Wahrheit und Gewissen Heideggers Darstellung des Gewissens und der Schuld ist phänomenologisch und basiert auf der Daseinsanalyse. Alle anderen Theorien über das Gewissen werden despektierlich als „vulgär“ bezeichnet, also auch die von Balthasars.1038 Trotz dieser überheblichen Einstellung Heideggers und ungeachtet des einmaligen und originellen philosophischen Ansatzes des unbestritten genialen Denkers müssen kritische Fragen erlaubt bleiben. Als Einstieg zur Kritik 1033 Vgl. Udo Tietz: „Heidegger und Ludwig Wittgenstein. Diesseits des Pragmatismus – jenseits des Pragmatismus“. In: Dieter Thomä (Hrsg.) Heidegger Handbuch, S. 349. 1034 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 334. 1035 Vgl. ebd. S. 336. 1036 Vgl. Martin Heidegger: „Brief über den Humanismus“ In: WM (GA 9), S. 325. 1037 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Wege ins Ereignis. Zu Heideggers »Beiträgen zur Philosophie«, S. 337. 1038 Vgl. SuZ (GA 2), S. 279. 141 eignet sich der Begriff der „Gewissensangst“. Das „eigentliche Selbst“ in einem Dauerzustand der Angst zum Tode und das Gewissenhabenwollen als Bereitschaft zur Angst überfordern zumindest die Menschen, die nicht heroisch veranlagt sind und setzt eine heroische Elite voraus, die stets um Eigentlichkeit bemüht ist und sich dem Gerede, der Neugier und überhaupt allem, was mit dem Man-selbst gemeint ist, rigoros entzieht: „Was könnte dem Man, verloren in die besorgte, vielfältige »Welt«, fremder sein als das in der Unheimlichkeit auf sich vereinzelte, in das Nichts geworfene Selbst.“1039 Diese Aussage wird noch ergänzt durch die Vereinzelung des Daseins, die mit dem Gewissensruf verbunden ist, denn der Ruf kommt nicht von einem anderen Dasein, sondern unerwartet und gegen den eigenen Willen aus mir „und doch über mich“.1040 Folgt man hingegen Urs von Balthasars Analyse der Angst, dann könnte der Gegensatz kaum deutlicher sein. Er begründet die Ablehnung der Angst im Zusammenhang mit der Frage nach der Angst einiger Christen (beispielsweise Kierkegaards), und zwar rigoros wie sein Gegenpart Heidegger, so zwar, dass im Lichte biblischer Aussagen, die Angst eine unangemessene Befindlichkeit ist. Auch hinsichtlich der Frage nach der Schuld ergibt sich ein Problem. Wie kann es sein, dass das Dasein frei eine Schuld auf sich nehmen soll, für die es nichts kann als ins Dasein geworfenes Sein? Das klingt nach einer Theologie der ererbten Schuld (analog zur Erbsünde). Das Dasein ist aber nicht verantwortlich für sein Sein. Weshalb sollte es dann schuldig sein? Auch von Balthasar spricht von der Verantwortung des Menschen gegenüber der Wahrheit. Er sieht den Menschen als kontingentes Sein, als einen, der Zeugnis geben soll für die Wahrheit. Als ethisch oder unethisch Handelnder kann sich der Mensch frei entscheiden, ob er die Wahrheit zum Ausdruck bringt oder nicht. Er macht sich schuldig, wenn er dem Ruf Gottes nicht folgt. Das ergibt sich aus der Balthasarschen Interpretation der Ignatianischen Exerzitien. Der Ruf ist bei von Balthasar nicht anonym und unerwartet bzw. gegen den eigenen Willen, sondern ergeht von Gott an den Hörer des Wortes, und der Mensch entscheidet, ob er dem Ruf Gottes folgen will oder nicht. In der „Trilogie“ stellt von Balthasar das, was zwischen Gott und den Menschen geschieht, als Drama dar. In diesem Drama ist Gott sozusagen der Regisseur, und der Mensch übernimmt entweder frei die Rolle, die ihm Gott zuordnet oder er lehnt diese Rolle ab und macht sich damit schuldig. Ferner gibt uns das Gewissen keine konkreten Handlungsanweisungen. Das Dasein wird im Unklaren darüber gelassen, wie es konkret handeln soll. Es wird nur allgemein dazu aufgerufen, es selbst zu sein, d.h. sich entschlossen der jeweiligen Situation zu stellen und so eine Handlungssituation zu erschließen (verstehen).1041 D.h., das Dasein steht in seiner Jemeinigkeit vor der Entscheidung, aus den anstehenden Möglichkeiten auszuwählen (auf diese Weise schuldig zu werden) und heldenhaftes Verhalten auf dem Weg zur Eigentlichkeit zu beweisen. Das faktische Ideal des Daseins besteht in dem Helden, der sich für die 1039 Ebd., S. 367f.. Vgl. ebd., S. 366. 1041 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 148. 1040 142 Wahrheit des Seins opfert.1042 Allerdings wissen wir nicht, wie die Wahrheit des Seins inhaltlich zu bestimmen ist. Genügt es vielleicht, wenn das Selbst die Wahrheit des Seins auf die Weise erfährt, indem es sich all dem entzieht, was mit dem Man-selbst zu tun hat? Konkretes Verhalten kann hier nicht abgelesen werden. In den Beiträge[n] zur Philosophie heißt es dazu: „[…] der Mensch, da-seinsmäßig begriffen, gründet sein Wesen auf den Entwurf des Seins und hält sich deshalb in allem Verhalten und jeder Verhaltenheit im Bereich der Lichtung des Seyns. Dieser Bereich jedoch ist durch und durch nicht menschlich, d.h. nicht bestimmbar und nicht tragbar durch das animal rationale und ebenso wenig durch das Subjektum. Der Bereich ist überhaupt kein Seiendes, sondern gehört der Wesung des Seyns.“1043 Hans Urs von Balthasar ist konkreter, indem er als Exerzitienmeister auf die Ignatianischen Exerzitien verweist, die zusammengefasst dafür werben, in Freiheit die Wahl Gottes, die er für jeden Spieler (Menschen) trifft, zu wählen. Diese Wahl Gottes ist dem Menschen vorgegeben im persönlichen Gewissensentscheid und anhand der Gebote, von denen das Liebesgebot alle anderen überragt. Im Zweifelfall wird empfohlen, den Rat der Kirche einzuholen. Das Sichrichten nach den Weisungen Gottes ist als Ruf Gottes zu verstehen, dem der Mensch frei zustimmen oder den er auch schuldhaft ablehnen kann. Schließlich ordnet Heidegger die Begriffe Gewissen und Schuld nicht der Theologie, Soziologie, Anthropologie zu, da diese nach ihm am Phänomen des Gewissens vorbeigehen.1044 Bestrafen macht in der Rechtsprechung allerdings nur dann Sinn, wenn auch eine persönliche Schuld vorliegt. Da aber Heidegger den Begriff der Schuld nicht als eine Kategorie der Moral oder Anthropologie etc. betrachtet, benutzt er einen mit dem in der Rechtsprechung oder Ethik bzw. Moral nicht vertretbaren Gebrauch des Begriffs Schuld. Er bleibt auch in diesem Zusammenhang seiner phänomenologischen Daseinsanalyse treu, die immer auf die entsprechende Fundierung verweist. 5.10 Wahrheit und Ästhetik Über das, was Heidegger und von Balthasar über Wahrheit und Ästhetik zu sagen haben, wurde schon im Rahmen dieser Studie in verschiedenen Zusammenhängen nachgedacht. Beide Denker haben mit ihren Entwürfen großen Einfluss ausgeübt bis auf den heutigen Tag. Heideggers Werk „Der Ursprung des Kunstwerkes“ steht neben Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ und Adornos Ästhetischer Theorie als wichtigste Beiträge der Philosophie des 20. Jahrhunderts zu diesem Thema.1045 Hans Urs von Balthasar nimmt mit seinen Gedanken zur Wahrheit und Ästhetik eine Sonderstellung innerhalb der katholischen Theologie ein, denn er baut als Einziger sein theologisches Hauptwerk auf den Transzendentalien auf, wobei der Schönheit und Herrlichkeit eine herausragende Bedeutung 1042 Vgl. Martin Heidegger: Parmenides (GA 54), S. 249. Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) (GA 65), S. 489f. 1044 Vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: »Sein und Zeit«, S. 116. 1045 David Espinet – Tobias Keiling (Hrsg.): Heideggers Ursprung des Kunstwerks, S. 11 (Vorwort). 1043 143 zukommt. Vom seynsgeschichtlichen Ereignisdenken ausgehend formuliert Heidegger bezugnehmend auf die „Bauernschuhe“ von V. van Gogh und auf C.F. Meyers Gedicht „Der römische Brunnen“:„Im Werk ist die Wahrheit am Werk, also nicht nur ein Wahres. Das Bild, dass die Bauernschuhe zeigt, das Gedicht, das den römischen Brunnen sagt, bekunden nicht nur, was dieses vereinzelte Seiende als dieses sei, falls sie je bekunden, sondern sie lassen Unverborgenheit als solche in Bezug auf das Seiende im Ganzen geschehen.“1046 Heidegger bleibt auch nach der Wende Phänomenologe. Auch in „Der Ursprung des Kunstwerkes“ gilt Heideggers Wahrheitsverständnis, das er schon in Sein und Zeit vorgestellt hat, nämlich dass Wahrheit als Übereinstimmung eine Verstellung der Wahrheit als Unverborgenheit bedeutet.1047 Obwohl Heidegger mit Hilfe seines Wahrheitsverständnisses eine Überwindung der Ästhetik anstrebt, kann keine Rede davon sein, dass er das Schöne ablehnt, sondern er zögert nur, den Begriff der Schönheit zu verwenden, wie aus dem Nachwort des Kunstwerkaufsatzes zu ersehen ist. Dort heißt es: „Die Wahrheit ist die Wahrheit des Seins. Die Schönheit kommt nicht neben dieser Wahrheit vor. Wenn die Wahrheit sich ins Werk setzt, erscheint sie. Das Erscheinen ist – als dieses Sein der Wahrheit im Werk und als Werk – die Schönheit. So gehört das Schöne in das Sichereignen der Wahrheit.“1048 Heidegger sieht also einen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Schönheit. Die Kunst könne nicht aus der Schönheit „für sich genommen“ begriffen werden. Schönheit hängt mit Scheinen zusammen. „Das ins Werk gefügte Scheinen ist das Schöne.“1049 Heidegger verdeutlicht dies am Beispiel des Gedichtes „Ein Winterabend“ von G. Trakl: „Diese Schönheit erhöht den Reiz des Gedichtes und bekräftigt die ästhetische Vollendung des Kunstgebildes.“1050 Auch von Balthasar sieht einen Zusammenhang zwischen dem Wahren und dem Schönen. Bei ihm kommt der Schönheit eine wichtigere Bedeutung zu als bei Heidegger, dessen Gedanken in Zusammenhang mit Kunstwerken doch ganz deutlich dem Thema Wahrheit gewidmet sind. Heidegger beschäftigt sich ausschließlich mit der Wahrheit und Schönheit des endlichen Kunstwerkes. Von Balthasar philosophiert sowohl über die Schönheit der Schöpfung, der Dichtung und der Musik, sieht diese aber auch als Gleichnisse des ewigen Seins. Von Balthasar betrachtet dazu in einer Reihe mit dem Wahren und Schönen auch das Gute. Dieses Bewusstsein des Zusammengehens des Wahren, Guten und Schönen als transzendentalen Eigenschaften alles Seienden führt er zurück auf die Erfahrung des Kosmos bei den Griechen. Er legt die Methode der Integration und der Inklusion und nicht der Evolution seiner Verhältnisbestimmung zwischen christlichem und griechischem Verständnis des Schönen bzw. Herrlichen zugrunde. D.h. die christliche Philosophie und Theologie widerlegt nicht einfach das griechische Verständnis des Kosmos, sondern bestätigt sie, so 1046 Martin Heidegger: „Der Ursprung des Kunstwerkes“. In: HW (GA 5). S. 43. Vgl. ebd., S. 39. 1048 Ebd., S. 69. 1049 Ebd., S. 43. 1050 Martin Heidegger: „Die Sprache“. In: US, S. 18. 1047 144 zwar, […] „dass der Mensch alle seine Vorentwürfe von endgültigen Entwürfen Gottes eingeholt und weit überholt sieht.“1051 Heidegger würde dieser Interpretation vehement widersprechen. Einerseits erkennt er an, dass Wahrheit und Schönheit zusammengehen, aber er lehnt es ab, von transzendentalen Eigenschaften des Seins zu sprechen. Er distanziert sich, wie im Folgenden unter der Überschrift „Wahrheit und die Frage nach dem Göttlichen“ noch dargestellt wird, vom Gebrauch griechischer Philosophie bei der Erklärung des christlichen Glaubens.1052 Sehr aufschlussreich ist auch, welche Bedeutung Sprache und Dichtung dem Wahrheitsdenken beider Denker zukommt. Während der Germanist, Philosoph und Theologe von Balthasar sich nicht nur mit der Dichtung Goethes, Rilkes, Trakls, Claudels u.a. auseinandersetzte und Inspiration für seine Suche nach den logoi spermatikoi fand und diese inklusiv in seine Philosophie und Theologie integrierte, kommt bei Heidegger vor allem nach der Kehre die Bedeutung der Dichtung Hölderlins, Rilkes, Georges u.a. als Quelle seines Denkens in die seynsgeschichtlicher Blickbahn. Er weist der Dichtung einen Vorrang unter den Kunstgattungen zu. Der Sprache kommt also eine herausragende Bedeutung zu. Heidegger zitiert Novalis in Unterwegs zur Sprache: „Gerade das Eigentümliche der Sprache, dass sie sich bloß um sich selbst bekümmert, weiß keiner.“1053 Nach Heideggers Interpretation ist das Eigentümliche das Besondere der Sprache.1054 An anderer Stelle bemerkt Heidegger zum Besonderen der Sprache: „Das Wesende der Sprache ist die Sage als die Zeige.“ 1055 D.h., dass wir beim Sprechen auf die Sprache hören und von ihr her sprechen, und zwar das, was sie sagend uns zeigt.1056 5.11 Wahrheit und die Frage nach dem Göttlichen Dass von Balthasar einen Zusammenhang zwischen Wahrheit und Gott herstellt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber auch im Falle Heideggers darf nicht vergessen werden, dass sein Bildungsweg kirchlich geprägt war und er zeitlebens auf der Suche nach dem „Göttlichen“ war. Zunächst war er der Wahrheit der katholischen Kirche verbunden. Erst relativ spät löste er sich vom „System des Katholizismus“, und zwar erst zwischen 1916 und 1919. Deutlich wird die Trennung in einem Brief (9. Januar 1919) an den befreundeten Freiburger Theologen Engelbert Krebs, in dem er zum Ausdruck bringt, dass er im Rahmen des Christlichen bleibt, aber dass ihm die rational-theoretische Durchgestaltung des katholischen Christentums nicht 1051 Markus Enders: „»Alle weltliche Schönheit ist für den antiken Menschen die Epiphanie göttlicher Herrlichkeit«. Zur vorchristlichen Wahrnehmung des Schönen in der heidnischen Antike nach Hans Urs von Balthasar“. In: Walter Kardinal Kasper (Hrsg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch (Ostfildern 2006), S. 30. 1052 Rainer Thurnher: „Heideggers Distanzierung von der metaphysisch geprägten Theologie und Gottesvorstellung“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Heideggers (Hamburg 2011), S. 175-194, hier S. 176. 1053 Vgl. Martin Heidegger: „Der Weg zur Sprache“. In: US, S. 265. 1054 Vgl. ebd. 1055 Ebd., S. 254. 1056 Vgl. ebd., S. 254f. 145 überzeugt.1057 Was eine christliche Philosophie betrifft, konnte er in der im Sommersemester 1920 gehaltenen Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks (GA 59) noch von der wahrhaften Idee einer christlichen Philosophie sprechen. 1058 Im Wintersemester 1920/21 heißt es dann aber schon: „Philosophie muß in ihrer radikalen, sich auf sich selbst stellenden Fraglichkeit prinzipiell a-theistisch sein. Sie darf sich gerade ob ihrer Grundtendenz nicht vermessen, Gott zu haben und zu bestimmen. Je radikaler sie ist, umso bestimmter ist sie ein weg von ihm, also gerade im radikalen Vollzug des »weg« ein eigenes schwieriges »bei« ihm.“1059 Dieses Schwierige „»bei« ihm“ wird sich durchhalten bis zu seinem Tod. In der gleichen Vorlesung (Wintersemester 1921/22) besteht Heidegger darauf, dass die hermeneutische Philosophie des faktischen Lebens (sich der Gottesfrage enthalten müsse. Der Ausdruck »prinzipieller Atheismus« ist kein dogmatischer Atheismus (Nichtsein Gottes), sondern ein methodischer.1060 Von da an bis Sein und Zeit wird die Daseins-Analytik in der theologischen Epoché durchgeführt, dass heißt in der Enthaltung von der Frage nach Gott. In dem, im Erscheinungsjahr von Sein und Zeit (1927) gehaltenen Vortrag „Phänomenologie und Theologie“ geht es unter anderem auch um die wichtige Frage nach dem Verhältnis von Fundamentalontologie zur christlichen Theologie.1061 Es heißt dort: „Die Philosophie ist das mögliche, formal anzeigende ontologische Korrektiv des ontischen, und zwar vorchristlichen Gehaltes der theologischen Grundbegriffe.“ Drei Zeilen später lesen wir: „Dieses eigentümliche Verhältnis schließt nicht aus, sondern eben ein, dass der Glaube in seinem innersten Kern als eine spezifische Existenzmöglichkeit gegenüber der wesenhaft zur Philosophie gehörigen und faktisch höchst veränderlichen Existenzform der Todfeind bleibt.“ Ebenso drastisch das abschließende Urteil: „Es gibt daher nicht so etwas wie eine christliche Philosophie, das ist ein »hölzernes Eisen« schlechthin.“1062 Heideggers Wege haben sich radikal getrennt von dem, was er noch als Neuscholastiker als Wahrheit erkannt hatte. Philosophisch gesehen hängt dieser Wandel von der Neuscholastik zum prinzipiellen A-theismus mit dem Weg zum faktischen Lebensvollzug, zur hermeneutische Phänomenologie des Daseins zusammen und findet in den zwanziger Jahren ihren vorläufigen Abschluss in Sein und Zeit und im Vortrag „Phänomenologie und Theologie“. Diese Position wird Heidegger bis zur Kehre und danach beibehalten. Bevor wir zum Ereignis-Denken vorstoßen, das den Rest seines Lebens bestimmt, muss noch einmal auf Heideggers Metaphysikkritik, die auch den Gottesbegriff betrifft – besonders auf 1057 Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Die drei Wegabschnitte der Gottesfrage im Denken Martin Heideggers“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers. (Hamburg 2011), S. 33. 1058 Vgl. Günther Pöltner: „Philosophie als »Korrektion« der Theologie. Heideggers Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Theologie“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers, S. 84. 1059 Martin Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die Phänomenologische Forschung (Frankfurt a.M. 1985) (GA 61, S 197. 1060 Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann: „Die drei Wegabschnitte der Gottesfrage im Denken Martin Heideggers“, S. 37. 1061 Vgl. ebd. S. 39. 1062 Martin Heidegger: „Phänomenologie und Theologie“. In: WM (GA 9). S. 66. 146 seine Kritik des Primats des Logos und auf die auf dem Hintergrund seines dreistufigen Wahrheitsverständnisses zu verstehende Kritik der traditionellen Philosophie und des Christentums – eingegangen werden.1063 Ohne ein genaueres Verständnis dieser Kritik ist Heideggers Denken nicht zu verstehen. In der traditionellen Metaphysik gilt der Logos als der ausschließliche Zugang zur Wahrheit des Seienden und zur Erkenntnis Gottes. Heidegger kritisiert am metaphysischen Denken die Verbindung zwischen Logos und Theologie. Er ist davon überzeugt, „dass der Logos unvermerkt eine Selektion und bestimmte Strukturierung seiner Inhalte zur Folge hat und somit keineswegs als ein neutrales Medium des Erkennens und der Darstellung gelten darf.“1064 Für ihn ist der Logos ein abkünftiges und fundiertes Phänomen, „das zur Erfüllung seiner Funktion eine primäre Erschlossenheit des Seienden bereits voraussetzt.“1065 Dieser Primat des Logos führe zu dem von der griechischen Philosophie geprägten Gottesbild der christlichen Theologie, die Gott 1. als summum ens, 2. als causa prima (causa sui) und 3. als summum bonum begreift. Im Lichte des Logos werde das Sein als Anwesenheit bestimmt, so dass bei Gott jedes Abwesen ausgeschlossen wird. Im Begriff, der Gott als causa prima versteht, sieht Heidegger eine Verengung des Ursachenbegriffes als ein facere und efficere.1066 Am schärfsten aber kritisiert er, wenn Gott als summum bonum bezeichnet wird. Er bemerkt dazu: „Der letzte Schlag gegen Gott und die übersinnliche Welt besteht darin, dass Gott, das Seiende des Seienden, zum höchsten Wert herabgewürdigt wird. Nicht dass Gott für unerkennbar gehalten, nicht daß Gottes Existenz als unbeweisbar erwiesen wird, ist der härteste Schlag gegen Gott, sondern daß der für wirklich gehaltene Gott zum obersten Wert erhoben wird.“1067 Was Heideggers dreistufiges Wahrheitsverständnis angeht und zwar im Verständnis vor und nach der Kehre, so gilt von Sein und Zeit bis zur Kehre Wahrsein „primär vom Dasein als erschließenden und entbergenden, sekundär vom Seienden, das darauf erschlossen und entborgen wird, und tertiär von der aufgrund einer Adäquation des Verstandes an das entborgene Ding aufgestellten Aussagen über dieses.“1068 In Heideggers späteren Werken verändert sich der Wahrheitsbegriff. Nicht mehr das Dasein als fundamentaler Ort innerhalb der Wahrheitstheorie, sondern das Sein selbst in seiner Wahrheit und in seinem Wesen ist der eigentliche Akteur.1069 Entbergen und Verbergen werden jetzt als Geschehen des Seins bzw. als Geschick des Seins interpretiert. Der Mensch ist als Dasein in dieses Geschehen und Geschick hineingeschickt 1063 Vgl. Rainer Thurnher: „Heideggers Distanzierung von der metaphysisch geprägten Theologie und Gottesvorstellung“, S. 179. 1064 Ebd. 1065 Ebd., S. 186. 1066 Vgl. ebd., S. 181. 1067 Martin Heidegger: „Nietzsches Wort »Gott ist tot«“. In: HW (GA 5), 259f. 1068 Johannes Brachtendorf: „Heideggers Metaphysikkritik in der Abhandlung: Nietzsches Wort »Gott ist tot«“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers, S. 110. 1069 Vgl. ebd. 147 und sein Auftrag ist es, dem Geschehen und Geschick zu entsprechen.1070 Heidegger ist auf seinem Denkweg in der seynsgeschichtlichen Blickbahn. Wie sucht Heidegger nun die Onto-theologie zu überwinden? Er setzt phänomenologisch, wo es um Gott und das Göttliche geht, bei der Befindlichkeit an, bei der Stimmung der Betroffenheit durch die Gottferne. Diese Stimmung beinhaltet Gefühle des Leergelassenseins und der Heimatlosigkeit.1071 Der Unterschied zum Atheismus ist, dass der Atheismus die Existenz Gottes leugnet, während Heidegger als Ausgangspunkt seiner Überlegungen vom Sich-Entzogen-Haben des Göttlichen (Entzug Gottes) ausgeht. Von da aus geht der Blick zurück auf ein Dagewesensein, auf das Fehlen Gottes in der Gegenwart und nach vorne auf eine als möglich gedachte Ankunft.1072 Es geht also wie bei Heideggers Inspirationsquelle Hölderlin um Abwesenheit, die nicht mit dem nicht Existierenden verwechselt werden darf. Im Gegensatz zu Heidegger fragt von Balthasar nach der Wahrheit Gottes im Rahmen der philosophia perennis. Die weltliche Wahrheit ist kontingent und nimmt teil an der göttlichen. Balthasars Hauptanliegen ist nicht in erster Linie eine Dekonstruktion des Christentums und seines Gottesbilds, sondern ihm geht es in seiner phänomenologische Hermeneutik, die sich an Gestalten und an der Seinsphilosophie orientiert, um eine Neuinterpretation des Christentums für unsere Zeit. Dabei scheut er sich nicht, die logoi spermatikoi aufzugreifen, wo immer er sie finden konnte. Auch er läßt sich bei seinem Streben nach der Wahrheit von der Dichtung inspirieren, was gleichermaßen Konsequenzen für sein Verständnis des Seinsbegriffs und der innertrinitarischen Dynamik des göttlichen Lebens hat. Die Wahrheit des Seins erkennt er nicht in seynsgeschichtlicher Blickbahn. Gott entzieht sich dem Dasein nicht wie im Denken Heideggers, er ist nicht bestimmend wie das Seyn, sondern Gott ist der Gott der Liebe, der sich als Schöpfer des kontingenten Seins dem Menschen zu erkennen gibt und die Freiheit lässt, auf seinen Ruf zu hören. Von Balthasar unterscheidet zwischen endlichem und unendlichem Sein. Das Sein zum Tode ist kein Sein zum Ende, geprägt von der Angst, sondern von der Hoffnung auf eine Begegnung mit Gott. Von Balthasar schätzt Heideggers philosophische Arbeit als fruchtbaren Ansatz „für eine mögliche Philosophie der Herrlichkeit“.1073 5.12 Fazit Die Gegenüberstellung der jeweiligen phänomenologischen Methode der beiden Denker ergab, dass beide auf unterschiedliche Weise zu den Sachen selbst vorzudringen versuchten, um die Wahrheit der Welt entdecken zu können. Was beide Ansätze unterscheidet ist die Seinsphilosophie. Von Balthasar weist mit seiner wiederholt erwähnten Realdistinktion darauf hin, dass der actus essendi, „der Akt, der macht, dass das einzelne Seiende existiert, weder 1070 Vgl. ebd., S. 111. Vgl. Rainer Thurnher: „Heideggers Distanzierung von der metaphysisch geprägten Theologie und Gottesvorstellung“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers, S. 187. 1072 Vgl. ebd., S. 189. 1073 Vgl. Hans Urs von Balthasar: H III/1, S. 786. 1071 148 identisch mit der Summe alles Seienden, noch selbst ein Seiendes ist. Darin liegt die Nichtsubsistenz des geschöpflichen Seins.“1074 Heideggers Seinsphilosophie ist so komplex, dass selbst Gadamer sein Nichtverständnis einräumen muss. Deshalb wird im Rahmen der Kritik der Heideggerschen Seinsphilosophie noch entsprechender Raum zur Verfügung gestellt, um sich Heideggers Seinsphilosophie in einem Versuch noch einmal zusammenfassend zu nähern. Heidegger lehnt in seinem holistischen Ansatz die Gegenüberstellung von Subjekt und Objekt ab. Aber auch von Balthasar trennt Subjekt und Objekt nicht in der Weise, wie es Heidegger der traditionellen Philosophie unterstellt. Heidegger weist den Begriff animal rationale für den Menschen zurück, denn er treffe nicht den Kern der „Humanitas“. Für Heidegger ist das Dasein ein Sein zum Tode und die Angst die Voraussetzung für die „Eigentlichkeit“ des Seinkönnens in einer für das Dasein endlichen Welt. Dagegen sieht von Balthasar die Eigentlichkeit des Daseins (philosophisch) dadurch verwirklicht, dass der Mensch der Wahrheit in jeder Situation seines Lebens gerecht wird und theologisch im wahren Christsein, das darin besteht, die eigene Existenz an die Jesus-Geschichte anzugleichen.1075 Das Sein zum Tode ist für ihn nicht mit Angst besetzt, sondern er bejaht die Schöpfung und unterstellt sich glaubend, liebend, hoffend der Barmherzigkeit Gottes, der ein Gott der Liebe ist. Alle wichtigen Begriffe, die in diesem Kapitel mit der Wahrheit des Seins in Verbindung gesehen und betrachtet wurden, wie beispielsweise Wahrheit, Logik, Zeit, Geheimnis, Freiheit, Ästhetik, Gewissen, Gott können bei Heidegger nur unter Berücksichtigung seiner phänomenologischen Hermeneutik verstanden werden. Sie sind jeweils nicht im Sinne der traditionellen Philosophie verständlich, sondern finden ihre Fundierung in der Wahrheit des Seins, zunächst in fundamentalontologischer Blickrichtung, nach der Wende in seynsgeschichtlicher Sichtweise. Heidegger fundiert die Wahrheit letztendlich in der „Lichtung des Seins“, die Logik in einer primären Erschlossenheit des Seienden, die lineare Zeitauffassung in der ekstatisch-horizontalen Zeitauffassung, die Handlungsfreiheit in der eksistenten Freiheit, das Gewissen als Seinsmodus der Rede im Dasein als In-der-Welt-sein. Was die Ästhetik betrifft, so bekämpft Heidegger die Vorstellung des Seienden als des gegenständlich Vorstellbaren. Stattdessen zielt er ab auf die Welt in ihrer Bedeutungsganzheit, die dem Dasein im praktischen Vollzug erschlossen ist, d.h. die Ästhetik hat ihren Grund in der Lichtung des Seins. Von Balthasar fundiert alle genannten Begriffe (Wahrheit, Logik, Zeit usw.) in der endlichen Wahrheit und die endliche Wahrheit in der Wahrheit Gottes. Vor allem die Suche nach Gott und dem Göttlichen als wichtigster Teil der Wahrheitsanalyse wird bei beiden Denkern in verschiedener Weise verstanden. Obwohl von Balthasar mit dem Terminus „Sein“ nicht 1074 Karl-Heinz Menke: „Trotz dieser Polemik: Worauf es von Balthasar ankommt“. In: Wenn das Salz dumm wird. 100 Jahre Hans Urs von Balthasar – und immer noch nicht genug? DOKUMENTATION des Symposions zum 100. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar am 01.06.2005 (Universität Bonn): http://www.ktf.unibonn.de/Einrichtungen/dogmatik-u-propaedeutik/Dokumentation.pdf (letzter Aufruf: 10.07.2015). 1075 Vgl. ebd., S. 33. 149 dasselbe versteht wie die griechischen Philosophen Parmenides, Platon oder Aristoteles, sieht er die griechische Philosophie als eine der entscheidenden Voraussetzungen für das Verständnis der Selbstoffenbarung Gottes.1076 Dagegen nimmt Heidegger Abstand von der griechischen Philosophie und vom „Gott der Philosophen“ überhaupt, die nach seiner Ansicht „Gott als Inhalt des bestimmenden Denkens und Vorstellens“ beschreiben und „die Dimension der lebendigen Begegnung zwischen Gott und Mensch“ nicht hinreichend beachten.1077 Heideggers Distanz zur christlichen Philosophie und noch einmal verschärft zur katholischen Theologie gilt auch dem Bestreben, seine Unabhängigkeit als Philosoph aufzuweisen. Von Balthasar ist in erster Linie Theologe, der als hervorragender Kenner der Philosophie weiß, dass die Theologie der Philosophie bedarf, um die Selbstoffenbarung Gottes adäquat vermitteln und übersetzen zu können in die jeweilige Sprache der Zeit. Die Frage, ob von Balthasar die Seinsphilosophie Heideggers so erfasst hat, dass Heidegger nicht widersprochen hätte oder vielleicht – unbekannterweise – widersprochen hat, kann leider nicht beantwortet werden, da sich Heidegger nicht zu von Balthasar geäußert hat. Jedenfalls spielen für von Balthasar die beiden Seinsphilosophen Thomas von Aquin und Heidegger in seiner „Trilogie“ und noch einmal in seinem Epilog zur theologischen Trilogie eine wichtige Rolle. Werner Löser1078 weist in diesem Zusammenhang auf zwei zentrale Textabschnitte aus von Balthasars Epilog und Herrlichkeit III hin: „Die Wirklichkeit (esse) kann nur eine sein […], sofern sie ,completum et simplex‘ ist. Aber anderseits subsistiert sie nicht in sich, sondern in einer Unzahl von Wesen, und verleiht jedem von ihnen seine wesenhafte (substantielle) Einheit. Gewiss kann der ordnende Verstand diese Einheiten durch Vergleichen in Arten und Gattungen einteilen, aber weder Art noch Gattung substitiert als solche, sondern nur das, was man mit Recht das Unteilbare, In-dividuum nennt. Auch hier herrscht ein gegenseitiges Sich-beschenken: das Sein gibt dem Wesen seine Unteilbarkeit, das Wesen gibt dem Sein (als bloß schwebende in sich keinen Halt findende Wirklichkeit) seine Verwirklichung. Insofern ist das Sein immer sowohl das Allgemeinst-Geltende, alles Endliche unendlich Umfassende, wie das je-Besondere, das so einmalig ist, das es unter nichts eingeordnet werden kann.“1079 Von Balthasar kann Heidegger nicht folgen, da Heidegger die ontologische Differenz in der Perspektive der Endlichkeit interpretiert. Der Ausgangspunkt seines Denkweges im Dialog mit Heidegger und Thomas von Aquin war, wie wir bereits gesehen haben, von Balthasars Begegnung mit seinem Mentor Przywara, einem guten Kenner Husserls und Heideggers. Hinzu kamen nach Wahrheit der Welt Anregungen durch die Philosophie Gustav Siewerths, 1076 Vgl. ebd., S. 30. Vgl. Rainer Thurnher: „Heideggers Distanzierung von der metaphysisch geprägten Theologie und Gottesvorstellung“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers, S. 182. 1078 Vgl. Werner Löser SJ: „Der christliche Beitrag zur Metaphysik. Hans Urs von Balthasar im Gespräch mit Martin Heidegger“, S. 27. 1079 Hans Urs von Balhasar: Epilog, S. 43f. 1077 150 die als Voraussetzung der metaphysischen Anteile der Trilogie zu werten sind.1080 Das Ergebnis war die Entwicklung einer in vier Schritten entfalteten Differenz als Alternative zu Heidegger, eine Weiterentwicklung dessen, was schon in Wahrheit der Welt angelegt war, aber dann seine Reifegestalt in Herrlichkeit III. fand: „Ich finde mich vor in der Welt, in deren gegenstehende Notwendigkeit mein zufälliges Dasein sich nicht als pars integralis einfügt. Aber alle Seienden sind im analogen Fall, da sie sich- als Teile wie als Weltganzesnicht als partes integrales in das Sein einfügen. Hieran bricht das Dritte auf: dass das Sein im ganzen oder das Wirklichsein alles Wirklichen die wirklichen Wesenheiten nicht aus sich selber entlässt, weil verantwortendes Auszeugen von Formen selbstbewussten freien Geist voraussetzen würde. Es ist deshalb unmöglich, mit Heidegger die Differenz zwischen Seiendem und Sein als ein letztes, in sich selbst beruhigtes Mysterium schweben zu lassen; gerade sie weist gebieterisch über sich hinaus auf die vierte und letzte Differenz, die einzig auf die anfängliche Frage [Warum ist überhaupt Seiendes und nicht Nichts?] Antwort verschafft. Durch die ontologische Differenz (die in ihrer systematischen Tragweite sich nicht wesentlich von der thomistischen distinctio realis entfernt) muss der Blick durchzudringen suchen auf die Differenz zwischen Gott und Welt, worin Gott der einzig zureichende Grund sowohl für das Sein wie für das Seiende in seiner Gestalthaftigkeit ist.“1081 In diesen Texten ist von Balthasars Seinsphilosophie und damit seine Jahrzehnte dauernde Bemühung, Thomas von Aquin und Heidegger miteinander ins Gespräch zu bringen, noch einmal wie in einem Focus zusammengefasst,. 1080 Vgl. Werner Löser SJ: „Der christliche Beitrag zur Metaphysik. Hans Urs von Balthasar im Gespräch mit Martin Heidegger“, S. 29. 1081 H III/1, S. 954. 151 6 Kritik von Seiten der Philosophie und Theologie an Martin Heideggers und Hans Urs von Balthasars Wahrheitsverständnis Kritische Stimmen in größerem Umfang zum Wahrheitsverständnis Heideggers hat es von Anfang an gegeben. Theologen und Philosophen u.a. haben sich mit Heideggers Positionen auseinandergesetzt. Allerdings sind die Kritiker Heideggers aus den Reihen der Philosophen in der Überzahl. Die theologische Kritik sowohl auf Seiten der evangelischen als auch der katholischen Theologie fiel wesentlich gemäßigter und positiver aus, wenn es auch den einen oder anderen Theologen gab, der Heideggers Philosophie als unchristlich ablehnte. Weniger zahlreich sind ablehnende Kritiken zu Hans Urs von Balthasar; die kommen allerdings hauptsächlich von theologischer Seite. Von Seiten der Philosophie scheint mir nur von größerem Interesse die Auseinandersetzung Hans Urs von Balthasars mit Karl Rahner, der philosophisch eine an Kant orientierte Transzendentalphilosophie vertrat, während von Balthasar mehr an der Philosophie des Thomas von Aquin und an Goethe orientiert war und weniger an Kant und Fichte und der als universal gebildeter Germanist, Philosoph und Theologe die ganze abendländische Geistesgeschichte immer als Ganzes im Auge hatte und deshalb in der Lage war, den Ursprung jedes philosophischen Gedankens zu erkennen und jeden philosophischen Gedanken zu überprüfen und entweder zu integrieren oder zurückzuweisen. Zur Zeit sind Heidegger und von Balthasar nicht so gefragt wie noch zu Zeiten Karl Rahners und Kardinal Lehmanns, aber das kann kein Maßstab für die Beurteilung sein. 6.1 Kritische Stimmen zu Martin Heidegger Martin Heidegger hat neben Wittgenstein wie kein anderer deutschsprachiger Philosoph die Intellektuellen jeglicher Couleur auf den Plan gerufen. Sein Buch Sein und Zeit hat die intellektuelle Szene wie kein anderes berührt und angeregt, darauf zu antworten, entweder zustimmend oder ablehnend. Das betrifft auch die Theologie, die sofort reagierte. 6.1.1 Theologische Kritik Von Seiten der katholischen Theologie antwortete als erster Alfred Delph, der in seiner Schrift Tragische Existenz von 1931 Heideggers Philosophie scharf attackierte. Er „deutet Heidegger als den Vollender einer subjektivistisch verkürzten, den ontologischen Gottesbezug des Menschen unterdrückenden Weltsicht.“1082 Auch Erich Przywara äußerte negative Kritik. Das blieb so bis Mitte der 1930er Jahre, als eine neue Generation katholischer Theologen und Philosophen in Freiburg („Freiburger Schule“) sich zu Heidegger äußerte, beispielsweise M. Müller, G. Siewerth, J. B. Lotz, K. Rahner, B. Welte.1083 Exemplarisch wird im Folgenden 1082 Matthias Jung: „Heidegger und die Theologie. Konstellation zwischen Vereinnahmung und Distanz“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 478. 1083 Vgl. ebd. 152 näher auf Bernhard Welte und an späterer Stelle auch auf Karl Rahner eingegangen werden. Bernhard Welte ist deshalb wichtig, weil er Heidegger auf katholischer Seite am Positivsten gegenüberstand.1084 Bevor Weltes Verhältnis zu Heidegger zur Sprache kommt, ein kurzer Blick auf das Verhältnis der evangelischen Theologie zu Heidegger. Aus der Marburger Zeit ist hier vor allem Rudolf Bultmann zu nennen, der als Vertreter einer „existenzialen“ und „dialektischen“ Theologie wie Heidegger ein Verhältnis von Philosophie und Theologie ablehnte und an Heidegger sich anlehnend sich bemühte, die Theologie neu zu interpretieren. 1085 Hier kann nicht speziell auf Bultmanns theologische Rezeption der Philosophie Heideggers eingegangen werden, weil das den Rahmen der Dissertation sprengen würde. Ich möchte nur auf Karl Barth hinweisen, der als der bekannteste evangelische Theologe des letzten Jahrhunderts Stellung zu Bultmann und Heidegger bezogen hat. Karl Barth und andere evangelische Theologen sind davon überzeugt, dass durch Bultmann die Theologie der Philosophie unterworfen werde.1086 Außerdem weisen sie Bultmanns „Unterscheidung zwischen dem methodisch-neutralen A-theismus der Daseinsanalyse und existenzieller Ungläubigkeit“1087 zurück. Karl Barth wendet sich auch ganz dezidiert gegen Heidegger und Satre in der Auseinandersetzung mit Heideggers Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“ Er wirft ihnen unter der Überschrift „Gott und das Nichtige“ vor, das Nichts zu einem Gottesersatz gemacht zu haben.1088 In den frühen sechziger Jahren entwickelt eine neue Generation evangelischer Theologen wie Gerhard Ebeling und Ernst Fuchs auf den Spuren Gadamers, eines Meisterschülers Heideggers, eine hermeneutische Theologie. Es geht darum, dass im Rahmen der biblischen Verkündigung „das Ausgelegtwerden des Textes“ in ein „Ausgelegtwerden durch den Text“ umschlägt.1089 Auf katholischer Seite verdient Bernhard Welte eine besondere Beachtung, weil sein Verhältnis zu Heidegger durch Vertrautheit gekennzeichnet war. Beide kamen aus dem Ort Meßkirch. Zeitlebens stehen sie in Kontakt. Heidegger nimmt positiv Stellung zu Weltes Interpretationen seiner Philosophie. Welte hat sich mehr als beispielsweise Rahner auf Heidegger eingelassen und zu ihm veröffentlicht.1090 Auf Wunsch Heideggers übernimmt Welte die liturgische Gestaltung der Beerdigung Heideggers und interpretiert Verse aus 1084 Vgl. Albert Raffelt: „Martin Heidegger und die christliche Theologie. Eine Orientierung mit Blick auf die katholische Rezeption“. In: Norbert Fischer – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Die Gottesfrage im Denken Martin Heideggers, S. 208. 1085 Vgl. Matthias Jung: „Heidegger und die Theologie. Konstellation zwischen Vereinnahmung und Distanz“, S. 476. 1086 Vgl. ebd., S. 477. 1087 Vgl. ebd. 1088 Vgl. ebd., 478. 1089 Vgl. ebd. 1090 Vgl. Albert Raffelt: „Martin Heidegger und die christliche Theologie. Eine Orientierung mit Blick auf die katholische Rezeption“, S. 207. 153 Hölderlins Gedichten.1091 Wichtige Impulse Heideggers auf Weltes religionsphilosophisches bzw. dogmatisches Denken sollen aufgezeigt werden. Dabei übernimmt Welte nicht einfach nur „geeignet erscheinende Philosopheme und Argumentationsfiguren Heideggers“,1092 um sie in sein eigenes System einzubauen, sondern er versucht, Heidegger von innen heraus zu verstehen. Überzeugend lässt sich das erkennen bei der Interpretation der Daseinsanalyse Heideggers am Terminus des „Nichts“. Diesen Terminus übernimmt Welte als hermeneutischen Schlüsselbegriff für seine Religionsphilosophie, indem er sich eng an Heidegger anlehnt und den Begriff positiv besetzt, um von der Erfahrung des Nichts eine neue Weisung zum nachmetaphysischen Denken Gottes zu bekommen. Als Dogmatiker und Religionsphilosoph setzt sich Welte in diversen Beiträgen zur Seinsphilosophie Heideggers seit 1948 mit dem Terminus „Nichts“ im Anschluss an Heidegger auseinander, um eine neue Basis für das Denken über Gott zu legen: „Man darf nicht von der Angst reden, ohne den zugehörigen Begriff des Nichts ins Auge zu fassen. Ja, wir werden bald sehen, dass innerhalb der Korrelation »Angst – Nichts« das Nichts einen eindeutigen ontologischen Vorrang hat.“1093. Das Nichts erschließt sich dem Menschen als Phänomen und ist das Fundament jeglichen Seins-und Wahrheitsverständnisses: „Was sich phänomenal als »Nichts« kundtut, ist das, was Seiendes als Seiendes (on he on) und damit dessen Offenbarkeit (a-letheia) ermöglicht. Es ist damit das alle Wahrheit und alles Wissende Gründende und Stiftende: »Einzig weil das Nichts im Grunde des (menschlichen) Daseins offenbar ist, kann die volle Befremdlichkeit des Seienden über uns kommen. Nur wenn die Befremdlichkeit des Seienden uns bedrängt, weckt es und zieht es auf sich die Verwunderung. Nur auf dem Grund der Verwunderung – das heißt der Offenbarkeit des Nichts – entspringt das >Warum?< […]« [M. Heidegger: Was ist Metaphysik (GA 9, S. 121)].“1094 In der am Ende seines Denkweges veröffentlichten Schrift Das Licht des Nichts (1980) 1095 wird noch einmal erkennbar, welche Bedeutung das Nichts für Weltes Nachdenken über Gott hat. Im Anschluss an Hans Georg Gadamers Erfahrungsbegriff – entfaltet in Wahrheit und Methode – stellt Welte einen Ausfall der religiösen Erfahrung in der Moderne fest und zeichnet den Weg zu diesem Ausfall nach. Erfahrung im Sinne Gadamers ist nicht der empirische Erfahrungsbegriff Kants oder der sich von Kant distanzierende Erfahrungsbegriff Hegels (Wissenschaft der Erfahrung, die das Bewusstsein macht), sondern ein neuer und weiterer Begriff der Erfahrung, der den beengenden empirischen Erfahrungsbegriff Kants 1091 Vgl. Bernhard Welte: „Die Hölderlin-Verse zur Beisetzung Martin Heideggers. Versuch einer Deutung (1976)“. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. II/2. Denken in Begegnung mit den Denkern II. Hegel – Nietzsche – Heidegger (Freiburg i.Br. 2007), S. 191-198. 1092 Matthias Jung: „Heidegger und die Theologie. Konstellation zwischen Vereinnahmung und Distanz“, S. 474. 1093 Bernhard Welte: „Die Lichtung des Seins. Bemerkungen zur Ontologie Martin Heideggers (1948)“. In: Gesammelte Schriften, Bd. II/2. Denken in Begegnung mit den Denkern II. Hegel – Nietzsche – Heidegger, S. 108. 1094 Ebd., S. 113. 1095 Vgl. Bernhard Welte: „Das Licht des Nichts. Von der Möglichkeit neuer religiöser Erfahrung (1980)“. Gesammelte Schriften, Bd. III/3 (Freiburg i.Br. 2008), S. 118-164. 154 überschreitet.1096 Zu diesem erweiterten Erfahrungsbegriff gehört auch die Erfahrung des Ausfalls aller religiösen Erfahrung, die Erfahrung des „Fehls Gottes“. 1097 Nachdem Welte Nietzsches Erfahrung des Nichts analysiert hat, wendet er sich Heidegger zu. Für Welte bildet die Beschreibung der Erfahrung des Nichts das eigentliche Kernstück in dem Buch Sein und Zeit.“1098 Im Anschluss an Heidegger weist er hin auf die Erfahrung des Nichts bei Karl Jaspers und bei Dichtern wie Bertolt Brecht, T.S. Eliot und Paul Celan und zitiert Zeilen des Philosophen Wilhelm Weischedel: „Im dunklen Bechergrund Erscheint das Nichts des Lichts. Der Gottheit dunkler Schein Ist so: Das Licht des Nichts.“1099 Welte interpretiert diese Zeilen folgendermaßen: „Der dunkle Bechergrund ist offenbar der Rest des zu Ende getrunkenen Lebens. Er ist dunkel, weil er dem den Becher zu Ende Trinkenden als das Nicht des Lichts, also das reine Dunkel oder das reine Nichts, erscheint. Aber dieses Dunkel oder dieses Nichts erscheint: Es zeigt sich, es gibt sich zu erfahren. Und dieser dunkle Schein wird mit einer jähen und doch leisen Wendung zum Scheinen der Gottheit. In dieser Wendung lichtet sich das Dunkle und hellt es sich auf, ohne aufzuhören, wie Dunkel und Nichts zu erscheinen.“1100 Diese Erfahrung entspricht unserer Zeit, aber tritt trotzdem nur bei wenigen Menschen auf, da die Erfahrung des „Dunkels Gottes“, des „Schweigens des Ewigen“ schwer zu verarbeiten ist im Angesicht der Kontingenz der menschlichen Existenz.1101 Wegen der Zweideutigkeit des Nichts stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Nichts. Ist es ein leeres Nichts oder verbirgt sich Göttliches hinter ihm? Für Welte ergeben sich zwei Bedeutungsebenen dieser neuen religiösen Erfahrung, erstens in geschichtlicher- und zweitens in ökumenischer Hinsicht.1102 Betrachtet man die neue Erfahrung des Nichts in geschichtlicher Hinsicht, wird man feststellen, dass es in der Kirche eine Tradition der negativen Theologie gibt (Gregor von Nyssa, Pseudo-Areopagit Dionysios, Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz). Gott wird in dieser Tradition als Nichts erfahren. Betrachtet man hingegen die neue Erfahrung in ökumenischer Hinsicht, wird man erkennen, dass es im Judentum und im Islam ein Bilderverbot gibt.1103 Auch im Hinduismus, Taoismus und im Buddhismus wird die Erfahrung des Nichts gemacht. Welte verweist besonders auf den indischen Rigveda: „Der indische Rigveda, der u.a. von dem spricht, „was weder Nicht1096 Vgl. ebd., S. 120f. Vgl. ebd., S. 128. 1098 Ebd., S. 141. 1099 Ebd., S. 152. In der Fußnote zu den Zeilen Weischedels bedankt sich Bernard Welte bei der Witwe des verstorbenen Philosophen, Frau Käthe Weischedel für die Mitteilung und die Erlaubnis zur Veröffentlichung. 1100 Ebd., S. 152. 1101 Vgl. ebd., S. 160. 1102 Vgl. ebd., S. S. 154ff. 1103 Vgl. ebd., S. 157. 1097 155 sein noch Sein ist, weder Tod noch Unsterblichkeit, Finsternis in Finsternis versteckt.“1104 Aber auch das Tao-Te-King des Laotse äußert sich über das Nichts, da der Name Tao jedes Aussprechen untersagt, wo es um das Göttliche geht: „ Das „chinesische Wort [Tao] verbietet jeden Namen, jedes Aussprechen, wo es ums Höchste und Entscheidende geht. Für dieses Wort gibt es nur reines Schweigen vor dem Namen-losen, dem Nichts.“1105 Zum Abschluss seiner ökumenischen Reflexion zum Terminus des Nichts geht Welte auf den Buddhismus und den Nirvana-Begriff ein und zitiert ein Lobgedicht aus der Geschichte Der Ochs und sein Hirte: „Peitsche und Zügel, Ochse und Hirt sind restlos Zu nichts geworden. In den weiten und blauen Himmel reicht niemals Ein Wort, ihn zu ermessen. Wie könnte der Schnee auf der rötlichen Flamme Des brennenden Herdes verweilen? Erst wenn ein Mensch an diesen Ort gelangt ist, Kann er den alten Meistern entsprechen.“ 1106 Welte interpretiert das Lobgedicht so: „Der Hirt ist der Mensch. Der Ochse ist das Geheimnis, das Letzte, das Erste, das Höchste, das, was wir in unserer Sprache gewöhnlich Gott nennen. Es ist hier zu »Nichts« geworden. Und der Mensch hat sich so darin versenkt und vergessen, dass auch er zu Nichts geworden ist. Und er braucht keine Peitsche und keine Zügel mehr, um den Ochsen zu lenken, das heißt keine Machenschaften, keine Bilder, keine Begriffe. Alles das ist verbrannt und vergangen wie der Schnee auf der rötlichen Flamme. Und es ist nur noch der weite blaue Himmel da. Nichts ist in ihm zu sehen. Und das ist das Letzte, das Höchste, das Unvergängliche.“ 1107 In unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage nach der Erfahrung des Nichts stehen in Weltes Religionsphilosophie die Fragen nach dem Heiligen und dem göttlichen Gott, so dass man wohl zu Recht sagen kann: „Weltes Religionsphilosophie ist ganz offensichtlich durch Heideggersche Anstöße grundgelegt.“1108 Welte erkennt Ansatzpunkte Heideggerschen Denkens für den Theologen im Bereich des Heiligen und bezieht sich positiv auf Heideggers Metaphysik- und Ontotheologiekritik: „[…] Heideggers Frage nach Gott ist die Frage nach dem göttlichen Gott. Sie ist als diese Frage zu gleich mehr als eine Frage. Sie ist ein Versuch 1104 Ebd., S. 157f. Ebd, S. 158. 1106 Vgl. ebd., S. 158. Zitiert aus: Der Ochs und sein Hirte. Eine altchinesische Zen-Geschichte. Mit japanischen Bildern aus dem 15. Jahrhundert, erläutert von Meister Daizohkutsu R. Ohtsu, übersetzt von Koichi Tsujimura und Hartmut Buchner (Pfullingen ²1973), S. 41. 1107 Ebd., S. 159. 1108 Albert Raffelt: „Martin Heidegger und die christliche Theologie. Eine Orientierung mit Blick auf die katholische Rezeption“, S. 209. 1105 156 in der seinsgeschichtlichen Zeit des Fehls Gottes, das Denken für die mögliche Ankunft des göttlichen Gottes freizuhalten und zugleich einen Schritt der Vorbereitung für die mögliche Ankunft zu tun. Der vorbereitende Schritt ist das Denken in die Lichtung des Seins.“1109 Diese Sätze klingen förmlich nach Heidegger, wenn Welte von seinsgeschichtlicher Zeit, Fehl Gottes, möglicher Ankunft, göttlichem Gott spricht. Selbst im dogmatischen Bereich sind Anklänge an Heidegger auszumachen. Albert Raffelt macht das deutlich am Beispiel christologischer Aufsätze Weltes zu Aussagen der alten Konzilien, in denen sich Welte mit den christologischen Aussagen der alten Konzilien mit den „Denkmitteln Heideggers“ befasse.1110 Welte erkenne das Seinsverständnis der abendländischen Metaphysik in den Aussagen des Konzils von Nikaia (325) und stellt ihm das Seinsverständnis der Bibel gegenüber, das vormetaphysischer Natur gewesen sei und eher mit dem Begriff des Ereignisses gedeutet werden könne. Er spricht in diesem Kontext von einer „Verwindung der klassischen Christologie“, von einer „Rückübersetzung der dogmatischen Aussagen auf die Ebene der biblischen Rede“.1111 Die Begriffe Seinsverständnis, vormetaphysische Natur, Ereignis und Verwindung sind typische Begriffe der Heideggerschen Philosophie. Deutlicher kann man sich nicht auf Heidegger beziehen und trotzdem bleibt ein wesentlicher Unterschied zwischen Welte und Heidegger bestehen trotz Weltes Sprache und Denkweise, die frappierend an Heidegger erinnert. Der Unterschied ist wesentlich darin begründet, dass Welte, der wie Heidegger Sein als geschichtliches Sein versteht und Wahrheit als geschichtliche Wahrheit, ein in seiner „Verwindung der klassischen Christologie“ christlicher Theologe bleibt, der zu den Glaubenssätzen der Kirche steht. Im Kontext der Frage nach dem Verhältnis der katholischen Theologie zu Heidegger müssten auch noch Kardinal Karl Lehmann oder die direkten Schüler Weltes wie Bernhard Casper, Klaus Hemmerle, und Peter Hünermann behandelt werden, die sich als Theologen ebenfalls von Heidegger haben inspirieren lassen. Bernhard Welte nimmt aber wegen seiner Nähe zu Heidegger eine Sonderrolle ein. Er selbst äußerte sich 1976 zu dem, was von Heidegger in der heutigen Theologie bleibt, folgendermaßen: „Heidegger ist nicht sehr gegenwärtig in der heutigen Theologie. Aber stellen sich nicht von Heidegger zentrale Fragen gerade an die Theologie und an das, was sie zu denken hat? Eine solche Frage ist die nach der Herrschaft des vorstellenden und sich seiner Sache versichernden und bemächtigenden Denkens in der Theologie. Und die damit zusammenhängende Frage nach dem Fehl des göttlichen Gottes. Diese Frage ist mit einer wohl etwas kurzatmigen Tod-Gottes-Theologie kaum beantwortet. Und wie steht es mit Heideggers fragender Suche nach dem göttlichen Gott in der 1109 Bernhard Welte: Auf der Spur des Ewigen (Freiburg – Basel – Wien 1964), S. 276. Vgl. Albert Raffelt: „Martin Heidegger und die christliche Theologie. Eine Orientierung mit Blick auf die katholische Rezeption“, S. 210. 1111 Vgl. ebd., S. 211. Albert Raffelt verweist auf Weltes Gesammelte Schriften (Bd. IV/2, S. 128f.). 1110 157 Theologie?“1112 Nach Weltes Ansicht wird der Einfluss Heideggers auf die Theologie zunehmen, wenn die Theologie die „großen und grundlegenden Fragen“ an sie annimmt.1113 6.1.2 Philosophische Kritik Auch die philosophische Kritik, vor allem nach Sein und Zeit und später im Anschluss an die Antrittsvorlesung „Was ist Metaphysik?“, die Beiträge zur Philosophie“ und den „Humanismusbrief“ war widersprüchlich. Einerseits galt er einigen als die größte philosophische Begabung des 20. Jahrhunderts, andererseits fand er heftige Kritik bei Ernst Cassirer (Davoser Disputation),1114 Rudolf Carnap,1115 Ernst Tugendhat,1116 der „Frankfurter Schule“ 1117 und vielen anderen Philosophen. Von den Kritikern Heideggers muß im Zusammenhang der Seins-und Wahrheitsfrage an erster Stelle auf Jürgen Habermas eingegangen werden, der seit 1953 immer wieder zu gegebenem Anlass seine Vorbehalte gegenüber Heideggers Philosophie und seine politischen Einstellung in der Zeit des Nationalsozialismus und danach zum Ausdruck gebracht hat. Wohl kaum ein anderer lebender Philosoph hat sich über solange Zeit als national und international geachteter und als weltweit bekanntester deutscher Sozialphilosoph zu Heidegger geäußert. 6.1.2.1 Die „Frankfurter Schule“ am Beispiel Jürgen Habermas Jürgen Habermas als der bekannteste Vertreter der auf Max Horkheimer und Theodor W. Adorno folgenden Generation der „Frankfurter Schule“ war mit Heideggers Philosophie vertraut: „Viele der autobiographischen Bemerkungen von Habermas lassen erkennen, dass er während der Zeit seiner philosophischen Ausbildung stark vom Denken Heideggers geprägt war,1118 was sich beispielsweise an der Bedeutung von Heideggers Sein und Zeit bei der Abfassung seiner Dissertation über die Entwicklung des Begriffs des Absoluten bei Schelling (1954) ablesen läßt. Nach dem II.Weltkrieg drückte Habermas einerseits seine Enttäuschung über die Regierungsbildung 1949, andererseits über die Veröffentlichung der von Heidegger verfassten „Einführung in die Metaphysik“ (1953) aus. 1119 Beide Enttäuschungen standen mit der Sorge Habermasʼ in Verbindung, dass der Nationalsozialismus in den Köpfen der Deutschen weiterhin verankert sei. Er, der selbst zur Hitlerjugend gehört hatte und Flakhelfer gewesen war, befürchtete eine Wiederkehr des Nationalsozialismus. Auf Heidegger bezogen war er über dessen 1953 wiederholten Satz von der „inneren Wahrheit und Größe“ der 1112 Bernhard Welte: „Denken und Sein. Gedanken zu Martin Heideggers Werk und Wirkung“. In: Gesammelte Schriften, Bd. II/2. Denken in Begegnung mit den Denkern II. Hegel – Nietzsche – Heidegger, S. 207. 1113 Vgl. ebd. 1114 Vgl. Dieter Sturma: „Die Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger. Kontroverse Transzendenz“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 110-115. 1115 Vgl. Simon Critchley: „Heidegger und Rudolf Carnap. Kommt nichts aus nichts?“ In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 355-361. 1116 Vgl. Holmer Steinfath: „Heidegger und Ernst Tugendhat. Die sprachanalytische Transformation der Philosophie Heideggers“. In: Dieter Thomä (Hrsg): Heidegger Handbuch, S. 408-410. 1117 Vgl. Christof Demmerling: „Heidegger und die Frankfurter Schule. Walter Benjamin, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas“. In: Dieter Thomä (Hrsg.) Heidegger Handbuch, S. 361-369. 1118 Vgl. ebd., S. 366. 1119 Vgl. Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung (Hamburg 1999), S. 12. 158 nationalsozialistischen Bewegung enttäuscht.1120 Die Enttäuschung über Heidegger fand ihren ersten Ausdruck in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Nr. 170, 25. Juli 1953) mit dem Titel „Mit Heidegger gegen Heidegger denken“. Auch 1959 kritisiert Habermas Heidegger in der gleichen Zeitung.1121 Die nächste Stellungnahme zu Heidegger findet sich mehr als 20 Jahre später in Der philosophische Diskurs der Moderne, „anlässlich einer Kritik an Frankreichs philosophischen Heidegger-Adepten, an Jacques Derrida und seiner »Dekonstruktion«, den Poststrukturalisten und an Jean-Francois Lyotard, dem damaligen Wortführer der philosophischen »Postmoderne«“.1122 Wichtig ist auch das Vorwort von Jürgen Habermas zur deutschen Übersetzung von Victor Farias Buch Heidegger und der Nationalsozialismus (1989) und die kritischen Feststellungen zu Heidegger in der Zeit (1979) und im Journal de Geneve (1989).1123 Diese Distanzierung in all ihren Verästelungen nachzuzeichnen würde dem Ziel dieser Arbeit, in der es darum geht, vor allem Heideggers Seins-und Wahrheitsverständnis vor dem Hintergrund der philosophischen Kritik noch klarer darzustellen, nicht dienlich sein. Wie ist nun der Titel des Beitrags „Mit Heidegger gegen Heidegger denken“ zu verstehen? Handelt es sich hier nicht um ein unmögliches Unterfangen, sozusagen um eine contradictio in se? Nein, denn Habermas kommt trotz aller scharfen Kritik an Heidegger nicht ganz von Heidegger los. Selbst noch 1989 in seinem Vorwort zu Victor Fariasʼ Heidegger und der Nationalsozialismus weist er auf Heideggers Bedeutung für die Philosophie hin. Dass für ihn gerade das Denken von Sein und Zeit, das er als das „ bedeutendste philosophische Ereignis seit Hegels »Phänomenologie« 1124 betrachtet, so bedeutsam ist, hängt mit dem hermeneutischen Ansatz Heideggers zusammen. Trotzdem bleibt der Gesamteindruck der Kritik von Habermas an Heidegger negativ, da er ihn nie frei von seinem Verhalten im Nationalsozialismus (sowohl als Philosophierenden als auch in der Gesellschaft Handelnden) betrachten kann und hartnäckig darum bemüht erscheint, in Heideggers Philosophie, wenn auch keine Begründung des Nationalsozialismus zu erblicken, so doch davon überzeugt ist, „dass vieles von dem, was Heidegger 1933/34 sagte und schrieb, sich aus dem, was in Sein und Zeit stand, zwar nicht zwangsläufig ergeben musste, aber doch mindestens zwanglos ergeben konnte“.1125. Worin sind sich Habermas und Heidegger mehr oder weniger einig? Beide bekämpfen das, was Heidegger das Subjekt-Objekt-Modell und Habermas das bewusstseinsphilosophische Paradigma nennt. 1126 Das, was für Heidegger die hermeneutische Transformation der Phänomenologie in Sein und Zeit war, war auch die 1120 Vgl. Christof Demmerling: „Heidegger und die Frankfurter Schule. Walter Benjamin, Max Horkheimer, Theodor. W. Adorno, Jürgen Habermas“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 367. 1121 Beide Artikel sind auch zu finden in den Habermasʼ Philosophisch-politische[n]Profile[n] (Frankfurt a.M. 1981), S. 65-72 unter den Titeln „Martin Heidegger“ und „Die große Wirkung“. 1122 Harald Harzheim: Habermas liest Heidegger. Quelle: http://www.sezession.de/8465/ habermas-liestheidegger.html. S. 1 von 7 (letzter Aufruf: 10.07.2015). 1123 Vgl., ebd. S. 2 von 7. 1124 Jürgen Habermas, Philosophisch-politische Profile, S. 65. 1125 Jürgen Habermas bezieht sich in seinem Vorwort zu Victor Farias Heidegger und der Nationalsozialismus hier auf Winfrid Franzen: Martin Heidegger (Stuttgart 1976), S. 81. 1126 Vgl. Cristina Lafont: „Hermeneutik und Linguistic Turn“. In: Hauke Brunkhorst – Regina Kreide – Cristina Lafont (Hrsg.): Habermas Handbuch (Stuttgart 2009), S. 29-34, hier S. 29. 159 Leitidee von Habermas Umstellung kritischer Theorie auf Kommunikationstheorie in der Theorie des kommunikativen Handelns.1127 Auf die Theorie des kommunikativen Handelns kommen wir im Zusammenhang des Habermasschen Wahrheitsverständnisses zurück. Festzuhalten gilt, dass das Wesen des Menschen bei Heidegger nicht mehr hauptsächlich darin zu suchen ist, dass er ein vernünftiges Wesen ist, sondern ein Wesen, das sich selbst interpretiert, das sich selbst versteht als Dasein. Habermas beschreibt Heideggers Philosophie bezogen auf Sein und Zeit folgendermaßen: „Heidegger sucht nun das menschliche Dasein zugleich in seiner Geschichtlichkeit und in seiner Ganzheit aus ihm selber zu begründen. Es genießt den Vorzug, unter allem Seienden dasjenige zu sein, das sich auf den Sinn von Sein versteht.“1128 Und fügt dann hinzu: „ Er hätte damit Philosophie ideologiekritisch mit der Geschichte dieser Situation, mit der Entwicklung des gesellschaftlichen Lebenszusammenhanges, in Beziehung bringen können. Stattdessen unternimmt er die berühmte »Kehre« zur Geschichte der Existenzialien selber, zur Geschichte des Seins.“ 1129 Der ausdrücklichen Wertschätzung von Sein und Zeit steht die Distanzierung von Heideggers »Kehre« gegenüber. Habermas kommt in der Auseinandersetzung mit der kritischen Theorie Horkheimers und Adornos zu ähnlichen hermeneutischen Aussagen. Es geht ihm um die Bestimmung und Darstellung der normativen Basis einer kritischen Theorie. Diese Bestimmung und Darstellung kann nur von den Menschen durchgeführt werden, die sich in ihrem Menschsein verstehen. Um kritische Theorie betreiben zu können, muß man sich selbst als Mensch in der eigenen Situation mitberücksichtigen.1130 Das Subjekt-Objekt-Schema der Bewußtseinsphilosophie wird nach Habermas im sogenannten nachmetaphysischen Denken überwunden durch eine pragmatische Fassung der linguistischen Wende.1131 Während Heidegger nach der Wende von der Sprache als dem „Haus des Seins“ spricht und der Mensch als „Hüter des Seins“ angesehen wird, spricht Habermas nach Aufenthalten als Gastprofessor in den USA und Auseinandersetzung mit der von den amerikanischen Pragmatikern Austin und Searle entwickelten Theorie der Sprechakte vom linguistic turn. Beide sehen demnach die wichtige Rolle der Sprache, aber durchaus unterschiedlich. Habermas wirft Heidegger vor, die Leistung der Sprache hypostatisiert zu haben, denn die Sprache müsse nicht mehr darauf hin überprüft werden, „ob sie das Seiende als ein Seiendes allererst ins Offene“ bringt.1132 Habermas geht als Sozialphilosoph- und Sozialwissenschaftler vom menschlichen Handeln aus. Das Handeln (Verhalten) richtet sich nach sinnvollen Normen und Regeln. Diese Regeln und Normen müssen interpretiert und verstanden werden im Lichte eines impliziten Regelwissens des Subjekts bezüglich der Handlungs- und Sprachnormen. Das ist die Sprache der Hermeneutik, die vom Menschen als dem Urheber des Verständnisprozesses der eigenen Lebenswelt ausgeht. An dieser Stelle gibt es Ähnlichkeiten 1127 Vgl. ebd., S. 30. Jürgen Habermas: „Die große Wirkung“ (1959). In: Ders.: Philosophisch-politische Profile, S. 77. 1129 Ebd., S. 77. 1130 Vgl. Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung (Hamburg 1999) S. 16. 1131 Vgl. Jens Greve: Jürgen Habermas. Eine Einführung (Konstanz 2009), S. 138. 1132 Martin Heidegger: „Der Ursprung des Kunstwerkes“. In: HW (GA 5), S. 61. 1128 160 zwischen Heidegger und Habermas, insofern der Mensch im Mittelpunkt der Interpretation seiner Lebenswelt steht. Aber das Ziel des menschlichen Handelns ist nach Habermas eine noch vom Menschen zu errichtende herrschaftsfreie Gesellschaft, in der die Möglichkeit symmetrisch gegeben ist, „Sprechakte zu wählen und auszuführen“. 1133 Habermas spricht von der idealen Sprechsituation, in der es um den Austausch von Argumenten in einer herrschaftsfreien Gesellschaft geht, die er mit der Demokratie als Maßstab rationaler Gesellschaftsgestaltung verbindet. Für Heidegger ist nicht die Demokratie der Maßstab für das Dasein, sondern das Sein-können des Daseins und nach der Kehre das Hören des Daseins auf das Sein. Am besten kann man die Habermassche Kritik an Heidegger verstehen und einordnen im Zusammenhang seines Gesamtwerkes, wenn man die 6. Vorlesung „Die metaphysikkritische Unterwanderung des okzidentellen Rationalismus: Heidegger“1134. und zweitens das Vorwort von Jürgen Habermas zu Viktor Farias Buch Heidegger und der Nationalsozialismus analysiert. Um die harte Kritik, die in diesen beiden Beiträgen zum Ausdruck gebracht wird, verstehen zu können, ist es angezeigt, sich kurz die Entwicklung der Sozialphilosophie von Jürgen Habermas zu vergegenwärtigen. Ohne den Zusammenhang mit dem Gesamtwerk könnten wir Habermasʼ Kritik in den beiden genannten Beiträgen nicht verstehen. Heidegger steht mit seinem Buch Sein und Zeit am Beginn des philosophischen Denkens von Jürgen Habermas; an ihm nimmt er immer wieder Maß, wenn auch im Sinne einer immer kritischeren Haltung. Auf die Enttäuschung nach dem II. Weltkrieg im Zusammenhang mit Heidegger wurde schon hingewiesen. Habermas entwickelt sich in Übereinstimmung mit den Denkern der „Frankfurter Schule“ immer mehr zu einem Denker, der Theorie und Praxis zusammenzudenken versucht, und zwar im Sinne Horkheimers, der in seiner Antrittsvorlesung als Direktor des Instituts für Sozialforschung (1931) „einer Philosophie, die sich ausschließlich dem autonomen Subjekt zuwendet und nicht dem Verhältnis des einzelnen Menschen zu seiner Gemeinschaft oder zu seinen Mitmenschen, das Prädikat Sozialphilosophie“ aberkannte.1135 Das heißt für Habermas auch, dass die Hermeneutik ergänzt werden muß durch das in der Sozialphilosophie verfügbare empirische Wissen.1136 Bezogen auf das Regelsystem der Sprache bringt Habermas die Wichtigkeit der Empirie folgendermaßen zum Ausdruck: „Gewiß ändern sich mit dem Regelsystem einer Sprache auch die Gültigkeitsbedingungen der in der Sprache formulierten Sätze. Ob aber die Gültigkeitsbedingungen faktisch so weit erfüllt werden, dass die Sätze auch funktionieren können, hängt nicht von der welterschließenden Kraft der Sprache ab, sondern vom innerweltlichen Erfolg der Praxis, den diese ermöglicht.“1137 Habermas hat seine Philosophie seit seinem ersten Beitrag zu Heideggers Philosophie in großen Schritten weiterentwickelt, 1133 Vgl. Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung. S. 47. In: Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne (Frankfurt a.M.1983), S. 158-190 1135 Max Horkheimer: Gesammelte Schriften, Bd. 3 (Frankfurt a.M. 1988), S. 21. Vgl. Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung, S. 14. 1136 Vgl. Cristina Lafont: „Hermeneutik und linguistic turn“, S. 31. 1137 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 183. 1134 161 vor allem durch die Beschäftigung mit dem Marxismus und mit der schon kurz angesprochenen Theorie der Sprechakte. Die Theorie der Sprechakte verstärkt die Kritik an Heideggers Wahrheitsverständnis. Habermas teilt die Sprechakte in vier Klassen ein: 1. Kommunikativa, 2. Konstitutiva, 3. Regulativa, 4. Representativa. In diesen vier Geltungsklassen sind Geltungsansprüche enthalten, und zwar in den Kommunikativa der Anspruch der Verständlichkeit, in den Konstitutiva der Geltungsanspruch der Wahrheit, in den Regulativa der Geltungsanspruch der Richtigkeit, in den Representativa der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit.1138 D.h. alles, was im metaphysischen Denken (Hans Urs von Balthasar) oder im andersanfänglichen Denken (Verwindung der Metaphysik bei Heidegger) über das Wahre gesagt worden ist, wird von Habermas im sogenannten nachmetaphysischem Denken (an der Meadschen Philosophie orientiert)1139 mit der Theorie der Sprechakte verbunden. Dabei geht es um eine Konsenstheorie der Wahrheit, in der der Diskurs eine zentrale Rolle spielt und Rationalität ein wichtiger Begriff ist. Allerdings kann das, was vernünftig ist, erst in einem Diskurs festgehalten werden. Um einen Zirkelschluß zu verhindern, führt Habermas die ideale Sprechsituation ein. Sie gilt als Voraussetzung für einen wahren und richtigen Konsens.1140 Klar ist, dass er Heideggers Wahrheitsverständnis ablehnt. Diese Ablehnung ergibt sich einerseits aus der Konsenstheorie der Wahrheit, die Habermas in Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Pragmatismus entwickelt, und andererseits aus der Kritik des apophantischen Wahrheitsbegriffes Heideggers durch Ernst Tugendhat, dessen Kritik Habermas übernimmt: „E. Tugendhat weist schon für den in »Sein und Zeit« (§ 44) entwickelten apophantischen Wahrheitsbegriff nach, wie Heidegger dadurch, dass er das Wort Wahrheit zu einem Grundbegriff macht, das Wahrheitsproblem gerade übergeht.“1141 Und für die Kehre in der Philosophie Heideggers findet Habermas folgende ironische und abwertende Worte: „Die Kehre besteht im Kern darin, daß Heidegger die metageschichtliche Instanz einer zeitlich verflüssigten Ursprungsmacht irreführenderweise mit dem Attribut des Wahrheitsgeschehens ausstattet.“1142 Dabei scheint Habermas zu vergessen, dass seine Konsentheorie der Wahrheit auch keineswegs alle Denker überzeugt. So ist beispielsweise Charles Taylor davon überzeugt, „dass es kein leeres, von realen Werten freies, kontextungebundenes Verfahrensprinzip geben könne, wie es der, dem Kantischen kategorischen Imperativ nachgebildete Habermassche Universalisierungsgrundsatz sein will. Im Hintergrund unserer Weltsicht und -bewertung stehen nach Taylor immer gemeinschaftliche Werte.“1143 Ähnlicher Ansicht ist Axel Honneth, der in diesem Zusammenhang formuliert: „Wir bewegen uns in einem sprachlichen Horizont, […] in dem die gesamte Welt geordnet ist nach Gesichtspunkten von schön und hässlich, von gut und schlecht usw. […] Das ist nicht das Einzelprodukt eines Subjekts, sondern jedes sprachliche 1138 Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung, S. 52. Vgl. ebd., S. 88. 1140 Vgl. ebd., S. 52f. 1141 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 182. 1142 Ebd. S. 183. 1143 Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung, S. 125. 1139 162 Subjekt bewegt sich im Horizont solcher Werte, die wiederum das Produkt einer sozialen Gemeinschaft sind.“1144 Wie steht es mit der Habermasschen Kritik Heideggers hinsichtlich der Seinsphilosophie und Religionsphilosophie und seinem Vorwurf der angeblichen Verbindung zwischen Heideggers Philosophie und dem Nationalsozialismus. Die Seinsphilosophie Heideggers zählt er noch zum metaphysischen Denken in einer nachmetaphysischen Zeit. Er wendet sich gegen den Dezisionismus der Heideggerschen Philosophie in Sein und Zeit und gegen die Unterwerfungsbereitschaft nach der Kehre: „Die Sprache von »Sein und Zeit« hat den Dezisionismus leerer Entschiedenheit suggeriert; die Spätphilosophie legt die Submissivität einer ebenso leeren Unterwerfungsbereitschaft nahe.“1145 Falls Habermas unter „leer“ nichtssagend im Sinne einer Leerformel versteht, hat er Heidegger nicht verstanden. Zu Heideggers Begriff des Seinsgeschickes bemerkt er im Sinne seiner Theorie der Sprechakte: „Weil sich das Sein dem assertorischen Zugriff deskriptiver Sätze entzieht, weil es nur in indirekter Rede eingekreist und »verschwiegen« werden kann, bleiben die Geschicke des Seins unerfindlich.“1146 Zum Thema Gott, Götter und Fehl Gottes bemerkt Habermas: „Die Rhetorik des späten Heidegger entschädigt für die propositionalen Gehalte, die der Text selbst verschweigt: sie stimmt die Adressaten in den Umgang mit pseudo-sakralen Mächten ein.“1147 Propositionale Gehalte von Sprechakten und assertorischer Zugriff deskriptiver Sätze sind laut Habermas überprüfbar auf ihren Wahrheitsgehalt und auf ihre Richtigkeit in einem Diskurs, in dem erkennbar wird, ob die propositionalen Gehalte der Sprechakte vernünftig oder richtig sind.1148 Religion ist für Habermas ein schwieriges Thema, da er sich als religiös unmusikalisch betrachtet und Religion in der nachmetaphysischen Zeit für den Bestand der Demokratie nicht ohne Weiteres eine wichtige Rolle zukommt, damit das soziale Band, das eine Gesellschaft zusammenhält nicht reißt.1149 Habermas macht in einem Diskurs mit Joseph Ratzinger Vorschläge, wie Gläubige und säkulare Bürger miteinander zur Förderung des Gemeinwesens umgehen sollten. Allerdings besteht er als Philosoph darauf, dass die Verfassung des liberalen Staates selbstgenügsam sei: „Im Weiteren gehe ich davon aus, dass die Verfassung des liberalen Staates ihren Legimitationsbedarf selbstgenügsam, also aus den kognitiven Beständen eines von religiösen und metaphysischen Überlieferungen unabhängigen Argumentationshaushalt bestreiten kann. Auch unter dieser Prämisse bleibt allerdings ein Zweifel in motivationaler Hinsicht bestehen.“1150 Etwas später heißt es dann: „Daraus folgt noch nicht, dass der liberale Staat unfähig ist, seine motivationalen Voraussetzungen aus eigenen säkularen Beständen zu reproduzieren. Die Motive für eine 1144 Ebd. S. 125f.; zitiert nach Ingeborg Breuer: Subjekt und Soziales. Das politische Denken des kanadischen Philosophen Charles Taylor, Deutschlandradio, 03.02.1995. 1145 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 168. 1146 Ebd. 1147 Ebd., S. 168. 1148 Detlef Horster: Jürgen Habermas zur Einführung, S. 70f. 1149 Vgl. Jürgen Habermas – Joseph Ratzinger: Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion (Freiburg – Basel –Wien 2005). 1150 Ebd. S. 22. 163 Teilnahme der Bürger an der politischen Meinungs- und Willensbildung zehren gewiss von ethischen Lebensentwürfen und kulturellen Lebensformen, aber wir dürfen nicht übersehen, dass demokratische Praktiken eine eigene Dynamik entfalten.“1151 Mir scheint, dass Habermas versucht, seine Diskurstheorie zu stützen, die davon ausgeht, dass der Mensch eigentlich nur die ideale Sprechsituation herzustellen habe, damit sich eine herrschaftsfreie Demokratie in der Zukunft entwickeln könne. Auf der anderen Seite bemüht er sich, die Gefahren, die er im aktuellen Säkularisierungsprozess ausmachen kann, beispielsweise mangelnde Solidarität, mangelndes ethisches Bewusstsein (mangelnde Motivation für die Demokratie) dadurch zu beheben, dass er Vorschläge dazu ausarbeitet, wie gläubige und säkulare Bürger miteinander umgehen sollten.1152 Heidegger hingegen war religiös musikalisch, wenn auch nicht unbedingt in christlicher Hinsicht. Er sehnte sich nach den „langhörenden Gründern der Wahrheit“, die sich in Anstrengung und Opferbereitschaft auf das „Ereignis als Ereignung der Götter“ vorbereiten. Das ist für Habermas mythologisches Denken, das außerhalb des Wahrheitsanspruches seiner Diskurstheorie steht und nichts mit nachmetaphysischem Denken zu tun hat. Es bleibt noch über die Frage nachzudenken, „wie der Faschismus in Heideggers Theorieentwicklung selbst hineingespielt hat.“1153 Habermas ist überzeugt, dass Heidegger den Begriff „Dasein“ schon in Sein und Zeit ausdehnt auf die Verbindung des Schicksals des Einzelnen mit dem Schicksal des Volkes und führt dazu folgenden Beleg an: „Wenn aber das schicksalhafte Dasein als In-der-Welt-sein wesenhaft im Mitsein mit Anderen existiert, ist sein Geschehen ein Mitgeschehen und bestimmt als Geschick. Damit bezeichnen wir das Geschehen der Gemeinschaft des Volkes.“1154 Die Frage ist nun, ob Heidegger, wie Habermas behauptet, sich vom Faschismus zu dieser Aussage hat verleiten lassen oder ob dieser Schicksalsgedanke in dem Gedanken des Mitseins mit Anderen einschlußweise enthalten ist. Allerdings führt Heideggers Denken über die Bedeutung des deutschen Volkes im Blick auf seinen Kulturbeitrag und sein Verhalten als Rektor der Freiburger Universität und danach, Habermas dazu, seine These zu untermauern, indem er auf das widersprüchliche Verhalten Heideggers nach dessen Enttäuschung über den Nationalsozialismus verweist. 1155 „Eine schlichte politisch-moralische Umwertung des Nationalsozialismus hätte die Grundlage der erneuerten Ontologie angreifen und den theoretischen Ansatz in Frage stellen müssen.“1156 Habermas unterstellt Heidegger, den Begriff der Unwahrheit der Bewegung (Nationalsozialismus) nicht im Sinne einer existentiellen Verfallenheit an das Man, sondern als ein objektives Ausbleiben der Wahrheit interpretiert zu haben.1157 1151 Ebd. S. 23. Vgl. ebd. S. 26ff. 1153 Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 185. 1154 Vgl. ebd., S. 187 (SuZ [GA 2], S.„Sein und Zeit“ § 74. S. 508). 1155 Vgl. ebd., S. 188. 1156 Ebd. 1157 Vgl. ebd. 1152 164 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Habermas als politisch denkender Sozialphilosoph sich in seiner Philosophie immer auch auf dem Hintergrund des Heideggerschen Denkens bewegt hat in der Absicht, seine Studenten, aber auch die deutsche Gesellschaft vor den Gefahren des Nationalsozialismus zu warnen. Er sah wohl einen inneren Zusammenhang zwischen Heideggers Denken und dem Nationalsozialismus. Trotzdem sieht er – obwohl er Heideggers Philosophie teils ironisch und von oben herab kritisiert – Heideggers Bedeutung vor allem Sein und Zeit als bedeutendsten Beitrag nach Hegel zur Philosophiegeschichte. Aus Furcht vor einer Wiederkehr des Nationalsozialismus ist er aktiv beteiligt an allen politischen Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegszeit. Er führt als religiös unmusikalischer Philosoph einen Dialog mit Kardinal Ratzinger, der ihm keinesfalls Lob von allen Seiten gebracht hat. Was für Habermas spricht, ist die Tatsache, dass man ihn nicht einen unkritischen Marxisten oder Anhänger Horkheimers, Adornos oder irgendeines anderen Philosophen nennen kann. Vielleicht ist Kant eine Ausnahme. Er entwickelt eine ganz eigene Sozialphilosophie im Konzept des kommunikativen Handels, Diskurstheorie. Dabei scheut er sich auch nicht, Gedanken seiner Gegner aufzunehmen und in sein eigenes Konzept einzuarbeiten, so beispielsweise Theorie der Sprechakte oder die Systemtheorie von Niklas Luhmann. 6.1.2.2 Emmanuel Levinas Auch Emmanuel Levinas (1906–1995) kann als einer der wichtigsten Kritiker Heideggers gelten. Um seine Kritik an der Ontologie seines Lehrers Heidegger besser verstehen zu können, ist es angebracht, diese Kritik einzuordnen in seine Kritik der europäischen Philosophie im Allgemeinen. Seine Kritik an der europäischen Philosophie und an Heidegger hängt ganz entscheidend mit seiner Biographie zusammen. Emmanuel Levinas kam im zaristischen Litauen (Kaunas) zur Welt und wuchs als Jude in einem gemäßigten jüdischen Milieu mit dem Talmud und der russischen Literatur auf. Er begann sein Studium der Philosophie in Straßburg (1923), da er von drei deutschen Universitäten, bei denen er um Aufnahme gebeten hatte, als Student abgelehnt worden war. Von Straßburg begab er sich 1928/29 nach Freiburg i. Br., um Husserl zu hören. Dort entdeckte er Heidegger, der 1928 Nachfolger Husserls geworden war. Zeit seines Lebens war er von der Phänomenologie Husserls und von Heideggers Sein und Zeit beeinflusst.1158 Schon kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich (1930) übersetzte er zusammen mit seiner Mitstudentin Gabrielle Pfeifer Husserls Cartesianische Meditationen ins Französische und schrieb dazu die Einführung. Damit beginnt seine Laufbahn als Philosoph. Er nahm 1930 die französiche Staatsbürgerschaft an und promovierte 1931 an der Sorbonne mit der Dissertation über Die Theorie der Intuition in der Phänomenologie Husserls.1159 1158 Vgl. Werner Stegmaier: „Heidegger und Emmanuel Levinas. Bruch mit der Neutralität des Seins“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 417f., und Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas (Göttingen 2009), S. 12ff. 1159 Vgl. Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas (Göttingen 2009), S. 14. 165 1939 wurde er als Franzose eingezogen und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft. In dieser Zeit (1940–1945) hatte er keine Kenntnis über das Schicksal seiner Familie. Während seine Frau und seine Tochter, in einem Frauenkloster versteckt, überlebten, wurde seine Familie in Litauen Opfer des Holocaust.1160 Wichtig für seine am Anderen orientierte Ethik erwies sich die schreckliche Erfahrung mit dem Nationalsozialismus. Diese regte ihn an, sich mit der traditionellen europäischen Philosophie auseinanderzusetzen, der er totalitäres Denken vorwarf. Er konstatierte zwei Aspekte der Totalität, nämlich die „Erstickung der Andersheit und eine alles nivellierende Neutralität. Vor allem in der unpersönlichen Neutralität des Ganzen (le tout) sieht Levinas die größte Gefahr für den Menschen, der in der allgemeinen Perspektive der Totalität seiner persönlichen Würde beraubt wird.“1161 Die Ursache der Totalität des Denkens ist für ihn darin begründet, dass die europäische Philosophie das einzeln Seiende auf das Allgemeine zurückführe.1162 Mit dieser Ansicht liegt er nahe bei Hans Urs von Balthasar, der wie Levinas im Kampf gegen die Ideologie des Nationalsozialismus eine Metaphysik der Singularität entwickelt. Allerdings verwendet Levinas einen ganz anderen Subjektbegriff, also auch einen anderen Begriff der Singularität als von Balthasar und setzt sich mit seinem Subjektbegriff auch dezidiert von Heideggers Begriff des Daseins ab. Der jüdische Partikularismus – die jüdische Singularität –, so Levinas, verbunden mit dem Anspruch der Juden, von Gott auserwählt zu sein, sei für den Westen eine große Zumutung gewesen.1163 Doch lässt sich für ihn die Singularität ebenso wie für von Balthasar mit dem Universalismus verbinden.1164 Während Heidegger den Begriff Subjekt für den Menschen ablehnt und den Menschen (Dasein) holistisch als In-der-Welt-sein, was auch ein Mit-sein mit einschließt, charakterisiert und „das Wesen der Humanitas als Ek-sistenz aus deren Zugehörigkeit zum Sein bestimmt“,1165 beschreibt Levinas den Humanismus von einer Ethik des Anderen her, beispielsweise in seiner Habilitationsschrift Totalité et Infini1166, seinem ersten Hauptwerk, einen „Gegenentwurf zu Sein und Zeit“.1167. Dieser Gegenentwurf lässt sich festmachen an Begriffen wie Phänomenologie, Wahrheit, Sein, Dasein, Zeit, Eigentlichkeit, Tod, Mit-sein, der Andere, Antlitz, Technik, Ethik; Metaphysik, anderer Anfang, Gott u.a.1168 Levinas kritisiert an Heidegger den Gebrauch der phänomenologischen Methode, der Heidegger offensichtlich nicht davor bewahrt habe, sich für den Nationalsozialismus einzusetzen. „Durch Heideggers nationalsozialistisches 1160 Ebd. Branko Klun: „Gott jenseits des Seins und die >analogia alteritatis< bei Levinas“. In: Norbert Fischer – Jakub Sirovátka (Hrsg.): Die Gottesfrage in der Philosophie Emmanuel Levinas. (Hamburg 2013), S. 205-230, hier: S. 206. 1162 Vgl. Barbara Staudigel: Emmanuel Levinas, S. 19. 1163 Vgl. Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung (Hamburg 2009), S. 215. 1164 Ebd. 1165 Martin Heidegger: „Brief über den Humanismus“. In: WM (GA 9), S. 358. 1166 Nijhoff 1961; deutsch:Totalität und Unendlichkeit (Freiburg – München 1987). 1167 Vgl. Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung, S. 221. 1168 Vgl. Werner Stegmaier: Heidegger und Levinas. Bruch mit der Neutralität. In: Dieter Thomä: (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 417-424. 1161 166 Engagement war deutlich geworden, dass der Gebrauch der phänomenologischen Methode, die scheinbar unbestechliche Beschreibung selbst evidenter Gegebenheitsweisen des Gegebenen, nicht unschuldiges Handeln garantiere.“1169 Levinas sieht daher auch den Begriff der Wahrheit skeptischer als Husserl, und lehnt den Begriff der Wahrheit als Erschlossenheit bei Heidegger ab: „Gewiß erschließt die Philosophie die Bedeutung dieser Geschehnisse; aber diese Geschehnisse ereignen sich, ohne in der Erschlossenheit (oder der Wahrheit) ihr Ziel zu haben; ja, keinerlei vorherige Erschlossenheit gibt das Licht für das Ereignis dieser wesentlich nächtlichen Geschehnisse; sie ereignen sich, ohne dass der Empfang des Antlitzes und das Werk der Gerechtigkeit – die die Entstehung der Wahrheit selbst bedingen – als Erschlossenheit gedeutet werden können.“1170 Das bedeutet, dass die Wahrheit einen ethischen Aspekt erhält, der darin besteht, dass man Respekt vor dem Antlitz des Anderen haben und ihm Gerechtigkeit angedeihen lassen muß, damit die Wahrheit entstehen kann; m.a.W., dass man auf jede Identifizierung verzichten muß. Verzicht auf Identifizierung heißt Absehen von Vergegenwärtigung und Zulassen einer wirklichen Transzendenz, die nur dann verwirklicht werden kann, wenn man einer Andersheit begegnet, die außerhalb der eigenen Vorstellung zu finden ist.1171 Um diesen Satz besser zu verstehen, müssen die Begriffe Vergegenwärtigung, Transzendenz und Andersheit (der Andere) erklärt werden. Vergegenwärtigung „versucht das Begegnete zu begreifen, ins Bewusstsein zu holen, durch Sprache zu vergegenwärtigen.“1172 Eine wirkliche Transzendenz bedeutet die Begegnung mit einem wirklich Anderen (mit einer wirklichen Andersheit).1173 Voraussetzung für die Begegnung mit dem Anderen ist, dass man den Anderen achtet, der nicht ein „Alter ego“ im Husserlschen Sinn ist oder ein „Mit-sein“ im Heideggerschen Denken, „sondern der radikal Andere, der von einer Exteriorität auf das Ich zukommt“.1174 Der Begriff des Anderen ist so zentral im Denken Levinas’, dass wir bei diesem Begriff noch etwas verweilen müssen, um das radikal Neue, das mit ihm verbunden ist, verstehen zu können. Dieser Begriff ist so neu, dass er lieb gewordenen Denkgewohnheiten in Frage stellt. Die erste Philosophie ist nicht mehr die Ontologie, sondern die Ethik. Und die Ethik wird als Metaphysik betrachtet.1175 Für Levinas ist das abendländische Denken fixiert auf das Allgemeine. Deshalb fordert er, dass nach dem Holocaust nach dem Seienden in seiner Singularität, in seiner Ursprünglichkeit gefragt werden muß. Er geht den Weg vom Sein zum Seienden. Deshalb interpretiert er die ontologische Differenz, die für Heideggers Denken zentral war, neu und spricht von radikaler Trennung zwischen dem Selben und dem Anderen, aber auch von Trennung zwischen Sein und Seiendem. Diese Trennung erst ermöglicht „Existenz in der Innerlichkeit“ und 1169 Ebd. S. 54. Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität /Freiburg – München 1987), S. 30. 1171 Ebd. S. 33. 1172 Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 32. 1173 Vgl. ebd., S. 115. 1174 Ebd. S. 112. 1175 Vgl. ebd., S. 29f. 1170 167 „Begegnung mit der Exteriorität“.1176 Für Levinas bedeutet demnach Sein nicht Totalität, sondern Exteriorität. In Totalität und Unendlichkeit heißt es: „Das Sein ist Exteriorität: Der eigentliche Vollzug seines Seins besteht in der Exteriorität, und kein Denken vermag dem Sein besser zu gehorchen als dasjenige, dass sich von dieser Exteriorität beherrschen lässt.“1177 Das entscheidende Wort für das Sein ist demnach Exteriorität. Diese Exteriorität kommt, wie oben gesagt, auf das Ich zu. Das muß erklärt werden, und zwar wieder am besten mit Levinas’ eigenen Worten: „Als das Wesen des Seins bedeutet die Exteriorität den Widerstand der sozialen Mannigfaltigkeit gegenüber der Logik, die das Mannigfaltige totalisiert. Für diese Logik ist die Mannigfaltigkeit ein Verfall des Einen oder des Unendlichen, eine Minderung im Sein, die jedes der mannigfaltigen Seienden zu überwinden hätte, um vom Mannigfaltigen zum Einen, vom Endlichen zum Unendlichen zurückzukehren.“1178 Wir stehen also vor folgendem Sachverhalt: 1. Levinas, der sich selbst als Phänomenologe sieht, kritisiert Heideggers Phänomenologiebegriff, der seiner Meinung nach Heidegger nicht davor bewahrt hat, die Bosheit des Nationalsozialismus zu durchschauen. 2. Auch Levinas akzeptiert die sogenannte „ontologische Differenz“, nennt sie aber Trennung. Innerhalb dieser Trennung muß vor allem die „Exteriorität“ des Seins berücksichtigt werden. Das Mannigfaltige darf nicht durch das Eine aufgehoben werden. Die Singularität des Einzelnen muß im Vordergrund stehen. Auch ist ihm wichtig, auf die Partikularität des Judentums hinzuweisen. 3. Nach Levinas handelt es sich beim Heideggerschen Seinsbegriff um einen neutralen Seinsbegriff. Dieser neutrale Seinsbegriff hängt mit einem Wahrheitsbegriff zusammen, der in die Irre geführt hat1179 4. Levinas bemängelt Heideggers Wahrheitsbegriff als Erschlossenheit. Für Levinas ist die Verantwortung dem Anderen gegenüber Voraussetzung für die Wahrheit. Wie soll der Andere wahrgenommen werden? In seinem Antlitz! „Die Gegenwart des Antlitzes – die Unendlichkeit des Anderen – ist Blöße, Gegenwart des Dritten (d.h. der ganzen Menschheit, die uns ansieht) und Befehl, der zu befehlen befiehlt. Aus diesem Grund ist die Beziehung mit dem Anderen oder die Rede nicht nur eine Infragestellung meiner Freiheit; sie ist nicht nur der vom Anderen ausgehende Aufruf, um mich zur Verantwortung zu rufen; sie ist nicht nur das Wort, durch das ich mich von dem einengenden Besitz befreie, indem ich eine objektive und gemeinsame Welt ausspreche – sondern auch die Predigt, die Mahnung, das prophetische Wort.“1180 Damit ist das Wesentliche gesagt, um was es in der Ethik (Metaphysik) gehen soll. Es wird zunächst von der Unendlichkeit des Anderen gesprochen. Damit ist gemeint, dass der Andere in der Begegnung (ethischen Beziehung) von Angesicht zu Angesicht unendlich transzendent, unendlich fremd bleibt.1181 In der Begegnung 1176 Vgl. ebd., S. 115. Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 419. 1178 Ebd., S. 421. 1179 Vgl. Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung, S. 62. 1180 Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 308. 1181 Vgl. Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 27f. 1177 168 mit dem Anderen wird meine Freiheit durch den Aufruf des Anderen zur Verantwortung in Frage gestellt. Dieser Aufruf ist in der Sprache der Bibel eine Predigt, eine Mahnung, ein prophetisches Wort. Vernichtend demgegenüber seine Kritik der Heideggerschen Sicht: „Als Philosophie der Macht, als Erste Philosophie, die das Selbe nicht in Frage stellt, ist die Ontologie eine Philosophie der Ungerechtigkeit. Zwar widersetzt sie sich der technischen Leidenschaft, die aus dem Vergessen des Seins, das durch das Seiende verborgen wird, hervorgeht; dennoch bleibt die Heideggersche Ontologie, die das Verhältnis zum Anderen dem Bezug zum Sein überhaupt unterordnet, im Gehorsam gegenüber dem Anonymen; sie führt zwangsläufig zu einer anderen Macht, zur imperialistischen Herrschaft, zur Tyrannei.“1182 Wie sieht es in dieser Ethik mit dem Subjekt aus, mit dem Ich (dem Selben), das diesem Aufruf gegenübersteht? Wie kann das Selbe, das dem Anderen ins Antlitz schaut, diese Verantwortung schultern, die durch den Anruf entsteht, durch die Singularität des Anderen, durch die Herrschaft des Anderen über das Selbe? Bindet mich doch „[a]n den Anderen […] weder der Besitz noch die Einheit der Zahl noch auch die Einheit des Begriffs. Es ist das Fehlen eines gemeinsamen Vaterlandes, das aus dem Anderen den Fremden macht, den Fremden, der das Bei-mir-zu-Hause stört. Aber Fremder, das bedeutet auch der Freie. Über ihn mag mein Vermögen nichts.“1183 Wie kann das jeweilige Ich dem Anderen begegnen und eine Beziehung aufbauen, wenn der Andere ein ganz Anderer ist und das Alter ego Husserls und das Mit-sein Heideggers nicht ausreichen, um dem Anderen gerecht zu werden? Levinas nennt das Verhältnis des Ich zum Anderen asymmetrisch. Wie kann aber eine Asymmetrie im Verhältnis des Ich zum Anderen funktionieren, bezeichnet doch eine solche Asymmetrie nach Levinas ein Verhältnis der Ungleichheit zueinander?1184 Auch das Gebot der christlichen Nächstenliebe, wie es in der christlichen Tradition ausgelegt wurde, wird durch Levinas Ethik in Frage gestellt. Levinas geht bei der Beantwortung dieser Frage von der Analyse des Ich, von der „Innerlichkeit“ aus. Er fragt nach dem Wie der Konstituierung des Ich. Die Innerlichkeit konstituiert die Singularität des Ich. Ohne die Konstituierung des Ich durch die Innerlichkeit ist das Ich nicht in der Lage, die „Andersheit im Außerhalb“ zu bewältigen.“1185 Das Ich kann seine Identität, die Konstituierung der Innerlichkeit nur im Genuss und in der „ökonomischen Existenz“ finden.1186 Genuss hängt mit der körperlichen Existenz (mit der Sinnlichkeit) zusammen, die sogenannte „ökonomische Existenz“ mit dem Wohnen, dem Arbeiten und dem Besitzen, der Heimat in der Welt.1187 Diese Definition der Konstituierung des Ich veranlasst Levinas zur weiteren Kritik an Heideggers Philosophie, sofern er Heidegger ein Vergessen des Genusses und einschlussweise der Sinnlichkeit vorwirft: „Es ist eigentümlich zu sehen, dass Heidegger die Relation des Genusses nicht in 1182 Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 56f. Ebd., S. 44. 1184 Vgl. Helmuth Vetter: „Asymmetrie“. In: Helmuth Vetter (Hrsg.): Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe, S. 49. 1185 Vgl. Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 37. 1186 Vgl. ebd. S. 38. 1187 Vgl. ebd. S. 39. 1183 169 Betracht zieht. Das Zeug hat den Gebrauch und die Erreichung des Ziels – nämlich die Befriedigung – vollständig verdeckt. Bei Heidegger hat das Dasein niemals Hunger. Nur in einer Welt der Ausbeutung kann die Nahrung als Zeug gedeutet werden.“1188 Stattdessen bekennt sich Levinas eindeutig zum Genuss: „Im Genuss bin ich absolut für mich. Egoistisch ohne Bezug auf Andere – bin ich allein ohne Einsamkeit, unschuldig egoistisch und allein. Kein ,gegen die Anderen‘, kein ‚was mich betrifft‘ – sondern vollständig taub für Andere, außerhalb aller Kommunikation und aller Verweigerung von Kommunikation – ohne Ohren wie ein hungriger Bauch.“1189 Das Nachdenken über die Bedeutung des Genusses für die Konstituierung des Ich, führt Levinas zur Kritik an Heideggers „Sein zum Tode“ und an Heideggers Begriff der Heimat bzw. der Heimatlosigkeit. Heidegger erfasst den Tod als eigenste Möglichkeit des Daseins: Der Tod erschließt dem Dasein seine Eigentlichkeit. Levinas hingegen interpretiert den Tod ausgehend von seinem Begriff des Genusses. „Vom Glück des Genusses her wird der eigene Tod nicht (wie bei Heidegger) als die jedem eigene Möglichkeit erfahren, zum eigentlichen seiner Existenz zu kommen, sondern als das zwar bevorstehende, aber eben noch ausstehende Ende des Genusses, das vorerst noch Zeit zum Genuss lässt.“1190 Auf jeden Fall weiß ich nicht, wann der Tod kommt und was danach sein wird.1191 Darüber hinaus steht der Tod auch in Beziehung zum Anderen, denn der Andere könnte meinen Tod verursachen, d.h. die Furcht vor dem Anderen ist nicht die Furcht vor dem Nichts, sondern bezieht sich auf die Gewalt des Anderen mir gegenüber.1192 Aber wichtiger als die Erwägung des eigenen Todes ist die Betrachtung des Todes des Anderen, die keine ontologischen Fragen aufwirft, sondern in die Ethik hineinreicht. Und diese Frage steht an erster Stelle, also die Frage nach meiner Verantwortung für den Anderen. „Der Tod, die Quelle aller Mythen, ist gegenwärtig nur im Anderen; und nur im Anderen ruft der Tod mich auf zu meinem letzten Wesen, zu meiner Verantwortung.“1193 Ebenso eindeutig ist die Kritik dessen, was Heidegger unter Heimat bzw. Heimatlosigkeit versteht. Während der spätere Heidegger im Rahmen seiner Kritik der Technik von Entwurzelung und Heimatlosigkeit spricht und in seinem berühmten Spiegel-Interview die Heimat als Voraussetzung alles Wesentlichen und Großen ansieht, spricht er in Sein und Zeit vom „Nicht-zuhause-sein“ durch die Angst. Außerdem sieht er in seiner Seinsphilosophie nach der Kehre einen Verlust der Heimat in der Seinsvergessenheit: „Durch die Seinsvergessenheit hat der Mensch die »Heimat« seines Wesens, die im Sein selbst beruht, verloren. Dabei ist auch die Heimatlosigkeit ein »Geschick des Seins«, das Sein selbst hat sich in seine Vergessenheit zurückgezogen, das Geschehen der Entbergung, das das Sein 1188 Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 190f. Ebd., S. 190. 1190 Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung, S. 117. 1191 Vgl. Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 343. 1192 Vgl. Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung, S. 117. 1193 Emmanuel Levinas: Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, S. 259. 1189 170 verbirgt sich selbst.“1194 Levinas würde in diesem Zusammenhang von einem anonymen Seinsbegriff als Begriff des totalitären Denkens sprechen. Diesen Seinsbegriff lehnt er strikt ab, da er mit Machtmissbrauch, totalitärem Denken und Ungerechtigkeit verbunden ist. Stattdessen benutzt Levinas die Begriffe Bleibe, Haus, Heim, Wohnung als Bedingung der Konstituierung des Ich als Selbst. „Im Ausgang von seiner Bleibe kann der Mensch durch Arbeit Zugang zu den Elementen finden und sie für seine eigenen Zwecke, für seine eigene Bedürfnisbefriedigung nützen.“1195 Ein wichtiger Punkt der kritischen Auseinandersetzung zwischen Heidegger und Levinas betrifft die „Theo-logie“. Beide Denker stimmen überein in der Ablehnung der sogenannten >ist<, Onto-Theologie, in der Ablehnung der „analogia entis“ und der Teilhabe am Sein Gottes. Heidegger sucht einen göttlichen Gott, nicht den Gott der christlichen Theologie. Levinas sucht Gott im Ausgang vom Anderen. Beide verwenden den Begriff Atheismus, aber meinen damit Unterschiedliches. Für Levinas ist „[d]ie Philosophie […] Atheismus oder, besser, Unreligion, Negation eines sich offenbarenden, Wahrheiten in uns niederlegenden Gottes.“1196 Damit meint er die Seinsphilosophie. Heidegger hingegen spricht von einem prinzipiellen Atheismus der Philosophie. Das ist methodisch zu verstehen. Während Levinas Heideggers Seinsphilosophie Atheismus vorwirft, weist sich Heidegger selbst nicht als Atheist aus, sondern vertritt als Philosoph die Ansicht, dass die Philosophie im Unterschied und unabhängig von der Theologie a-theistisch sein müsse. Auch die Frage des Weges zu Gott bzw. zum Göttlichen beantworten beide höchst unterschiedlich, nämlich Levinas als Ethiker auf dem Weg über die Begegnung mit dem Anderen, Heidegger vor der Kehre auf unterschiedliche Weise zunächst als Neuscholastiker, dann in der Abgrenzung von der Dogmatik in der Begegnung mit Paulus, Augustinus, Luther und anderen Christen im Ausgang vom gelebten Christentum, des Weiteren in Distanz zum Christentum, um als Fundamentalontologe seinen eigenen unabhängigen Standpunkt vertreten zu können und nach der Wende im Ereignisdenken. Levinas unterscheidet zwischen ethischem Sagen (dire) und dem ontologisch Gesagten (dit). Das ethische Sagen hat Vorrang vor dem ontologisch Gesagten.1197 „Vor dem Gesagten, das in Worten erfolgt, die eine (onto)logische Bedeutung haben, gibt es ein Sagen als ethische Exposition der Subjektivität dem Anderen gegenüber.“1198 Gott spreche zum Menschen im Sagen, dass uns für den Anderen öffnet.1199 Wie kann nun das Ich der Gefahr entgehen, den Anderen mit Gott zu verwechseln? Denn der Begriff „Gott“, der in Levinasʼ Philosophie das Transzendente, das Unendliche bezeichnet, könnte zu dieser Verwechselung Anlass geben.1200 1194 Dirk Mende: „»Brief über den >Humanismus<« Zu den Metaphern der späten Seinsphilosophie“. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 255. 1195 Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 45. 1196 E. Levinas: „Die Philosophie und die Idee des Unendlichen“. In: Ders.: Die Spur des Anderen (Freiburg [u.a.] 1983), S. 189. 1197 Vgl. Branko Klun: „Gott jenseits des Seins und die >analogia alteritatis< bei Levinas“, S. 226. 1198 Ebd. 1199 Vgl. ebd. 1200 Vgl. Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 109. 171 Diese Problematik löst Levinas, denn für ihn als gläubigen Juden ist klar, dass Gott nicht mit dem Anderen verwechselt werden darf und nennt Gott „anders als der Andere [autre qu’autrui], der andere Andere [autre autrement] (DMT 253), wobei >autre autrement< auch als >anders auf eine andere Weise< übersetzt werden könnte.“1201 Zwei Kritikpunkte des Philosophen Levinas an Heidegger beziehen sich auf die Themen Zeit, und den Terminus „Es gibt“(Il y a). Der Heideggersche Zeitbegriff wurde bereit unter der Überschrift „Wahrheit – Zeit – Geschichte“ in den Blick genommen. Levinas distanziert sich von Heideggers Zeitverständnis, indem er zwei Zeitbegriffe einführt und gegeneinander absetzt: die „synchrone Zeit“ und die „diachrone Zeit“.1202 Im Mittelpunkt der Betrachtung im Spätwerk Levinas’ steht die diachrone Zeit, ein Ausdruck der Ethik als Zeit für den Anderen und nicht der Ontologie wie die synchrone Zeit.1203 Diese Zeit ist nicht die lineare Zeit als Zeitverlauf des bewussten Subjektes, sondern sie greift störend in den synchronen Zeitverlauf ein. Es ist die Zeit des Anderen, die eine Einladung bedeutet, der Spur des Anderen zu folgen.1204 Heidegger dagegen bleibe nicht in der Spur des Anderen, sondern in der Spur des Seins,1205 woraus nach Levinas folgt, dass Heidegger trotz seines Existenzials des Mit-seins das Wesentliche der Mitmenschlichkeit nicht in Betrachtung ziehen konnte. „Levinas versteht die Zeit als das, was immer anders wird und damit immer anders ist, als das Denken es denken kann. So wie die Zeit ist aber auch der Andere, das andere Individuum immer anders als das Allgemeine, alle Begriffe. Die Zeit ist darum der Andere, sie ist am Anderen vor aller theoretischen Festlegung ethisch erfahrbar.“1206 D.h. in der Folge, dass es keine gemeinsame Zeit zwischen dem Ich und dem Anderen gibt. Levinas vertritt, wie bereits verdeutlicht wurde, einen anderen Seinsbegriff als Heidegger. Er wirft Heidegger vor allem einen neutralen Seinsbegriff vor. Verdeutlicht werden kann diese Kritik Levinas’ an dem sowohl für Heidegger als auch für Levinas grundlegenden Terminus des „Es gibt“ bzw. „Il y a“. Heidegger selbst spricht nicht von einem neutralen oder anonymen Sein, sondern er führt das „Es gibt“ ein im Zusammenhang seiner frühen phänomenologischen Analysen des Wirklichkeitsbezugs, die ihn dazu veranlassten zu fragen: „Gibt es das »es gibt«“?1207 Levinas deutet das „Es gibt“ („Il y a“) als anonymes Sein. Es handelt sich dabei um ein unbestimmtes Seinsgeschehen, das er folgenderweise charakterisiert: „Etwas geschieht und sei es nur die Nacht und das Schweigen des Nichts. Die Unbestimmtheit dieses ‚etwas geschieht‘ ist nicht die Unbestimmtheit des Subjekts, bezieht sich nicht auf ein Substantiv. Wie das Pronomen der dritten Person in der unpersönlichen Form des Verbs meint die Unbestimmtheit nicht einen bekannten Autor der Aktion, sondern 1201 Branko Klun: „Gott jenseits des Seins und die >analogia alteratis< bei Levinas“, S. 227: Vgl. Barbara Staudigl: Emmanuel Levinas, S. 93ff. 1203 Vgl. ebd., S. 94. 1204 Vgl. ebd. 1205 Vgl. Werner Stegmaier: Emmanuel Levinas zur Einführung, S. 60. 1206 Vgl. ebd., S. 33. 1207 Martin Heidegger: Die Bestimmung der Philosophie. GA 56/57 (Frankfurt a.M. 1987), S. 62. Vgl. Matthias Jung: „Die frühen Freiburger Vorlesungen und andere Schriften 1919–1923. Aufbau einer eigenen Philosophie im historischen Kontext. In: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger Handbuch, S. 15. 1202 172 den Charakter dieser Handlung selber, die in gewisser Weise keinen Autor hat, die anonym ist. Jenen unpersönlichen, anonymen, dennoch unauslöschlichen Verzehr des Seins, der auf dem Grunde des Nichts raunt, fixieren wir durch den Terminus es gibt [il y a] fest.“1208 Man kann dieses Sein nicht bestimmen und lokalisieren, aber es stellt eine Bedrohung des Ich dar. Es zeigt sich im Phänomen der Schlaflosigkeit (Wachheit) und der Müdigkeit. Als Hilfe gegen diese Bedrohung nennt Levinas das Bewusstsein, dass sich durch Hypostase (Setzung) gegen das entpersonalisierte Subjekt wehren kann.1209 Fassen wir noch einmal zusammen. Was den Begriff des Anderen angeht, so hebt sich dieser im Wesentlichen von Husserls „Alter ego“ oder Heideggers „Mit-sein“ oder anderen Vorstellungen über die Intersubjektivität dadurch ab, dass er eingebunden ist in eine radikale Ethik, die den Anderen in den Mittelpunkt des verantwortlichen Handels stellt, und zwar soweit, dass das Ich nur dann wahr, frei, gerecht und auf Gott bezogen sein kann, wenn es im Antlitz des Anderen Verantwortung übernimmt, indem es die Not des Anderen wahrnimmt und barmherzig reagiert. Der Andere bleibt immer ein Fremder, denn es gibt keine Gleichheit aufgrund des gleichen Genus. Zwischen dem Ich und dem Anderen besteht ein asymmetrisches Verhältnis, d.h. ein Verhältnis der Ungleichheit. Ein solches Verhältnis kann nur in Verantwortung zum Tragen kommen, wenn das Ich seine Innerlichkeit durch Genuss und eine entsprechende ökonomische Existenz konstituiert. Zum Genuss gehört alles, was sich auf den Leib und das Sinnliche, vor allem auch auf den Eros, bezieht. Zur ökonomischen Existenz gehören Heim, Bleibe und Arbeit. Ohne Genuss und entsprechende ökonomische Existenz fehlt die Innerlichkeit, die der Exteriorität Stand halten kann, die auf der Ebene des Seins als „il y a“ und auf der Ebene der Seienden als der Andere begegnet.1210 Die Zeit wird in Levinas’ Ethik vor allem als diachrone Zeit verstanden. „Diachronie der Zeit bedeutet Störung durch den Anderen, Begegnung mit dessen Ungleichzeitigkeit.“1211 Was an Levinas’ Kritik Heideggers auffällt, ist einerseits die scharfe Kritik der Heideggerschen Seinsphilosophie und deren angebliche Folgen und die nicht sachgerechte Kritik der Heideggerschen Intersubjektivität, zugleich aber die Anerkennung Heideggers als des größten Philosophen des 20. Jahrhunderts. 6.2 Kritische Stimmen zu Hans Urs von Balthasar Als Kritiker, der philosophische Thesen, die von Balthasar in seinem philosophischen Werk zur Wahrheitsfrage Wahrheit der Welt (Theologik I) aufgestellt hat, hinterfragt, ist der katholische Philosoph und Theologe Jörg Peter Disse zu nennen, der sich in seiner Habilitationsschrift Metaphysik der Singularität. Eine Hinführung am Leitfaden der Philosophie Hans Urs von Baltasars (1994) mit Wahrheit der Welt auseinandergesetzt hat. Auf Seiten der Theologen, die sich mit von Balthasars Philosophie und Theologie beschäftigt 1208 Emmanuel Levinas: Vom Sein zum Seienden (Freiburg – München 1997), s. 69. Vgl. ebd., S. 50ff. 1210 Vgl. ebd., S. 113 Glossar). 1211 Ebd. 1209 173 haben, ist vor allem Karl Rahner zu nennen, der einen transzendentalphilosophischen Ansatz entwickelt hat und in seiner Dogmatik an einigen Stellen zu anderen Ergebnissen gelangt als von Balthasar. Daneben gibt es Denker wie Heidegger und viele Andere, die grundsätzlich jeden onto-theologischen Ansatz ablehnen. Kritische Stimmen finden sich auch unter Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern sowie Theologen beiderlei Konfessionen, die mit von Balthasars „Literaturtheologie“ nicht einverstanden sind; zur letztgenannten Gruppe gehören auch solche, die entweder Balthasars methodologische Ansätze oder aber Teile seiner dogmatischen Thesen – vor allem in der Trinitätstheologie oder auch in der Theologie der drei Tage (1969) – kritisieren und in Frage stellen. Die Kritikpunkte im Bereich der theologischen Methodologie beziehen sich schwerpunktmäßig auf die Themenbereiche 1. Literaturtheologie, 2. Bach und Mozart und 3. Loci theologici. 6.2.1 Kritik von Seiten der Metaphysik am Beispiel des Philosophen und Theologen Jörg Disse Wenn die Kritik der Philosophie Hans Urs von Balthasars wesentlich schwächer ausfällt als die seiner Theologie, liegt das daran, dass von Balthasar vor allem von Theologenseite wahrgenommen wurde. Erst allmählich breitete sich die Erkenntnis aus, dass in allen wichtigen Werken von Balthasars auch die Philosophie eine wichtige Rolle spielt und eine entsprechende Würdigung bzw. kritische Auseinandersetzung verdient. Eine Würdigung erfuhr sie vor allem aus den Reihen der katholischen Philosophie an Theologischen Fakultäten; zu nennen wären hier Werner Löser, Manfred Lochbrunner, Kardinal Karl Lehmann, Peter Henrici u.a. Der katholische Philosoph und Theologe Jörg Peter Disse nimmt insofern eine Sonderstellung ein, weil er die sogenannte „Realdistinktion“, ein Kernstück der Philosophie von Balthasars, in seiner Habilitation Metaphysik der Singularität einer scharfen Kritik unterzieht, auch wenn er im Wesentlichen mit von Balthasars Auffassung zur „Singularität“ übereinstimmt. Disse hebt in Anlehnung an Emmanuel Levinas und Hans Urs von Balthasar die Bedeutung des Singulären für die Philosophie hervor. Bei Emmanuel Levinas konstatiert er ein enges Verhältnis von Alterität und Singularität.1212 Daran will er in seiner Habilitation anknüpfen.1213 Aber er ist nicht einverstanden mit der Reduktion der Metaphysik bei Levinas: „Levinas jedoch reduziert die Metaphysik auf eine Meta-Anthropologie. Der Bezug auf die Alterität ist für ihn nicht anders denkbar, denn als eine intersubjektive Beziehung. Transzendenz ist immer nur im Zusammengehen auf den anderen Menschen erfahrbar“[…]. 1214 Diese Sicht stellt für Disse eine „Engführung“ dar. In seinen Worten: „Diese Engführung kann in einer Zeit, in der auch das von der Moderne geprägte Verhältnis zur Natur fraglich wird, nicht mehr einfach hingenommen werden. Der sich am Horizont abzeichnende 1212 Vgl. Jörg Peter Disse: Metaphysik der Singularität. Eine Hinführung am Leitfaden der Philosophie Hans Urs von Balthasars (Freiburg i.Br. 1994), S. 5. 1213 Vgl. ebd., S. 5. 1214 Vgl. ebd., S. 5f. 174 Zusammenbruch des ökologischen Gleichgewichts unseres Planeten verbietet es, uns weiterhin in die moderne Anthropozentrik zu verschanzen.“1215 Dahingegen sieht er in von Balthasar einen Denker, der die anthropologische Reduktion vermeidet: „Ein Denker, der sowohl die anthropologische Reduktion Levinas‘ als auch die Ausklammerung der Frage nach dem Letztsinn vermieden, jedoch zugleich das Problem des metaphysischen Status‘ von Singularität ins Zentrum seines Denkens gerückt hat, ist der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar.“1216 Disse fragt sich im Hinblick auf Balthasars Seinsphilosophie und im Hinblick auf das Widerspruchsprinzip, „wie das Sein zugleich, und zwar in derselben Hinsicht, Allgemeines und Je-Singulierendes sein kann.“1217 Er ist davon überzeugt, dass von Balthasar bei der Erarbeitung der „Metaphysik der Singularität“ ohne Rücksicht auf die Kategorien unserer Zeit auf die sogenannte „Realdistinktion“ zurückgegriffen habe.1218 Disse plädiert dagegen für eine Begründung metaphysischer Sachverhalte aus phänomenologischer Sicht, die auch für das moderne naturwissenschaftliche Denken nachvollziehbar sein muß. Er unterscheidet zwischen horizontaler und vertikaler Kausalkette, um zu zeigen, dass der Begriff der Realdistinktion im modernen Denken keinen Platz mehr haben kann. In den Naturwissenschaften gehe es um die horizontale Kausalkette, d.h. im modernen Denken kann phänomenologisch nur auf diese Kausalkette zurückgegriffen werden. Die Realdistinktion begründe sich aber nicht horizontal, sondern vertikal. Das heißt, die Realdistinktion, die bei von Balthasar auf den Gedanken des Thomas von Aquin (Summa contra gentiles, I,25) zurückgehe, sei nur theologisch von der Offenbarung her begründbar und nicht philosophisch, denn das „causata ab alio“ bedeute eine vertikale Begründung von Gott her.1219 Disse sieht den Seinsbegriff Balthasars als Überbelastung des Seinsbegriffes an und schreibt: „Es ist vorzuziehen, sich mit Suarez jesuitisch nüchtern mit einer ‚distinctio rationis‘ zu begnügen. Nur so kann eine spekulative Überfrachtung des Seinsbegriffes vermieden werden.“1220 Auch im Zusammenhang des von Balthasarschen Begriffes der Gestalt und der Ästhetik der Herrlichkeit legt Disse einen Verzicht auf den Begriff der Realdistinktion nahe und bemerkt: „Dem soll nun entgegengehalten werden, dass eine Ästhetik der Herrlichkeit auch dann realisierbar ist, wenn man sowohl auf v. Balthasars Seinsverständnis als auch auf die damit verbundene Realdistinktion von Wesen und Sein verzichtet.“1221 Das „Dem“ bezieht sich auf die Auffassung Balthasars, dass ohne sein Verständnis der Realdistinktion Rationalismus und pantheistischer Idealismus zu befürchten seien.1222 1215 Ebd., S. 6. Ebd., S. 10. 1217 Ebd., S. 245. 1218 Vgl. ebd., S. 235. 1219 Vgl. ebd., S. 252 ff. 1220 Ebd., S. 256. 1221 Ebd., S. 277. 1222 Vgl. ebd., S. 277. Zitiert nach Hans Urs von Balthasar: H III/1, S. 364. 1216 175 Ein weiteres Problemfeld der balthasarschen Philosophie ist für Disse die unübliche Betonung der Rolle des Objekts im Erkenntnisakt, die den Eindruck vermittelt, als handele es sich beim Objekt um einen Partner des Subjekts. Disse bemerkt dazu in einem Beitrag der Festschrift für Walter Seidel: „Daß im ersten Band der Theologik seltsam anthropomorphistisch auch von einer Hingabe des Objekts an das Subjekt die Rede ist (Theologik I. S. 118), so daß die menschliche Gegenstandsbeziehung in einem noch weiteren Sinne, als hier dargestellt, als personal ausgegeben wird, ist ein für mich äußerst problematischer Ansatz, den ich hier unberücksichtigt lassen möchte.“1223 Er bezieht sich auf folgende Stelle in Theologik I (Wahrheit der Welt): „Der Wille im seienden Objekt, sich zu erschließen, und der Wille im erkennenden Subjekt sich vernehmend zu öffnen sind nur die doppelte Form der einen Hingabe, die sich in diesen zwei Arten kundtut.“1224 In der Tat kann hier von einer unüblichen Betrachtungsweise des Objekts gesprochen werden, auch wenn man von Balthasars Bemühen anerkennen muß, die von ihm bei Karl Rahner in Geist in Welt vermisste „Objektmetaphysik“ in seinem eigenen Werk Wahrheit der Welt sozusagen nachzuholen.1225 Walter M. Neidl, ein Kritiker der Philosophie Gustav Siewerths und Mitglied der sogenannten „katholischen Heideggerschule“ soll noch erwähnt werden, insofern von Balthasar Gedanken Siewerths zur Philosophie des Aquinaten übernimmt. Allerdings erfolgt diese Übernahme zeitlich nach Wahrheit der Welt und insofern ist Theologik I nicht direkt betroffen, aber andere Werke der Trilogie, die nach Auskunft Balthasars ohne die Philosophie Gustav Siewerths nicht hätten geschrieben werden können. Neidl sieht Gustav Siewerth in dem Bemühen gescheitert, zwischen Thomas von Aquin und Heidegger zu vermitteln.1226 Außerdem bezweifelt Walter Neidl generell mit Verweis auf die Metaphysik des Aristoteles den Sinn der Gottesfrage im Rahmen der Metaphysik. Aus der Sicht des Christen, dessen Glauben auf der Überlieferung Israels basiere, mache es keinen Sinn, einen Gott der Metaphysik, der sich nicht mitteilt, anzubeten.1227 Hier begegnen wir argumentativ der gleichen Kritik Heideggers am Gott der Metaphysik und inklusiv an der Metaphysik Balthasars. 6.2.2 Literaturtheologie Für die Theologie stellt sich die Frage: Inwiefern gehören Literatur und Theologie zusammen? Kann man von „Literaturtheologie“ sprechen, falls Theologen von der Literatur inspiriert Theologie betreiben? Und trifft der Begriff „Literaturtheologe“ auf Hans Urs von Balthasar zu? Ist diese Art von Literaturtheologie zu den loci theologici zu zählen? Die Beantwortung dieser Fragen erweist sich als nicht so einfach. Das hängt damit zusammen, 1223 Jörg Disse: „Person und Wahrheit in der Theologie Hans Urs von Balthasars“, S. 374. Hans Urs von Balthasar: W, S. 118. 1225 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Rezension zu J. B. Lotz, Sein und Wert, und K. Rahner, Geist in Welt. In: Zeitschrift für katholische Theologie 63 (1939), S. 371-379. hier S. 378. 1226 Vgl. Walter M. Neidl: „Kritische Erwägungen zum metaphysischen Rezeptionshorizont bei Gustav Siewerth“. In: Peter Reifenberg (Hrsg.): Gott für die Welt: Henri de Lubac, Gustav Siewerth und Hans Urs von Balthasar in ihren Grundanliegen (Mainz 2001), S. 132-145. hier S. 145. 1227 Vgl. ebd., S. 143f. 1224 176 dass die Diskussion um diese Frage in der Theologie relativ neu ist. Der Begriff „Literaturtheologie“ existierte noch nicht, als von Balthasar seine Apokalypse der deutschen Seele veröffentlichte, und eine erschöpfende Analyse zu von Balthasars Theologie als „Literaturtheologie“ liegt noch nicht vor.1228 Auch Romano Guardinis Bemühen um eine Überwindung des Bruchs zwischen Kultur und Theologie durch die Begegnung mit der Literatur firmierte zunächst nicht unter dem Begriff der „Literaturtheologie“. Der Begriff tauchte erstmals 1978 im Titel der Dissertation Ralph Crimmans auf Literaturtheologie. Studien zum Vermittlungsproblematik zwischen Germanistik und Theologie, Dichtung und Glaube, Literaturdidaktik und Religionspädagogik.1229 Crimmann bezeichnet die Literaturtheologie als eine „Grenzwissenschaft“, „als eine „wissenschaftliche und didaktische Disziplin […], die sich über die immanente Werkinterpretation hinaus mit theologischen Fragestellungen der Literatur befasst“.1230 Geht man von den biblischen Texten (Pentateuch, Geschichtsbücher, Psalmen, Evangelien, Apostelgeschichte) als Zeugnisse narrativer bzw. poetischer Theologie aus, ist es durchaus legitim, von „Literaturtheologie“ zu sprechen.1231 Die Diskussion um diese Frage scheint sich meines Erachtens immer mehr in die Richtung zu bewegen, dass man Urs von Balthasar und seinen Lehrer Romano Guardini als „Literaturtheologen“ bezeichnet. Diese Diskussion kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Festzuhalten ist, dass der Terminus „Literaturtheologie“1232 kontrovers diskutiert wurde und noch wird, beispielsweise 1984 bei einem Treffen von Theologen, Schriftstellern und Literaturwissenschaftlern in Tübingen auf Einladung von Walter Jens, Hans Küng und Karl-Josef Kuschel.1233 Mehrere Teilnehmer an diesem Treffen lehnten den Begriff „Literaturtheologie“ als „Sinnungeheuer“ ab und befürchteten einen „imperialistischen Anspruch“ der Theologie.1234 Auch nach 1984 wurde die Diskussion kontrovers weitergeführt und im Oktober 2004 in Würzburg mit Bezug auf Tübingen fortgesetzt.1235“. So äußerte sich beispielsweise Manfred Lochbrunner, der wichtige Beiträge zur Interpretation Hans Urs von Balthasars geliefert hat, kritisch zum Begriff „Literaturtheologie“: „Der sehr weite, bisweilen in die Diskussion gebrachte Begriff 1228 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasars Literaturtheologie (Hamburg 2007), S. 24. Frankfurt – Bern – Las Vegas 1978. Vgl. ebd., S. 7. 1230 Ralph Crimmann: Literaturtheologie, S. 9. 1231 Willibald Sandler: „Christentum als große Erzählung. Anstöße für eine narrative Theologie“. In: Peter Tschuggnall (Hrsg.): Religion – Literatur – Künste. Ein Dialog. Im Kontext 14 (Anif – Salzburg 2002), S. 523538. 1232 1989 nannte Alois Maria Haas, Germanist in Zürich, als erster von Balthasars Theologie eine „Literaturtheologie. Vgl. Alois M. Haas: „Zum Geleit“. In: Hans Urs von Balthasar: Apokalypse der deutschen Seele. Studien zu einer Lehre von letzten Haltungen (Freiburg 1998), S. XXV, XLVIII, XXXI. Zuvor schon: Alois M Haas: „Hans Urs von Balthasars ‚Apokalypse der deutschen Seele‘. Im Spannungsbereich von Germanistik, Philosophie und Theologie“. In: Karl Lehmann – Walter Kasper (Hrsg.): Hans Urs von Balthasar, Gestalt und Werk (Köln 1989), S. 66. 1233 Vgl. ebd., S. 10. 1234 Vgl. ebd. 1235 Erich Garhammer – Georg Langenhorst (Hrsg.): Schreiben ist Totenerweckung. Theologie und Literatur. (Würzburg 2005), S. 7 (Vorwort). 1229 177 »Literaturtheologie« erscheint mir im Blick auf die binnentheologischen Begriffsbildungen wie Schöpfungstheologie, Gnadentheologie u. ä. eher problematisch. Doch ist solches standpunktbezogenes Zugehen auf die Literatur sowohl von Guardini wie von Balthasar praktiziert worden.“1236 Karl Josef Kuschel wirft in seinem Beitrag „Theologen und ihre Dichter. Analysen zur Funktion der Literatur bei Rudolf Bultmann und Hans Urs von Balthasar“1237 von Balthasar vor, kein Interesse zu zeigen an einer „solidarischen Wahrheitsfindung mit nichttheologischen oder nichtchristlichen Zeugnissen“.1238 Balthasar sei es ausschließlich um „die Gewinnung von ästhetischen und dramatischen Kategorien für die eigene universal-heilsgeschichtlich konzipierte trinitarische Theologie“1239 zu tun gewesen. Diese Kritik Kuschels, der die Dialogbereitschaft Balthasars in Abrede stellte, erschwerte es Theologen, Schriftstellern und Philosophen, für die die Bereitschaft zum Dialog wichtig war, sich vorurteilsfrei mit der Literaturtheologie von Balthasars auseinanderzusetzen.1240 Allerdings plädiert der katholische Theologe Georg Langenhorst, für einen Abschied vom Dialog-Paradigma.1241 Er vertritt die These, dass es von Beginn der Diskussion an zwischen Theologie und Literatur keinen Dialog gegeben habe. Er führt das darauf zurück, dass die Suche nach einem Dialog in überwiegender Weise von der Theologie ausgegangen sei, während sich Schriftsteller und Literaturwissenschaftler nicht angesprochen fühlten.1242 Von Seiten der Germanistik kam es zur heftigen Kritik an von Balthasars Literaturtheologie, die dazu beitrug, das Bemühen von Balthasars um eine Denk- oder Wahrheitsform, die von Thomas Krenski als „orphische Erkenntnisform“ bezeichnet worden ist, zu verdunkeln. So beurteilt beispielsweise die Germanistin Sabine Haupt die Interpretation des Dichters Novalis in von Balthasars Apokalypse der deutschen Seele als unter „literaturwissenschaftlichen Aspekten“ als problematisch.1243 Sie führt das auf von Balthasars „methodische Prämissen“ – auf die „metaphysische Radikalisierung der Geistesgeschichte“ – in der Interpretation des Textes zurück.1244 Stefan Bodo Würfel bemängelt von Balthasars Verzicht auf „stilkritische Analyse“, „gattungsgeschichtliche Einordnung“, „ästhetische Wertung“ und „historische Verortung“ der Texte.1245 Er verweist darauf, dass die „Geistesgeschichte der zwanziger Jahre“ zu den Grundsätzen „philologischer Textarbeit“ gestanden habe.1246 1236 Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde, S. 215. Theologische Quartalsschrift 172 (1992), S. 98-116. 1238 Ebd., S. 112. 1239 Ebd. S. 113. 1240 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasars Literaturtheologie, S. 22 1241 Vgl. Georg Langenhorst: Theologie & Literatur. Ein Handbuch (Darmstadt 2005), S. 214ff. 1242 Vgl. ebd., S. 215. 1243 Vgl. Sabine Haupt: „Vom Geist zur Seele. Hans Urs von Balthasars theologisierte Geistesgeschichte im Kontext der zeitgenössischen Germanistik und am Beispiel seiner Novalis-Auslegung“. In: Barbara Hallensleben – Guido Vergauwen (Hrsg.): Letzte Haltungen. Hans Urs von Balthasars «Apokalypse der deutschen Seele» – neu gelesen. Studia oecumenica Friburgensia 48 (Fribourg 2006), S. 40-62, hier S. 53. 1244 Vgl. ebd., S. 53. 1245 Vgl. Stefan Bodo Würfel: „Endzeit-Philologie. Hans Urs von Balthasars germanistische Anfänge“. In: Barbara Hallensleben – Guido Vergauwen (Hrsg.): Letzte Haltungen, S. 71. 1246 Vgl. ebd. 1237 178 Was die Dialogbereitschaft von Balthasars betrifft, wissen wir aus der Beschäftigung mit seinem Werk Wahrheit der Welt, dass der Mensch im Dialog mit Gott und anderen Menschen steht. Wie sieht von daher Hans Urs von Balthasar selbst sein Verhältnis als Theologe zur Literatur? Die Beantwortung dieser Frage kann dazu beitragen, die Theologie Balthasars deutlicher darzustellen und vor Fehlinterpretationen zu bewahren. Im Zusammenhang mit der Apokalypse der deutschen Seele kann man von einer „apokalyptischen Literaturtheologie“ sprechen, insofern von Balthasar die „Letzthaltungen“ der Dichter und Denker offen legen will.1247 Von Balthasar hat nicht vor, sich von Seiten der Theologie derer zu bemächtigen, denen er sich interpretierend nähert. Als Theologe, der sich als Germanist professionell mit der Literatur befasst hat, will er sich nicht über die Literaten und Philosophen erheben und sie gnadenlos seinem theologischen Blick aussetzen, sondern er ist auf der Suche nach Gottes Spuren in ihrem Denken. So formuliert er im Vorwort seiner Bernanos-Monographie: „Man beklagt es auch, dass die schriftstellernden Theologen sich heute zuviel um die Dichter kümmern, statt ihr eigenes Handwerk zu betreiben. Aber einmal hätte ich dieses Buch nicht geschrieben, wenn jemand anderer es getan hätte, und sodann könnte es sein, dass bei den großen katholischen Dichtern mehr originales und groß in freier Landschaft wachsendes Gedankenleben sich findet als in der etwas engbrüstigen und bei kleiner Kost genügsamen Theologie unserer Zeit.“1248 Dichter regten von Balthasar an, sich philosophisch und theologisch weiterzuentwickeln, beispielsweise die „Seinslyrik“ der Dichter Trakl und Rilke, die ihm halfen Sprach-und Denkformen zu erkennen, „sich dem sich offenbarenden göttlichen Mysterium in dem Bewusstsein anzunähern, dass es nicht begriffen, sondern nur wahrgenommen werden könne.“1249 Darüber hinaus wurde schon früher darauf verwiesen, welche Bedeutung dem Dramatischen in der Theologie bei von Balthasar zukommt. Er bemängelt, dass das antike Christentum sich zwar mit der antiken Philosophie auseinandergesetzt habe, ohne aber das seinsdeutende Element der Tragödie zu beachten. Deshalb hält er den Dialog zwischen Theologie und Theater für notwendig und an der Zeit. 1250 Er bedauert, dass Tertullian und Augustinus sich gegen Theaterbesuche ausgesprochen haben. Außerdem bedauert er mit Blick auf die abendländische Theaterliteratur, „dass nichts davon für die systematische Theologie fruchtbar geworden“1251 sei. Augustinus verbot den Klerikern den Besuch von Theaterveranstaltungen. Zur Rechtfertigung seiner These von der Notwendigkeit der Aussageform des Theaters schreibt von Balthasar: „Es geht gewiß nicht darum, die Theologie in eine neu ihr bisher fremde Form zu gießen. Sie muß diese Form von sich her fordern, ja sie implizit und an manchen Stellen auch explizit immer schon in sich haben. Denn Theologie hat nie etwas anderes sein können als Explikation der Offenbarung des Alten und Neuen Bundes. Diese 1247 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasars Literaturtheologie, S. 15. Hans Urs von Balthasar: Gelebte Kirche. Bernanos (Freiburg 1988), S. 9. 1249 Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasars Literaturtheologie. S. 61. Zitiert nach Manfred Engel: „Eine neue Poetik“. In: Rainer Maria Rilke: Werke II, S. 714. 1250 Vgl. Thomas Krenski: Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama, S. 59. 1251 Hans Urs von Balthasar: TD I, S. 113. 1248 179 Offenbarung aber ist in ihrer ganzen Gestalt im Großen wie im Geringen dramatisch.“ 1252 Mit anderen Worten: Theologie und Drama gehören bei von Balthasar zusammen. Auch das ästhetische Element als wichtiges Element der Balthasarschen Theologie (TheoÄsthetik) kam schon im Rahmen dieser Untersuchung zur Sprache. Diesem Element entspricht eine „ästhetische Literaturtheologie“. Das Besondere der Theo-Ästhetik besteht darin, „die Gestaltsprache der natürlichen Welt zu lesen […] und – erst dann! – sie zu deuten“.1253 Auch im Bereich der „Theologik“, die in Wahrheit der Welt auf dem Boden der Philosophie die Grundlagen für die Theologie zu legen versucht, geht es zwar nicht direkt um Literaturtheologie, aber um die Gestalt der Wahrheit. 6.2.3 Bach und Mozart Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Musik, Theologie und Wahrheit wurde schon unter der Überschrift „Symphonie der Wahrheit im Hinblick auf Bach und Mozart“ gestellt und vorläufig beantwortet. Das Thema bedarf aber zunächst noch einer weiteren Vertiefung, bevor im nächsten Abschnitt eine Antwort auf die Kritik der Theologie Balthasars von Seiten David Bergers, Manfred Haucke u.a. oder von Seiten der Musiktheorie versucht wird. Stefan Klöckner kritisiert von Balthasars Versuch, Musik und Theologie miteinander zu verbinden? Er zeiht Balthasars Versuche der „hoffnungslos überfrachteten Interpretation“1254 und wirft ihm vor, etwas in Mozart hineinzulesen, was vom Libretto und von der Komposition her nicht gerechtfertigt sei.1255 Außerdem kritisiert er bei Balthasar „die Verabsolutierung kleinster musikalischer Details zu in Klang geronnenen Momentaufnahmen der göttlichen Heilsgeschichte.“1256 Für von Balthasar gilt: „In der Musik scheinen mir alle Einzelmomente direkt religiöse Erlebnisse anregen zu können, während es in der Literatur meist so steht, dass einzelne theoretische Erkenntnisakte oder auch religiöse oder andere Akte nur in Intervallen oder erst am Schlusse von einem ästhetischen umgriffen werden.“ 1257 Von Balthasar ist davon überzeugt, dass ein religiöser Mensch selbst von einem Kunstwerk, das vom Künstler nicht als ein religiöses konzipiert worden war, erfasst werden könne, weil das Religiöse in ihm enthalten sei.1258 Küng stimmt von Balthasar in Bezug auf Mozart zu: „Wahrhaftig wie keine andere Musik, so scheint mir Mozarts Musik – wiewohl keine himmlische, sondern durchaus irdische Musik – in ihrer sinnlich-unsinnlichen Schönheit, Kraft und Durchsichtigkeit zu zeigen, wie ganz fein und dünn die Grenze ist zwischen der 1252 Ebd. Hans Urs von Balthasar: H I, S. 26. 1254 Stefan Klöckner: „Hans Urs von Balthasar und die Musik“. In: Barbara Hallensleben – Guido Vergauwen, (Hrsg.): Letzte Haltungen, S. 291-304, hier S. 302. 1255 Stefan Klöckner: „Hans Urs von Balthasar und die Musik“, S. 295. 1256 Ebd., S. 302. 1257 Hans Urs von Balthasar: Die Entwicklung der musikalischen Idee. Versuch einer Synthese der Musik (Freiburg i.Br. 1998), S. 7. 1258 Vgl. TD I, S. 139. 1253 180 Musik […] und der Religion. […] In gewissen Momenten ist es dem Menschen gegeben, sich zu öffnen, dass er in dem unendlich schönen Klang, den Klang des Unendlichen hört.1259 6.2.4 Literatur, Musik und Heilige (Spiritualität)- loci theologici? Können Literatur Musik und Heilige (Spiritualität) zu den loci theologici gezählt werden und wenn ja, inwiefern können sie einen Beitrag zum Wahrheitsverständnis im Bereich der Theologie liefern? Einige Theologen wie der frühe David Berger und Manfred Haucke haben in der Vergangenheit heftige Kritik an Hans Urs von Balthasar geübt. Als Maßstab ihrer Kritik dienten ihnen die zehn loci theologici, die der spanische Theologe Melchior Cano (1509–1560) in seinem Werk De locis theologicis nach den zehn Kategorien des Aristoteles festgelegt hatte, um ein „Argumentationsverfahren“, eine „theologiespezifische Diskussionslehre“ (ars disserendi) zu entwickeln, so dass man in Disputationen um die Wahrheit des Glaubens den eigenen Standpunkt sicher vertreten und den Standpunkt des Gegners zurückweisen konnte1260: „Als glaubensspezifisch zählt Cano die Autorität der Heiligen Schrift, der Traditionen Christi und der Apostel, der Katholischen Kirche, der Konzilien, der Römischen Kirche, der Kirchenväter und der scholastischen Theologen auf; als glaubensfremde loci die Autorität der Geschichte, die Autorität der Philosophen und die Vernunft.“1261 In dieser Aufzählung werden Literatur, Musik und Spiritualität (die Heiligen) nicht genannt. Das nahmen David Berger, Manfred Haucke u.a. zum Anlass, Urs von Balthasars Theologie auf den Prüfstand zu stellen. Der frühe Berger beispielsweise kritisiert in seinem Beitrag „Neben viel Licht auch Schatten“ – Zum 100. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar“ vor allem die nach seiner Auffassung unzulässige Verbindung von Mystik und Spiritualität als Erkenntnisquellen der Theologie im Werk des Schweizer Theologen, „[d]a Mystik und Spiritualität keinen der klassischen, von Melchior Cano auf der Basis der Summa Theologiae des Doctor angelicus (Ia, q.1) systematisierten loci theologici (Erkenntnisquellen der Theologie) bilden und dennoch die Theologie Balthasars gerade in ihren umstrittensten Stellen den Verdacht erweckt, dieser neuen Erkenntnisquelle gegenüber den konstituierenden Erkenntnisquellen der klassischen Theologie den Vorrang einzuräumen […].“ 1262 Diese Kritik überzeugt heute nicht mehr, da sich die theologische Erkenntnislehre weiterentwickelt hat. Selbst Melchior Cano war nicht fixiert auf die Zahl zehn. Lochbrunner bemerkt dazu: „Auch wenn Cano die Loci […] auf zehn festgelegt hat, war für ihn die Zehnzahl keinesfalls unabänderlich. Außerdem hat die spätere Entwicklung verschiedene Modifikationen am Konzept von Melchior Cano vorgenommen.“1263 Auch die Frage, ob die Heiligkeit in Gestalt der Heiligen (Spiritualität und Mystik) als theologischer Erkenntnisquelle – in Analogie zu 1259 Hans Küng: Musik und Religion. Mozart – Wagner – Bruckner (München – Zürich 2006), S. 51. Vgl. Bernhard Körner: „Mystik und Spiritualität – ein locus theologicus? Erste Hinweise an Hand der Theologie von Hans Urs von Baltasar“. In: Rivista teologica di Lugano 6 (2001), S. 221-238, hier S. 226. 1261 Ebd. 1262 David Berger: „Neben viel Lob auch Schatten – Zum 100. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar“. Quelle: http:// www.stjosef.at/artikel/urs_von_balthasar_berger.htm, S. 1 von 4 (letzter Aufruf: 17.07.2015). 1263 Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde, S. 221. 1260 181 den Kirchenvätern oder den scholastischen Theologen – eine Autorität im Sinne eines eigenen locus theologicus zugestanden werden kann, kann mit Bernard Körner positiv beantwortet werden.1264 In der Zeit eines Melchior Cano war die Bejahung viel schwieriger, denn die spanische Kirche befand sich einerseits in einem Abwehrkampf sowohl gegenüber der Spiritualität im Allgemeinen (Inquisition) als auch andererseits gegenüber den Illuminaten, die als Wegbereiter für Häresien angesehen wurden.1265 Bernard Körner begründet seine These in Anlehnung an von Balthasar, dass die Heiligen mit ihrer Spiritualität bzw. Mystik als locus theologicus anzusehen sind, mit einer neuen Zielrichtung der loci theologici.1266 Es geht bei den Heiligen als locus theologicus um ein neues „Argumentationsinstrument“: „Die Heiligen stellen ein Argumentationsinstrument dar, das nicht (wie die herkömmlichen loci) in erster Linie der Rekonstruktion der bestehenden Lehre dient, sondern Spielräume für ein von Gottes Geist gewirktes aggiornamento eröffnet.“ Dadurch wird die Wirkung des Heiligen Geistes in der Geschichte der Kirche ernst genommen, so zwar, dass beispielsweise bei von Balthasar die ignatianische Spiritualität und ihre „implizite Theologie“ zum Maßstab seiner theologischen Trilogie (Theologische Ästhetik, Theodramatik und Theologik) geworden sind.1267 Was die Literatur betrifft, ist Manfred Lochbrunners These überzeugend, der die Literatur als „quasi-locus theologicus“ bezeichnet.1268 Er ist davon überzeugt, dass man die Literatur den „loci alieni“ (ratio humana, Philosophie, historia humana) anschließen kann.1269 Ein Gleiches gilt für die Musik, die analog zur Literatur auch Musikliteratur genannt wird. 6.2.5 Die Transzendentalphilosophie und Transzendentaltheologie Karl Rahners Der wichtigste Kritiker von Balthasars war Karl Rahner (1904–1984). Rahner äußerte sich dazu in einem Gespräch: „ Ich bin in gewissen theologischen Fragen von sehr ernsthafter Art entschieden gegen die Theologie von Hans Urs von Balthasar und er umgekehrt noch viel mehr.“1270 Eine Erklärung für die Kontroverse zwischen Rahner und von Balthasar ist der unterschiedliche philosophische Ansatz der beiden Protagonisten. Während von Balthasar von der Literatur und besonders von Goethe geprägt war (phänomenologischer Ansatz), war Rahners Ausgangspunkt das Denken des belgischen Jesuiten Joseph Maréchal (1878– 1944).1271 So formuliert von Balthasar in einem Interview mit Michael Albus im Jahre 1976: „Rahner hat Kant, oder wenn sie so wollen, Fichte gewählt, den transzendentalen Ansatz. Und 1264 Vgl. Bernhard Körner: „Mystik und Spiritualität – ein locus theologicus“, S. 230. Vgl. ebd., S. 229. 1266 Vgl. ebd., S. 231. 1267 Vgl. ebd., S. 232. 1268 Vgl. Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Philosophenfreunde, S. 221. 1269 Vgl. ebd. 1270 Karl Rahner: „Der Papst könnte dazulernen. Gespräch mit Siegfried von Kortzfleisch“. In: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 31 (Freiburg i.Br. 2007), S. 286. 1271 Zum Folgenden vgl. Gerhard Pollmeier: „Wahrheit der Welt“ als erste Skizze der Trilogie (Frankfurt a.M. 2008), S.13f. Vgl. auch Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar (Freiburg i.Br. 2005), S. 83f. 1265 182 ich habe Goethe gewählt – als Germanist. Die Gestalt, die unauflöslich einmalige, organische, sich entwickelnde Gestalt – ich denke an Goethes Metaphysik der Pflanzen –, diese Gestalt, mit der Kant auch in seiner Ästhetik nicht wirklich zu Rande kommt.“1272 Unabhängig vom Urteil von Balthasars zeigt die Lektüre des religionsphilosophischen Werkes Rahners Geist in Welt, dass er sich intensiv mit Thomas von Aquin beschäftigt hat und mit Kants Philosophie sowohl durch Maréchal als auch durch Heidegger vertraut war.1273 Maréchal strebte eine Vermittlung zwischen der Metaphysik von Thomas von Aquin und der Kritik von Kant an.1274 Karl Rahner übernahm diesen Denkansatz in seinen religionsphilosophischen Schriften Geist und Welt und Hörer des Wortes und auch in seinen theologischen Schriften nicht sklavisch, sondern er änderte die Reihenfolge der transzendentalen Analyse Maréchals.1275 D.h. ebenso wie schon Maréchal sich in eigenständiger Weise mit Kant und Thomas von Aquin auseinandersetzte, verfährt auch Rahner mit Maréchal. „Während bei Maréchal erst abschließend, am Ende der reduktiven und deduktiven Phase, die grundsätzliche Seinsgeltung erwiesen wird, erfolgt dies bei Rahner bereits zu Beginn als Möglichkeitsbedingung nicht nur des Urteils, sondern bereits der Frage, als eines unausweichlichen Vollzugs des Menschen.“1276 Was heißt das für Rahners Philosophie und Theologie? Die Transzendentalphilosophie thematisiert „die apriorischen Bedingungen der Möglichkeit von Erkennen und Handeln im menschlichen Subjekt“.1277 Auf die „Transzendentaltheologie“ bezogen forscht Rahner nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis Gottes im menschlichen Bewusstsein (anthropologischer Ansatz).1278 Rahner nennt drei Grundakte des menschlichen Bewusstseins: 1. das Stellen von Fragen, 2. das Formulieren von Antworten und 3. etwas zu wollen, etwas zu tun. Beim Erfassen eines Gegenstandes (endlicher Horizont) beispielsweise erkennt das Subjekt, dass es diesen übersteigt (unendlicher Horizont) und so erweist sich der Mensch als „Wesen der Transzendenz“.1279 Die Transzendentalität des Menschen beziehe sich auch auf das ethische Handeln, denn das Gute könne durch keine Handlung vollständig verwirklicht werden (Begrenzung). In jedem Akt des Denkens und Handelns geschehe ein „Vorgriff“ „auf das absolute Geheimnis selbst“.1280 Mit dem Vorgriff transzendiert das Subjekt seine von Zeit und Raum abhängige Erkenntnis. Durch den Vorgriff ist der Mensch beim Erfassen von Gegenständen über diese hinaus „beim grundsätzlichen 1272 Michael Albus, Geist und Feuer. Ein Gespräch mit Hans Urs von Balthasar“. In: Herder Korrespondenz 30 (1976), S. 75f. 1273 Vgl. Harald Schöndorf SJ: „Die Bedeutung der Philosophie bei Karl Rahner“. In: Ders. (Hrsg.): Die philosophischen Quellen der Theologie Karl Rahners. Quaestiones Disputatae 213 (Freiburg – Basel – Wien 2005), S. 16. 1274 Vgl. Otto Muck SJ: „Thomas – Kant – Maréchal: Karl Rahners transzendentale Methode“. In: Harald Schöndorf (Hrsg.): Die philosophischen Quellen der Theologie Karl Rahners, S. 31. 1275 Vgl. ebd., S. 44. 1276 Ebd. 1277 Nikolaus Knoepffler: Der Begriff „transzendental“ bei Karl Rahner. Zur Frage seiner Kantischen Herkunft (Innsbruck – Wien 1993), S. 177. 1278 Vgl. Michael Bongardt: Einführung in die Theologie der Offenbarung (Darmstadt 2005), S. 96. 1279 Vgl. ebd. 1280 Ebd., S. 97. 183 Horizont aller für ihn möglichen Gegenstände und damit beim Sein an sich. Demnach steht der Mensch immer schon in einem Bezug zum absoluten Sein, das der Ermöglichungsgrund jeder gegenständlichen Erkenntnis ist, und bejaht dieses“.1281 Das absolute Geheimnis müsse aus zwei Gründen wirklich existieren: 1. weil jede menschliche Tätigkeit sich im Vorgriff (Grenzen übersteigend) auf das absolute Geheimnis ausrichtet und 2. der „unbewegte Beweger“ (Rückgriff auf Thomas von Aquin) die „Transzendenzbewegung“ des Menschen in Bewegung setzt und in Bewegung hält.1282 Der Mensch ist durch Reflexion in der Lage zu erkennen, dass die Bedingung der Möglichkeit des Erkennens und ethischen Handelns im eigenen Selbst zu finden ist, aber nicht vom Menschen sein kann (transzendentale Gotteserfahrung). Rahner verbindet die Analyse des menschlichen Selbstbewusstseins mit dem Offenbarungsbegriff.1283 Das bedeutet zweierlei für das Verhältnis zwischen dem Menschen und dem hl. Geheimnis: 1. Der Mensch erfährt dieses Geheimnis, ohne es zu begreifen und 2. Das Geheimnis offenbart sich in dieser Transzendenz.1284 Rahner versucht einen Paradigmenwechsel in der Theologie, indem er die Frage nach dem Subjekt, die in der neuscholastischen Theologie zugunsten eines „Objektivismus“ verdrängt worden war, aufgreift und für die Theologie fruchtbar macht.1285 Außerdem geht er im Gegensatz zum neuscholastischen Ansatz von einer „ursprünglichen Empfänglichkeit“ des Menschen“ für ein in der Geschichte an ihn gerichtetes Offenbarungswort aus.1286 Es wird deutlich, dass Rahners Philosophie auf der Ebene der Begriffe und auch inhaltlich von Kant abhängt. Während Kant die Antwort auf die Frage sucht, was der Mensch mit Sicherheit erkennen kann, möchte Rahner wissen, wie der Mensch Gott erfahren kann?1287 Das Zentrum der Unterschiede zwischen Rahner und Kant besteht also darin, „dass das Transzendentale bei Kant strikt auf die im strengen Sinn apriorischen subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis bezogen ist, die Notwendigkeit und Allgemeinheit beanspruchen und aus denen sich ableiten lässt, in welcher Weise die Gegenstände der Erfahrung erscheinen, bei Rahner dagegen einen Seins- und Gottesbezug in sich birgt. Deshalb bringt bei Kant der Ausdruck ‚transzendentale Erkenntnis‘, bei Rahner der Ausdruck ‚transzendentale Offenbarung‘ den jeweiligen Ansatz auf den Begriff.“1288 Hier kann nicht im Einzelnen auf alle Streitpunkte der Kontroverse zwischen Rahner und von Balthasar eingegangen werden, sondern nur auf solche, die mit den unterschiedlichen 1281 Vgl. Claudia Kolf-van Melis: „Tod des Subjekts? Eine Auseinandersetzung mit Karl Rahner und Michael Foucauld“. Vortrag in der Karl Rahner Akademie Köln vom 14. Oktober 2003, S. 6 von 13. Quelle: http://www.kath.de/akademie/rahner/Download/Vortraege/inhalt-online/_kolf-tod.htm (letzter Aufruf: 22.07. 2015). 1282 Vgl. ebd. 1283 Vgl. ebd. 1284 Vgl. Michael Bongardt: Einführung in die Theologie der Offenbarung, S. 98. 1285 Vgl. Walter Kern – Josef Pottmeyer – Max Seckler: Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 4: Traktat Theologische Erkenntnislehre (Tübingen – Basel 2000), S. 255. 1286 Vgl. ebd. 1287 Vgl. Nikolaus Knoepfler: Der Begriff „transzendental“ bei Karl Rahner. Zur Frage seiner Kantischen Herkunft, S. 195. 1288 Ebd., S. 184. 184 Methoden der beiden Protagonisten in Zusammenhang stehen und von zentraler theologischer Bedeutung sind. Von Balthasar nimmt 1939 in einer Rezension zu Rahners Buch Geist in Welt Stellung zu Rahners transzendentalem Ansatz. Er referiert zunächst die Erkenntnislehre, und befasst sich im Anschluss daran kritisch mit dem Begriff des „Vorgriffs“ und fragt: „[W]ie muß dieser Vorgriff verstanden werden, wenn Offenbarung echte Seinseröffnung und nicht (modernistisch) Explikation eines im Vorgriff Vorgewussten sein soll? Ungangbar ist der Weg, der den Sinn des Vorgriffs auf die reine Ermöglichung der sinnlichen Synthesis beschränken will, wobei die Unendlichkeit des Horizonts in keiner Weise bewusst und gegenständlich würde. Denn diese rein faktische Verborgenheit ließe sich vielleicht auch natürlich beheben: es könnte (in natürlicher ‚Mystik‘) das informierende Licht des intellectus agens bewusst und angeschaut werden (und solche Mystik müsste dann – man denke an Plotin, Schelling usw.! – für sich selbst schon alle historische Offenbarung im Rücken haben).“1289 Trotz dieser Kritik zeigt sich von Balthasar gegen Ende versöhnlich. Er vermisst zwar noch „eine stärkere Wendung zur Objektmetaphysik“,1290 aber er sieht durchaus Wege („vielleicht“) offen für eine „Intersubjektivität“.1291 Jahre später versucht von Balthasar eine Antwort auf Rahners Geist in Welt in Wahrheit der Welt. Dort folgt er seinem eigenen Ansatz und betont die Objektmetaphysik und die Intersubjektivität. Am 4. Dezember 1945 schreibt er in einem Begleitbrief, als er Wahrheit der Welt seinem Oberen zur Zensur vorlegt: „ Ich glaube, es ist die erste ignatianische Erkenntnistheorie. Maréchal und Rahner tun Unmögliches, wenn sie als SJ Thomisten sind. Es ist eine Stillosigkeit, die durch alles hindurchgeht.“1292 Auch in diesem Brief zeigt sich eine deutliche und elitär anmutende Ablehnung des philosophischen Ansatzes von Rahner. 1961 hebt er die philosophischen Erkenntnisse seines Versuches in Herrlichkeit I (Schau der Gestalt) auf die theologische Ebene.1293 Die eigentliche Wende in den Beziehungen der beiden Protagonisten geschieht erst nach der Veröffentlichung von Cordula oder der Ernstfall (1966), einer nachkonziliaren Schrift. Kam es noch im Jahre 1964 anlässlich des 60. Geburtstages beider Protagonisten zu einer gegenseitigen positiven Würdigung,1294 so war Cordula oder der Ernstfall für Rahner, seine Freunde und Mitarbeiter wie beispielsweise Herbert Vorgrimler wie ein Paukenschlag. Vorgrimler, der nach zwölfjähriger Freundschaft mit Urs von Balthasar seine Freundschaft aufkündigte, äußerte sich in einem Vortrag unter der Überschrift „Theologische Positionen Karl Rahners im Blick auf Hans Urs von Balthasar“: „[…] Und dann musste ich seine Entfremdung, ja Feindseligkeit gegen Rahner miterleben, seit seinem Bändchen »Cordula 1289 Hans Urs von Balthasar: Rezension „Karl Rahner, Geist in Welt“ (Rezension). In: Zeitschrift für Katholische Theologie 63 (1939), S. 377. 1290 Vgl. ebd., S. 378. 1291 Vgl. ebd. 1292 Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Theologenkollegen (Würzburg 2009), S. 164. Zitiert nach: Hans Urs von Balthasar: „Brief an Richard Gutzwiller“, Basel, 4.12.1945. Das Original befindet sich im Jesuitenarchiv Zürich. 1293 Vgl. Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Theologenkollegen, S. 255. 1294 Vgl. ebd. S. 189ff. 185 oder der Ernstfall« (1966), wo es um Rahners Theorie vom »anonymen Christsein« ging, ihre Zusammenstöße in der Frage des geweihten Priestertums und seiner Reform in der Internationalen Theologiekommission in Rom 1969/70.“1295 Heute kann man die Brisanz der Schrift nur schwer verstehen, da das zentrale Thema nicht ein Angriff auf Rahner, sondern eine Theologie des Martyriums war.1296 Erst im dritten Teil von Cordula oder der Ernstfall („Die Suspension des Ernstfalls“) folgt eine Kritik der These Karl Rahners bezüglich des „anonymen Christentums“.1297 Von Balthasar stellt einen Zusammenhang zwischen Rahners transzendental-anthropologischem Ansatz und dem „anonymen Christsein“ her und sieht darin eine „Suspension des Ernstfalls“.1298 Der Ernstfall bedeutet, dass ein Christ bereit sein muss, das Martyrium auf sich zu nehmen. Er wirft Rahner einen theologischen Evolutionismus vor, dessen Ausgangspunkt der Aufstieg des Menschen sei und nicht das Herabsteigen Gottes. Das bedeute das Fehlen einer Kreuzestheologie.1299 Von Balthasar bemängelt zudem in der zweiten Auflage von Cordula oder der Ernstfall“ nach Reaktionen von Lesern, die sein Urteil über Rahner als befremdlich empfunden hatten, die negativen Auswirkungen der Theologie Rahners in der Praxis.1300 Rahner war enttäuscht über die massive Kritik, gab jedoch keine direkte und detaillierte Antwort. Viele Theologen und theologisch interessierte Laien standen ihm aber bei, was im damaligen kirchenhistorischen Kontext nicht zur „Unterscheidung der Geister“ führte, sondern eher zur Lagerbildung 1301 Werfen wir noch einen kurzen Blick auf andere Konfliktfelder, in denen Rahner von Balthasar widersprochen hat. 1302 Da ist zunächst die Theologie der Gnade. Sie beruht nach Rahner auf drei Grundpfeilern: 1. der Universalität des göttlichen Heilswillens, was besagt, dass die Gnade als Anruf „ontisch und ontologische Realität“ jedes Menschen ist; 2. spricht Rahner vom „übernatürlichen Existential“, d.h., dass jeder Mensch durch die Gnade auf die Annahme der Offenbarung dauerhaft ausgerichtet ist; 3. Ist die namenlose Offenbarung Gottes zu nennen, in der sich Gott gnadenhaft allen Menschen mitteilt. Des weiteren kritisiert Rahner die Trinitätstheologie von Balthasars. Rahner wollte auf den Personbegriff zur Kennzeichnung der göttlichen Hypostasen aus Sorge vor einem vulgären Tritheismus verzichten, während von Balthasar, der nicht tritheistisch dachte, die Perichorese der 1295 Herbert Vorgrimler: „Theologische Positionen Karl Rahners im Blick auf Hans Urs von Balthasar“. Vortrag in der Karl Rahner Akademie Köln vom 12. Januar 2000, S. 1 von 11. Quelle: https://www.kath.de/akademie/rahner/Download/Vortraege/inhalt-online/_vorgrimler-rahner.html (letzter Aufruf: 11.07.2015). 1296 Vgl. Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Theologenkollegen, S. 201. 1297 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Cordula und der Ernstfall (Einsiedeln 1968), S. 85ff. 1298 Vgl. ebd. S. 86. 1299 Vgl. ebd. S. 92. 1300 Vgl. Hans Urs von Balthasar: Cordula und der Ernstfall, S. 124 ff. 1301 Vgl. Manfred Lochbrunner: Hans Urs von Balthasar und seine Theologenkollegen. S. 212. Vgl. auch Wenn das Salz dumm wird. 100 Jahre Hans Urs von Balthasar – und immer noch nicht genug? Dokumentation des Symposions zum 100. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar am 01. 06. 2005 (S. 21ff.: „Das Statement Karl Rahners“) Quelle http://www.ktf.uni-bonn.de/Einrichtungen/dogmatik-u-propaedeutik/Dokumentation.pdf (letzter Aufruf: 22.07.2015). 1302 Zum Folgenden vgl. Gerhard Pollmeier: „Wahrheit der Welt“ als erste Skizze der Trilogie (Frankfurt a.M. 2008), S 15ff. Vgl. auch Karl-Heinz Weger: „Zur Theologie Karl Rahners“. In: Hans Dieter Mutschler (Hrsg.): Gott neu buchstabieren. Zur Person und Theologie Karl Rahners (Würzburg 1994) S. 81-96, hier S. 88 186 göttlichen Personen ins Zentrum seiner Trinitätstheologie stellte (vgl. Richard von Sankt Victor).1303 Sodann bestehen Unterschiede zwischen der Christologie Rahners und der von Balthasars. Rahner war Vertreter eines strikt „chalkedonischen Konzepts“ beim „Verständnis der „hypostatischen Union“ zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur in der einen Person Jesu von Nazareth. Von Balthasar vertrat demgegenüber ein „neuchalkedonisches Konzept“, das lehramtlich mit den Entscheidungen des Konzils von Konstantinopel (553) zusammenhängt. Gegenüber dem Neuchalkedonismus („Unus ex sanctissima trinitate passus est“, DH 432) hält der strenge Chalkedonismus daran fest, dass der Gottmensch Jesus von Nazareth nur in seiner Menschheit „gelitten habe“. Klar ist, dass diese Unterschiede sich auf die gesamte Christologie und Soteriologie auswirken mussten. Noch ein letzter Streitpunkt soll genannt werden, der verdeutlicht, dass die theologischen Ansichten beider Protagonisten nicht harmonisch zusammenpassten. Es handelt sich um das hyper hemon, das „für euch“ bzw. „für uns“. Rahner betrieb Dogmatik in Offenheit zur Exegese, so dass sich die Exegeten in seiner Theologie wiedererkennen konnten.1304 Urs von Balthasar bezieht sich in seiner Interpretation auf die Traditionsformel 1 Kor 15, 3: „Denn ich habe euch in erster Linie überliefert, was ich auch empfangen habe, dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften“. Auch Rahner kennt diese Stelle, aber er ist mit dem Exegeten Heinz Schürmann der Ansicht, dass es eine ältere, ursprünglichere Formulierung gebe, die sich auf die Pro-Existenz bezieht, so dass mit dem „für uns“ in Hinsicht auf den Tod Jesu gemeint war: „So, wie Jesus sein ganzes Leben in den Dienst anderer gestellt hatte, damit es anderen zugute komme, so wollte er dieses Dasein-für-andere treu und konsequent in seinem Tod durchgehalten wissen, sein Eintreten bei dem Vater, zu dem er im Tode gehen würde, für andere, uns zugute.“1305 Vorgrimler weist darauf hin, dass nach Heinz Schürmann und anderen angesehenen Exegeten mit der Pro-Existenz ursprünglich kein stellvertretender Sühnetod gemeint war, sondern dies eine spätere Interpretation, also eine Deutemöglichkeit unter anderen sei.1306 Es zeigt sich, dass beide Protagonisten ähnliche Ziele verfolgten, aber durch unterschiedliche Herkunft und unterschiedliche religionsphilosophische Voraussetzungen zu verschiedenen Thesen im dogmatischen Bereich gekommen sind. Die Kritik ging oft von Balthasar aus, so dass Rahner nur noch reagieren konnte. Er antwortete nicht direkt, sondern in seinen theologischen Schriften oder indirekt durch seine Schüler und theologischen Freunde. Dass die Zusammenarbeit zwischen Rahner und von Balthasar für einen Entwurf einer Dogmatik auf dem Zenzenhof bei Innsbruck im Sommer 1939 nicht fortgesetzt wurde, lag wohl nicht an 1303 Vgl. zum Folgenden: Werner Löser: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, S. 86f. Vgl. Herbert Vorgrimler: „Theologische Positionen Karl Rahners im Blick auf Hans Urs von Balthasar“, S. 3 von 11. 1305 Ebd. S. 2. 1306 Vgl. ebd., S. 2f. 1304 187 der Unterbrechung der Arbeit durch historisch widrige Umstände, sondern an den unterschiedlichen dogmatischen Konzepten.1307 1307 Vgl. Manfred Lochbrunner: „Hans Urs von Balthasars Trilogie der Liebe“. In: Forum katholische Theologie 11 (1995), S. 161-181. 188 7 Resümee: Beiträge Heideggers und Balthasars zum Wahrheitsverständnis Im Gang der vorliegenden Untersuchung wurde das Wahrheitsverständnisses von Balthasars und Heideggers einer eingehenden Analyse unterzogen und wichtige Kritiker aus Philosophie und Theologie in den Blick genommen. Nun soll ein Resümee der Beiträge der beiden Protagonisten zum Wahrheitsverständnis für eine verantwortliche philosophische wie theologische Urteilsbildung im Hinblick auf die Frage nach der Wahrheit gezogen werden.. Die Schwierigkeit besteht angesichts der extrem unterschiedlichen Würdigungen der beiden Protagonisten durch die Kritiker, vor allem im Fall Martin Heideggers, darin, einen Maßstab zu finden, der den beiden Protagonisten gerecht wird. Während der Philosoph Johannes B. Lotz Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit „in die Nähe etwa von Kants Kritik der reinen Vernunft“1308 rückt, spricht Adorno bekannterweise despektierlich vom „Jargon der Eigentlichkeit“. Es lohnt diesbezüglich, sich die Überlegungen des 6. Kapitels der vorliegende Untersuchung noch einmal zu vergegenwärtigen, vor allem im Hinblick auf Habermas und Levinas auf der einen Seite und Welte auf der anderen. Zu all diesen Problemen kommt, dass die endgültige Beurteilung Heideggers auch wegen der noch nicht abgeschlossenen Gesamtausgabe seiner Werke auf sich warten lässt. Meines Erachtens wird Heidegger immer ein sehr kontrovers diskutierter Philosoph bleiben und dies nicht nur wegen seiner Seinsphilosophie, sondern auch wegen seines Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus und danach. Im Falle von Hans Urs von Balthasar ist eine Urteilsbildung leichter, verhalten sich doch die Kritiker nicht so extrem kontrovers wie bei Heidegger, sondern versuchen immer wieder, die beiden wichtigsten philosophisch-theologischen Konzepte im Bereich der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts, die von Balthasars und Rahners, miteinander ins Gespräch zu bringen. 7.1 Beiträge Heideggers zum Wahrheitsverständnis Trotz aller Schwierigkeiten soll im Folgenden versucht werden, den Beitrag Heideggers für eine verantwortliche philosophische und theologische Urteilsbildung im Hinblick auf sein Wahrheitsverständnis zu würdigen. Setzen wir an beim theologischen Aspekt der Wahrheitsfrage, die vor allem für Exegeten in der Auseinandersetzung mit Johannes und Paulus wichtig geworden ist. Auf Bultmann wurde schon im Verlauf der Untersuchung immer wieder hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem Johannesevangelium hat die katholische Theologin Martina Roesner – ungeachtet der Tatsache, dass Heidegger den christlichen Logosbegriff bei Johannes für Jesus Christus ablehnt, der als ein Seiendes (endlich) dem nicht 1308 Vgl. Johannes B. Lotz: „Was von Heideggers Denken ins künftige Philosophieren einzubringen ist“. In: Jürgen Busche et al.: Martin Heidegger – Fragen an sein Werk. Ein Symposion (Stuttgart 1977), S. 28-32, hier S. 28. 189 zu identifizierendem Sein gegenübersteht1309 – darauf aufmerksam gemacht, das es bei Heidegger auch Stellen gibt, „die in unverkennbarer Weise vom Johanneischen Paradigma des außerzeitlichen Anfangs, des nichtkausalen Ursprungs und des immanenten Hervorgangs geprägt sind, ohne ausdrücklich darauf Bezug zu nehmen.“1310 Martina Roesner zitiert eine eindrucksvolle Stelle aus Über den Anfang. Dort heißt es: „Der Anfang »ist« die Wesung des Seyns. Seyn »ist« – empfängt sich selbst in der Anfängnis. Die Wesung des Seins ist im ersten Anfang die Entbergung, die Unverborgenheit (Wahrheit). »Wahrheit« gehört deshalb in das Wesen des Seyns und muss allein von hier gedacht werden.“1311 Die Wahrheit wird als Wesung des Seins gedacht, was bedeutet, dass die Wahrheit vom Sein nicht verschieden ist. Außerdem kann man Entsprechungen zum Johannesevangelium erkennen, insofern das Sein der Anfang ist und die ursprüngliche Wahrheit in „empfangend-zeugender Weise“ hervorbringt.1312 Auch der evangelische Theologe Hans Hübner sieht Entsprechungen des Heideggerschen Wahrheitsbegriffes mit johanneischer ebenso wie mit paulinischer Theologie. Hübner bezieht seine Interpretation zunächst auf das Ereignisdenken des späteren Heidegger: „Dem Ineinander von Ereignis, Seyn, Da-sein und Wort bei Martin Heidegger, zugleich auch nach der bei ihm aufweisbaren Korrespondenz vom Zuspruch und Hören des Seyns, entspricht im Neuen Testament, vor allem bei Paulus und Johannes, das Ineinander von Evangelium als Macht Gottes – genauer: von Evangelium als worthafter Präsenz des mächtigen Gottes – und Hören Gottes (genitivus obiectivus) bzw. Hören des sich im menschlichen Wort des göttlichen Evangeliums aussprechenden Gottes. Der einerseits im Zuspruch des Seyns und der andererseits im Zuspruch Gottes (diesmal: genitivus subiectivus) angesprochene Mensch ist durch solchen Zuspruch ein anderer geworden.“1313 Hübner vergleicht die Gedanken Heideggers über die Wahrheit in „Vom Wesen der Wahrheit“ mit Röm 1,16f. und Joh 1.1 und nennt Gott einen „Deus hermeneuticus“, der sich offenbart und zugleich verbirgt. 1314 Auch bei Heidegger gehört zum vollen Wesen der Wahrheit – in Parallelität zu Paulus und Johannes – einerseits die Erschlossenheit (Unverborgenheit), andererseits die Verborgenheit, wobei die Verborgenheit der Wahrheit Gottes nicht als eine Verborgenheit zu verstehen ist, die etwas versagt oder nicht zulässt, vielmehr ist das in Gott Verborgene verborgen, weil Gott es in souveräner Weise verbirgt oder weil es unser Erkenntnisvermögen übersteigt. Hübner geht dann der Frage nach, ob Wahrheit (ἀλήθεια) im Johannesevangelium nicht in erster Linie statt 1309 Vgl. Martina Roesner: „Logos und Anfang – Zur Johanneischen Dimension in Heideggers Denken“ In: Norbert Fische – Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Hrsg.): Heidegger und die christliche Tradition, S. 33-54, hier S. 47. 1310 Ebd. 1311 Martin Heidegger: Über den Anfang (GA 70), S. 42f. 1312 Vgl. Martina Roesner: Logos und Anfang – Zur Johanneischen Dimension in Heideggers Denken, S. 47. 1313 Hans Hübner: „Wahrheit und Wort: Heideggers ‚Vom Wesen der Wahrheit‘ und Wahrheit im Johannesevangelium. In: Jiří Mrázek – Jan Roskovec (Hrsg.): Testimony and Interpretation. Early Christology in its Judeo-Hellenistic Milieu. Studies in Honor of Petr Pokorný, S. 202. 1314 Vgl. ebd., S. 202f. 190 Aussagewahrheit Wahrheit als Unverborgenheit bedeutet.1315 Falls diese Frage positiv im Sinne der Unverborgenheit beantwortet werden kann, ist auch die fundamental-ontologische Analyse des Heideggerschen Wahrheitsverständnisses von theologischer Bedeutung, auch wenn der Parallelismus insofern Grenzen hat, als das Wahrheitsverständnis der Fundamentalanalyse ein endliches Da-sein voraussetzt und ohne dieses endliche Da-sein nicht nach Wahrheit gefragt werden könnte. Hübner fragt: „Ist auch Joh[annesʼ] existenziale Wahrheit als existenziale Wahrheit gedacht? Geht im Joh die Frage nach der Existenz in ihrem inneren Gefüge, wie in [Vom] W[esen der] W[ahrheit] auf die Frage nach dem Sein zu? Meint Wahrheit dann auch Wirklichkeit, Wirklichkeit Gottes?“1316 Aus den von Hübner aus dem Neuen Testament ausgewählten Stellen möchte ich Joh 14,6 herausgreifen, wo Jesus dem Thomas verkündet: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben […].“ Hübner lehnt sich bei der Interpretation dieser Stelle eng an die Philosophie Heideggers an: „Die zum geschichtlichen Logos gewordene göttliche Wahrheit ist als die sich aus der Ewigkeit ‚Herausstellende‘ und sich in den Kosmos (= Menschenwelt) ‚Hineinstellende‘ und somit in diesen Kosmos hinein Ek-sistierende in ihrer geschichtlichen Existenz Ek-sistenz geworden.“1317 Also lässt sich der Gedanke des Johannesevangeliums, dass die Wahrheit Wahrheit des Seins Gottes ist und außerdem Existenz-Wahrheit, in Parallelität zu Heidegger verstehen, wenn man mit der gebotenen Vorsicht interpretiert. Aber nicht nur Exegeten haben von Heidegger profitiert, wenn sie sich mit der Fundamentalanalyse und dem seynsgeschichtlichen Denken befasst haben, sondern auch die katholischen Religionsphilosophen bzw. Dogmatiker wie Welte, von Balthasar, Rahner oder Lotz u.a. – unter ihnen vor allem Bernhard Welte, der die Ansicht vertrat, dass Heideggers Einfluss auf die Theologie zukünftig noch zunehmen werde. Welte hatte in seiner Religionsphilosophie im Anschluss an Heidegger die These vertreten, dass das Nichts die Grundlage jeglichen Seins-und Wahrheitsverständnisses sei. Durch die Beschäftigung mit Heidegger sollen wichtige Fragen, die sich der Theologie in Zukunft stellen werden, in die Wahrheitssuche der Theologie einbezogen werden, beispielsweise die Frage nach dem Fehl Gottes oder die Frage nach der Herrschaft des vorstellenden Denkens in der Theologie . Auch Lotz war der Ansicht, dass die Seinsphilosophie Heideggers bedeutsam für die Zukunft der Philosophie sei. Nicht nur, dass er Sein und Zeit in die Nähe von Kants Kritik der reinen Vernunft stellt, sondern er verweist in seinem Nachruf auf die Bedeutung der Seinsphilosophie Heideggers: „Trotz aller gegenteiligen Strömungen kommt Heideggers Durchbruch zum Sein selbst eine unersetzliche Bedeutung fürs künftige Philosophieren zu. Dasselbe gilt für die damit gegebene Sicht des Menschen als Sachwalters des Seins sowie für den im Sein sich öffnenden Zugang zu Gott, während das Versinken des Menschen im Seienden sowohl dieser Zugang als auch das eigentliche Wesen des Menschen verloren 1315 Vgl. ebd., S. 216. Ebd. 1317 Ebd., S. 218. 1316 191 gehen.“1318 In ähnlicher Weise dachte Hans Urs von Balthasar über Heidegger, denn er sah bei aller Kritik in Heideggers Seinsphilosophie einen Ansatz „für eine mögliche Philosophie der Herrlichkeit“. Er benutzt, ohne das immer kenntlich zu machen, etliche Begriffe der Heideggerschen Philosophie, um letztlich auch eine Antwort auf Heideggers Denkansatz zu finden. Ähnlich verhielt es sich mit Karl Rahner. Rahner wurde als Student Heideggers nicht zu einem Heideggerianer, aber man kann die These vertreten, dass Geist in Welt auch in Auseinandersetzung mit Heidegger entstanden ist.1319 Thomas von Aquin und Kant in der Interpretation Maréchals standen zwar im Vordergrund der philosophischen Bemühungen Rahners, aber es gab auch Anregungen durch Heidegger.1320 Die Auseinandersetzung mit Heidegger zeigt das Bemühen Rahners, auch Gegenwartsphilosophen als Interpretationshilfen für die Theologie mit einzubeziehen. In einem Aufsatz äußert er sich 1967 zum Verhältnis von Philosophie und Theologie. Er stellt fest, dass die Theologie gegenwärtig einer großen Zahl sich widersprechender Philosophien gegenüberstehe, die sich durch die Theologie nicht „integrieren“ lassen1321 und fordert deshalb, dass der Theologe „innerhalb der Theologie“ zu philosophieren habe,1322 wozu das Studium der Philosophie eine conditio sine qua non ist. Auch Philosophen und Theologen, die jedwede Seinsphilosophie oder die Metaphysik im traditionellen Verständnis generell ablehnen, kamen nicht umhin, sich mit Heideggers Wahrheitsverständnis zu beschäftigen. Das wurde deutlich am Beispiel von Habermas und Levinas. Habermas entwickelte im Laufe seines persönlichen Denkweges, der auch von einer Kritik der Heideggerschen Philosophie geprägt war, ein Wahrheitsverständnis innerhalb seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ mit dem Ergebnis einer „Konsenstheorie der Wahrheit“, wobei nur im Diskurs festgestellt werden könne, was als vernünftig zu gelten habe. Er akzeptiert E. Tugendhats Kritik am apophantischen Wahrheitsbegriff Heideggers. Trotz aller Kritik an Heidegger lautet sein Urteil, dass Sein und Zeit das „bedeutendste philosophische Ereignis seit Hegels »Phänomenologie« ist. Was Levinas betrifft, so ist auch sein Denkweg nicht zu verstehen ohne die Auseinandersetzung mit Heidegger. Auch er kritisiert das Wahrheitsverständnis Heideggers, kommt aber zu einem anderen Ergebnis als Habermas, obwohl er sich wie Habermas überlegt, wie eine Wiederkehr der Shoa vermieden werden kann. Er entwickelt keine Konsenstheorie der Wahrheit, sondern geht aus von einer Kritik der abendländischen Philosophie, die ihn dazu führt, der Wahrheit einen ethischen Aspekt zuzusprechen. Dieser ethische Aspekt der Wahrheit zeigt sich im Respekt vor dem Antlitz des Anderen, damit dem Anderen 1318 Johannes B. Lotz: Was von Heideggers Denken ins künftige Philosophieren einzubringen ist. In: Jürgen Busche et al.: Martin Heidegger – Fragen an sein Werk. Ein Symposion, S. 32. 1319 Vgl. Albert Raffelt: „Geist in Welt: einige Anmerkungen zur Interpretation“. In: Harald Schöndorf (Hrsg.): Die Philosophischen Quellen der Theologie Karl Rahners, S. 57-80, hier S. 72. 1320 Vgl. ebd., S. 73. 1321 Vgl. Heinrich Watzka SJ: Wozu (noch) Philosophie im Theologiestudium?“ Quelle: http://www.sanktgeorgen.de/leseraum/watzka6.pdf, S. 5 von 10 (letzter Aufruf: 22.07.2015). Vgl. dazu auch Karl Rahner: Philosophie und Philosophieren in der Theologie“. In: Ders.: Schriften zur Theologie, Bd. VIII (Einsiedeln 1967) S. 66-87, hier S. 73. 1322 Vgl. ebd., S. 68. 192 Gerechtigkeit widerfahren und auf diese Weise gleichsam Zeugnis für die Wahrheit abgelegt werden kann. Man muss Verantwortung für den Anderen übernehmen als Bedingung der Wahrheit. Obwohl Levinas Heideggers Begriff der Wahrheit als Erschlossenheit ablehnt und auch den Heideggerschen Begriff des Seins einer kritischen Betrachtung unterzieht (Exteriorität), erkennt er in Heidegger den größten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Heidegger gehört in der Zwischenzeit zwar schon zu den Klassikern der Philosophiegeschichte, aber besonders durch die Vermittlung von Karl Lehmann, Bernhard Welte, Karl Rahner, Gustav Siewerth, Max Müller, Hans Urs von Balthasar und deren Schüler hat er auch Wirkung auf die unmittelbare Gegenwart der Theologie. 7.2 Beiträge von Balthasars zum Wahrheitsverständnis Bei der Würdigung von Balthasars liegt das Augenmerk hauptsächlich auf dem philosophischen Wahrheitsbegriff, die philosophische Gotteslehre, das Verhältnis zwischen geschöpflicher und göttlicher Wahrheit eingeschlossen. Es ist sicherlich von Balthasars Verdienst, die Bedeutung der Wahrheitsfrage für Philosophie und Theologie erkannt zu haben. Auch Walter Kasper weist auf die Bedeutung der theologischen Wahrheitsforschung hin.1323 Die Vorschläge von Rudolf Bultmann, Gotthold Hasenhüttl, Hans Küng und Leonardo Boff sind für ihn nicht überzeugend. Kasper moniert: „Die Krise der Metaphysik in der Philosophie schlägt inzwischen voll auf die Theologie durch. Das führte dazu, dass das traditionell metaphysische Wahrheitsverständnis weithin entweder durch ein positivistisches oder durch ein sogenanntes geschichtliches Wahrheitsverständnis ersetzt wurde.“1324 Eine Folge dieses unreflektierten Wahrheitsverständnisses war beispielsweise die Reaktion auf Hans Küng in der Unfehlbarkeitsdebatte. In dieser Debatte ging es nicht in erster Linie um die Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes, sondern „um den Wahrheitsanspruch aller biblischen und dogmatischen Bekenntnisaussagen und damit um den theologischen Wahrheitsbegriff insgesamt.“1325 Kasper weist demgegenüber auf Hans Urs von Balthasars (zum Zeitpunkt dieser Bezugnahme noch unvollständige) Theologik als einen „hoffnungsvolle[n] genuin theologische[n] Neuansatz“1326 und dessen theologischen Wahrheitsbegriff hin. Ungeachtet dessen entscheidet sich Kasper schließlich für den transzendentalen Ansatz Karl Rahners: „Wenn wir fragen, welche Art der Metaphysik in unserem Kulturraum der Theologie heute angemessen ist, dann scheint mir das bleibend gültige Anliegen und das bleibende Verdienst K. Rahners und des Wegs, den er der Theologie gewiesen hat, deutlich zu werden.1327 Diese Entscheidung für den Ansatz Karl Rahners mindert aber keinesfalls die Bedeutung von Balthasars in Hinsicht auf die Frage nach der Wahrheit der Welt und nach dem Verhältnis von geschöpflicher und göttlicher Wahrheit in 1323 Walter Kasper: „Das Wahrheitsverständnis der Theologie“. In: Ders.: Theologie und Kirche, Bd. 2 (Mainz 1999). S. 28-50, hier S. 29. 1324 Ebd., S. 32. 1325 Ebd., S. 31. 1326 Ebd., S. 29. 1327 Ebd., S. 43. 193 philosophischer und theologischer Hinsicht. Beide Ansätze haben ihr je eigenen Stärken für eine zukünftige Theologie der Wahrheit. Denn: „So sehr freilich die Theologie Metaphysik voraussetzt, so setzt sie doch keine bestimmte Metaphysik voraus. Sie ist offen für jede Art der Metaphysik, die selbst für die Theologie bzw. für die theologische Dimension, das heißt für das Absolute offen ist.“1328 Wenn wir uns nun abschließend noch einmal von Balthasars Wahrheitsverständnis zu vergegenwärtigen versuchen, so ist zunächst als das Besondere seines Wahrheitsbegriffes festzuhalten, dass die Wahrheit eine transzendentale Eigenschaft des Seins ist und nicht in erster Linie eine Eigenschaft der Erkenntnis. Die Wahrheit erhält so eine ontische Dimension.1329 Sein und Wahrheit können zusammengesehen werden und ebenso die übrigen transzendentalen Bestimmungen (circumcessio). Auf diese Weise entsteht eine enge und unzertrennliche Einheit des Seins. Es gelingt von Balthasar jenseits der Schultheologie auf der Grundlage der transzendentalen Eigenschaften seine Philosophie und Theologie aufzubauen. Dadurch ergibt sich ein geschlossenes Bild der Philosophie und auch der Theologie, das auf der einen Seite nicht mit dem Anspruch der systematischen Wissenschaft auftritt, auf der anderen Seite aber kohärent ist. Während in Theologik I die philosophischen Grundlagen der Wahrheit dargestellt werde, geht von Balthasar in Theologik II und Theologik III der Frage nach, wie sich göttliche, unendliche Wahrheit in menschliche, endliche Wahrheit übersetzen lässt. Dieser Wahrheitsbegriff enthält zwei Bedeutungsebenen: 1. als a-leitheia im Sinne von Erschlossenheit, Enthülltheit, Unverborgenheit, Aufgedecktheit (philosophischer Aspekt) und 2. als emeth im Sinne von Treue, Beständigkeit und Zuverlässigkeit (biblischer Aspekt). Durch den ersten Teil des Vorbegriffs der Wahrheit schließt sich von Balthasar dem fundamentalontologischen Verständnis der Wahrheit bei Heidegger an.1330 Auf diese Weise gelingt es von Balthasar den philosophischen mit dem biblischen Wahrheitsbegriff zu verbinden, und er vermeidet so den von Walter Kasper kritisierten „biblizistischen Positivismus und Fundamentalismus“.1331 Er entspricht in seinem Wahrheitsverständnis dem, was das II. Vatikanischen Konzil unter Mysterium Christi versteht, „welches die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht. Von daher fordert es eine engere Verbindung von Philosophie und Theologie, als sie in dem neuscholastischen Schema von philosophischen Unterbau und theologischem Überbau bestanden hat.“1332 Ein zweiter Baustein seiner Seinsphilosophie ist die Analogia entis-Lehre, die er in der Auseinandersetzung mit Karl Barth zu einer Analogia caritatis-Lehre weiterentwickelt. Das ermöglicht in Übereinstimmung mit dem IV. Laterankonzil ein Seins- und Wahrheitsverständnis, in dem endliche und unendliche Wahrheit, philosophischer und theologischer Wahrheitsbegriff miteinander verbunden sind und jeder doppelte 1328 Ebd., S. 42. Vgl. Thomas Schuhmacher: Perichorein, S. 25, Fußnote 39. 1330 Vgl. Jörg Disse: „Person und Wahrheit in der Theologie Hans Urs von Balthasars“, S. 379. 1331 Vgl. Walter Kasper: „Das Wahrheitsverständnis der Theologie“, S. 41. 1332 Ebd., S. 41 (Paraphrase nach Optatam totius 15). 1329 194 Wahrheitsbegriff vermieden wird. Von Balthasar gelingt es, jede Widersprüchlichkeit zu vermeiden und einen Wahrheitsbegriff „bei gleichzeitiger Vielfalt der Wahrheitsebenen“ 1333 zu denken. Mit Hilfe der Seinsanalogie bekämpft von Balthasar Gnostizismus, Agnostizismus und Pantheismus und legt das Fundament einer Schöpfungstheologie. Auch das Moment der Zeit, das in der Scholastik vernachlässigt worden war, wird von Balthasar in seine Philosophie der Analogie integriert, und zwar im Zusammenhang seines Nachdenkens über die existentielle Bedeutung der „Situation“ für das menschliche Leben, auch in Anlehnung an Heidegger, der das Thema „Zeit“ in seine Seinsphilosophie als ontologischen Sachverhalt integriert hatte. Ein weiterer wichtiger Baustein der balthasarschen Seinsphilosophie ist die Realdistinktion, die Frage nach dem Unterschied zwischen Sein und Wesen. Dieser Baustein war für ihn der Wichtigste, um einen Dialog mit der Lebens- und Existentialphilosophie führen zu können. Auch die Analyse der Zeit, wird im Kontext der Realdistinktion philosophisch vertieft und trägt wesentlich zum Verständnis des theologischen Wahrheitsbegriffes bei. Walter Kasper weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Metaphysik für eine „geschichtlich bzw. heilsgeschichtlich“1334 ausgerichtete Theologie hin. Von Balthasar versteht die Geschichtlichkeit der Wahrheit als bedeutsam für ein Verständnis des menschlichen Erkennens im Lichte der Gesamtwahrheit. Der Mensch könne trotz aller Bemühungen in jeder Situation seines Lebens um die Erkenntnis der Wahrheit nie zur Erkenntnis der Gesamtwahrheit kommen. Geschichtlich betrachtet stehen Philosophen wie Theologen immer wieder je neu vor der Aufgabe, dem Anspruch der Wahrheit zu entsprechen. Ein Baustein der Seinsphilosophie Hans Urs von Balthasars kann nicht oft genug hervorgehoben werden: die „Metaphysik der Singularität“. Und dass nicht nur als Beitrag zur Kritik der Ideologien des 20. Jahrhunderts wie Faschismus und Kommunismus, sondern auch zu einer Philosophie über das Wesen des Menschen. Die „Metaphysik der Singularität“ von Balthasars korrespondiert mit dem biblischen Wahrheitsbegriff (emeth), bei dem es um Festigkeit, um die von Gott versprochene und im Glauben angenommene „Treue-Wahrheit“ geht.1335 Diese Wahrheit ist nicht in erster Linie die Wahrheit der Metaphysik, sondern der persönlichen Beziehung Gottes zu den Menschen, die auf Vertrauen gründet. Der Mensch verlässt sich im Glauben auf die Treue Gottes, auf Gottes Zuverlässigkeit und die Beständigkeit der göttlichen Heilszusage. Diese Heilszusage gilt jedem einzelnen Menschen wie auch allen Völkern und Nationen. Der Einzelne verliert sein Gesicht nicht hinter seiner Nation. Das Angebot Gottes – der Bund mit Israel – richtet sich durch Einzelne – Abraham, Mose, die Propheten – an Israel und später durch die Apostel als Vertreter der Stämme Israels an die ganze Menschheit. Die Treue-Wahrheit Gottes bezieht sich sowohl auf die Einzelnen als auch auf die Allgemeinheit. Jede Ideologie, die das Volk in den Mittelpunkt stellt und den Einzelnen mit Füßen tritt, wird durch Balthasars „Metaphysik der Singularität“ in die 1333 Vgl. ebd., S. 30. Vgl. ebd., S. 42. 1335 Vgl. ebd., S. 34. 1334 195 Schranken verwiesen. Wie Walter Kasper, der sich auf Ignace de la Potterie bezieht, der die Ursprünge des johanneischen Wahrheitsverständnisses im Spätjudentum entdeckt, in der Zeit, in der biblisches und griechisches Erbe in eine Synthese zusammengeführt worden sind,1336 versucht auch von Balthasar, biblisches, griechisches und darüber hinaus thomistisches und neuzeitliches Denken über die Wahrheit zusammenzuführen und fruchtbar zu machen für die Theologie. Von Balthasar wird auch in Zukunft einen Einfluss auf die Theologie haben, weil die Wahrheitsfrage von grundlegender Wichtigkeit für die aktuelle theologische Diskussion ist. Seine Bedeutung zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sein Denken über den deutschen Sprachraum hinaus weltweite Beachtung gefunden hat, vor allem in Frankreich, Italien, Spanien und auch im angelsächsischen Bereich, wobei Peter Henrici sicher zuzustimmen ist, wenn er vermutet, „dass der französische Kultur-und Sprachraum jener ist, in dem Balthasars Werk heute noch (oder heute schon) seine tiefsten Auswirkungen zeigt.“1337 1336 Vgl. ebd., S. 36 (nach Ignace de la Potterie: La vérité dans Saint Jean (Rom 1977). Peter Henrici SJ: „Hans Urs von Balthasar und der französische Katholizismus“. In: Walter Kardinal Kasper (Hrsg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes (Ostfildern 2006), S. 163-175, hier S. 175. 1337 196 8 Abkürzungsverzeichnis Heidegger Balthasar 8.1 Martin Heidegger EM: Einführung in die Metaphysik (GA 40) FD: Die Frage nach dem Ding (GA 41) G oder GL: Gelassenheit (GA 13 und 16) GP: Die Grundprobleme der Phänomenologie HW: Holzwege (GA 5) ID: Identität und Differenz N I/II: Nietzsche Bd. I/II (GA 6.1/2) Sch: Schellings Abhandlung » Über das Wesen der menschlichen Freiheit« SD: Zur Sache des Denkens (GA 14) SG: Der Satz vom Grund (GA 10) SU: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/43 (GA 16) SuZ: Sein und Zeit (GA 2) US: Unterwegs zur Sprache GA 12) VA: Vorträge und Aufsätze (GA7) WD: Was heißt Denken? (GA 8) WdW: Vom Wesen der Wahrheit WM: Wegmarken (GA 9) Zoll: Zollikorner Seminare ZSD: Zur Sache des Denkens 8.2 Hans Urs von Balthasar H I: Herrlichkeit, Bd. I H II/1: Herlichkeit, Bd. II/1 H II/2: Herrlichkeit; Bd. II/2 H III/1: Herrlichkeit, Bd. III/1 TD I: Theodramatik Bd,. I TD II/1: Theodramatik Bd. II/1 TD II/2: Theodramatik Bd. II/2 TD III: Theodramatik Bd. III TD IV: Theodramatik Bd. IV TL I: Theologik, Bd. I TL II: Theologik, Bd. II Tl III: Theologik, Bd. III W: Wahrheit der Welt 197 9 Literaturverzeichnis 9.1 Primärliteratur 9.1.1 Heidegger, Martin ( Gesamtausgabe und Einzelschriften) GA 1: Frühe Schriften (1912–1916). Hrsg. Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Frankfurt a.M. 1978). GA 2: Sein und Zeit (1927). Hrsg. Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Frankfurt a.M. 1977). GA 5: Holzwege. Hrsg. Friedrich Wilhelm von Herrmann (Frankfurt a.M. 1977). GA 9 Wegmarken. Hrsg. Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Frankfurt a.M. 1976). GA 14 Zur Sache des Denkens. Hrsg. Friedrich-Wilhelm von Herrmann (Frankfurt a.M. 2007). GA 15 Seminare (1951‒1973). Hrsg. Curd Ochwadt, (Frankfurt a.M. 1986). GA 16 Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. Hrsg. Hermann Heidegger (1910– 1976) (Frankfurt a.M. 2000). 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