„music from america“ – live in berlin - Blasmusik-Shop

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„MUSIC FROM AMERICA“ – LIVE IN
BERLIN
Die Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs zwischen 1924 und der Weltwirtschaftskrise 1929–1932 – die „Goldenen Zwanziger“ – initiiert verstärkt Kulturimporte aus den USA. Das Wort „Negerkapelle“ ist damals noch kein Schimpfwort, sondern allgemeiner Sprachgebrauch. „Reine“ Jazzbands kommen allerdings
selten nach Berlin. Schwarze Musiker werden oft in Revuen, Varietéprogramme
und Sketche integriert. Ihr Repertoire reicht von Spirituals über amerikanische
Volkslieder und Märsche bis zu Ragtimes und anderen Instrumentalstücken. Auch
bei deutschen Orchestern gilt es als modern, afroamerikanische Musiker zu engagieren. Oft mehr durch ihre schiere Präsenz als durch einen speziellen Stil erzielen
diese den erwünschten „Jazzfaktor“.
Schon bald konkurriert Berlin mit Paris, wo immerhin etwa 200 afroamerikanische Musiker leben. Vielfach bleiben amerikanische Musiker nach ihren Gastspielen
in Berlin – weil sie hier wesentlich besser verdienen als in New York, Chicago oder
Los Angeles. Ihre Gage ist zudem oft höher als die der Berliner, die deshalb nicht selten neidisch auf ihre amerikanischen Musikerkollegen sind. Sogar der junge Benny
Goodman soll in den 1920er-Jahren auf den privaten Festen des reichen Unternehmers,
SPD-Mitglieds und Kunstsammlers Oskar Skaller, der damals im Erdgeschoss des
Hotels Bogota in der Schlüterstraße 45 wohnte, gespielt haben.21
Im April 1930 gastieren Sam Wooding
und seine „12 chocolate kiddies“ im
Dachgarten der Conditorei Café Berlin
Als erstes namhaftes amerikanisches Orchester kommen 1924 Alex Hyde and his
New York Orchestra zu Plattenaufnahmen nach Berlin. Zurück in den USA, stellt der
Impresario, Bandleader und Geiger Alex Hyde am 11. November 1924 in New York
eine neue Band zusammen, die zwei Tage später mit dem Schiff nach Europa reist.
Alex Hyde and his Romance of Rhythm Orchestra, wie sich die Band jetzt nennt,
kommt am 1. April 1925 nach Berlin, wo bis zum Juli 1925 über drei Dutzend Aufnahmen für die Deutsche Grammophon entstehen. Von April bis Juli 1925 ist auch
der Klarinettist und Tenorsaxofonist Eugene „Gene“ Sedric dabei. Mitte Mai 1925
wirkt die Band in dem Stummfilm Varieté mit Emil Jannings mit, in den darauffolgenden zwei Monaten spielt sie für eine Modenschau im Luna Palais im Luna-Park
in Halensee. Des Weiteren tritt sie nachmittags im Hotel Esplanade auf. Aus dem Orchester kommen zahlreiche Schlüsselfiguren der Berliner Studiomusiker-Szene der
1920er- und 1930er-Jahre wie Michael Danzi (g, bj) und Walter „Kal“ Kallander (s).
Nach der Rückkehr Alex Hydes nach New York bleiben unter anderen Michael Danzi
und Howard McFarlane in Berlin, Letzterer spielt für Bernard Etté und Dajos Béla,
bevor er 1926 bis 1927 auch Platten mit eigenen Formationen veröffentlicht.
Ab 26. Mai 1925 gastiert die Revue Chocolate Kiddies aus New York in Berlin,
im Admiralspalast in der Friedrichstraße – eine „Neger-Produktion in einem Vorspiel und zwei Aufzügen“, begleitet von Sam Wooding and his Orchestra. Die Texte
stammen von Arthur S. Lyons, die Musik von Joe Trent und Duke Ellington, die
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21 Im Januar 1922 nimmt die Fred
Ross Jazz Band, die im Palais Heinroth
spielt, sechs Titel in Berlin auf,
darunter Watsch [sic!] Your Step. 1924
tritt The Ohio Lido Venice Band, ein
weißes Orchester unter der Leitung
von Fred Spinelly, in der Stadt auf.
Im August 1924 produziert eine
„Nigger-Jazz-Band“, wahrscheinlich
Thompson’s Jazzband, eine farbige
Band mit amerikanischen und
französischen Musikern, die in dieser
Zeit in Berlin gastiert, eine Platte mit
den Titeln Nothin’ But und Runnin’
Wild.
22 Im Juli 1925 und im September
1926 nimmt Sam Wooding’s
Orchestra in Berlin mehrere Titel
für Schallplatten auf, darunter
Black Bottom, Shanghai Shuffle und
Alabamy Bound.
JAZZ IN BERLIN
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Die amerikanische Tanzkapelle „The
Nigger-Band“ aus den 1920er-Jahren
Arrangements von Arthur S. Johnson. Zur Show gehören 30 Chorus-Girls, Tänzer und
Comedians. Sänger sind Edith Wilson und Adeline Hall, Starsolist ist Tommy Ladnier
(co, tp), der sich mit dem Steptänzer Louis Douglas allerdings bald absetzt und nach
Polen fährt. Das elfköpfige Orchester hat mit seinem „Hot Jazz“ einen Riesenerfolg.
1926 ist das Orchester erneut in Berlin,22 1928 tritt es unter anderem im Ufa-Palast in
Berlin auf, mit dem Programm Die Schwarze Revue. Beim vierten Gastspiel 1930 tritt
das Orchester live im Rundfunk auf, der Titel des Programms: Music from America.
Auf seiner letzten Europa-Tournee im Jahre 1931 ist das Orchester dann noch einmal
in Berlin zu hören – diesmal mit einem reinen Jazzprogramm. Nach Auftritten in
Kopenhagen und Belgien kehrt Sam Wooding 1932 in die USA zurück.
Als Paul Whitemans Band Anfang Juni 1926 drei Konzerte im Großen Schauspielhaus, unter anderem mit George Gershwins Rhapsody In Blue gibt – ist das aufgrund der Perfektion seiner Musiker eine Sensation. Viele Berliner Musiker orientieren sich in den folgenden Jahren an Paul Whiteman und verehren ihn als „König
des amerikanischen Jazz“, weil sie glauben, er habe eine ursprünglich „wilde“ Musik
„veredelt“. Seine Botschaft vom „sinfonischen Jazz“ kommt gut an – bei einem Publikum, das mit klassischer Musik groß geworden ist, aber auch bei den Musikern,
die zumeist eine klassische Ausbildung haben. Arrangements à la Whiteman lassen
sich notengetreu spielen, die Solo-Passagen können improvisiert klingen, ohne es
wirklich zu sein. Die Liebhaber des „wahren Jazz“ beklagen deshalb einen Trend zur
„Verkunstung“ des Jazz, zum gemäßigten, „kultivierteren“, eben „sinfonischen Jazz“,
der sich von den afroamerikanischen Originalen entfernt.
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Der Bandleader Paul Whiteman in Berlin, ca. 1930
Das Sam Wooding Orchestra 1925 in Berlin, Sam Wooding in der Mitte sitzend
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Am 1. Oktober 1926 beginnen Arthur Briggs and his Savoy Syncopators Orchestra
ein Gastspiel in der Barberina im Palais des Westens in der Hardenbergstraße, das
bis Ende April 1927 dauert. Im darauffolgenden Juli und August spielt Arthur Briggs
mit einer neuen Band im Tanz-Palast Libelle, ab Mitte August dann im Hotel Eden
in der Kurfürstenstraße. Im September und Oktober 1927 tritt die Band im Café am
Zoo, im Palais am Zoo und im Grill am Zoo in der Budapester Straße auf, der Anfang
des Jahres eröffnet wurde. Arthur Briggs nimmt 46 Titel auf Platte auf, 22 davon mit
dem Sänger Al Bowlly. Briggs erinnert sich: „Natürlich war das, was wir machten,
sehr kommerziell. Es war für uns gar nicht so einfach, die jazzigen Sachen in unsere
Konzerte reinzuschmuggeln. Besonders in Deutschland, weil die Deutschen weit
zurück waren, was den Jazz anging. Die meisten ihrer Sachen waren Märsche –
‚eins, zwei, eins, zwei‘. Wir mussten für sie meist kommerzielle Sachen spielen, nur
gelegentlich brachten wir den ‚Bugle Call Rag‘ oder etwas ähnliches.“23
Im Oktober 1926 nehmen Mac’s Merry Macs Then I’ll Be Happy und I Love My
Baby auf, im Stil von Red Nichols’ Five Pennies. Diese Formation, unter anderem mit
Lud Gluskin aus den USA gastiert
Ende der 1920er-Jahre mit einer
15-köpfigen Band in Berlin
Howard McFarlane (tp), Michael Danzi (bj) und Tommy Phillips (voc), ist bald die
beliebteste kleine Band Berlins. Die sieben Musiker machen auch Aufnahmen als
Mac’s Jazz Orchestra und als American Original Jazz Band. Sie sind sehr gefragt: Am
Vormittag sind sie mit Dajos Bélas Orchester im Aufnahmestudio der Lindström, am
Nachmittag mit Marek Weber bei Electrola, am nächsten Morgen mit Fred Bird bei
Homocord und mit Paul Godwin am Nachmittag bei der Deutschen Grammophon.
Aber nicht alles, was aus New York kommt und sich „Jazzorchester“ nennt, ist
gut. So kündigt am 12. März 1928 der Berliner Lokal-Anzeiger ein Gastspiel des Jazzorchesters Freddy Rich aus dem Hotel Astor in New York als „Die Sensation Berlins!“ an – im Vorprogramm der Uraufführung des Films Wenn die Mutter und die
Tochter … (Regie: Carl Boese) im Titania-Palast in der Schlossstraße 5 in Steglitz.
Zwei Tage später schreibt der Film-Kurier: „Jazzband ist längst nicht mehr das Welterschütternde, Bahnbrechende. Sie ist bequem und ausgefahren, die gute Jazzmu-
Paul Whiteman (Karikatur von B. F.
Dolbin in Die Musik Nr. 3/1929)
sik. Auch an Saxophongedudel und Klangpaarung gewöhnt man sich. Zumindest
muss es gekonnt sein. Julian Fuhs, Jack Hylton sind ehrenwerte Könner. Aber Rich?
Getue allein kann über witzlose Darbietungen, undisziplinierte Spieler, sinnlose
schwerplumpe Gliederverrenkungen und mangelhaftes Stimmmaterial nicht hinwegtäuschen. Erfolg findet so etwas bei einem Publikum der Vorstadt, das Jazz für
modern hält und guten Jazz nie gehört hat. Freddy Rich spielt auf, er hätte sich lieber
vorher besser einspielen sollen.“
1931 spielen Sidney Bechet und seine „Black Band“ in der Wild-West-Bar im
Haus Vaterland. Bechet ist 1929 nach Berlin gekommen, nachdem er elf Monate einer
15-monatigen Gefängnisstrafe verbüßt hat. Bei einem Streit unter Musikern hatte er
in Frankreich versehentlich eine Frau durch einen Streifschuss verletzt. Nach seiner
Freilassung wird er des Landes verwiesen und begibt sich zunächst nach Berlin.
1930 ist er im Film Einbrecher (Regie: Hanns Schwarz, Musik: Friedrich Hollaender)
zu hören, aber kaum zu sehen.
Max Farley (s, cl, fl) hat in New York mit Größen wie Frank Trumbauer, Eddie
Lang und Joe Venuti gespielt. Nachdem er in Paris sein Glück versucht hat, kommt
er per Bahn nach Berlin – nur mit einem Rucksack. Seine Instrumente lässt er spä-
23 Chris Goddard: Jazz Away From
Home, New York 1979, S. 287.
ter nachkommen, als er durch Vermittlung von Freunden mit Schallplattenaufnahmen etwas Geld verdient hat. Er spielt dann unter anderem 1931 in der Burleske
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The Three Eddies in Berlin
(Holzschnitt von Joachim Rágóczy,
1925; Die Welt, 1928/Nr. 6, S. 95)
Alles Schwindel mit der Musik von Mischa Spoliansky (Buch: Marcellus Schiffer),
uraufgeführt am 11. April 1931 im Theater am Kurfürstendamm. Mischa Spoliansky
will allerdings keine Hot-Musik in seiner Revue, Max Farley und die anderen Musiker müssen deshalb „normal“ spielen. Nur als Marlene Dietrich eines Abends im
Zuschauerraum sitzt, dürfen Max Farley und die anderen Musiker spielen, wie
sie wollen. Das Publikum applaudiert auf offener Szene. Nach der Show beglückwünscht ihn Marlene Dietrich zu seinem Solo. Als Max Farley 1932 genug Geld für
die Überfahrt verdient hat, kehrt nach New York zurück.
Der amerikanische Saxofonist und Klarinettist Billy Williams spielt viele Jahre
für Barnabás von Géczy und Bernard Etté und schickt regelmäßig Geld nach Hause.
1932 verlässt er Berlin – mit 32 000 in Berlin verdienten Dollar in der Tasche. Das ging
nicht allen amerikanischen Musikern so. Manche geben auch mehr Geld aus, als sie
verdienen.
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JAZZ IN BERLIN
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Natürlich spielen nicht alle amerikanischen Bands und Solisten, die in Berlin auftreten, authentischen Jazz. Viele Stücke, die Synkopen und Bluesharmonien benutzen und improvisierte Passagen aufweisen, werden einfach „Jazz“ genannt. Und es
kommen auch ominöse Gestalten nach Berlin. Der amerikanische Versicherungsagent Billy Williams beispielsweise bringt es als Saxofonist und Klarinettist in Bernard Ettés Jazz Symphonics zu einem Vermögen von 130 000 RM. Das Saxofonspiel
hatte er sich in drei Monaten selbst beigebracht. Und längst nicht alle Formationen mit englischem Namen kommen aus den USA oder England. Zahlreiche Bands
aus Berlin legen sich englische Namen zu: The Picadilly Four, Diamond King’s Jazz
Band, Joe London und sein Orchester. Der italienische Geiger Gabriel Formiggini
leitet 1924 die Vox-American-Jazz-Band, macht jedoch bis 1929 auch Aufnahmen
unter eigenem Namen. Die Homocord Jazz Band ist dagegen kein deutsches Orchester, sondern ein Sammel-Pseudonym für eine Vielzahl amerikanischer und britischer Bands auf diesem Label.
Viele amerikanische Musiker, die in den 1920er- und 1930er-Jahren in Berlin
arbeiten, werden von der Agentur Paul Hirzon betreut. In dieser Zeit genügen ein
Cognac, ein Bier oder ein Fünf- oder Zehnmarkschein, und man hat einen Job. Da
Hirzon alle Bandleader in Deutschland kennt, versichern sich selbst die Nazis
seiner Vermittlerdienste. Nur deshalb kann er bis 1936 in Berlin bleiben, obwohl
er Jude ist.
Der amerikanische Trompeter
George Hirst
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