Kapitel 4 Dynamische Phänomene

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Kapitel 4
Dynamische Phänomene
In diesem Kapitel soll eine Auswahl astrophysikalischer Problemstellungen vom Standpunkt und mit den Mitteln der theoretischen Astrophysik untersucht werden. Allen ausgewählten Phänomenen liegen dynamische Vorgänge zugrunde, auch wenn sich einzelne
Phasen oder Teilprobleme zunächst als quasi-stationäre Zustände beschreiben lassen. Zu
ihrem Verständnis sind die im Kapitel 3 vorgestellten Grundlagen aus Hydrodynamik,
Strahlungstransport und teilweise auch aus der Magnetohydrodynamik unerläßlich.
4.0
Zusammenfassung: Grundgleichungen von Sternaufbau und Entwicklung
In Kap. 2 haben wir uns mit einfachen Polytropenmodellen von Sternen beschäftigt. Die
Ergebnisse aus Kap. 3 erlauben nun, eine detailierte und in diesem Sinne realistische Mikrophysik in Betracht zu ziehen, die die Wechselwirkung des stellaren Plasmas mit seiner
Umgebung beschreibt. Dies erlaubt eine Berechnung der thermodynamische Grundgrößen
eines Sterns wie Temperatur und Dichte als Randwertproblem, ohne auf eine – bis auf
einige asymptotische Grenzfälle nicht bekannte – Polytropenbeziehung (2.1) zurückgreifen
zu müssen (für die letztlich n und K nicht mehr konstant bleiben könnten). Die realistische
Mikrophysik umfasst dabei konkret:
• Thermodynamische Eigenschaften, beschrieben durch eine Zustandsgleichung
P = P (ρ, T ),
(4.1)
wie z.B. jener für das ideale Gas (1.19), sowie die damit im Zusammenhang stehenden
thermodynamischen Ableitungen“. Dazu zählen u.a. die spezifischen Wärmen (1.10,
”
1.11) und ihre Verhältniszahl γ (1.18), die thermodynamischen Exponenten (1.13),
die adiabatischen Exponenten (1.15), sowie die Schallgeschwindigkeit (1.17).
• Die in Kap. 3.4 in Zusammenhang mit den Gleichungen (3.95) und (3.96) definierten Extinktions- und Emissionskoeffizienten χν und ην sind, wie dort erwähnt, für
77
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
78
ruhende, homogene Medien isotrop. Um eine von den konkreten astrophysikalischen
Gegebenheiten unabhängige Berechnung der Extinktions- und Emissionseigenschaften des stellaren Plasmas zu ermöglichen, werden oft die Größen (χν /ρ) und (ην /ρ)
herangezogen. Sie besitzen die Dimension eines spezifischen Wirkungsquerschnitts,
cm2 g−1 . Beide hängen lediglich von der lokalen Temperatur und Dichte sowie der
chemischen Zusammensetzung des Plasmas ab, sofern T und ρ über die mittlere freie
Weglänge der Photonen nur wenig variieren (etwa im Sterninneren). Dies ermöglicht
eine von der astrophysikalischen Anwendung unabhängige Tabellierung, ganz wie
bei der Zustandsgleichung. Dieses Vorgehen wird insbesondere bei der Berechnung
der Rosselandopazität aus Gleichung (3.119) gerne gewählt, was physikalisch leicht
nachzuvollziehen ist. Denn für die Herleitung der Diffusionsnäherung werden ja kleine
mittlere freie Weglängen der Photonen bei allen Frequenzen angenommen, was die
gewählte Definition der Rosselandopazität nahelegt, wie in Kap. 3.4 gezeigt wurde.
• Energieerzeugung durch Kernfusion. Die Energieerzeugung pro Volumen ist durch
die Größe
n = εn (ρ, T, Xi )ρ
(4.2)
gegeben. Dabei ist εn (ρ, T, Xi ) die nukleare Energieerzeugungsrate pro Gramm Materie für eine gegebene chemische Zusammensetzung aus den Elementen (und deren
Isotopen) Xi . Die Größe Xi bezeichnet dabei den relativen Massenanteil eines Elements (oder Isotops) i an der Gesamtmasse. Analog kann auch eine Energieverlustrate
durch Neutrinos,
ν = εν (ρ, T, Xi )ρ,
(4.3)
definiert werden.
Unter diesen Voraussetzungen können nun die Grundgleichungen des Sternaufbaus und
der Sternentwicklung in einer einfachen Form angeschrieben werden. Dabei setzen wir einen
nicht-rotierenden, chemisch homogenen Stern voraus, der sich im hydrostatischen Gleichgewicht befinden soll. In diesem Fall stellt sich Kugelsymmetrie ein (Poissongleichung für
das klassische Gravitationsfeld, vergleiche auch mit der Elektrostatik). Die physikalischen
Größen sind dann nur eine Funktion des Radius. Formal läuft dies auf eine Beschreibung
des Sterns als eine Sequenz von (unendlich dünnen) Kugelschalen hinaus, wobei auf jedem
Punkt der Kugelschale (oder Sphäre) die gleichen physikalischen Bedingungen herrschen.
Um auf ein geschlossenes Gleichungssystem für dieses Problem zu kommen (gleich viele
Gleichungen wie abhängige Variable), können die Ergebnisse aus den Kap. 2 und 3 herangezogen werden.
1. Die Gleichung für die Massenbilanz über homogene Kugelschalen lautet nach (2.3)
ganz allgemein
dMr (r)
= 4πr2 ρ(r)
dr
(4.4)
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
79
und erlaubt auch (wegen ρ > 0 im Stern) den Wechsel zwischen Radius r und Masse
Mr als unabhängige Variable des Problems.
2. Die Gleichung für das hydrostatische Gleichgewicht lautet nach (2.3)
GMr (r)
dPtot (r)
=−
ρ(r)
dr
r2
(4.5)
und folgt formal aus den Navier-Stokes-Gleichungen (3.18), wie durch (3.23) gezeigt
wurde. Im Falle von sehr leuchtkräftigen Sternen muss dabei auch der Strahlungsdruck zusätzlich zum Gasdruck in die Definition des Gesamtdrucks Ptot mitaufgenommen werden (siehe Gleichungen (3.93) und (3.94)). Im Folgenden betrachten wir
der Einfachheit halber den Fall P ≡ Ptot .
3. Die Gleichung für den Temperaturgradienten lautet für den Fall, dass der gesamte
Energietransport durch Strahlung erfolgt, gemäß (3.121) nach simpler Umformung:
dT (r)
−3 χR (T (r), ρ(r))
L(r).
=
dr
16πr2
ac T (r)3
(4.6)
Für den Fall, dass der Energietransport gleichzeitig auch durch Konvektion erfolgt, was in den meisten Sternen zumindest in manchen Schichten geschieht, wird
die genaue Berechnung von dT /dr erheblich komplizierter. Eine gute Näherung für
d ln T /d ln P ist dabei meist durch den adiabatischen Temperaturgradienten gegeben
(1.15), aber für die Berechnung des Energietransports ist zumindest die Verwendung
der Mischungswegtheorie erforderlich (Kap. 3.3.3).
4. Bei der Energiebilanz oder Leuchtkraftbilanz betrachtet man die Summe von Quellen
und Senken, die auf jeder Kugelschale (der Dicke dr) wirken. Die Leuchtkraft ist ja
gemäß (3.106) der Gesamtenergiefluss durch eine Kugelschale mit der Fläche 4πr2 .
Somit ist die Änderung der Leuchtkraft gleich der Summe von Quellen und Senken
und daher
dLr (r)
= 4πr2 (n (r) − ν (r)).
dr
(4.7)
Befindet sich der Stern nicht (mehr) im Gleichgewicht, etwa in Entwicklungsphasen
der Expansion oder Kontraktion, muss in Gleichung (4.7) noch ein zeitabhängiger
Term für die Zufuhr und Abfuhr von Wärme durch diese dynamischen Vorgänge
hinzugefügt werden:
dLr (r)
= 4πr2 (n (r) − ν (r) − Q̇(r)ρ(r)),
dr
(4.8)
wobei Q̇ die in Summe zugeführte Wärmemenge (pro Gramm und Sekunde) ist. Im
allgemeinen Fall kann diese Gleichung aus dem Erhaltungssatz für die Energiedichte,
der Energiegleichung“ (3.24), hergeleitet werden.
”
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
80
Zu den Grundgleichungen des Sternaufbaus, (4.4)–(4.8), müssen noch Randbedingungen festgelegt werden. Zwei davon können für das Zentrum leicht vorgeschrieben werden:
Mr (0) = 0 und Lr (0) = 0 (vergleiche mit den Randbedingungen aus Kap. 2.1 !). Als zwei
weitere Bedingungen können nicht schon dT /dr(0) = 0 und dP/dr(0) = 0 gewählt werden,
da dies lediglich die Regularität der Lösung im Zentrum erzwingt (für Polytrope mit n < 5
kann durch dy/dx(0) = 0 zusätzlich zu y(0) = 1 bereits eine eindeutige Lösung für eine
Gaskugel mit endlichem Radius festgelegt werden, wobei die erste Nullstelle von y(x) als
Rand aufgefasst wird und die Lösung in x = 0 gleichzeitig regulär ist). Die einfachste,
wenn auch streng genommen unphysikalische Wahl für zwei Randbedingungen außen ist
P (R) = 0 und T (R) = 0. Das ergibt insgesamt vier Randbedingungen für die Gleichungen (4.4)–(4.7). Die unabhängige Variable r nimmt dabei Werte aus dem Intervall [0, R]
an, welches die Ausdehnung des Sterns definiert. In allen modernen Rechnungen verlangt
man jedoch für T (R) und P (R) von Null verschiedene Werte. Zum Beispiel sollte der
Gesamtdruck bei R eigentlich gleich dem Strahlungsdruck sein (durch die in den freien
Raum abgestrahlten Photonen), also P = Pν bzw. P = P ∗ (vgl. (3.87) bzw. (3.93)). Dies
bedeutet indirekt, dass auch bei einer endliche Temperatur T die Dichte ρ am Stern”
rand“ gegen Null gehen kann. Eine genaue Festlegung der Außentemperatur“ des Sterns
”
ist schwieriger. In erster Näherung kann man fordern, dass T (R) ungefähr gleich der Ab”
strahlungstemperatur“ ist. Diese ist dadurch festlegt, dass die Strahlung nicht mehr weiter
mit der Materie wechselwirkt, sobald diese aufgrund der geringen Dichte außen (d.h. am
Rand des Sterns) optisch dünn geworden ist. Weiterführendes dazu findet man u.a. in Kippenhahn und Weigert (1990), wo auch Bedingungen für die Eindeutigkeit der Lösungen
der Sternaufbaugleichungen beschrieben werden.
Ein nächster Schritt in Richtung der Modellierung der Sternentwicklung ist dann die
Berücksichtigung der zeitlichen Änderung der chemischen Zusammensetzung eines Sterns
durch Kernfusionsprozesse. Dies führt, wie ein Rückgriff auf die hydrodynamischen Gleichungen aus Kap. 3 sofort zeigt, zum Auftreten von Zeitableitungen in den Grundgleichungen (4.4)–(4.8) sowie zu der Forderung, weitere Erhaltungsgleichungen für die verschiedenen Elemente, etwa Wasserstoff und Helium, einzuführen. Diese können sich ja ineinander
umwandeln, wodurch sich ihr relativer Anteil an der Gesamtmasse als Funktion des Radius mit der Zeit verändert (siehe auch Kippenhahn & Weigert (1990)). Abschließend sei
noch erwähnt, dass für die meisten Entwicklungsrechnungen Mr als unabhängige Variable
bevorzugt wird (d.h. es wird [0, M ], also letztlich die Gesamtmasse M des Sterns, statt
[0, R] vorgegeben).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
4.1
81
Weiße Zwerge, Chandrasekharmasse und thermonukleare Supernovae
4.1.1
Die Chandrasekhar Grenzmasse
• Wie für jeden dynamisch stabilen Stern gilt für einen Weißen Zwerg der Masse M
dass dρ/dMr < 0, d.h. die Entartung des Elektronengases ist im Zentrum wegen der
höheren Dichte stärker relativistisch als in der Nähe der Oberfläche.
Konsequenz: Ein Weißer Zwerg ist keine Polytrope!.
• Die relevante Zustandsgleichung eines Weißen Zwergs ist die eines beliebig (und daher
nicht notwendigerweise extrem) relativistischen, (vollständig) entarteten Elektronengases:
1 8π
Pe =
3 h3
pF
Z
pv p2 dp.
0
Bezeichnet man mit m die Masse und mit me die Ruhemasse eines Elektrons so gilt
für seine Geschwindigkeit:
p
p
v=
=
m
me
v2
1− 2
c
1/2
.
Löst man diese Gleichung nach v auf, so folgt
p
v=
me
me c2
me c2 + p2
1/2
und damit
8π
Pe =
3me h3
Z
0
pF
p4 dp
.
(1 + p2 /me c2 )1/2
Mit den Definitionen z ≡ p/me c und x ≡ pF /me c läßt sich der Druck auch in der
Form
Z x
z 4 dz
8π
5
√
Pe =
(me c)
3me h3
1 + z2
0
schreiben. Damit erhält man schließlich:
Pe =
πm4e c5
f (x) ≡ A f (x)
3h3
(4.9)
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
82
mit
x
Z
f (x) ≡ 8
0
√
z 4 dz
√
= x(2x2 − 3) 1 + x2 + 3 arsh x
1 + z2
(4.10)
Ist die Entartung des Elektronengases nicht vollständig, sind Korrekturterme infolge
der endlichen Temperatur des Elektronengas zu berücksichtigen (siehe Chandrasekhar (1939), Seite 392, Gl. 198), da dann Pe = Pe (ρ, T ) statt Pe = Pe (ρ) gilt.
Analog findet man
mB
= B x3
Ye
(4.11)
8π me c 3 mB
3
h
Ye
(4.12)
ρ = ne
mit
B=
• Setzt man die obigen Beziehungen für den Druck (4.9) und die Dichte (4.11) eines
beliebig relativistischen Elektronengases in die Poisson–Gleichung für das hydrostatische Gleichgewicht (2.4) ein, so erhält man
A 1 d
B r2 dr
r2 df (x)
x3 dr
= −4πGBx3 .
Gemäß der Definition von f (x) (4.10) gilt
√
1 df (x)
8x dx
d x2 + 1
=√
=8
x3 dr
dr
x2 + 1 dr
und damit
!
√
2+1
d
x
πGB 2 3
r2
=−
x .
dr
2A
1 d
r2 dr
Diese Gleichung kann man durch Einführung einer neuen Variablen y 2 ≡ x2 + 1
umformen in
1 d
r2 dr
r
2 dy
dr
=−
πGB 2 2
(y − 1)3/2 .
2A
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
83
Sei x0 ≡ x(r = 0), d.h. y02 = x20 + 1, und definiert man einen dimensionslosen Radius
gemäß
r
r ≡ αλ
mit α =
2A 1
[cm] ,
πG By0
(4.13)
sowie ein Potential“ Φ gemäß
”
y ≡ y0 Φ ,
(4.14)
so erhält man
1 d
λ2 dλ
λ
2 dΦ
dλ
1
=− Φ − 2
y0
2
3/2
(4.15)
mit den zentralen Randbedingungen Φ(λ = 0) = 1 (wegen (4.14)) und (dΦ/dλ)λ=0 =
0, sowie der zusätzlichen Bedingung am Rande des Sterns (λ = λ1 ), daß Φ(λ1 ) = 1/y0 ,
die wegen des Verschwindens der Dichte an der Oberfläche des Weißen Zwergs erfüllt
sein muss.
Dies ist äquivalent dem Vorgeben von ρc im Zentrum und ρ = 0 am Rand, sowie der Forderung nach Regularität der Lösung im Zentrum (dρ/dr(0) = 0), ähnlich wie im Falle der Emdenschen Differentialgleichung (2.5). Vergleicht man diese
Randbedingungen und die zugehörige Gleichung (4.15) mit den Gleichungen (4.4)–
(4.7) und ihren in Kap. 4.0 diskutierten Randbedingungen, so fällt natürlich zunächst
das Fehlen einer Beziehung für T bzw. L auf. Dies ergibt sich aus der Entkopplung
der Gleichungen (4.4)–(4.5) von (4.6)–(4.7) aufgrund der (relativistischen) Entartung
der Zustandsgleichung, wodurch der Druck von der Temperatur nicht mehr abhängt.
Gleichung (4.15) wurde ausschließlich aus (4.4)–(4.5) hergeleitet. Die Randbedingung
P (R) = 0 bzw. P (R) = Pν war letztlich aus der Bedingung ρ(R) = 0 hergeleitet worden, was der Forderung Φ(λ1 ) = 1/y0 entspricht. Die Randbedingung Mr = 0 und
die Vorgabe des Bereichs [0, R] (bzw. R = 0 und [0, M ]) schließlich ist das (direkter
mit Beobachtungen vergleichbare) Gegenstück zu Φ(λ = 0) = 1 bzw. der Vorgabe
von ρc (λ1 hat für ein gegebenes y0 bzw. ρc bereits einen festen Wert). Ebenso sind
die Regularitätsbedingungen im Zentrum (Ableitungen von Φ bzw. P gleich 0) einander äquivalent. Somit ist (4.15) mit seinen Randbedingungen tatsächlich nur ein
Spezialfall des allgemeinen Sternaufbauproblems aus Kap. 4.0.
• Die Masse einer Gaskugel vom Radius λ1 ist durch
Z
M = 4π
0
λ1
ρr2 dr
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
84
gegeben. Aus der obigen Zustandsgleichung folgt damit wegen (4.11)–(4.14) für die
Masse eines Weißen Zwergs:
M = 4π
2A
πG
3/2
1
B2
−λ
2 dΦ
dλ
(4.16)
λ=λ1
• Die Differentialgleichung (4.15) impliziert, dass wenn y0 → ∞ die Funktion Φ gegen
die Lane-Emden Funktion Θn mit n = 3 strebt. Außerdem folgt α → 0 und damit
R → 0, d.h. der Radius des Sterns strebt gegen Null.
Andererseits strebt die Masse des Weißen Zwergs gegen einen endlichen Grenzwert
3/2
2A
1
2 dΘ3
lim M = 4π
−λ
,
x0 →∞
πG
B2
dλ λ=λ1 (Θ3 )
wobei λ1 (Θ3 ) die Nullstelle der Lane-Emden Funktion Θ3 vom Index n = 3 ist.
p
• Für x0 → ∞ und damit y0 = x20 + 1 → ∞ (d.h. die Elektronen im ganzen WD
sind relativistisch entartet) nähert sich die Zustandsgleichung der eines extrem relativistischen Elektronengases an, d.h. f (x) → 2x4 und
Pe = 2Ax4
und ρ = Bx3
oder
P = KCh ρ4/3
(4.17)
mit
KCh
2A
= 4/3 =
B
1/3
3
hc
Ye4/3 = 1.231 · 1015 Ye4/3 ,
4/3
π
8mB
(4.18)
wobei KCh die Polytropenkonstante eines extrem relativistischen, vollständig entarteten Elektronengases ist.
Die Chandrasekhar Grenzmasse ist daher die Masse einer Polytrope mit n = 3
und K3 = KCh und hat den Wert:
r
MCh =
3 1
2 4πm2B
hc
G
3/2
Ye2
−λ
2 dΘ3
dλ
= 5.76 Ye2 M
(4.19)
λ=λ1 (Θ3 )
Sie ist die größte Masse, die ein Stern haben kann, der durch den Druck eines entarteten Elektronengases gestützt wird (die Umrechnung in Sonnenmassen M ist
natürlich nur ein Einheitenwechsel, denn tatsächlich hängt MCh nur von mathematischen Konstanten sowie von physikalischen Naturkonstanten ab). Für symmetrische
Materie (bestehend, z.B. aus 4 He, 12 C oder 16 O) ist Ye = 0.5, d.h. MCh = 1.44 M .
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
4.1.2
85
Entwicklung von Weißen Zwergen
• Unter der Annahme M = const. folgt aus der Masse-Radius-Beziehung R(t) = const.
bzw. Ṙ = 0. Damit gilt für die zeitliche Änderung der Gravitationsbindungsenergie
M

Z
GMr
∂
dMr  = 0 ,
ĖG = − 
∂t
r
0
d.h. es wird keine Gravitationsbindungsenergie frei. Nimmt man weiterhin an, dass
Ėnuklear = 0, d.h. dass keine thermonukleare Energieerzeugung stattfindet, so folgt
für die Leuchtkraft L des WD
L = −ĖT ,
d.h. er bezieht seine Leuchtkraft vollständig aus seinem thermischen Energiereservoir.
Demnach besteht die Entwicklung von WD aus Abkühlung!
• Die Abkühlzeit ergibt sich aus
τ =−
ET
ET
=
.
L
ĖT
4
Mit L = 4πR2 σTef
f folgt log L = 4 log Tef f + 2 log[R(M )] + const., d.h. für eine
gegebene Masse gilt:
log L = 4 log Tef f + const.
Beobachtungen liefern als typische Werte (siehe Abb. 4.1)
L
= 10−2 . . . 10−3 L
R
' 10−2 R
Tef f ' (1 . . . 2) · 104 K
• Eine Abschätzung der Abkühlzeit von WD ergibt
3 kT0 M
τ≈
5 µi m B L M/ M
L/L
5/7
wobei T0 = T (r0 ) mit r0 = r(η = 0) die Temperatur am Rande des entarteten Teils
des praktisch isothermen WD ist. Für T0 ≈ 3 · 107 K und µi = 14 (C/O) erhält man
6
t = 1.7 · 10
M/ M
L/L
5/7
[Jahre] .
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
86
• Zusätzliche Energiequellen und Senken für WD:
– Neutrinoverluste sind in WD mit L >
∼ 0.1L die dominierende Energiesenke
(Plasmon–Neutrino–Prozess);
– Latente Wärme, die bei der Kristallisation der Ionen (Phasenübergang 1. Art)
frei wird;
– Gravitationsbindungsenergie, die durch die Entmischung des WD (nach teilweiser Kristallisation) frei wird.
• Mögliche Entwicklung akkretierender Weißer Zwerge
(i) Thermonukleares Zünden (siehe anschließende Diskussion thermonuklearer
Supernovae in Kapitel 4.1.3)
(ii) Induzierter Kollaps infolge inversen β–Zerfalls (Ne, Mg), wodurch Ye und
MCh ∝ Ye2 abnimmt. Betrachten wir ein Nuklid (A, Z) mit A Nukleonen, Z Protonen, N = A − Z Neutronen, Kernmasse MK (A, Z) und Atommasse MA (A, Z) =
MK (A, Z) + Zme
– β–Zerfall
(A, Z − 1) → (A, Z) + e− + ν̄e
findet spontan statt, wenn MK (A, Z−1) > MK (A, Z)+me , bzw. MA (A, Z−1) >
MA (A, Z) ist.
– Inverser β–Zerfall (Elektroneneinfang)
e− + (A, Z) → (A, Z − 1) + νe
ist möglich, wenn die Dichte (und damit auch die Entartung) der Elektronen so
groß ist, dass ihre Fermi-Energie die Bedingung
EF > MA (A, Z − 1) − MA (A, Z)
erfüllt, d.h. die Reaktion e− + (A, Z) → (A, Z − 1) + νe exotherm ist.
– Relevante Nuklide, die in WD inversen β–Zerfall erleiden, sind besonders stark
gebundene gg–Kerne (wie z.B. 12 C, 16 O oder 56 Fe) für die
MA (A, Z − 1) − MA (A, Z) > MA (A, Z − 2) − MA (A, Z − 1) .
Wenn EF > MA (A, Z − 1) − MA (A, Z) folgt daraus EF > MA (A, Z − 2) −
MA (A, Z −1), d.h. es kann ein doppelter inverser β–Zerfall (A, Z) → (A, Z −2)
stattfinden.
– Für jeden Kern (A, Z) existiert eine Schwellendichte ρβ oberhalb derer inverser
β–Zerfall stattfinden kann (z.B. ρβ = 1.1 109 [g/cm3 ]für 56 Fe→56 Mn→56 Cr).
– Inverser β–Zerfall ist von entscheidender Bedeutung für die Entstehung von
Neutronensternen und die Hochdichte–Zustandsgleichung (siehe Kap. 4.2).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
87
Abbildung 4.1: Farb-Helligkeitsdiagramm für Weiße Zwerge im Kugelsternhaufen M4 zusammen mit theoretischen Kühlkurven (durchgezogene/gestrichelte Linie für DA/DB Weiße Zwerge). Die obere Abszisse gibt die Effektivtemperatur und die rechte Ordinate das
Kühlalter der DA Weißen Zwerge an (Richer et al., ApJ 451 (1995), L17.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
4.1.3
88
Thermonukleare Supernovae
Einige Fakten zu Supernovae allgemein:
• Supernovae (= Sternexplosionen) gehören zu den energiereichsten Phänomenen im
Universum. Sie entfesseln so viel Energie, wie die Sonne in zehn Milliarden Jahren
erzeugt. Dabei erreichen sie für mehrere Wochen die Helligkeit einer ganzen Galaxie (Lmax ≈ 1043 erg/s). Der weitaus größere Teil der Energie, rund 1051 erg, wird
aber nicht als elektromagnetische Strahlung abgegeben, sondern steckt in der kinetischen Energie des stellaren Gases, das mit bis zu 0.1 c in den interstellaren Raum
geschleudert wird. Radioaktive Elemente, die bei der Explosion entstehen, heizen
durch ihren Zerfall die expandierende Gaswolke und lassen ihre Helligkeit über viele
Jahre exponentiell abklingen.
Wenn ein massereicher Stern als Supernova explodiert, sind selbst diese Energiemengen winzig im Vergleich zu der Energie, die in Form von Neutrinos abgestrahlt
wird: Einige 1053 erg oder das Äquivalent von ∼ 0.1 M werden freigesetzt, wenn
der stellare Kern zu einem Neutronenstern oder Schwarzen Loch kollabiert (siehe
Kap. 4.2).
• Die Suche nach Supernovae wird heute systematisch durch automatische Teleskope betrieben. Jedes Jahr gelingt es so, weit über 100 Ereignisse in fernen Galaxien aufzuspüren. In unserer Milchstraße ereignen sich Supernovae recht selten, nach
Schätzungen nur wenige pro Jahrhundert. Rund 200 diffuse oder sphärische Gasnebel
zeugen jedoch von vergangener Aktivität.
Seit ihrer Entstehung vor etwa 12 Milliarden Jahren haben viele 100 Millionen Supernovae das Gas der Milchstraße unter anderem mit Fe, Si, O, C und Ca angereichert
und damit die Entstehung von Planeten und des Lebens auf der Erde erst ermöglicht.
Die durch den interstellaren Raum pflügenden Explosionswellen haben das Gas verdichtet und die Geburt neuer Sterne eingeleitet. Supernovae spielen deshalb eine
zentrale Rolle im kosmischen Kreislauf der Materie und beim Werden und
Vergehen von Sternen.
Supernovae sind auch die wichtigste Quelle der hochenergetischen kosmischen
Strahlung, von der die Erde getroffen wird, und beeinflussen mit ihrer riesigen Energiefreisetzung die Entwicklung der Galaxien. Durch ihre enorme Helligkeit können sie
selbst am Rande des sichtbaren Universums beobachtet werden.
• Jüngste Beobachtungen belegen einen Zusammenhang zwischen den kosmischen
Gammablitzen und (gewissen Typen von) Supernovaexplosionen (siehe Kap. 4.3).
Astrophysiker haben daher ein starkes Interesse zu klären, welche Sterne als Supernovae explodieren, welche Vorgänge zur Explosion führen und welche Prozesse die
beobachtbaren Eigenschaften der Explosion bestimmen.
• Empirisch unterscheidet man traditionell Supernovae vom Typ I und II. Bei ersteren
fehlen Balmerlinien des Wasserstoffs im Spektrum, während bei letzteren stark dopp-
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
Thermonuclear
Si
Core Collapse
no
I
no
H
He
yes
yes
no
Ia
89
Ic
yes
IIb
Ib
II
IIL
IIp
“Hypernovae”
Ib,c pec
IIn
Abbildung 4.2: Klassifikationsschema von Supernovae mit empirischer und theoretischer
Unterteilung.
lerverbreiterte Emissions- und Absorptionslinien von Wasserstoff gemessen werden,
die auf hohe Expansionsgeschwindigkeiten der Sternmaterie hindeuten. Desweiteren
unterteilt man Supernovae vom Typ I in die Untertypen Ia, Ib und Ic abhängig vom
Auftreten oder Fehlen von Spektrallinien von Silizium bzw. von Helium während des
Helligkeitsmaximums (Abb. 4.2, 4.3).
• Theoretisch sind nur zwei mögliche Energiequellen für eine Supernovaexplosion bekannt: Thermonukleare Energie und Gravitationsbindungsenergie (Abb. 4.2).
– Supernovae vom Typ Ia zeigen im Spektrum Si-Linien, aber keine H-Linien,
und die Form ihrer Lichtkurve und ihre maximale Helligkeit ist erstaunlich ähnlich. Sie eignen sich daher als extrem helle Standardkerzen“ zur Vermessung
”
von kosmischen Entfernungen. Man erklärt sie als thermonukleare Explosionen
von Weißen Zwergen, die aus Helium oder Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen.
Der Weiße Zwerg wird bei der Explosion vollständig zerstört und es bleibt nur
ein diffuser Gasnebel als Überrest (Abb. 4.4).
– Typ II, Typ Ib und Typ Ic Supernovae sind das Endprodukt massereicher
Sterne (M >
∼ 10 M ) und beziehen ihre Explosionsenergie aus der gravitativen Bindungsenergie des kollabierenden stellaren Eisenkerns (siehe Kap. 4.2).
Besitzt der Stern zum Zeitpunkt der Explosion noch seine Wasserstoffhülle, erscheinen in den Supernovaspektren Balmerlinien (Typ II). Hat er dagegen seine
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
Abbildung 4.3: Schematische Lichtkurven der verschiedenen Typen von Supernovae.
Abbildung 4.4: Type Ia Supernova SN1998bu
90
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
91
Hülle in vorangegangenen Phasen von Masseverlust abgestoßen, fehlen diese Linien (Typ Ib). Wurde über Sternwinde oder durch Gasaustausch mit einem Begleitstern auch die Heliumschale abgestreift, sind Heliumlinien in den Spektren
ebenfalls nicht vorhanden (Typ Ic). Im Zentrum des expandierenden Explosionsnebels bleibt – im Gegensatz zu Typ Ia Supernovae – eine kompakter Überrest
zurück, in der Regel ein Neutronenstern. Wenn jedoch der explodierende Stern
eine anfängliche Masse von mehr als etwa dem 25-fachen der Sonnenmasse hatte,
entsteht wahrscheinlich ein Schwarzes Loch.
Supernova-Typen: Zusammenfassung
Thermonukleare Sypernovae (Typ Ia) Core-Collapse Supernovae (Typ II, Ib, Ic)
Sterne niedriger Masse (<
massereiche Sterne (>
∼ 8 M )
∼ 8 M )
hochentwickelt (Weißer Zwerg)
ausgedehnte Hüllen (insbes. Typ II)
explosives C+O-Brennen
Brennen durch Kompression
Doppelsterne nötig
Einzelsterne (Doppelsterne für Ib,c)
vollständiges Zerreißen
Neutronenstern / Schwarzes Loch
Nach der heute allgemein akzeptierten Vorstellung ist eine Supernova vom Typ Ia die
thermonukleare Explosion eines vorwiegend aus Kohlenstoff und Sauerstoff bestehenden
Weißen Zwerges, der sich in einem engen Doppelsternsystem befindet und eine Masse nahe
an der Chandrasekharmasse besitzt (d.h. deutlich oberhalb der typischen Weißen Zwergmasse von 0.6 M ). Der Weiße Zwerg akkretiert Masse von dem Begleitstern und heizt
sich dabei langsam auf. Schließlich kommt es im Zentrum des Weißen Zwergs zur Zündung
des thermonuklearen Brennstoffs durch die Schwerionenreaktionen 12 C + 12 C (siehe z.B.
Hillebrandt & Niemeyer, Ann. Rev. Astron. Astrophys. 38 (2000), 191).
• Die Ausbreitung des Brennens kann prinzipiell durch zwei verschiedene Typen
von Brennfronten erfolgen, die beide sowohl im Labor (als chemische Brennfornten)
als auch in der Astrophysik (als thermonukleare Brennfronten) auftreten können:
– Detonation: Der Brennstoff wird durch starke Kompression zur Zündung gebracht. Dies geschieht z.B. durch eine Stoßwelle, wobei die freigesetzte Energie
die Stoßwelle wiederum antreibt.
– Deflagration: Der Brennstoff zündet infolge von Wärmeleitung oder Wärmediffusion, wobei der Wärmestrom von der heißen Brennstoffasche herrührt.
• Für das Verständnis der Ausbreitung von Brennfronten spielen mehrere Zeitskalen
eine wichtige Rolle:
– Die Zündzeitskala gibt an, in welcher Zeit sich die Temperatur des Brennstoffs
um einen Faktor e erhöht (e-folding time):
τT =
T
CV T
≈
.
dT /dt
dnuc /dt
(4.20)
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
92
Hierbei ist dnuc /dt die Energiefreisetzungsrate durch (Kern-) Reaktionen. Da
thermonukleare Reaktionen zwischen geladenen Teilchen sehr empfindlich von
der Höhe der zu durchtunnelnden Coulomb-Barriere abhängen, nimmt die Zündzeitskala sehr stark mit zunehmender Temperatur ab.
– Die Brennzeitskala gibt an, in welcher Zeit sich die Menge des Brennstoffs um
einen Faktor e reduziert:
Xi
Yi
τi =
=
.
(4.21)
dXi /dt
dYi /dt
Hierbei sind Xi und Yi = Xi /Ai der Massenanteil bzw. der Molanteil der Atomsorte i mit dem Atomgewicht Ai .
– Die Schallaufzeit gibt an, in welcher Zeit in einem Gebiet der Größe δr ein
Druckausgleich stattfindet:
τhyd =
δr
.
cs
(4.22)
• Thermonukleare Detonationen findet man in der Astrophysik nur in entarteter Materie. In diesem Fall bewirkt die Temperaturerhöhung (infolge der Kernreaktionen) keine merkliche Druckerhöhung und damit keine Ausdehnung und Kühlung der Brennregion. Stattdessen steigt die Temperatur solange an, bis die Entartung aufgehoben
wird. Dann aber ist die Energieerzeugung bereits so hoch, dass hydrodynamische
Bewegungen zu langsam sind (τT < τhyd ), um eine Explosion zu verhindern.
Ist die resultierende Stoßwelle stark genug, um weiteren Brennstoff durch Stoßkompression über seine Zündtemperatur hinaus zu erhitzen, entsteht eine Detonationswelle, die aus einem Stoß und aus einer sich unmittelbar daran anschließenden Reaktionszone besteht, wo der Brennstoff verbrennt“ (τi > τT ).
”
• Betrachtet man (in nullter Näherung) thermonukleare Brennfronten als Diskontinuitäten in einer Strömung, so lassen sich ganz analog zum rein hydrodynamischen Fall (siehe Kap. 3.2) Sprungbedingungen aus den Erhaltungssätzen für Masse, Impuls und Energie ableiten, die die hydrodynamischen Größen erfüllen müssen
(siehe z.B. Courant & Friedrichs, Supersonic Flow and Shock Waves, Springer 1976).
– Während die Sprungbedingungen (3.44), die aus der Massen- und Impulserhaltung folgen, unverändert auch für Brennfronten gelten, lautet die Bedingung für
die Energieerhaltung
1
1
(u1 − vD )2 + E1 + p1 τ1 = (u2 − vD )2 + E2 + p2 τ2 ,
(4.23)
2
2
wobei vD die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Brennfront ist. E ≡ ε̃ + B ist
die Summe aus innerer Energie (pro Masse) und der durch die thermonuklearen
(oder chemischen) Reaktionen freigesetzten Bindungsenergie (B < 0) pro Masse.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
93
– Analog zu Stoßwellen (siehe (3.54)) definiert man eine Hugoniot–Funktion
für das verbrannte Material
p + p1
.
(4.24)
H2 (τ, p) ≡ E2 (τ, p) − E2 (τ1 , p1 ) + (τ − τ1 )
2
Damit läßt sich die verallgemeinerte Hugoniot–Gleichung ((4.23) nach Elimination der Geschwindigkeiten; siehe (3.53) bzw. (3.55) für die entsprechenden
hydrodynamischen Beziehungen) in der Form
H2 (τ, p) = E1 (τ1 , p1 ) − E2 (τ1 , p1 )
(4.25)
schreiben (siehe z.B. Courant & Friedrichs 1948). Man beachte, dass für exotherme Reaktionen H2 > 0 gilt und dass E1 und E2 unterschiedliche Funktionen sind.
– Nehmen wir an, das spezifische Volumen τ1 und der Druck p1 des unverbrannten
Gases seien gegeben, aber nicht die Geschwindigkeit vD der Brennfront. Dann
sind Druck und spezifisches Volumen des verbrannten Gases durch die Hugoniot–
Gleichung (4.25) für alle Reaktionen, die den drei Erhaltungssätzen genügen,
verknüpft. Allerdings gibt es wegen
p2 − p1
< 0,
(4.26)
τ2 − τ1
was aus (3.50) folgt, nicht für alle Werte von p und V , die (4.25) erfüllen,
auch einen entsprechenden Reaktionsprozess, der mit den drei Erhaltungssätzen
kompatibel ist.
Die Hugoniot–Kurve, d.h. der Graph aller Punkte in der (p, τ )–Ebene, die
(4.25) und (4.26) erfüllen, ist in Abb. 4.5 dargestellt. Sie besitzt zwei getrennte Zweige, die Detonations- (p2 > p1 und V2 < V1 ) und Deflagrations–Zweig
(p2 < p1 und V2 > V1 ) heißen. Die Existenz der beiden Zweige zeigt, dass die
Erhaltungssätze mit zwei verschiedenen Arten von Prozessen verträglich sind.
– Analog zum rein hydrodynamischen Fall bestimmt der Schnittpunkt von
Rayleigh–Gerade (3.50) und Hugoniot-Kurve (4.25) den Zustand direkt hinter
der Detonation (Deflagration). Allerdings muss man dazu erst eine Detonationsbzw. Deflagrations–Geschwindigkeit vorgeben, denn anders als bei Stößen, ist
die Geschwindigkeit der Diskontinuität nicht durch die Sprungbedingungen
festgelegt. Abhängig von der Detonations- bzw. Deflagrations–Geschwindigkeit
schneidet die Rayleigh–Gerade die Hugoniot–Kurve in 0, 1 oder 2 Punkten
(Abb. 4.5).
Existiert kein Schnittpunkt, gibt es keine Detonation (Deflagration) für die
vorgebene Detonations- bzw. Deflagrations–Geschwindigkeit. Im Falle von zwei
Schnittpunkten existieren zwei Lösungen, die starken und schwachen Detonationen (Deflagrationen).
– Starke Detonationen (schwache Deflagrationen) propagieren mit einer
Geschwindigkeit (relativ zur Strömungsgeschwindigkeit direkt hinter der Front),
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
94
Abbildung 4.5: Hugoniot-Kurve für Detonationen und Deflagrationen (Beachte: V ≡ τ ≡
1/ρ)
die kleiner ist als die Schallgeschwindigkeit direkt hinter der Detonation (Deflagration). Daher können Störungen, die in der Strömung hinter der Front entstehen, die subsonisch propagierende Front erreichen. Die Lösung ist daher instabil.
– Schwache Detonationen (starke Deflagrationen) propagieren supersonisch relativ zur Strömung unmittelbar hinter der Front. Starke Deflagrationen
treten in der Natur nicht auf und schwache Detonationen werden allgemein als
unphysikalisch angesehen außer unter ganz bestimmten Bedingungen (siehe z.B.
Courant & Friedrichs 1948).
– Detonationen, die in der Natur auftreten, entsprechen fast immer dem Fall,
wo Rayleigh–Gerade und Hugoniot–Kurve genau einen Schnittpunkt besitzen.
Für diese Chapman–Jouguet–Detonation bzw. Deflagration ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit gleich der Summe aus Strömungsgeschwindigkeit und
Schallgeschwindgkeit (direkt hinter der Front).
• Die bisherigen einfachen Überlegungen zur Detonationsphysik basieren auf der impliziten Annahme, dass die Reaktionsraten unendlich schnell sind, d.h. dass die Front
keine Dicke besitzt (Diskontinuität). Eine etwas genauere Beschreibung von Detonationsfronten gibt das Zeldovich-von Neumann-Doering (ZND) Modell, in dem
man annimmt, dass eine Detonation aus einem unendlich dünnen Stoß besteht, an
den sich eine Reaktionszone endlicher Dicke anschließt.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
95
• Wir betrachten nun zwei Raumpunkte in einem Weißen Zwerg mit einem endlichen
Temperaturgradienten. Da die Brennzeitskala am Raumpunkt mit der höheren Temperatur kürzer ist, wird der Brennstoff an diesem Punkt zuerst verbrennen, d.h. das
Brennen beginnt nicht überall simultan. Die unterschiedlichen Brennzeitskalen bewirken, dass sich die Grenze zwischen verbranntem und unverbranntem Material bewegt.
Ist die entsprechende Geschwindigkeit größer als die lokale Schallgeschwindigkeit,
verläuft das Brennen an verschiedenen Raumpunkten voneinander unbeeinflusst. Die
Phasengeschwindigkeit dieses sogenannten Spontanbrennens ist durch
Dsp =
dτi
dr
−1
(4.27)
gegeben. In C-O Weißen Zwergen hängt die Phasengeschwindigkeit extrem empfindlich von der Zündtemperatur ab (Dsp ∝ T α (dT /dr)−1 mit α ≈ 21 für die
12
C + 12 C Rate und 0.6 ∼
< T /109 K ∼
< 1.2). Im Falle einer isothermen Temperaturverteilung wird sie unendlich groß.
Ist der anfängliche Temperaturgradient in einem Gebiet des Weißen Zwergs klein
genug, wird die Phasengeschwindigkeit supersonisch, d.h. das entsprechende Gebiet
verbrennt komplett innerhalb einer Schallaufzeit. Eine supersonische Expansion des
verbrannten Gebiets ist die Folge. Dies kann dann möglicherweise zur Detonation
eines großen Teils des Weißen Zwergs führen.
• Deflagrationen propagieren üblicherweise mit stark subsonischen Geschwindigkeiten.
Obwohl für dünne“ Deflagration dieselben Sprungbedingungen wie für Detonationen
”
gelten, hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Deflagrationen endlicher Dicke
von der Effizienz des Wärmetransports ab. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu
Detonationen ist, dass in einer Deflagration sowohl der Druck als auch die Dichte
direkt hinter der Front geringer sind als vor der Front und dass (relativ zur Front)
die Strömungsgeschwindigkeit zunimmt.
• Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Deflagrationen kann nur grob geschätzt
werden (siehe z.B. Landau & Lifschitz, Bd. VI). Im einfachsten Fall einer laminaren
Front, die sich durch Strahlungsdiffusion oder Wärmeleitung ausbreitet, läßt sich die
Dicke der Deflagration abschätzen, in dem man die Diffusionszeitskala τdiff gleich der
Brennzeitskala τi setzt. Damit folgt für die Dicke der Front, d.h. die Diffusionslänge
δ∼
p
λ c τi ,
(4.28)
wobei λ die mittlere freie Weglänge der Photonen oder Elektronen ist. Für die Geschwindigkeit der Deflagration gilt dann näherungsweise
vD ∼
p
δ
∼ λ c/τi .
τi
(4.29)
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
96
Für die 12 C + 12 C Reaktion findet man vD ≈ 30 km/s für ρ = 2×109 g cm−3 . Die Ausbreitungsgeschwindigkeit läßt sich auch numerisch bestimmen: Für ρ = 2×109 g cm−3
erhält man vD ≈ 50 km/s und für ρ = 5 × 108 g cm−3 ergibt sich vD ≈ 16 km/s. Die
Dicke der Brennfront beträgt in beiden Fällen ≈ 10−3 cm (!).
• Turbulentes thermonukleares Brennen: (siehe z.B. Hillebrandt & Niemeyer,
Ann. Rev. Astron. Astrophys. 38 (2000), 191).
In einer thermonuklearen Supernovaexplosion ist das Brennen wegen der starken
Temperaturabhängigkeit der 12 C + 12 C Rate auf eine mikroskopisch dünne Schicht
beschränkt, die sich entweder in Form einer konduktiven, subsonischen Deflagration (Flamme; siehe Abb. 4.6) oder einer stoßgetriebenen, supersonischen Detonation
ausbreitet (siehe oben).
Beide Moden sind, wie eine lineare Stabilitätsanalyse zeigt, hydrodynamisch instabil.
Im nichtlinearen Bereich werden die Flammen entweder durch Ausbildung zellularer
Strukturen stabilisiert, oder sie werden turbulent. In beiden Fällen erhöht sich die
Brennrate (d.h. der Verbrauch an Brennstoff) infolge einer Vergrößerung der Fläche
der Brennfront.
In Simulationen thermonuklearer Supernovaexplosionen lassen sich weder Flamme
noch Detonation auflösen, da sich die kleinste (Frontdicke) und die größte (Radius
des Weißen Zwergs) relevante Längenskala um etwa einen Faktor 1010 unterscheiden.
Daher sind Modelle zur ihrer Beschreibung erforderlich.
– Mikroskopisch gesehen breitet sich das Brennen (im Falle einer Deflagration)
in Form einer Flamme aus, die verbogen und gestreckt durch die Turbulenz mit
der laminaren Diffusionsgeschwindigkeit (4.29) in Richtung der lokalen Flammennormalen propagiert.
– Die makroskopische Strömung, die wegen ihrer extrem geringen Viskosität
(Re 1) stark turbulent ist (siehe Kap. 3.1.2), wechselwirkt mit der Flamme auf
allen Skalen bis hinunter zur Kolmogorov–Skala, ∗ wo Reibungseffekte wichtig
werden.
– Die turbulente Energiekaskade wird durch Rayleigh–Taylor Instabilitäten
(infolge des Auftriebs heißer Asche“) und durch Kelvin–Helmholtz Instabi”
litäten (infolge von Scherströmungen) gespeist.
– Das Brennen ist daher über das ganze turbulente Gebiet verteilt ( flame brush“).
”
Die relevante minimale Längenskala lgibs heißt Gibson–Skala. Sie ist durch den
von der Turbulenz bedingten kleinsten Krümmungsradius der Flamme gegeben.
∗
Das berühmteste Skalierungsgesetz der Turbulenztheorie ist das Kolmogorovsche Gesetz über die Geschwindigkeitsfluktuationen einer turbulenten Kaskade. Demnach skaliert im Falle von isotroper, stationärer Turbulenz die mittlere Geschwindigkeit v eines Turbulenzelements der linearen Dimension l gemäß
v ∝ l1/3 (A.N. Kolmogorov, 1941 Dokl. Akad. Nauk. SSSR, 30, 299).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
97
–
flamelet“–Regime: Gilt δ lgibs , sind kleine Segmente der Flamme von der
”
großskaligen Turbulenz unbeeinflußt und verhalten sich wie ungestörte laminare
Flammen (Abb. 4.7).
–
distributed“–Regime: Gilt δ lgibs , wird die Ausbreitung der Front durch
”
die Geschwindigkeit der turbulente Elemete bestimmt, d.h. die effektive Ausbreitungsgeschwindigkeit des Brennes ist unabhängig von der laminaren Brenngeschwindigkeit (Abb. 4.8).
• In den zentralen Bereichen eines explodierenden Weißen Zwergs (d.h. bei hohen Dichten) findet das thermonukleare Brennen im flamelet“–Regime statt.
”
Mit zunehmendem Radius, d.h. mit abnehmender Dichte wird die durch den Weißen
Zwerg propagierende Flamme dicker und langsamer, sodass die Turbulenz die Flammenstruktur zu beeinflussen beginnt und das thermonukleare Brennen schließlich im
distributed“–Regime stattfindet.
”
• Die Modellierung dieses Brennregimes einer thermonuklearen Supernova ist bisher
noch nicht gelungen, da in diesem Fall weder das Kernbrennen noch das turbulente
Mischen durch einfache Rezepte beschreibbar ist.
Man verwendet stattdessen phänomenologische Modelle, die beim Erreichen
des distributed“–Regimes aufgrund von Laborexperimenten und von theoretischen
”
Überlegungen einen Übergang von einer Deflagration zu einer Detonation postulieren. Diese sogenannten delayed detonation“–Modelle ermöglichen die Nukleosyn”
7
3
these mittelschwerer Elemente (Si, S, Ca) in den äußeren Schichten (ρ <
∼ 10 g/cm )
des explodierenden Weißen Zwergs, da sich der Weiße Zwerg wegen der subsonisch
propagierenden Deflagration bereits ausdehnen konnte, bevor seine Außenschichten
detonieren (eine thermonukleare Detonation bei höheren Dichten produziert nur Elemente der Eisengruppe, d.h. Fe, Co und Ni). Die resultierenden Expansionsgeschwindigkeiten der mittelschweren Elemente stimmen gut mit Beobachtungsdaten überein.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
Abbildung 4.6: Turbulente chemische Flamme im Labor.
98
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
99
Abbildung 4.7: Thermonukleare Verbrennung im flamelet“–Regime. Die dünne gelbe Li”
nie markiert die verwinkelte und unzusammenhängende laminare Flamme, die Brennstoff
(rot) und Asche (blau) trennt. Die kleinsten Turbulenzelemente sind größer als die Dicke
der Flamme, sodass die Verbrennung in einem ausgedehnten Bereich hinter der Flamme
stattfindet.
Abbildung 4.8: Thermonukleare Verbrennung im distributed“–Regime. Die kleinsten Tur”
bulenzelemente sind kleiner als die Dicke der Flamme, sodaß die Turbulenzelemente in die
Flamme (gelb, grün und hellblau) eindringen, die nicht mehr wohl definiert ist. Die Verbrennung findet innerhalb der Turbulenzelemente statt und turbulenter Energietransport
ist effektiver als der durch Wärmeleitung oder Strahlungsdiffusion.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
100
Abbildung 4.9: Dreidimensionale Simulation einer Type Ia Supernovaexplosion. Die Momentaufnahmen zeigen den Weißen Zwerg zum Zeitpunkt der Zündung (oben links), sowie
0.3, 0.6, und 10 Sekunden nach der Zündung (unten rechts). Neben der Dichteverteilung
des Stern (farbkodiert) sieht man die thermonukleare Flamme (bläuliche Struktur). Man
beachte, dass die Größe des gezeigten Bildausschnitts mit der Supernova expandiert. In der
letzten Momentaufnahme (unten rechts) ist die Flamme bereits erloschen und der kleine
rote Punkt gibt massstabsgetreu die ursprüngliche Größe des Weißen Zwergs wieder.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
4.2
101
Gravitationskollaps und neutrino-getriebene Supernovae
• Core-Kollaps
– Stern hat am Ende seiner thermonuklearen Entwicklung Zwiebelschalenstruktur
bzgl. Komposition
– typische Bedingungen im zentralen Fe-Ni-Core: ρc ≈ 1010 g/cm3 , Tc ≈ 1010 K,
Mc ≈ MCh , τcoll ≈ τdyn ∼ ρ̄−1/2 ≈ 1 msec
– Druckbeiträge durch nichtentartete Ionen, Photonen und relativistisch entartete
Elektronen
3
12
– solange ρ <
∼ 3 × 10 g/cm : starke und elektromagnetische WW im Gleichgewicht; schwache WW nicht im Gleichgewicht und νe ’s können praktisch
ungehindert entweichen!
– e− –Einfänge auf freie Protonen: e− + p → n + νe
(Schaleneffekte unterdrücken Elektroneneinfang auf die gebundenen Protonen
in den neutronenreichen Atomkernen) =⇒ Ye ↓ !
3
12
– wenn ρ >
∼ 3 × 10 g/cm −→ τdiff > τcoll
∗ Neutrino trapping: νe ’s sind während des Kollaps im Core “gefangen”
∗ nνe ↑ → νe ’s entarten
∗ Materie gelangt ins β-Gleichgewicht, in dem die chemischen Potentiale die
Bedingung µe + µp = µn + µνe erfüllen.
– Hydrodynamik: Fe-Core separiert in
∗ inneren Core (IC), der homolog (v ∝ r) kollabiert, in dem die Materie in
sonischem Kontakt steht (|v| <
∼ cs ) und dessen Masse MIC ≈ MCh (Ye )
∗ äußeren Core, der mit Überschallgeschwindigkeit (|v| > cs ) kollabiert.
3
14
– für ρ <
∼ 2 × 10 g/cm gilt Γ1 ≡ (d ln p/d ln ρ)S < 4/3, d.h. die relativistischen
Leptonen (e− , νe ) dominieren den Druck bis zum Erreichen von Kernmateriedichte
3
14
– für ρ >
∼ ρnuc ≈ 2.8 × 10 g/cm gilt Γ1 >
∼ 2.5, da Kernmaterie extrem inkompressibel ist
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
102
∗ Kollaps kommt zum Stillstand, wenn ρ >
∼ ρnuc (“core bounce” oder Rückprall)
∗ Entstehung einer nach außen laufenden Stoßwelle am Rande des inneren
Cores bei
MStoß ≈ MIC (Ye )|bounce ≈ 0.6 − 0.8 M
– Energetik: freiwerdende Bindungsenergie bei der Bildung eines NS:
2 −1
2
GMNS
M
R
53
Eb ≈
≈ 3 × 10 erg
≈ 100 − 200 MeV/Nukleon
RNS
M
10 km
davon ∼ 99% in Neutrinos
∼ 10−2 ←→ ∼ 1051 erg in kin. Energie der Stoßwelle
∼ 10−4 ←→ ∼ 1049 erg in elektromagnetischer Strahlung
• Prompte Explosion und Ausbreitung der Stoßwelle (Abb. 4.11)
– Anfangsenergie der Stoßwelle ≈ kinetische Energie des homolog kollabierenden
inneren Cores kurz vor dem Rückprall; aus hydrodynamischen Simulationen:
EStoßwelle ≈ (4 − 10) × 1051 erg
– Stoßwelle verliert Energie durch Photodisintegration von Fe-Kernen in freie
Nukleonen und α-Teilchen:
∆Eloss ≈ 8 MeV/Nukleon
⇔
1.6 × 1051 erg/0.1 M
– Stoßwelle läuft sich nach Durchlaufen von
∆Mloss ≈
EStoßwelle
≈ 0.25 − 0.7 M
∆Eloss
tot (und wird zum Akkretionsstoß)!
– prompte Explosion funktioniert nur, wenn
∆Mloss > MFe−Core − MStoß
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
103
Abbildung 4.10: Gravitationskollaps–Supernova: Core vor dem Kollaps (oben) und zum
Zeitpunkt des neutrino trapping“ (unten).
”
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
104
Abbildung 4.11: Gravitationskollaps–Supernova: Rückprall mit Stoßentstehung (oben) und
Stoßausbreitung mit Neutrinoblitz (unten).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
105
Abbildung 4.12: Gravitationskollaps–Supernova: Stoßstagnation mit Neutrinoheizen (oben)
und Neutrinokühlphase mit neutrino–getriebenem Wind (unten).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
106
d.h. wenn die anfängliche Masse des Fe-Cores hinreichend klein und der Stoß
möglichst weit außen entsteht
– Mangel der prompten Explosionsmodelle: Wechselwirkung der aus dem Core
(durch Diffusion und/oder Konvektion) entweichenden Neutrinos mit der Hülle
nicht ausreichend berücksichtigt!
• Verzögerte Explosion
– Neutrinos entweichen auf Zeitskalen τ ≈ 1 s durch Diffusion und/oder Konvektion aus dem optisch dicken Core und deponieren während einiger 100 ms einige
Prozent ihrer Energie in den Schichten zwischen Neutrinosphäre (Analogon zur
Photosphäre) und der Stoßwelle
=⇒ Erhöhung des Druckes =⇒ Expansion dieser Schichten
=⇒ Entstehung einer Zone geringer Dichte und höhere Temperatur (heiße
Blase oder “hot bubble”)
– Gas in dieser Zone kühlt durch ν-Verluste über
e− + p → n + νe
e+ + n → p + ν̄e
und wird durch energiereichere ν’s aus dem Core über die Umkehrprozesse
νe + n → e− + p
ν̄e + p → e+ + n
geheizt.
– Probleme:
∗ Neutrino-Opazitäten in dichten, korrelierten Plasmen
∗ numerische Behandlung des Neutrino-Transports: Fermionen (“blocking”),
verschiedene Neutrinosorten (“multi-flavor transport”), stark energie- und
winkel-abhängige Wirkungsquerschnitte (“multi-group, multi-angle transport”)
=⇒ extrem aufwendiger Boltzmannlöser notwendig!
∗ Proto–Neutronenstern und neutrino–geheizte Blase sind konvektiv instabil;
Supernova–Beobachtungen implizieren großskalige Mischprozesse und Entstehung von Inhomogenitäten während der Explosion
=⇒ mehrdimensionale Simulationen erforderlich!
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
107
Abbildung 4.13: Position der Supernovastoßwelle (weiße Linien) in der Nähe des Nordbzw. Südpols und Entropie (farbcodiert) des Sternengas als Funktion der Zeit für einen
Stern von 15 Sonnemassen, der nach etwa 600 msec Neutrinoheizen zu explodieren beginnt.
Deutlich zu sehen, sind die sich über einen Zeitraum von einigen hundert Millisekunden
hin erstreckenden quasi-periodischen, bipolaren Oszillationen der Stoßposition, die durch
die SASI (standing accretion shock instability) verursacht werden (aus Marek & Janka,
2007, ApJ submitted; arXiv:0708.3372).
∗ SASI (standing accretion shock instability): hydrodynamische Instabilität
des Akkretionsstoß, die großskalige l = 1 (Dipol) und l = 2 (Quadrupol)
Deformationen der Stoßwelle zur Folge hat. Dadurch verbessern sich die
Bedingungen für eine Explosion.
=⇒ längere (>
∼ 0.5 sec) mehrdimensionale Simulationen erforderlich!
– Verzögerter Explosionsmechamismus funktioniert im Prinzip, aber
ob und wie eine konkreter Stern explodiert ist immer noch unklar!
– neueste 2D axialsymmetrische numerische Simulationen mit detailliertem Neutrinotransport zeigen Explosionen infolge Neutrinoheizens für Sterne mit mehr
als 10 Sonnenmassen (Abb. 4.13); aber keine Explosion in 1D sphärischsymmetrischen Modellen (Abb. 4.14); siehe z.B. Janka et al. AIP Conf. Proc.
983 (2007), 369; arXiv:0712.3070.
– 1D sphärisch-symmetrische und 2D axialsymmetrische numerische Simulationen zeigen Explosionen infolge Neutrinoheizens für Sterne im Bereich von 8-10
Sonnenmassen, die anstelle eines Fe-Ni-Cores einen O-Ne-Mg-Core besitzen und
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
108
Abbildung 4.14: Sphärisch–symmetrische hydrodynamische Simulation des Kollaps eines
Sterns mit M = 15 M . Das Bild zeigt die zeitliche Entwicklung der Radien ausgewählter
Massenschalen vom Beginn des Kollaps bis etwa 0.5 sec nach dem Rückprall. Die Position
der Stoßwelle ist durch die rote Linie und die der Neutrinosphäre durch die gestrichelte
Kurve gekennzeichnet. Die orange, blaue und grüne Massenschale markieren den äußeren
Rand des Eisenkerns, der Si-Schale, bzw. der Ne-Schale zu Beginn des Kollaps (Rampp &
Janka, Astrophys. J. Lett. 2000, 539, L33).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
109
deren Dichte ausserhalb des Cores sehr schnell mit zunehmendem Radius abnimmt (Abb. 4.15).
– falls Explosion erfolgreich: ca. 5-50 s nach Kollaps ist der Proto-Neutronenstern
bereits auf ∼ 1010 K (≈ 1 MeV) durch Neutrinoemission abgekühlt und wird für
ν’s durchsichtig.
Mit kB T ≈ 1 MeV ist der Proto–Neutronenstern bereits so kalt (Fermi-Energie
der Neutronen ≈ 100 MeV), daß die Neutronen superfluid werden (Gap-Energie
∼ 1 MeV)
=⇒ ein Neutronenstern ist entstanden
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
110
Abbildung 4.15: Sphärisch–symmetrische hydrodynamische Simulation des Kollaps eines
Sterns von etwa 8.8 Sonnenmassen mit einem 1.38 M O-Ne-Mg-Core. Das Bild zeigt die
zeitliche Entwicklung der Radien ausgewählter Massenschalen vom Beginn des Kollaps bis
etwa 0.8 sec nach dem Rückprall. Die Position der Stoßwelle ist durch die dicke schwarze
Linie gekennzeichnet. Die rote, grüne und blaue Massenschalen markieren den äußeren
Rand des O-Ne-Mg, C/O und des He-Cores zu Beginn des Kollaps (Kitaura, Janka &
Hillebrandt, A&A 2006, 450, 345).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
4.3
4.3.1
111
Relativistische Jets
Beobachtungen
Im Jahre 1918 photographierte H.D. Curtis die elliptische Riesengalaxie M87 (Abb. 4.16).
Dabei fiel ihm ein merkwürdiger gerader Strahl“ auf, der “scheinbar mit dem Zentralgebiet
”
der Galaxie durch eine schmale Materiebrücke verbunden war“. Dies war die Entdeckung
der sogenannten extragalaktischen Jets.
Heutzutage kennt man mehrere hundert solcher extragalaktischen Jets. Die meisten dieser Jets sind durch Radiobeobachtungen entdeckt worden, da sie anscheinend gigantische
Energiemengen aus den Zentren von Radiogalaxien und Quasaren bis zu 106 Lichtjahre
weit in den intergalaktischen Raum transportieren und dort sehr ausgedehnte Raumgebiete, die sogenannten radio lobes“, mit Energie versorgen, die als nicht-thermische
”
Radiostrahlung (Synchrotronstrahlung) zu uns auf die Erde gelangt (Abb. 4.18).
Die pro Sekunde im Radiobereich abgestrahlte Energie, die von den Jets zu den radio
”
lobes“ transportiert werden muss, ist enorm (Leuchtkraft der Sonne: 4 1033 erg/s):
Lradio = 1044 erg/s . . . 1047 erg/s
Die Maschine“, die diese gigantischen Energiemengen erzeugt, ist ein Schwarzes Loch
”
im Zentrum der Galaxie (Masse der Sonne: 2 1033 g):
Mbh = 106 M . . . 109 M
Dieses Schwarze Loch verschlingt wie ein riesiger Staubsauger interstellares Gas und Sterne,
die durch Gezeitenkräfte zerrissen werden, wenn sie in den Bann seiner Gravitationskraft
geraten. Da die in das Schwarze Loch stürzende Materie im allgemeinen einen Drehimpuls
besitzt, kann sie nicht radial ins Schwarze Loch fallen, sondern sammelt sich zunächst in
einer das Schwarz Loch umkreisenden Akkretionsscheibe an. Durch Reibung verliert die
in der Scheibe vorhandene Materie langsam ihren Drehimpuls und kann dadurch weiter
nach innen rutschen“. In der Scheibe findet also ein ständiger Materiestrom Richtung
”
Schwarzes Loch statt, wobei im Falle eines stationären Gleichgewichts die am inneren
Rand der Scheibe im Schwarzen Loch verschwindende Materie am äußeren Rand durch
neu akkretiertes Gas ersetzt wird. Die Scheibe hat eine Ausdehnung vergleichbar mit der
unseres Sonnensystems (Abb. 4.17).
Die bei der Akkretion freiwerdende Energie wird in einem bisher noch nicht im einzelnen
verstandenen Prozess, der sehr wahrscheinlich Magnetfelder involviert, dazu verwendet,
einen sehr kleinen Teil der akkretierten Materie in Form zweier kollimierter Materiestrahlen
senkrecht zur Akkretionscheibenebene, d.h. in Richtung der Rotationsachse des Schwarzen
Lochs auszuschleudern. Dieses Doppelauspuff–Modell wurde 1974 von Blandford & Rees
vorgeschlagen (Mon. Not. Roy. Astron. Soc., 169, 395-415). Zur Deckung des beobachteten
Energiebedarfs der Radioquellen muss das Schwarze Loch bis zu einige Sonnenmassen
Materie pro Jahr akkretieren:
dM
≈ 0.01M /Jahr . . . 10M /Jahr .
dt acc
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
112
Beobachtet man extragalaktische Jets mit Hilfe interferometrischer Methoden, die eine
sehr genaue Winkelauflösung der Radioquellen ermöglichen, so zeigt es sich, dass die Jets
bis zu einem Abstand von wenigen Lichtjahren an das Zentrum der Radiogalaxien heranreichen, was sich zwanglos mit dem obigen Modell der Jeterzeugung vereinbaren läßt.
Die Beobachtungen zeigen weiterhin, dass extragalaktische Jets sehr gut kollimiert sind.
Die Öffnungswinkel betragen nur wenige Grad, d.h. die Jets verbreitern sich kaum, obwohl sie sich vom Zentrum einer Galaxie über mehrere hunderttausend Lichtjahre in den
intergalaktischen Raum hinaus erstrecken können (Abb. 4.18).
Bis zu Abständen von einigen 102 Lichtjahren vom Zentrum hat man eine Materiebewegung in extragalaktischen Jets direkt nachweisen können. Außer der anfangs erwähnten
Radiogalaxie M87 gibt es jedoch keine andere Radioquelle, wo man einen direkten Beweis
für eine Strömung bei Abständen größer als einige tausend Lichtjahre gefunden hat. Dennoch geht man allgemein davon aus, dass die beobachtete Kontinuität der extragalaktischen
Jets von kleinen (wenige Lichtjahre) zu großen Skalen (hunderttausende von Lichtjahren),
einen kollimierten, kontinuierlichen Strom von Materie erfordert.
Jets hat man auch in der Umgebung junger Sterne (proto–stellare Jets) und in galaktischen Röntgen–Doppelsternsystemen beobachtet, in denen einer der beiden Sterne ein
Neutronenstern oder ein stellares Schwarzes Loch ist (stellare Jets). Das bekannteste galaktische Binärsystem mit Jets trägt den Namen SS433 (Abb. 4.19). Es wurde gegen Ende
der siebziger Jahre entdeckt und besitzt zwei stellare Jets, die sich in entgegengesetzter
Richtung mit 0.26c ausbreiten. Noch wesentlich relativistischere Ausbreitungsgeschwindigkeiten hat man in zwei vor wenigen Jahren entdeckten galaktischen Röntgenquellen
gefunden, die sehr wahrscheinlich Doppelsternsysteme sind, die ein Schwarzes Loch enthalten. In beiden Quellen ist die gemessene scheinbare Ausbreitungsgeschwindigkeit der
Jets größer als die Lichtgeschwindigkeit! Dieses Phänomen, das man allgemein als superluminale Ausbreitung bezeichnet, wird auch in vielen extragalaktischen Jets in nicht allzu
großen Abständen (d < 103 Lj) von der zentralen Quelle beobachtet und steht keineswegs
im Widerspruch zur Einsteinschen Relativitätstheorie, die die Ausbreitungsgeschwindigkeit
von Licht im Vakuum als die maximale Geschwindigkeit postuliert.
Superluminale Bewegung läßt sich nämlich ohne exotische Physik“ erklären. Betrach”
ten wir dazu eine Strahlungsquelle, die sich mit fast Lichtgeschwindigkeit nahezu entlang
der Sichtlinie Beobachter-Quelle auf den Beobachter zu bewegt. Der zeitliche Abstand von
Ereignissen in der Quelle (z.B. die in extragalaktischen Quellen beobachtete Emission von
radio blobs“) erscheint einem entfernten Beobachter verkürzt, falls die Bewegung fast ge”
nau in seine Richtung erfolgt, da die Quelle hinter ihrer eigenen Strahlung herjagt“. Ein
”
verkürztes Zeitintervall entspricht aber einer scheinbar größeren Geschwindigkeit. Daher
kann die auf die Himmelskugel projizierte Geschwindigkeitskomponente (nur diese können
wir als Ausbreitung beobachten) die Lichtgeschwindigkeit scheinbar übersteigen. Für die
erwähnten radio blobs“ hat man scheinbare Geschwindigkeiten bis zu 10c gemessen.
”
• Für eine Quelle, die sich mit der Geschwindigkeit v = βc unter einem Winkel Θ (relativ zur Sichtlinie) auf einen Beobachter zubewegt (Abb. 4.20), misst der Beobachter
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
113
eine transversale Geschwindigkeit
βobs ≡
β sin Θ
vobs
=
.
c
1 − β cos Θ
(4.30)
Dies folgt aus der Lorentztransformation der Geschwindigkeit. Die beobachtete transversale Geschwindigkeit
ist maximal, wenn cos Θ = β und beträgt βobs,max = W β,
p
2
wobei W = 1/ 1 − β der Lorentzfaktor ist. Aus (4.30) folgt:
βobs,max > 1
falls
1
β>√
2
Neueste Messungen zeigen weiterhin, dass in einigen Quellen die Ausbreitungsgeschwindigkeit extragalaktischer relativistischer Jets mit der Entfernung vom Zentrum signifikant
abnimmt. Diese Abbremsung anfänglich stark relativistischer Jets läßt eine zunehmende
Anzahl von Astrophysikern vermuten, dass alle extragalaktischen Jets, zumindest in der
Nähe der Quelle, relativistische Ausbreitungsgeschwindigkeiten besitzen.
4.3.2
Simulationen
Zum Verständnis der Morphologie von Jets betrachten wir zunächst ein eindimensionales Jet–Analogon, genauer gesagt ein Stoßrohr mit folgenden Anfangsbedingungen
(Abb. 4.21):
pL
ρL
uL
= 1.0 pR
= 0.1 ρR
= 40.8 uR
= 1.0
= 1.0
= 0
Das weniger dichte Gas im linken Zustand bewegt sich mit Überschallgeschwindigkeit
nach rechts, während das dichtere Gas im rechten Zustand ruht. Dies entspricht genau
der Situation auf der Symmetrieachse eines leichten druck–angepassten Jets, der in ein
ruhendes dichteres Umgebungsmedium hineinpropagiert.
Der Anfangszustand zerfällt in 3 Wellen (Abb. 4.21): Einen Stoß und eine Kontaktunstetigkeit, die sich beide nach rechts bewegen, sowie in einen reflektierten Stoß, der
relativ zur Kontaktunstetigkeit nach links (aber insgesamt nach rechts) propagiert. Das
Umgebungsgas wird beim Durchgang durch den vorderen Stoß komprimiert, geheizt und
auf eine endliche Geschwindigkeit beschleunigt. Das Gas des linken Anfangszustands wird
beim Durchgang durch den reflektierten Stoß auf die Geschwindigkeit des stoßgeheizten
Umgebungsgases abgebremst und so komprimiert, dass sein Druck den des stoßgeheizten
Umgebungsgases erreicht. Die Kontaktunstetigkeit trennt das sehr dichte stoßkomprimierte
Umgebungsgas von dem abgebremsten, weniger dichten Gas des linken Anfangszustands.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
114
Die eben beschriebenen Strömungsmerkmale des eindimensionalen Jet–Analogons findet man in mehrdimensionalen, axialsymmetrischen Jets in der Nähe der Jetachse wieder. Hydrodynamische Simulationen zeigen, dass solche mehrdimensionalen (axialsymmetrische) supersonische Jets folgende morphologischen Merkmale aufweisen (Abb. 4.22 und
4.23).
• Sie besitzen einen supersonischen Strahl mit nahezu konstantem Durchmesser, der
sich periodisch geringfügig ausdehnt und zusammenzieht. Diese Oszillationen verursachen eine Reihe von schrägen Stoßwellen innerhalb des Strahls, die die Strömung
kollimieren (Abb. 4.24).
Die Überschallströmung im Strahl endet am Kopf des Jets in einer Stoßkonfiguration,
die man Machscheibe nennt. Sie verursacht eine abrupte und starke Abbremsung
des Gases im Strahl auf Unterschallgeschwindigkeit. Die Bewegungsenergie des Gases
wird dabei in Wärme umgewandelt, was einen heißen Fleck“ am Kopf des Jets
”
verursacht. Außerdem bewirkt die Dissipation der Bewegungsenergie eine Erhöhung
des Drucks im abgebremsten Gas des Strahls.
• Das erhitzte Gas dehnt sich senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des Jets aus und
strömt anschließend am Rande des Strahls zurück. Dieser Gasrückfluß erzeugt einen
turbulenten Kokon, der den Strahl umschließt.
• Wie ein mit Überschallgeschwindigkeit fliegendes Flugzeug, verursacht auch der überschallschnelle Strahl einen Überschallknall, die sogenannte Bugstoßwelle, in der das
Umgebungsmedium komprimiert und erhitzt wird. Zwischen der Bugstoßwelle und
dem Kokon gibt es schließlich noch eine Grenzfläche, die hydrodynamisch instabil ist
und die das stoßgeheizte Umgebungsgas vom dem Gas des Jets trennt.
Die dynamischen Eigenschaften, sowie einige morphologische Eigenschaften, insbesondere die Dicke des Kokons, Newtonscher, druck-angepasster Jets (Druck im Jet gleich
dem Druck des Umgebungsgases) hängen von nur zwei Parametern ab,
• der Machzahl des Jets (Verhältnis von Strahlgeschwindigkeit zur Schallgeschwindigkeit im Jet) und
• dem Verhältnis der Gasdichte im Strahl zu der Dichte in der Umgebung, in die der
Jet hineinpropagiert.
Zur vollständigen Charakterisierung relativistischer Jets ist darüberhinaus noch ein weiterer Parameter erforderlich.
• Im Falle eines homogenen Umgebungsmediums und bei gegebener Zustandsgleichung
ist das eindimensionale Jet–Anfangswertproblem, und damit die Strömung, durch 6
Größen (ρb , vb , pb ; ρm , vm , pm ), sowie durch die Wahl einer Längen- oder Zeit–Skala,
bzw. durch die Wahl des Bezugssystems definiert.
In der Astrophysik ist es üblich die hydrodynamischen Gleichungen
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
115
Newtonsch
relativistisch
∂ρ
∂t
∂D
∂t
+
∂Dv
∂x
∂S
∂t
+
∂Sv
∂x
∂T
∂t
+
∂(S−Dv)
∂x
+
∂ρv
∂x
=0
∂ρv
∂t
+
∂ρvv
∂x
∂E
∂t
+
∂[(E+p)v]
∂x
+
∂p
∂x
=0
=0
D ≡ ρW
=0
+
∂p
∂x
= 0 S ≡ ρh/c2 W 2 v
=0
T ≡ ρhW 2 − p − Dc2
in dimensionsloser Form zu lösen, d.h. die 3 Erhaltungsgleichungen für Masse, Impuls und Energie werden so skaliert, dass sie nur dimensionslose Größen enthalten
(Norman et al. Astron. & Astrophys., 1982, 113, 285) .
Als Einheiten für Länge, Geschwindigkeit und Dichte wählt man im Newtonschen
den Jet(strahl)radius Rb , die Schallgeschwindigkeit cm und die Dichte ρm des Umgebungsmediumes. Damit ist die Einheit für die Zeit durch Rb /cm und für den Druck
bzw. für die Energiedichte durch ρm c2m gegeben.
Länge
Geschwindigkeit
Dichte
Zeit
Druck
Energie
Newtonsch
x = ξRb
v = ucm
ρ = σρm
t = τ Rb /cm
p = πρm c2m
E = ρm c2m
relativistisch
x = ξRb
v = uc (!)
ρ = σρm
t = τ Rb /c
p = πρm c2
E = ρm c2
Nach Festlegung des Bezugsystems, in dem man z.B. das Umgebungsmedium als
ruhend annimmt (vm = 0), ist die Strömung durch 3 dimensionslose Parameter
vollständig bestimmt, nämlich durch das
– Dichteverhältnis
ρb
η≡
,
ρm
– das Druckverhältnis
pb
K≡
,
pm
– und durch die Strahlgeschwindigkeit vb bzw. die Machzahl des Jets
r
η vb
vb
M ab ≡
=
,
K cm
cb
(4.31)
(4.32)
(4.33)
wobei cb die Schallgeschwindigkeit des Strahlgases ist. Man beachte, dass die Machzahl als dritter Parameter verwendet wird, da vm = 0 gewählt wurde.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
116
• Parameteranzahl für relativistische Jets:
Im relativistischen Fall existiert eine maximale Geschwindigkeit, nämlich die Vakuumlichtgeschwindigkeit c. Daher lassen sich relativistische Strömungen nicht mehr
separat im Raum und in der Zeit skalieren, denn beide Skalen sind durch die endliche Lichtgeschwindigkeit miteinander verknüpft. Daher ist neben η, K und Mb ein
weiterer Parameter erforderlich, um eine relativistische Strömung vollständig zu charakterisieren.
Dies kommt daher, dass Jets in zweifacher Hinsicht relativistisch sein können, nämlich
dadurch, dass ihre gerichtete Bewegungsenergie (kinetische Energie; W 1) oder
ihre ungeordnete Bewegungsenergie (Wärmenergie; h 1) groß ist im Vergleich
zur Ruhe–Energie des Gases im Jet. Ist das letztere der Fall, so bezeichnet man
sie als heiße“ relativistische Jets, und sonst als kalte“ oder stark supersonische
”
”
relativistische Jets.
Im allgemeinen verwendet man die Strahlgeschwindigkeit vb als zusätzlichen vierten
Jetparameter.
Mittels einer einfachen analytischen Abschätzung kann man eine obere Grenze für die
Ausbreitungsgeschwindigkeit Newtonscher Jets erhalten. Dazu nimmt man an, dass
sich der Jet ballistisch ausbreitet, d.h. seine Geschwindigkeit durch die Impulserhaltung
zwischen Jetmaterie und aufgesammelter Umgebungsmaterie bestimmt ist. In dieser ballistischen Näherung hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Jets nur vom Dichteverhältnis ab:
•
Leichte“ Jets, bei denen die Dichte des Gases im Strahl viel geringer als die des
”
Umgebungsmediums ist, propagieren sehr ineffizient, d.h. ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt nur einen Bruchteil der Gasgeschwindigkeit im Strahl.
•
Schwere“ Jets, die wesentlich dichter sind als das Umgebungsmaterial, propagieren
”
dagegen in der ballistischen Näherung mit einer Geschwindigkeit vergleichbar der
Gasgeschwindigkeit im Strahl.
Hydrodynamische Simulationen bestätigen, dass dichte Newtonsche Jets am effizientesten propagieren, wobei allerdings die Effizienz maximal 80% des ballistisch abgeschätzen
Wertes beträgt. Leichte“ Jets mit kleiner Machzahl sind wesentlich ineffizienter und er”
reichen in den Simulationen nur etwa 40% des ballistischen Schätzwertes.
Für relativistische Jets kann man ebenfalls einen ballistischen Schätzwert analytisch
ableiten. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Wucht mit der sich der Jet in das
Umgebungsmaterial hineinbohrt, nicht nur durch die relativistische Gasgeschwindigkeit im
Strahl, sondern auch durch seine eventuell vorhandene relativistische thermische Energie
(Wärme) bestimmt wird. Beide Effekte erhöhen die Trägheit und damit die Wucht des Jets.
Folglich liegt der relativistische Schätzwert immer über dem entsprechenden Newtonschen
Wert. Während nur schwere“ Newtonsche Jets sich nahezu ballistisch ausbreiten, findet
”
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
117
man im relativistischen Fall hohe Ausbreitungseffizienzen sowohl für Jets mit ultrarelativistischen Gasgeschwindigkeiten im Strahl als auch für extrem heiße“ Jets.
”
Zur Ableitung des ballistischen Schätzwerts wählt man ein Bezugssystem (’), in dem
die Arbeitsfläche des Jets (die Machscheibe) ruht. Dann folgt aus der Impulserhaltung
0
ρb vb‘2 = ρm vm2
Wechselt man nun in das Bezugssystem des ruhenden äußeren Mediums (vm = 0), relativ
zu dem sich die Arbeitsfläche des Jets mit der Geschwindigkeit Vj bewegt, so gilt
vb0 = vb − Vj
und
0
vm
= vm − Vj .
Daraus folgt dann
ρb (vb − Vj )2 = ρm Vj2
und damit der gesuchte Schätzwert
√
Vj =
η
√ vb .
1+ η
(4.34)
Der ballistische Schätzwert für die Ausbreitungsgeschwindigkeit eines relativistischen Jets
√
Vj =
η∗
√ vb
1 + η∗
(4.35)
hat die gleiche Form wie für Newtonsche Jets, wenn man den Dichteparameter η durch den
entsprechenden relativistischen Parameter
η∗ = η
hb
W2
hm b
(4.36)
ersetzt, der aus η durch Multiplikation mit zwei relativistischen Faktoren, einem thermodynamischen und einem kinematischen Faktor, hervorgeht. Diese Faktoren machen relativistische Jets “schwerer” als ihr Newtonsche Gegenstücke.
Wie im Newtonschen Fall hängt die Dicke des Kokons relativistischer Jets von der
Machzahl des Strahls ab.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
118
• Relativistische Jets, in denen die Machzahl im Strahl klein ist (d.h. heiße“ Jets, da
”
die Machzahl mit zunehmender Schallgeschwindigkeit, bzw. Druck, bzw. Wärmeenergie abnimmt), sind durch einen nahezu strukturlosen Strahl gekennzeichnet, der von
einem dünnen Kokon umgeben ist. Sie weisen auch nur einen sehr geringen oder auch
gar keinen Rückfluss auf. Die Strukturlosigkeit des Strahls erklärt sich aus der Tatsache, dass der Strahl heißer“ Jets im Druckgleichgewicht mit seinem Kokon ist. Ein
”
typischer heißer“ Jet ist in Abb. 4.25 dargestellt. Der gezeigte Jet hat eine (Strahl-)
”
Machzahl von 1.72 und eine Strahlgeschwindigekit von 99% der Lichtgeschwindigkeit.
Die Dichte des Gases im Jet beträgt 1% der Dichte des Umgebungsmediums. Die Simulation ergibt eine Ausbreitungsgeschwindigkeit von 86% der Lichtgeschwindigkeit.
• Relativistische Jets mit einer großen (Strahl-) Machzahl, also stark supersonische
Jets, besitzen einen stärkeren Rückfluss und einen ausgeprägteren, turbulenten Kokon. Ihr Strahl ist durch eine komplexe Struktur aus Stoßwellen gekennzeichnet, die
von dem großen Druckunterschied zwischen Strahl und Kokon, sowie von Störungen
des Strahls durch Wirbel im Kokon verursacht wird. Ein typischer supersonischer relativistischer Jet ist in Abb. 4.26 gezeigt. Strahlgeschwindigkeit und Dichteverhältnis
des Jets sind identisch mit denen des vorher diskutierten heißen“ Jets, aber seine
”
(Strahl-) Machzahl ist 6 und die Ausbreitungsgeschwindigkeit beträgt nur 37% der
Lichtgeschwindigkeit.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
119
Abbildung 4.16: Hubble Space Telescope Aufnahme der elliptischen Riesengalaxie M87 und
des zugehörigen Jets.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
120
Abbildung 4.17: Schematische Darstellung eines aktiven galaktischen Kerns mit zentralem,
massreichen Schwarzen Loch, Akkretionsscheibe und Jets.
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
121
Abbildung 4.18: Die Radioemission (farbcodiert) in der Umgebung der Radiogalaxie 3C219
zeigt zwei ausgedehnte Emissionsgebiete, die sich fast 106 Lichtjahre weit in den intergalaktischen Raum erstrecken. Man vermutet, dass die abgestrahlte Energie in der zentralen
Galaxie (blauer Punkt in der Ausschnittsvergrößerung) produziert wird und von dort durch
die beiden Jets (schmale orangefarbene Strukturen) zu den Emissionsgebieten transportiert
wird. (Very Large Array, VLA, des National Radio Astronomy Observatory, NRAO, in Socorro, New Mexico (http://www.cv.nrao.edu/~abridle/images.html).
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
122
Abbildung 4.19: Röntgen–Doppelsternsystem SS433
Source
Θ
v = β.c
vT
Observer
Abbildung 4.20:
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
123
t=0
v
ρ
p
x
decelerated,
compressed beam
material






beam
gas
t>0
shocked
ambient medium



v
unperturbed
ambient
medium



(at rest)
ρ
p
x
reflected shock
contact
discontinuity
Abbildung 4.21:
shock (bow shock)
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
124
Ungestörtes äußeres Medium
Trennfläche
Jet/Umgebungsmaterie
Stoßgeheiztes Gas
Rückfluß
Kontaktunstetigkeit
Strahl
Heißer Fleck
Innere Stöße
Turbulenz
Wirbel
Mach-Scheibe
Bugstoßwelle
Abbildung 4.22:
Abbildung 4.23:
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
125
vni
vnf
vi
vt
vf
incident shock
reflected shock
stream line
reflecting boundary
centered
rarefaction
incident
shock
reflected
shock
stream line
plane rarefaction
reflecting boundary
Abbildung 4.24:
KAPITEL 4. DYNAMISCHE PHÄNOMENE
126
Abbildung 4.25: Morphologie eines heißen“ relativistischen Jets, der einen strukturlosen,
”
nahezu nackten“ Strahl besitzt. Das obere Bild zeigt die Ruhemassendichte und das untere
”
Bild den Druck (beide in logarithmischer Skala). Die Maximalwerte sind weiß codiert und
zunehmend kleinere Werte sind in grün, hellblau, dunkelblau, rot und schwarz gehalten.
Abbildung 4.26: Wie Abb. 4.25, jedoch für einen stark supersonischen relativistischen Jets,
der einen ausgeprägten, turbulenten Kokon besitzt.
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