Erleben, Erinnern, Handeln

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Vorwort
Ziel dieser Monographie ist eine Einführung in die Psychologie und ihre philosophischen Grenzfragen anhand der Themenbereiche Erleben, Erinnern und Handeln. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen und den damit verbundenen
philosophischen Grenzfragen war Gegenstand mehrerer Vorlesungen für Studierende verschiedenster Fächer wie Philosophie, Theologie, Psychologie, Rechtsund Wirtschaftswissenschaften.
Das erste Kapitel skizziert die Ziele und Aufgaben der Psychologie und das
Schicksal der Verwendung des Seelenbegriffs in der modernen Psychologie und
Hirnforschung. Der Begriff der Seele bei Aristoteles, der sich auf das gesamte
Erleben, Verhalten und Handeln bezieht, kann sowohl für die Psychologie als
auch für die Hirnforschung von Nutzen sein.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem bewussten Erleben und seinen besonderen Merkmalen. Ausführlicher kommt hier das Thema Emotion zur Sprache. Was
sind Emotionen und welche Rolle spielen sie im Erleben, Entscheiden und Handeln? Emotionen befinden sich gleichsam an der Nahtstelle zwischen psychischen und körperlichen Vorgängen und versehen alle Bewusstseinsinhalte mit
einer spezifischen Gefühlsqualität. Die Erforschung der neuronalen Grundlage
der Emotionen ist von besonderer Relevanz für das Körper-Geist-Problem. Im
Alltag ist uns die Einheit von Körper und Geist eine Selbstverständlichkeit. In
unseren Gefühlserlebnissen kommt sie am deutlichsten zum Ausdruck. Für die
gegenwärtigen philosophischen Deutungen des Körper-Geist-Verhältnisses ist sie
alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Erinnern ist mehr als das Abrufen von Information. Unser reichhaltiges Erinnerungserleben lässt sich mit den Ausdrücken der Computersprache nicht angemessen beschreiben. Welche Arten von Erinnerungen gibt es? Wie zuverlässig sind
unsere Erinnerungen? Inwieweit sind Erinnerungen manipulierbar? Diese Fragen
der Gedächtnispsychologie sind Thema des dritten Kapitels. Untersuchungen an
Patienten mit Gedächtnisstörungen untermauern die Unterscheidung verschiedener Gedächtnisformen wie Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis, explizites und
implizites Gedächtnis. Gedächtnisforscher unterscheiden zudem fünf Formen des
Langzeitgedächtnisses: prozedurales Gedächtnis, Priming-Gedächtnis, perzeptuelles Gedächtnis, Wissenssystem und autobiografisches Gedächtnis. Diese fünf
Systeme sind neuronal unterschiedlich repräsentiert und ihre Entwicklung geht
Hand in Hand mit der Gehirnentwicklung. Das autobiografische Erinnern ist die
am längsten reifende Kompetenz des Gedächtnisses. Die Frage der Zuverlässigkeit unserer Erinnerungen wird anhand der ‚sieben Sünden‘ des Gedächtnisses
© 2009 W. Kohlhammer, Stuttgart
Im Anschluss an die Darstellung dualistischer, naturalistischer und funktionalistischer Deutungen folgt die Erörterung der Grenzen unseres Verstehens. Eine
Lösung des Körper-Geist-Problems käme der Überwindung des Gegensatzes zwischen Erlebnisperspektive und Beobachterperspektive gleich.
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Vorwort
nach Daniel Schacter erörtert. Quellenverwechslung, Suggestibilität, Verzerrung
und Persistenz können zu falschen und quälenden Erinnerungen führen. Die
besondere Bedeutung des autobiografischen Gedächtnisses für das Erleben der
eigenen Identität durch die Zeit illustrieren Phänomene wie die psychogene
Amnesie und die sogenannte Multiple Persönlichkeit.
Das vierte Kapitel beginnt mit der Beschreibung des automatisierten und bewusst
kontrollierten Verhaltens. Worin unterscheiden sich Verhalten und Handeln?
Was sind die zentralen Merkmale einer Handlung? Wann handeln wir frei? Den
Schwerpunkt dieses Kapitels bildet die Diskussion um die Willensfreiheit, wie
sie seit mehreren Jahren im deutschen Sprachraum geführt wird. Diese Diskussion kreist vor allem um das Libet-Experiment. Manche Wissenschaftler deuten
dessen Ergebnisse als empirischen Beweis für die kausale Wirkungslosigkeit
unseres Willens. Es wird gezeigt, dass diese Deutung durch die mittlerweile vorliegenden Befunde nicht gestützt wird und daher mehr als zweifelhaft erscheint.
Ist die Idee der Willensfreiheit mit der Vorstellung vereinbar, dass in der Welt
alles mit Notwendigkeit geschieht? Kompatibilisten vertreten die These, dass
Freiheit und neuronale Determination vereinbar sind. Willensfreiheit verstehen
sie als Selbstdetermination. Die philosophische Debatte über Determinismus und
Indeterminismus befasst sich mit einem Begriff von Freiheit, den van Inwagen als
‚metaphysische Freiheit‘ bezeichnet.
Jedes Kapitel dieser Monographie enthält eine Zusammenfassung der wesentlichsten Ergebnisse. Am Ende des Buches befindet sich ein ausführliches Glossar,
in dem die Bedeutung der wichtigsten Fachbegriffe erklärt wird. Im Text sind
diese Begriffe in Kursivschrift hervorgehoben.
Der Einfachheit und besseren Lesbarkeit halber habe ich die männliche Schreibweise verwendet, betone aber, dass bei jedem männlichen Ausdruck selbstverständlich immer auch die weibliche Person mit eingeschlossen ist.
Innsbruck, Mai 2009
Hans Goller
© 2009 W. Kohlhammer, Stuttgart
Dieses Buch ist keine Neuauflage von Band 1 (Psychologie: Emotion, Motivation, Verhalten) der Reihe ‚Wissenschaften in philosophischer Perspektive‘, sondern eine völlige Neufassung. Ich danke den Studierenden für die vielen anregenden Fragen, die mich in meinem Bemühen bestärkten, komplexe Sachverhalte in
einer einfachen und verständlichen Sprache darzustellen. Ein besonderer Dank
gilt Frau Gabriele Winkler für die Korrektur des Manuskripts und Frau Cecylia
Milewski für die Formatierung des Textes. Herrn Jürgen Schneider vom Kohlhammer Verlag danke ich für die Anregung, ein völlig neues Buch zum Thema
Psychologie für die Reihe KON-TEXTE zu schreiben.
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