2015-06-15 Wertschöpfung contra Lohnsteigerungen

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15. JUNI 2015
Wertschöpfung contra Lohnsteigerungen - China muss
Fertigungssektor entwickeln
Gewaltige volkswirtschaftliche und demografische Trends bedrohen Chinas Fertigungsdominanz, was
möglicherweise gefährliche Auswirkungen auf den andauernden wirtschaftlichen Aufstieg des Landes
hat. Der internationale Bedarf scheint sich abzuschwächen und viele ausländische Firmen verlagern ihr
Überseegeschäft in Gebiete mit niedrigeren Arbeitskosten. Die junge Bevölkerungsschicht im arbeitsfähigen Alter beginnt zu schrumpfen. GIS-Gastexperte Brendan O’Reilly untersucht die Entwicklungen.
Herstellung ist wichtig für Chinas Wirtschaft. In diesem
Sektor hat sie 2010 die USA überholt und wurde zur
Nummer eins in der Welt. Heute sind hier etwa 15 Prozent
der Arbeitskräfte beschäftigt.
Ungefähr ein Drittel von Chinas BIP entstammt der
‘Sekundärindustrie’, was die Fertigung mit einschliesst.
Das ist weit mehr denn in irgendeiner grossen Volkswirtschaft in der Welt. In den letzten Dekaden sind mehr als
260 Millionen Chinesen von ihren Dörfern in die Städte
gezogen. Die meisten dieser Wirtschaftsmigranten arbeiten im Herstellungssektor. Chinas Export von 2,34 Billionen US$ in 2014, das grösste Exportvolumen irgendeines
China verliert zum ersten Mal seit der globalen Wirtschaftskrise im Jahr
2008 Jobs in der Fertigung (Foto: dpa)
Landes in der Geschichte, wurde zu mehr als 1,4 Billionen
US$ von Elektronikartikeln, Maschinen, Autos und anderen
Industrieerzeugnissen dominiert.
und Bangladesch verdienen weniger als ein Viertel ihrer
Kürzlich erhobene Daten für den exportabhängigen Ferti-
chinesischen Kollegen.
gungssektor sehen entschieden gefährlich aus. Gemäss
Die Fertigungslöhne sind in der letzten Dekade in China
HSBCs Einkaufsmanagerindex (PMI) schrumpft er momen-
rasant gestiegen. Der durchschnittliche Jahreslohn eines
tan.
Arbeiters in diesem Sektor stieg von 1’962 US$ (15’700
RMB) im Jahr 2006 auf mehr als 7’400 US$ (46’000 RMB)
Ausländische Rivalen
im Jahr 2014.
China verliert zum ersten Mal seit der globalen Wirtschaftskrise in 2008 Arbeitsplätze in der Fertigung. Der
Schrumpfende Erwerbsbevölkerung
internationale Bedarf scheint schwächer zu werden,
China hat in dieser Zeit die Kontrolle über seine Währung
gemessen an den monatlichen Importvolumina, die im
gelockert und hat so dem RMB gestattet, gegenüber dem
letzten halben Jahr niedriger waren. Steigender ausländi-
US$ an Wert zuzunehmen, während gleichzeitig die Löhne
scher Wettbewerb verstärkt noch die Misere von Chinas
rapide gestiegen sind.
Fertigung, in erster Linie wegen der Bedenken angesichts
Die Arbeitslosenrate Chinas ist ziemlich niedrig, gemessen
steigender Löhne. Viele ausländische Firmen verlagern
am Weltstandard und Arbeitgeber sahen sich wachsendem
ihre Fertigung nach Übersee in Gegenden mit billigerer
Wettbewerb um Arbeitskräfte ausgesetzt, da die junge Er-
Arbeit, zum Beispiel Vietnam, die Philippinen, Kambod-
werbsbevölkerung begonnen hat zu schrumpfen. Gemäss
scha und Bangladesch.
der offiziellen Statistik fiel die Anzahl an Menschen
Die jährlichen Fertigungslöhne in Vietnam sind ungefähr
zwischen dem 16. und dem 59. Lebensjahr seit 2012 konti-
halb so hoch wie in China und Arbeiter in Kambodscha
nuierlich und in sehr kurzer Zeit wird die Grösse der
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Gesamtarbeiterschaft ebenfalls anfangen zu sinken.
China verliert billige, gering profitable und arbeitsintensive
Fertigungsaufträge speziell in der Textilindustrie.
Wie viele Firmen im grösseren Umfeld Chinas, die Kleidung für westliche Händler herstellen, hat die in Hongkong
BIP pro Kopf: China und seine Konkurrenten
(Jährliche Zahlen für 2013 in US$)
USA US$ 45.863
China US$ 3.583
Philippinen US$ 1.581
Indien US$ 1.165
Vietnam US$ 1.029
Myanmar US$ 824 (2011)
Kambodscha US$ 709
Bangladesh US$ 625
Tansania US$ 502
Ruanda US$ 388
Äthiopien US$ 289
Madagaskar US$ 265
als ihre Vorgänger.
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Nahezu jede chinesische Person, die nach 1980 geboren
Quelle: Trading Economics
beheimatete Li & Fung Limited ihre Produktion im grossen
Umfang nach Bangladesch verlagert.
Viele Kleidungshersteller in China untersuchen Möglichkeiten in Myanmar, angezogen von dem relativ unberührten
Arbeitskräftemarkt.
Bessere Bedingungen
Viele Manager von Betrieben, seien sie lokal oder von
ausländischen Firmen betrieben, klagen, dass die jüngere
Generation von Arbeitskräften in China weniger fleissig ist
wurde, wuchs unter weit besseren materiellen Verhältnissen auf als ihre Eltern, auch wenn sie aus vergleichs- weiter zu gehen. Chinesische Firmen haben Bekleidungsweise armen Gegenden stammen. Sie können es sich firmen in Tansania, Ruanda, Madagaskar und Äthiopien
leisten, in Bezug auf Bezahlung und Arbeitsbedingungen gegründet. Die Löhne für Fabrikarbeit liegen in diesen
wählerisch zu sein.
Ländern bei ungefähr 40 US$ pro Monat.
Während der Fertigungssektor leidet, hat auch das Wachs- Es gibt ungefähr eine Million Chinesen die in Afrika
tum bei ausländischen Direktinvestitionen (FDI) nachge- arbeiten oder dort Geschäfte betreiben. Die meisten sind
lassen. Die Zahl für neue FDIs betrug 2014 128 Milliarden in Infrastrukturprojekte oder im internationalen Handel
US$, was andererseits ausreichte, um die USA als erstes involviert.
Ziel für ausländische Direktinvestitionen in der Welt abzulösen. Bemerkenswerterweise gingen mehr als die Hälfte Geringe Finanzierung
dieser FDIs in Chinas Dienstleistungssektor. FDIs im Ferti- Wagemutige chinesische Firmen profitieren von Afrikas
gungsbereich machten ungefähr ein Drittel des gesamten extrem niedrigen Arbeitskosten und von der Nähe zu den
Kapitalzuflusses aus. 2010 waren es im Vergleich dazu Absatzmärkten in Europa und dem Nahen Osten.
noch 49 Prozent der 105,7 Milliarden an FDIs, die in den Dennoch hinkt China generell in Sachen Investitionen in
Fertigungsbereich gingen.
ausländische Produktionsstätten hinterher. Energieprojekte
machten 42 Prozent der 870 Milliarden US$ an chine-
Verlagerung von Arbeitsplätzen
sischen Überseeinvestitionen im Jahr 2014 aus. Transport,
Der Exodus von Chinas Fertigung ist nicht alleine auf die Bergbau und Sachanlagen machten weitere 39 Prozent
Textilindustrie beschränkt. Viele der bekanntesten Verbrau- aus. Die Finanzierung von Fertigungsstätten blieb relativ
chermarken der Welt verlassen entweder China komplett niedrig.
oder verkleinern ihre Produktionsstandorte.
Herausforderungen für Chinas Vorherrschaft im Ferti-
Microsoft hat Pläne bekanntgegeben die Produktion von gungssektor kommen nicht nur aus Ländern, in denen
Nokia komplett nach Vietnam zu verlagern. Andere Firmen, billige Arbeit reichlich vorhanden ist. Viele japanische
darunter Nike, Samsung und Foxconn, der Welt grösster Firmen haben, ausgelöst von wirtschaftlichen Faktoren
Auftragshersteller für elektronische Geräte, verlagern ihre und eventuell wegen andauernder politischer Bedenken,
Fertigung schrittweise nach Süd- oder Südostasien.
einige ihrer in China beheimateten Standorte in das
Sogar chinesische Firmen machen bei diesem Wettlauf Heimatland zurückverlagert. Europäische Hersteller führen
nach den günstigsten Bedingungen mit. Jedoch sind sie ebenfalls einiges an Arbeit zurück. Der Überfluss an
bereit, bei der Suche nach den geringsten Löhnen noch Arbeitskräften in den USA nach der Rezession und
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steigende Löhne in China haben grosse amerikanische der Notwendigkeit, sich über eine von geringer QualifiHersteller, wie General Electric und Ford, dazu bewogen, kation und hoher Arbeitsintensität gekennzeichnete Indusdie USA bei neuen Produktionsstätten zu bevorzugen.
trie weiter zu entwickeln, sagte der stellvertretende Leiter
der Planungsabteilung des MIIT, Li Beiguang, “es gibt viele
Stärken
Kriterien um zu beurteilen, ob ein Land eine Herstellungs-
Gemäss einer Studie der Boston Consulting Group liegen macht hat oder nicht. Dazu gehört der industrielle
die Herstellungskosten in den USA nur wenig höher als in Massstab, eine optimierte industrielle Struktur, fundierte
China, wenn man neben den reinen Lohnkosten weitere Qualität und Effizienz und eine nachhaltige Entwicklung,
Faktoren wie Produktivität und Nähe zu den Absatz- aber der Kern ist die Innovation.”
märkten mit ins Kalkül zieht.
Trotz dieser Risiken für Chinas unverzichtbaren Ferti- Gefährliche Spirale
gungssektor verbleiben einige Stärken. Erstens verfügen Aufgrund der komplizierten und gegensätzlichen Trends in
die Regionen, in denen die Fertigung angesiedelt ist, über Chinas Herstellungssektor entwickeln sich zwei Hauptgrosse Vorteile in Form von existierenden Lieferketten und szenarien. Im Ersten entwickelt sich der Abfluss ausländiInfrastruktur. Komponenten für eine Vielzahl von Elektro- scher und einheimischer Firmen zu einem Sturzbach.
nikartikeln und Maschinen sind leicht verfügbar.
Es besteht das Risiko einer gefährlichen Spirale in der eine
China wird auch als politisch relativ stabil angesehen. gedämpfte Fertigung zu wachsender Arbeitslosigkeit führt
Stromversorgung, Strassen und eine grundlegende öffent- und so der Wirtschaft zusätzlich schadet. Auch existieren
liche Ordnung sind alle gewährleistet. Arbeitskräfte sind in Befürchtungen einer anhaltenden Kapitalflucht, wenn
der Regel relativ gut ausgebildet im Vergleich mit vielen sowohl ausländische Firmen als auch reiche Bürger nach
ärmeren asiatischen Nationen. Arbeit ist immer noch relativ finanzieller Sicherheit im Ausland suchen während gleichbillig und reichlich in Chinas riesigem Landesinneren ver- zeitig Chinas Wirtschaft leidet.
fügbar. Internationale Firmen, wie beispielsweise Unilever, In Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Krise in
haben die Produktion aus den Küstenregionen verlagert Chinas Herstellungssektor wird Peking wahrscheinlich
um Kosten für Land, Energie und Löhne zu sparen.
politisch zu volkswirtschaftlichen Massnahmen greifen, um
die negativen Folgen zu begrenzen.
Lebenswichtige Bereiche
Grossvolumige Transport- und Wasserprojekte könnten
Die Lebenshaltungskosten in den Städten im Landes- eingesetzt werden, um das Wirtschaftswachstum anzuinneren sind generell deutlich niedriger im Vergleich zu den kurbeln und die aus ihren Jobs verdrängten Arbeiter
entwickelten Küstenregionen. Das pro-Kopf BIP in den im aufzunehmen. Peking könnte auch die Währung beeinLandesinneren gelegenen Provinzen Jiangxi, Henan und flussen, um den relativen Wert des Renminbi zu senken
Anhui betragen nur ungefähr die Hälfte derjenigen der und so den Export zu stärken und Chinas Arbeit wettbeKüstenprovinzen Jiangsu, Fujian und Guangdong. Auf- werbsfähiger zu machen.
grund der kürzlich verbesserten Transportinfrastruktur ist
es für Firmen eher wirtschaftlich darstellbar, die Produktion Einkaufsmacht
weg von den Hafenstädten anzusiedeln.
Im zweiten Szenario schaffen es die chinesischen Fabriken
Chinas Zentralregierung hat kürzlich Bestrebungen ange- in der Wertschöpfungskette aufzusteigen, während gleichkündigt, um den Fertigungssektor zu restrukturieren. Das zeitig viele Teile der Fertigung die nur eine geringe
Ministerium für Industrie und Informationstechnologie Qualifikation erfordern, ins Ausland abwandern. Die ‘Made
(MIIT) verkündete am 19. Mai 2015 die ‘Made in China in China 2025’-Initiative scheint die offizielle Bestätigung
2025’-Initiative. Premierminister Li Keqiang betonte, dass für die Notwendigkeit, einen effizienteren und produkdas Hauptziel eine Verlagerung in Richtung ‘Created in tiveren Fertigungssektor zu entwickeln, zu sein. China
China’ ist.
kann sich nicht für alle Zeiten auf billige Arbeit verlassen.
Das Programm konzentriert sich auf diverse lebenswich- Auch gibt es abgestimmte Anstrengungen der Regierung
tige Bereiche wie die Informationstechnologie, Robotics, hin zur Entwicklung eines mehr kundenorientierten WirtTransportequipment und neue Materialien. Im Bewusstsein schaftsmodels.
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Steigende Kaufkraft auf Seiten der chinesischen Arbeiter politischen Widerspruch gegenüber und muss mutige und
könnte helfen, die Probleme mit dem Bedarf in Übersee riskante offizielle Reformen einleiten um einen gesunden
auszugleichen. Auch sind die wirtschaftlichen Kräfte, die und wachsenden Fertigungssektor zu erhalten.
zu den drastischen Lohnsteigerungen geführt haben, ein Die steigenden Lohnkosten, das langsamere Wachstum im
gutes Zeichen für die Weiterentwicklung eines robusteren Inland und die globale wirtschaftliche Unsicherheit werden
Dienstleistungssektors in der Wirtschaft.
kurzfristig die Fertigung in China zu einer Periode der
Die Folgen für Chinas Herstellungssektor hängen von der Anpassung und der Schrumpfung zwingen. Langfristig
Politik der Regierung, demografischen Entwicklungen und hingegen ist das wahrscheinlichste Ergebnis eine zunehdem Weltmarkt ab. Der Vorstoss der Zentralregierung für mend effiziente und hochtechnologische Industrie.
eine bessere Informationstechnologie wird durch die Der ‘Made in China 2025’-Plan veranschaulicht, dass sich
Zensur des Internets und dem
kaum vorhandenen Schutz
des geistigen
China der Situation
„
Die Herstellungskosten in den USA liegen nur wenig
höher als in China, wenn man neben den reinen
Lohnkosten weitere Faktoren wie Produktivität und
die Nähe zu den Absatzmärkten mit ins Kalkül zieht.
bewusst ist und bereit ist, den Sektor
weiter zu modernisieren. Die Regie-
Eigentums, ver-
rung hat immer
hindert.
noch eine grosse
Palette an finanziellen und politischen Werkzeugen, um die
Hoffnung im Hightech-Sektor
Fertigung zu steigern und chinesische Hersteller verfügen
Die andauernde Einmischung der Regierung in die immer noch über ein gerüttelt Mass an globaler
Fortpflanzungsmöglichkeiten chinesischer Familien – die Wettbewerbsfähigkeit.
Ein-Kind-Politik – verschärft einen gefährlichen demografischen Trend. China sieht sich ansatzweise einem
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