Freischaffender Künstler: Traumberuf? Dirk Scherer, ed!-Redaktion, im Interview mit Anna ­Kautenburger, freischaffende Künstlerin Anna Kautenburger: Anna Kautenburger: Ich habe von 2005 bis 2011 an der HBK Saar ein Kunststudium absolviert; währenddessen auch ein Auslandssemester in Reims, Frankreich über das Deutsch-Französische Jugendwerk. Vorher habe ich eine pädagogische Ausbildung gemacht, bin aber eben seit 2011 als freischaffende Künstlerin regional wie international unterwegs. Zu meiner Arbeit zählen Video- und Sound­ installationen, Performances, Zeichnungen und Aquarelle. Zusammen mit der Bühnenbildnerin Amelie Hensel habe ich auch ein Theaterstück geschrieben und performt: „Pjöngjanggodzilla – Gartenhaus des Grauens“, das seine Uraufführung im September 2014 in der Sparte 4 des Saarländischen Staatstheaters in Saarbrücken hatte. Dirk Scherer: Haben Sie bei der Produktion Unterstützung durch Mitarbeiter und Kollegen? Anna Kautenburger: Längerfristig geplant brauche ich das, ja – aber eigentlich habe ich das alles bisher immer alleine und selber gemacht. Allerdings, die bisherigen Videos sind mehr oder weniger 3 – 7 Minuten lang. Mit Unterstützung kann ich dann auch längere Videos produzieren. Aber wenn ich alles selber mache, gibt mir das die größtmögliche Kontrolle über das Endprodukt. Ein Beispiel: Wenn man improvisiert vor der Kamera und hat Mitarbeiter, dann ist man weniger frei. Beide Herangehensweisen haben so Vor- und Nachteile. In Performances ist es publikumsbedingt natürlich sowieso anders, aber in der Videoproduktion ist das eine sehr intensive und intime Sache. Ich improvisiere auch mit Outfits, Requisiten und so weiter. Längerfristig gesehen werde ich mit Mitarbeitern arbeiten müssen, um aufwendigere Arbeiten produzieren zu können. Dirk Scherer: Was hat denn die Familie damals gesagt, als sie vom Erzieherberuf zum Künstlerberuf gewechselt haben? Dirk Scherer: Schiller hat gesagt, „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist – und er ist nur da ganz Mensch wo er spielt.“ Anna Kautenburger: Die pädagogische Ausbildung war für mich nur ein Umweg. Ich habe ja schon ganz früh – als Kind – immer gemalt und mich künstlerisch betätigt. Natürlich verstehen Familienmitglieder und Freundeskreis nicht immer die künstlerischen Prozesse, klar. Aber andererseits weiß meine Familie, dass ich nichts anderes machen will. Der Job gibt ja auch unglaublich viel zurück. Von daher habe ich einen guten Rückhalt. Die sehen auch, wieviel Arbeit und Herzblut ich in meine Arbeit stecke... Außerdem ist eine meiner Schwestern mit einem Musiker verheiratet; da bin ich nicht der einzige Künstler bei uns, das entlastet. Dirk Scherer: Künstlerarbeit – was genau verbirgt sich denn detailliert hinter Ihrer Tätigkeit und Arbeit? © Anna Kautenburger Dirk Scherer: Was genau beinhaltet eine Performance? Anna Kautenburger: Die Performances bestehen aus Text und einer Choreografie, manchmal auch Musik, zuerst habe ich ein loses Konstrukt, der Text wird vorher zu einem Thema von mir geschrieben live aber improvisiert. Das ist auch bei einer Videoproduktion der Fall. Von Konzept über Storyboard über die gespielten Personen vor der Kamera, Kamera – alles von mir. Auch den endgültigen Videoschnitt und die Nachbearbeitung mache ich selbst. Dirk Scherer: Gibt es denn von den vielen Arbeiten eine Lieblingstätigkeit? 22 Februar 2016 ed! © Anna Kautenburger Anna Kautenburger: Anna Kautenburger: Das ist richtig – die kreativen Prozesse eben auch in sich kreativ zu halten, das ist es was mich immer wieder antreibt. Das Spiel im Spiel gewissermaßen... Dirk Scherer: © Anna Kautenburger Hallo Frau Kautenburger – erzählen Sie ein bisschen was über Ihren Werdegang. Aber ist es nicht sehr komplex immer wieder zu wechseln und verschiedene Rollen sogar in der Produktion einzunehmen – das kommt ja dann zum eigentlichen Rollenspiel noch hinzu. Ana Kautenburger: Schwierig ist das natürlich schon, vor der Kamera zu spielen und immer wieder zu kontrollieren, ob Schärfe, Einstellung, Abstand, Szene usw. stimmen – aber andererseits habe ich, wie gesagt, die direkte Kontrolle. Jeder andere Mitarbeiter und Kontributeur sieht das eben anders und bringt seine Meinung ein. © Anna Kautenburger Dirk Scherer: Schon die Videoaufnahmen und dann das Durchspielen der Rollen. Man kann schon sagen, dass mir das am liebsten und am nächsten ist. Improvisieren ist mir superwichtig: ich arbeite natürlich meine Skripte für die Videos und für die Performances aus – aber alles ist im Fluss und unterliegt ständigem Wandel während des Produktionsprozesses. Ich benutze verschiedene Medien – auch Soundinstallationen; ich brauche den Wechsel in der Medienwelt. Am Anfang des Studiums habe ich viel im Fotoatelier gearbeitet – damals in dem Glauben, ich müsse mich auf ein Medium begrenzen. Das hat überhaupt nicht funk­tioniert; ich brauche die Vielfalt der verschiedenen Medien – Video, Sound, Text, Musik, Zeichnung. Man muss natürlich einen gewissen Ehrgeiz entwickeln, um bestehen zu können und sich auch weiterentwickeln. Aber darin liegt ja auch der Reiz des Künstler- oder generell kreativen Berufs: Kein Tag ist wie der andere. Februar 2016 ed! 23 Videoskizzen Dirk Scherer: Mich würde mal generell interessieren, wie Sie an Aufträge kommen und wie ich mir die Geschäftsseite des Künstlerberufs vorstellen kann. Anna Kautenburger: Meistens ist es so, dass ich Bewerbungen für Projekte schreibe oder eingeladen werde. Ich bekomme dann Feedback und eben entweder ein Projekt oder eben keins. Aber ich habe immer ein gewisses Grundrauschen in meinem Alltag – das ist nicht fremdbestimmt, sondern wird von mir alleine gesteuert. Ich habe meine Themen und Ideen und Vorstellungen und produziere dann und bewerbe mich oder ich mache einen Vorschlag oder stelle aus. Aber es wird nicht speziell etwas für Ausstellungen gemacht oder produziert... Sicherlich – wenn ich von renommierten Ausschreibungen und Ausstellungen höre, dann schaue ich schon, dass ich was Passendes habe. Dirk Scherer: Das ist hinsichtlich Ihrer Kunst eine sehr integere Haltung... © Anna Kautenburger Anna Kautenburger: Ja, mir ist das einfach wichtig. Sicher es gibt immer wieder Zeiten, wo mal mehr mal weniger zu tun ist, aber Arbeit gibt es immer. Es gibt zur Zeit beispielsweise das Hellwighaus in der Mainzer Straße in Saarbrücken, da bin ich sehr involviert. Da werden Ausstellungen gemacht etc. Wie gesagt, selbst wenn ich gerade nicht in einer Produktion bin, dann muss ich mich auch um die Organisation und Planung der Arbeit und z.B. so profanen Dingen wie der Steuererklärung beschäftigen. Außerdem bin ich noch ehrenamtlich im Vorstand des Saarländischen Filmbüros e.V. tätig. Dirk Scherer: Und wie kann ich mir das Leben als Künstler überhaupt vorstellen? Mal ungeachtet der jeweiligen Tätigkeit als Performer oder Bildender Künstler oder Musiker... Anna Kautenburger: Ich bewege mich schon oft am Rand, und der häufig genannte Begriff Existenzminimum attribuiert ja ohnehin meine Berufsgruppe, aber ich kann mir nichts anderes vorstellen. Ich liebe, was ich tue und mir ist das wichtiger als materieller Wohlstand. Dirk Scherer: Gibt es so etwas wie ein Netzwerk, eine Szene für Künstler? Dirk Scherer: Inwiefern hat denn die digitale Revolution – Stichwort: Soziale Netzwerke – Ihren Vertrieb und Ihr Marketing beeinflusst? Anna Kautenburger: Man kommt heute in der modernen Welt sehr viel leichter an hochwertige Technik ran – ich stelle meine Arbeit allerdings nicht einfach so ins Netz; Bewerbungen mit etwa Videoproduktionen laufen zwar mittlerweile online, werden aber passwortgeschützt hochgeladen. Ich glaube immer noch an das geistige Eigentum des Künstlers. In einer Videoarbeit stecken mehrere Monate Arbeit und Herzblut und ich möchte keinesfalls, dass meine Ideen verramscht werden. Sicher verteile ich Links und Passwörter, aber das ist eher im Rahmen von Videofestival Ausschreibungen und Ausstellungen... © Anna Kautenburger Dirk Scherer: Und was ist neben der Kunst an der Tätigkeit interessant? Anna Kautenburger: Thema „Kunst umsonst“? Reisen gehört für mich natürlich dazu. Für mich ist Kunst eben inhaltsvoll und soll sich auch weiterentwickeln und sich an ein größeres Publikum richten und mehr Menschen erreichen. Die Welt besteht ja nicht nur aus dem eigenen und regionalen Horizont. Die wirklichen Aussagen und Inhalte kommen erst zutage wenn man sich öffnet und auch in anderen Sprachen konferiert und Kulturen kennen lernt; all das fließt in die Arbeit ein. Es ist gerade das viele Reisen, was mich inspiriert und sogar konzentrierter arbeiten lässt. Ich brauche das: immer wieder mal raus, um an meinen Sachen arbeiten zu können. Anna Kautenburger: Dirk Scherer: Dirk Scherer: Kunst und generell jeder kreative Beruf ist ja eine Arbeit wie jede andere auch – nur weil Laien den kreativen wie künstlerischen Prozess nicht verstehen, heißt das ja nicht, dass die Tätigkeit selbst einfach kostenfrei angeboten werden kann. Häufig fehlt hier die Wertschätzung und das Verständnis. Anna Kautenburger: Ja klar, ich habe Freunde in der ganzen Welt – in den USA, Bukarest, in England... Und ansonsten haben sich durch die regelmäßigen Auslandsaufenthalte und Künstlerresidenzen viele Freundschaften ergeben. Das ist natürlich manchmal auch schwierig, weil man eben ein paar Monate mit Leuten an einem Projekt zusammen arbeitet. Es bilden sich gute Freundschaften und dann sind die Menschen weg – das ist manchmal schon hart. Zu Beginn, nach dem Studium, findet man das alles toll und aufregend, aber je länger man das macht, desto schwieriger fällt einem das Verlassen. Das sind Familie und Freunde in der Heimat enorm wichtig – mein Ruhepol ist schon hier zuhause. Dirk Scherer: Vielen Dank Frau Kautenburger für das sehr spannende Interview und den Einblick in den Künstleralltag! Anna Kautenburger: Danke Ihnen und gern geschehen! Thema Ausland – ich habe auf Ihrer Website gelesen, dass Sie mehrfach in Dänemark und dort in Kopenhagen gearbeitet haben... Anna Kautenburger: Ich wäre am liebsten dort geblieben – die Menschen, die Offenheit, die Direktheit, die Freundlichkeit; anfänglich ist die dänische Direktheit etwas gewöhnungbedürftig, aber nach einer Weile verstand ich das als einfach und liebevoll. Nach Kopenhagen zu ziehen kann ich mir absolut vorstellen. Familienbedingt bin ich seinerzeit wieder zurück ins Saarland gekommen. 24 Februar 2016 ed! Februar 2016 ed! 25