1 10. St. Galler Infekttag, 21. April 2005 Die Fieberkurve des Planeten Erde Prof. Christoph Schär Institut für Atmosphäre und Klima, ETH Zürich [email protected] Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Swiss Federal Institute of Technology Schär, ETH Zürich unterstützt durch: NFS Klima (Nationalfonds) EU Projekte PRUDENCE, STARDEX und ENSEMBLES 2 Inhalt Symptome Diagnose Prognose Therapie Schär, ETH Zürich 3 Der Patient: Planet Erde Alter: 4.6 Milliarden Jahre Gewicht: 6 Trilliarden Tonnen Gesundheit: seit 10’000 Jahren stabil Schär, ETH Zürich Vergletscherung der Schweiz vor ca 16’000 Jahren Basel Zürich Bern Genève Schär, ETH Zürich 4 5 Inhalt Symptome Diagnose Prognose Therapie Schär, ETH Zürich 6 Erwärmung von 1860 bis 2004 Schweizerisches Mittelland Globales Mittel (Durchschnitt der Stationen Zürich, Basel, Bern, Genève) (Abweichung vom Mittel der Periode 1961-1990) jährliche Daten gleitendes Mittel Jahr Schär, ETH Zürich Jahr (Daten: MeteoSchweiz, Zürich; Climate Research Unit, Norwich)) Jahresmitteltemperatur [ºC] 7 Rhonegletscher 1990 1940 1856 1601 Schär, ETH Zürich Eismann Ötzi Eingefroren: ca 3300 vor Christus Aufgetaut: Sommer 1991 Geborgen: September 1991 Schär, ETH Zürich 8 9 Trend intensiver Winterniederschläge in der Schweiz Winterliche Starkniederschlagsereignisse Schweiz, Alpennordseite (35 Stationen) Anzahl Ereignisse pro Jahr Zunahme: 75% in 100 Jahren Jahr Schär, ETH Zürich (Schmidli und Frei, 2005) 10 Schweizer Sommertemperaturen 1864-2003 Durchschnitt von 4 Stationen: Zürich, Basel, Bern, Genève Der Sommer 2003 ist bezogen auf das vergangene Klima ein Jahrtausendereigniss. In 70-100 Jahren könnte jeder zweite Sommer so warm (oder wärmer) wie 2003 werden. Schär, ETH Zürich (Schär et al. 2004, Nature, 427, 332-336) 11 Auswirkungen des Sommers 2003 in Europa • Ernteverluste: 12.3 Milliarden US$ (SwissRe) • Stromverknappung, Spitzenpreise am Spotmarkt (EEX, Leipzig) • Teilweise ernsthafte Problem mit Frischwasserversorgung (Italien), Fischsterben (Schweiz), Waldbränden (Portugal) • Hitzetote: zwischen 22’000 und 35’000 vorzeitige Todesfälle (sogenannte “excess mortality”) Temperaturen August 2003, relativ zum Mittel 2000-2004 Schär, ETH Zürich 12 Mortalität in Frankreich Abweichung vom langjährigen Mittel Hitzewelle +200% +160% +120% +80% +40% +0% -40% -80% 1.8. 15.8. 29.8. 12.9. 26.9. 10.10. 24.10 7.11. 21.11. 1. August - 30. November 2003 Schär, ETH Zürich (INSERM, Hémon et Jougla 2004) 13 Mortalität in Frankreich Anzahl Tage mit Tmin>20ºC und Tmax>37.5ºC 0 Schär, ETH Zürich 1-3 ≥4 Abweichung der2003 Mortalität vom langjährigen Mortality / longterm meanMittel -3% 25% 35% 45% 77% 187% (INSERM, Hémon et Jougla 2004) 14 Hitzebedingte Mortalität in Europa Schätzungen August 2003: F D ES I UK NL CH B Total 14805 ~7000 4230 4175 2045 ~1400 ~500 (1) 150 22000-35000 Zahlen aus Deutschland: 1 zusätzlicher Todesfall / 100’000 Einwohner / Tag • • primär ältere und kranke Personen • aber: Mortalitätszunahme in allen Alterskategorien nachweisbar Ursachen: • Dehydration • Mangel an Fitness • dehydrierende Medikamente • falsches Verhalten (z.B. Jogging) • Unfälle (Koppe und Jendritzky, DWD) “Bezogen auf die Anzahl Todesopfer die schlimmste Umweltkatastrophe Europas seit Menschengedenken” Gerd Jendritzky (Biometeorologe, DWD) Schär, ETH Zürich (1) Braun-Fahrländer und Thommen Dombois, Universität Basel 15 Inhalt Symptome Diagnose Prognose Therapie Schär, ETH Zürich 16 Treibhausgas CO2 2100: Szenarien bis 900 ppm CO2-Gehalt der Atmosphäre (ppm) 400 360 2000: Heute, 370 ppm 320 280 1800: Präindustriell, 280 ppm 240 200 400’000 300’000 200’000 100’000 heute Kohlendioxyd (CO2): • Bereits heute ist die Konzentration von CO2 höher als je zuvor in den vergangenen 400’000 Jahren. • CO2 ist das wichtigste vom Menschen beeinflusste Treibhausgas, andere: Methan (CH4), Lachgas (N2O), CFCs • Hauptquelle der menschlichen CO2 Emissionen: Verbrennung der fossilen Energierträger Treibhausgase akkumulieren sich in der Atmosphäre und sind klimaaktiv Schär, ETH Zürich (Petit et al. 1999 Jahre vor heute 17 Energiehaushalt des Planeten Erde Energieinput = Energieoutput Licht Licht Sonne Wärmestrahlung CO2 Schär, ETH Zürich Schlussfolgerungen des Intergovernmental Panels on Climate Change (IPCC) 1990 Die beobachtete Erwärmung ist konsistent mit den Vorhersagen von Klimamodellen, aber es könnte sich auch um eine natürliche Schwankung handeln. 1995 Nach Abwägung aller Faktoren kommen wir zum Schluss, dass ein merkbarer menschlicher Einfluss vorliegt. 2001 Es gibt neue und stärkere Hinweise darauf, dass die Erwärmung der letzten 50 Jahren durch menschliche Aktivitäten verursacht wurde. Schär, ETH Zürich 18 19 Inhalt Symptome Diagnose Prognose Therapie Schär, ETH Zürich 20 Globale Erwärmung – Zeitraum 1000-2200 “Business as usual” Szenario Anstieg der CO2 Konzentration von 370 ppm (heute) auf 830 ppm (im Jahr 2100) Temperatur (Abweichung vom Mittel 1900-2000) 4 3 Zusätzliche erwartete globale Erwärmung bis ins Jahr 2100: ca 3ºC 2 0 -1 1000 Schär, ETH Zürich 1200 1400 1600 Rekonstruktion (Nordhemisphäre) 1800 2000 2200 Szenario (Global) (IPCC SRES A2, Meinshausen) 1 21 Globale Erwärmung – Zeitraum 1000-2200 Stabilisierung des CO2-Gehalts auf 450 ppm (Verlangt eine Reduktion der globalen Emissionen um ca 50% bis 2100) Temperatur (Abweichung vom Mittel 1900-2000) 4 3 2 Zusätzliche erwartete globale Erwärmung bis ins Jahr 2100: ca 1.5ºC 1 Unsicherheit Rekonstruktion (Vergangenheit) Schär, ETH Zürich Unsicherheit Szenario (Zukunft) 0 -1 1000 1200 1400 1600 Rekonstruktion (Nordhemisphäre) 1800 2000 2200 Szenario (Global) Selbst bei Stabilisierung auf 450 ppm (wohl zu optimistisch) ist eine deutliche Erwärmung vorgezeichnet 22 Wichtigste Auswirkungen Globale und Regionale Klimamodelle Global: • Meeresspiegelanstieg • Verknappung der Süsswasser-Ressourcen Schär, ETH Zürich Alpenraum / Europa • Sommer: - Hitzewellen, Sommertrockenheit - Zunahme der Jahr-zu-Jahr Variabilität • Winterhalbjahr - Zunahme der Niederschläge / Starkniederschläge - Anstieg der Schneefallgrenze - vermehrte Hochwasser Meeresspiegel-Anstieg 1.0 Szenarien bis 2100 Potentielle Auswirkungen (längerfristig) Anstieg [m] (IPCC TAR) 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 2000 2020 2040 2060 2080 2100 Jahr Beinhaltet grosse Zeitverzögerungen: • Thermische Expansion des Meeres • Abschmelzen Grönlands Über längere Zeiträume ist Anstieg von mehreren Metern möglich. Schär, ETH Zürich (Milliman et al. 1989, IPCC) 23 24 Inhalt Symptome Diagnose Prognose Therapie Schär, ETH Zürich 25 Globale CO2-Emissionen (7.6 t CO2 / Kopf) Pro Kopf Emissionen [t C] Pro Kopf Emissionen [t CO2] Schweiz 2000: 2.1 t C / Kopf Bevölkerung [Milliarden] Heutige Emissionen werden weitgehend durch Bewohner der Industrieländer verursacht Schär, ETH Zürich Weitere Zunahme absehbar, infolge Bevölkerungswachstum und industrieller Entwicklung Wirtschafts-Wachstum in Westeuropa [%] EU inklusive Schweiz Pro Kopf Bruttosozialprodukt (inflationsbereinigt) Pro Kopf CO2-Emissionen 1961=100% Schär, ETH Zürich industrielle Ökonomie moderne Ökonomie (z.B. Schwerindustrie) (z.B. Dienstleistungen) 26 CO2-Gesetz der Schweiz ZIEL: Reduktion der CO2-Emissionen um 10% bis 2010 (gegenüber 1990) CO2-Abgabe: • Wird eingeführt falls freiwillige Massnahmen nicht ausreichen. • Branchen welche CO2- Emissionen selber begrenzen werden von der CO2-Abgabe befreit. • Abgabesatz maximal Fr. 210.- pro Tonne CO2, Erhöhung Benzinpreis maximal Fr. -.50 pro Liter. • Einnahmen aus der CO2 -Abgabe werden nach Abzug der Vollzugskosten an Wirtschaft und Bevölkerung rückerstattet. Status: • CO2-Gesetz in Kraft seit 1. Mai 2000 • Einführung der CO2-Abgabe ist in der Kompetenz des Bundesrates: - auf Brennstoffe (z.B. Heizöl) per 1. Januar 2006; - auf Treibstoffe (z.B. Benzin) vorerst aufgeschoben. Schär, ETH Zürich 27 28 Treibhausgas-Emissionen der Schweiz, 1990-2002 2003 Ziel 2010 Mio. t CO2 Total Brennstoffe (Haushalt, Industrie) Treibstoffe (Verkehr) Jahr Schär, ETH Zürich 29 Folgerungen Weitere Erwärmung kann nicht mehr vollständig verhindert werden: • Globale Erwärmung bis heute: cirka 0.6ºC • sofortige Reduktion aller Emissionen auf Null => weitere Erwärmung ca 0.5ºC • ohne Reduktion der Emissionen => Erwärmung um cirka 3ºC bis 2100 Ziel: Beschränkung der globalen Erwärmung auf <2ºC. Verlangt: => Stabilisierung der atmosphärischen CO2-Konzentration auf <450 ppm. => Reduktion der globalen Emissionen (um ca. 50% bis 2100). Folgerungen: => Die Industrienationen müssen einen ersten Schritt zur Reduktion der Emissionen leisten (Kyoto-Protokoll, CO2-Gesetz der Schweiz). Eine Reduktion der Emissionen in der Dritten Welt ist unrealistisch. Schär, ETH Zürich 30 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Schär, ETH Zürich 31 Finis Schär, ETH Zürich 32 Die internationale Klimaforschung • 1960er-Jahre: erste Studien und Modellrechnungen • 1990, 1995, 2001: Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) Mitarbeit von Tausenden von Wissenschaftlern aus der ganzen Welt. • Kontinuierliche Begutachtung auf durch Regierungsstellen und unabhängige Wissenschaftler (Fachpublikationen, IPCC-Berichte, etc). • Szenarien von 1990 sind konsistent mit den neuesten Beobachtungen. Neue Klimamodelle bestätigen ältere Rechnungen in ihren Hauptaussagen. => Die internationale Wissenschaft ist sich weitestgehend darin einig, dass die Klimaerwärmung ein globales Problem mit sehr ernsthaften Konsequenzen darstellt. Schär, ETH Zürich 33 Last 1000 years Mann et al (1998) + Reconstructions up to 2005 Schär, ETH Zürich 34 Last 1000 years Mann et al (1998) + Reconstructions up to 2005 + von Storch et al. GCM (2004) Schär, ETH Zürich 35 Schär, ETH Zürich