Fibromyalgiesyndrom PD Dr. med. Winfried Häuser Innere Medizin I - Psychosomatik Winterberg 1, 66119 Saarbrücken Tel.: 0681/963-2021 Fax: 0681/963-2022 E-Mail: whaeuser@klinikum-saarbruecken Leitlinie, Untergruppen, Schweregrade und Therapie Inhalt: 1. Vorbemerkung: Fakten und Konsens statt individuelle Glaubensbekenntnisse ...... 2 2. Gibt es das Fibromyalgiesyndrom? .............................................................................. 2 3. Symptome des FMS........................................................................................................ 4 4. Diagnose des FMS .......................................................................................................... 4 5. Ursachen des FMS.......................................................................................................... 4 6. Untergruppen und Schweregrade des FMS ................................................................. 5 6.1.Untergruppen ............................................................................................................................................... 5 6.2. Schweregrade ............................................................................................................................................. 5 7. Therapie ........................................................................................................................... 5 7.2. Ein längerfristiger Nutzen ist für folgende Therapieverfahren wissenschaftlich gesichert: .............. 6 7.2. Medikamentöse Therapie ........................................................................................................................... 6 8. Schwerbehinderung und Berentung ............................................................................. 7 9. Weitere Informationen im Internet................................................................................. 8 10. Auswahl unserer Publikationen zum Fibromyalgiesyndrom .................................... 9 Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 1 von 10 1. Vorbemerkung: Fakten und Konsens statt individuelle Glaubensbekenntnisse Es gibt kaum ein Beschwerdebild, zu dem es in der Medizin sowie zwischen Betroffenen und Behandlern (Ärzten, Psychologen, Krankengymnasten) so viele Diskussionen über die Existenz, Ursachen, Diagnose und Therapie gibt wie beim Fibromyalgiesyndrom (FMS). Die Äußerungen bei diesen Kontroversen sind häufiger durch die Scheuklappen von Fachgebieten bzw. Interessenslagen bedingt als durch wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse. Daher bin ich froh, dass ich als Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie DIVS, einem Dachverband medizinisch -psychologischer Fachgesellschaften in Deutschland, die Entwicklung einer Leitlinie zur Diagnose und Therapie des FMS koordinieren konnte, an der alle mit dem Beschwerdebild befassten Fachgesellschaften sowie Patientenvertreter der Deutschen Rheuma-Liga und der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung beteiligt waren. Dazu gehören Vertreter der Allgemeinenmedizin, der Neurologie, der Orthopädie, der Psychiatrie, der Psychosomatik, der Rheumatologie und der Schmerztherapie, der Zentralverband für Krankengymnastik und Physiotherapie. Die in Kooperation der genannten Gesellschaften entwickelten Empfehlungen zur Klassifikation, Ursachen, Diagnose und Therapie des FMS gründen auf eine systematische Recherche der zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Literatur und einem strukturierten Konsensusprozess. Die Vorstände aller beteiligten Gesellschaften haben dieser Leitlinie zugestimmt. Diese Leitlinie hat den höchsten methodischen Entwicklungsgrad (sogenannte S3-Leitlinie), den Leitlinien in Deutschland erreichen können.In Deutschland gibt es zur Zeit ca 100 S3-Leitlinien. Auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften Deutschlands AWMF befindet sich eine Lang- und Kurzversion der Leitlinie für Mediziner und Psychologen und eine Laienversion: 1. www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/041-004.html Meine folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese Leitlinie. 2. Gibt es das Fibromyalgiesyndrom? Die international anerkannte Definition des FMS stammt vom Amerikanischen Kollegium für Rheumatologie. Die Klassifikationskriterien wurden entwickelt, um sogenannte weichteilrheumatische Beschwerden von entzündlichem Rheuma und degenerativ bedingten Beschwerden abzugrenzen. Ein FMS liegt vor, wenn: a. eine Person > 3 Monate in mehreren Körperregionen Schmerzen hat, z.B. Wirbelsäule (Nacken oder Brustkorb oder Kreuz) und rechte und linke Körperhälfte und oberhalb und unterhalb der Taille Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 2 von 10 b. bei Druck mit dem Daumen auf 18 Tenderpoints (Druckpunkte am Übergang von Muskeln zu Sehnen) bei mindestens elf dieser Punkte vom Untersuchten Schmerzen angegeben werden. In der Krankheitenliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Fibromyalgie mit dem Code M 79.00 aufgeführt. In der aktuellen deutschen Version der Krankheitenliste (ICD 10 German Modification 2008) hat die Fibromyalgie einen eigenen Kode unter den Krankheiten des MuskelSkelett-Systems und Bindegewebe: M 79.7. Manche Ärzte, z. B. manche Orthopäden und ärztliche Gutachter der medizinischen Dienste von Rentenversicherungsträgern und Landesämtern weigern sich, die Diagnose eines FMS anzuerkennen. Manche Psychiater und Psychosomatiker behaupten, dass das FMS eine Variante einer Depression bzw. einer somatoformen Störung ist. Die orthopädischen, psychosomatischen und psychiatrischen Fachgesellschaften haben sich an der Leitlinie beteiligt und die Vorstände haben der Leitlinie zugestimmt. Wenn also ein Orthopäde, Psychiater oder Psychosomatiker behauptet, dass es das FMS nicht gibt, so äußert er seine persönliche Meinung, die im Widerspruch zu dem seiner Fachgesellschaft und der Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation steht. Die Probleme mit der Klassifikation des FMS haben verschiedene Ursachen: a. Das FMS ist keine abgrenzbare Krankheit wie ein Herzinfarkt. Die Hauptsymptome des FMS (Schmerzen in mehreren Körperregionen, Müdigkeit, Schlafstörungen) finden sich in geringerer Ausprägung auch teilweise bei Gesunden oder Menschen mit anderen Krankheitsbildern. Die Intensität der Symptome ist bei FMS-Patienten jedoch deutlich höher. Die Festlegung eines Schwellenwertes von Beschwerden, der überschritten werden muss, damit ein FMS vorliegt, ist relativ willkürlich festgelegt. Eine relativ willkürliche Festlegung von Grenzwerten, die Gesunde und 'Kranke' trennen, findet sich jedoch in vielen Bereichen der Medizin, z. B, beim Blutdruck oder bei den Blutfetten. b. Das FMS ist nicht durch spezifische technische Untersuchungen wie Laborwerte oder Röntgenuntersuchungen nachweisbar. Die beim FMS nachweisbaren Veränderungen des Hirnstoffwechsels bei Schmerz- und Stressverarbeitung sind nur mit aufwendigen und teuren Verfahren nachweisbar, welche in der Grundlagenforschung, nicht jedoch im klinischen Alltag eingesetzt werden. Das FMS kann mit großer Sicherheit anhand der Beschwerden des Patienten und dem Ausschluss einiger Krankheiten, welche zu ähnlichen Symptomen führen können, gestellt werden (siehe Punkt 4). Aufwendige und teure Untersuchungsmethoden sind zur Diagnosestellung nicht notwendig. Da das Beschwerdebild durch Symptome und nicht durch für das Beschwerdebild charakteristische krankhafte Organveränderungen und Laborwerte definiert ist, ist es angemessener, von 'Fibromyalgiesyndrom' als von 'Fibromyalgie' zu sprechen. Der Begriff 'Fibromyalgie' suggeriert zu Unrecht ein abgrenzbares Krankheitsbild. c. Das Beschwerdebild von Patienten mit FMS ist häufig vielfältig (siehe Punkt 3). Um das Beschwerdebild vollständig in Diagnosen 'abzubilden', sind oft mehrere Diagnosen notwendig. So erfüllen 20-80% von FMS-Patienten die Kriterien einer Depression und 20-40% die Kriterien einer somatoformen Störung. Diese Häufung seelischer Störungen beim FMS ist ein Grund, warum Psychosomatiker und Psychiater behaupten, dass das FMS eine Variante einer seelischen Störung ist. Jedoch auch bei abgrenzbaren Erkrankungen wie dem Herzinfarkt gibt es eine Häufung anderer Erkrankung wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck. Trotzdem käme kein Internist auf die Idee zu behaupten, dass ein Herzinfarktpatient immer einen Diabetes mellitus oder Bluthochduck haben muss. Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 3 von 10 3. Symptome des FMS Hauptsymptome des FMS sind chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen, d.h. im Rücken (Nacken, Brustkorb, Kreuz) sowie in den Armen und Beinen sowie chronische Müdigkeit (körperliche und geistige Erschöpfbarkeit) und Schlafstörungen. Die genannten Symptome müssen über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten vorliegen. Weitere häufige Begleitsymptome sind Morgensteifigkeit oder Schwellungen in Händen, Füßen oder dem Gesicht. Viele Betroffene leiden unter weiteren körperlichen Beschwerden seitens der inneren Organe (Reizmagen-, Reizdarm-, Reizblasensymptome), Kopfschmerzen und Trockenheit bzw. Überempfindlichkeit der Schleimhäute sowie seelischen Beschwerden (z. B. Konzentrationsstörungen, vermehrte Ängstlichkeit oder Depressivität). 4. Diagnose des FMS Die Diagnose wird an Hand der typischen Beschwerden gestellt. Eine vollständige körperliche Untersuchung sollte durchgeführt werden. Folgendes Basislabor sollen beim Verdacht auf ein FMS einmalig durchgeführt werden, um Hinweise auf mögliche andere Erkrankungen zu erhalten, welche zu den gleichen Symptomen führen kann: a. Blutsenkungsgeschwindigkeit, C-reaktives Protein, kleines Blutbild (z. B. um eine Polymyalgia rheumatica oder rheumatoide Arthritis auszuschließen) b. Kreatininkinase (z. B. Muskelerkrankungen ) c. Kalzium (z. B. krankhafte Erhöhung des Kalziums bei Stoffwechselerkrankungen) d. TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon basal), z. B. Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse e. Blutuntersuchungen auf entzündlich-rheumatische Erkrankungen (sogenannte Antikörper): Ohne klinische Hinweise sind diese Untersuchungen nicht sinnvoll. f. In Abhängigkeit von der Anamnese und dem körperlichen Untersuchungsbefund können weitere Laboruntersuchungen sinnvoll sein. Bei typischem Beschwerdekomplex und fehlendem klinischen Hinweis auf internistische, orthopädische oder neurologische Erkrankungen (Anamnese und klinische Untersuchung ohne Hinweis auf andere Erkrankungen als Ursachen von Schmerzen und Müdigkeit, unauffälliges Basislabor), wird empfohlen, keine weitere technische Diagnostik (weiterführendes Labor, Neurophysiologie, Bildgebung) durchzuführen. 5. Ursachen des FMS Es gibt keine einzelne, nur für das FMS zutreffende Ursache des Beschwerdebildes. Forscher gehen davon aus, dass die Kombination einer Veranlagung mit verschiedenen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren zum Auftreten und Weiterbestehen eines FMS führt. Das FMS tritt gehäuft in Familien auf. Inwieweit Vererbung und inwieweit psychologische Faktoren (z.B. Lernmechanismen) zu dieser familiären Häufung führen, ist zurzeit nicht bekannt. Folgende Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem FMS kommt: Vermehrte Depressivität sowie körperliche (z. B. einseitige Körperhaltungen) und seelische (z. B. Mobbing) Belastungen am Arbeitsplatz. Negative Gedanken und Gefühle, die Betroffene in Zusammenhang mit körperlichen Beschwerden haben, Verhaltensweisen (z. B. übertriebene körperliche Schonung) und die Reaktionen der Umwelt (z. B. mangelndes Verständnis für die Beschwerden oder übertriebene Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 4 von 10 Entlastung der Betroffenen) können einen negativen Einfluss auf den Verlauf der Beschwerden haben. Beim FMS ist die zentrale Schmerzverarbeitung gestört. 6. Untergruppen und Schweregrade des FMS 6.1.Untergruppen Auch aufgrund des unterschiedlichen Ansprechens auf ein Medikament (Topisetron) wurde von verschiedenen Forschern vorgeschlagen, verschiedene Untergruppen der FMS zu definieren. (Merke: Auch beim Asthma wird ein allergisches Asthma, ein 'intrinsic' Atshma und Mischformen unterschieden). Aufgrund der Bedeutung von seelischen Störungen und emotionalen Problemen habe ich folgende Unterteilung vorgeschlagen: a. FMS ohne frühere oder aktuelle psychische Störungen b. FMS mit Folgedepression c. FMS vom Typ der somatoformen Schmerzstörung (Einsetzen der FMS-Symptomatik in Zusammenhang mit psychosozialen Konflikten) d. FMS vom Typ der somatisierten Depression (Vorgeschichte von Angststörungen oder Depressionen mit Übergang in eine FMS-Symptomatik 6.2. Schweregrade Genauso wie in der Inneren Medizin verschiedene Schweregrade des Asthmas oder der Herzinsuffizienz unterteilt werden, habe ich zusammen mit nervenärztlichen Kollegen - in Analogie zur Schweregradeinteilung der rheumatoiden Arthritis bzw. psychovegetativen Störungen in den 'Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit' - eine Schweregradeinteilung des FMS vorgeschlagen: Leichtgradiges FMS: Geringe Beeinträchtigungen im Alltag (Haushalt, Beruf, Freizeit, Sexualität), kein Fortschreiten von Beschwerden und Aktivitätsstörungen im Laufe der Jahre, gute (30-50%) Beschwerdereduktion durch therapeutische Maßnahmen Mittelgradiges FMS: Mittelschwere Aktivitätsstörungen, allmähliches Fortschreiten der Beschwerden und Aktivitätsstörungen im Laufe der Jahre, partielles Ansprechen (10-30%) auf Therapiemaßnahmen Schwergradiges FMS: Ausgeprägte Aktivitätstörungen, rasches Fortschreiten der Beschwerden und Aktivitätsstörungen, kein Ansprechen auf Therapiemaßnahmen Mittelschwere und schwere Verlaufsformen des FMS sind meist durch nicht ausreichend behandelte seelische Begleiterkrankungen bedingt. 7. Therapie Es gibt derzeit keine Behandlungsmethode, die zur Heilung der FMS-Beschwerden führt. Von Untersuchungen des Langzeitverlaufes des FMS ist bekannt, dass die Beschwerden und Aktivitätsstörungen bei den meisten Betroffenen anhalten und dass die meisten Betroffenen im Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 5 von 10 Laufe der Jahre lernen, mit ihren Beschwerden und Einschränkungen zurechtzukommen. Realistische Behandlungsziele können derzeit also nur bei einem Erhalt und idealerweise Verbesserung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie in einer Beschwerdereduktion liegen. Die Behandlung sollte sich auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien sowie die Erfahrung von Betroffenen und Ärzten stützen. 7.2. Ein längerfristiger Nutzen ist für folgende Therapieverfahren wissenschaftlich gesichert: a. Regelmäßiges Ausdauertraining (z. B. Walking, Schwimmen, Aqua-Jogging). Die notwendige Belastungsintensität ist niedriger als die von Gesunden bzw. als in der Zeit vor Beginn der FMS-Symptomatik. b. Schmerzbewältigungstraining: Informationen über realistische Ziele der Behandlung chronischer Schmerzen, das Erlernen von (Muskel-) Entspannungstechniken, positivem Denken, Genusstraining, Stressbewältigung und Aktivitätsmanagement sowie der Austausch mit anderen Betroffenen im Rahmen des Gruppentrainings kann die Einstellung gegenüber dem Schmerz verändern und die Lebensqualität verbessern. Die erlernten Techniken sind nach Abschluss des Kurses eigenständig anzuwenden. Schmerzbewältigungstrainingsprogramme für FMS-Patienten werden von uns ambulant angeboten (6 Termine zu 1,5 Stunden). Weitere Informationen hierzu siehe „Schmerzbewältigung“ auf www.klinikum-saarbruecken.de/Psychosomatik. c. Regelmäßige Ganzkörperwärmetherapie, z. B. Thermalbad oder Biosauna. Eine Trockenund Wassergymnastik (sog. Funktionstraining) für FMS-Patienten wird in einigen Bundesländern von der Deutschen Rheuma-Liga und der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung angeboten und kann vom Vertragsarzt als Rehabilitationssport für 24 Monate verschrieben werden. d. Ein langfristiger Nutzen einer medikamentösen Therapie (> 6 Monate) ist bisher nicht nachgewiesen. Im Falle einer medikamentösen Therapie ist immer zu überprüfen, ob das Medikament die Beschwerden lindert und ob Nebenwirkungen auftreten. Überwiegt der Nutzen eines Medikamentes die Nebenwirkungen, ist auch eine längerfristige medikamentöse Therapie sinnvoll. 7.2. Medikamentöse Therapie Antidepressiva: Antidepressiva (AD) sind die am besten untersuchten Substanzen in der Therapie des FMS. Verschiedene Substanzklassen können unterschieden werden. Die Substanzklasse der trizyklischen AD (chemische Namen z. B. Amitryptilin) ist am besten untersucht. Die Dosis zur Behandlung des FMS ist wesentlich niedriger (10-50 mg) als die Dosis, welche zur Behandlung von Depressionen (50-150 mg) notwendig ist. Bei den Substanzklassen der Serotoninwiederaufnahmehemmer SSRI (chemische Namen z. B. Fluoxetin, Paroxetin) und der dualen AD (z. B. Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer NASSA wie Duloxetin) wird dieselbe Dosis wie zur Behandlung von Depressionen gegeben. Jeder 4. Patient profitiert von einer AD-Therapie im Sinne von Schmerzreduktion und Schlafverbesserung. Viele Patienten tolerieren die Nebenwirkungen, insbesondere Müdigkeit und Benommenheit, schlecht. Die Wirkung von AD ist unabhängig davon, ob ein FMS-Betroffener depressiv ist oder nicht. Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 6 von 10 Opioide: Bisher liegen nur Studien vor, die einen positiven Effekt von Tramadol, einem schwachen Opioid, alleine oder in Kombination mit Paracetamol nachweisen. Tramadol hat zusätzlich eine antidepressive Wirkung wie ein AD der NASSA-Klasse. Starke Opioide (z. B. Morphin, Oxycodon, Hydromorphon) sind nicht in Studien überprüft und sollten nur in Ausnahmefällen rezeptiert werden. Schwache Opioide sind meiner Erfahrung dann begrenzt wirksam, wenn zusätzlich Schmerzen aufgrund degenerativer Knochenveränderungen vorliegen. Nervenschmerzmittel (Pregabalin, Gabapentin) sind in ihrer Wirksamkeit den Antidepressiva vergleichbar. Konventionelle Schmerzmittel: Nichtsteroidale Antirheumatika (z.B. Ibuprofen, Diclofenac), Muskelrelaxantien (z. B. Tolperison und Flupirtin, Metamizol und Paracetamol). Obwohl beim FMS häufig eingesetzt, wurde ihre Wirkung bisher in keiner kontrollierten Studie bestätigt. Alle genannten Substanzen sind meiner Erfahrung bei 'Schmerzschüben' für 3-8 Tage befristet wirksam, vor allem, wenn degenerative Veränderungen bzw. lokale Wirbelsäulensyndrome mit Muskelverspannungen zusätzlich vorliegen. Eine Dauertherapie ist nicht sinnvoll. Psychotherapie: Nicht alle FMS-Patienten brauchen eine Psychotherapie. Die Rate von seelischen Störungen (Depressionen, Angststörungen und posttraumatischer Belastungsstörung) ist jedoch bei FMS-Patienten deutlich höher als bei Gesunden oder Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Zur Behandlung von Depressionen und Panikstörungen, welche zusätzlich zum FMS vorliegen können, gibt es spezielle Behandlungstechniken der kognitiven Verhaltenstherapie und tiefenpsychologischen Therapie. Diese störungsspezifische Psychotherapie kann mit der Gabe von Antidepressiva und angstlösenden Medikamenten kombiniert werden. Die erfolgreiche Behandlung einer psychischen Begleitstörung kann sich auch positiv auf das FMS (Schmerzreduktion, bessere Motivation zur eigenständigen Behandlung) auswirken. Alternative Verfahren: Ernährungsumstellung (Fleischreduktion bzw. - verzicht, vollwertige Kost), Homöopathie und Lymphdrainage können im Einzelfall nützlich sein. 8. Schwerbehinderung und Berentung Als Vergleichsmaßstab kommen bei einem Fibromyalgiesyndrom wie auch bei anderen Krankheitsbildern (z. B. chronisches Müdigkeitssyndrom, Multiple chemical sensivity) mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder kein primär organischer Befund zugrunde liegt, am ehesten die in Ziffer 26.3, S. 60 AHP unter 'Neuologischen Persönlichkeitsstörungen' genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und evtl. sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht (Niederschrift über die Tagung der Sektion 'Versorgungsmedizin' des ärztlichen Sachverständigenbeirates beim BMA vom 25. bis 26.11.1998). Hiernach ist für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen ein Bewertungsrahmen von 0 - 20 vorgesehen. Ein GdB von 30-40 ist erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) gegeben. Ein GdB von 50 kann erst bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Ansatz gebracht werden (vgl. AHP S. 60f, L 6 SB 46/98 LSG NW - Urteil vom 28. November 2000 und L 6 SB 137/01 LSG NW - Urteil vom 12. März 2002). Bezüglich des Leistungsvermögens besteht weitgehende Einigkeit zwischen den Gutachtern, dass beim FMS keine schweren und mittelschweren körperlichen Arbeiten bzw. leichte körperliche Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 7 von 10 Arbeiten in Zwangshaltungen bzw. Nässe- und Kälte möglich sind. Bei leichten Formen des FMS und bei vielen Formen des mittelschweren FMS ist ein vollschichtiges (> 6h) Leistungsvermögen für leichte körperliche und leichte bis mittelschwere geistige Arbeiten erhalten. Es ergibt sich häufig die Situation, dass die/der Betroffene nicht mehr in seinem zuletzt ausgeübten Beruf, z. B. als Friseuse, Fleischereifachverkäuferin oder Raumpflegerin, tätig sein kann, dass aber eine vollschichtige Tätigkeit unter den oben genannten Einschränkungen möglich ist. Ob eine solche Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt verfügbar ist, hat der Gutachter nicht in seine Entscheidung mit einzubeziehen. D.h. der Gutachter kommt zur Einschätzung, dass die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit nicht mehr vollschichtig verrichtbar ist, dass aber die oben genannten Tätigkeiten zumutbar sind. Zum Verständnis dieser häufig als ungerecht empfundenen Beurteilung durch den Gutachter und das Gericht ist ein Verständnis einiger rechtlicher Grundlagen der Begutachtungstätigkeit zu Fragen der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sowie der Alterssicherung der Landwirte von Bedeutung, insbesondere die seit dem 01.01.2001 geltenden Regelungen: a. Eine Berufsunfähigkeitsrente kann neu nur noch bekommen, wer vor dem 02.01.1961 geboren ist. Die Berufsunfähigkeitsrente beläuft sich auf ½ wie bei teilweiser Erwerbsminderung (vorher 2/3-Rente) b. Für nach dem 02.01.1961 Geborene gibt es nur noch den Begriff der Erwerbsminderung. Es gibt keine Berufsunfähigkeit mehr. Eine teilweise Erwerbsminderung ist definiert als berufliche Einsetzbarkeit zwischen drei und weniger als sechs Stunden pro Tag (Anspruch auf halbe Rente). Die Rente wird immer nur auf drei Jahre befristet ausgesprochen. c. Die Frage nach einem fachlich geprägten Berufsbild und der Verweisbarkeit/Zumutbarkeit ist nur noch für diejenigen maßgeblich, die vor 1961 geboren sind oder bei denen es um Fortsetzung einer BU-Rente geht. d. Bezüglich der Zumutbarkeit von Tätigkeiten gibt es Entscheidungen des Bundessozialgerichtes. Als zumutbar werden alle Tätigkeiten angesehen, die nicht mit einem wesentlichen sozialen Abstieg verbunden sind. Dazu hat das Bundessozialgericht ein Stufenschema entwickelt, das das gesamte Spektrum möglicher Tätigkeiten in Berufsgruppen (vom ungelernten Arbeiter, angelernten Arbeiter unteren Ranges bis Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion) entwickelt hat. Als unwesentlich und zumutbar wird ein beruflicher Abstieg um eine Stufe innerhalb dieses Schemas angesehen. Maßgeblich für die Bestimmung des Ausgangsberufes in dem Stufenschema ist die zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Tätigkeit. Zusammenfassend lässt sich aufgrund meiner Erfahrungen in der Begutachtung von über 200 FMS-Betroffenen im Sozialgerichtsverfahren sagen, dass eine Schwerbehinderung bzw. ein eingeschränktes Leistungsvermögen seitens der Sozialgerichte nur dann anerkannt wird, wenn der Gutachter den Standards der Begutachtung schmerz- und psychotherapeutischer Fachgesellschaften folgt, die von dem Patienten vorgebrachten Aktivitätseinschränkungen aufgrund der Vorbefunde und dem Begutachtungsbefund plausibel sind und eine nicht ausreichende Verbesserung der Beschwerden und Einschränkungen durch die Berichte von Vorbehandlern belegt sind. Eine interdisziplinäre Leitlinie, wie eine Begutachtung bei chronischen Schmerzen erfolgen soll, findet sich ebenfalls im Internet unter www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/030102.htm 9. Weitere Informationen im Internet www.fibromyalgie-aktuell.de. Sehr gute Seite mit Links und Foren zum Erfahrungsaustausch, medizinischen Themen und sozialrechtlichen Fragen Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 8 von 10 www.rheuma-liga.de. Hier gibt es eine sehr informative Informationsbroschüre zum FMS, die als PDF-Datei heruntergeladen werden kann. www.fibromyalgie-fms.de. Die Seite der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung e.V. Enthält u.a. aktuelle Informationen zu Therapiemöglichkeiten http://www.fibronet.org/ Patienteninformationen zur Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms der Universität Heidelberg www.fibromyalgie.de. Die Webseite von Dr. med. Thomas Weiss (Mannheim) http://www.rheumasaar.de/home.htm. Die Webseite von Dr. med. Werner Biewer (Saarbrücken), Arzt für Innere Medizin-Rheumatologie http://www.aquajogging-atlas.de/ Zusammenstellung von Anbietern von Aquajogging-Kursen im Saarland http://www.walkingonline.de/nwtreffs.htm Zusammenstellung von Nordic Walking Treffs bundesweit 10. Auswahl unserer Publikationen zum Fibromyalgiesyndrom Häuser W, Sonntag B, Egle UT. Fachpsychotherapeutische Begutachtung von Schmerzkrankheiten.Der Schmerz 16 (2002) 294-303 Häuser W. Vorschläge für eine Schweregradeinteilung des Fibromyalgiesyndroms. Der Medizinische Sachverständige 98 (2002) 207-212 Häuser W, Hutschenreuter U, Vaterrodt T. Fibromyalgiesyndrom. Fundierte Begutachtung aus schmerztherapeutischer Sicht. Neurotransmitter 14 (2003) 56-62 Biewer W, Conrad I, Häuser . Fibromyalgiesyndrom. Der Schmerz 18 (2004)118-124 Häuser W. Fibromyalgiesyndrom - Subtypen und Schweregrade. Der Medizinische Sachverständige 100 (2004) 11-16 Häuser W, Bernardy K, Arnold B. Das Fibromyalgiesyndrom - eine somatoforme Schmerzstörung?Schmerz 20 (2006) 128-139 Häuser W. Fibromyalgiesyndrom. Eine rheumatische Erkrankung oder eine seelische Störung? Editorial. Der Schmerz 21 (2007) 413-414 Schiltenwolf M, Eich W, Schmale-Grete R, Häuser W. Ziele der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms. Schmerz 22(2008) 241-243 Üceyler N, Häuser W, Sommer C. A systematic review of the effectivenessy of antidepressants in the treatment of fibromyalgia syndrome. Arthr Rheum 59 (2008) 12791298 Häuser W, Arnold B, Eich W, Felde E, Flügge C, Hennigsen P, Herrmann M, Köllner V, Nutzinger D, Offenbächer M, Offenbächer M, Schiltenwolf M, Sommer C, Thieme K, Thieme K, Kopp I. Management of fibromyalgia syndrome- an interdisciplinary evidence-based guideline. GMS Ger Med Sci. 2008;6:Doc14. Häuser W, Bernardy K, Üceyler N, Sommer C. Treatment of fibromyalgia syndrome with antidepressants - a meta-analysis. JAMA 301 (2009) 198-209 Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 9 von 10 Häuser W, Bernardy K, Üceyler N, Sommer C. Treatment of fibromyalgia syndrome with gabapentin and pregabalin - a meta-analysis of randomized controlled trails. PAIN 145 (2009)69-81 Häuser W, Bernardy K, Offenbächer M, Arnold B, Schiltenwolf M. Efficacy of multicomponent treatment of fibromyalgia syndrome - a meta-analysis of randomised controlled trials. Arthr Rheum 61 (2009) 216-224 Langhorst J, Klose P, Musial F, Häuser W. Efficacy of hydrotherapy in fibromyalgia syndrome - a meta-analysis of randomized controlled clinical trials. Rheumatology 48 (2009) 1155-9 Langhorst J, Klose P, Musial F, Irnich D, Häuser W. Efficacy of acupuncture in fibromyalgia syndrome--a systematic review with a meta-analysis of controlled clinical trials. Rheumatology (Oxford) 2010;49:778-90 Häuser W, Klose P, Langhorst J, Moradi B, Steinbach M, Schiltenwolf M, Busch A. Efficacy of different types of aerobic exercise in fibromyalgia syndrome: a systematic review and meta-analysis of randomised controlled trials. Arthritis Res Ther 2010; 12 R79 Häuser W, Petzke F, Sommer C. Systematic Review with Metaanalysis: Comparative Efficacy and Harms of Duloxetine, Milnacipran, and Pregabalin in Fibromyalgia Syndrome. J Pain. 2010 Apr 23 Häuser W, Hayo S, Biewer W, Gesmann M, Kühn-Becker H, Petzke F, von Wilmoswky H, Langhorst J. Diagnosis of fibromyalgia syndrome-a comparison of Association of the Medical Scientific Societies in Germany, survey, and American College of Rheumatology criteria. Clin J Pain 2010;26(6):505-11 Zusammengestellt von PD Dr. med. Winfried Häuser, Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin - Sportmedizin- Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken Letzte Überarbeitung: 29.05.2012 Erstellung: Dr. Winfried Häuser, Innere Medizin I Freigabe: Häuser/ 01.07.2010 Version: 01 Dateipfad: H:\Internet\AG Internet-Intranet\Fibromyalgiesyndrom © Klinikum Saarbrücken Seite: 10 von 10