Neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinal

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UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES
Neuroendokrine Neoplasien des GastrointestinalTraktes: Diagnostik und interdisziplinäre Therapie
Christian Fottner, Matthias M. Weber; Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen,
I. Medizinische Klinik und Poliklinik; Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
ENETS center of excellence
Neuroendokrine Neoplasien (NEN) des Verdauungstraktes stellen eine seltene und bezüglich ihrer Biologie, Klinik und Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar. Dies stellt hohe Anforderungen an die Diagnostik und Therapie dieser an Inzidenz zunehmenden Tumoren und erschwert eine
einheitliche Therapieempfehlung. Wichtigstes therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgische
Tumorentfernung. Ist diese nicht möglich, erfolgt die Therapie in der Regel multimodal und multidisziplinär und orientiert sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen Spontanverlauf sowie der klinischen Beschwerdensymptomatik des Patienten.
Klassifikation und Prognose
Gastro-entero-pankreatische Neuroendokrine Neoplasien (GEP-NEN)
sind seltene Tumoren mit einer Inzidenz von etwa 5/100.000 Einwohnern bei einer geschätzten Prävalenz von 35/100.000. Sie machen
5 % aller Neoplasien des Gastrointestinaltrakts aus mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 50.
und 60. Lebensjahr bei ausgeglichenem Geschlechterverhältnis [1].
Über die letzten 30 Jahre lässt sich
ein stetiger Anstieg der Inzidenzzahlen beobachten, der wahrscheinlich der besseren Diagnostik
geschuldet ist. Neben dem Stadium
der Erkrankung sind der Differenzierungsgrad des Tumors, das Alter
bei Diagnosestellung sowie die Primärtumorlokalisation wesentliche
prognostische Faktoren. Auch
wenn die Prognose der differenzierten GEP-NET eher als günstig
eingeschätzt wird, liegt die kumulative 5 Jahres-Überlebensrate nur
zwischen 45 und 70 % [2].
Heute wird zwischen einer großen
Anzahl morphologisch und biologisch gut definierter Tumorentitäten unterschieden, so dass der immer noch oft verwendete Begriff
des „Karzinoids“ bzw. des „Inselzelltumors“ nicht mehr ausreicht,
um diese heterogene Tumorgruppe zu klassifizieren. Aktuelle
Grundlage für die Diagnostik und
Therapie von GEP-NEN bildet die
Klassifizierung nach WHO 2010 mit
einem proliferationsbasierten Grading und die lokalisationsbezogenen TNM-Klassifikation [3, 4]. Diese
Informationen sind vor Therapiebe-
ginn obligat zu fordern, da sie nicht
nur eine Abschätzung der Prognose
des Patienten ermöglichen sondern
auch wesentlich für die Therapieauswahl sind ( Abb. 1). Die WHOKlassifikation aus dem Jahr 2010
impliziert, dass alle NEN potentiell
V.a. Neuroendokrine Neoplasie
Mikroskopie
Morphologie: vereinbar mit NEN
Differenzierungsgrad: hochdifferenziert vs. gering differenziert
Immunhistologische Diagnosesicherung
Synaptophysin, Chromogranin A
Proliferationsbasiertes Grading
Grad Ki-67 Index (%) Mitosen (10 HPF)
G1
G2
G3
≤2
3-20
>20
<2
2-20
>20
Makroskopie / Klinik
TNM-Klassifikation
Tumorgröße, Lymphknoten, Metastasen
Organlokalisation, funktionelle Aktivität, hereditärer Hintergrund
Klassifikation von NEN nach WHO 2010
Neuroendokriner Tumor (NET)
• G1
• G2
(klein/großzelliges) neuroendokrines Karzinom (NEC)
• G3
Gemischtes Adeno-/neuroendokrines Karzinom
Hyperplastische und präneoplastische Läsion
Abb. 1: Strukturiertes Vorgehen für die Diagnostik und Klassifikation von GEP-NEN
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Syndrom
Leitsymptome
Hormon
Symptomatische
med. Therapie
Häufig
Insulinom
Gastrinom
(ZollingerEllison-Syndrom)
KarzinoidSyndrom
Hyperinsulin.
nüchtern
-hypoglykämie
Insulin
Diazoxid
Everolimus
(bei metasta­siertem
Insulinom)
(SSA)
Therapierefraktäre
Ulcera, Diarrhoe
Gastrin
PPI (hochdosiert)
(SSA)
Diarrhoe, Flush,
abd. Schmerzen.
Bronchokonstriktion
Serotonin
(Diagnostik:
5-Hydroxy-­
Indolessig­säure im
24-h-Sammel­urin)
SSA
INF
Serotoninantagonisten
(Telotristat-Ethyl
in klin. Studien)
Loperamid
Tinctura opii
Selten
VIPom
(Werner MorrisonSyndrom)
Glukagonom
Wässrige Diarrhoe,
Hypokaliämie,
Achlorhydrie
VIP
(Vasoaktives
intestinales
Polypeptid)
Diabetes mellitus,
nekrolytisches
migratorisches Erythem
Glukagon
SSA
Loperamid
Tinctura opii
ggfs. Kalium
SSA
Insulin/ggfs. orale
Antidiabetika
* SSA Somatostatin-Analoga, PPI Protonenpumpeninhibitoren, INF Interferon
Tab. 1: Klassifikation, Leitsymptome und symptomatische medikamentöse Therapieoptionen hormonaktiver GEP-NEN.
maligne sind und sich lediglich hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit
zu metastasieren unterscheiden.
Unter dem Begriff des „Neuroendokrinen Tumors“ (NET) wird die
Gruppe der gut bis mäßig differenzierten Neuroendokrinen Neoplasien zusammengefasst und anhand des Proliferations-basierten
Gradings weiter in G1 und G2 unterteilt, während die niedrig differenzierten, rasch proliferativen,
klein- oder großzelligen (G3) Tumore als Neuroendokrine Karzinome (NEC) bezeichnet werden. Die
prognostische Relevanz des Gradings konnte in mehreren Studien
belegt werden und erlaubt eine gute Korrelation mit der mittleren
Überlebensdauer.
Klinik und Diagnose
Das Beschwerdebild, das durch
GEP-NEN verursacht wird, ist in erster Linie abhängig vom primären
Ursprungsort des Tumors und der
Funktionalität. Etwa 30 % aller
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GEP-NEN sind hormonaktiv und
können, je nach freigesetztem Peptid-Hormon, ein spezifisches klinisches Beschwerdebild verursachen.
[5]. Eine Übersicht über die wichtigsten Hormonsyndrome, ihre biochemische Diagnostik und medikamentöse Therapie gibt Tab. 1. Die
Mehrzahl der GEP-NEN sind klinisch
hormoninaktiv und können durch
mechanische Probleme oder Blutungen symptomatisch werden.
Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund bei der Appendektomie, der Routine-Endoskopie oder
im Rahmen des Nachweises von Lebermetastasen gestellt. Da nur selten eine spezifische Beschwerdesymptomatik vorliegt, werden GEPNEN typischerweise erst in einem
bereits fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert.
Neben der biochemischen Diagnostik spezieller Hormonsyndrome
stellt das Chromogranin A (CgA)
den wichtigsten neuroendokrinen
Tumormarker dar. Es besitzt für alle
GEP-NEN eine Sensitivität von 50 –
90 % und eine Spezifität von 83 –
99 % und korreliert mit dem klinischen Tumorverlauf. Problematisch
ist der Einsatz von CgA als Suchparameter bei Verdacht auf das Vorliegen eines GEP-NEN, da auch eine
Vielzahl anderer Faktoren wie die
Einnahme von ProtonenpumpenInhibitoren, eine chronisch atrophische Gastritis oder eine eingeschränkte Nierenfunktion zu erhöhten Spiegeln führen können.
Chromogranin A sollte daher nur
als Verlaufsparameter bei bekanntem Vorliegen eines NET benutzt
werden und nicht als initialer Suchparameter [5].
Den höchsten diagnostischen Stellenwert für die Detektion der Primärlokalisation von GEP-NEN und
die Selektion geeigneter Patienten
für eine SSTR-basierte PeptidRadiorezeptor-Therapie (PRRT) hat
die funktionelle bildgebende Diagnostik mittels Somatostatin-Rezeptor (SSTR)-Szintigraphie oder –
deutlich besser - PET (In111Octreotid-Szintigraphie bzw. 68GaDOTATOC-PET). Diese weist für gut differenzierte GEP-NEN eine Sensitivität
von mehr als 90 % auf. Voraussetzung ist die Expression von SSTR auf
der Zelloberfläche, die je nach Tumorentität in 60 bis 95 % zu finden
ist [6]. Die Endosonographie spielt
eine wichtige Rolle für die Beurteilung von NET des Magens und Duodenums, des Pankreas und des Rektums.
Therapie
Wichtigstes und einzig kuratives
therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgische Tumorentfernung [7]. Auch bei nicht kurativ
operablen Patienten kann es bei
langsam wachsenden, gut (G1)
oder mäßig (G2) differenzierten
NET sinnvoll sein, palliative chirurgische Maßnahmen durchzuführen. Die optimale therapeutische
Gesamtstrategie muss für jeden Pa-
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tienten individuell im Rahmen eines spezialisierten interdisziplinären Tumorboards festgelegt werden. Nach Ausschöpfen der chirurgischen Optionen spielt neben einem möglichen antiproliferativen
Ansatz die symptomatische Therapie mit Erhalt der Lebensqualität
des Patienten eine wesentliche Rolle. Die palliative Therapie sollte den
individuellen Spontanverlauf der
Tumorerkrankung, die Beschwerden und die Wünsche des Patienten
berücksichtigen. Prinzipiell kann
zwischen einer symptomatischen
(medikamentösen)
Behandlung
funktionell aktiver neuroendokriner Tumoren und einer antiproliferativen Therapie unterschieden
werden. Bei Vorliegen eines klinischen Hormon-Syndroms besteht
die Notwendigkeit für eine spezifische medikamentöse Behandlung,
da die Hormonsekretion in vielen
Fällen für den Patienten belastender sein kann, als der eigentliche
Tumor. Aufgrund der sehr unterschiedlichen
Wachstumskinetik
von NEN mit teilweise längeren Perioden des klinischen Wachstumsstillstandes, auch ohne spezifische
antiproliferative Therapie, sollte
die Indikation zur Therapieeskalati-
on mit Ausnahme der Somatostatin-Analoga (SSA) in der Regel erst
bei nachgewiesenem Tumorprogress oder entsprechender klinischer Beschwerdesymptomatik und
unter Abwägung des Nutzen/Nebenwirkungsverhältnisses erfolgen
( Abb. 2).
Symptomatische medikamentöse Therapie
Somatostatin-Analoga (SSA)
Mehr als 85 % aller GEP-NEN exprimieren den Somatostatin-Rezeptor
(SSTR) Subtyp 2, an welchen die Somatostatin-Analoga (SSA) Octreotid und Lanreotid mit hoher Affinität binden. Während Octreotid
dreimal täglich subkutan verabreicht werden muss, erlaubt die
Komplexierung der SSA mit Mikrosphären (Octreotid LAR, 20-30 mg
i.m. alle 28 Tage) oder Polymeren
(Lanreotid Autogel, 90-120 mg tief
s.c. alle 28 d) die Applikation in monatlichen Intervallen. Metaanalysen zeigen für beide SSA ein sehr
gutes biochemisches und klinisches
Ansprechen in bis zu 80 % [8]. Aufgrund ihrer guten antisekretorischen Wirksamkeit und ihres günstigen Nebenwirkungsprofils gelten
SSA als Therapeutika der 1. Wahl
Therapie neuroendokriner Tumore
Therapie neuroendokriner Tumore
Die drei Säulen der Therapie
Die drei Säulen der Therapie
chirurgische
chirurgische
Therapie
Therapie
symptomatische
symptomatische
Therapie
Therapie
antiproliferative
antiproliferative
Therapie
Therapie
Heilung
Heilung
Debulking
Debulking
Behandlung von
Behandlung
von
Komplikationen
Komplikationen
Erhalt
der
Erhalt der
Lebensqualität
Lebensqualität
Symptomkontrolle
Symptomkontrolle
Kontrolle
des
Kontrolle des
Tumorwachstums
Tumorwachstums
Verlängerung der
Verlängerung der
Lebenserwartung
Lebenserwartung
Abb. 2 : Therapieprinzipien bei Gastro-entero-pankreatischen NEN
zur Kontrolle eines Hormonsyndroms. Die meisten Nebenwirkungen (Diarrhö, Bauchschmerzen,
Obstipation, aufgeblähter Bauch,
entfärbter Stuhl) treten zu Beginn
der Therapie auf und bessern sich
bei dauerhafter Anwendung.
Interferon-α (INF) besitzt ebenfalls
eine antisekretorische Wirkung bei
NET, kommt aber aufgrund des
deutlich schlechteren Nebenwirkungsprofils nur als Therapieoption der 2. Wahl insbesondere bei
SSTR negativen NET zum Einsatz
[9]. Die Tabelle 1 zeigt weitere
Medikamente, die bei der Behandlung spezifischer Hormonsyndrome eingesetzt werden können.
Antiproliferative Therapie nicht
kurativ behandelbar GEP-NEN
Aufgrund der Heterogenität der
Tumoren bezüglich ihres biologischen Verhaltens und der Prognose
können keine einheitlichen allgemeingültigen Therapieschemata
vorgegeben werden. Vergleichende Studien zu den verschiedenen
Therapieoptionen existieren ebenso wenig wie Daten über die optimale Therapiesequenz. Die Entscheidung für ein spezielles Therapiekonzept muss daher individuell
festgelegt werden. Eine Orientierung für die Erstellung eines individuellen Therapiekonzeptes geben
die 2016 neu publizierten Leitlinien
der Europäischen Neuroendokrinen Tumorgesellschaft (ENETS)
[10]. Bei der Auswahl der antiproliferativen Therapie muss neben der
Wirksamkeit auch die Verträglichkeit der Therapie berücksichtigt
werden, um für den Patienten eine
möglichst gute Lebensqualität zu
erhalten. Aggressive Therapiemaßnahmen sind primär bei Patienten
mit schnell wachsenden Tumoren
oder bei Patienten, deren klinische
Symptome auf keine der üblichen
nebenwirkungsärmeren Behandlungsoptionen ansprechen, indiziert. Den Versuch eines schemati-
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Gut differenziert
NET G1 / G2
Hormonaktiv Dünndarm
gering differenziert
NEC G3
Pankreas
langsames Wachstum
schnelles
Wachstum,
hohe
Tumorlast
Somatostatinanaloga
+ ggfs. spezifische antisymptomatische Therapie (INF, PPI, Telotristat etc.)
Platin-basierte
Chemotherapie
Progress
Everolimus
(DD / Lunge)
Stabilisation,
geringere
Tumorlast
PRRT
OR nötig,
dissemininierter
Befall,
hoher SSTRUptake
lokal
ablative
Therapie
dominanter
Leberbefall
Progress
STZ + 5FU
TEM CAP
OR nötig,
disseminierter
Befall,
rascher Progress,
höherer Ki-67-Index
Everolimus
Sunitinib
Stabilisation,
geringere
Tumorlast
Progress
Progress
Studien, experimentelle Therapien !?
Abb. 3 : Schematischer Therapiealgorithmus nicht operabler, metastasierter GEP-NEN,
(DD = intestinale NET; OR = objective response; SSTR = Somatostatin-Rezeptor).
schen Therapiealgorithmus nicht
operabler, metastasierter GEP-NEN
stellt Abb. 3 dar.
Medikamentöse
Therapieoptionen
Somatostatin-Analoga (SSA)
In der prospektiven, randomisierten Placebo-kontrollierten PROMID-Studie konnte bei Patienten
mit metastasierten, hoch differenzierten NET G1 des Dünndarms erstmals ein signifikanter antiproliferativer Effekt von Octreotid gezeigt
werden, mit einer Verlängerung
des progressionsfreien Überlebens
(PFS) von 5,9 unter Placebo auf 15,6
Monate unter Octreotid LAR 30mg
alle 28 Tage i.m. bei gleichzeitig
sehr guter Verträglichkeit [11]. Die
antiproliferative Wirksamkeit von
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SSA wurde dann eindrücklich durch
die CLARINET-Studie bestätigt [12],
einer prospektiven, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase
III Studie, zur Wirkung von Lanreotid Autogel 120mg alle 28d s.c. bei
Patienten mit nicht-funktionellen,
gut bis mäßig differenzierten GEPNET G1/2 (Ki-67 Index bis 10 %). Die
Therapie mit Lanreotid führte zu einer signifikanten Reduktion des Risikos für einen Krankheitsprogress
um mehr als 50 % (p=0.0002, HR
0,47 [95% CI: 0,30 – 0,73]) mit einer
signifikanten Verlängerung des
medianen PFS von 18 Monaten unter Placebo auf über 30 Monate,
wenn man die offene Extensionsstudie miteinbezieht, da das mediane PFS innerhalb der randomisierten Studie unter Lanreotid noch
nicht erreicht war. Dabei war der
antiproliferative Effekt von Lanreotid unabhängig von der hepatischen Tumorlast, dem Proliferationsstatus sowie der Lokalisation
auch bei pankreatischen NET nachweisbar. Aufgrund ihrer nachgewiesenen antiproliferativen Wirkung und ihrer guten Verträglichkeit kann die Therapie mit langwirksamen SSA daher auch bei hormoninaktiven gut differenzierten
und langsam wachsenden GEP-NET
als antiproliferative Therapieoption der 1. Wahl angesehen werden.
Chemotherapie
Hoch differenzierte und in der Regel langsam wachsende GEP-NET
sind im Allgemeinen weitgehend
Chemotherapie-resistent. Ausnah-
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men hiervon sind pankreatische
NET sowie die gering differenzierten, hochproliferativen NEC G3. So
zeigen pankreatische NET ein objektives Therapieansprechen auf eine Kombinationschemotherapie
mit Streptozotocin, (Doxorubicin)
und 5-FU in etwa 40 % und eine
Stabilisierung der Erkrankung in etwa 50 % [13]. Die Dauer des Ansprechens liegt bei etwa 9 Monaten, das PFS nach 2 Jahren bei ca.
40 % und das Gesamtüberleben bei
75 %. Insgesamt ist diese Therapie
relativ gut verträglich und stellt
laut ENETS guidelines die Therapieoption der 1. Wahl bei progredienten NET G1/G2 des Pankreas mit hoher Tumorlast oder klinischer Symptomatik dar. Alternativ wird Temozolomid, ein methylierendes Zytostatikum der 4. Generation, in
Kombination mit Capecitabin mit
vielversprechenden
Ergebnissen
zur Therapie pankreatischer NET
eingesetzt. Niedrig differenzierte
hoch proliferative NEC G3 sprechen
in der Regel gut auf eine Platin-basierte Chemotherapie an, mit einer
ORR von etwa 40 %, aber einem
meist nur kurzen PFS von knapp 9
Monaten und einer schlechte Prognose mit einer 2 Jahres-Überlebensrate von ca. 20 %. Die potentiell schwerwiegenden Nebenwirkungen einer Platin-basierten Polychemotherapie vor allem in Bezug
auf ihre Hämato- und Nephrotoxizität erfordern eine optimale supportive Therapie.
Molekular zielgerichtete Therapie
In einer prospektiven, randomisierten, doppel-blinden Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie an 177
Patienten mit pankreatischen NET
und dokumentiertem Progress innerhalb von 12 Monaten, konnte
unter Sunitinib (37,5 mg/d p.o.) eine Verlängerung des PFS von 5,5
auf 11,4 Monate gezeigt werden
(HR 0,418). Das objektive Therapieansprechen nach RECIST lag un-
ter Sunitinib bei 9,3 % vs. 0 % unter
Placebo [14]. Eine Verlängerung
des PFS konnte dabei in allen Subgruppen nachgewiesen werden,
unabhängig von Proliferationsindex, der hormonellen Aktivität
oder einer Vorbehandlung mit SSA
oder Chemotherapie. In der prospektiven, randomisierten, doppelblinden Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie (RADIANT-3) an 410
Patienten mit pankreatischen NET
und dokumentiertem Progress innerhalb von 12 Monaten zeigte sich
unter der Gabe von 10 mg Everolimus täglich eine Verlängerung des
medianen PFS von 4,6 auf 11,0 Monate (HR=0,35; p<0,0001) unabhängig vom Proliferationsindex, der
hormonellen Aktivität oder einer
Vorbehandlung mit SSA oder Chemotherapie. Auch hier lag die ORR
bei lediglich 4,8 % [15].
In einer weiteren prospektiven,
randomisierten,
doppel-blinden
Placebo-kontrollierten
Phase-III
Studie (RADIANT-4) konnte erstmals auch bei fortgeschrittenen,
progredienten, nicht funktionellen
NET der Lunge und des Intestinaltrakts sowie bei NET mit unklarem
Primarius ein antiproliferativer Effekt von Everolimus (10 mg/d p.o.)
belegt werden [16]. Dabei wurde
an > 300 Patienten gezeigt, dass
Everolimus im Vergleich zu Placebo
das mediane PFS signifikant von 3,9
auf 11 Monate (HR 0,48, p<0;00001)
verlängert.
Eine signifikante Verlängerung des
Gesamtüberlebens (OS) konnte bisher in keiner der Studien mit molekular zielgerichteten Therapien
oder SSA gezeigt werden.
Lokoregionäre ablative
Therapieverfahren
Die lokal ablative Therapie spielt
bei den bevorzugt in die Leber metastasierenden NET eine wichtige
Rolle. Bei einzelnen kleineren Lebermetastasen ist eine Thermoablation (Radiofrequenzablation, La-
serablation) möglich. Bei multiplen
Lebermetastasen bietet sich die
transarterielle Embolisation (TAE)
der oft stark hypervaskularisierten
Lebermetastasen an. Neben der alleinigen Verwendung von Mikrosphären zur Gefäßembolisation
kann diese zusätzlich mit einer lokalen Gabe eines Chemotherapeutikums kombiniert werden (TACE).
Die verfügbaren Daten zeigen für
beide Verfahren vergleichbare Ergebnisse mit einem radiologischen
Ansprechen von 53 bzw. 56 % für
die TACE bzw. TAE. Die Remissionsraten liegen bei bis zu 80 % mit einem medianen OS nach Embolisation von 70 Monaten und einer Überlebensrate von 40 – 65 % nach 5
Jahren, weshalb lokal ablative Verfahren bei progredienten gut differenzierten NET mit dominanter Lebermetastasierung als Therapieoption der 1. Wahl in Erwägung gezogen werden sollten [17]. Alternativ
kann die selektive interne Radiotherapie (SIRT) mit 90Yttrium markierten Mikrosphären eingesetzt
werden. Die hierzu publizierten
Daten an kleineren Patientenkollektiven zeigen ähnliche Ansprechraten ohne jedoch eine Überlegenheit gegenüber der TA(C)E zeigen zu können.
Peptidradiorezeptor-Therapie
(PRRT)
Durch die stabile Markierung von
Somatostatinanaloga mit Radionukliden wie 90Yttrium oder 177Lutetium ist der Einsatz dieser Radiopeptide im Sinne einer systemisch
wirksamen PRRT möglich. Bisher
veröffentlichte Metaanalysen und
die Daten dreier größerer Patientenkollektive aus den aktivsten europäischen Zentren zeigen eine
ORR von 6 – 33 % (im Mittel 31 %),
wobei komplette Remissionen sehr
selten beobachtet werden. Meist
kann durch die Therapie eine Stabilisierung des Tumorwachstums erreicht werden (44 – 88 %, im Mittel
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52 %), während ein Fortschreiten
der Erkrankung in 12 – 24 % (im
Mittel 17 %) beobachtet wird [18].
Im letzten Jahr wurden erstmals
Daten der NETTER-1 Studie vorgestellt. In dieser multinationalen,
prospektiven, randomisierten Parallelgruppen-Studie waren 229 Patienten mit gut differenzierten NET
des Dünndarms und Tumor-Progresses unter Octreotid LAR (30 mg/4
Wochen) entweder mit 4 Zyklen
PRRT (je 7,4 GBq Lu-DOTATATE)
oder einer verdoppelten Dosis von
Octreotid LAR (60 mg /4 Wochen)
behandelt worden. In der PRRTGruppe erhielten 76 % der Patienten alle vorgesehenen 4 Zyklen, eine dosislimitierende Toxizität war
lediglich bei 5 % der Patienten
nachweisbar. Das mediane PFS war
in der PRRT Gruppe bisher noch
nicht erreicht und betrug in der
Kontrollgruppe 8,4 Monate (HR
0,24, p<0,0001). Die ORR betrug in
der PRRT-Gruppe 18 % im Vergleich zu 3 % in der Hochdosis Octreotid-Gruppe (p=0,0008). Die Interim-Auswertung des Gesamtüberlebens zeigte 13 Todesfälle in der
PRRT-Gruppe und 22 Todesfälle in
der Kontrollgruppe (p=0,019). Dies
war zwar nicht signifikant, lässt jedoch für die weitere Nachbeobachtungs-Periode eine signifikante
Verbesserung des Gesamtüberlebens in der PRRT Gruppe erwarten.
Wichtigste Grad 3-4 Nebenwirkungen im PRRT-Arm waren: Neutropenie, Thrombozytopenie und
Lymphopenie (1 %, 2 % und 9 %),
die im Kontroll-Arm nicht nachweisbar waren [19].
Voraussetzung für die PRRT ist eine
hohe SSTR-Dichte. Die Patienten
müssen eine normale Nierenfunktion und eine ausreichende Knochenmarkreserve aufweisen, da
sich als hauptsächliche Nebenwirkungen vor allem beim Einsatz von
90Yttrium eine radiogene Knochenmark- sowie Nierenschädigung zeigen kann. Aufgrund der
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geringeren Strahlungsaktivität und
Reichweite finden sich renale Nebenwirkungen bei Verwendung
von 177Lutetium als Radionuklid
seltener. Hier wird allerdings eine
diskret erhöhte Rate von lymphoproliferativen Erkrankungen und
myelodysplastischen Syndromen
als Spätfolgen beobachtet. Signifikante Unterschiede bezüglich der
Wirksamkeit lassen sich mit den bislang veröffentlichen Daten nicht
belegen. Der optimale Zeitpunkt
dieser Therapieform im therapeutischen Algorithmus von GEP-NEN ist
ebenfalls nicht geklärt. Hier müssen
die Ergebnisse der Langzeit-Nachbeobachtung der NETTER-1 Studie
abgewartet werden.
Radiotherapie
Daten zur radioonkologischen Therapie von GEP-NEN liegen nicht vor.
Eine sinnvolle Indikation zur Radiotherapie kann bei symptomatischen Metastasen zur lokalen Kontrolle des Tumorwachstums gegeben sein, insbesondere bei Knochen- oder Hirnmetastasen. Ziel ist
hier die Verbesserung der Lebensqualität und die Symptomkontrolle, was häufig durch die Bestrahlung als nützliche Ergänzung anderer Therapieverfahren gelingt.
Fazit
• GEP-NEN stellen eine seltene
und in Bezug auf ihr biologisches
Verhalten und die Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar.
• Grundlage für Diagnostik und
Therapie bildet die Klassifizierung
nach WHO 2010, das proliferationsbasierte Grading und die lokalisationsbezogene TNM-Klassifikation
• Das klinische Beschwerdebild ist
meist unspezifisch und abhängig
vom primären Ursprungsort des Tumors und der Funktionalität .
• Chromogranin A ist der wichtigste Tumormarker bei GEP-NEN.
• Die funktionelle Diagnostik mittels Somatostatin-Rezeptor–Szintigraphie/PET spielt eine entscheidende Rolle bei der bildgebenden
Diagnostik.
• Aufgrund der Heterogenität
von GEP-NET kann keine einheitliche Therapieempfehlung vorgegeben werden. Wichtigste therapeutische Prinzipien sind die komplette
chirurgische Tumorentfernung und
bei metastasierten Tumoren die
Therapie mit SSA.
• Bei weiterem Progreß muss das
Therapiekonzept individuell und
multidisziplinär festgelegt werden
und sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen
Spontanverlauf und der Beschwerdensymptomatik (Quality of Life)
orientieren.
Literatur: www.onkologie-heute.info
Interessenkonflikte:
CF: Vortragshonorare/Kongressreisekosten-Unterstützung durch die Firmen Novartis Oncology GmbH, Ipsen Pharma
GmbH, Pfizer Oncology.
MMW: Vortragshonorare/Kongressreisekosten-Unterstützung durch Novartis Oncology GmbH, Ipsen Pharma GmbH, Pfizer
Oncology und Forschungsförderung durch
Novartis und Ipsen.
Korrespondenzadresse:
Priv.Doz. Dr. med. Christian Fottner
Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen
I. Medizinische Klinik und Poliklinik
Universitätsmedizin Mainz
Langenbeckstrasse 1
55101 Mainz
Tel.: 06131/17-7260
Fax.: 06131/17-6619
[email protected]
Priv.Doz. Dr. med.
Christian Fottner,
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