prekarisierung von arbeitsverhältnissen

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PREKARISIERUNG VON ARBEITSVERHÄLTNISSEN
ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR DIE SOZIALE ARBEIT IM KONTAKT MIT UNTERNEHMEN UND PREKÄR
BESCHÄFTIGTEN
PREKARISIERUNG VON ARBEITSVERHÄLTNISSEN
ANKNÜPFUNGSPUNKTE FÜR DIE SOZIALE ARBEIT IM KONTAKT MIT UNTERNEHMEN UND PREKÄR
Bachelorarbeit von :
BESCHÄFTIGTEN
Kathrin Hauser
Lahnhalde 2
8200 Schaffhausen
HS 2012
An der
:
FHS St. Gallen
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Studienrichtung Soziale Arbeit
Begleitet von
:
Prof. Dr. Peter Schallberger
Dozent Fachbereich Soziale Arbeit
Für den vorliegenden Inhalt ist ausschliesslich die Autorin verantwortlich.
Schaffhausen, 6. Oktober 2015
Inhaltsverzeichnis
Abstract ................................................................................................................................. 1
Einleitung ............................................................................................................................ 5
1.
Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse ............................................................... 6
1.1.
Normalarbeitsverhältnis .................................................................................... 6
1.2.
Atypische Arbeitsverhältnisse ........................................................................... 8
1.3.
Dimensionen prekärer Arbeitsverhältnisse ...................................................... 10
1.3.1.
1. Dimension: Grad der Arbeitsplatzsicherheit ......................................... 10
1.3.2.
2. Dimension: Einfluss auf die Kontrolle über die Arbeitssituation ............ 10
1.3.3.
3. Dimension: Vorhandensein von Schutzbestimmungen ........................ 11
1.3.4.
4. Dimension: Existenzsicherung ............................................................. 12
1.3.5.
Fehlende Massnahmen um sozialer Ausgrenzung vorzubeugen ............. 13
1.4.
2.
Formen prekärer Arbeitsverhältnisse .............................................................. 14
1.4.1.
Arbeit auf Abruf........................................................................................ 15
1.4.2.
Temporärarbeit ........................................................................................ 17
1.4.3.
Befristete Arbeitsverträge ........................................................................ 18
1.4.4.
Scheinselbständigkeit .............................................................................. 19
1.5.
Prekäre Arbeitsverhältnisse und Bildung ........................................................ 20
1.6.
Prekäre Arbeitsverhältnisse und Branchen ..................................................... 21
1.7.
Fazit/ Ausblick auf das nächste Kapitel ........................................................... 22
Ursachenebenen der Prekarität .......................................................................... 23
2.1.
Ökonomische Ebene ...................................................................................... 23
2.1.1.
Marktwirtschaft ........................................................................................ 24
2.1.2.
Wirtschaftliche Veränderungen ab 1980 .................................................. 24
2.2.
Politische Ebene ............................................................................................. 27
2.2.1.
Entwicklung des Sozialversicherungssystems ......................................... 27
2.2.2.
Gestaltung des Aussen............................................................................ 28
2.3.
Unternehmerische Ebene ............................................................................... 31
2.3.1.
Unternehmen ........................................................................................... 31
I
2.3.2.
Externe Anpassung ................................................................................. 32
2.3.3.
Interne Anpassungen............................................................................... 32
2.3.4.
Moralische Arbeitsteilung ......................................................................... 34
2.4.
3.
Auswirkungen der Prekarisierung ...................................................................... 34
3.1.
Änderung der Identifikation ...................................................................... 35
3.1.2.
Grenzziehung .......................................................................................... 36
3.1.3.
Spezifisches Fachwissen ......................................................................... 37
Individuum ...................................................................................................... 37
3.2.1.
1. Säule der Identität: Leiblichkeit ............................................................ 38
3.2.2.
2. Säule der Identität: Soziale Beziehungen ............................................ 40
3.2.3.
3. Säule der Identität: Arbeit/Leistung/Freizeit ......................................... 41
3.2.4.
4. Säule der Identität: Materielle Sicherheit .............................................. 41
3.2.5.
5. Säule der Identität: Werte und Normen ................................................ 43
3.3.
Gesamtgesellschaft ........................................................................................ 44
3.3.1.
Spaltung der Gesellschaft und sozialer Frieden ....................................... 44
3.3.2.
Kosten Gesundheit .................................................................................. 46
3.3.3.
Nachfolgende Generation ........................................................................ 46
3.4.
5.
Betriebliche Auswirkungen.............................................................................. 35
3.1.1.
3.2.
4.
Fazit ............................................................................................................... 34
Fazit ............................................................................................................... 47
Ethisches Management ....................................................................................... 48
4.1.
Unternehmen und Ethik .................................................................................. 48
4.2.
Unternehmensführung .................................................................................... 49
4.3.
Fazit ............................................................................................................... 51
Handlungsfelder der Sozialen Arbeit ................................................................. 51
5.1.
Beratung prekär Beschäftigter ........................................................................ 52
5.2.
Soziale Arbeit in Betrieben.............................................................................. 53
5.3.
Betriebsexternes Case Management .............................................................. 55
5.4.
Exkurs in die Sozialpolitik ............................................................................... 56
II
5.5.
Fazit ............................................................................................................... 57
6.
Schlusswort ......................................................................................................... 57
7.
Literaturverzeichnis............................................................................................. 60
8.
Quellenverzeichnis .............................................................................................. 62
9.
Tabellenverzeichnis............................................................................................. 65
11. Schlusserklärung................................................................................................. 66
III
Abstract
Titel: Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen - Anknüpfungspunkte für die Soziale
Arbeit im Kontakt mit Unternehmen und prekär Beschäftigten
Kurzzusammenfassung: Diese Arbeit beschreibt die Auswirkungen prekärer Arbeitsverhältnisse auf das Gesellschaftssystem. Daraus erarbeitet sie Anknüpfungspunkte, die sich für die Soziale Arbeit im Kontakt mit Unternehmen und prekär Beschäftigte ergeben.
Autor(en):
Kathrin Hauser-Merz
Referent/-in:
Prof. Dr. Peter Schallberger
Publikationsformat:
BATH
MATH
Semesterarbeit
Forschungsbericht
Anderes
Veröffentlichung (Jahr): 2015
Sprache:
deutsch
Zitation:
Hauser, Kathrin. (2015). Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen,
Anknüpfungspunkte für die Soziale Arbeit im Kontakt mit Unternehmen und prekär Beschäftigten. Unveröffentlichte Bachelorarbeit, FHS St. Gallen, Fachbereich Soziale Arbeit.
Schlagwörter (Tags):
Unsicherheit, Flexibilisierung, Ent-Kommodifizierung, Zone der
Verwundbarkeit, Ethische Unternehmensführung
1
Ausgangslage:
Die Veränderungen, die seit den 1980er-Jahren auf der ökonomischen Ebene der Gesellschaft vor sich gehen, haben zu einer deutlichen Zunahme flexibler Arbeitsverhältnisse geführt. Aus dieser Flexibilisierung heraus entwickelt sich eine zunehmende Anzahl prekärer
Arbeitsverhältnisse, die für die Betroffenen mit einer grossen Unsicherheit in verschiedenen
Bereichen verbunden ist. Die Soziale Arbeit ist in vielen Handlungsfeldern mit prekär Beschäftigten konfrontiert. Die Existenzsicherung und der Zugang zu einer Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt ist dabei ein zentrales Thema der Beratung.
Ziel:
Diese Arbeit hat zum Ziel, Anknüpfungspunkte herauszuarbeiten, die sich aus der Prekarisierung für die Soziale Arbeit im Kontakt mit Unternehmen und prekär Beschäftigten ergeben.
Dafür sollen die Auswirkungen der Prekarisierung in verschiedenen Bereichen der Gesamtgesellschaft thematisiert werden. Die Betrachtung der Folgen für die Identität eines Individuums
anhand der fünf Säulen der Identität von Petzold ergeben die Schwerpunkte in Bezug auf die
Beratung prekär Beschäftigter. Anhand ökonomischer Überlegungen zu Strategien der Gewinnsteigerung eines Unternehmens sowie einer ethischen Unternehmensführung sollen
Schnittstellen von wirtschaftlichem und sozialarbeiterischem Handeln gesucht und Faktoren,
die im Kontakt mit Unternehmen als Argumentarium für sozialarbeiterisches Handeln entscheidend sind, in den Blick genommen werden.
Vorgehen:
Im ersten Kapitel werden die Unterschiede zwischen einem Normalarbeitsverhältnis und einem atypischen Arbeitsverhältnis aufgezeigt und verschiedene Aspekte beleuchtet, die ein
prekäres Arbeitsverhältnis kennzeichnen. Anschliessend werden vier verschiedene prekäre
Arbeitsformen vorgestellt und deren Verbreitung mit statistischem Zahlenmaterial untermauert.
Das zweite Kapitel beschreibt die Ursachenebene der Prekarität auf der ökonomischen und
der politischen Ebene des Gesellschaftssystems. Dabei werden die Veränderungen aufgezeigt, die seit den 1980er-Jahren auf der ökonomischen Ebene vor sich gehen. Die verschiedenen Strategien, die Unternehmen zur Gewinnoptimierung umsetzen, und der durch die Politik gestützte Abbau der sozialversicherungsrechtlichen Sicherung stehen dabei im Zentrum
der Betrachtung.
Im dritten Kapitel werden zunächst die Auswirkungen der Prekarisierung in Bezug auf ein Unternehmen beschrieben. Anhand der fünf Säulen der Identität von Petzold stellt das Kapitel
2
zudem die Auswirkungen auf die Lebenslage der prekär Beschäftigten dar. Auf der Basis dieser zwei Aspekte werden danach die Folgen für die Gesamtgesellschaft dargestellt, die das
vermehrte Abdrängen der Menschen in die „Zone der Verwundbarkeit“ und die steigenden
Gesundheits- und Sozialversicherungskosten mit sich bringen.
Das vierte Kapitel befasst sich mit ethischen Überlegungen für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung. Dabei werden Argumente gesucht, die die Soziale Arbeit für ihr Handeln
im Kontakt mit Unternehmen anwenden kann.
Im fünften Kapitel werden die Erkenntnisse aus den ersten vier Kapiteln aufgenommen, um
damit einen konkreten Bezug zu den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit herzustellen.
Erkenntnisse:
Die kurzfristige und gewinnorientierte Unternehmensplanung auf der ökonomischen Ebene
der Gesellschaft bringt seit dem Ende des 20. Jahrhundert eine Verbreitung flexibler Arbeitsformen hervor. Durch verschiedene von der OECD empfohlene Massnahmen versuchen Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wirtschaftsgeschehen zu erhalten. Die damit verbundene Auslagerung von Produktionsbetrieben in Billiglohnländer und die Automatisierung haben zu einem Abbau von niederschwelligen Arbeitsplätzen geführt. Die verschiedenen Strategien der Unternehmen, um eine Lohnkostensenkung und eine just-in-time-Produktion zu erreichen, öffneten den Markt für verschiedene Formen prekärer Arbeitsverhältnisse.
Arbeit auf Abruf, Scheinselbständigkeit, befristete Arbeitsverhältnisse und Temporärbeit haben in den letzten fünfzehn Jahren deutlich zugenommen. Diese Arbeitsverhältnisse sind mit
einer hohen Unsicherheit für die Beschäftigten verbunden. Dadurch, dass weder die Arbeitszeiten noch die Anstellungsdauer klar geregelt sind und sie nicht denselben gesetzlichen Vorgaben unterstellt sind wie ein Normalarbeitsverhältnis, bedeuten sie für die Beschäftigten
durchwegs eine hohe Unsicherheit in Bezug auf den sozialstaatlichen und juristischen Schutz
und die ökonomische Absicherung. Dabei zeigt sich, dass der rechtliche Rahmen, den die
Unternehmen legal für sich nutzen können, sehr gross und politisch gestützt ist. Eine niedrige
Bildung erhöht die Gefahr einer prekären Arbeitsform, den damit verbundenen Bedingungen
ausgeliefert zu sein und dadurch keine alternativen Handlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung zu haben.
Die Auswirkungen prekärer Arbeitsverhältnisse haben weitreichende Folgen in verschiedenen
Bereichen. Die Grenzziehung, die innerhalb eines Betriebs aber auch innerhalb der Gesellschaft zwischen den prekär Beschäftigten und den „normal“ Beschäftigten vor sich geht, verhindert eine Solidarität innerhalb der Arbeitnehmerschaft, um sich gegen die zunehmende Prekarisierung aufzulehnen. Die Entsolidarisierung des Arbeitskollektivs wirkt sich auf das Individuum genauso aus wie auf die ganze Gesellschaft. Prekäre Arbeitsverhältnisse führen zu einer Bedrohung der Identität des Individuums und drängen prekär Beschäftigte in die „Zone der
3
Verwundbarkeit“ ab. Die steigende Anzahl von Menschen in der „Zone der Entkoppelung“ und
in der „Zone der Verwundbarkeit“ können in Zukunft zu Protesten gegen die bestehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen führen. Zusätzlich zu den Auswirkungen auf das Individuum
konnte aufgezeigt werden, dass auch die nachfolgende Generation von den prekären Arbeitsverhältnissen der Eltern betroffen ist. Durch die Weitergabe eines sozialen und physiologischen Habitus an die Kinder, wird die Benachteiligung im Bereich der Bildung und Gesundheit
in der nächsten Generation aufrechterhalten.
Aus diesen Erkenntnissen zeigt sich, dass der direkten Beratung von prekär Beschäftigten in
den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit eine wichtige Rolle zukommt. In der Zusammenarbeit mit Unternehmen kann die Soziale Arbeit Führungskräfte für das Thema der Prekarisierung sowie dessen Auswirkungen auf den Betrieb und das Individuum sensibilisieren. Ebenso
kann sie in verschiedenen Handlungsfeldern daran arbeiten, das Abrutschen von besonders
vulnerablen Gruppen von Arbeitnehmenden in die „Zone der Verwundbarkeit“ zu verhindern.
Dabei zeigt sich jedoch, dass der Handlungsspielraum der Sozialen Arbeit zum einen durch
die gegenwärtige Sozialpolitik sehr eingeschränkt ist und zum anderen von der ethischen
Grundeinstellung einer Unternehmensführung abhängig ist. Um die Bedingungen der prekär
Beschäftigten nachhaltig zu verbessern ist daher eine Sensibilisierung der Gesellschaft für
dieses Thema nötig, um auf dem politischen Weg eine Erhöhung der sozialen Absicherung zu
erreichen und Möglichkeiten für eine nachhaltige Sozialpolitik zu schaffen.
Literaturquellen (Auswahl):
Abraham, Martin, Büschges, Günter. (2009). Einführung in die Organisationssoziologie (4.
Auflage). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Caritas. (2001). Prekäre Arbeitsverhältnisse in der Schweiz. Ein Positionspapier von Caritas
Schweiz. Prodolliet, Simone, Knöpfel, Carlo & Wälchli, Martin. Luzern: Caritas-Verlag.
Castel, Robert. (2009). Die Wiederkehr der sozialen Unsicherheit. In Castel, Robert & Dörre,
Klaus (Hg), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung (S. 21-34). Frankfurt/Main: Campus
Verlag.
Pelizzari, Alessandro. (2009). Dynamiken der Prekarisierung. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH.
Rieger, Andreas, Pfister, Pascal, Alleva, Vania. (2012). Verkannte Arbeit. Zürich: Rotpunkt
Verlag.
4
Einleitung
„Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. (…).
Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie
über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen
herstellen.
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller
Länder kosmopolitisch gestaltet. (…) Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und
werden noch täglich vernichtet. (…) Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren
Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden.“
(Marx, Engels, 1848, S. 465-466)
Der von Marx und Engels geschriebene Text aus dem kommunistischen Manifest von 1848
hat nichts von seiner Aktualität verloren. Nur die Wörter Bourgeoisie, mit dem die „Klasse der
modernen Kapitalisten“ (Anmerkung Engels in der engl. Fassung) gemeint ist, und Exploitation anstelle „Globalisierung“ zeigen auf, dass der Text schon über 160 Jahre alt ist. Ansonsten
gleicht er inhaltlich den heutigen Texten von Bourdieu im Buch „Gegenfeuer“ und Castel in
„Die Krise der Arbeit“.
Die vorliegende Bachelorarbeit befasst sich mit der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die durch die Vorgänge der Globalisierung Ende des 20. Jahrhunderts von
Neuem ausgelöst wurde. Die Prekarisierung hat den privaten sowie den öffentlichen Sektor,
Industrieunternehmen und auch den Dienstleistungsbereich erfasst. In der Arbeitnehmerschaft
wächst durch die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse das Bewusstsein, dass
jede Arbeitsstelle ein zerbrechliches Privileg ist, das jederzeit durch Restrukturierung verloren
gehen kann. Aus diesem Bewusstsein entwickelt sich eine diffuse Unsicherheit innerhalb der
ganzen Arbeitnehmerschaft, die auf den einzelnen Menschen wie auch auf die ganze Gesellschaft Auswirkungen hat. Ausgangslage für die Bearbeitung des Themenbereichs der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse bildet in dieser Bachelorarbeit folgende Fragestellung:
Welches sind die Ursachen und Auswirkungen der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und welche Anknüpfungspunkte ergeben sich daraus für die Soziale Arbeit in der
Zusammenarbeit mit Unternehmen und prekär Beschäftigten.
Der erste Teil umfasst eine theoretische Einführung in die Definition von prekären Arbeitsverhältnissen in der Schweiz. In einem separaten Abschnitt wird dabei auf prekäre Arbeitsformen,
den Bildungsstand der darin Tätigen und die Verteilung nach Branchen eingegangen. Um die
vermehrte Entstehung von prekären Arbeitsverhältnissen verstehen zu können werden in einem zweiten Teil die Ursachen der Prekarisierung auf der ökonomischen und der politischen
5
Ebene erläutert. Die Auswirkungen, die prekäre Arbeitsverhältnisse auf ein Unternehmen, die
Menschen und die Gesamtgesellschaft haben, werden im dritten Teil herausgearbeitet. In diesem Kapitel werden Themen ersichtlich, die relevant sind für die Handlungsfelder der Sozialen
Arbeit. Um einen Bogen zur Zusammenarbeit mit Unternehmen spannen zu können, befasst
sich das vierte Kapitel mit ethischen Überlegungen, die auf der ökonomischen Ebene stattfinden. Dabei wird auch der Nutzen einer wertschätzenden Unternehmensführung thematisiert.
Die dabei aufgezeigte ökonomische Denkweise kann die Soziale Arbeit im Kontakt mit Unternehmen als Argumentation zugunsten ihres Klientels nutzen. Handlungsfelder der Sozialen
Arbeit werden anschliessend in einem fünften Kapitel dargestellt.
1. Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse
Der Hauptfokus dieser Arbeit richtet sich auf prekäre Arbeitsverhältnisse. Um dieses Spektrum
einzugrenzen, wird irreguläre Arbeit im Bereich der Schwarzarbeit ohne gültige Arbeitsbewilligung, ohne Arbeitsvertrag und ohne gültigen Aufenthaltsstatus nicht beleuchtet. Obwohl diese
rechtlich nicht gestatteten Formen des Erwerbs für die betroffenen Menschen ebenfalls sehr
prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse zur Folge haben, ist die Ausgangslage eine andere.
Auch die Soziale Arbeit ist auf eine andere Weise mit Menschen in irregulären Arbeitsverhältnissen konfrontiert. Daher werden diese Formen von irregulären Arbeitsverhältnissen hier
nicht näher betrachtet. Wenn in dieser Arbeit von prekären Arbeitsverhältnissen die Rede ist,
sind damit nur reguläre, d.h. gesetzlich anerkannte, prekäre Arbeitsformen gemeint.
Das Wort Prekarisierung leitet sich laut Caritas vom lateinischen precarius ab, was soviel bedeutet wie „erbeten, erbettelt, aus Gnade gewährt“ und „unsicher, unbeständig, notdürftig“.
Davon ableiten lässt sich, dass prekäre Arbeitsverhältnisse unsichere und schwierige Elemente enthalten. Die Definition „aus Gnade gewährt“ verweist zudem auf die Aspekte der Abhängigkeit und der Macht, denen prekär Beschäftigte ausgesetzt sind (vgl. Caritas, 2001,
S.44). Dass diese Arbeitsform zunehmend thematisiert wird hängt damit zusammen, dass sie
die Errungenschaften des Normalarbeitsverhältnisses angreift, die sich nach dem 2. Weltkrieg
in der Schweiz herausgebildet haben. Um Prekarität im Zusammenhang mit Arbeit verstehen
zu können, wird zuerst der Typus des Normalarbeitsverhältnisses dargestellt und danach atypische Arbeitsformen beschrieben.
1.1. Normalarbeitsverhältnis
Ein Normalarbeitsverhältnis wird definiert als eine „stabile, sozial abgesicherte abhängige Vollzeitbeschäftigung, deren Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit, Löhne und Transferleistungen
6
kollektivvertraglich oder arbeits- und sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind“
(vgl. Bosch, 2001, zit. in Ecoplan, 2010, S. 28).
Tabelle 1 Bestandteile eines Normalarbeitsverhältnisses
Lohn

Mindestlohn nach Gesamtarbeitsvertrag (GAV)

Regelung 13. Monatslohn

Regelung individueller Entschädigungen
Arbeitszeitvorschriften

Regelung durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche

5-Tage-Woche von Montag bis Freitag

Regelung Samstag-, Sonntag-, Nachtarbeit

Überstundenregelung
Ferien, Freizeit und Urlaub

Gemäss Obligationenrecht [OR] 329a bis 329e oder GAV
Regelung der Lohnfortzahlungen bei:

Erwerbsausfall bei Berufs- und Nichtberufsunfall: Unfalltaggeldauszahlung bis wieder arbeitsfähig oder
IV berechtigt

Erwerbsausfall bei Krankheit (ist nicht obligatorisch): gemäss GAV Krankentaggeldzahlungen bis zu
ca. 720 Tagen

Mutterschaft: Nach OR 329f beträgt der Mutterschaftsurlaub mindestens 14 Wochen

Militärdienst: geregelt im Bundesgesetz über den Erwerbsersatz für Dienstleistende (EOG)

Absenzen: Regelung des Eltern- oder Vaterschaftsurlaub gemäss GAV
Erweiterung des Kündigungsschutzes


Regelung der Kündigungsfristen nach OR Art. 335c

nach Ablauf der Probezeit im 1. Dienstjahr: ein Monat

im 2. bis und mit dem 9. Dienstjahr: zwei Monate

ab dem 10. Dienstjahr: drei Monate
oder GAV

Im 1. Jahr 2 bis 4 Wochen

Im 2. Jahr 4 bis 8 Wochen
Rechtsschutz

Bei Missachtung der Arbeitsvertragsbestimmungen durch den Arbeitgeber

Recht auf bezahlte Aus- und Weiterbildung

Geregelte Sperrfristen für Kündigungen
BVG / Pensionskasse

Berufliche Vorsorgeleistungen ab Jahreslohn von CHF 21‘150.- obligatorisch
In Tabelle 1 sind die in Ecoplan aufgeführten Bestandteile eines Normalarbeitsverhältnisses
ersichtlich, die über einen Gesamtarbeitsvertrag [GAV] geregelt sind. Im Obligationenrecht
[OR] wird der Begriff des GAV folgendermassen definiert:
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„Durch den Gesamtarbeitsvertrag stellen Arbeitgeber oder deren Verbände und Arbeitnehmerverbände gemeinsam Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf“ (vgl. OR, Art. 356).
Ein GAV kommt folglich durch einen Aushandlungsprozess zustande. Auf der Basis des OR
oder des GAV kann ein Normalarbeitsverhältnis abgeschlossen werden, welches eine unbefristete Anstellung, geregelte Arbeitszeit, ein klar definiertes monatliches Einkommen, Sozialversicherungen, Rechtsschutz und einen örtlich definierten Arbeitsort beinhaltet (vgl. Caritas,
2001, S. 29).
1.2. Atypische Arbeitsverhältnisse
Neben dem typischen Normalarbeitsverhältnis existierten schon immer viele sogenannte atypische Arbeitsformen. Atypisch daran sind dabei vom Normalarbeitsverhältnis abweichende
flexible Arbeitsstrukturen, die per se jedoch nicht als prekär eingestuft werden können. Das
Atypische kann sich zum einen auf ein von Vollzeit abweichendes Arbeitsvolumen wie Teilzeitarbeit beziehen. Zum anderen auch auf einen atypischen Arbeitsort, atypische Arbeitszeiten wie Nacht-, Wochenend- und Schichtarbeit und auf Mehrfachbeschäftigungen (vgl. Caritas, S. 31-32). Atypische Arbeitsverhältnisse können sich zwischen einem hoch abgesicherten
und einem prekären Sicherheitsstandard bewegen. Einen guten Überblick über die vielfältigen
atypischen Arbeitsformen ergibt eine Einteilung von Purcell, Hogarth und Simm im Positionspapier von Caritas (1999). Sie teilen dabei die flexiblen Arbeitsverhältnisse in strukturierte sowie unstrukturierte Arbeitsformen ein und unterteilen diese zusätzlich in dauerhafte und temporäre Arbeitsverhältnisse (vgl. S. 25-26). Dauerhaft bezeichnet dabei unbefristete und temporäre, zeitlich begrenzte Anstellungen.
Aus diesen zwei Gegensätzen von strukturiert/unstrukturiert und dauerhaft/temporär bilden
Purcell, Hogarth und Simm vier mögliche Strukturen von flexiblen Arbeitsverhältnissen, die in
der folgenden Tabelle aufgeführt sind.
Tabelle 2 Formen möglicher flexibler Arbeitsverhältnisse
Strukturiert
 Unbefristete Anstellung mit Teilzeitarbeit
dauerhaft flexibel
 Arbeitsbedingungen sind in einem Vertrag klar geregelt
 Arbeitszeit ist zeitlich fixiert und geregelt
 Schichtarbeit, Teilzeitarbeit
Strukturiert
 Befristete Anstellungen, die von vornherein zeitlich begrenzt sind
temporär flexibel
 Arbeitsbedingungen sind in einem Vertrag geregelt
 Dies kann für die Dauer eines Projektes oder auch für eine Urlaubsvertretung sein
 Befristete Arbeitsverträge, Temporärarbeit
8
Unstrukturiert
 Unbefristete Anstellungen
dauerhaft flexibel
 Arbeitszeit: Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Gestaltung der
Arbeitszeit zum Beispiel über die Jahresarbeitszeit definieren
 Arbeit auf Abruf
Unstrukturiert
 Befristete Anstellungen
temporär flexibel
 Zu arbeitende Arbeitszeit ist nicht geregelt
 Arbeit auf Abruf, Temporärarbeit
Tabelle 2 zeigt, dass Arbeitsverhältnisse, die sich durch strukturierte Flexibilität ausweisen,
klar definierte Arbeitszeiten beinhalten, die vertraglich festgehalten sind. Dazu kann Schichtarbeit mit wechselnden Arbeitszeiten gezählt werden. Ebenso kann es ein Arbeitsverhältnis
mit einem klar geregelten Vertrag sein, das jedoch zeitlich befristet ist. Unstrukturierte Flexibilität weisen Arbeitsverhältnisse auf, deren Vertragsform ungeplante Elemente betreffend
Dauer und Arbeitszeit enthalten und bei denen die Arbeitseinsatzzeit je nach Bedarf ändern
kann (vgl. Caritas, 2001,S. 27).
Die Flexibilisierung der Arbeitsformen wird oft als ein Bedürfnis der heutigen Arbeitnehmenden
angesehen, um eigene Lebensentwürfe, Familie und Arbeitszeit ideal miteinander verbinden
zu können. Die Sicherheiten eines Normalarbeitsverhältnisses bestehen teilweise trotz Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen (vgl. Pelizzari, 2009, S. 43-44). Wenn man Flexibilität mit Teilzeitarbeit und Jahresarbeitszeit gleichsetzt, hat diese Form der Flexibilität gerade den Frauen
ermöglicht, in der traditionell ausgerichteten Schweiz im Arbeitsleben wieder Fuss zu fassen
oder zu bleiben. Mit traditionell ist dabei das Alleinernährer-Familienmodell gemeint (vgl. Pelizzari, 2009, S. 43). Andererseits hat jedoch gerade diese Form der Einbindung in den Arbeitsmarkt zu einer politisch nicht bearbeiteten Benachteiligung gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis geführt. Es ist statistisch nachgewiesen (s. Tabelle 4), dass überwiegend Frauen in
prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten (Caritas, 2001,S. 31).
Für die vorliegende Arbeit von Relevanz sind diejenigen Erwerbsverhältnisse, die durch ihre
Flexibilität ein sicheres Erwerbseinkommen verunmöglichen und bei denen die Arbeitnehmenden keine Wahlmöglichkeit für eine Alternative haben. Dazu gehören die kurzen befristeten
Arbeitsverhältnisse sowie Temporärarbeit innerhalb der Kategorie der strukturiert temporär flexiblen Anstellungen und Arbeit auf Abruf bei den unstrukturiert dauerhaft flexiblen Arbeitsformen. Diese können durch ihre kurze Befristung und der Gefahr der Unterbeschäftigung ein
potenziell prekäres Arbeitsverhältnis sein, besonders wenn sie mit Unfreiwilligkeit gekoppelt
sind. Die Arbeitsformen der Kategorie der unstrukturiert temporär flexiblen Arbeitsverhältnisse
enthalten alle grundsätzlich Aspekte der Prekarität, die in den folgenden Kapiteln aufgezeigt
werden.
9
1.3. Dimensionen prekärer Arbeitsverhältnisse
Um aufzuzeigen, welche Aspekte aus einem flexiblen Arbeitsverhältnis ein potentiell prekäres
Arbeitsverhältnis machen, stützen sich Caritas (2001) wie auch Ecoplan (2010) auf die Definition von Rodgers. Laut ihm zeichnet sich Prekarität durch die Elemente von „Instabilität, Mangel an Schutz, Unsicherheit und sozialer und ökonomischer Verletzlichkeit“ aus (vgl. Rodgers,
1989, S. 3). Um diese Elemente objektiv und international vergleichbar darstellen zu können
hat Rodgers folgende vier Dimensionen gewählt, durch deren Kombination das Ausmass der
Prekarität eines Arbeitsverhältnisses bestimmt werden kann.
1. Grad der Arbeitsplatzsicherheit
2. Einfluss auf die Kontrolle über die Arbeitssituation
3. Vorhandensein von Schutzbestimmungen
4. Existenzsicherung
Rodgers betont, dass eine Dimension allein keine prekäre Arbeitslage ausmachen muss, sondern dass eine Kombination der oben genannten Faktoren dazu führt. Er geht davon aus, dass
die Grenzen bezüglich Prekarität fliessend sind und dass in jeder Situation anhand der aufgezeigten Dimensionen entschieden werden muss, ob ein prekäres Arbeitsverhältnis vorliegt
(vgl. Rodgers, 1989, S. 3). Im Folgenden werden die vier Dimensionen näher ausgeführt.
1.3.1. 1. Dimension: Grad der Arbeitsplatzsicherheit
Der Grad der Arbeitsplatzsicherheit lässt sich durch den Zeithorizont definieren, den ein Arbeitsverhältnis aufweist. Prekäre Arbeitsverhältnisse haben einen kurzen Zeithorizont und die
Gefahr des Arbeitsplatzverlusts ist stets hoch. Prekär Beschäftigte können sich deshalb der
Kontinuität ihres Arbeitsplatzes nie sicher sein (vgl. Caritas, 2001, S. 43). Laut Rieger et al.
(2012) sind temporär Angestellte als erstes von einem Stellenverlust betroffen, wenn das Arbeitsvolumen eines Unternehmens zurückgeht (vgl. S. 55). Der Handlungsspielraum der Beschäftigten wird durch die undefinierte Arbeitssituation beruflich wie privat stark eingeschränkt.
Die Unplanbarkeit aller Lebensbereiche führt laut Pelizzari (2009) zu einer psychischen Dauerbelastung (vgl. S. 33).
1.3.2. 2. Dimension: Einfluss auf die Kontrolle über die Arbeitssituation
Laut Caritas (2001) wird Arbeit dann prekär, wenn weder Gewerkschaften über einen GAV
oder die Beschäftigten selber Einfluss auf die Arbeitskonditionen, Löhne oder den Arbeitsrhythmus nehmen können (vgl. S. 43). Prekär Beschäftigte können sich ihre Arbeit nicht danach aussuchen, dass die Arbeitszeiten ihren Bedürfnissen entsprechen. Ein Grund, der dazu
10
führt, dass sie von den Konditionen des Arbeitgebers abhängig sind, ist ihre geringe Ausbildung. Bei Arbeit auf Abruf wird das Arbeitsvolumen kurzfristig und der Auftragslage angepasst
vom Arbeitgeber bestimmt. Die Einsatzzeiten werden dabei oft so kurzfristig mitgeteilt, dass
einerseits das Privatleben schlecht planbar wird und andererseits Frauen mit Erziehungsaufgaben vor schwierige Situationen betreffend Kinderbetreuung gestellt sind (ebd. S. 72-73).
Pelizzari sieht zudem besonders bei Arbeit auf Abruf eine hohe Abhängigkeit der Beschäftigten
gegenüber dem Arbeitgeber. Sie müssen die gegebenen Arbeitskonditionen akzeptieren, um
die Gunst des Arbeitgebers nicht zu verlieren. Denn der Goodwill des Arbeitgebers bestimmt
darüber, ob eine Person genügend und während gut gelegenen Arbeitsstunden beschäftigt
wird (vgl. Pelizzari, 2009, S. 37).
In diese Dimension gehören auch die Aspekte gleichberechtigte Integration ins Arbeitskollektiv
und Partizipationschancen am Arbeitsplatz. Diese werden prekär Beschäftigten unter anderem
dadurch verwehrt, dass sie nicht an betriebsinternen Informationsveranstaltungen und Weiterbildungsmassnahmen teilhaben können (Rieger, Pfister, Alleva, S. 55).
1.3.3. 3. Dimension: Vorhandensein von Schutzbestimmungen
Diese Dimension ist von grosser Bedeutung. Hier geht es um die Frage inwieweit Angestellte
durch das Gesetz, durch Gesamtarbeitsverträge oder durch Gewohnheitsrecht vor Diskriminierung, ungerechtfertigter Entlassung oder inakzeptablen Arbeitsbedingungen geschützt
sind. Dies beinhaltet Fragen rund um die soziale Absicherung in Bezug auf Kranken- und Unfallversicherung, Altersvorsorge und Arbeitslosenversicherung (vgl. Caritas, 2001, S. 43). Ecoplan (2010) unterteilt die Schutzunsicherheit in eine sozialstaatliche und eine juristische (vgl.
S. 32).
Sozialstaatliche Schutzunsicherheit
Prekäre Arbeitsformen weisen in verschiedenen Sozialversicherungsbereichen Nachteile auf.
Für die Betroffenen hat dies im Falle eines Unfalls, von Krankheit, bei Arbeitslosigkeit oder im
Alter grosse Auswirkungen.
In folgender Tabelle werden die rechtlich legalen Nachteile aufgeführt, die prekär Beschäftigte
in Bezug auf die Sozialversicherungszahlungen in Kauf nehmen müssen.
11
Tabelle 3 Darstellung der Sozialstaatlichen Schutzunsicherheit
Berufliche Vorsorge
Abgaben für die berufliche Vorsorge der 2. Säule sind für den Arbeitgeber erst
BVG
ab einem Jahreseinkommen von Fr. 21'150.- und nach einer über dreimonatigen Beschäftigung obligatorisch.
Nichtberufsunfall-
Der Abschluss einer Nichtberufsunfallversicherung für die Beschäftigten ist für
versicherung
den Arbeitgeber erst ab einer Arbeitszeit von über 8 Stunden pro Woche obli-
NBU
gatorisch. Keine Auszahlung von Unfalltaggeld im Falle eines Nichtberufsunfalls.
Krankentaggeld
Eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen ist gesetzlich nicht verankert.
KTG
Untersteht ein Arbeitsvertragsverhältnis keinem GAV und wird ein Einzelarbeitsvertrag ohne KTGV (Krankentaggeldversicherung) abgeschlossen, ist die angestellte Person im Krankheitsfall nur nach OR Artikel 324a Absatz 1 versichert.
D.h. Bei Verträgen unter 3 Monaten wird keine Lohnfortzahlung gewährt.
Arbeitslosentaggeld
Der Anspruch auf ALTG besteht nur, wenn der Erwerbstätige innerhalb der letz-
ALTG
ten 24 Monate während 12 Monaten arbeitstätig war. Kann dies infolge Unterbeschäftigung nicht nachgewiesen werden, werden die Ansprüche auf ALTG
abgelehnt.
Mutterschaftstaggel-
Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung bedingt eine obligatorische AHV-
der
Versicherung während der 9 Monate unmittelbar vor der Niederkunft. Dabei
muss die Frau während fünf der neun Monate erwerbstätig gewesen sein.
Juristische Schutzunsicherheit
Die juristische Schutzunsicherheit bezieht sich auf gesetzliche Vorgaben betreffend Kündigungsdauer und ungerechtfertigte Handhabung des Arbeitsrechts von der Arbeitgeberseite
her. Die Kündigungsfristen bei kurzen Arbeitsverhältnissen sind deutlich kürzer als bei längerdauernden. Dass sich reguläre Arbeitsverhältnisse in einer rechtlichen Grauzone bewegen
können und ohne Kläger kein Angeklagter vorhanden ist, zeigt die Aussage von Schuwey und
Knöpfel (2014). Sie betonen, dass vorhandene rechtliche Vorschriften oft übergangen und den
Arbeitnehmern ungerechtfertigt gekündigt werde. Zusätzlich werden Bestimmungen zu Mindestlöhnen oft missachtet. Die Arbeitnehmenden wehren sich nicht um ihre Arbeitschancen
auf dem zukünftigen Arbeitsmarkt nicht zu gefährden (vgl. S. 93).
1.3.4. 4. Dimension: Existenzsicherung
Prekäre Arbeitsverhältnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie kein existenzsicherndes
Einkommen garantieren und Armut zur Folge haben können. Unterbeschäftigung bei Arbeit
auf Abruf oder eine nicht kalkulierbare Anstellungsdauer bei temporär oder zeitlich befristet
12
Angestellten verunmöglichen es, dass die Beschäftigten ihr Gehalt im Voraus kennen. Als Definitionseinheit gilt in dieser Dimension die Bezeichnung des Tieflohns. Laut Bundesamt für
Statistik (BFS) beträgt ein Tieflohn zwei Drittel des schweizerischen medianen Bruttolohns.
Ein Tieflohn wurde 2010 mit 3986 Franken brutto pro Monat definiert. Der schweizerische Gewerkschaftsbund rechnete 2010 mit rund 437‘000 Tieflohnbeziehenden (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 95)
Beschäftigte im Tieflohnbereich sind im Falle einer Arbeitslosigkeit zusätzlich der Gefahr ausgesetzt, Sozialhilfeabhängig zu werden, da die ALTG höchstens 80% des vorherigen Lohnes
ausmachen (vgl. Mühle, 2014, S. 52).
Tabelle 4 Verteilung der Tieflohnstellen nach Wirtschaftszweigen und Geschlecht (2010)
Wie Tabelle 4 zeigt, sind in der Schweiz besonders viele Tieflohnstellen im Detailhandel, in
der Gastronomie und in der Beherbergung zu finden. Auffallend ist, dass in allen Bereichen
der Anteil an Frauen hoch ist. Dies auch bei den persönlichen Dienstleistungen, die Wäschereien, Coiffeur- oder Kosmetiksalons umfassen (vgl. BFS, 2012, S. 2).
1.3.5. Fehlende Massnahmen um sozialer Ausgrenzung vorzubeugen
Während die meisten Definitionen von prekären Arbeitsverhältnissen die vorhergehenden vier
Dimensionen von Rodgers enthalten, wird von Caritas eine fünfte Dimension dazu genommen.
Laut Caritas (2001) zeichnen sich prekäre Arbeitsformen zusätzlich dadurch aus, dass den
darin Beschäftigten die „Massnahmen fehlen, um sozialer Ausgrenzung vorzubeugen“. Damit
wird der Zwangscharakter und die Unfreiwilligkeit beleuchtet sowie die daraus resultierenden
fehlenden Handlungsalternativen der prekär Beschäftigten gegenüber den vorhandenen
13
Strukturen. Diese zusätzliche Dimension umfasst die bestehenden Herrschaftsstrukturen, die
Prekarität erst ermöglichen (vgl. S. 44-45). Laut Castel (2009) erlauben diese Herrschaftsstrukturen eine Wiederkehr der sozialen Unsicherheit. Die Dynamik der „Entkollektivierung“
und damit der „Re-Individualisierung“ löst das Individuum aus den kollektiven Sicherungsformen (vgl. S. 25). Die Herrschaftsstrukturen, die prekär Beschäftigte der Freiwilligkeit bei der
Wahl ihrer Arbeitsverhältnisse berauben, werden Thema des Kapitels 2 sein.
Um ein prekäres Arbeitsverhältnis objektiv fassbar zu machen, definieren es Ecoplan wie auch
Caritas darüber, dass zwei der vorgängig beschriebenen Dimensionen zutreffen müssen. Da
Caritas bei der Berechnung zusätzlich die Dimension der Freiwilligkeit miteinbezieht, ergeben
sich bei der Berechnung der Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse bei Caritas deutlich höhere
Zahlen (Caritas, 2001, S. 45).
1.4. Formen prekärer Arbeitsverhältnisse
Bezogen auf die Vorgangs erläuterten Dimensionen können verschiedene Arbeitskonstellationen in den Bereich von prekären Arbeitsverhältnissen fallen. Da diese Bachelorarbeit reguläre Arbeitsformen im Zusammenhang mit Unternehmen im Fokus hat, werden die folgenden
flexiblen Arbeitsverhältnisse beleuchtet:
1. Arbeit auf Abruf
2. Temporärarbeit
3. Befristete Arbeitsverträge
4. Scheinselbständigkeit
Diese vier Arbeitsformen zeichnen sich dadurch aus, dass das unternehmerische Risiko auf
die Arbeitnehmenden überwälzt wird. Positive Seiten ergeben sich daher nur für die Arbeitgebenden, die durch die maximale Flexibilisierung der Arbeitskraft die Lohnkosten des Betriebs
minimieren können. Die undefinierte Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse führt zu einer einseitigen Abhängigkeit der Arbeitnehmenden gegenüber dem Unternehmen (Caritas, S. 28).
Bei der Vorstellung der vier Arbeitsformen wird grossteils auf Daten von Ecoplan zurückgegriffen. Ecoplan stützt sich dabei auf Zahlen der schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE).
Die Daten sind in Bezug auf die Vollständigkeit kritisch zu hinterfragen, da sie zum einen
Grenzgängerinnen und Grenzgänger sowie Kurzaufenthalterinnen und -aufenthalter nicht erfassen, die insgesamt 5.5% der erwerbstätigen Bevölkerung in der Schweiz ausmachen und
die stark in Niedriglohnbereichen und atypischen Arbeitsverhältnissen tätig sind (Ecoplan,
2010, S. 67). Zum anderen beruhen die erhobenen Daten auf Hochrechnungen, da z.T. Aussagen der Befragten zum Einkommen fehlen (ebd. S. 54). Zusätzlich wird von Ecoplan, wie
14
schon erwähnt, bei den Berechnungen der Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse die Dimension
der Unfreiwilligkeit ausser Acht gelassen.
Aus diesen Gründen ergeben sich daher je nach Blickwinkel verschiedene Ergebnisse. Während Ecoplan im Jahr 2000 auf 3.8% kommt, fällt der Prozentsatz bei Caritas mit 10%, das
sind 430‘650 Beschäftigte, deutlich höher aus (vgl. Pelizzari, 2009, S. 38-39).
Im anschliessenden Kapitel werden die vier genannten Arbeitsformen und deren Verbreitung
beschrieben.
1.4.1. Arbeit auf Abruf
Als Arbeit auf Abruf werden alle Arbeitsformen bezeichnet, bei welchen das Unternehmen die
Beschäftigten abhängig vom Arbeitsvolumen zur Arbeit aufbietet. Die Einsätze werden sehr
kurzfristig festgelegt und die Arbeitnehmenden sind verpflichtet, diese wahrzunehmen. Arbeit
auf Abruf findet grossteils im Rahmen eines unbefristeten Vertrags statt. Da es Branchen wie
z.B. den Verkauf gibt, bei denen Arbeitspensen unter 50% vom GAV ausgeschlossen werden
können, nutzen Unternehmen diese Lücke um Lohnkosten zu sparen indem sie Einzelarbeitsverträge mit Arbeitspensen unter 50% abschliessen. Für die Beschäftigten resultiert daraus
eine sozialstaatliche Schutzunsicherheit. Das Risiko der schwankenden Arbeitsauslastung
wird in Arbeitsverträgen mit Aussagen wie „Arbeit unregelmässig, je nach Bedarf“ ohne Zusatzkosten für das Unternehmen auf die Arbeitnehmenden übertragen. Diese Praxis verunmöglicht es den Arbeitnehmenden jedoch, eine zusätzliche Arbeit einzugehen oder bei längeren Arbeitsunterbrüchen eine neue Stelle anzutreten, da sie an Kündigungsfristen gebunden
sind. Bei Unterbeschäftigung besteht kein Anspruch auf Arbeitslosentaggeld (vgl. Caritas, S.
70-72). Laut Pelizzari (2009) fallen zudem die Stundenlöhne der auf Abruf Beschäftigten 20%
tiefer aus als bei Normalbeschäftigten (vgl. S. 37).
Verbreitung von Arbeit auf Abruf
Arbeit auf Abruf ist mit 12% am stärksten im Gastgewerbe verbreitet, jedoch auch in privaten
Haushalten und sonstigen Dienstleistungen (11.3%), in der Immobilienbranche und anderen,
nicht genau definierten wirtschaftlichen Dienstleistungen (10.1%). Wie bereits bei den Tieflohnkategorien aufgezeigt, sind Frauen häufiger in diesen Branchen und auch in dieser Arbeitsform tätig als Männer (BSF, 2013, S. 14. EDI, 2015). Im Zeitraum von 2001 bis 2008 hat
Arbeit auf Abruf laut Ecoplan um 29.8% zugenommen (Ecoplan, 2010, S. 60).
15
Tabelle 5 Arbeit auf Abruf / Durchschnitt 2. Quartal 2005-2014
250'000
200'000
150'000
100'000
50'000
Arbeit auf Abruf
Minimum an
Arbeitsstunden nicht
garantiert
0
Tabelle 5 zeigt auf, dass Arbeit auf Abruf laut Bundesamt für Statistik [BSF] seit 2008 leicht
rückläufig ist. Waren 2002 noch 6.7% der Arbeitnehmenden davon betroffen, sind es 2012
noch 5.4%. Die Garantie, dass ein Minimum an Arbeitsstunden vergütet wird, ist dagegen im
Sinken begriffen. Wurde 2012 noch 48% der Beschäftigten auf Abruf ein Minimum an Arbeitsstunden garantiert, waren es 2014 nur noch ca. 42% der Beschäftigten (BSF, 2015c, BSF,
2013, S. 14).
Tabelle 6 Anzahl atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse: Arbeit auf Abruf
Ecoplan (2010) hat den Anteil der atypisch-prekären Arbeitsverhältnisse im Bereich von Arbeit
auf Abruf für die Jahre 2001 bis 2008 errechnet. In Tabelle 6 ist die kontinuierliche Zunahme
von ca. 44‘000 im Jahr 2001 auf ca. 56‘000 prekären Arbeitsverhältnissen im Jahr 2008 in
diesem Bereich ersichtlich (vgl. S. 91). Neuere Berechnungen zur Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse sind seit den Berechnungen von Ecoplan im Jahr 2010 nicht auffindbar.
16
1.4.2. Temporärarbeit
Eine weitere prekäre Arbeitsform ist der Bereich der Temporärarbeit über Personalverleiher.
Arbeitnehmende werden dabei über eine Personalverleihfirma an ein Unternehmen als Arbeitskraft vermittelt. Der Personalverleiher stellt erst die Arbeitnehmenden über einen Rahmenvertrag ein. Zusätzlich werden bei jedem Arbeitseinsatz von neuem einzelne Arbeitsverträge (Einsatzverträge) abgeschlossen, die Arbeits- und Lohnzahlungspflicht regeln. Zwischen
dem Einsatzbetrieb und den Arbeitnehmenden besteht keine direkte vertragliche Bindung.
Eine Personalverleihfirma ist nicht verpflichtet, den Arbeitnehmenden einen Einsatz anzubieten. Diese sind jedoch auch nicht verpflichtet, einen Einsatz anzunehmen. Das kann dazu
führen, dass Temporärarbeitnehmende zwischen den einzelnen Einsätzen kein Einkommen
erzielen (Caritas, 2001, S. 65).
Seit 2012 besteht ein GAV für Personalverleihfirmen. Dieser enthält jedoch weiterhin die vertragliche Schlechterstellung bezüglich Krankentaggeld, Kündigungsfristen und BVG-Beiträgen. Der Kündigungsschutz ist bei Temporärarbeitnehmenden deutlich reduziert. In den ersten
sechs Monaten beträgt er 2 bis 7 Tage, danach einen Monat. BVG wird bei kinderlosen Arbeitnehmenden erst ab dem vierten Monat obligatorisch (vgl. swissstaffing, 2015a). Pelizzari
(2009) weist zudem daraufhin, dass paritätische Kontrollen bei Temporärarbeitnehmenden ergeben haben, dass bei 10% der Angestellten die Mindestlöhne oder branchenüblichen Löhne
nicht eingehalten wurden (vgl. S. 36).
Verbreitung von Temporärarbeit
Diese Arbeitsform hat mit 85‘000 Beschäftigten im Jahr 1993 und 260‘000 Beschäftigten im
Jahr 2014 eine sehr deutliche Zunahme erfahren (vgl. swissstaffing, 2015b, S.24). Der Verlauf
ist in Tabelle 7 ersichtlich.
Tabelle 7 Anzahl Temporärarbeitende pro Jahr
17
Von den ca. 230‘000 von Swissstaffing im Jahr 2008 gesamtschweizerisch gezählten temporären Arbeitsverhältnissen bezifferte Ecoplan (2010) ca. 9000 Arbeitsverhältnisse als atypisch
prekär (vgl. S. 91; swissstaffing, 2015, S. 24). Während Ecoplan von einer Freiwilligkeit bei
den temporär Arbeitenden ausgeht, zeigte eine Umfrage von swissstaffing 2007, dass 60%
der temporär Arbeitenden nicht freiwillig in einer solchen Arbeitsform tätig sind (vgl. Pelizzari,
2009, S. 40). Dies würde bedeuten, dass mit dem zusätzlichen Element der Unfreiwilligkeit
deutlich mehr Beschäftigte in dieser Arbeitsform als prekär Arbeitende einzustufen wären.
1.4.3. Befristete Arbeitsverträge
Bei befristeten Arbeitsformen wird für jeden Arbeitseinsatz zwischen Unternehmen und Arbeitnehmenden ein neuer befristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen. Das Unternehmen kann den
Arbeitnehmenden nach Beendigung des Arbeitseinsatzes eine neue Beschäftigung anbieten
und diese sind frei, den Anschlussvertrag anzunehmen. In der Praxis wird diese Arbeitsform
gerne gewählt, um einen vorübergehenden erhöhten Bedarf nach Arbeitskräften abzudecken.
Oft entstehen daraus sogenannte Kettenverträge, wobei sich ein befristeter Arbeitsvertrag an
den nächsten reiht. Damit können die gesetzlichen Vorschriften wie zum Beispiel Zahlungen
an die Berufliche Vorsorge [BVG] und der Kündigungsschutz zum Schutz des Arbeitnehmenden umgangen werden. Gesetzlich gesehen sind solche Fortsetzungsverträge in bestimmten
Situationen als unbefristetes Arbeitsverhältnis zu behandeln, was praktisch jedoch schwierig
nachweisbar ist. In Perioden der Nichtbeschäftigung haben die Arbeitnehmenden keinen Lohn
und je nach Dauer der vorherigen Beschäftigung keinen Anspruch auf Arbeitslosentaggeld
(vgl. Caritas, 2001, S. 51-54). Problematisch und damit prekär werden solche befristeten Arbeitsverträge dann, wenn sie auf höchstens drei Monate ausgestellt sind und mit Unfreiwilligkeit verbunden sind. Die Arbeitnehmenden werden gerade bei hoher Arbeitslosigkeit fast dazu
gezwungen, das Arbeitsverhältnis trotz grosser Unsicherheiten anzunehmen. Andernfalls gehen sie das Risiko ein, nicht mehr aufgeboten zu werden oder andernorts keine Anstellung zu
erhalten (ebd. S. 51-54).
Verbreitung befristeter Arbeitsverträge
Das BFS (2011) bestätigt die hohe Zunahme von befristeten Angestelltenverhältnissen zwischen 2000 (4.5% aller Arbeitnehmenden) und 2010 (5.9%)(vgl. S. 15).
18
Tabelle 8 Befristete Arbeitsverhältnisse / 4. Quartal 2005-2014
160'000
140'000
120'000
100'000
80'000
60'000
40'000
20'000
0
Befristet, weniger als 6
Monate
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
Befristet, 6 Monate bis
weniger als 3 Jahre
In Tabelle 8 ist ersichtlich, dass die befristeten Arbeitsverhältnisse auch nach 2010 zugenommen haben. Verträge mit einer Dauer unter 6 Monaten haben von 83‘000 im Jahr 2010 auf
96‘000 im Jahr 2014 zugenommen. Die Verträge zwischen 6 Monaten bis drei Jahre haben
ebenso stark zugelegt, nämlich von 113‘000 im Jahr 2010 auf 152‘000 im Jahr 2014 (vgl. BFS,
2015a).
Tabelle 9 Anzahl atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse: Befristete Arbeitsverhältnisse
Befristete Arbeitsverhältnisse, die laut Ecoplan (2010) unter prekär eingestuft werden, sind in
Tabelle 9 aufgeführt. Sie haben zwischen 2001 und 2008 um 37.7% zugenommen. Während
2001 noch 43‘000 solcher Arbeitsverhältnisse verzeichnet wurden, stiegen sie bis 2008 auf
59‘000 (vgl. S. 60, S. 91).
1.4.4. Scheinselbständigkeit
In dieser Arbeitsform erbringt eine Person als selbständig Erwerbende oder Erwerbender arbeitnehmergleiche Tätigkeiten in einem Unternehmen, das sie oder er diesem in Rechnung
stellt. Typisch für als Scheinselbständig bezeichnete Arbeitende ist, dass sie meist nur für ei-
19
nen Auftraggebenden arbeiten und im Gegensatz zur echten Selbständigkeit stark in die Arbeitsorganisation der Auftraggebenden integriert sind. Die Problematik dieser Arbeitsform liegt
darin, dass die in dieser Form Beschäftigten das Risiko von Nichtbeschäftigung und dem Abschluss von Sozialleistungen wie AHV, BVG und Unfall selber tragen müssen (vgl. Ecoplan,
2010, S. 43).
Verbreitung von Scheinselbständigkeit
Da es laut BFS keine genaue Definition von Scheinselbständigkeit gibt, lassen sich Zahlen
nur über die Anzahl Auftraggeber einer selbständig erwerbenden Person ableiten. Insgesamt
arbeiteten 2004 73‘000 selbständig erwerbende Personen nur für einen Arbeitgeber. 41‘000
davon waren in ihrer Arbeitsweise in irgendeiner Form an die Vorschriften des Arbeitgebers
gebunden (vgl. BFS. 2006, S. 12-13).
Tabelle 10 Anzahl atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse: Scheinselbständigkeit
Obwohl die Erfassung der als scheinselbständig Tätigen schwierig ist, hat Ecoplan (2010) in
diesem Bereich zwischen 2001 und 2008 einen Rückgang der prekären Arbeitsverhältnisse
von 10‘500 auf 7000 festgestellt (vgl. S. 91).
1.5. Prekäre Arbeitsverhältnisse und Bildung
Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln die Strukturen und Dimensionen prekärer Arbeitsverhältnisse sowie potentiell prekäre Arbeitsverhältnisse beleuchtet wurden, wird in diesem
Abschnitt der Frage nachgegangen, ob bestimmte Personen aufgrund ihrer Ausbildung vermehrt in einem prekären Arbeitsverhältnis tätig sind. Danach wird aufgezeigt, in welchen Branchen prekäre Arbeitsverhältnisse vorwiegend zu finden sind.
20
Tabelle 11 Atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse nach höchster abgeschlossener
Ausbildung, in %, Entwicklung 1992-2008
Die Darstellung der Tabelle 11 von Ecoplan (2010) zeigt auf, dass die Chance, in einem prekären Arbeitsverhältnis tätig zu sein, mit abnehmender Bildung steigt (vgl. S. 72). Diese Auswertung wird gestützt durch die Aussage von Pelizzari (2009), dass im „Jedermanns“ -Teilzeitarbeitsmarkt Arbeitskräfte ohne spezifische fachliche und betriebsspezifische Bildung zu finden sind (vgl. S. 116). Personen auf Tertiärstufe sind kaum von Arbeit auf Abruf und Scheinselbständigkeit betroffen. Dafür ist bei Personen mit einer Tertiärbildung bei der Alterskategorie der 25 bis 39-jährigen ein Anstieg der befristeten Anstellungen zu verzeichnen. Dies ist auf
die zunehmende Anzahl Praktika von Studienabgängern in den letzten Jahren zurückzuführen
(vgl. Ecoplan, 2010, S. 76-78). Junge Erwerbstätige im Alter von 15 bis 24 Jahren sind auch
vermehrt bei den temporären Arbeitsverhältnissen zu verzeichnen. Ecoplan äussert die Vermutung, dass solche Arbeitsformen den aktuellen Bedürfnissen junger Erwerbstätigen entgegenkommen (ebd. S. 72). Dieser Vermutung betreffend Freiwilligkeit wird in dieser Arbeit nicht
weiter nachgegangen.
1.6. Prekäre Arbeitsverhältnisse und Branchen
Die Branchen, in denen prekäre Arbeitsverhältnisse anzutreffen sind, sind ziemlich deckungsgleich mit den Tieflohnbranchen in Kapitel 1.3.4.
21
Tabelle 12 Anteile atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse in einzelnen Wirtschaftsklassen 2002 und 2007
im Vergleich: SAKE-Auswertungen
In Tabelle 12 ist ersichtlich, dass das Gastgewerbe und sonstige Dienstleistungen (Entsorgungswesen, Unterhaltung, Kultur, Sport und persönliche Dienstleistungen) nach den privaten
Haushalten den grössten Anteil aufweisen. Die meisten Branchen haben einen leichten Zuwachs zwischen 2002 und 2007 zu verzeichnen. Erstaunlich ist der offensichtliche Zuwachs
in der öffentlichen Verwaltung. In Hochlohn-Branchen, vor allem im Bank- und Versicherungswesen, sind prekäre Arbeitsverhältnisse kaum anzutreffen (vgl. Ecoplan, 2010, S. 63-64).
1.7. Fazit/ Ausblick auf das nächste Kapitel
In diesem Kapitel wurde deutlich, dass prekäre Arbeitsverhältnisse flexible Arbeitsformen sind,
die mit einer hohen Unsicherheit verbunden sind. Dadurch, dass weder die Arbeitszeiten noch
die Anstellungsdauer klar geregelt sind und sie nicht denselben gesetzlichen Vorgaben wie
ein Normalarbeitsverhältnis unterstellt sind, bedeuten sie für die Beschäftigten durchwegs
eine hohe Unsicherheit in Bezug auf Schutz und ökonomische Absicherung. Dabei fällt auf,
dass der rechtliche Rahmen, den die Unternehmen regulär für sich nutzen können, sehr gross
ist. Auf die Ursachen des vorhandenen grossen rechtlichen Spielraums wird im nächsten Kapitel näher eingegangen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in den letzten sieben Jahren bei Arbeitsformen
wie Arbeit auf Abruf und Scheinselbständigkeit ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Die
Anzahl befristeter und temporärer Arbeitsverhältnisse ist jedoch gestiegen. Wieviele dieser
Arbeitsverhältnisse dabei als prekär einzustufen sind, kann für die letzten sieben Jahre nicht
genau beziffert werden. Davor, zwischen 2000 bis 2008, wurde jedoch ein Anstieg festgestellt.
22
Eine schwache Bildung erhöht die Gefahr, einer prekären Arbeitsform und den damit verbundenen Bedingungen ausgeliefert zu sein und dadurch keine alternativen Handlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung zu haben.
Nachdem nun die Dimensionen, die ein prekäres Arbeitsverhältnis ausmachen und vier reguläre Formen davon aufgezeigt wurden, wird im nächsten Kapitel der Fokus auf die Ursachenebene und damit die Faktoren gelegt, die die zunehmende Ausbreitung prekärer Arbeitsverhältnisse ermöglichen. Dafür wird zuerst die Metaebene des Gesellschaftssystems, d.h. die
ökonomische und die politische Ebene betrachtet, um danach auf der Mikroebene der Ökonomie, dem Unternehmen, den Ursachen der Prekarität auf die Spur zu gehen. Um die Gesellschaft auf der Metaebene betrachten zu können wird im Folgenden auf die strukturfunktionalistische Ansicht von Parsons und die daraus resultierende Systemtheorie zurückgegriffen. Mit
ihr lassen sich die Veränderungen, die in einer modernen Gesellschaft vor sich gehen, gut
darstellen.
2. Ursachenebenen der Prekarität
Laut der strukturfunktionalistischen Ansicht von Parsons besteht eine moderne westliche Gesellschaft aus den vier verschiedenen Subsystemen Ökonomie, Politik, gesellschaftliche Gemeinschaft und Kultur. Dabei grenzt sich jedes System vom anderen ab und hat seine eigene
Funktionsweise. Sie sind jedoch insofern miteinander verzahnt, dass sie aufeinander reagieren und Einfluss nehmen (vgl. Kneer, Schroer, 2009, S. 166-168). Prekäre Arbeitsverhältnisse
sind im ökonomischen System verortet. Politik hat jedoch einen Einfluss darauf und die Auswirkungen sind in der gesellschaftlichen Gemeinschaft zu spüren. Da die Handlungsfelder der
Sozialen Arbeit einerseits mit den politischen Vorgaben und andererseits mit der gesellschaftlichen Gemeinschaft verknüpft sind, werden in dieser Arbeit diese zwei Bereiche zusätzlich
zur Ökonomie betrachtet. Die nächsten Abschnitte behandeln die Veränderungen im ökonomischen System, die das Anwachsen von prekären Arbeitsverhältnissen in den letzten Jahrzehnten auslösten. Danach wird mit dem Fokus auf Arbeitsverhältnisse der Ursachenebene
im politischen System nachgegangen um danach auf ein Subsystem der Ökonomie, das Unternehmen, einzugehen.
2.1. Ökonomische Ebene
Das Wort „oikonomia“ nutzten die Griechen im Sinn von Haushaltung oder Verwaltung. Ökonomie bezog sich damals, wie auch heute, nicht nur auf grössere ökonomische Einheiten,
sondern auch auf kleine private (vgl. Sedlacek, 2009, S. 13-14). Heute wird als Synonym für
Ökonomie, je nach Kontext, das Wort Wirtschaft verwendet. In dieser Arbeit bezieht sich der
23
Begriff Wirtschaft oder Ökonomie auf die Gesamtheit aller Einrichtungen, die im Gesellschaftssystem für die Produktion von Gütern für den mittelbaren oder unmittelbaren Konsum sorgen
(vgl. Brockhaus, 2015).
2.1.1. Marktwirtschaft
Marktwirtschaft umfasst organisierte und selbständig handelnde Wirtschaftseinheiten, die die
vorhandenen knappen Mittel möglichst effizient zur Beschaffung, zur Produktion und zum Absetzen von Gütern und Dienstleistungen nutzen. Durch die Arbeitsteilung von Produktion und
Konsum, braucht es das Tauschmittel Geld zwischen Produzent und Konsument (vgl. Brockhaus, 2015). Diese Form von Wirtschaft wurde nur durch ein demokratisches politisches System möglich, das ein durch das Rechtssystem geschütztes Eigentum und die persönliche Freiheit garantiert. Erst das vom Staat zugesprochene Recht, die Erträge des Eigentums zu behalten, führte dazu, dass die Produzenten eine Gewinnoptimierung anstrebten. Dabei steht
die Optimierung von Aufwand und Ertrag wie auch die von Angebot und Nachfrage im Zentrum
(vgl. Brockhaus, 2015a). Diese gewinnorientierte Entwicklung hatte und hat zwei Kehrseiten.
Einerseits entwickelte sich Wohlstand und es entstanden Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite
ergaben sich für die Arbeiter und Arbeiterinnen am Anfang der Industrialisierung aufgrund tiefer Löhne, mangelhafter Arbeitsrechte und fehlender Existenzsicherheit bei Krankheit oder bei
Unfall äusserst prekäre Lebensbedingungen (vgl. Castel, 2009, S. 23). Die Auswüchse der
freien Marktwirtschaft im wirtschaftlichen System mit Kartellbildung sowie im sozialen System
mit Armut führten dazu, dass die Politik durch staatliche Regulationen die negativen Auswirkungen der freien Marktwirtschaft zu vermindern suchte (Brockhaus 2015a). Diese Kombination von Marktwirtschaft und staatlicher Regulierung ist die Basis der westlichen Wohlfahrtstaaten (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 145).
2.1.2. Wirtschaftliche Veränderungen ab 1980
Dörre (2009) sieht die Ursache für die Ausdehnung der prekären Arbeitsverhältnisse in Europa
in der Einführung einer neuen Form von Marktwirtschaft, dem Finanzkapitalismus. Bis ca. 1980
waren die Gewinne der Unternehmen ein Produkt realer wirtschaftlicher Leistungen. Mit der
Einführung des Finanzkapitalismus rückten die Aktienmärkte und damit der Aktienwert eines
Unternehmens ins Zentrum der Erfolgsrechnung eines Betriebs. Der Gewinn entspringt seitdem dem steigenden Marktwert eines Unternehmens über den steigenden Aktienkurs. Die
Steuerung der Unternehmen erfolgt seither über den Shareholder Value, d.h. die Managementebene richtet ihre Geschäftsstrategien kurzfristig nach dem Massstab der Rendite aus.
Dies, um den Aktienkurs und somit den Unternehmenswert zu halten und damit die anonymen
Eigentümer des Unternehmens, d.h. die Aktieninhaber, an Gewinn teilhaben zu lassen (vgl. S.
24
42-43). Entscheide auf der Managementebene orientieren sich seither kurzfristig an den Halbjahresabschlüssen. Um im Wettbewerb mit anderen Unternehmen der schwankenden Nachfrage nach Gütern gerecht zu werden, wurde eine immer flexiblere Produktion angestrebt. Aus
diesem Bedürfnis der Ökonomie entwickelte sich die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 92).
Dörre (2009) bezeichnet die Strategie, mit der die Wirtschaftseinheiten ihre Gewinne optimieren folgendermassen: Zum einen erfolge innerhalb des Wirtschaftssystems eine höchstmögliche private Aneignung eines durch die Arbeiterschaft erzeugten Mehrwerts. Zum andern
werde das Aussen der Wirtschaftseinheit aktiv hergestellt. Hier führt er die Zerstörung der
vorhandenen Arbeits- und Arbeitskräftestrukturen an, Dörre nennt diesen Vorgang „Ent-Kommodifizierung“. Er zählt dazu einerseits die Zerstörung von Industrien und die Erhöhung von
Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung. Andererseits die Senkung des De-Kommodifizierungsgrades, der über ein Absenken des Einkommens und der Lebensbedingungen unter einen Normalitätsstandard zur maximalen Freisetzung des Kapitals erreicht wird (vgl. S. 37).
Dörres Argumentation widerspiegelt sich in den in Kapitel 1 aufgeführten Zahlen und Erläuterungen zu den prekären Arbeitsverhältnissen.
Die Strategien, die innerhalb des Wirtschaftssystems angestrebt werden, sind die Produktionskostensenkung durch Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer und die Automatisierung der Produktion sowie die daraus folgende Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen zu
nennen. Im Folgenden werden diese drei Aspekte beleuchtet.
Auslagerung der Produktion
Um die Produktionskosten zu senken, wurden und werden in Westeuropa viele einfache Arbeitstätigkeiten aus dem Industriesektor in Billiglohnländer verlagert (vgl. Schuwey, Knöpfel,
2014, S.91). Der weltweite freie Kapitalfluss und der unterschiedliche Entwicklungsgrad der
Länder erlaubt es multinationalen Unternehmen, das tiefe Lohnniveau in anderen Ländern zu
nutzen um Arbeitende zu sehr tiefen Löhnen anzustellen. Ein weltweiter Konkurrenzdruck unter Arbeitnehmenden ist die Folge. Aufgrund der rechtlich vorgeschriebenen höheren Lohnkosten ist der Druck auf die Arbeitenden in sozial besser abgesicherten Ländern besonders
hoch (vgl. Bourdieu, 2004, S. 111).
Die Auslagerung der Produktion hat zur Folge, dass vor allem Arbeitsplätze mit einfachem
Anforderungsprofil für Arbeitende mit einer schwachen Qualifikation verschwinden. Die
dadurch entstehende höhere Arbeitslosenrate in diesem Arbeitssektor führt dazu, dass Arbeitnehmende sich auf unattraktive, flexible und prekäre Arbeitsverhältnisse einlassen, was es
den Unternehmen ermöglicht, durch das Umgehen von Sozialversicherungsleistungen Kosten
zu sparen (vgl. Bourdieu, 2004, S. 110). Dieser Mechanismus der Unfreiwilligkeit bestärkt die
25
Unternehmen darin, prekäre Arbeitsverhältnisse weiterhin anzubieten und den Arbeitsmarkt
dahingehend auszuweiten (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 155).
Automatisierung und Tertiarisierung
Eine weitere Auswirkung des weltweiten Wettbewerbs ist die zunehmende Technologisierung
und Automatisierung weiter Produktionszweige. Dies mit dem Ziel, die Produktionskosten zu
senken. Im Industriesektor verschwanden und verschwinden dadurch kontinuierlich Arbeitsplätze. Im Gegenzug erhöhte sich die Nachfrage nach Arbeitskräften, die eine höhere fachliche
und schulische Qualifikation aufweisen. Zusätzlich sind neue Arbeitsplätze vorwiegend im Tertiärsektor, d.h. im Dienstleistungsbereich entstanden. Das Bildungssystem wurde entsprechend geöffnet und ausgebaut. Die sogenannte „Bildungsexpansion“ führte dazu, dass heute
mehr Menschen einen höheren Bildungsabschluss ausweisen als noch vor einigen Jahrzehnten (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 21). Zusätzlich zur höheren Qualifikation von inländischen
Fachkräften wurde durch die auf politischer Ebene ausgehandelten Bilateralen Abkommen mit
der Europäischen Union [EU] und durch weitere internationale Abkommen der freie Personenverkehr international ermöglicht (vgl. EDA). Den Unternehmen steht dadurch ein internationaler Pool an Arbeitskräften zur Verfügung. Der Druck auf die inländische Arbeitnehmerschaft ist
dadurch deutlich gestiegen.
Flexibilisierung der Arbeit und der Löhne
Pelizzari (2009) sieht in dem durch die Globalisierung entstandenen weltweiten Wettbewerb
und der damit verbundenen stark schwankenden Nachfrage nach Dienstleistungen und Gütern die Ursache für die Einführung von flexiblen Arbeitsformen (vgl. S. 67). Die politisch und
gesellschaftlich akzeptierte vermehrte Einführung von atypischen Arbeitsverhältnissen wie
Nacht- und Sonntagsarbeit ist ein Ausdruck davon (vgl. SGB, 2012). Das Nutzen individueller
Ausnahmeregelungen betreffend Sozialversicherungsabgaben und Lohnbestimmungen für
Teilzeit Arbeitende sowie die Einführung von individuellen Leistungslöhnen ist ein weiterer
Ausdruck dafür, wie das Wirtschaftssystem innerhalb seines Systems das Minimaleinkommen
wie auch den Normalitätsstandard zu seinen Gunsten umgestaltet (vgl. Dörre, 2009, S. 41).
Die zunehmende Anzahl von befristeten Arbeitsstellen vor allem im Bereich Praktika lässt hier
die Frage aufkommen, ob die Minimierung von Einkommen und Lebensbedingungen jetzt
auch im Bereich der Tertiärbildung angekommen ist (vgl. Ecoplan, S. 120).
Die gewinnoptimierenden Unternehmen können dank Digitalisierung und modernen Kommunikationsmitteln ihre Produktionsstandorte über alle Kontinente hinweg ansiedeln. Bourdieu
(2004) nennt diesen Vorgang eine „Entterritorialisierung“ der Unternehmen. Damit entziehen
26
sich die „Netzwerk- Unternehmen“ zunehmend dem nationalen Einflussbereich einzelner Staaten. Da dieser Vorgang durch die Standortunabhängigkeit der Unternehmen für die gesamte
Welt einen globalen Wettbewerb zur Folge hat, ist das Schlagwort der „Globalisierung“ entstanden (vgl. S. 110).
Die Ausführungen haben aufgezeigt, dass durch die Einführung der Aktienmärkte eine kurzfristigere Strategie bei der Unternehmensführung Einzug hielt. Die angestrebte Produktionskostensenkung hat zu einer grundlegenden Neuausrichtung der Arbeitsverhältnisse geführt.
Einerseits verschwanden durch die Auslagerung der Produktion viele Arbeitsplätze im Industriebereich. Andererseits stieg die Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften im Tertiärsektor. Die Möglichkeit der internationalen Unternehmen, ihre Produktionsstandorte überall
auf der Welt zu installieren, führt zu einem hohen Druck auf die Arbeitnehmenden in sozial
besser abgesicherten Ländern, da durch die Sozialversicherungsabgaben die Lohnkosten
hoch sind. Die Auslagerung der Produktion, die Tertiarisierung und die Flexibilisierung von
Arbeit wie auch von Lohnstrukturen sind, wie aufgezeigt, im Innern des Wirtschaftssystems zu
verorten.
Die Anfangs Kapitel von Dörre beschriebene ökonomische Strategie der Gewinnoptimierung
durch die Senkung des De-Kommodifizierungsgrades enthält Vorgänge, die auch im Bereich
des gesellschaftlichen Subsystems Politik vor sich gehen. Diese Änderungen werden im folgenden Kapitel beschrieben.
2.2. Politische Ebene
Die Aufgabe der Politik aus einem systemtheoretischen Gesellschaftsverständnis heraus ist
die einer institutionalisierten Herrschaftsordnung. In dieser Funktion sorgt sie dafür, dass gemeinschaftliche Ziele formuliert und erreicht werden. Politik regelt die übergeordneten Ziele
der verschiedenen Systeme einer Gesellschaft. Die im Westen herausgebildete Form einer
liberal-demokratischen Herrschaftsstruktur entspringt den sich über lange Zeit gebildeten gemeinschaftlichen Zielen der einzelnen Staaten (vgl. Kneer, Schroer, 2009, S. 166-167).
2.2.1.
Entwicklung des Sozialversicherungssystems
Das erste übergeordnete Ziel, das für die Arbeiterschaft als bedeutend genannt werden kann,
ist das 1877 vom Bund erlassene erste schweizerische Fabrikgesetz. Die Stellung der Arbeitnehmenden wurde jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg mit der gesetzlich verankerten Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHV], der Beruflichen Vorsorge [BV], der
Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung [AVIG], der Invalidenversicherung [IV],
der Ergänzungsleistungen [EO], der Mutterschaftsversicherung [MV] und den Familienzulagen
[FZ] deutlich verbessert. Diese entwickelten sich nach dem Krieg während der wirtschaftlichen
27
Hochkonjunktur auf der Basis des Solidaritätsgefühls der nationalen Gemeinschaft heraus.
Durch die Massnahmen der sozialen Sicherung wurden die Menschen vom Arbeitsmarkt unabhängig, Schuwey und Knöpfel (2014) nennen diesen Vorgang in Anlehnung an Esping-Andersen „Dekommodifizierung“ (vgl. S. 147-148). Das soziale Absicherungsnetz, das die Arbeitnehmenden bis zu einem gewissen Grad vom Arbeitsmarkt unabhängig macht, entstand in
Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmenden (vgl. Carigiet et al. 2003, S.
286). Die Gesetzgebung orientierte sich dabei in der Schweiz an dem in der gesellschaftlichen
Gemeinschaft vorherrschenden traditionellen Familienbild mit einer klaren Rollenverteilung
zwischen dem Mann als Alleinernährer und der Frau als Hausfrau. Dies zeigte sich darin, dass
nur das Normalarbeitsverhältnis, in dem hauptsächlich der Mann tätig war, maximal abgesichert war. Frauentypische Berufe aus dem Dienstleistungssektor wurden lohnmässig deutlich
tiefer eingestuft und Teilzeitarbeitsverhältnisse, in denen Frauen aufgrund ihrer Doppelrolle in
Beruf und Familie tätig waren, sind trotz einiger Verbesserungen bis heute sozialversicherungsmässig schlechter abgesichert als das Normalarbeitsverhältnis. Unterstützt wurde und
wird diese Entwicklung dadurch, dass politisch für viele Tieflohnbranchen, wie Kosmetikinstitute, Callcenter oder im Verkauf, keine Gesamtarbeitsverträge oder Mindestlöhne angestrebt
wurden und werden (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 147-148). Ein Grund für diese schlechtere Absicherung sieht Dörre (2009) darin, dass der Dienstleistungssektor, in dem vorwiegend
Frauen tätig sind, seit jeher gewerkschaftlich schwach vertreten war und somit auch politisch
kein Gehör fand (vgl. S. 43). Dieses Versäumnis der Politik unterstützt die Bedürfnisse der
Wirtschaft betreffend einer Senkung des De-Kommodifizierungsgrades und nach flexiblen, befristeten und temporär Beschäftigten.
2.2.2. Gestaltung des Aussen
Welches sind denn nun die politischen Vorgänge, die zu einer „Ent-Kommodifizierung“ und
damit zur Senkung des De-Kommodifizierungsgrades der Arbeitnehmenden beitragen. In den
folgenden zwei Kapiteln werden die zwei Mechanismen genauer betrachtet.
„Ent-Kommodifizierung“ und Politik
Die weltweit verbundenen Systeme der Banken und Industrieunternehmen sieht Ortmann
(2012) als Auslöser für die globalwirtschaftlichen Prozesse. Die internationalen Verbundsysteme führen dazu, dass die nationale Politik mit vielen verschiedenen eigenständigen Akteuren
konfrontiert ist (vgl. S. 35). Mit Parsons wurde anfangs aufgezeigt, dass die Systeme der Politik
und Wirtschaft systemtheoretisch gesehen Handlungssphären mit je einer eigenen Funktionsweise sind. Ortmann widerspricht dieser Anschauung. Er führt an, dass Unternehmen als In-
28
teressengruppen, „die gezielt in den politischen Prozess investieren, um Veränderungen institutioneller Rahmenbedingungen herbeizuführen“, einen grossen Einfluss auf Recht und Politik
ausüben. Unternehmen können demzufolge die politischen Bedingungen, die die Arbeitsverhältnisse definieren, beeinflussen, d.h. sie können selber Einfluss auf die Legitimationsordnung nehmen, nach welcher sie in der Gesellschaft gemessen werden (ebd. S. 52-54).
Ortmanns Widerspruch kann mit der Argumentation des Soziologen Münch betrachtet werden.
Er hat die systemtheoretische Sichtweise zusätzlich mit einer handlungstheoretischen ergänzt.
Er zeigt auf, dass Ökonomie in die Handlungssphäre der Politik eingedrungen ist. Seine Theorie beinhaltet die Möglichkeit der „gegenseitigen Durchdringung verschiedener Handlungssphären“. Er nennt diesen Vorgang „Interpenetration“. Darunter versteht er „die Expansion in
die jeweils anderen Systeme und die Einverleibung fremdsystemischer Elemente“. Rollenträger des einen Systems greifen dabei in das andere System ein, um ihre Ziele dort durchzusetzen oder einzubringen (vgl. Kron, 2010, S. 96). Für Münchs Theorie spricht die Betrachtung
der Funktion der Organization for Economic Co-operation and Development [OECD] wie auch
deren Forderung. Als politische Organisation strebt sie „eine bessere Koordination zwischen
den Staaten und die Kohärenz von nationaler und internationaler Wirtschaftspolitik“ an. Laut
Eidgenössischem Departement für auswärtige Angelegenheiten [EDA] hilft die OECD mit „ihren analytischen Arbeiten und der sektoriellen Überwachungstätigkeit den Staaten, ihre wesentlichen Wirtschaftssektoren wettbewerbsfähig zu halten und strategische Neuausrichtungen zu vollziehen“ (vgl. EDA, 2015a). Um die Wettbewerbsfähigkeit der Staaten zu erhalten,
hat die OECD 1989 den Ländern Vorschläge für die maximale Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse in den Unternehmen unterbreitet (vgl. Caritas, 2001, S. 22). Diese Verschmelzung
von politischen und wirtschaftlichen Interessen widerspricht der systemtheoretischen Sichtweise und lässt sich Münchs Theorie der Interpenetration zuweisen. Die daraus entstehenden
politisch ausgehandelten Freihandels- und Personenfreizügigkeitsabkommen ermöglichen
den international agierenden Unternehmen maximale Freiheit bei den Transfers von Arbeitskräften und Produktionsgütern (vgl. EDA, 2015). Durch die daraus entstehende Überkapazität
an Arbeitskräften resultiert für die Beschäftigten jederzeit die Gefahr des Arbeitsverlusts. Zudem ermöglichen internationale Abkommen einem Unternehmen, jederzeit den Produktionsstandort verlagern zu können.
Bourdieu verurteilt die Androhung des Wirtschaftssystems, Industriezweige und Arbeitskräfte
fallen zu lassen, da dies eine Gefährdung der sozialen Sicherung und der De-Kommodifizierung der Arbeitnehmenden bedeutet (vgl. Bourdieu, 2004, S. 111)
29
Senkung des De-Kommodifizierunsgrades
Die Vorschläge der OECD zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Jahre
1989 enthielten Forderungen wie Senkung der Lohnkosten, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und Aufhebung der Arbeitsbeschränkungen. Bourdieu (2004) hält diese Forderungen
für äusserst bedenklich. Seiner Meinung nach zerstören diese Forderungen die vorhandenen
kollektiven Strukturen der Nationalstaaten. Einerseits werden Nationalstaatliche Vorgaben zunehmend durch multinationale Abkommen umgangen, die internationale Unternehmen vor
dem Zugriff der Nationalstaaten schützen sollen. Andererseits werden Lohngruppen mit ihren
einheitlichen Lohnstrukturen abgebaut und anstelle dessen werden individuelle Leistungslöhne eingeführt, die undurchschaubar sind und dem Einzelnen das Gefühl geben, dass Lohnunterschiede individuell entstehen. Die Individualisierung der Löhne anhand von Zielvorgaben
und die Bewertungsverfahren von Arbeitnehmenden sowie die Verknappung von Arbeit sieht
Bourdieu als einen Angriff auf die Solidarität des Kollektivs (vgl. S. 120-124). Diesen Mechanismus der Entsolidarisierung sieht auch Schultheis, und zwar in der Erosion der klassenpolitischen Verbände, die früher Schutz und Solidarität vermittelten (vgl. Schultheis, 2013, S. 47).
Die Angst, durch Auflehnung gegen die vorherrschenden Verhältnisse die Arbeitsstelle zu gefährden, verhindert, dass Festangestellte sich mit den Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen solidarisieren. Die Prekarität hat also nicht nur Auswirkungen auf die direkt Betroffenen,
sondern auch auf den Rest der gesellschaftlichen Gemeinschaft (vgl. Bourdieu, 2004, S. 109110). Und genau für die Zielformulierung dieses Kollektivs der gesellschaftlichen Gemeinschaft wäre, wie Anfang des Kapitels beschrieben, das politische System zuständig. Im Zusammenhang mit der aktuell verfolgten Sozialpolitik kann nochmals auf die Theorie von Münch
zurückgegriffen werden. Anstatt für gemeinsam formulierte Ziele der verschiedenen Systeme
zu sorgen und dadurch eine Stärkung des Kollektivs anzuregen und politische Entscheide mit
dem Medium Macht zu fällen, werden die Entscheide der Politik zunehmend durch die Anwendung des fremdsystemischen Mediums Geld mitbestimmt (vgl. Kron, 2010, S. 97-98). Für
diese These spricht zum einen die restriktivere Rentensprechung der IV und die Kürzungen
bei der Sozialhilfeberechnung. Zum anderen spricht dafür ein Blick auf die aktivierende Sozialpolitik mit deren Zurückdrängen der Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse der Wirtschaft,
der öffentlichen Arbeitgeber und in Sozialfirmen (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 155). Die
Aussage von Gerhard Schröder, Alt-Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, „ besser
mit weniger Schutz in den Arbeitsmarkt rein zu kommen, als mit viel Schutz draussen zu bleiben“ ist ein Beleg dafür, dass eine Senkung des De-Kommodifizierungsgrades bewusst in Kauf
genommen wird (vgl. Pelizzari, 2009, S. 43). Die jetzige Ausrichtung der staatlichen Sozialpo-
30
litik wirft die Frage auf, ob sie die Entwicklung der prekären Arbeitsverhältnisse zusätzlich unterstützt und zur Normalität werden lässt. Dieser Frage wird hier jedoch nicht tiefer nachgegangen.
Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die Wirtschaft zunehmend Einfluss auf politische Bereiche
nimmt, indem sie sich des Mediums Macht bedient und dadurch die kollektiven Strukturen der
gesellschaftlichen Gemeinschaft zerstört. Bourdieu sieht in dieser Machtposition von Unternehmen eine Herrschaftsform, wie es sie in den Frühzeiten der Industrialisierung schon einmal
gegeben hat (vgl. Bourdieu, 2004, S. 111).
2.3. Unternehmerische Ebene
In Kapitel 2.1 wurde der Prozess der Globalisierung auf der Metaebene der Ökonomie beschrieben, der Einfluss auf die Entstehung prekärer Arbeitsverhältnisse hat. In diesem Kapitel
werden die Ursachen der Prekarisierung auf der Mikroebene der Ökonomie beleuchtet. Bezug
nehmend auf Dörre in Kapitel 2.1.2 werden die Strategien der Unternehmen betrachtet, die
verfolgt werden um eine höchstmögliche private Aneignung eines durch die Arbeiterschaft erzeugten Mehrwerts zu erreichen. Angelehnt an Dörre handelt es sich hier um die vertieftere
Betrachtung der Gestaltung des Innern der Ökonomie.
2.3.1. Unternehmen
Betriebe oder Unternehmen sind in der Moderne „Wirtschaftsgüter produzierende oder Dienstleistungen erbringende wirtschaftliche“ Organisationen (vgl. Munzinger Duden, 2015, Ortmann, 2012, S. 34). Als dem System Ökonomie zugehörig, ist ihr Steuerungsmedium Geld.
Dementsprechend verfolgt ein Unternehmen, nebst der offiziellen Zielformulierung wie z.B.
“Entwicklung, Produktion und Montage von LED-Produkten“, auch das informelle Ziel der Gewinnoptimierung (vgl. Korte, Schäfers, 2010, S. 156).
Als Teil der Ökonomie ist ein Unternehmen mit den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen
der Flexibilisierung, Automatisierung und Tertiarisierung, wie in Kapitel 2.1 beschrieben, konfrontiert, unabhängig von seiner Rechtsform. Denn auch als Zulieferer oder Produzent für ein
börsenkotiertes Unternehmen ist ein Betrieb durch die „just in time“-Ausrichtung der Unternehmen den zeitlichen Schwankungen der Nachfrage ausgesetzt (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014,
S. 93). Um eine Zielerreichung garantieren zu können, muss ein Unternehmen auf diese Veränderungen reagierenkönnen (vgl. Abraham, Büschges, 2009, S. 246). Wie dies zu geschehen hat, zeigen die von der OECD 1989 ausgesprochenen Empfehlungen zuhanden der Unternehmen zur Erhöhung ihrer Wettbewerbsfähigkeit im globalen Wirtschaftsgeschehen. Die
Vorschläge für eine maximale Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse beinhalten eine flexible
Arbeitszeitregelung, Flexibilisierung der Lohnkosten, Förderung flexibler Arbeitsformen und
31
eine erhöhte innerbetriebliche Mobilität (vgl. Caritas, 2001, S. 22-23). Umsetzen lassen sich
diese Vorschläge in einem Unternehmen sowohl über eine interne Anpassung als auch über
die Gestaltung der externen Rahmenbedingungen (vgl. Abraham, Büschges, 2009, S. 247).
2.3.2. Externe Anpassung
Unternehmen ändern durch den Wandel ihrer Strukturen meist ohne Absicht die Verhältnisse
in ihrer sozialen Umwelt (vgl. Abraham, Büschges, 2009, S. 249). Durch das repetitive Durchlaufen neuer Arbeitsabläufe, wie zum Beispiel das Anstellen von Menschen in befristeten Arbeitsverhältnissen, verfestigen sich die gegen Aussen legitimierten Handlungen in einer Organisation und werden von den darin Handelnden als Normalität wahrgenommen (vgl. Ortmann,
2012, S. 48-50). Dadurch, dass eine Organisation flexible Arbeitsverhältnisse anbietet und
Menschen bereit sind, befristet, temporär und auf Abruf zu arbeiten, verändert sich der Arbeitsmarkt (vgl. Pelizzari, 2009, S. 39).
2.3.3. Interne Anpassungen
Die internen Anpassungen umfassen Änderungen, die ein Unternehmen intern umsetzt um die
Lohnkosten zu senken. Dazu ist ein Wandel der Organisationsstrukturen notwendig, der im
Folgenden beschrieben wird.
Wandel der Organisationsstrukturen
Um der stark schwankenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen nachzukommen,
ist eine sehr kurzfristig anpassbare Produktion nötig. Die „just in time“ Produktion hat den Ruf
nach flexiblen Arbeitskräften ausgelöst (vgl. Schuwey, Knöpfel, 2014, S. 92). Bei der Flexibilisierung des Arbeitskräftepools bedienen sich Unternehmen verschiedener Strategien.
Outsourcing
Einerseits findet eine Externalisierung bzw. ein Outsourcing gewisser Arbeitsbereiche statt,
die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören. Davon sind vorwiegend Dienstleistungstätigkeiten im Bereich der Reinigung, Verpflegung, Druckerei, Informatik und des Sicherheitsdienstes betroffen. Auch in staatlichen Betrieben fand eine Ökonomisierung statt, in deren Zusammenhang viele der oben genannten Bereiche an betriebsexterne Firmen ausgelagert wurden (vgl. Rieger et al., 2012, S. 18, Caritas, 2001, S. 24). Wie in Kapitel 1 beschrieben,
sind die genannten Bereiche diejenigen, welche besonders viele prekäre Arbeitsverhältnisse
aufweisen.
32
Splitting der Belegschaft
Eine weitere Strategie beinhaltet ein Splitting der Arbeitnehmerschaft in eine Stammbelegschaft mit stabilen und gut bezahlten Arbeitsverhältnissen und in eine temporär und befristet
angestellte Belegschaft. Die OECD nennt sie „mobile Arbeitnehmende“. Sie werden eingesetzt
um schnell auf Nachfrageschwankungen reagieren zu können (vgl. Caritas, 2001, S. 24). Die
starke Zunahme der Temporärarbeit ist ein Resultat dieser externen Flexibilisierungsmassnahme.
Eine weitere Strategie beinhaltet das Aufteilen von Unternehmen in kleine autonom arbeitende
Einheiten, die dann als Profit Center nach dem ökonomischen Prinzip der Gewinnoptimierung
arbeiten müssen (vgl. Castel, 2009, S. 25). Die dadurch vermeintlich messbare Leistung eines
Teams kann so für die Einführung einer Lohnflexibilität mit individuellen Leistungslöhnen genutzt werden (vgl. Caritas, 2001, S. 25). Castel (2009) ordnet dieser Strategie die Entstehung
von aus dem Unternehmen gelösten Tätigkeitsbereichen für Subunternehmer bzw. Scheinselbständige zu (vgl. S. 25).
Employability
Eine weitere Empfehlung der OECD umfasst die innerbetriebliche Mobilität der Arbeitnehmenden. Dabei wird angeregt darauf zu achten, dass Arbeitnehmende in einem Betrieb möglichst
vielfältig einsetzbar sind, um betriebliche Schwankungen intern abdecken zu können (vgl Caritas, 2001, S. 23-24). Schultheis (2013) bringt hier das Prinzip der „employability“ ins Spiel. Der
Duden bezeichnet employability als „Einsetzbarkeit im Beruf; Fähigkeit, auf dem Arbeitsmarkt
zu bestehen“ (Duden, 2015). Es hat sich herausgestellt, dass gewissen Menschengruppen
von vornherein eine employability abgesprochen wird. Schultheis belegt dies mit einer Studie,
in der sich herauskristallisiert hat, dass beim Ausleseprozess von Arbeitsstellenanwärterinnen
und -anwärter vorwiegend Mütter mit Kindern, Menschen über 45 Jahren, Menschen mit einem
geringen schulischen Kapital und Personen mit gesundheitlichen Problemen aussortiert werden (vgl. Schultheis, 2013, S. 43-45). Diese Erkenntnisse decken sich mit den Aussagen aus
Kapitel 1 betreffend der Personengruppen, die in prekären Arbeitsverhältnissen zu finden sind.
Dank der Flexibilisierung ist es möglich, die Fixkosten bei der Produktion von Gütern und
Dienstleistungen zu reduzieren. Durch die nur bei Arbeitsanfall zu bezahlenden Löhne können
die Lohnkosten tief gehalten werden (vgl. Caritas, 2001, S. 23). Dadurch, dass Teilzeitverhältnisse im GAV ausgeklammert werden können, begrenzen sich die Sozialversicherungsleistungen der Unternehmen auf ein Minimum.
33
2.3.4. Moralische Arbeitsteilung
Ortmann (2012) führt als einen weiteren Grund für die Entstehung prekärer Arbeitsformen die
Arbeitsteilung in Organisationen an. Seiner Meinung nach entsteht durch die funktionale Spezialisierung eine geistige und praktische Distanz der Handelnden zum Resultat ihres Handelns. Daraus resultieren weniger moralische Zweifel am eigenen Handeln. Zum Beispiel hat
die Fachperson der Personalabteilung, die die Temporärarbeitenden beim Temporärbüro abruft, keine direkte Verbindung zu den temporär Beschäftigten und dadurch auch keinen Bezug
zu den Existenznöten dieser Arbeitnehmenden. Falls ihr beim Anblick der im Betrieb prekär
Beschäftigten doch noch irgendwelche moralischen Zweifel aufkommen, kann sie sich auf das
Regelwerk des Unternehmens berufen (vgl. S. 38-41). Die oft gehörte Aussage „wenn es alle
tun, …, kann es nicht so schlimm sein“ bestätigt die Aussage Ortmanns (ebd. S. 43-44).
2.4. Fazit
In diesem Kapitel wurde aufgezeigt, dass der Finanzkapitalismus in den 1980er- Jahren eine
neue Form von Unternehmensführung ausgelöst hat. Durch die Einführung von Aktiengesellschaften wurden Unternehmen zum Eigentum anonymer Aktienbesitzer, die eine fortwährende
Marktsteigerung eines Unternehmens und damit einen steigenden Aktienkurs anstrebten. Die
daraus resultierende kurzfristig ausgerichtete und gewinnorientierte Unternehmensplanung
führte zur Auslagerung von niederschwelligen Arbeitsplätzen ins Ausland und zu einer politisch
gestützten Flexibilisierung der Arbeitsformen. Das Outsourcen verschiedener Arbeitsbereiche,
die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören, und die Einführung mobiler Arbeitnehmenden wurden zur Norm. Diese verschiedenen Strategien der Unternehmen um eine
Lohnkostensenkung und eine just in time-Produktion zu erreichen, öffneten den Markt für die
verschiedenen Formen der prekären Arbeitsverhältnisse. Durch das Prinzip der employability
und der damit verbundenen Freisetzung von Arbeitnehmenden aus dauerhaften und strukturierten Arbeitsformen, werden Anwärterinnen und Anwärter für den prekären Arbeitsmarkt geschaffen.
3. Auswirkungen der Prekarisierung
Nachdem in den vorhergehenden Kapiteln die Ursachenebene der prekären Arbeitsverhältnisse auf der ökonomischen und politischen Ebene beleuchtet wurde, wird in diesem Kapitel
den Auswirkungen der Prekarität nachgegangen. Da sich diese Bachelorarbeit mit Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit Unternehmen auseinandersetzt, werden die
Auswirkungen als erstes auf der betrieblichen Ebene dargestellt. Einerseits haben betriebliche
Auswirkungen einen Einfluss auf die Menschen, mit denen die Soziale Arbeit in Kontakt
34
kommt. Andererseits können sie sich negativ auf die Zielerreichung eines Unternehmens auswirken. Hier besteht für die Soziale Arbeit ein Schnittpunkt, bei dem sie in der Beratung im
Unternehmen ansetzen kann. Da der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Zentrum des Handelns der Sozialen Arbeit steht, werden in einem zweiten Abschnitt die Auswirkungen der prekären Arbeitsverhältnisse auf das Individuum betrachtet. Ein Individuum ist Teil
der gesellschaftlichen Gemeinschaft und somit hat seine Befindlichkeit Auswirkungen auf
diese. Vorgänge in der gesellschaftlichen Gemeinschaft können wiederum empfindliche Auswirkungen auf die Ökonomie und die Soziale Arbeit haben. Daher werden in einem dritten Teil
die Auswirkungen auf das Gesellschaftssystem ausgeleuchtet.
3.1. Betriebliche Auswirkungen
In einem Betrieb durchgeführte Reorganisationen mit Personalabbau und Arbeitsflexibilisierungen gehen nicht spurlos am verbleibenden Teil der Belegschaft vorbei. Die in einem Normalarbeitsverhältnis arbeitenden Angestellten nehmen die Veränderungen wahr und hinterfragen ihre Stellung in und ihre Beziehung zu ihrer Arbeitsorganisation. Abraham und Büschges
(2009) führen dies auf die in diesem Fall eintretende Veränderung der Organisationsrolle jedes
Einzelnen zurück. Jede Veränderung wirkt sich auf deren individuelle Situation und die bis
anhin als selbstverständlich betrachteten Handlungsmöglichkeiten und Einflusspotentiale in
der beruflichen Rolle aus (vgl. S. 255). Die dazu kommende Unsicherheit betreffend Arbeitsplatzsicherheit oder innerbetrieblicher Entwicklungsmöglichkeiten kann die Bereitschaft für
eine berufliche Neuorientierung auslösen (ebd. S. 208).
3.1.1. Änderung der Identifikation
Die Bereitschaft zur Ablösung vom Betrieb wird untermauert durch die Erkenntnisse, die Grote
und Raeder (2002) in einer Studie mit Mitarbeitenden aus von Umstrukturierungen betroffenen
Unternehmen machten. Besonders in Unternehmen, die viele Flexibilisierungsmassnahmen
einführten und laufend reorganisierten, haben Grote und Raeder einen deutlichen Wandel weg
vom „traditionellen“ hin zu einem „neuen“ psychologischen Vertrag gegenüber dem Arbeitgeber festgestellt. Sie fanden heraus, dass Loyalität und Identifikation mit einer lebenslangen
Beschäftigung im selben Betrieb gegen Eigenverantwortung für die Entwicklung der eigenen
Fähigkeiten eingetauscht wurde. Dies mit dem Ziel, die eigene employability zu erhalten oder
zu erhöhen. Diese Erkenntnisse ergaben sich aus Aussagen wie „Wenn Mitarbeiter nicht mehr
loyal sind, optimieren sie sich selbst“ (vgl. S. 126-127). Daraus haben Grote und Raeder abgeleitet, dass die betriebliche Identifikation zunehmend von der beruflichen Identifikation abgelöst wird. Für Arbeitnehmende wird es wichtiger, eine individuell und selbstbestimmt gestaltete berufliche Biografie zu verfolgen, die im Einklang mit privaten Interessen und Fähigkeiten
35
ist (vgl. Grote, Raeder, 2002, S. 130). Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass die Elemente
der Entkollektivierung und Re-Individualisierung, denen prekär Beschäftigte unfreiwillig ausgesetzt sind, auf der anderen Seite von Festangestellten, die zu den Gewinnern in diesem
Transformationsprozess gehören, eingefordert werden, um ihre beruflichen Möglichkeiten zu
erweitern. Aufgrund der fehlenden Kapitalien im Sinne Bourdieus fehlen prekär Beschäftigten
laut Castel die Möglichkeiten für eine Selbstoptimierung. Für sie steht wegen der finanziellen
Absicherung die Zugehörigkeit zu einer Organisation im Zentrum (vgl. Castel, 2009, S. 26,
Abraham, Büschges, 2009, S. 200). Dieses unterschiedliche Bindungsverhalten gegenüber
dem Unternehmen teilt die Angestellten in zwei Lager auf.
3.1.2. Grenzziehung
Wie schon ausgeführt wurde, gehen Flexibilisierungsstrategien in Unternehmen einher mit der
Bildung einer Kernbelegschaft und den zeitlich unterschiedlich dazu stossenden mobilen Arbeitnehmenden. Diese ständig wechselnden Formationen haben auf beide Seiten der Belegschaft Auswirkungen. Für diese Betrachtung eignet sich die Grenzziehungsperspektive von
Lamont und Molnar (2002). Sie unterscheidet symbolische und soziale Grenzen. Symbolische
Grenzen werden von Lamont und Molnar als von Menschen konstruierte Kategorien beschrieben, die dazu dienen, die Umwelt in normierte Kategorien einzuordnen und dadurch einen
erwünschten Status zu erlangen. Soziale Grenzen sind die objektivierten Auswirkungen der
Grenzziehung, daraus kann ein ungleicher Zugang zu materiellen Gütern oder angestrebten
Ressourcen resultieren (vgl. S. 168). Allein schon durch die Kategorie eines anderen Anstellungsverhältnisses zieht sich die Grenze symbolisch durch die Belegschaft. Ein Schliessungsprozess ergibt sich durch die unsichere Anstellungsdauer und Präsenzzeit der Einen und der
sicheren Arbeitsform der Anderen. Cingolani (2013) spricht von einer Spaltung des Arbeitskollektivs, ausgelöst durch die nur zeitweise vorhandene Mitgliedschaft, die die Teilhabe am Solidaritätsgefühl des Arbeitskollektivs verunmöglicht. Mit der symbolischen Grenzziehung versucht sich das unbefristet angestellte Personal in einem vermeintlich sicheren Status zu stabilisieren (vgl. S. 27). Aus der symbolischen Grenzziehung ergibt sich die soziale Grenzziehung. Der von Korte und Schäfers (2010) beschriebene Zugang zu den informellen Strukturen
einer Organisation bleibt den prekär Beschäftigten verschlossen. Freundschaften, der Aufbau
von persönlichen Sympathien, die soziale Zugehörigkeit und die Anerkennung ihrer Person
sind ihnen verwehrt und lässt sie alleine dastehen (vgl. S. 157). Die soziale Grenzziehung
umfasst auch den Ausschluss der befristet Angestellten von Weiterbildungsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens (vgl. Rieger et al., 2012, S. 55). Die Grenzziehung verhindert eine
Solidarität zwischen den befristet Angestellten und den Vollzeitangestellten (vgl. Cingolani,
2013, S. 27). Hier kann ironisch angemerkt werden, dass dieser Prozess dem Unternehmen
36
zugutekommt. Denn würde die Grenzziehung eine Solidarität aller im Betrieb angestellten Personen umfassen, könnte diese Bündelung der Ressourcen in einem kollektiven Protest gegen
die herrschenden Arbeitsbedingungen enden (vgl. Abraham, Büschges, 2009, S. 250). Dies
wäre der ökonomischen Zweckerreichung einer Organisation nicht dienlich.
3.1.3. Spezifisches Fachwissen
Eine weitere Auswirkung der prekären Arbeitsverhältnisse in einem Unternehmen kann die
fehlende Bereitschaft des prekär angestellten Personals sein, sich spezifisches Fachwissen
anzueignen. Piketty führt unsichere Löhne als einen Grund an, dass sich Mitarbeitende „nicht
in erforderlichem Masse für das Unternehmen einsetzen“. Damit meint er die Aneignung von
Wissen, das nur spezifisch in dieser Firma gebraucht wird und somit einen beschränkten Nutzen für den Arbeitnehmenden hat (vgl. Piketty, 2014, S. 412). Hier kann das Argument eingebracht werden, dass in den Branchen, in denen prekär Beschäftigte arbeiten, kein spezifisches
Fachwissen nötig ist. Jede und jeder, der oder die jedoch schon mit kompetentem Servicepersonal, interessierten Sekretariatsmitarbeiterinnen und sauber geputzten Hotelzimmern zu tun
hatte, wird dieses Argument anzweifeln und anerkennen, dass die Reputation einer Organisation auch mit den Fähigkeiten der prekär Angestellten verknüpft ist. Eindrücklich ist dazu auch
eine Aussage aus einem Interview mit einer arbeitnehmenden Person aus einem umstrukturierten Betrieb: „Irgendwann muss man wieder auf die Mitarbeiter umschwenken, sonst verliert
man sie; man kann keine exzellente Leistung bekommen, wenn man die Mitarbeiter nicht mehr
bei sich hat“ (vgl. Grote, Raeder, 2002, S. 126).
Die Auswirkungen prekärer Arbeitsformen in einem Unternehmen beinhalten also eine Entsolidarisierung auf verschiedenen Ebenen. Einerseits zerfällt die Solidarisierung der Einzelnen
mit dem aktuellen arbeitgebenden Betrieb und andererseits das Arbeitskollektiv der Angestellten. Die dadurch fehlende Fähigkeit des kollektiven Protestes führt dazu, dass prekäre Arbeitsformen immer weitere Kreise ziehen können. Zunehmende befristete Arbeitsformen in Form
von Praktika, auch bei Personen mit einer Tertiärbildung, könnten ein Hinweis darauf sein.
3.2. Individuum
Die fünf Dimensionen, die in Kapitel 1 beschrieben sind und die als Raster zur Bezeichnung
eines prekären Arbeitsverhältnisses dienen, haben direkte Auswirkungen auf die arbeitnehmende Person. In diesem Kapitel wird daher das Augenmerk auf die Mikroebene der gesellschaftlichen Gemeinschaft gelegt. Es wird der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen
prekäre Arbeitsverhältnisse auf die Lebenslage eines Menschen haben können. Dabei wird
das Wort „können“ bewusst gewählt. Denn eine prekäre Beschäftigung bedeutet nicht automatisch eine prekäre Lebenslage. Bezug nehmend auf Kraemer (2009) ist es vielmehr analog
37
der prekären Beschäftigung, dass das subjektive Empfinden darüber entscheidet, was als prekär wahrgenommen wird. Klassifikationen dienen allein dazu, statistische Zahlen möglich zu
machen (vgl. S. 246). In der Praxis kann es dadurch passieren, dass die Professionelle der
Sozialen Arbeit das Arbeitsverhältnis einer Klientin oder eines Klienten als prekär einstuft,
während diese oder dieser diese Einschätzung weit von sich weist.
Da eine prekäre Beschäftigung nicht nur Auswirkungen auf das Salär hat sondern auf die
ganze Person, wird in diesem Kapitel auf das psychologische Konzept der fünf Säulen der
Identität von Petzold zurückgegriffen. Die fünf Säulen beinhalten die Aspekte der Leiblichkeit,
der sozialen Beziehungen, von Arbeit/Leistung/Freizeit, der materiellen Sicherheit und der
Werte und Normen. Diese fünf Säulen machen die Identität einer Persönlichkeit aus (vgl. Riechert, 2015, S. 15-16). Sie stehen in einer Wechselwirkung zueinander und können sich entweder positiv oder negativ beeinflussen (ebd. S. 21). Die Wechselwirkung wird bei der Vorstellung der fünf Säulen ersichtlich.
3.2.1. 1. Säule der Identität: Leiblichkeit
Die erste Säule umfasst nicht nur den Körper mit einer guten Gesundheit, sondern auch ein
gutes Körpergefühl und Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen. Dabei steht Integrität des
Körpers versus Verlust oder Beschädigung von Gesundheit und Leistung als Garant für Identität (vgl. Riechert, 2015, S.17).
„Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit (…) werden mit einem bewegungsaktiven Lebensstil
und (…) einem sorgsamen Umgang mit sich selbst erreicht und gefördert“ (vgl. Petzold, 2001, S. 52,
zit. in Riechert, 2015, S. 17).
Viele Erkenntnisse aus Studien zum Thema Gesundheit und Ernährung deuten darauf hin,
dass dieser Bereich stark mit dem Wohlergehen einer Person und der darausfolgenden Stellung in der Gesellschaft verknüpft wird. Ein Ausdruck davon ist eine Studie des Genfer Arbeitsinspektorats, die nachgewiesen hat, dass in der Schweiz eine gesundheitliche Ungleichheit
besteht, die vom sozioökonomischen Status einer Person abhängt. In Zahlen heisst das, dass
ein ungelernter Arbeiter vier Jahre weniger lang lebt und zwölf Mal häufiger invalid wird als ein
Akademiker (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 9-10). In den vorherigen Kapiteln wurde ersichtlich,
dass in prekären Arbeitsverhältnissen vorwiegend Personen mit einer schwachen Bildung zu
finden sind. Deshalb betreffen die folgenden Darlegungen auch Personen, die in prekären
Arbeitsformen tätig sind.
38
Tabelle 13 Invalidität nach sozioprofessionellen Kategorien, in Prozent
Aus Tabelle 13 ist der oben genannte Unterschied in Bezug auf die Invalidität nach Berufskategorien ersichtlich. Um diesen genauer zu betrachten, kann auf die Aussagen einer Gesundheitsbefragung aus dem Jahre 2002 des Kantons Zürich zurückgegriffen werden. Sie besagt,
dass Personen im Alter zwischen 35 und 54 Jahren, die nur eine obligatorische Schulbildung
abgeschlossen haben, zwischen 23.3% (Männer) und 37,2% (Frauen) über körperliche Beschwerden klagen. Bei Personen mit einer höheren Bildung sind es mit 15.3% (Männer) und
27.9% (Frauen) deutlich weniger. Das Risiko, an einer chronischen körperlichen und psychischen Krankheit und Behinderung zu leiden, nimmt mit sinkendem Einkommen und verminderter Bildung zu (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 43).
Bezug nehmend auf Petzold, der die Leiblichkeit mit einem bewegungsaktiven Lebensstil in
Verbindung bringt, ist folgende Aussage relevant. Laut BFS aus dem Jahre 2000 geht eine
abnehmende soziale Position einher mit einem schlechteren Bewegungsverhalten und einer
ungesünderen Ernährungsweise (ebd. S. 63). Hier kann auf Bourdieu zurückgegriffen werden,
der schon 1987 aufgezeigt hat, wie deutlich sich die Ernährungsweise verschiedener Berufsgruppen voneinander unterscheidet (vgl. Bourdieu, 2012, S. 292-304).
Villiger und Knöpfel (2009) präsentieren dafür verschiedene Erklärungsansätze. Ein erster Erklärungsansatz stammt von Abel, der sich bei seinen Erklärungen stark auf Bourdieus Kapitalien bezieht. Er zeigt auf, dass anhand des ökonomischen, des sozialen und des kulturellen
Kapitals gesundheitsrelevantes Wissen via Bücher, Gespräche und Bildung erworben werden
kann, was sich dann in einem Habitus niederschlägt, der einen gesundheitsrelevanten Lebensstil beinhaltet. Durch das kulturelle Kapital wird der gesundheitsrelevante Lebensstil an
die nächste Generation weitergegeben und reproduziert sich so weiter (vgl. S. 64-65). Eindrücklich wird dies untermauert durch Erkenntnisse des Robert Koch Instituts von 2005. Diese
zeigen auf, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien häufiger Sehstörungen, Sprachauffälligkeiten, psychomotorische Defizite, psychiatrische Erkrankungen sowie emotionale und
39
soziale Störungen aufweisen und einer erhöhten Unfall- und Verletzungsgefahr ausgesetzt
sind (ebd. S. 70).
Ein zweiter Erklärungsansatz ist der psychosoziale Erklärungsansatz. Er geht davon aus, dass
prekäre Arbeitsverhältnisse und Angst vor Arbeitslosigkeit Stress verursachen. Der dauernd
anhaltende Zustand der Alarmbereitschaft entzieht dem Körper Energien und Ressourcen. Die
Anfälligkeit für Krankheiten wie Infektionen, Bluthochdruck, Herzinfarkt oder Depressionen
steigt. Anhaltender Stress begünstigt zudem den Gebrauch von Nikotin und Alkohol, da diese
Substanzen entspannend wirken, was sich langfristig wiederum negativ auf die Gesundheit
auswirkt (ebd. S. 57).
Zusammengefasst kann von diesen Aussagen abgeleitet werden, dass durch ein tiefes Einkommen und eine schwache Bildung die Mittel fehlen, um sich Wissen über Gesundheit und
Ernährung aus Büchern oder Kursen anzueignen. Vielfach fehlen grundsätzlich die ökonomischen Ressourcen, um überhaupt gesunde Nahrung kaufen zu können. Die Säule der Leiblichkeit ist bei prekär Beschäftigten einer starken Gefährdung ausgesetzt.
3.2.2. 2. Säule der Identität: Soziale Beziehungen
Die zweite Säule der Identität umfasst die sozialen Beziehungen: Familie, Freunde, Nachbarschaft, kollegiale Beziehungen, jedoch auch Beziehungen zu ganz unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Kontexten (vgl. Riechert, 2015, S. 17). Die Aussage Aristoteles,
der den Menschen mit dem Begriff des Zoon politikon, einem sozialen, auf Gemeinschaft angelegtes und Gemeinschaft bildendes Lebewesen beschreibt, zeigt die zentrale Wichtigkeit
dieser Säule für den Menschen auf (vgl. Ritscher, 2007, S. 55). Wie schon bei der Gesundheit
sind auch hier zahlreiche Studien durchgeführt worden, die durchwegs einen Zusammenhang
zwischen prekären Arbeitsverhältnissen und dem sozialen Netz eines Menschen aufzeigen.
Soziale Ressourcen werden dabei grundsätzlich als gesundheitsfördernd und Ich-stärkend
wahrgenommen, nicht nur in Belastungssituationen. Studien haben ergeben, dass Personen
mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ein weniger dichtes Netzwerk aufweisen als
Personen mit einem höheren Status. Ein Mangel an sozialer Unterstützung bedeutet deshalb
eine soziale Risikosituation, die eine höhere Erkrankungsgefahr mit sich bringt (vgl. Villiger,
Knöpfel, 2009, S. 61).
Einen Grund für weniger Kontakte bei prekär Beschäftigten thematisiert Cingolani (2013). Die
kurzfristig angesetzten Arbeitspläne der prekären Arbeitsformen, denen die Arbeitnehmenden
in der Hoffnung auf eine zukünftige Festanstellung oder aus Angst, ein nächstes Mal nicht
berücksichtigt zu werden, Folge leisten, verunmöglichen es den Personen, ein regelmässiges
Familien- und Gemeinschaftsleben zu führen (vgl. S. 28). Villiger und Knöpfel (2009) führen
zusätzlich an, dass ein flexibler Arbeitsvertrag, an den prekär Beschäftigte aus existenziellen
40
Gründen gebunden sind, fehlende zuverlässige finanzielle und zeitliche Ressourcen zur Folge
haben. Dies hindert Menschen daran, am sozialen Leben teil zu haben. Die psychosoziale
Belastung, die aus der Nichterfüllung dieses wichtigen menschlichen Bedürfnisses entsteht,
führt zu übermässigem Stress (vgl. S. 54).
Berufliche wie private Beziehungen tragen zur Stärkung der 2. Säule der Identität bei. Die in
Kapitel 3.1 aufgezeigte Ausgrenzung prekär Beschäftigter aus dem sozialen Netz einer Arbeitsstelle hat daher einen Einfluss auf diese Säule der Identität (vgl. Riechert, 2015, S. 18).
3.2.3. 3. Säule der Identität: Arbeit/Leistung/Freizeit
Die dritte Säule der Identität besteht aus Arbeit, Leistung und Freizeit. Es geht um Beruf und
Berufung. Petzold vertritt dabei die Anschauung, dass Arbeit Sinn und Wert vermittelt und dass
sich der Mensch dabei in seinem Tun verwirklichen kann (vgl. Riechert, 2015, S. 19).
Grote und Raeder (2002) beschreiben dies so: Wenn die Arbeitstätigkeit einen hohen Grad an
Entscheidungsspielräumen, Kooperations- und Lernmöglichkeiten umfasst und einen Sinn im
Tun erkennen lässt, kann dies die Identität positiv beeinflussen. Das bedingt jedoch ein Mindestmass an Autonomie, um selbstbestimmt auf Möglichkeiten Einfluss nehmen zu können
(vgl. S. 123).
Die in Kapitel 1 erwähnte Dimension von Rodgers betreffend Einfluss auf die Kontrolle über
die Arbeitssituation hat deutlich aufgezeigt, dass prekär Beschäftigten betreffend Arbeitsvolumen, Einsatzzeiten und Partizipationschancen am Arbeitsplatz keinerlei Autonomie zugesprochen wird. Die durch die Grenzziehung zusätzlich vorhandene Exklusion aus dem Arbeitskollektiv verunmöglicht Kooperationsmöglichkeiten, die sinnstiftend wahrgenommen und Selbstvertrauen vermitteln würden.
Wie die Überschrift schon andeutet, kann die Sinnstiftung auch über Tätigkeiten in der Freizeit
erfahren werden. Wenn die Arbeit jedoch unfreiwillig, weil zeitlich keine Freizeitaktivitäten
möglich sind, die einzige Quelle der Sinnstiftung ist, sieht Riechert das als grosse Gefahr für
diese Säule der Identität (vgl. Riechert, 2015, S. 19).
3.2.4. 4. Säule der Identität: Materielle Sicherheit
Die vierte Säule der Identität umfasst die materielle Sicherheit. Dies betrifft Dinge wie Besitz,
Geld, Wohnen, Existenz, soziale Absicherung und Nahrung (ebd. S. 20). Böhnisch zeigt auf,
dass Konsum heute nicht mehr den reinen Versorgungsaspekt enthält sondern gekoppelt ist
an eine „persönlich-biografische Erfüllungsperspektive“. Diese ermöglicht es einem Menschen, eine eigene Identität zu entwickeln und diese gegen aussen sichtbar zu machen, z.B.
mit einem eigenen Kleidungsstil, einem entsprechenden Auto oder der Teilnahme an sozialen
oder kulturellen Aktivitäten (vgl. Böhnisch et. al, 2009, S. 74).
41
Häufig wird ein prekäres Arbeitsverhältnis gleich gesetzt mit einer prekären Lebenslage. Dass
dem nicht so ist, begründet Kraemer (2009) aufgrund der Tatsache, dass viele in prekären
Arbeitsverhältnissen arbeitende Frauen als Zuverdienerinnen zum Haupterwerb ihres Partners
tätig sind. Er betont jedoch, dass diese Lebensform beim Wegfall des Haupteinkommens aufgrund einer Scheidung oder dem Tod des Partners schnell zu einer prekären Lebenslage führen kann (vgl. S. 245). Castel (2000) gibt ausserdem zu bedenken, dass es bei einem tiefen
Haushalteinkommen unmöglich ist, Kapital zu sparen. Beim Wegfall des Haupterwerbs ist die
Gefahr daher gross, in eine Schuldenspirale zu geraten (vgl. S. 363).
Dass ein Tieflohn von 3986 Franken nicht von jeder Person als Armut angesehen werden
muss, zeigt Kraemer mit einer Erklärung von Simmel auf:
„Jedes allgemeine Milieu und jede besondere soziale Schicht besitzt typische Bedürfnisse, denen nicht
genügen zu können Armut bedeutet. Daher ist es für alle entwickelten Kulturen eine banale Tatsache,
dass Personen, die innerhalb ihrer Klasse arm sind, es innerhalb einer tieferen keineswegs wären, weil
zu den für die letztere typischen Zwecken ihre Mittel zulangen würden“ (Simmel zit. in Kraemer, 2009,
S. 248).
Es kann angenommen werden, dass diese Definition doch eher auf ökonomisch gut abgesicherte Klassen zutrifft. Denn Aussagen von Villiger und Knöpfel (2009) machen sichtbar, dass
untere soziale Schichten Belastungen subjektiv stärker wahrnehmen als obere Schichten. Dies
zeigt die Verletzlichkeit auf, die entsteht durch die Kumulation von Belastungen aufgrund von
zuwenig personalen, materiellen und sozialen Ressourcen, welche zur Problemlösung zur
Verfügung stehen (vgl. S. 58).
Tabelle 14 Die Wirkungsmechanismen des materiellen Erklärungsansatzes
Wie stark die materielle Versorgung mit der Säule der Gesundheit verknüpft ist, kann mit dem
Wirkungsmechanismus des materiellen Erklärungsansatzes nach Mackenbach in Tabelle 14
dargestellt werden. Geringe finanzielle Mittel führen dazu, dass sich Menschen einen gesunden Lebensstil nicht leisten können. Eine gesunde Ernährungsweise und die Teilnahme an
42
sportlichen Aktivitäten sind ebenso wenig erschwinglich, wie der Kauf von Büchern über eine
gesunde Lebensgestaltung (Pfeil a in Tab.14). Eine prekäre Lebenslage erhöht die psychische
Belastung aufgrund von Schulden oder Zahlungsschwierigkeiten (Pfeil b) und führt dazu, dass
in gesundheitsschädlichen, kleinen Wohnungen mit schlechtem Ausbaustandard gewohnt
werden muss (Pfeil c). All diese Faktoren führen zu einer Kumulation von gesundheitlichen
Nachteilen (ebd. S. 52-53).
Der Wirkmechanismus lässt erkennen, dass die aktuelle Sozialpolitik, wie sie in Kapitel 2.2.2
dargestellt wurde, mit den kontinuierlichen Kürzungen der materiellen Faktoren somit auch die
gesundheitlichen, psychosozialen und verhaltensbezogenen Faktoren tangiert und der sozialen Ungleichheit Vorschub leistet.
3.2.5. 5. Säule der Identität: Werte und Normen
Die fünfte Säule der Identität ist die der Werte und Normen. Sie betrifft Aspekte der immateriellen Ebene, der inneren Werte, der eigenen Anschauung und auch der Spiritualität. Sie umfasst ein Handeln, das aus dem Gefühl der Nächstenliebe entspringt und dem Leben Kraft und
Sinn gibt. Wenn andere Säulen gestürzt sind, kann diese Säule die Identität noch lange tragen.
„Bei Verlust leiblicher Integrität, gesellschaftlicher Ächtung, Entzug von Arbeit und materiellen
Sicherheiten vermag sie noch Stütze zu geben, wenn sonst nichts mehr Bestand hat“ (Petzold,
1983, zit. in Osterman, 2010, S. 260). Davon deuten Aussagen wie „Wenn ich meinen Glauben
nicht gehabt hätte, hätte ich diese Krise nicht so meistern können“ (vgl. Riechert, 2015, S. 2021).
In einer Studie mit Mitarbeitenden, die von einer Umstrukturierung des Unternehmens und der
Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen betroffen waren, kommt der Aspekt des Wertverlusts
deutlich zum Tragen. Schultheis entnahm den Aussagen einen „Ausdruck eines grundlegenden und tiefgehenden Gefühls des Verlustes, des Verlustes an Heimat, an Identität, an Gemeinschaft und allen voran ein Verlust an Vertrauen in die gesellschaftlichen Spielregeln und
die eigene Zukunft“ (vgl. Schultheis, 2013, S. 46).
Wie am Anfang des Kapitels erwähnt, stehen die Säulen in einer Wechselwirkung zueinander.
Die Betroffenheit in einem Bereich wirkt sich immer auch auf die anderen Bereiche aus. Zum
Beispiel kann ein gutes soziales Netz bei einer Beeinträchtigung der „Leiblichkeit“ unterstützend wirken. Die Belastungen, die ein Mensch in schwierigen Situationen aushalten kann, sind
von der Qualität der einzelnen Säulen abhängig (vgl. Riechert, 2015, S. 21-22). Dies erklärt,
warum eine prekäre Lebenslage nicht von jedem Menschen gleich definiert wird. Ein Anknüpfungspunkt für die Soziale Arbeit ergibt sich aus den Schwierigkeiten, die sich prekär Beschäftigten in den Bereichen der fünf Säulen der Identität von Petzold eröffnen.
43
3.3. Gesamtgesellschaft
Nachdem die Auswirkungen der Prekarisierung auf den Mikroebenen der Ökonomie und der
gesellschaftlichen Gemeinschaft betrachtet wurden, wenden wir uns nun der Gesellschaft als
Ganzes zu. Menschen, die aufgrund prekärer Arbeitsformen psychosozialen Belastungen ausgesetzt sind, haben Auswirkungen auf die Gemeinschaft und letztendlich auch wieder auf die
Ökonomie. Wie wir in Kapitel 2.3.2 gesehen haben, ändert sich der Arbeitsmarkt durch Menschen, die bereit sind, befristet, temporär und auf Abruf zu arbeiten. Ebenso verändert die auf
Verschärfung ausgerichtete Sozialpolitik mit dem Abbau der sozialen Sicherungen eine solidarische Daseinsvorsorge. Es geht in diesem Kapitel um die Frage, welche Auswirkungen die
ökonomischen Veränderungen, die die prekären Arbeitsverhältnisse begünstigen, und die darauf reagierende politische Neuausrichtung auf das gesellschaftliche System haben und welche „Lasten“ dadurch entstehen.
3.3.1. Spaltung der Gesellschaft und sozialer Frieden
In Kapitel 3.1 hat sich gezeigt, dass sich die Arbeitnehmerschaft in verschiedene Gruppen
spaltet. Da sind die einen, die genug Ressourcen haben in Form von Bildung und Kapital um
relativ unabhängig vom Arbeitgeber an ihrer beruflichen Identität zu arbeiten. Abraham und
Büschges (2009) spannen den Bogen weiter und zeigen auf, dass die privilegierte Berufsposition die Stellung des Menschen in der Gesellschaft bestimmt. Sie erhöht seinen Status und
damit die Bildungs-, Berufs- und Lebenschancen seiner Kinder (vgl. S. 199). Aufbauend auf
Sen kommt noch ein weiterer Faktor ins Spiel, den die privilegierten Arbeitnehmenden auszeichnet. Das höhere zur Verfügung stehende Kapital ermöglicht mehr Freiheit. Es erlaubt
mehr Selbstbestimmung, mehr Möglichkeiten, sich in seinem Tun verwirklichen zu können
(vgl. Villiger, Knöpfel, 2009. S. 54). Die dritte Säule der Identität, die sich auf sinnstiftende
Tätigkeiten in der Freizeit und Arbeit beruft, ist bei diesen Menschen entsprechend stark gefestigt. Davon lässt sich ableiten, dass diese die Auswirkungen der ökonomischen Entwicklung
mit ihren Flexibilisierungsmassnahmen als weniger belastend wahrnehmen (vgl. Bieling, 2000,
S. 24). Um die Argumentation noch weiter zu verfolgen, wird auf das Konzept der KontrollÜberzeugung zurückgegriffen. Es zeigt auf, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen
haben, wie Ziele im Leben zu erreichen sind. Die internal kontrollierten Personen sind der
Überzeugung, dass mit eigenem Einsatz selbst gesteckte Ziele zu erreichen sind. Die external
kontrollierten Personen gehen davon aus, dass das Schicksal über die eigene Zielerreichung
entscheidet und ihr Zutun wenig dazu beitragen kann. Studien haben ergeben, dass Personen
aus oberen Schichten die Kontrolle eher internal verorten (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 59).
Bezogen auf die privilegierte Arbeitnehmerschaft heisst dies, dass sie der Überzeugung sind,
44
dass sie allein aufgrund ihres Einsatzes an dem Platz der Gesellschaft sind, an dem sie sich
befinden.
Die andere Gruppe der Arbeitnehmenden umfasst Menschen, die durch die Entkollektivierung
und Re-Individualisierung freigesetzt wurden und zuwenig Ressourcen haben, um mit der globalen Flexibilisierungs-Transformationsdynamik Schritt halten zu können. Die Prekarität ihrer
Arbeitsformen bedeutet einen Angriff auf alle Säulen der Identität, was ihnen eine selbstbestimmte Zukunftsperspektive oder Chance auf eine sinnstiftende Arbeitstätigkeit verwehrt (vgl.
Bieling, 2000, S. 24).
Castel (2000) macht diese gesellschaftliche Spaltungsdynamik mit „Zonen“ sichtbar. Die Arbeitnehmer, die in stabilen Arbeitsverhältnissen und sozialen Beziehungen leben, verortet er
in der „Zone der Integrierten“. Ihr gegenüber steht die „Zone der Entkoppelung“, die sich durch
das Fehlen von produktiver Tätigkeit und sozialer Beziehungen auszeichnet. Die „Zone der
Verwundbarkeit“ bezeichnet eine fragile Zwischenzone, in der ein prekäres Arbeitsverhältnis,
kombiniert mit einer unsicheren sozialen Unterstützung zu finden ist (vgl. S. 13). Die Gefahr,
von der „Zone der Verwundbarkeit“ in die „Zone der Entkoppelung“ zu wechseln, ist gross.
Schultheis (2013) begründet dies damit, dass sich im Zuge der Individualisierung viele traditionelle gemeinschaftliche Ressourcen an Schutz und Solidarität, wie z.B. Gewerkschaften oder
Turnvereine, aufgelöst haben (vgl. S. 47). Der liberale Diskurs der letzten 10 Jahre betreffend
sozialer Sicherungen geht davon aus, dass jeder Mensch die Fähigkeiten und damit verbunden die Pflicht hat, ein selbstverantwortliches Leben zu führen (vgl. Castel, 2011, S. 203). In
dieser Diskussion zeigt sich die Gespaltenheit der Gesellschaft. Es lässt sich die folgende
These aufstellen. Auf der einen Seite diskutieren die mit einer internalen Kontrollüberzeugung
ausgestatteten Zugehörigen der „Zone der Integrierten“ im öffentlichen und politischen Raum
über die sozialen Sicherungssysteme. Auf der anderen Seite lassen sich die von einer externen Kontrollüberzeugung geprägten prekär Beschäftigten der „Zone der Verwundbarkeit“
schicksalsergeben an den Rand der Gesellschaft drängen. Castel (2011) unterstützt diese
These indem er sehr bildlich darlegt, wie das auf Arbeit beruhende Gesellschaftssystem die
Menschen aus der „Zone der Entkoppelung“ und der „Zone der Verwundbarkeit“ in die Marginalität treibt. Er nutzt bewusst nicht das Wort der Exklusion, da ihm dieses als zu radikal und
ausgrenzend erscheint. Marginalität findet laut Castel innerhalb der Gesellschaft statt. Durch
die Unmöglichkeit, sich eine gesicherte Existenz zu verschaffen, werden Menschen durch die
bestehenden Herrschaftsstrukturen an den sozialen Rand der Gesellschaft gedrängt und versuchen, sich anhand prekärer Arbeitsformen über Wasser zu halten (vgl. S. 269-273).
Eine interessante Aussage von Castel ist diejenige, dass gerade in der vermeintlichen Schwäche der Marginalität die Kraft steckt. „Wenn sich die Marginalisierten ausbreiten, droht die
Mehrheit zur Abweichung zu werden“. Dies kann in der Zukunft ein Auslöser sein für eine neue
Bündelung der Ressourcen in einen kollektiven Protest gegen die herrschenden Lebens- und
45
Arbeitsbedingungen (ebd. S. 272-274). Die Folgen davon in Form von Streiks oder Protesten
wären für das Gesellschaftssystem sehr einschneidend.
3.3.2. Kosten Gesundheit
In diesem Kapitel werden die aus den prekären Arbeitsverhältnissen entstehenden Gesundheitskosten angesprochen. Die erste Säule der Identität, die Leiblichkeit, hat eine grosse Ungleichheit in Bezug auf die Gesundheit von sozioökonomisch schlechter gestellten Personen
sichtbar gemacht. Die vermehrt auftretenden chronischen Erkrankungen sowie die höhere Invaliditätsrate bedeuten höhere Gesundheitskosten. Die Zahlen der IV betreffend IV-Bezügerinnen und -bezüger von Renten aufgrund von Krankheiten weisen mit 185‘000 im Jahr 2003
und 180‘000 im Jahr 2014 auf eine stabile Entwicklung hin. Von diesen Zahlen waren 2003
84‘000 Fälle und 2014 108‘000 Fälle als psychische Erkrankungen deklariert (vgl. BSV, 2015).
Besonders wenn man berücksichtigt, dass die IV ihre Rentensprechung seit einigen Jahren
bei vielen Krankheiten deutlich verschärft hat, ist bei den psychischen Erkrankungen damit ein
hoher Anstieg zu verzeichnen. Da die letzten IV-Revisionen vom Spargedanken geprägt waren, können die Zahlen nicht als repräsentativ für die wirkliche Invaliditätskostenentwicklung
der Schweiz angesehen werden. Schuwey und Knöpfel (2014) sprechen von einer zunehmenden Zahl von Menschen, die aufgrund einer Leistungseinschränkung eine Teilrente beziehen.
Da diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Teilzeitstelle finden, sind sie zusätzlich
auf die Arbeitslosenversicherung oder Sozialhilfe angewiesen (vgl. S. 163-164).
Die in Kapitel 3.2.1 angesprochene höhere Krankheitsrate von Kindern aus sozial schwächeren Familien schlägt sich auch auf die Gesundheitskosten nieder. Diese belasten ein tiefes
Familienbudget zusätzlich und zwingen die Familie unter Umständen dazu, in irgendeiner
Form öffentliche finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen (ebd. S. 166).
Zusammenfassend zeigt sich, dass prekäre Arbeitsverhältnisse für die Gesellschaft steigende
Gesundheitskosten sowie einen Anstieg bei den Arbeitslosentaggeldern und den Sozialhilfekosten zur Folge haben.
3.3.3. Nachfolgende Generation
Die bisherigen Aussagen beleuchteten die Auswirkungen auf die Gesellschaft mit dem Fokus
auf die Arbeitnehmenden in prekären Beschäftigungsformen. Nun wird der Blick auf die zukünftige Generation, die Kinder der prekär Beschäftigten, gerichtet.
Korte und Schäfers (2010) weisen der Primärgruppe, vor allem der Familie, eine bedeutende
Rolle bei der Formung der sozialen Persönlichkeit der Kinder zu (vgl. S. 134). Bourdieu stützt
diese Aussage, indem er in seinen Arbeiten wiederholt die Weitergabe des soziologischen
Habitus von einer an die nächste Generation beschreibt. Schuwey und Knöpfel (2014) weisen
46
auf viele Untersuchungen hin, die einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital und den daraus folgenden verringerten Bildungschancen aufzeigen. Das Fehlen von ökonomischem Kapital verunmöglicht einen Erwerb von
kulturellem Kapital in Form von Bildung, Sprache, Büchern und familienergänzender Tagesbetreuung (vgl. S. 102). Die daraus resultierende tiefere Berufsbildung wird den heranwachsenden Kindern prekär Beschäftigter wiederum nur die Türe zu weniger gut bezahlten Beschäftigungsmöglichkeiten mit einem niedrigen Selbstbestimmungsgrad öffnen.
Die Neuroforschung hat nun zusätzlich nachgewiesen, dass sich parallel zum soziologischen
Habitus auch ein physiologischer Habitus ausbildet. Soziale Umstände wie Armut oder Vernachlässigung in der Kindheit stehen in enger Verbindung zum späteren Auftreten von Krankheiten. Je früher diese Prägung stattfindet, desto nachhaltiger wirken sich die eingeprägten
physiologischen sowie psychologischen Reaktionsmuster auf den Rest des Lebens aus. „Verhältnisse schaffen dabei Verhalten genauso, wie Verhalten die Verhältnisse ändert“ (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 5-6). Die Forschungsergebnisse könnten die erhöhte Krankheitsanfälligkeit von Kindern aus sozial schwächeren Familien erklären. Diese Erkenntnis muss aufhorchen lassen, denn sie tangiert die Arbeitsfähigkeit der nächsten Generation und somit deren
Produktivität im erwerbsfähigen Alter. Wie beim Thema der employability in Kapitel 2.3.3 aufgeführt, werden gesundheitlich beeinträchtigte Menschen aus dem Normalarbeitsprozess ausgeschlossen. Ihnen würde, wie schon den Eltern, nur der Weg in die Niedriglohnbranche gelingen. Für die Gesellschaft würde dies bedeuten, dass dadurch wiederum höhere Kosten verursacht und weniger Einnahmen im Sozialversicherungssystem generiert werden.
3.4. Fazit
In diesem Kapitel wurde deutlich, dass die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse weitreichende Auswirkungen in verschiedenen Bereichen hat. Die Entsolidarisierung des Arbeitskollektivs durch die Bildung von „normal“ Beschäftigten und prekär Beschäftigten wirkt sich auf
das Individuum genauso aus wie auf die ganze Gesellschaft. Prekäre Arbeitsverhältnisse beinhalten eine Bedrohung der fünf Säulen der Identität und drängen prekär Beschäftigte in die
„Zone der Verwundbarkeit“ ab. Die Folgen der heutigen prekären Beschäftigungen können
sich mit Blick auf die zukünftige Generation der Erwerbstätigen vervielfachen. Es kann sich
daraus eine Sprengkraft in Form einer Kostenexplosion der sozialen Sicherungssysteme entwickeln, die eine Umgestaltung des sozialen Sicherungssystems in eine unbekannte Richtung
auslösen kann. Ebenso besteht die Möglichkeit, dass die steigende Anzahl von Menschen in
der „Zone der Entkoppelung“ und in der „Zone der Verwundbarkeit“ zu Protesten gegen die
bestehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen führen. Wie schon erwähnt hätte dies weitreichende Folgen für das Gesellschaftssystem.
47
4. Ethisches Management
Bis anhin wurden die Ursachen und Auswirkungen der prekären Arbeitsverhältnisse betrachtet. Dieses Kapitel geht der Frage nach, wo in diesem Thema die Soziale Arbeit in der Zusammenarbeit mit Unternehmen einen Anknüpfungspunkt hat. Der Fokus des kommenden Kapitels ist auf die Unternehmensführung gerichtet. Dabei werden Schnittstellen von wirtschaftlichem und sozialarbeiterischem Handeln gesucht und Faktoren beleuchtet, die im Kontakt mit
Unternehmen als Argumentarium für sozialarbeiterisches Handeln entscheidend sind.
Die Schwierigkeit, Schnittstellen zu finden, zeigt sich beim Blick in die betriebswirtschaftliche
Fachliteratur. Die Texte betreffend verantwortungsvoller Unternehmensführung befassen sich
vorwiegend mit Themen wie Rechte der Aktionäre und Managergehälter. Hauptzielsetzung
scheint es zu sein, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen (vgl. Brink, Tiberius, 2005, S.
16).
Schwegler (2008) gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Unternehmen wirtschaftliche Systeme sind und somit dem Leitcode von „Zahlen - nicht Zahlen“ bzw. „Geld“, also dem
Preis verpflichtet sind. Ihr oberstes Ziel ist es, Gewinn zu erwirtschaften und damit die eigene
Existenz zu sichern (vgl. S. 136-137). Es gibt jedoch auch Gegenstimmen von der Ökonomie
selbst, die diesen Leitcode hinterfragen. Ortmann (2012), Professor der Betriebswirtschaftslehre, kritisiert die Zweckoptimierung und das Profitinteresse der Unternehmen und das damit
verbundene Verdrängen einer moralischen Verantwortlichkeit (vgl. S. 35-38). Sedlacek,
Chefökonom einer tschechischen Bank, schliesst sich dieser Kritik an, indem er die
„Mainstream-Ökonomie“ anprangert, die sich laut ihm als eine „mathematisch-allokative Wissenschaft“ sieht, die jede Ethik ausschliesst (Sedlacek, 2009, S. 334). Er meint, dass mit mathematischem Denken durchaus viel erreicht werden kann. Gleichzeitig gibt er zu bedenken,
dass, wenn wir nur jenem Wert einräumen, das erklärbar und wissenschaftlich eingeordnet
werden kann, der Zugang zu den Emotionen, der Seele, verloren geht (vgl. Sedlacek, 2009,
S. 364). Diese Aussagen zeigen auf, dass neben der mathematischen Denkweise auch in der
Ökonomie Gedanken zu Ethik und Moral im Zusammenhang mit dem Menschsein vorhanden
sind. Hier lassen sich Verknüpfungspunkte mit der Sozialen Arbeit finden. Denn zu den Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit gehört das stetige ethische Reflektieren ihres Handelns
und das Achten der Würde eines jeden Menschen (vgl. avenir social, 2010, S. 8, 10).
4.1. Unternehmen und Ethik
Um ein genaueres Verständnis der Begriffe Moral und Ethik zu erlangen, wird im Folgenden
kurz auf diese eingegangen. Fenner (2008) definiert Moral als die „Gesamtheit der in einer
Gemeinschaft geltenden Wertvorstellungen und Normen des Zusammenlebens, welche die
Form der Gemeinschaft vorgeben“. Ethik hingegen beinhaltet ein kritisches Hinterfragen und
48
Nachdenken über die vorherrschenden Wertvorstellungen und Normen. Ethik versucht über
grundlegende Wertmassstäbe das richtige menschliche Handeln zu entwerfen (vgl. S. 4-5).
Während Schwegler (2008), eine Ökonomin die sich mit Unternehmensethik auseinandersetzt,
dem System Wirtschaft die Moralfähigkeit aufgrund seiner Funktion abspricht, sieht sie die
Chance auf eine Moralanwendung in Kleingruppen für gegeben. Dies aufgrund des direkten
sozialen Austausches und den für den einzelnen Menschen direkt spürbaren Reaktion in Form
von Anerkennung und Belohnung (vgl. S. 150). Sie betrachtet dabei die Definition von Werten
in einem Unternehmen als „Chefsache“, die im täglichen Handeln wie auch bei der aktiven
Gestaltung der Unternehmenskultur sichtbar werden muss (ebd. S. 271). Diese Aussagen
werden gestützt durch Wuffli (2010), der sich dahingehend äussert, dass die Privatwirtschaft
so ethisch oder unethisch ist wie die darin tätigen Menschen. Er weist dabei der Führungskultur eine wesentliche Rolle zu (vgl. S. 118-120).
Zusammenfassend wird deutlich, dass ethisches Handeln im Unternehmen auf der zwischenmenschlichen Ebene stattfinden kann. Die Bereitschaft eines Unternehmens, sich mit Werten
und Normen auseinander zu setzen und diese in die Gestaltung der Unternehmenskultur einfliessen zu lassen, hängt mit der ethischen Einstellung der Managementebene zusammen.
4.2. Unternehmensführung
Um als Professionelle der Sozialen Arbeit im unternehmerischen Bereich tätig zu sein ist es
sinnvoll, dass man sich der Sprache der Wirtschaft bedient. Das heisst, dass Argumente angewendet werden, die den Faktor Geld oder Gewinn ansprechen. Daher wird im Folgenden
der Frage nachgegangen, welche ökonomischen oder auch ethischen Überlegungen in einem
Unternehmen vorhanden sind, die eine Professionelle der Sozialen Arbeit für ihre Arbeit nutzen kann. Um sich diesem Themenbereich anzunähern eignet sich die theoretische Betrachtung eines Unternehmens von Fuchs (2005), der in einem Fachartikel über Führung den Fokus
auf die „Wert-Schöpfung“ legt, die durch einen „Wert-Schätzenden“ Führungsstil entsteht (vgl.
S. 153).
Er entwirft ein Modell der Betriebsführung, bei dem die Führung den Fokus auf das Wissen
und den Wissenszuwachs von Mitarbeitenden legt. Grund dafür ist, dass Fuchs in diesen Ressourcen einen Teil des Vermögenswertes eines Unternehmens sieht. Führen wird bei diesem
Modell nicht als „Macht-Ausübung“ verstanden, sondern als zentraler Faktor für die Herstellung einer Unternehmenskultur, die diesen Wissenszuwachs ermöglicht. Gemäss Fuchs setzt
sich der Wert eines heutigen Unternehmens, er nennt es „Unternehmensvermögen“, aus folgenden vier Komponenten zusammen:
49
1. Produktionsvermögen
2. Humanvermögen
3. Beziehungsvermögen
4. Attraktionsvermögen
Er stellt die verschiedenen Komponenten in einem „Schalen-Modell“, ähnlich einer Zwiebel
dar. Tabelle 15 zeigt auf, wie das Produktionsvermögen mit dem Inventar und den Finanzen
dabei im Zentrum steht und das Attraktionsvermögen, d.h. die Wirkung des Unternehmens
gegen aussen, die äusserste Schale bildet. Dazwischen liegen das Humanvermögen mit den
Fähigkeiten und dem Wissen der Beschäftigten und das Beziehungsvermögen, bei dem es
um die Zusammenarbeit mit Kunden und der sonstigen Umwelt, wie z.B. den Lieferanten, geht
(ebd. S. 155-157).
Tabelle 15 Das "Schalen-Modell" des Unternehmensvermögens
Fuchs schreibt den Mitarbeitenden in allen vier Bereichen eine wesentliche Rolle für die Erreichung der Organisationsziele zu. Die Kompetenz eines jeden Mitarbeitenden trägt laut Fuchs
zur Beziehungspflege mit der Umwelt und damit zum Image des Unternehmens bei. Das Ziel
einer guten Führung ist eine Vermögenssteigerung in allen vier Bereichen (vgl. Fuchs, 2005,
S. 157).
Das Attraktionsvermögen eines Unternehmens beinhaltet die Selbstverpflichtung eines Unternehmens gegenüber ethischen Werten. Hier kann gefragt werden, welchen Nutzen eine
Selbstverpflichtung für ein Unternehmen haben kann. Grundsätzlich sieht Küng (2010) den
Nutzen in der Schaffung einer für Umfeld und Mitarbeiter verlässlichen Stabilität und Konstanz
inmitten des hektischen Tagesgeschäftes (vgl. S. 235-236). Bezogen auf Kapitel 3.1 vermittelt
50
eine ethische Selbstverpflichtung den Mitarbeitenden inmitten der Flexibilisierungsmassnahmen eine langfristige Verlässlichkeit, die zu mehr Loyalität dem Unternehmen gegenüber führen kann.
Zudem spannt Küng den Bogen von vorhandenen ethischen Standards zu den positiven Auswirkungen auf die Umweltbeziehungen einer Firma und damit auf das Image, d.h. das Gesamtbild, das eine Firma gegen aussen vertritt. Durch ein gutes Image gewinnt ein Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter mit sozialer Kompetenz. Dank dem Know-How-Zuwachs erhöht
sich erstens das Humanvermögen. Und zweitens wirkt es sich positiv auf das Beziehungsvermögen im Umgang mit Kunden und Lieferanten aus (ebd. S. 236). Da Kunden im heutigen
Konkurrenzdruck als „Werttreiber und wesentlicher Erfolgsfaktor“ einer Firma gelten (Brink,
2005, S. 53), ist die Begeisterungsfähigkeit und die Loyalität der Mitarbeitenden für ein Unternehmen ausschlaggebend im Zusammenhang mit dem Attraktionsvermögen einer Firma. Das
Image und die Glaubhaftigkeit der nach aussen demonstrierten Werte-Haltung hängt davon
ab und füllt die Corporate Identity, die gegen aussen vertretene Struktur einer Firma, mit Leben
(vgl. Fuchs, 2005, S. 157).
Schwegler (2008) fasst die oben genannten Punkte in der Sprache der Wirtschaft zusammen:
„Moral ist (..) ein produktiver Faktor von Unternehmen“ (vgl. S. 250). Beispiele dafür sind international erfolgreiche Firmen wie der Weltkonzern Hilti oder Victorinox, die ihr Attraktionsvermögen über die Kommunikation ihrer Werte-Haltung hoch halten können (vgl. Wuffli, 2010,
S. 120, Neue Luzerner Zeitung, 2011).
4.3. Fazit
Zusammenfassend zeigt sich, dass es durchaus Stimmen in der Ökonomie gibt, die die Zweckoptimierung und Profitinteressen kritisieren und sich für einen verantwortungsvollen Umgang
mit den Beschäftigten aussprechen. Dabei werden jedoch ethische Überlegungen zur Unternehmensführung auch mit dem Aspekt des Gewinns oder, im Sinne von Fuchs, mit der Vermögensvermehrung verbunden. Die Soziale Arbeit kann im Kontakt mit Unternehmen über
diese Argumentationskette die positiven Auswirkungen einer ethisch geprägten Führungskultur auf die Vermögensbereiche aufzeigen.
5. Handlungsfelder der Sozialen Arbeit
Aus den Darlegungen der vorherigen Kapitel ergeben sich für die Soziale Arbeit in Zusammenarbeit mit Unternehmen und prekär Beschäftigten nicht viele Anknüpfungspunkte. Dies,
obwohl die Soziale Arbeit in vielen Handlungsfeldern mit Menschen konfrontiert ist, die in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Mögliche Handlungsfelder sind das Case Management einer Krankenversicherung, der IV, der Psychiatrie, die betriebliche Sozialarbeit,
51
Arbeitsbereiche im Flüchtlingswesen oder die Sozialhilfe. In all diesen Bereichen wird daran
gearbeitet, Menschen eine Beschäftigungsform im ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ableitend von den Erläuterungen in dieser Arbeit hat die Soziale Arbeit im Zusammenhang mit prekären Arbeitsformen den Fokus jedoch auch auf diejenigen Beschäftigten zu richten, die Gefahr laufen, in die „Zone der Verwundbarkeit“ abzurutschen. Im Kontakt mit Unternehmen
muss die Soziale Arbeit daran arbeiten, dass die in Kapitel 2.3.3 aufgezeigten, besonders gefährdeten Gruppen wie kranke Mitarbeitende, Beschäftigte mit einer schwachen Bildung und
Frauen mit Kindern, die laut Statistik auch vermehrt in prekären Arbeitsformen zu finden sind,
ihre employability nicht verlieren.
In den folgenden Abschnitten wird erst die Beratung prekär Beschäftigter thematisiert. Da
diese Arbeit Handlungsfelder der Sozialen Arbeit betrachtet, die mit Unternehmen in Kontakt
kommen, werden danach die betriebliche Sozialarbeit und das betriebsexterne Case Management mit Fokus auf prekäre Arbeitsformen in den Blick genommen. Aufgrund der vorgängig
festgestellten Einschränkungen betreffend den Handlungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit
zum Thema der prekären Arbeitsformen, folgt danach ein Exkurs zur aktuellen Sozialpolitik.
5.1. Beratung prekär Beschäftigter
Die Schwierigkeiten, die sich prekär Beschäftigten in den Bereichen der fünf Säulen der Identität von Petzold eröffnen, sind sehr vielfältig. Die sich daraus ergebenden Problemlagen machen prekär Beschäftigte in verschiedenen Handlungsfeldern zu Klientinnen und Klienten der
Sozialen Arbeit.
Häufig kommt die Soziale Arbeit dann mit Menschen aus prekären Arbeitsformen in Kontakt,
wenn die 1. Säule der Identität, die Leiblichkeit, oder die 4. Säule der Identität, die materielle
Sicherheit, tangiert sind. Ist die Leiblichkeit betroffen, kommt der Kontakt häufig über den Sozialdienst der Psychiatrie, des Spitals oder eines Krankenversicherers zustande.
Die Sozialhilfe hingegen ist im Moment von finanziellen Schwierigkeiten oft die letzte Anlaufstelle. Sie beinhaltet nebst finanzieller Unterstützung auch die persönliche Hilfe, die die Beratung in persönlichen Notlagen umfasst (SHG, 1981, 851.1 C 11-13). Der Unterstützung von
Prekarisierten weist Bourdieu eine wichtige Funktion zu. Er ist der Meinung, dass Opfern der
Prekarität „geholfen werden muss zu leben“, um sie in ihrer Würde zu unterstützen, ihr Selbstbild zu stärken und dadurch das Potenzial zu eröffnen, sich gegen die prekären Arbeitsformen
aufzulehnen (Bourdieu, 2004, S. 112). Die Sozialhilfe kann mit geeigneten Massnahmen Einfluss nehmen auf die materiellen und psychosozialen Faktoren, die in Kapitel 3.2.4 aufgezeigt
wurden. Dies würde auch die Gesundheit der prekär Beschäftigten positiv beeinflussen.
52
Die Beratung hat deshalb das Augenmerk auf alle fünf Bereiche der Identität zu richten. Das
leibliche Wohlbefinden, die sozialen Netzwerke und die Finanzen sind genauso wichtige Themen wie die beruflichen Aspekte und der Blick auf ein tragendes Wertgefüge. Im Kontakt mit
prekär Beschäftigten eignet sich das Konzept der fünf Säulen der Identität von Petzold aus
Kapitel 3.2 auch, um sich in einem Assessment ein Bild über die Schwierigkeiten und vor allem
über die Ressourcen einer Person machen zu können. Indem zu allen fünf Säulen die Situation
der Person erfragt wird, kann im Anschluss individuell und ressourcenorientiert mit dem Klientel daran gearbeitet werden. Die Darlegungen in Kapitel 1 haben aufgezeigt, dass die Beratung
zu rechtlichen Belangen wie dem Arbeitsrecht und dem Sozialversicherungsrecht, einen hohen Stellenwert hat. Wichtig ist zudem die Erschliessung von neuen sozialen Netzwerken, die
Unterstützung, Solidarität, Teilhabe und Sinnstiftung ermöglichen. Um die materielle und die
psychosoziale Belastung zu senken, ist das Vermitteln von Vergünstigungen über den CaritasMarkt oder eine Kultur-Legi eine weitere Möglichkeit (vgl. Villiger, Knöpfel, 2009, S. 91).
5.2. Soziale Arbeit in Betrieben
Wie in den vergangenen Kapiteln ersichtlich wurde, sind Menschen in Normalarbeitsverhältnissen insofern von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen, als dass jede Arbeitnehmerin und
jeder Arbeitnehmer jederzeit durch Krankheit, Unfall oder Rationalisierungsmassnahmen in
die „Zone der Verwundbarkeit“ abrutschen kann. Es gibt Unternehmen, die sich dessen bewusst sind, und die aus ökonomischen und eventuell auch ethischen Überlegungen heraus
eine betriebliche Sozialberatung eingerichtet haben. Diese beinhaltet ein breites Spektrum von
Tätigkeiten, die in einem Stelleninserat von Schindler, Aufzüge AG, folgendermassen beschrieben sind:
 Fachberatung und Begleitung von Vorgesetzten und HR Business Partnern bei komplexen Themen betreffend die Mitarbeitenden
 Einzelberatung von Mitarbeitenden und Lernenden in arbeitsplatzbezogenen, privaten, finanziellen und gesundheitlichen Themen
 Case Management bei Langzeitabsenzen mit dem Ziel einer optimalen Reintegration in den Arbeitsprozess (vgl. Schindler, 2015)
Bei den folgenden Darlegungen werden zwei dieser Arbeitsbereiche genauer vorgestellt und
mit den Ausführungen der vorherigen Kapitel verknüpft.
Beratung auf Führungsebene
Die Soziale Arbeit ist durch den bereits erwähnten Berufscodex der ethischen Reflexion ihres
beruflichen Handelns verpflichtet. In der betrieblichen Sozialarbeit kann daher das kritische
53
Hinterfragen und Reflektieren von Alltagsstrukturen zu ihrem Aufgabengebiet gehören. Dies
kann das Informieren über die Auswirkungen von prekären Arbeitsverhältnissen umfassen,
wie auch die kritische Betrachtung der Selektionskriterien bei der Bestimmung der employability von Personen. Es ist die Rolle der Sozialen Arbeit, Mechanismen, die durch die in Kapitel
2.3.4 aufgezeigte moralische Arbeitsteilung in einem Unternehmen unsichtbar werden, sichtbar zu machen.
In Kapitel 2.3 wurde auf unternehmerischer Ebene aufgezeigt, dass Frauen mit Kindern, Beschäftigten mit einer schwachen Bildung und kranken Personen die „Einsetzbarkeit im Beruf“,
die employability, abgesprochen wird. Ebenso weisen die Statistiken einen höheren Anteil
Frauen in prekären Arbeitsformen aus. Die betriebliche Sozialarbeit kann frauenspezifische
Themen, wie z.B. das zur Verfügung stellen von Krippenplätzen, in einen Betrieb einbringen.
Als Argument dafür kann die Stärkung des Humanvermögens in Form von Know-How-Erhalt
oder auch die Erhöhung der Loyalität der Arbeitnehmerinnen gegenüber dem Betrieb, eingebracht werden.
Einen weiteren Punkt führen Villiger und Knöpfel (2009) an: sie erachten es als dringend, die
Führungsverantwortlichen auf die Wichtigkeit der Entlöhnung aufmerksam zu machen, um die
psychosozialen Belastungsfaktoren von Angestellten zu verringern (vgl. S. 82). Wie in Kapitel
3.1 aufgeführt, verhindern prekäre Arbeitsformen aufgrund einer unattraktiven Nutzen-Aufwand-Rechnung die Bereitschaft, sich spezifisches Fachwissen anzueignen. Dies kann sich
insofern negativ auf das Unternehmensvermögen auswirken, als dass Mitarbeitende durch
unprofessionelles Arbeiten das Image einer Firma negativ beeinflussen können. Eine Erhöhung des Entgelts auf einen Mindestlohn würde die Leistung steigern, sodass der Arbeitgeber
schlussendlich mehr Leistung hat, was sich wiederum für ihn auszahlt (vgl. Piketty, 2014, S.
413).
Case Management
Damit kranke Mitarbeitende nicht in die „Zone der Verwundbarkeit“ abrutschen eignet sich das
Case Management, das die Wiedereingliederung der Mitarbeitenden an ihre Arbeitsplätze
nach einer Krankheit oder einem Unfall sicherstellt. Auch diese Massnahme lässt sich ökonomisch mit dem Know-How-Erhalt der Mitarbeitenden begründen. Zusätzlich vermittelt die vom
Unternehmen gelebte Selbstverständlichkeit der begleiteten Reintegration in den Arbeitsprozess Sicherheit für die restliche Belegschaft. Dies wirkt sich wiederum positiv aus auf die Loyalität dem Unternehmen gegenüber und somit auf das Beziehungsvermögen und das Unternehmensvermögen.
Dass prekär Beschäftigte direkt über die Betriebliche Sozialarbeit erreicht werden können, ist
eher unwahrscheinlich. Denn diese Arbeit hat gezeigt, dass zum einen prekär Beschäftigte
54
häufig von den Angeboten, die der Stammbelegschaft zur Verfügung stehen, ausgeschlossen
sind. Zum anderen, weil die Betriebe, welche eine betriebliche Sozialarbeit anbieten, weniger
in den Tieflohn-Branchen wie dem Gastgewerbe, dem Verkauf, den privaten Haushalten und
den persönlichen Dienstleistungen zu finden sind.
5.3. Betriebsexternes Case Management
Das unternehmensexterne Case Management ist ein weiterer Bereich, in dem die Soziale Arbeit tätig ist. Es wird häufig im Rahmen der Sozialversicherungen, von Gesundheitsbetrieben,
von Gemeinden oder Krankenversicherungen angeboten. Auch prekär Beschäftigte können
zum Klientel dieser Art von Case Management werden. Zusätzlich zur finanziellen, rechtlichen,
beruflichen und sozialen Beratung fördert es, wie auch das betriebsinterne Case Management,
die Reintegration in den Arbeitsprozess. Dabei ist dennoch ein Unterschied auszumachen. Ein
betriebsinternes Case Management ist ein Produkt der bewussten Unternehmensführung und
deshalb innerhalb des Unternehmens ein akzeptierter Bereich der Unternehmenskultur. Ein
von aussen kommendes Case Management kann als Unterstützung oder als Störfaktor angesehen werden. Es ist anzunehmen, dass ein betriebsexternes Case Management die Argumentation zugunsten einer Reintegration der Mitarbeitenden deshalb hartnäckiger führen
muss. Die Bereiche des Unternehmenvermögens von Fuchs können dafür herangezogen werden.
Für die Professionellen der Sozialen Arbeit, die im Rahmen der Reintegration von prekär Beschäftigten mit Unternehmen in Kontakt kommen, kann es eine Herausforderung sein, mit der
juristischen und der sozialstaatlichen Schutzunsicherheit, die in Kapitel 1.3.3 dargestellt
wurde, umzugehen. Die Herausforderung entspringt der Diskrepanz zwischen der Forderung
des Berufskodex nach der „Verpflichtung zur Zurückweisung von Diskriminierung“ (vgl. Berufskodex, 2010, S. 9) und dem Vorfinden von Prekaritäts-Realitäten, die „zugunsten“ des Klientels auszuhalten sind, um ihre Arbeitschancen nicht zu gefährden.
Die dargestellten Anknüpfungspunkte der Sozialen Arbeit im Zusammenhang mit Unternehmen verstärken noch die Erkenntnisse aus Kapitel 1 und 2, dass die Arbeitnehmenden wie
auch die Professionellen der Sozialen Arbeit stark vom Goodwill oder der ethischen Grundhaltung der Unternehmen abhängig sind. Die Soziale Arbeit hat wenig Möglichkeiten zur Einflussnahme wenn es darum geht, die Unsicherheiten, die prekär Beschäftigte durch ihre Arbeitsform erleben, in Zusammenarbeit mit den Unternehmen zu bearbeiten. Die Erkenntnis daraus
ist, dass dieses Problem nicht auf der ökonomischen Ebene zu lösen ist. Obwohl der folgende
Exkurs in die Sozialpolitik nicht explizit in der Fragestellung dieser Arbeit enthalten ist, kann er
als weiterer Anknüpfungspunkt verstanden werden, der sich für die Soziale Arbeit aus der
Prekarisierung ergibt.
55
5.4. Exkurs in die Sozialpolitik
Die Erfahrungen der Professionellen der Sozialen Arbeit mit prekär Beschäftigten und die statistischen Auswertungen, dass im Moment noch vorwiegend schwach gebildete Personen in
diesen Arbeitsverhältnissen zu finden sind, zeigen auf, dass es angebracht wäre, an der
employability der prekär Beschäftigten anzusetzen. Systemtheoretisch betrachtet geht es bei
der Adressenarbeit darum, die Wahlmöglichkeiten der prekär Beschäftigten, zum Beispiel
durch eine Ausbildung, zu erhöhen (vgl. Hoegl, 2012, S. 2). Dabei wäre es wünschenswert,
solche Ausbildungsmöglichkeiten anzustreben, die einen langfristigen Horizont eröffnen. Damit ist eine Ausbildung gemeint, die im Moment der Ausbildung mehr Kostenaufwand verursacht, dem Klientel danach jedoch den Einstieg in ein „sicheres“ Arbeitsverhältnis ermöglicht.
Piketty (2013) sieht darin auch eine Möglichkeit, um die wachsende Ungleichheitsspirale zu
verringern (vgl. S. 403). Gleichzeitig wäre es nötig, auf politischem Weg Lösungen zu erarbeiten, die atypische Arbeitsverhältnisse und Normalarbeitsverhältnisse den gleichen Konditionen unterstellen. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, die Arbeitszeiten sozial verträglich zu
gestalten (vgl. Caritas, 2001, S. 165).
Die gegenwärtige Sozialpolitik greift diese Themen, wie in Kapitel 2.2 beschrieben, jedoch
nicht auf, weil das Wirtschaftssystem einen grösseren Einfluss auf die Politik hat als die gesellschaftliche Gemeinschaft. Die gegenwärtige Sozialpolitik konzentriert sich nicht auf prekär
Beschäftigte, weil dieses Thema von der Gesellschaft noch nicht als ein soziales Problem
wahrgenommen und definiert worden ist. Anstatt dass Prekarität mit Blick auf die Ursachenebene zum sozialen Problem erklärt wird, wird von verschiedenen Interessensvertretern die
Problemperspektive mit Ressourcen der Macht und Medien auf das Versagen des Individuums
gelenkt. Die sozialpolitische Reaktion darauf hat, wie in Kapitel 2.2 beschrieben, eine restriktivere Rentensprechung, Sozialhilfekürzungen und eine aktivierende Sozialpolitik zur Folge.
Die Soziale Arbeit, die in der Praxis mit dem Thema der Prekarität täglich konfrontiert ist, soll
in die Diskussion der Problemdefinierung mit einsteigen. Durch den Berufskodex ist sie dazu
angehalten, auf ungerechte Praktiken aufmerksam zu machen und Diskriminierungen zurückzuweisen (vgl. Berufskodex, 2010, S. 9-10). Bei der Frage, wie ein soziales Problem definiert
wird, zitiert Groenemeyer Case, wie folgt: „Ein soziales Problem meint jedwede soziale Situation, die die Aufmerksamkeit einer bedeutenden Zahl kompetenter Beobachter in einer Gesellschaft weckt und die dringend eine Korrektur oder ein Gegenmittel durch soziales bzw. kollektives Handeln erfordert“ (vgl. Case, zit. in Groenemeyer, 2012, S. 27). Die Professionellen der
Sozialen Arbeit sind kompetente Beobachterinnen und Beobachter der gesellschaftlichen Verhältnisse. Über den Berufsverband oder als Organisation aus einem Handlungsfeld der Sozialen Arbeit können sie die gesellschaftliche Gemeinschaft durch Information sensibilisieren,
56
Lösungsmodelle erarbeiten, Stellung beziehen und dadurch bei der Definition der Prekarität
als ein soziales Problem beitragen (ebd. S. 31).
5.5. Fazit
Der Beratung von prekär Beschäftigten kommt in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit
eine wichtige Rolle zu. Die fünf Säulen der Identität von Petzold können als eine Assessmenttechnik genutzt werden, um mit dem Klientel ressourcenorientiert an deren spezifischen
Bedürfnissen arbeiten zu können. Das Handlungsfeld der betrieblichen Sozialarbeit soll dazu
genutzt werden, um die Unternehmen für Themen der Prekarisierung zu sensibilisieren und
um das Abrutschen von besonders vulnerablen Gruppen von Arbeitnehmenden in die „Zone
der Verwundbarkeit“ zu verhindern. Dabei zeigt sich jedoch, dass der Handlungsspielraum der
Sozialen Arbeit stark von der ethischen Grundeinstellung eines Unternehmens abhängig ist
und durch die gegenwärtige Sozialpolitik eingeschränkt wird. Um die Bedingungen der prekär
Beschäftigten nachhaltig zu verbessern, ist daher eine Sensibilisierung der Gesellschaft für
dieses Thema nötig, um auf dem politischen Weg eine Erhöhung der sozialen Absicherung zu
erreichen und die Akzeptanz für eine nachhaltige Sozialpolitik zu schaffen. Die Soziale Arbeit
ist dabei als Profession prädestiniert, um diese Sensibilisierung der Gesellschaft voranzutreiben.
6. Schlusswort
Diese Arbeit hat sich mit der Frage beschäftigt, welches die Ursachen und Auswirkungen
der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse sind und welche Anknüpfungspunkte sich
daraus für die Soziale Arbeit in der Zusammenarbeit mit Unternehmen und prekär Beschäftigten ergeben. Für die Bearbeitung der Frage wurden drei verschiedene Subsysteme
des Gesellschaftssystems, die Ökonomie, die Politik und die gesellschaftliche Gemeinschaft
betrachtet.
Um der Frage nachgehen zu können, wurden im ersten Kapitel die verschiedenen Dimensionen, die ein prekäres Arbeitsverhältnis ausmachen, ausgeleuchtet. Das zweite Kapitel hat die
Ursachen der Prekarisierung auf den Ebenen der Ökonomie und der Politik thematisiert. Das
dritte Kapitel hat die Auswirkungen der prekären Arbeitsformen auf die betriebliche Ebene, auf
das Individuum und die Gesamtgesellschaft beschrieben. Die darin aufgezeigten Schwierigkeiten eröffneten Anknüpfungspunkte für die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit. Um Schnittstellen von wirtschaftlichem und sozialarbeiterischem Handeln und damit Anknüpfungspunkte
für die Arbeit mit Unternehmen zu finden, wurden im vierten Kapitel ethische und ökonomische
Überlegungen der Unternehmensführung betrachtet. Im fünften Kapitel wurden die Erkenntnisse aus den ersten vier Kapiteln aufgenommen, um damit einen konkreten Bezug zu den
57
Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit herzustellen. Im Folgenden werden die wesentlichsten
Erkenntnisse zusammengefasst.
Ein Ziel dieser Arbeit war es, die Gründe der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zu erarbeiten. Durch die vertiefte Betrachtung des politischen sowie des ökonomischen
Systems wurde deutlich, dass die Verbreitung der prekären Arbeitsverhältnisse mit dem seit
Ende des 20. Jahrhunderts steigenden Einfluss des Finanzkapitalismus zusammenhängt. Die
dadurch ausgelöste Gewinnoptimierung der Unternehmen zog eine Produktionskostenoptimierung durch Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer nach sich. Dank der Digitalisierung können Unternehmen ihre Produktionsstandorte auf der ganzen Erdkugel verteilen und
sich so dem Einfluss der Nationalstaaten entziehen. Diese Strategien der Wirtschaft führen zu
einer „Ent-Kommodifizierung“, die einerseits das Abwandern von Industriezweigen beinhaltet
und Arbeitslosigkeit auslöst und andererseits durch die Senkung der Einkommen und Sozialversicherungsabgaben die Senkung des De-Kommodifizierungsgrades anstrebt. Indem die
Wirtschaft durch Rollenträger im Subsystem Politik die Senkung des De-Kommodifizierungsgrades vorantreibt, entstehen für prekär Beschäftigte Arbeitsverhältnisse, die Unsicherheiten
in Bezug auf die Arbeitsplatzsicherheit, auf Schutzbestimmungen, auf die Existenzsicherung
und auf die Arbeitskonditionen aufweisen. Die durch die Wirtschaft beeinflusste Politik und die
daraus resultierende aktivierende Sozialpolitik mit ihren Rentenkürzungen und dem Zurückdrängen der Menschen in prekäre Arbeitsformen unterstützt diese Entwicklung zunehmend.
Ein weiteres Ziel dieser Bachelorarbeit war es, die Auswirkungen der prekären Arbeitsverhältnisse auf verschiedene Bereiche des Gesellschaftssystems zu thematisieren. Bei der Bearbeitung wurde deutlich, dass der weltweite Wettbewerb und die damit verbundenen Umstrukturierungsmassnahmen die Beschäftigten unter einen hohen Druck setzen. Die Loyalität der
Beschäftigten gegenüber den Betrieben wird abgelöst von einer beruflichen Identifikation, bei
der die Festangestellten eines Unternehmens mit einer guten Bildung an einer eigenen beruflichen Biografie arbeiten können. Für niederschwellige Arbeitsplätze stehen viele Anwärterinnen und Anwärter zur Verfügung. Das Fehlen von alternativen Handlungsmöglichkeiten beraubt die prekär Beschäftigten der Freiwilligkeit bei der Wahl des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen. Prekäre Arbeitsverhältnisse bedrohen die Identität eines Menschen durch
die Beeinträchtigung der Gesundheit, die Einschränkung der sozialen Beziehungen, die fehlende Selbstbestimmung bei der Arbeit und des Gefühls von Werteverlust. Diese zwei Mechanismen führen zu einer Spaltung der Gesellschaft in die privilegierte Arbeitnehmerschaft und
diejenige, die durch die ökonomische Unsicherheit in die von Castel erwähnte „Zone der Verwundbarkeit“, in die Marginalität, gedrängt werden. Die steigende Zahl von prekär Beschäftigten kann in dem Moment für die Gesellschaft ein sichtbares Problem werden, wenn sich die
58
Marginalisierten in der Überzahl befinden und sich durch kollektiven Protest gegen die bestehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen auflehnen.
In einem letzten Teil wurde in dieser Bachelorarbeit ein Anknüpfungspunkt zwischen unternehmerischem und sozialarbeiterischem Handeln gesucht, um auf die daraus entstehenden
Handlungsfelder der Sozialen Arbeit einzugehen. Das Kapitel, das ethische Überlegungen im
Zusammenhang mit der Unternehmensführung thematisierte, hat gezeigt, dass es durchaus
Stimmen in der Ökonomie gibt, die die Zweckoptimierung und das Profitinteresse der Ökonomie kritisieren und sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Beschäftigten aussprechen. Es wurde deutlich, dass eine wertschätzende Unternehmensführung zu einer erfolgreichen Erreichung der formellen sowie der informellen Ziele eines Unternehmens beitragen kann.
Ein Anknüpfungspunkt für die Soziale Arbeit ergibt sich im direkten Kontakt mit prekär Beschäftigten. Die Darlegungen haben gezeigt, dass der direkten Beratung von prekär Beschäftigten in Bezug auf finanzielle, rechtliche, berufliche und soziale Belange in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit eine wichtige Rolle zukommt. Ein weiterer Anknüpfungspunkt ergibt
sich aus der Zusammenarbeit mit Unternehmen. Hier kann die Soziale Arbeit Führungskräfte
für das Thema der Prekarisierung mit seinen Auswirkungen auf den Betrieb und das Individuum sensibilisieren. Ebenso kann sie, in Zusammenarbeit mit Unternehmen, in verschiedenen Handlungsfeldern daran arbeiten, das Abrutschen von besonders vulnerablen Gruppen
von Beschäftigten in die „Zone der Verwundbarkeit“ zu verhindern. Bei der Erarbeitung der
Frage hat sich gezeigt, dass der Handlungsspielraum der Sozialen Arbeit zum einen durch die
gegenwärtige Sozialpolitik sehr eingeschränkt und zum anderen vom Entgegenkommen der
Unternehmensführung abhängig ist. Um die Bedingungen der prekär Beschäftigten nachhaltig
verbessern zu können, ist daher eine Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema nötig,
um auf dem politischen Weg eine Erhöhung der sozialen Absicherung zu erreichen und Möglichkeiten für eine nachhaltige Sozialpolitik zu schaffen. Hier sollte die Soziale Arbeit in Zukunft
eine aktive Rolle einnehmen. Anstatt sich von verschiedenen Interessengruppen die Arbeitskonditionen vorgeben zu lassen, sollte sich die Soziale Arbeit bei der Gestaltung der zukünftigen Rahmenbedingungen einmischen. Eine nachhaltige Sozialpolitik unterstützt die Bestrebungen der Sozialen Arbeit, mit den prekär Beschäftigten grundsätzliche und langfristige Lösungen zu erarbeiten.
59
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63
Sozialhilfegesetz
Kanton
Zürich
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Swissstaffing. (2015b). Jahresbericht 2014. Dübendorf: swissstaffing.
Unia. (2015). Gesamtarbeitsvertrag. Gefunden am 28.8. 2015 unter http://www.unia.ch/de/
arbeitswelt/ von-a-z/gesamtarbeitsvertrag/gav-service/
64
9. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Bestandteile eines Normalarbeitsverhältnis
(Quelle : OR, 2015. Unia, 2015. GAV Maler u. Gipser,2015. Eigene Darstellung)
Tabelle 2:
Formen möglicher flexibler Arbeitsverhältnisse
(Quelle: Caritas, 2001, S. 27. Eigene Darstellung)
Tabelle 3:
Darstellung der Sozialstaatlichen Schutzunsicherheit
(Quelle: Pelizzari, 2009. Mühle, 2014. Eigene Darstellung)
Tabelle 4:
Verteilung der Tieflohnstellen nach Wirtschaftszweigen und Geschlecht (2010)
(Quelle: BFS, 2012, S. 2)
Tabelle 5:
Arbeit auf Abruf / Durchschnitt 2. Quartal 2005-2014
(Quelle: Bundesamt für Statistik BFS, 2015c. Eigene Darstellung)
Tabelle 6: Anzahl atypisch prekäre Arbeitsverhältnisse: Arbeit auf Abruf
(Quelle: Ecoplan, 2010, S. 91)
Tabelle 7: Anzahl Temporärarbeitende pro Jahr
(Quelle: swissstaffing, 2015b, S. 24)
Tabelle 8: Befristete Arbeitsverhältnisse / 4. Quartal 2005-2014
(Quelle: BFS, 2015a. Eigene Darstellung)
Tabelle 9: Anzahl atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse: Befristete Arbeitsverhältnisse
(Quelle: Ecoplan, 2010, S. 91)
Tabelle 10: Anzahl atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse: Scheinselbständigkeit
(Quelle: Ecoplan, 2010, S. 91)
Tabelle 11: Atypisch-prekäre Arbeitsverhältnisse nach höchster abgeschlossener
Ausbildung , in %, Entwicklung 1992-2008
(Quelle: Ecoplan, 2010, S. 77)
Tabelle 12: Anteile atypisch-prekärer Arbeitsverhältnisse in einzelnen Wirtschaftsklasse
2002 und 2007 im Vergleich: SAKE-Auswertungen
(Quelle: Ecoplan,2010, S. 65)
Tabelle 13: Invalidität nach sozioprofessionellen Kategorien, in Prozent
(Quelle: Villiger, Knöpfel, 2009, S. 45)
Tabelle 14: Die Wirkungsmechanismen des materiellen Erklärungsansatzes
(Quelle: Villiger, Knöpfel, 2009, S. 53)
Tabelle 15: Das "Schalen-Modell" des Unternehmensvermögens
(Quelle: Fuchs, 2005, S. 157)
65
11. Schlusserklärung
Ich erkläre hiermit:
Dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe und ohne Benützung anderer als der angegebenen Hilfsmittel verfasst habe.
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Schaffhausen, 6. Oktober 2015
Veröffentlichung Bachelorarbeit
Ich bin damit einverstanden, dass meine Bachelor Thesis bei einer Bewertung mit der
Note 5.5 oder höher der Bibliothek für die Aufnahme ins Ausleiharchiv und für die
Wissensplattform Ephesos zur Verfügung gestellt wird. Sie darf auch an Aussenstehende
verkauft werden.
□ ja
□ nein
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Schaffhausen, 6. Oktober 2015
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