UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES Neuroendokrine Neoplasien des GastrointestinalTraktes: Diagnostik und interdisziplinäre Therapie Christian Fottner, Matthias M. Weber; Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, I. Medizinische Klinik und Poliklinik; Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, ENETS center of excellence Neuroendokrine Neoplasien (NEN) des Verdauungstraktes stellen eine seltene und bezüglich ihrer Biologie, Klinik und Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar. Dies stellt hohe Anforderungen an die Diagnostik und Therapie dieser an Inzidenz zunehmenden Tumoren und erschwert eine einheitliche Therapieempfehlung. Wichtigstes therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgische Tumorentfernung. Ist diese nicht möglich, erfolgt die Therapie in der Regel multimodal und multidisziplinär und orientiert sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen Spontanverlauf sowie der klinischen Beschwerdensymptomatik des Patienten. Klassifikation und Prognose Gastro-entero-pankreatische Neuroendokrine Neoplasien (GEP-NEN) sind seltene Tumoren mit einer Inzidenz von etwa 5/100.000 Einwohnern bei einer geschätzten Prävalenz von 35/100.000. Sie machen 5 % aller Neoplasien des Gastrointestinaltrakts aus mit einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr bei ausgeglichenem Geschlechterverhältnis [1]. Über die letzten 30 Jahre lässt sich ein stetiger Anstieg der Inzidenzzahlen beobachten, der wahrscheinlich der besseren Diagnostik geschuldet ist. Neben dem Stadium der Erkrankung sind der Differenzierungsgrad des Tumors, das Alter bei Diagnosestellung sowie die Primärtumorlokalisation wesentliche prognostische Faktoren. Auch wenn die Prognose der differenzierten GEP-NET eher als günstig eingeschätzt wird, liegt die kumulative 5 Jahres-Überlebensrate nur zwischen 45 und 70 % [2]. Heute wird zwischen einer großen Anzahl morphologisch und biologisch gut definierter Tumorentitäten unterschieden, so dass der immer noch oft verwendete Begriff des „Karzinoids“ bzw. des „Inselzelltumors“ nicht mehr ausreicht, um diese heterogene Tumorgruppe zu klassifizieren. Aktuelle Grundlage für die Diagnostik und Therapie von GEP-NEN bildet die Klassifizierung nach WHO 2010 mit einem proliferationsbasierten Grading und die lokalisationsbezogenen TNM-Klassifikation [3, 4]. Diese Informationen sind vor Therapiebe- ginn obligat zu fordern, da sie nicht nur eine Abschätzung der Prognose des Patienten ermöglichen sondern auch wesentlich für die Therapieauswahl sind ( Abb. 1). Die WHOKlassifikation aus dem Jahr 2010 impliziert, dass alle NEN potentiell V.a. Neuroendokrine Neoplasie Mikroskopie Morphologie: vereinbar mit NEN Differenzierungsgrad: hochdifferenziert vs. gering differenziert Immunhistologische Diagnosesicherung Synaptophysin, Chromogranin A Proliferationsbasiertes Grading Grad Ki-67 Index (%) Mitosen (10 HPF) G1 G2 G3 ≤2 3-20 >20 <2 2-20 >20 Makroskopie / Klinik TNM-Klassifikation Tumorgröße, Lymphknoten, Metastasen Organlokalisation, funktionelle Aktivität, hereditärer Hintergrund Klassifikation von NEN nach WHO 2010 Neuroendokriner Tumor (NET) • G1 • G2 (klein/großzelliges) neuroendokrines Karzinom (NEC) • G3 Gemischtes Adeno-/neuroendokrines Karzinom Hyperplastische und präneoplastische Läsion Abb. 1: Strukturiertes Vorgehen für die Diagnostik und Klassifikation von GEP-NEN 08/2016 ONKOLOGIE heute 39 40 UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES Syndrom Leitsymptome Hormon Symptomatische med. Therapie Häufig Insulinom Gastrinom (ZollingerEllison-Syndrom) KarzinoidSyndrom Hyperinsulin. nüchtern -hypoglykämie Insulin Diazoxid Everolimus (bei metasta­siertem Insulinom) (SSA) Therapierefraktäre Ulcera, Diarrhoe Gastrin PPI (hochdosiert) (SSA) Diarrhoe, Flush, abd. Schmerzen. Bronchokonstriktion Serotonin (Diagnostik: 5-Hydroxy-­ Indolessig­säure im 24-h-Sammel­urin) SSA INF Serotoninantagonisten (Telotristat-Ethyl in klin. Studien) Loperamid Tinctura opii Selten VIPom (Werner MorrisonSyndrom) Glukagonom Wässrige Diarrhoe, Hypokaliämie, Achlorhydrie VIP (Vasoaktives intestinales Polypeptid) Diabetes mellitus, nekrolytisches migratorisches Erythem Glukagon SSA Loperamid Tinctura opii ggfs. Kalium SSA Insulin/ggfs. orale Antidiabetika * SSA Somatostatin-Analoga, PPI Protonenpumpeninhibitoren, INF Interferon Tab. 1: Klassifikation, Leitsymptome und symptomatische medikamentöse Therapieoptionen hormonaktiver GEP-NEN. maligne sind und sich lediglich hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeit zu metastasieren unterscheiden. Unter dem Begriff des „Neuroendokrinen Tumors“ (NET) wird die Gruppe der gut bis mäßig differenzierten Neuroendokrinen Neoplasien zusammengefasst und anhand des Proliferations-basierten Gradings weiter in G1 und G2 unterteilt, während die niedrig differenzierten, rasch proliferativen, klein- oder großzelligen (G3) Tumore als Neuroendokrine Karzinome (NEC) bezeichnet werden. Die prognostische Relevanz des Gradings konnte in mehreren Studien belegt werden und erlaubt eine gute Korrelation mit der mittleren Überlebensdauer. Klinik und Diagnose Das Beschwerdebild, das durch GEP-NEN verursacht wird, ist in erster Linie abhängig vom primären Ursprungsort des Tumors und der Funktionalität. Etwa 30 % aller ONKOLOGIE heute 08/2016 GEP-NEN sind hormonaktiv und können, je nach freigesetztem Peptid-Hormon, ein spezifisches klinisches Beschwerdebild verursachen. [5]. Eine Übersicht über die wichtigsten Hormonsyndrome, ihre biochemische Diagnostik und medikamentöse Therapie gibt Tab. 1. Die Mehrzahl der GEP-NEN sind klinisch hormoninaktiv und können durch mechanische Probleme oder Blutungen symptomatisch werden. Häufig wird die Diagnose als Zufallsbefund bei der Appendektomie, der Routine-Endoskopie oder im Rahmen des Nachweises von Lebermetastasen gestellt. Da nur selten eine spezifische Beschwerdesymptomatik vorliegt, werden GEPNEN typischerweise erst in einem bereits fortgeschrittenen Tumorstadium diagnostiziert. Neben der biochemischen Diagnostik spezieller Hormonsyndrome stellt das Chromogranin A (CgA) den wichtigsten neuroendokrinen Tumormarker dar. Es besitzt für alle GEP-NEN eine Sensitivität von 50 – 90 % und eine Spezifität von 83 – 99 % und korreliert mit dem klinischen Tumorverlauf. Problematisch ist der Einsatz von CgA als Suchparameter bei Verdacht auf das Vorliegen eines GEP-NEN, da auch eine Vielzahl anderer Faktoren wie die Einnahme von ProtonenpumpenInhibitoren, eine chronisch atrophische Gastritis oder eine eingeschränkte Nierenfunktion zu erhöhten Spiegeln führen können. Chromogranin A sollte daher nur als Verlaufsparameter bei bekanntem Vorliegen eines NET benutzt werden und nicht als initialer Suchparameter [5]. Den höchsten diagnostischen Stellenwert für die Detektion der Primärlokalisation von GEP-NEN und die Selektion geeigneter Patienten für eine SSTR-basierte PeptidRadiorezeptor-Therapie (PRRT) hat die funktionelle bildgebende Diagnostik mittels Somatostatin-Rezeptor (SSTR)-Szintigraphie oder – deutlich besser - PET (In111Octreotid-Szintigraphie bzw. 68GaDOTATOC-PET). Diese weist für gut differenzierte GEP-NEN eine Sensitivität von mehr als 90 % auf. Voraussetzung ist die Expression von SSTR auf der Zelloberfläche, die je nach Tumorentität in 60 bis 95 % zu finden ist [6]. Die Endosonographie spielt eine wichtige Rolle für die Beurteilung von NET des Magens und Duodenums, des Pankreas und des Rektums. Therapie Wichtigstes und einzig kuratives therapeutisches Prinzip ist die komplette chirurgische Tumorentfernung [7]. Auch bei nicht kurativ operablen Patienten kann es bei langsam wachsenden, gut (G1) oder mäßig (G2) differenzierten NET sinnvoll sein, palliative chirurgische Maßnahmen durchzuführen. Die optimale therapeutische Gesamtstrategie muss für jeden Pa- UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES tienten individuell im Rahmen eines spezialisierten interdisziplinären Tumorboards festgelegt werden. Nach Ausschöpfen der chirurgischen Optionen spielt neben einem möglichen antiproliferativen Ansatz die symptomatische Therapie mit Erhalt der Lebensqualität des Patienten eine wesentliche Rolle. Die palliative Therapie sollte den individuellen Spontanverlauf der Tumorerkrankung, die Beschwerden und die Wünsche des Patienten berücksichtigen. Prinzipiell kann zwischen einer symptomatischen (medikamentösen) Behandlung funktionell aktiver neuroendokriner Tumoren und einer antiproliferativen Therapie unterschieden werden. Bei Vorliegen eines klinischen Hormon-Syndroms besteht die Notwendigkeit für eine spezifische medikamentöse Behandlung, da die Hormonsekretion in vielen Fällen für den Patienten belastender sein kann, als der eigentliche Tumor. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Wachstumskinetik von NEN mit teilweise längeren Perioden des klinischen Wachstumsstillstandes, auch ohne spezifische antiproliferative Therapie, sollte die Indikation zur Therapieeskalati- on mit Ausnahme der Somatostatin-Analoga (SSA) in der Regel erst bei nachgewiesenem Tumorprogress oder entsprechender klinischer Beschwerdesymptomatik und unter Abwägung des Nutzen/Nebenwirkungsverhältnisses erfolgen ( Abb. 2). Symptomatische medikamentöse Therapie Somatostatin-Analoga (SSA) Mehr als 85 % aller GEP-NEN exprimieren den Somatostatin-Rezeptor (SSTR) Subtyp 2, an welchen die Somatostatin-Analoga (SSA) Octreotid und Lanreotid mit hoher Affinität binden. Während Octreotid dreimal täglich subkutan verabreicht werden muss, erlaubt die Komplexierung der SSA mit Mikrosphären (Octreotid LAR, 20-30 mg i.m. alle 28 Tage) oder Polymeren (Lanreotid Autogel, 90-120 mg tief s.c. alle 28 d) die Applikation in monatlichen Intervallen. Metaanalysen zeigen für beide SSA ein sehr gutes biochemisches und klinisches Ansprechen in bis zu 80 % [8]. Aufgrund ihrer guten antisekretorischen Wirksamkeit und ihres günstigen Nebenwirkungsprofils gelten SSA als Therapeutika der 1. Wahl Therapie neuroendokriner Tumore Therapie neuroendokriner Tumore Die drei Säulen der Therapie Die drei Säulen der Therapie chirurgische chirurgische Therapie Therapie symptomatische symptomatische Therapie Therapie antiproliferative antiproliferative Therapie Therapie Heilung Heilung Debulking Debulking Behandlung von Behandlung von Komplikationen Komplikationen Erhalt der Erhalt der Lebensqualität Lebensqualität Symptomkontrolle Symptomkontrolle Kontrolle des Kontrolle des Tumorwachstums Tumorwachstums Verlängerung der Verlängerung der Lebenserwartung Lebenserwartung Abb. 2 : Therapieprinzipien bei Gastro-entero-pankreatischen NEN zur Kontrolle eines Hormonsyndroms. Die meisten Nebenwirkungen (Diarrhö, Bauchschmerzen, Obstipation, aufgeblähter Bauch, entfärbter Stuhl) treten zu Beginn der Therapie auf und bessern sich bei dauerhafter Anwendung. Interferon-α (INF) besitzt ebenfalls eine antisekretorische Wirkung bei NET, kommt aber aufgrund des deutlich schlechteren Nebenwirkungsprofils nur als Therapieoption der 2. Wahl insbesondere bei SSTR negativen NET zum Einsatz [9]. Die Tabelle 1 zeigt weitere Medikamente, die bei der Behandlung spezifischer Hormonsyndrome eingesetzt werden können. Antiproliferative Therapie nicht kurativ behandelbar GEP-NEN Aufgrund der Heterogenität der Tumoren bezüglich ihres biologischen Verhaltens und der Prognose können keine einheitlichen allgemeingültigen Therapieschemata vorgegeben werden. Vergleichende Studien zu den verschiedenen Therapieoptionen existieren ebenso wenig wie Daten über die optimale Therapiesequenz. Die Entscheidung für ein spezielles Therapiekonzept muss daher individuell festgelegt werden. Eine Orientierung für die Erstellung eines individuellen Therapiekonzeptes geben die 2016 neu publizierten Leitlinien der Europäischen Neuroendokrinen Tumorgesellschaft (ENETS) [10]. Bei der Auswahl der antiproliferativen Therapie muss neben der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit der Therapie berücksichtigt werden, um für den Patienten eine möglichst gute Lebensqualität zu erhalten. Aggressive Therapiemaßnahmen sind primär bei Patienten mit schnell wachsenden Tumoren oder bei Patienten, deren klinische Symptome auf keine der üblichen nebenwirkungsärmeren Behandlungsoptionen ansprechen, indiziert. Den Versuch eines schemati- 08/2016 ONKOLOGIE heute 41 42 UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES Gut differenziert NET G1 / G2 Hormonaktiv Dünndarm gering differenziert NEC G3 Pankreas langsames Wachstum schnelles Wachstum, hohe Tumorlast Somatostatinanaloga + ggfs. spezifische antisymptomatische Therapie (INF, PPI, Telotristat etc.) Platin-basierte Chemotherapie Progress Everolimus (DD / Lunge) Stabilisation, geringere Tumorlast PRRT OR nötig, dissemininierter Befall, hoher SSTRUptake lokal ablative Therapie dominanter Leberbefall Progress STZ + 5FU TEM CAP OR nötig, disseminierter Befall, rascher Progress, höherer Ki-67-Index Everolimus Sunitinib Stabilisation, geringere Tumorlast Progress Progress Studien, experimentelle Therapien !? Abb. 3 : Schematischer Therapiealgorithmus nicht operabler, metastasierter GEP-NEN, (DD = intestinale NET; OR = objective response; SSTR = Somatostatin-Rezeptor). schen Therapiealgorithmus nicht operabler, metastasierter GEP-NEN stellt Abb. 3 dar. Medikamentöse Therapieoptionen Somatostatin-Analoga (SSA) In der prospektiven, randomisierten Placebo-kontrollierten PROMID-Studie konnte bei Patienten mit metastasierten, hoch differenzierten NET G1 des Dünndarms erstmals ein signifikanter antiproliferativer Effekt von Octreotid gezeigt werden, mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (PFS) von 5,9 unter Placebo auf 15,6 Monate unter Octreotid LAR 30mg alle 28 Tage i.m. bei gleichzeitig sehr guter Verträglichkeit [11]. Die antiproliferative Wirksamkeit von ONKOLOGIE heute 08/2016 SSA wurde dann eindrücklich durch die CLARINET-Studie bestätigt [12], einer prospektiven, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase III Studie, zur Wirkung von Lanreotid Autogel 120mg alle 28d s.c. bei Patienten mit nicht-funktionellen, gut bis mäßig differenzierten GEPNET G1/2 (Ki-67 Index bis 10 %). Die Therapie mit Lanreotid führte zu einer signifikanten Reduktion des Risikos für einen Krankheitsprogress um mehr als 50 % (p=0.0002, HR 0,47 [95% CI: 0,30 – 0,73]) mit einer signifikanten Verlängerung des medianen PFS von 18 Monaten unter Placebo auf über 30 Monate, wenn man die offene Extensionsstudie miteinbezieht, da das mediane PFS innerhalb der randomisierten Studie unter Lanreotid noch nicht erreicht war. Dabei war der antiproliferative Effekt von Lanreotid unabhängig von der hepatischen Tumorlast, dem Proliferationsstatus sowie der Lokalisation auch bei pankreatischen NET nachweisbar. Aufgrund ihrer nachgewiesenen antiproliferativen Wirkung und ihrer guten Verträglichkeit kann die Therapie mit langwirksamen SSA daher auch bei hormoninaktiven gut differenzierten und langsam wachsenden GEP-NET als antiproliferative Therapieoption der 1. Wahl angesehen werden. Chemotherapie Hoch differenzierte und in der Regel langsam wachsende GEP-NET sind im Allgemeinen weitgehend Chemotherapie-resistent. Ausnah- UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES men hiervon sind pankreatische NET sowie die gering differenzierten, hochproliferativen NEC G3. So zeigen pankreatische NET ein objektives Therapieansprechen auf eine Kombinationschemotherapie mit Streptozotocin, (Doxorubicin) und 5-FU in etwa 40 % und eine Stabilisierung der Erkrankung in etwa 50 % [13]. Die Dauer des Ansprechens liegt bei etwa 9 Monaten, das PFS nach 2 Jahren bei ca. 40 % und das Gesamtüberleben bei 75 %. Insgesamt ist diese Therapie relativ gut verträglich und stellt laut ENETS guidelines die Therapieoption der 1. Wahl bei progredienten NET G1/G2 des Pankreas mit hoher Tumorlast oder klinischer Symptomatik dar. Alternativ wird Temozolomid, ein methylierendes Zytostatikum der 4. Generation, in Kombination mit Capecitabin mit vielversprechenden Ergebnissen zur Therapie pankreatischer NET eingesetzt. Niedrig differenzierte hoch proliferative NEC G3 sprechen in der Regel gut auf eine Platin-basierte Chemotherapie an, mit einer ORR von etwa 40 %, aber einem meist nur kurzen PFS von knapp 9 Monaten und einer schlechte Prognose mit einer 2 Jahres-Überlebensrate von ca. 20 %. Die potentiell schwerwiegenden Nebenwirkungen einer Platin-basierten Polychemotherapie vor allem in Bezug auf ihre Hämato- und Nephrotoxizität erfordern eine optimale supportive Therapie. Molekular zielgerichtete Therapie In einer prospektiven, randomisierten, doppel-blinden Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie an 177 Patienten mit pankreatischen NET und dokumentiertem Progress innerhalb von 12 Monaten, konnte unter Sunitinib (37,5 mg/d p.o.) eine Verlängerung des PFS von 5,5 auf 11,4 Monate gezeigt werden (HR 0,418). Das objektive Therapieansprechen nach RECIST lag un- ter Sunitinib bei 9,3 % vs. 0 % unter Placebo [14]. Eine Verlängerung des PFS konnte dabei in allen Subgruppen nachgewiesen werden, unabhängig von Proliferationsindex, der hormonellen Aktivität oder einer Vorbehandlung mit SSA oder Chemotherapie. In der prospektiven, randomisierten, doppelblinden Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie (RADIANT-3) an 410 Patienten mit pankreatischen NET und dokumentiertem Progress innerhalb von 12 Monaten zeigte sich unter der Gabe von 10 mg Everolimus täglich eine Verlängerung des medianen PFS von 4,6 auf 11,0 Monate (HR=0,35; p<0,0001) unabhängig vom Proliferationsindex, der hormonellen Aktivität oder einer Vorbehandlung mit SSA oder Chemotherapie. Auch hier lag die ORR bei lediglich 4,8 % [15]. In einer weiteren prospektiven, randomisierten, doppel-blinden Placebo-kontrollierten Phase-III Studie (RADIANT-4) konnte erstmals auch bei fortgeschrittenen, progredienten, nicht funktionellen NET der Lunge und des Intestinaltrakts sowie bei NET mit unklarem Primarius ein antiproliferativer Effekt von Everolimus (10 mg/d p.o.) belegt werden [16]. Dabei wurde an > 300 Patienten gezeigt, dass Everolimus im Vergleich zu Placebo das mediane PFS signifikant von 3,9 auf 11 Monate (HR 0,48, p<0;00001) verlängert. Eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS) konnte bisher in keiner der Studien mit molekular zielgerichteten Therapien oder SSA gezeigt werden. Lokoregionäre ablative Therapieverfahren Die lokal ablative Therapie spielt bei den bevorzugt in die Leber metastasierenden NET eine wichtige Rolle. Bei einzelnen kleineren Lebermetastasen ist eine Thermoablation (Radiofrequenzablation, La- serablation) möglich. Bei multiplen Lebermetastasen bietet sich die transarterielle Embolisation (TAE) der oft stark hypervaskularisierten Lebermetastasen an. Neben der alleinigen Verwendung von Mikrosphären zur Gefäßembolisation kann diese zusätzlich mit einer lokalen Gabe eines Chemotherapeutikums kombiniert werden (TACE). Die verfügbaren Daten zeigen für beide Verfahren vergleichbare Ergebnisse mit einem radiologischen Ansprechen von 53 bzw. 56 % für die TACE bzw. TAE. Die Remissionsraten liegen bei bis zu 80 % mit einem medianen OS nach Embolisation von 70 Monaten und einer Überlebensrate von 40 – 65 % nach 5 Jahren, weshalb lokal ablative Verfahren bei progredienten gut differenzierten NET mit dominanter Lebermetastasierung als Therapieoption der 1. Wahl in Erwägung gezogen werden sollten [17]. Alternativ kann die selektive interne Radiotherapie (SIRT) mit 90Yttrium markierten Mikrosphären eingesetzt werden. Die hierzu publizierten Daten an kleineren Patientenkollektiven zeigen ähnliche Ansprechraten ohne jedoch eine Überlegenheit gegenüber der TA(C)E zeigen zu können. Peptidradiorezeptor-Therapie (PRRT) Durch die stabile Markierung von Somatostatinanaloga mit Radionukliden wie 90Yttrium oder 177Lutetium ist der Einsatz dieser Radiopeptide im Sinne einer systemisch wirksamen PRRT möglich. Bisher veröffentlichte Metaanalysen und die Daten dreier größerer Patientenkollektive aus den aktivsten europäischen Zentren zeigen eine ORR von 6 – 33 % (im Mittel 31 %), wobei komplette Remissionen sehr selten beobachtet werden. Meist kann durch die Therapie eine Stabilisierung des Tumorwachstums erreicht werden (44 – 88 %, im Mittel 08/2016 ONKOLOGIE heute 43 44 UPDATE: NEUROENDOKRINE NEOPLASIEN DES GI-TRAKTES 52 %), während ein Fortschreiten der Erkrankung in 12 – 24 % (im Mittel 17 %) beobachtet wird [18]. Im letzten Jahr wurden erstmals Daten der NETTER-1 Studie vorgestellt. In dieser multinationalen, prospektiven, randomisierten Parallelgruppen-Studie waren 229 Patienten mit gut differenzierten NET des Dünndarms und Tumor-Progresses unter Octreotid LAR (30 mg/4 Wochen) entweder mit 4 Zyklen PRRT (je 7,4 GBq Lu-DOTATATE) oder einer verdoppelten Dosis von Octreotid LAR (60 mg /4 Wochen) behandelt worden. In der PRRTGruppe erhielten 76 % der Patienten alle vorgesehenen 4 Zyklen, eine dosislimitierende Toxizität war lediglich bei 5 % der Patienten nachweisbar. Das mediane PFS war in der PRRT Gruppe bisher noch nicht erreicht und betrug in der Kontrollgruppe 8,4 Monate (HR 0,24, p<0,0001). Die ORR betrug in der PRRT-Gruppe 18 % im Vergleich zu 3 % in der Hochdosis Octreotid-Gruppe (p=0,0008). Die Interim-Auswertung des Gesamtüberlebens zeigte 13 Todesfälle in der PRRT-Gruppe und 22 Todesfälle in der Kontrollgruppe (p=0,019). Dies war zwar nicht signifikant, lässt jedoch für die weitere Nachbeobachtungs-Periode eine signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens in der PRRT Gruppe erwarten. Wichtigste Grad 3-4 Nebenwirkungen im PRRT-Arm waren: Neutropenie, Thrombozytopenie und Lymphopenie (1 %, 2 % und 9 %), die im Kontroll-Arm nicht nachweisbar waren [19]. Voraussetzung für die PRRT ist eine hohe SSTR-Dichte. Die Patienten müssen eine normale Nierenfunktion und eine ausreichende Knochenmarkreserve aufweisen, da sich als hauptsächliche Nebenwirkungen vor allem beim Einsatz von 90Yttrium eine radiogene Knochenmark- sowie Nierenschädigung zeigen kann. Aufgrund der ONKOLOGIE heute 08/2016 geringeren Strahlungsaktivität und Reichweite finden sich renale Nebenwirkungen bei Verwendung von 177Lutetium als Radionuklid seltener. Hier wird allerdings eine diskret erhöhte Rate von lymphoproliferativen Erkrankungen und myelodysplastischen Syndromen als Spätfolgen beobachtet. Signifikante Unterschiede bezüglich der Wirksamkeit lassen sich mit den bislang veröffentlichen Daten nicht belegen. Der optimale Zeitpunkt dieser Therapieform im therapeutischen Algorithmus von GEP-NEN ist ebenfalls nicht geklärt. Hier müssen die Ergebnisse der Langzeit-Nachbeobachtung der NETTER-1 Studie abgewartet werden. Radiotherapie Daten zur radioonkologischen Therapie von GEP-NEN liegen nicht vor. Eine sinnvolle Indikation zur Radiotherapie kann bei symptomatischen Metastasen zur lokalen Kontrolle des Tumorwachstums gegeben sein, insbesondere bei Knochen- oder Hirnmetastasen. Ziel ist hier die Verbesserung der Lebensqualität und die Symptomkontrolle, was häufig durch die Bestrahlung als nützliche Ergänzung anderer Therapieverfahren gelingt. Fazit • GEP-NEN stellen eine seltene und in Bezug auf ihr biologisches Verhalten und die Prognose heterogene Gruppe von Tumorerkrankungen dar. • Grundlage für Diagnostik und Therapie bildet die Klassifizierung nach WHO 2010, das proliferationsbasierte Grading und die lokalisationsbezogene TNM-Klassifikation • Das klinische Beschwerdebild ist meist unspezifisch und abhängig vom primären Ursprungsort des Tumors und der Funktionalität . • Chromogranin A ist der wichtigste Tumormarker bei GEP-NEN. • Die funktionelle Diagnostik mittels Somatostatin-Rezeptor–Szintigraphie/PET spielt eine entscheidende Rolle bei der bildgebenden Diagnostik. • Aufgrund der Heterogenität von GEP-NET kann keine einheitliche Therapieempfehlung vorgegeben werden. Wichtigste therapeutische Prinzipien sind die komplette chirurgische Tumorentfernung und bei metastasierten Tumoren die Therapie mit SSA. • Bei weiterem Progreß muss das Therapiekonzept individuell und multidisziplinär festgelegt werden und sich an der vorliegenden Tumor-Entität, dem individuellen Spontanverlauf und der Beschwerdensymptomatik (Quality of Life) orientieren. Literatur: www.onkologie-heute.info Interessenkonflikte: CF: Vortragshonorare/Kongressreisekosten-Unterstützung durch die Firmen Novartis Oncology GmbH, Ipsen Pharma GmbH, Pfizer Oncology. MMW: Vortragshonorare/Kongressreisekosten-Unterstützung durch Novartis Oncology GmbH, Ipsen Pharma GmbH, Pfizer Oncology und Forschungsförderung durch Novartis und Ipsen. Korrespondenzadresse: Priv.Doz. Dr. med. Christian Fottner Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen I. Medizinische Klinik und Poliklinik Universitätsmedizin Mainz Langenbeckstrasse 1 55101 Mainz Tel.: 06131/17-7260 Fax.: 06131/17-6619 [email protected] Priv.Doz. Dr. med. Christian Fottner, Mainz