Transformation – ein spezifischer Typ sozialen Wandels

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Rolf Reißig
Transformation – ein spezifischer Typ sozialen Wandels
Fragen des sozialen und gesellschaftlichen Wandels rücken heute von der Peripherie ins
Zentrum wissenschaftlicher und auch öffentlicher Debatten. Dies ist verbunden mit der Suche
nach Auswegen aus der tiefen ökonomischen und ökologischen Krise und nach künftiger
Entwicklung und Gestaltung der Gesellschaft. Entstanden ist damit auch eine neue, oft jedoch
noch verengte und einseitige Transformationsdebatte. Chancen und Risiken für eine
tatsächliche gesellschaftliche Transformation liegen auch deshalb dicht beieinander.
Erstens: Transformation als sozialer Wandlungstyp – eine begriffliche, inhaltliche,
konzeptionelle Begründung
Um die neuen sozialen Phänomene von Wandlungsprozessen beschreiben, erklären und
deuten zu können, bedarf es der Klärung und inhaltlichen Bestimmung der damit verbundenen
Begrifflichkeiten. Dies ist umso dringlicher, als schon frühere Transformationsdebatten durch
Engführung und normative Fixiertheit gekennzeichnet waren.
So diente der Begriff „Transformation“ nach 1989/90 mehrheitlich zur Charakterisierung der
Umbruch- und Wandlungsprozesse in den ehemals staatssozialistischen Ländern.
„Transformation“ war im Verständnis des wissenschaftlichen und politischen Mainstreams
„postsozialistische Transformation“. Transformation als „ Übergang von einer politischen
Ordnung zu einer grundlegend anderen, der Übergang von Diktaturen zu Demokratien, der
Plan- und Kommando- zur Marktwirtschaft sowie der Wandel von geschlossenen zu offenen
Gesellschaften“ (Merkel 2010: 15). Transformation also als Adaption, als
Institutionenübernahme, als zielorientiertes und gerichtetes Handeln im Kontext westlicher
Vorbilder. Transformation als Prozess und Handlung, als komplexe gesellschaftliche
Veränderung und Suche nach einem neuen Entwicklungsmodell und -pfad blieb in dieser
Debatte zunächst marginal (vgl. Reißig 2010 und Beitrag Thomas in diesem Buch).
Auch Jahrzehnte danach erfasst der Bertelsmann Transformation Index weltweit 119 Staaten
und bewertet sie noch immer nach dem alten Raster (19 Kriterien und 58 Indikatoren) als
Transformationswege zu „marktwirtschaftlichen Demokratien“ westlichen Typs (Bertelsmann
Transformation Index 2006).
Für die modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften des Westens selbst wurde der
Begriff „Transformation“ im Zusammenhang mit gesellschaftlichem Wandel in aller Regel
ausgeblendet. Hier wird vornehmlich mit den Begriffen „Entwicklung“, „Sozialer Wandel“
(von Parsons über Luhmann bis Bendix, Münch, Zapf), „weitergehender Modernisierung“
(Zapf), „reflexiver Modernisierung“ (Beck) und „Innovation“ (Zapf) gearbeitet.
Neuer Leit- und Suchbegriff
Zur Erklärung der vielfältigen und neuen gesellschaftlichen Wandlungs-, Umwandlungs- und
Umbruchprozesse im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts und besonders im 21.
Jahrhundert reichen diese Begriffe nicht aus und bedarf es eines neuen dominierenden, eines
allgemeinen und zugleich inhaltlich spezifizierten Leit- und Suchbegriffs. Dieser könnte und
sollte – so der schon früher unterbreitete Vorschlag – ein inhaltlich qualifizierter und
gehärteter
Begriff
der
„Transformation“
sein.
Dafür
sprechen
sowohl
wissenschaftskonzeptionelle wie auch gesellschaftspolitische Gründe.
1
Wissenschaftskonzeptionell wird dies bereits deutlich, wenn man die in diesem Kontext
bislang zur Verfügung stehenden sozialwissenschaftlichen Grundbegriffe und ihre
Aussagekraft vergleicht: d. h. „Sozialer Wandel“, „Revolution“, „Evolution“, „Transition“.
„Sozialer Wandel“ ist gewissermaßen der zentrale Begriff der Soziologie. Unter sozialem
Wandel wird hier in der Regel ein solcher Prozess von Veränderungen in den Strukturen eines
sozialen Systems verstanden, der typische Merkmale des Systems betrifft. Veränderungen, die
Abweichungen von relativ stabilen Zuständen beinhalten (vgl. Zapf 1994: 11 ff.).
Sozialer Wandel umfasst damit nicht jede Veränderung, sondern jene, die auf typische
Elemente eines Sozialsystems abstellen. Es geht hierbei aber doch um Wandel im sozialen
(Ordnungs-)System und nicht so sehr um Wandel des (Ordnungs-) Systems. Dabei bildet
ersterer die Regel, den Normalfall sozialen Wandels. Als Auslöser sozialen Wandels werden
in der klassischen Soziologie u. a. Diffusion, Imitation, Kommunikation, Modernisierung,
Konflikt, Diskurs behandelt. Als Folgen sozialen Wandels werden die Anpassung der sozialen
Strukturen an die neuen Gegebenheiten, die Steigerung ihres Innovations- und
Kapazitätspotenzials, insgesamt die Herstellung von Gleichgewicht und Stabilität auf neuer
Grundlage betrachtet.
Für sozialen Wandel, der auf Umwandlung sozialer Strukturen, politischer Regeln,
Ordnungsmuster und letztlich auf Bruch sowie auf neue soziale Ordnungen tendiert, reichte
diese Begriffsbestimmung offensichtlich nicht aus. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wird für
eine besondere Verlaufsweise und -richtung des Wandels der Begriff „Revolution“ verwandt.
Er wird im Unterschied zu dem Begriff „Sozialer Wandel“ aber auch zu dem der „Evolution“
als jäher Bruch mit der Vergangenheit erfahren, als vorbestimmter Durchbruch zu einer
kommenden, neuen bzw. höheren Daseinsordnung verstanden. Im Marxismus findet sich
Revolution dann als voraussagbare, gesetzmäßige „Ablösung ökonomischer
Gesellschaftsformationen“, als „Umwälzungsepoche“ bzw. „Epoche sozialer Revolutionen“,
die
namentlich
durch
den
Widerspruch
zwischen
Produktivkräften
und
Produktionsverhältnissen hervorgebracht und von der zur Führung fähigen Klasse
verwirklicht wird.
Inzwischen wird der Begriff der Revolution in der Wissenschaft weniger normativ
gehandhabt und ist zudem aus seinen geschichtsphilosophischen Konnotationen herausgelöst
worden. Heute treten langfristige strukturelle evolutionäre Prozesse stärker in den Blickpunkt
(vgl. Bluhm 1998: 3-13), ohne dass tiefgreifende Brüche, jähe Wendungen, revolutionäre
Ereignisse im Geschichtsprozess negiert werden. Für die in unserem Kontext zur Diskussion
stehenden sozialen Wandlungsprozesse und -verläufe im 21. Jahrhundert bedarf es jedoch,
wie gesagt, eines neuen dominierenden Begriffs. Im Unterschied zum allgemeinen Begriff des
„Sozialen Wandels“ muss er nicht nur Wandel im System, sondern Wandel des Systems –
sowohl was Ursachen, Triebkräfte als auch gesellschaftliche Konsequenzen betrifft –
beschreiben. Im Unterschied zum Begriff der „Revolution“ muss ein solcher Begriff mehr die
Ereignisgeschichte, die Entstehung des „Neuen“ im „Alten“, die Kontingenz, die Offenheit
des Prozesses, die unterschiedlichsten Formen und den Verzicht auf Mystifizierung und
Heilserwartungen reflektieren können.
Beiden Anforderungen kann ein inhaltlich qualifizierter Begriff „Transformation“ am ehesten
gerecht werden, sowohl in seiner deskriptiven wie in seiner normativen Seite.
Neben wissenschaftstheoretischen Gründen sprechen auch praktische Gründe für die
Verwendung des Transformationsbegriffs. Wenn nicht alles täuscht, ist für den
gesellschaftlichen Veränderungsprozess im 21. Jahrhundert nicht allein sozialer Wandel
innerhalb der gegebenen Strukturen und Ordnungen typisch, sondern sozialer Wandel auch
als Umwandlung von Strukturen, Institutionen, Regeln, gesellschaftlichen Ordnungs- und
2
Entwicklungsmodellen. Aber diese gesellschaftliche Umwandlung nicht mehr zuerst, nicht
mehr vor allem in Form von Revolutionen, sondern von Transformationen. Oder anders
formuliert: Revolutionen sind nicht (mehr), wie einst angenommen, der Normalfall, sondern
der Sonderfall solcher tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche und Umgestaltungen. Auch
– und nicht zuletzt – deshalb gewinnt der Begriff „Transformation“ neue Bedeutung, in
wissenschaftlich-analytischer und in praktisch-politischer Hinsicht. Schließlich ist der
Transformationsbegriff für die Erforschung und Erklärung des heutigen bzw. künftigen
Gesellschaftswandels eher als die Begriffe „Sozialer Wandel“ und „Revolution“
operationalisierbar.
Inhaltliche Qualifizierung
Als Leitbegriff für inhaltliche Analysen und wertende Deutungen gesellschaftlicher
Wandlungsprozesse ist der Begriff „Transformation“ jedoch nur tauglich, wenn er inhaltlich
bestimmt und präzisiert wird. Voraussetzung ist, die bislang dominierende und oben
angeführte Engführung des Transformationsbegriffs, des Transformationsverständnisses zu
überwinden. Transformation kann weder auf „Entwicklung“, „Modernisierung“, „Sozialen
Wandel“ noch allein auf postsozialistische Transformation bzw. Übergänge zu
marktwirtschaftlichen Gesellschaften reduziert werden. So berechtigt das Plädoyer gegen
diese (gängige) Engführung des Transformationsbegriffs ist, so macht es zugleich wenig Sinn,
den Transformationsbegriff im Prinzip (wie es oft geschieht) auf alle möglichen
Wandlungsprozesse anzuwenden – etwa auf Globalisierung, Europäisierung oder
Säkularisierung bzw. den demografischen Wandel.
Der Begriff „Transformation“ erfüllt nur dann seinen Sinn, wenn er als Synonym für
„Umformungen“, „Übergänge“, „Wechsel“, „Umgestaltung“ von Gesellschafts-, Ordnungsund Entwicklungsmodellen, gesellschaftlichen resp. sozialen Formationen – „Trans“ und
„Formation“ als die beiden Metaphern der Kategorie „Transformation“ – gedacht wird.
Transformation als Umformung und Wechsel bezieht sich sowohl auf den politischen wie den
wirtschaftlichen als auch den sozialen und kulturellen Bereich.
Der Transformationsbegriff reflektiert damit einen eigenen und spezifischen Typ sozialen
Wandels, eben einen Wandel, der vor allem durch einen Prozess tiefgreifender
gesellschaftlicher Veränderungen, durch Änderungen und Umformungen wesentlicher
Prozessstrukturen, Institutionen, Kultur- und Ordnungsmuster, gesellschaftlicher
Lebensweisen und der Neu-Konstitution und -Konstruktion von Gesellschaftstypen und modellen gekennzeichnet ist.
Das unterscheidet ihn zugleich von Begriffen wie „Sozialer Wandel“, „Modernisierung“,
„Innovation“, die zur Charakterisierung (durchaus auch tief greifender) gesellschaftlicher
Wandlungsprozesse
innerhalb
eines
Ordnungsparadigma,
innerhalb
gegebener
Prozessstrukturen, Gesellschafts- und Entwicklungsmodellen dienen.
Der Begriff „Transformation“ unterscheidet sich auch von dem der „Evolution“, der
gesellschaftlichen Wandel nicht so sehr mit einem Gestaltungswillen verbindet und stärker die
Selbsttransformation des betrachteten Systems reflektiert (vgl. auch Wagener 1996: 2).
Und Transformation ist auch von Transition zu unterscheiden. Von Transition sprechen wir,
wenn es um einen Wechsel politisch-institutioneller Ordnungen bzw. Regime geht, der als
gesteuerter Prozess handelnder Akteure verläuft. Transition als Institutionenübernahme – so
wurden vor allem die Übergänge von autoritären kapitalistischen Diktaturen zu
repräsentativen bürgerlichen Demokratien in Südeuropa, Lateinamerika und Südostasien
zwischen den 1970er und 1990er Jahren charakterisiert. Politikwissenschaftlich erlangte der
Begriff Transition seine Bedeutung durch ein internationales Forschungsprojekt zur transition
to democracy der 1980er Jahre (O’ Donnell/Schmitter 1986).
3
Der Transformationsbegriff bezieht sich mithin auf die gesamtgesellschaftliche Ebene und
betont in seiner allgemeinsten Form den prozessualen, langfristigen, sequentiellen,
interdependenten (Heinemann-Grüder 1993: 3), neue Prozessstrukturen und gesellschaftliche
Ordnungs- und Entwicklungsmuster hervorbringenden Charakter. Transformation ist ein
intentionaler, eingreifender, gestaltender und zugleich ein eigendynamischer, organischevolutionärer Entwicklungsprozess. Historische Prozesse, die den Charakter von
Transformation annehmen, werden in der Regel von beiden Prozessen vorangetrieben.
Transformation ist Wandel, der immer auch Kontinuität einschließt.
Transformation ist in diesem Verständnis ein endlicher, aber entwicklungsoffener Prozess, der
im Falle eines erfolgreichen Verlaufs zur Herausbildung neuer, funktions- und
entwicklungsfähiger Prozessstrukturen, eines neuen sozioökonomischen Entwicklungstyps
und -modells sowie neuer kultureller Deutungsmuster führt. Transformation ist damit sowohl
ein deskriptiver wie auch normativer Begriff. Transformation als Begriff und Konzept fragt
danach, was geschah warum und wie, aber auch nach dem Sinn, der Bedeutung von Wandel
und Veränderung. D. h., welche Folgen und Konsequenzen hat Transformation für die
Gesellschaft, für die Menschen und ihre Lebensführung. Einem solchen
Transformationsverständnis liegt kein statisch-stabiles Gleichgewichtsmodell, sondern ein
dynamisches und entwicklungsoffenes Gesellschaftsmodell zugrunde. Transformation als
gesellschaftlicher Wandlungsprozess ist in diesem Sinne also durchaus definier-, fixier- und
bestimmbar.
Als Arbeitsbegriff und Analyseinstrument muss er jedoch – gerade weil sich die Formen,
Muster, Inhalte, Ziele der konkreten gesellschaftlichen Transformationsprozesse beträchtlich
unterscheiden – stets weiter inhaltlich qualifiziert und präzisiert werden.
Nicht zuletzt ist eine Schärfung des Transformationsbegriffs gerade in den aktuellen,
besonders ökologisch geprägten Transformationsdebatten erforderlich. Indem diese die
ökologischen Konfliktlagen kritisch thematisieren, stärken sie das Bewusstsein in der
Gesellschaft für das Erfordernis neuer Entwicklungspfade. Doch wird Transformation in
diesem Kontext vorwiegend als ökologisches Umbauprojekt der Industriegesellschaft
interpretiert; nicht selten als primär technisch-organisatorisches Projekt, das eine Veränderung
der allgemeinen Rahmenbedingungen durch eine neue institutionelle Steuerung von Oben
verlange. Dass Transformation vor allem aber ein gesellschaftlicher Wandlungsprozess ist,
ein sozioökonomischer und soziokultureller Wandel, eine Transformation von Unten und
Oben, ein Wandel der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und grundlegende Eingriffe in das
bestehende Akkumulations- und Regulationsregime erfordert, wird in vielen dieser aktuellen
Debatten unterschätzt. Wenn sich ein solch eingeschränktes Transformationsverständnis als
politisch-strategisches Konzept praktisch durchsetzen würde, wofür gegenwärtig einiges
spricht, käme das letztlich einem Verzicht auf die notwendige gesellschaftliche
Transformation gleich.
Auf der anderen Seite wird Transformation verschiedentlich aber auch als „Alter Wein“ in
„Neuen Schläuchen“ verstanden; als Fortführung des klassischen Revolutionsmodells und konzepts eines plötzlichen, radikalen und die Gesellschaft erlösenden Systembruchs; nur eben
als etwas längerer Prozess und mit einigen anderen, angepassteren Mitteln und Methoden.
Transformation in diesem hier entwickelten Verständnis ist jedoch einerseits ein eigener und
spezifischer Typ sozialen Wandels und andererseits ein neues, weiterreichendes theoretisches
und politisches Konzept sozialen, gesellschaftlichen Wandels, Übergangs und Umbaus, das
sich von alten Gewissheiten unterschiedlicher Provenienz trennt, ohne neue festzuzurren. So
formuliert auch Klaus Dörre für die Zunft der heutigen Sozialwissenschaftler völlig zu Recht:
„Eine kritische Soziologie auf der Höhe ihrer Zeit hätte hingegen Begriffe und Kategorien zu
entwickeln oder wieder zu entdecken und mit Inhalten zu füllen, die eine tiefgreifende
4
gesellschaftliche Transformation bei Wahrung, Ausbau und Erweiterung von Demokratie
überhaupt denkbar machen.“ (Dörre 2011: 71).
Transformation – Kennzeichen eines spezifischen sozialen Wandlungstyps
Als spezifischer sozialer Wandlungstyp ist Transformation damit durch folgende
Eigenschaften und Besonderheiten gekennzeichnet:

Transformation ist ein Prozess der Destruktion, des Übergangs und der Neukonstitution
von Typen sozialer Ordnungen, von Typen sozioökonomischer und soziokultureller
Entwicklungsweisen. Transformation ist deshalb vor allem ein komplexer,
mehrdimensionaler gesellschaftlicher Wandlungsprozess, ein prozessualer Wandel der
Prozessstrukturen, Institutionen, kulturellen Deutungsmuster und Lebensweise (s. auch
Grin et. al. 2010: 11).

Transformation ist charakterisiert durch eine Wechselwirkung von intendierten,
eingreifenden, langfristigen und umkämpften Prozessen grundlegender gesellschaftlicher
Veränderungen und Umgestaltungen sowie von eigendynamischen, evolutionären, nicht
steuerbaren Such-, Lern- und Experimentierprozessen. Beide Seiten – Prozess und
Handlung – können in den einzelnen Transformationsfällen eine unterschiedliche
Gewichtung annehmen. Transformation unterscheidet sich dadurch von gesellschaftlichen
Übergangsprozesses, die primär gesteuert (Transition) oder eher ungesteuert, evolutionär
verlaufen.

Transformation wird vor allem durch endogene Ursachen, Quellen, Anstöße, Ereignisse
hervorgerufen: durch soziale Konflikte, Krisen und Spannungslinien, die nicht zuletzt im
Ergebnis von tiefgreifenden Widersprüchen zwischen neuen gesellschaftlichen
Herausforderungen und tradierten politischen, wirtschaftlichen, sozialen Strukturen und
Entwicklungsweisen auftreten und sich in kontroversen gesellschaftlichen Diskursen,
sozialen Handlungen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen
unterschiedlichen und entgegengesetzten Akteurskoalitionen sowie hegemonialen
gesellschaftlichen Konstellationen manifestieren. Neben endogenen Ursachen können
auch exogene Anstöße, Ereignisse für Transformationsprozesse ein beachtliches Gewicht
erlangen.

Transformation als Umwandlungsprozess von Typen sozialer Ordnung kann sich in einer
Vielfalt von Formen vollziehen, die oft auch als Kombination auftreten: als gerichteter und
ungerichteter, geordneter und ungeordneter Wandel, eher allmählich oder eher eruptiv, als
Konvergenz oder Zusammenbruch, von unten und von oben. Charakteristische Muster
bzw. Varianten gesellschaftlicher Transformation sind zum einen Umbau bestehender und
zum anderen Aufbau neuer, alternativer Regelsysteme, Institutionen, Strukturen.
Transformationen verlaufen – in Abhängigkeit von der Tiefe des zu bewerkstelligenden
Wandels und der gegebenen Macht- und Kräftekonstellationen – in unterschiedlicher
Zeitdauer. Typisch für gesellschaftliche Transformationen in den heutigen kapitalistischen
Gesellschaften sind jedoch nicht so sehr plötzlich eintretende und in kurzer Frist sich
vollziehende radikale Brüche, sondern „a typ of change that is slow and transformation at
the same time“ (Streeck/Thielen 2005: 15). Im Ergebnis einer Vielzahl gradueller
Transformationen über einen längeren Zeitraum können sich dann substantielle,
tiefgreifende, nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen ergeben, die keine einfache
oder erweiterte Reproduktion des Gegebenen bedeuten.

Transformation ist trotz Zukunftsannahmen und normativer Leitideen der Akteure ein
kontingenter, offener Entwicklungsprozess. Als Resultate von Transformation ist deshalb
5
sowohl ein neuer, zukunftsfähiger Typ sozialer Ordnung und sozioökonomischer und
soziokultureller Entwicklung möglich wie auch ein Kompromiss (Hybride) oder auch
Phasen gesellschaftlicher Stagnation, des Scheiterns und der Regression (vgl. auch
Eisenstadt 1982).
Als allgemeine Indikatoren eines neuen Entwicklungstyps können gelten: Veränderte
gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die nicht einfach rückgängig gemacht werden
können, die Etablierung neuer Kernakteure als Träger der neuen Entwicklungsweise, die
Institutionalisierung wesentlich anderer, alternativer und zukunftsfähiger Regeln und
Strukturen (vgl. auch Dolata 2011: 152/153).

Transformation als eigener, spezifischer Typ sozialen Wandels kann aus
entwicklungstheoretischer Perspektive weiter differenziert werden. Transformation als
Wandel, Übergang, Wechsel von Zivilisationstypen (z. B. archaische, traditionale,
moderne); von Formations- bzw. Gesellschaftstypen (z. B. Übergang, Herausbildung und
Formierung der bürgerlich-kapitalistischen Marktgesellschaft, staatssozialistische
Gesellschaftstransformation, postsozialistische Transformation); von sozioökonomischen
und soziokulturellen Gesellschafts- und Entwicklungstypen/-modellen (z. B.
„klassenpolarisiertes
Gesellschaftsmodell“
des
19.
Jahrhunderts,
das
„sozialmarktwirtschaftliche
Gesellschaftsmodell“
bzw.
das
„fordistischwohlfahrtsstaatliche Gesellschafts- und Entwicklungsmodell“, das „neoliberale
finanzmarktgetriebene Entwicklungsmodell“) und schließlich von politischinstitutionellen Regimetypen (z. B. Entwicklung nach 1945 in Deutschland, Italien, Japan
oder in Ländern Südeuropas, Lateinamerikas und Asiens zwischen den 1970er und 1990er
Jahren).
Transformation als spezifischer Typ sozialen Wandels ist – zusammengefasst – durch
folgende Merkmale charakterisiert: Umwandlung des Typs sozialer und kultureller Ordnung
und Entwicklung; Komplexität (von Ökonomie bis Kultur); Schwarm von Akteuren, die mehr
oder minder einen gemeinsamen Zielhorizont teilen; Ergebnisoffenheit; Indikatoren, die das
Messen von Erfolg/Misserfolg erlauben.
Transformation als neuer Typ des gesellschaftlichen Wandels ist deshalb nach anderen als den
bislang in den Sozialwissenschaften dominierenden Modellen und Konzepten des sozialen
Wandels zu beschreiben, aber auch in kritischer Differenz zu den klassischen
Theoriemodellen der Revolution.
Zweitens: Gegenwärtige Übergangs- und Umbruchperiode – Transformation auf der
historischen Agenda
Transformation heute denkbar machen – das heißt zunächst, die gegenwärtige Epoche als
„Übergangszeit“ und als „Gesellschaft im Umbruch“ (Baethge/Bartelheimer 2005) zu
verstehen. Die 2008 aufbrechende und sich seit dem weiter vertiefende „Große Krise“ des
Finanzmarktkapitalismus (vgl. IfG-Thesen 2011) hat die systemischen Grenzen des
dominierenden Entwicklungspfades und -modells deutlich sichtbar werden lassen.
Doch zeichneten sich dieser Epochenbruch und das „Ende des goldenen Zeitalters“
(Hobsbawm 1998) schon seit dem letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts ab. „Rückblickend
ist nicht mehr strittig, dass die 1970er Jahre eine Wendezeit waren“ (Streeck 2013: 23). In den
1970er Jahren setzte eine „systemübergreifende Krise europäischer Industriegesellschaften“
(Steiner 2006: 1) ein, die die kapitalistischen des Westens ebenso traf wie die
realsozialistischen des Ostens. Es war, wie Konrad Jarausch feststellt, der Beginn eines
„fundamentalen gesellschaftlichen Strukturwandels“ und einer „strukturellen Transformation“
(Jarausch 2006: 4). Ihr Kern besteht in der Krise des sozioökonomischen und soziokulturellen
6
Entwicklungspfades und Gesellschaftsmodells. Der bisherige Entwicklungspfad stieß an seine
immanenten Grenzen. Der steigende Verbrauch nicht erneuerbarer Energie und Rohstoffe und
die Zunahme der Emissionen bilden die Grenze dieses Typs wirtschaftlicher Entwicklung und die Grenzen wurden in den 1970er Jahren global spürbar (Land 2009): Ölkrise,
Ölpreisschock, steigende Energie- und Rohstoffpreise, Ende des internationalen
Währungssystems von Bretton Woods, fallende Wachstumsraten des BIP, Zurückbleiben der
Löhne hinter der Produktivitätsentwicklung, Verfestigung einer Sockelarbeitslosigkeit,
partielle Aufhebung des Teilhabemodus. Der Club of Rome sprach erstmals von den
„Grenzen des Wachstums“ (Meadows et. al. 1972). Seine wichtigste Schlussfolgerung lautete:
„Wenn sich nicht grundsätzlich etwas änderte, war die Menschheit im Begriff auf gefährliche
Weise über die materiellen Grenzen unseres Planeten hinauszuwachsen“ (Randers 2012: 14).
Diese neuen, ungewohnten Blockaden und Konflikte führten bei den verschiedenen Akteuren
zu Verunsicherungen und zu unterschiedlichen Suchstrategien. Doch eine tragfähige
Alternative konnte sich letztlich nirgendwo durchsetzen.
Die staatssozialistisch-fordistischen Gesellschaften fanden – auf Grund ihrer strukturellen und
subjektiven Reformunfähigkeit – auf die neuen Herausforderungen des gesellschaftlichen
Strukturwandels und der Transformation keine überzeugende Antwort. Die Folge war eine
schleichende Erosion, die schließlich die Implosion ihres Gesellschafts- und
Wirtschaftsmodells bewirkte.
In
den
kapitalistisch-fordistischen
Gesellschaften
kam
es
zu
vielfältigen
Auseinandersetzungen und auch zu Versuchen progressiver gesellschaftlicher Akteure, den
Nachkriegskapitalismus emanzipatorisch, demokratisch und sozialökologisch umzubauen.
Doch letztlich setzte sich die Fraktion des Kapitals durch, die im Neoliberalismus und
Marktfundamentalismus die Antwort auf die Krise und die neuen Herausforderungen suchte.
Eingeleitet wurde eine restaurative Transformation der Wirtschaft (Übergang vom
sozialstaatlich regulierten Kapitalismus zur „Entbettung“ des Marktes und zur Dominanz des
Finanzmarktkapitalismus), des Staates (Übergang vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat) und
der Gesellschaft (Übergang von einer partiellen Teilhabe- zu einer marktradikalen
Konkurrenzgesellschaft) einleitete und voran trieb. Damit verbunden war die Freisetzung von
neuen Anpassungskapazitäten, Stabilitäts- und Innovationspotenzialen. Die Grenzen des
bisherigen Pfades aber konnten nicht überwunden werden. Im Gegenteil. Das neoliberale
Projekt, das 30 Jahre lang weltweit die Vorherrschaft inne hatte, mündete schließlich in die
größte Krise der Nachkriegsgeschichte. Der Traum, Kapitalverwertung könne auf Kosten von
Lohnarbeit, Sozialstaat, anderen Konkurrenten und gegen Gemeinwohl und Öffentlichkeit auf
Dauer gewährleistet werden, zerplatzte (vgl. Land 2009, Reißig 2009: 136-139). Und auch
Wolfgang Streeck beschreibt die Zeit seit den 1970er Jahren als „langgezogene Wende vom
Sozialkapitalismus der Nachkriegszeit zum Neoliberalismus des beginnenden 21.
Jahrhunderts“ (Streeck 2013: 19).
Die nach 1989/90 einsetzende postsozialistische Transformation im Osten (als dem
schwächsten Kettenglied) war dann doch nicht – wie im politischen und wissenschaftlichen
Mainstream postuliert – das „Ende der großen Gesellschaftsalternativen“ (Bell 1989), oder
gar das „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1991), sondern im Gegenteil der Beginn einer
neuen Ära der Transformation. Doch am alten Entwicklungs- und Wachstumspfad orientiert,
konnte die postsozialistische Transformation das Tor zur neuen sozial-ökologischen und
demokratisch-emanzipativen Transformation nicht aufstoßen.
Nach der Transformation ist deshalb vor der Transformation, der Transformation gerade auch
der entwickelten kapitalistischen Gesellschaften, der Weltgesellschaft, der gesamten
Moderne. War es eine grundlegende Schwäche zumindest der vom Mainstream dominierten
Transformationsforschung der 1990er Jahre, die postsozialistische Transformation im Osten.
– entgegen kritischer Einwände vor allem ostdeutscher Sozialwissenschaftler – nicht im
Zusammenhang mit der erforderlichen Transformation im Westen zu betrachten, so ist es
7
umgekehrt eine erhebliche Schwäche der gegenwärtigen Transformationsforschung, die
heutige Transformation ohne die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der postsozialistischen
Transformation und -forschung zu bearbeiten (vgl. dazu Reißig 2011: 31 ff.).
Die Notwendigkeit einer Richtungsänderung in den entwickelten kapitalistischen Ländern
betont inzwischen auch die OECD. So wird in ihrem Bericht vom November 2012
festgestellt: „Über den Projektionszeitraum dieses Wirtschaftsausblicks hinaus besteht die
Herausforderung für die Politik darin, die Weltwirtschaft auf einen neuen langfristigen Pfad
zu lenken. Voraussetzung dafür ist eine Abkehr vom ‚Weitermachen wie bisher’ der
Vorkrisenzeit. Die Politik muss nicht nur das Finanzsystem wieder in Ordnung bringen,
sondern auch Wege finden, um die ökologische Nachhaltigkeit zu sichern und den
wachsenden Ungleichheiten zu begegnen.“ (OECD-Wirtschaftsausblick 2012)
Diese neue Situation der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaft,
die mit den 1970er Jahren immer deutlicher wurde, ist Ausdruck dafür, dass eine Epoche
wirtschaftlicher, sozialer, kultureller Entwicklung zu Ende geht und eine neue
Übergangsepoche begonnen hat. Der Kern dieser neuen Übergangs- und Umbruchsituation
besteht darin, dass das über mehr als zwei Jahrhunderte hegemoniale Industrie-,
Entwicklungs-, Wachstums- und Fortschrittsmodell an seine natürlichen und
gesellschaftlichen Grenzen gestoßen und auf den Prüfstand gestellt ist. Dieses Entwicklungsund Modernisierungsmodell des Westens, das einst beachtlichen wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Fortschritt bewirkte, könnte nur noch um den Preis irreversibler Schäden
und Zerstörungen der Natur, der Gesellschaft und des Menschen fortgesetzt werden (vgl. auch
Der neue Bericht an den Club of Rome, München 2012). In diesem Sinne ist dieses
Entwicklungsmodell mit seinen Folgen - von der kapitalistischen Wachstumslogik mit ihrem
ungebremsten Ressourcenverbrauch über den rasch sich vollziehenden Klimawandel bis zur
Verschärfung der sozialen Ungleichheiten und Spaltungen weltweit – im Grunde nicht
verlängerbar und nicht verallgemeinerbar.
Auf die historische Agenda gerückt ist daher die Notwendigkeit eines grundlegenden
Pfadwechsels, einer einschneidenden gesellschaftlichen Transformation. Transformation als
längerfristiger Übergang zu einem neuen Typ nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung,
sozialer Teilhabe, demokratischer Bürgerbeteiligung und sozialer und humaner
Lebensqualität.
Meine zeitdiagnostische Ausgangsthese lautet deshalb: Die heutigen Konfliktstrukturen,
weltweiten ökonomischen und ökologischen Krisen und Brüche sowie längerfristigen Trends
nicht
primär
als
Zusammenbruchsszenario,
sondern
als
Übergangsund
Transformationsepoche zu interpretieren. Eine Übergangs- und Transformationsepoche, die
einen längeren historischen Zeitraum umfassen wird, erhebliche Gefährdungen einschließt,
aber auch neue Chancen eröffnet; eine Epoche, deren Ausgang aus heutiger Perspektive offen
ist.
Auch am Wandel des gesellschaftskritischen Diskurses lässt sich dies nachzeichnen. Was als
erste Diskussion um „Grenzen des Wachstums“ (1970er Jahre) begann, dann als Diskurs um
„Nachhaltige Entwicklung“ (1980er und folgende Jahre) fortgesetzt wurde, später in jenen
von „Ökologischer Modernisierung“ und „Green New Deal“ (seit 1990er Jahre bis heute)
führte, erfährt nun seine weiterführende, gesellschaftsverändernde Struktur im
gesellschaftskritischen Diskurs um eine „Sozial-ökologische und demokratisch-solidarische
Transformation“. Dies zeugt zum einen von der schon längeren Diskussion um eine Korrektur
der bislang dominierenden Entwicklungs-, Fortschritts- und Wachstumsvorstellungen. Es
reflektiert zum anderen einen nun sich herausbildenden neuen, über das bisherige
systemimmanente Modelldenken hinausgehenden Such- und Lernprozess in einer Zeit des
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historischen Übergangs und Umbruchs. Da die Frage nach grundlegenden
Richtungsentscheidungen und -wandel im Kontext der tiefgreifenden ökonomischen und
ökologischen sowie gesellschaftlichen Krisen und Brüche erstmals wieder auf die
Tagesordnung gerückt ist, ist gerade auch der Diskurs um Transformation als grundlegender
gesellschaftlicher Wandel neu herausgefordert. Noch aber ist dieser gesellschaftskritische
Diskurs nicht hegemonial, nicht in der Wissenschaft und nicht in der Gesellschaft.
Drittens: Die heutige Transformation – eine Gesellschafts-Transformation eigenen Typs.
Merkmale und Besonderheiten
Diese neue Transformation als spezifischer Wandlungstyp ist in meinem Verständnis eine
Gesellschafts-Transformation, die eigene Merkmale und Besonderheiten aufweist. Sie kann
nicht allein – wie es oft geschieht – auf Wandel der technisch-organisatorischen Strukturen
bzw. auf einen „ökologischen Umbau des Industriesystems“ oder auf einen Typ
„klimaverträglicher und ressourceneffizienter Entwicklung“ (WGBU 2012), so wichtig dies
ist, beschränkt werden.
Analysiert man die realen Wandlungs- und Transformationsprozesse unserer Zeit, so kann
nun auch geprüft werden, ob und inwiefern die allgemeinen Eigenschaften/Kennzeichen von
„Transformation als sozialer Wandlungstyp“ (vgl. ersten Abschnitt) auch auf den spezifischen
Typ „Gesellschafts-Transformation“ in der Gegenwart zutreffen und wo die Unterschiede
liegen. Vergleicht man dann noch diese heutige Gesellschafts-Transformation mit der ersten
Großen Transformation der Neuzeit (18./19. Jahrhundert) und mit nachfolgenden Fällen von
Gesellschafts-Transformation im 20. Jahrhundert, so können einige bedeutsame
Veränderungsprozesse im aktuellen Transformationsgeschehen herausgearbeitet und
charakteristische Merkmale und Besonderheiten der gegenwärtigen Transformation bestimmt
und als Typ „Gesellschafts-Transformation“ in einer neuen Übergangs- und Umbruchperiode
verallgemeinert und konkretisiert werden. Keine Frage, dass jedoch erst mit dem weiteren
Verlauf dieser heutigen Transformation tiefgründigere Analysen und damit weiterführende
empirische und theoretische Erkenntnisse möglich werden.
1. Transformationstyp: Gesellschafts-Transformation
Der Oberbegriff „Transformation“ als spezifischer Typ sozialen Wandels konkretisiert sich
im Unterbegriff „Gesellschafts-Transformation“. Gesellschafts-Transformation sind
Wandlungs- und Umwandlungsprozesse auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, mit denen sich
letztlich die gesamte Struktur und Formbestimmtheit gesellschaftlicher Produktions- und
Lebensweise wandeln. Oder anders formuliert: Gesellschafts-Transformationen sind
strukturelle Wandlungen, in denen sich die Typen sozialer Ordnung, die Typen
sozioökonomischer und soziokultureller Entwicklung grundlegend verändern.
Weltgeschichtlich können bislang zwei typische Fälle (Varianten) eines solchen Formationsbzw. Gesellschaftsformwechsel unterschieden werden. Zum einen der Fall von
Transformation, der in langfristigen, sich überlappenden evolutionären und revolutionären
Teilprozessen und Zyklen, gesamtgesellschaftlich eher überwiegend unbewusst, aber letztlich
sich doch auch gerichtet vollzieht. Charakteristisch hierfür war der von Marx analysierte
Formationsübergang, vom Feudalismus zur „modernen bürgerlichen Gesellschaft“ (Marx,
MEW, Bd. 42), der sich über einen Zeitraum von rund 300 Jahren vollzog. Ein
Transformationsprozess, den später Karl Polanyi in seinem Werk „The Great Transformation“
mit Blick auf die Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterführend analysierte
(Polanyi 1944/1978).
9
Zum anderen der Fall von Transformation, der eher Versuche einer bewussten, gesteuerten
gesellschaftlichen Umwälzung markiert, in denen die handelnden Akteure auch relativ klare
Vorstellungen von ihren Zielen und der neu zu schaffenden sozioökonomischen und
politischen Ordnung haben. Sie sind in der Regel von kürzerer Dauer, doch erstreckt sich ihr
Gesamtprozess –vor allem die soziokulturelle Transformation – auch in diesem Fall über
längere Zeiträume. Beispiele dieser Gesellschafts-Transformation sind unter anderem die
ansonsten so unterschiedlichen realsozialistischen sowie die postsozialistischen
Transformationen im 20. Jahrhundert. Sowohl zur Transformation als Übergang vom
Kapitalismus zum Sozialismus liegen theoretische Arbeiten vor (u. a. Bucharin 1920,
Hobsbawm 1998, Bahro 1977) als auch insbesondere zur postsozialistischen Transformation
des Übergangs vom Staatssozialismus zu demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften (u. a.
Beyme/Offe 1996, Reißig 1998, 2000; Wiesenthal 2009). Darauf kann die heutige
Transformationsforschung zurückgreifen wie auch auf die Ergebnisse der Forschungen zur
Transition, zum politischen Ordnungswechsel bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften (u. a.
O’ Donnell/Schmitter 1986, Merkel 2010).
Trotz ihres voraussetzungsvollen, ambivalenten und hinsichtlich ihrer Resultate offenen
Charakters – so meine begründete Hypothese – ist der Transformationstyp „GesellschaftsTransformation“ im globalen Maßstab des 21. Jahrhundert im Wachsen begriffen. Auch die
Transformation in den modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften kann m. E. als ein
weiterer spezifischer Fall diesem Transformationstyp „Gesellschafts-Transformation“
zugeordnet werden. Denn bei dieser neuen Transformation geht es schließlich auch um einen
grundlegenden strukturellen Wandlungs- und Umwandlungsprozess des Gesellschaftstyps/modells, des Typs sozioökonomischer und soziokultureller Entwicklungsweise. Dabei gibt es
offensichtlich Gemeinsamkeiten wie grundlegende Unterschiede zu den anderen beiden
genannten
Fällen/Varianten
von
Gesellschafts-Transformation
im
bisherigen
Geschichtsprozess. Denn der Transformationstyp „Gesellschafts-Transformation“ trat bislang
bereits und tritt künftig in jeweils unterschiedlichen Formen, Gestalten, Strukturen auf.
2. “Einheiten“ der
Gesellschaftsmodelle
heutigen
Gesellschafts-Transformation:
Entwicklungs-
und
In diesen konflikthaften Wandlungs-, Umformungs- und Übergangsprozessen bürgerlichkapitalistischer Gesellschaften bilden heute „Entwicklungs- und Gesellschaftstypen und modelle“ die „Einheiten“ der Transformation. Diese sind zugleich ein wesentlicher Zugang
zur Analyse und Erklärung der komplexen und ambivalenten gesellschaftlichen
Transformationsprozesse.
Im Prinzip sollen mit „Gesellschafts- und Entwicklungstyp und -modell“ das spezifische
gesellschaftliche Entwicklungs- und Kulturmuster, das spezifische Herrschafts-, Wirtschafts(bzw. Produktions-) und Sozialmodell, die typische individuelle Lebensführung und –weise
reflektiert und verallgemeinert werden. Oder „soziologischer“ formuliert: Gesellschaftstyp/modell ist ein sozioökonomischer Entwicklungszusammenhang, der sowohl die Makro- wie
die Mikroebene umfasst. Auf der Makro- oder Systemebene umfasst er das Wirtschafts-,
Produktions- und Sozialmodell mit den damit verbundenen Macht-, Eigentums- und
Herrschaftsverhältnissen. Auf der Mikroebene, d. h. der individuellen Ebene, geht es um die
individuellen Verfügungs-, Teilhabe- und Emanzipationsmöglichkeiten.
Gesellschafts- und Entwicklungsmodelle prägen die modernen bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaften, ihre Funktions- und Entwicklungslogik über lange historische Zeiträume.
Dabei setzten sich in bestimmten historischen Zeiträumen jeweils dominierende
Gesellschafts- und Entwicklungsmodelle durch. Neben ihren allgemeinen Merkmalen weisen
sie von Land zu Land zugleich vielfältige Besonderheiten, Spezifika, „Abweichungen“
10
(Varianten, Variationen) auf. Gesellschafts-Transformation ist mithin ein Wandel, der durch
heftige Auseinandersetzungen zwischen dem alten und dem neuen Entwicklungsparadigma
und den damit inhärenten Interessendivergenzen und -gegensätzen gekennzeichnet ist.
Betrachtet man jüngste gesellschaftliche Transformationsprozesse im und des Kapitalismus,
so lassen sich die Prozesse der Herausbildung, Konstitution, Erosion und des schließlichen
Niedergangs
sozioökonomischer
und
soziokultureller
Entwicklungsund
Gesellschaftsmodelle plausibel nachzeichnen. Zuerst in den USA der 1930er Jahre, dann nach
dem 2. Weltkrieg in den entwickelten kapitalistischen Industrieländern, und gerade auch in
Westdeutschland, bildete sich das „Fordistisch-Wohlfahrtsstaatliche Entwicklungsmodell“
heraus und bestimmte für Jahrzehnte die Funktions- und Entwicklungslogiken kapitalistischer
Entwicklung. Es war durch eine Reihe allgemeiner Merkmale und institutioneller Bausteine
gekennzeichnet, die ein alles in allem in sich konsistentes und funktionierendes Gesellschaftsund sozioökonomisches Entwicklungsmodell konstituierten, das eine neue Entwicklungsweise
generierte (vgl. u. a. Reißig 2009: 117 ff.). Es wirkte als Kombination von fordistischer
Massenproduktion,
beständigen
Wirtschaftswachstum,
produktivitätsorientierter
Lohnentwicklung und Ausbau staatlicher Sozialleistungen, von Sozialpartnerschaft und
gewerkschaftlicher Mitbestimmung. Zugleich wirkte dieses Entwicklungsmodell kaum in
Richtung emanzipativer individueller und gesellschaftlicher Entwicklung.
Bekanntlich stieß dieses techno-ökonomische und sozio-kulturelle Modell seit ca. Mitte der
1970er Jahre an seine immanenten Grenzen. Krisen und Erosionsprozesse dieses fordistisch
geprägten sozioökonomischen Entwicklungsmodells waren die Folge. Was in den
1970er/1980er Jahren sich vollzog erwies sich (später) als historische Umbruchsituation, als
Übergangsepoche. Durchgesetzt hat sich nicht – wie gezeigt – ein neuer, öko-sozialer,
nachhaltiger, demokratisch geprägter Transformations- und Entwicklungspfad, sondern eine
markt-liberale, restaurative Transformation. In ihrem Ergebnis bildete sich ein tiefgreifend
verändertes, kohärentes neoliberales, marktradikales Gesellschafts- und Entwicklungsmodell
heraus, das lange funktionierte und dann mit der 2008 aufbrechenden großen Krise erodierte
(s. Reißig 2009: 124-141).
Bei der neuen Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert geht es nicht um die
Rückkehr zur Vergangenheit, zum Sozialkapitalismus der Nachkriegszeit, sondern um den
schrittweisen Übergang zu einem neuen, zukunftsträchtigen sozioökonomischen und
soziokulturellen Gesellschafts- und Entwicklungstyp/-modell. Das schließt gewandelte
Strukturen, Institutionen (Um- und Neuaufbau), Regeln ein, die einen neuen Typ von
demokratischer Gesellschaft und sozialer Entwicklung generieren. Eine Entwicklung, in der
die Dominanz finanzmarktgetriebener, kapitalistischer Verwertungsbedingungen allmählich
zurück gedrängt würde und gesellschaftliche, d. h. soziale, ökologische, demokratische
Verwertungsbedingungen sich immer mehr durchsetzten.
3. Heutige Gesellschafts-Transformation – Übergang
sozioökonomischer und soziokultureller Entwicklungsweisen
zu
einem
neuen
Typ
Auf der historischen Agenda steht mithin eine grundlegende gesellschaftliche Transformation.
Diese ist jedoch konfrontiert mit einer über 30jährigen neoliberalen „Entbettung“ des
Marktes, Deregulierung und umfassenden Privatisierung und der Herausbildung eines marktliberalen/-radikalen Gesellschafts- und Entwicklungsmodells. Das erfordert zunächst und vor
allem – in Anlehnung an Karl Polanyi – das Ringen um die „Wieder-Einbettung“ und ReRegulierung des außer Kontrolle geratenen Marktes, insbesondere des Finanzmarktes.
Gesellschafts-Transformation in diesem Sinne heißt heute deshalb Abwehr der Folgen
marktradikaler Entwicklung und Schritte zur Richtungsänderung kapitalistischer Produktionsund Entwicklungsweisen. Gewinnt die demokratische Politik den Primat über die Ökonomie
11
zurück? Kann eine Kulturgesellschaft über den radikalisierten Markt, insbesondere den
Finanzmarkt obsiegen oder verfestigt sich eine „Marktkonfome Demokratie“ statt eines
„Demokratiekonformen Marktes“? Notwendig sind eine soziale Regulierung und die
Verteidigung und der Ausbau der sozialen und demokratischen Rechte. Notwendig sind
Investitionen in öffentliche Infrastrukturen, besonders in die Bereiche Bildung, Forschung,
Lehre, Gesundheit, Kinderbetreuung, Pflege, Öffentlicher Personennahverkehr. Worum es
also geht, sind typische gesellschaftliche Auseinandersetzungen um gesellschaftliche
Wandlungen, um eine beginnende gesellschaftliche Transformation, die an den heutigen
gesellschaftlichen Konflikten und den konkreten individuellen Bedürfnissen der Menschen
anknüpft. Transformation als spezifische Richtungsänderung kapitalistischer Produktionsund Entwicklungsweise. Angesichts der Gegebenheiten heutiger finanzmarktgesteuerter
Entwicklung bleibt selbst diese heutige, aktuelle Herausforderung der Transformation ein
langfristiger, komplexer und hart umkämpfter Wandlungsprozess.
Es ist eben nicht sicher, ob dieser notwendige und grundlegende Wandel – d. h. eine
sozialökologische und demokratische Transformation – schon heute oder erst morgen bzw.
noch viel später eintreten wird und zu welchen konkreten Ergebnissen er führen wird.
Systemische Gesellschaftsveränderungen brauchen Zeit. Der Wandel der Energiesysteme, ein
neues Wachstumskonzept, die Lösung der Klimafrage, die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit,
eine umfassende Demokratisierung und der Wandel der heute dominierenden institutionellkulturellen Leitvorstellungen sind Anforderungen, die nur über längere Zeiträume zu
bewerkstelligen sind. Randers meint in seinem Bericht an den Club of Rome sogar, dass erst
nach 2052 die wirklichen grundlegenden gesellschaftlichen Umwandlungen erfolgen werden,
weil erst dann die kritische Situation – die Klima- und soziale Frage – sich so zugespitzt
haben werden, dass gesellschaftsveränderndes Handeln unausweichlich wird. Doch muss mit
diesem Handeln im Sinne ökologischen und sozialen Wandels schon heute begonnen werden;
ein Prozess, in dem sich dann bereits neue Konturen abzeichnen können (Randers 2012: 34,
363).
Generell sind jedoch – aus heutiger Sicht – verschiedene Szenarien vorstellbar: Fortführung
einer marktradikalen, finanzmarktgetriebenen Entwicklung, wie es Teile der Herrschenden
weiterhin versuchen. Möglich sind jedoch auch stark autoritär und rechtspopulistisch geprägte
Antworten auf ein sich vertiefendes Krisenszenario. Das kann unter Umständen Niedergänge,
Zusammenbrüche, Katastrophen infolge von „Grenzüberschreitung“ (vgl. Randers 2012: 271)
herbeiführen. Doch formieren sich auch Kräfte, die auf einen „Grünen Kapitalismus“ setzen.
Welches Szenario sich realisieren wird, ist gegenwärtig nicht vorhersehbar. Nur wollen wir
hier die (aus heutiger Sicht optimistische) Transformationsvariante – die sozialökologische
und demokratisch-solidarische Transformation – in den Blick nehmen. Sie ist objektiv
herangereift, gesellschaftlich erforderlich und wäre die demokratische, soziale und humane
Lösung der angehäuften Probleme, Konflikte, Herausforderungen. Auch wenn es für ihr
Gelingen keine Garantie gibt, sollte gesellschaftskritisches Denken und Handeln zumindest
versuchen, diese Entwicklungsvariante in den Blick bzw. in Angriff zu nehmen. Umso mehr,
als diese gesellschaftliche Transformation in dieser oder jener Form bereits begonnen hat.
Dabei gilt zunächst: Ohne Bearbeitung der unmittelbar drängenden gesellschaftlichen
Konfliktsituationen und Herausforderungen ist die auf der Agenda stehende weiterführende,
historische Gesellschafts-Transformation des 21. Jahrhunderts nicht möglich. In dieser neuen
Übergangs- und Umbruchsituation erfordert eine solche Gesellschafts-Transformation, das
gesellschaftliche Naturverhältnis und die sozialen Verhältnisse in ihrem Zusammenhang neu
zu gestalten durch den Übergang zu einem zukunftsträchtigen sozialökologischen und
solidarisch-kooperativen Entwicklungspfad. Es ist die konstruktive Antwort auf die beiden
zentralen Konfliktlinien unserer Zeit: die Zerstörung der ökologischen Grundlagen
menschlichen Lebens, der natürlichen Gemeingüter (Ressourcen, Klima, Wasser, Landschaft,
12
Meere) und die soziale Zerklüftung und tendenzielle Zerstörung der Welt-Gesellschaft, der
sozialen und geistigen Gemeingüter (Arbeit, Bildung, Gesundheit, sozialer Zusammenhalt der
Gesellschaft, Vertrauen, Achtung, Würde, Anerkennung).
Sozial-ökologische und demokratisch- solidarische Entwicklung – das sind deshalb die beiden
miteinander verbundenen Säulen, sind der Kern dieser Gesellschafts-Transformation im 21.
Jahrhundert. Dieser Pfadwechsel erfordert letztlich einen tiefgreifenden Wandlungs- und
Umbauprozess von Produktions- und Lebensweisen. Aus den Konflikten, Trends und
Brüchen des bisherigen Entwicklungspfades und den neuen gesellschaftlichen
Herausforderungen sind drei Erfordernisse, die diese Gesellschafts-Transformation in dieser
oder jener Weise zu bewältigen hätte, ableitbar und fixierbar:
Zum einen der schrittweise Übergang von der alles beherrschenden, inzwischen Natur und
Gesellschaft gefährdenden heutigen Wachstumsökonomie zu einem alternativen, zu einem
neuen Wachstumspfad, genauer zu einem neuen, nachhaltigen Entwicklungspfad.
Denn die alte Gleichung Wachstum gleich Fortschritt, gleich Wohlstand, gleich höhere
Lebensqualität, ist nicht mehr haltbar. Dennoch wird sie nach wie vor in der offiziellen Politik
und auch im Mainstream der Ökonomenzunft favorisiert. Tatsächlich führt das bisherige
Wachstumsregime und -konzept mit seiner extensiven Vernutzung natürlicher Ressourcen,
endlicher fossiler Energieträger und Emittierung klimaschädlicher Schadstoffe zur
ungebremsten und nicht mehr zu reparierenden Zerstörung der Natur, zu ökologischen Krisen,
zu Umweltkatastrophen, zu sozialen und gesellschaftlichen Ausgrenzungen national und
global, zu öffentlicher Verschuldung und geht zu Lasten der heranwachsenden Generationen.
Dieses Wachstumsmodell ist also nicht mehr wie in der Vergangenheit eine wesentliche
Voraussetzung zur Bearbeitung grundlegender Probleme (Arbeitslosigkeit, Armut, Prekariat,
soziale Ungleichheit) in den entwickelten kapitalistischen Ländern, wie Wachstum an sich
aber auch nicht der Grund aller Probleme, allen Übels ist. Wachstum – Entwicklung –
Wohlstand sind in dieser Transformation neu zu definieren und in einem längeren Prozess
gesellschaftlichen Wandels auf neue Art und Weise zu verwirklichen.
Ging es in der ersten Großen Transformation der Neuzeit nicht zuletzt um den Übergang von
der Agrar- zur rasch wachsenden Industriegesellschaft, so geht es mit der heutigen
Transformation gerade auch um den Umbau des gesamten traditionellen Industriesystems und
den Übergang vom industriell-fordistischen zu einem neuen, nachhaltigen, öko-sozialen
Entwicklungspfad. Dieser ist bislang noch in keinem Land vollzogen. Es gibt kein
entsprechendes gesellschaftliches bzw. wirtschaftliches Modell, an dem sich heute die
einzelnen Länder und Akteure orientieren könnten. Wie, auf welchem Wege in dieser
Transformation stabile und zukunftsfähige Entwicklung ohne das traditionelle Wachstum zu
erreichen ist, ist deshalb Gegenstand vielfältiger und kontroverser Diskussionen (Dörre 2011,
Klein 2011, Land 2011, Müller/Strasser 2011, Paech 2011). Ohne eine konstruktive Antwort
und praktische Alternative auf diese wahrlich einmalige Herausforderung der
Wachstumsfrage ist die neue Gesellschafts-Transformation jedoch nicht denkbar, nicht
realisierbar.
Ein neuer dynamischer, weiter zu präzisierender „Entwicklungsbegriff/-gedanke“ bildet in
diesem Transformationsverständnis die konstruktive Alternative zur traditionellen
„Wachstumslogik“. Die Wachstumsfrage ist in die übergeordnete Frage eines neuen
Entwicklungspfades ein- und dieser unterzuordnen (vgl. auch Land 2011: 99). Die
gesellschaftliche Transformation steht so vor der historischen Aufgabe, diese heutige
Wachstumsökonomie schrittweise in ein nichtfossiles Wirtschaftssystem und einen neuen Typ
natur- und umweltverträglicher sowie ressourceneffizienter wie sozialer und kultureller
Entwicklung zu überführen. Statt Fortsetzung eines destruktiven Wirtschaftskurses also
nachhaltige Entwicklung, d. h. vor allem „menschliche Entwicklung“ (UN-Bericht 2010).
Zum anderen verlangt die neue Große Gesellschafts-Transformation den schrittweisen
Übergang vom zunehmenden und weltweiten Ausschluss großer sozialer Gruppen und
13
Regionen von Wohlstand, sozialer Sicherheit und individuellen Entwicklungsmöglichkeiten
zu einem alternativen, neuen Modell sozialer und demokratischer Teilhabe. GesellschaftsTransformationen bedeuten Wandel des Wirtschafts-, Produktions- und Sozialmodells, der
System- und der Lebenswelt.
Heute gewährt auch in den entwickelten kapitalistischen Ländern der alte Wachstumspfad in
seiner fordistisch-industriellen Ausprägung nicht mehr Wohlstand und Lebensqualität. Der
Übergang zu einem nachhaltigen, sozialökologischen Wirtschaftspfad kann aber auch nur
gelingen, wenn es dabei nicht um Askese und Verzicht geht, sondern um neue Formen
sozialer und demokratischer Teilhabe und gleicher individueller Entwicklungsmöglichkeiten
für alle Bürgerinnen und Bürger. Die konkreten Wege zu dieser Teilhabe sind in den
verschiedenen Weltregionen (z. B. Industrie- bzw. Schwellenländer oder Entwicklungsländer)
sehr unterschiedlich und müssen in vielem auch erst noch gefunden und ausprobiert werden
(vgl. auch Bericht an den Club of Rome 2012). Letztlich geht es jedoch in allen Regionen um
gleiche Teilhabe aller an Arbeit, Bildung, Gesundheit, Daseinsvorsorge, Kultur und
öffentlichen Leben.
Zukunftsfähige Entwicklung als soziale Teilhabe stellt in dieser Transformation die Frage
nach dem „Guten Leben“ (gerade auch in westlichen Gesellschaften) neu, schon weil diese
mit Umweltkompatibilität und Ressourceneffizienz vereinbar sein muss. Die Qualität des
Lebens hängt – wie die Erfahrungen der modernen Industriegesellschaften zeigen – nicht
allein vom Kaufen und Nutzen von Waren und Diensten (Massenkonsumtion) ab, sondern zu
einem wesentlichen Teil von sinnvollem Tun, von gesunder Umwelt, guten Bildungschancen,
ausreichender Gesundheitsvorsorge, Pflege menschlicher Beziehungen, zivilgesellschaftlicher
Tätigkeit. Das alles ist nicht zuerst nur eine Frage des Geldes (Wohlstand), sondern vor allem
auch der Zeit und der gleichberechtigten Teilhabe als Voraussetzung für Wohlfahrt
(Scherhorn 2011: 97 ff., Etzioni 2011:328 ff.).
So oder so – ein sozialökologischer, solidarischer Pfadwechsel geht mit Änderungen der
bisherigen Lebensweiseformen und Lebensstile einher. D. h. – ohne kulturellen Wandel ist
der ökonomische nicht realisierbar und umgekehrt. Randers spricht in seinem neuen Bericht
an den Club of Rome davon, dass die neue Transformation auf eine neue kulturelle Stufe der
Zivilisation abziele. Hierin liege der eigentliche Fokus des anstehenden Paradigmenwechsels.
Stärkere Hinwendung der Menschen vom Materiellen zum Kulturellen und zur
Selbstentfaltung, vom hierarchisch-antagonistischem System- und Konkurrenzmodell zur
Netzwerkorganisation, zum kreativen Team, zur Interaktion, zum Dialog (Randers 2012:
363/364). Dies kann – so Randers – natürlich nur in einem längeren Prozess (mehrere
Jahrzehnte) und nur als tiefgreifende Systemveränderung möglich werden.
Schließlich erfordert diese neue Gesellschafts-Transformation den Übergang zum Typ
sozialökologischer und solidarischer Entwicklung im globalen Maßstab. Denn die
grundlegenden Menschheitsprobleme – Ökologische Krisen und Schäden, Klimawandel,
Ressourcenknappheit, Soziale Ungleichheit, Verelendung weiter Teile der Erdbevölkerung,
Hunger und Flüchtlingsströme – sind allesamt globaler Natur und übersteigen die
Problemlösungskapazität der Nationalstaaten. Es geht deshalb um den Übergang zu einem
Pfad globaler Entwicklung, in dem Nachhaltigkeit, Solidarität und globale Gerechtigkeit eine
neue Einheit bilden. Das erfordert ein alternatives, neues Finanz-, Weltwirtschafts-, Umweltund Sicherheitssystem, ein friedliches, kooperatives Zusammenwirken und -leben der
Menschen statt Konfrontation, marktradikaler Konkurrenz und globaler Ausbeutung.
Gesellschafts-Transformation als Transformation der Welt-Gesellschaft.
Dieser heute auf der historischen Agenda stehende Transformationstyp ist deshalb – um auf
unsere Ausgangshypothese zurückzukommen – im wahrsten Sinne des Wortes eine
tiefgreifende Gesellschafts-Transformation auf nationaler, regionaler und globaler Ebene. Er
umfasst den Wandel der Produktions- und Lebensweisen, der Macht- und
Eigentumsstrukturen sowie der individuellen und gesellschaftlichen Deutungsstrukturen.
14
Das aber mündet in die Frage nach der Demokratie als Machtfrage der Transformation. Der
mit der neoliberalen Wende einhergehende Frontalangriff auf die Demokratie und ihren
Institutionen verlangt nun mehr denn je einen tiefgreifenden Um- und Neuaufbau
demokratischer Institutionen als Voraussetzung einer nachhaltigen sozialen, ökologischen und
friedfertigen Entwicklung.
Die Tiefe dieses anstehenden transformatorischen Wandels macht zugleich deutlich, dass
diese „Große Transformation“ nur über längere Zeiträume mit unterschiedlichen inhaltlichen
Prioritäten und regionalen Schwerpunkten und nur über vielfältige Zwischenschritte,
Vermittlungen möglich werden kann. Das wirft dann die Frage nach Zukunftsannahmen für
diese Transformation auf.
4. Gesellschafts-Transformation als Leitbild, Voraussicht und Zukunftsannahme
Bei der Betrachtung gesellschaftlicher Transformationen in Vergangenheit und Gegenwart
stößt man in der Tat immer wieder auf die Frage nach Existenz und Funktion von Leit- und
Zukunftsbildern sowie Visionen in der Transformation.
Analysen zur ersten großen Transformation der Neuzeit zeigen, dass diese „insgesamt nicht
visionsgesteuert“ (Osterhammel 2011: 631) war. Die Gesellschafts-Transformationen des 20.
Jahrhunderts hingegen – sowohl die realsozialistischen wie die postsozialistischen und nicht
zuletzt die Transitionen kapitalistischer Gesellschaften von autoritär-diktatorischen zu liberaldemokratischen Regimen – waren hingegen politisch gesteuerte Unternehmen der
Gesellschaftsumwandlung auf der Basis relativ klarer Zukunfts- und Gesellschaftsbilder. Die
heutige Gesellschafts-Transformation unterscheidet sich diesbezüglich sowohl von der ersten
großen Transformation als auch von den Transformations- und Transitionsfällen des 20.
Jahrhunderts.
Für die heutige Transformation gibt es keine etablierten Vorbilder. Ihr liegt kein fertiges
Modell, kein ausgearbeiteter Masterplan zugrunde, das bzw. den es in der gesellschaftlichen
Praxis nur noch umzusetzen gilt. Diese Transformation ist auch kein primär politisch
gesteuertes Unternehmen von oben, sondern eher ein widerspruchsvoller Such-,
Experimentier- und Lernprozess. Dennoch, und anders als in der ersten großen
Transformation der Neuzeit, operieren die verschiedenen Akteure heute – gestützt auf
Analysen, Trends, Prognosen – mit einer gewissen Voraussicht. Sie entwickeln
(unterschiedliche) normative Leitideen, Zukunftsannahmen und auch Visionen für diese
Transformation. Hierzu hat sich in jüngster Zeit selbst ein entsprechender Diskurs
herausgebildet.
Offensichtlich bedarf eine Gesellschafts-Transformation, die im Hier und Heute beginnt,
beginnen muss, aber auf einen grundlegenden Richtungs- und Pfadwechsel orientiert ist, eines
gesellschaftlichen Narrativs, eines überzeugenden Leitbildes (keine Endzielprojektion). Im
Unterschied zu früheren Leitbildern muss das heutige Leitbild der „Transformation“ von den
Grenzen des Erdsystems als Ausgangspunkt gesellschaftlicher Entwicklung und von der
globalen Interessenverflechtung ausgehen. Und zugleich auf eine andere, bessere, gerechtere,
sicherere und freiere (Welt-)Gesellschaft orientieren. Ein solches Narrativ der Transformation
gilt es positiv und als Angebot an breite gesellschaftliche Mehrheiten zu kommunizieren: D.
h. Wandel und Transformation natürlich auch als Anstrengung, Mühe und Wagnis, aber
weder als Zumutung und Bedrohung noch als eine zu realisierende Wünsch-Dir-WasVorstellung, sondern als berechtigte Hoffnung für die Menschen auf ein Leben in Sicherheit,
Freiheit und Solidarität. Hoffnung aber ist, wie Sartre es nannte, selbst eine Triebkraft
gesellschaftlicher Veränderungen.
Ein solches Leitbild der heutigen Gesellschafts-Transformation wäre m. E. das einer
„Nachhaltigen und Solidarischen Gesellschaft“ oder (verkürzt) einer „Solidarischen
15
Teilhabegesellschaft“, einer „Solidarischen Weltgesellschaft“ (Reißig 2009: 150 ff.).
„Solidarische Teilhabegesellschaft“ ist eine Antwort auf die grundlegenden sozialen und
ökologischen Konflikte und Herausforderungen unserer Zeit sowie der Gegenentwurf zur
heute dominierenden marktradikalen Konkurrenzgesellschaft. Und ein solches Leitbild bzw.
Zukunftskonzept gibt dem vieldiskutierten, aber sozial oft verengt interpretierten Projekt des
„Ökologischen Umbaus“ eine klarere, Gesellschaft verändernde Perspektive. Es stärkt das
soziale Profil und schlägt doch zugleich Brücken zu den verschiedenen Diskursen und
ermöglicht die Herausbildung von Diskurs- und Transformationsallianzen.
„Solidargesellschaft“ als ein normatives Leitbild dieser Gesellschafts-Transformation wird
hier verknappt als gleichberechtigte Teilhabe aller am Sagen und Haben eines Gemeinwesens
verstanden, das am Ziel der Einordnung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Entwicklung unter die Reproduktion der Natur und an kooperativer Lebensweise und einem
friedlichen und vernünftigen Zusammenleben der Menschen orientiert ist. Mit dieser
Transformation entstünde dann keine Neuauflage der historisch gescheiterten
Einheitsgesellschaft, sondern eine in sich differenzierte, plurale, immer wieder umkämpfte,
entwicklungsoffene Gesellschaft, auch mit nicht vorhersehbaren Folgewirkungen. Nicht
zuletzt haben bislang alle Transformationen zugleich die Gesellschaft belastende
Nebenwirkungen hervorgebracht. So hat bekanntlich Karl Polanyi die mit der ersten großen
Transformation verbundene soziale Entbettung des Marktes und deren zerstörende Folgen für
Mensch, Gesellschaft, Natur hervorgehoben und entsprechende gesellschaftliche Alternativen
(Einbettung des Marktes, Überwindung des Warencharakters von Arbeit/Boden/Geld, Neue
Demokratie) entwickelt. Und wie wir wissen, waren die längerfristigen Folgen der ersten
großen Transformation nicht nur durch rasche Industrialisierung, wirtschaftliche Dynamik
und wissenschaftlichen Fortschritt gekennzeichnet, sondern eben auch durch zunehmende
Militarisierung, imperiales Expansionsstreben, Kriege und tiefe soziale Spaltung der Welt.
Auch die beiden Gesellschafts-Transformationen im 20. Jahrhundert konnten – im
unterschiedlichen Maße zwar – nicht halten, was ihre bestimmenden Akteure versprachen.
Eine diesbezügliche Ausnahme bildete am ehesten noch die „New Deal-Transformation“.
Eine Leitidee, ein narratives Leitbild der heutigen Transformation kann immer nur als
Rahmen gesetzt und als offenes, emanzipatives Projekt handelnder Menschen verstanden und
formuliert werden.
Dieses Leitbild kann jedoch von der Annahme ausgehen, dass die Funktions- und
Zukunftsfähigkeit transformativer Gesellschaften wie der sich herausbildenden
Weltgesellschaft im 21. Jahrhundert – auf der Basis der modernen Evolutionspotenziale – vor
allem von Entwicklungen abhängen, die sich stärker durch „Nachhaltigkeit“,
„Ressourceneffizienz und Umweltkompatibilität“, durch „Teilhabe“, „Gleichheit“ und
„Demokratische Solidarität“ auf der Grundlage von Eigeninitiative, Selbstorganisation und
individueller Freiheit auszeichnen. Darin widerspiegeln sich in einer widerspruchsvollen
Einheit von System- und Lebenswelt wichtige und neue Universalien einer zukunftsfähigen
Transformations-Entwicklung und -Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Ein Umstand, der in der
klassischen Modernisierungstheorie bislang nicht ernsthaft diskutiert wird.
Zur Kommunizierung dieser Leitidee, dieses Narrativs der Transformation gehört auch, zu
zeigen, dass eine sozialökologische und solidarische Gesellschaft nicht mit der Dominanz
kapitalistischer Verwertungsbedingungen kompatibel ist. Sie verlangt deshalb strukturelle
Eingriffe in die Logik kapitalistischer Verwertung und Akkumulation, in die bestehenden
Macht- und Eigentumsstrukturen, verlangt die Zurückdrängung und Überwindung der Macht
der Finanzoligarchie, die sozial- und umweltverträgliche Bindung des Eigentums, eine
Vielgestaltigkeit der Eigentumsformen und neue volkswirtschaftliche Proportionen und neue
Verteilungsverhältnisse. Und das heißt ein neues wirtschaftliches und gesellschaftliches
Regulationssystem und vor allem die Entstehung einer „Neuen Demokratie“ (Polanyi), die die
16
gesellschaftliche und kulturelle über die politische und vor allem über die ökonomische
Macht stellt. Wie Richard Wilkinson und Kate Pickett in einer umfangreichen Studie zeigen,
sind Gesellschaften mit stärker egalitären Strukturen und Lebensweisen heute bereits
funktions- und entwicklungsfähiger, und die Menschen leben in ihnen zufriedener
(Wilkinson/Pickett 2010).
Transformationen waren immer – und das gilt für die neue Transformation nicht weniger –
heftige und konflikthafte gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen um Hegemonie,
Macht und Eigentum. Heute führen bereits erste Überlegungen, alternative Vorschläge und
Schritte einer Transformation – so in Richtung eines Übergangs zu einer veränderten,
ökologischen Wirtschaftsweise, einer Überführung öffentlicher Güter in die öffentliche Hand,
einer Etablierung neuer Formen sozialer Teilhabe wie Grundeinkommen und
Bürgerversicherung – zu solchen sozialen und politischen Auseinandersetzungen.
In demokratisch-pluralistischen Gesellschaften mit unterschiedlichen politischen und
kulturellen Präferenzen muss und kann die Frage des Transformations- und
Entwicklungspfades aber zugleich nur im breiten demokratischen Konsens und nur auf
demokratischer Grundlage ausgehandelt und realisiert werden. Die neue GesellschaftsTransformation als spezifischer Typ sozialen Wandels hat nur als konsequent demokratische
und solidarische Transformation eine Chance und Zukunft. Auch das ist ein wesentliches
Merkmal der heutigen Gesellschafts-Transformation, das diese gegenüber allen bisherigen
Transformationen auszeichnet.
5. Historische Dimension (Einordnung): Zweite Große Transformation der Neuzeit
Der Begriff der „Großen Transformation“ verbindet sich mit dem Namen Karl Polanyi und
seiner Arbeit „The Great Transformation“. In seinem Sinne wird hier von „Großer
Transformation“ gesprochen als ein umfassender, die gesamte Gesellschaft erfassender
Wandel, in dem sich die bisherige Art und Weise des Wirtschaftens, des Arbeitens, des
Lebens grundlegend verändert.
Es wird davon ausgegangen, dass es in der Geschichte der Menschheit bislang nur zwei Große
Transformationen, grundlegende epochale Umbruchphasen gab, die mit der heutigen Großen
Transformation vergleichbar wären: die Neolithische Revolution, die den Übergang von der
Jäger- und Sammlergesellschaft zur Agrargesellschaft verkörperte sowie die Industrielle
Revolution und der allmähliche Übergang an verschiedenen Orten der Welt von den
unterschiedlichen vorkapitalistischen Formen des Wirtschaftens und Arbeitens zur
kapitalistischen Warenproduktion., zur kapitalistischen Marktwirtschaft und zur
Herausbildung der Moderne.
Es handelte sich bei dieser (ersten) Großen Transformation der Neuzeit um einen
„Epochenwechsel“, der zur „Verwandlung der Welt“ (Osterhammel 2009) führte. Eine
Verwandlung, indem sich ökonomische, kulturelle, soziale, ökologische Prozesse
unterschiedlicher Tempi und Dynamiken überlagern, beeinflusst von einer Vielzahl von
Akteursgruppen mit unterschiedlichen Interessen, die schließlich eine spezifische Richtung
des Wandels befördern (ebd.). Und die politischen Formen dieses Übergangs zur industriellkapitalistischen Marktwirtschaft waren in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet durch tiefe,
revolutionäre Schübe und reformerische Transformationsperioden (Middell 1998: 66).
Karl Polanyis Analyse der ersten Großen Transformation (hinsichtlich ihrer beiden Seiten) ist
von aktueller Bedeutung auch für die Beobachtung und Untersuchung der heutigen Großen
Transformation. Polanyi beschrieb vor allem, wie sich mit dem Übergang zum Kapitalismus
der Markt aus seiner früheren gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Einbindung löst und
sich Arbeit, Grund und Boden sowie Geld in Waren verwandeln (Polanyi: 107 ff.). Dies riss,
wie Polanyi betont, die menschliche und natürliche Substanz in den Strudel des
17
Marktgeschehens und führte zur Herausbildung einer „Marktgesellschaft“ (ebd.: 109) mit
zerstörerischen Folgen für Mensch und Natur (ebd.: 15). Die Gesellschaft als Vielfalt
widerstreitender Interessen und Tendenzen ist dem Marktliberalismus jedoch nicht
bedingungslos ausgeliefert. Denn die zunehmende Zerstörung der demokratischen
Gesellschaft führt – so Polanyi – auf den unterschiedlichen Ebenen zu vielfältigen
Gegenreaktionen und -bewegungen. Polanyi hielt eine „Neue Demokratie“ für erforderlich, in
der die Menschen rational und selbstbestimmt ihre Gesellschaft bedürfnisgerecht gestalten.
Freiheit nicht mehr auf Kosten von Gerechtigkeit und Sicherheit, sondern Gerechtigkeit und
Sicherheit als Bedingungen auch für umfassende Freiheitsrechte des Einzelnen. Eine
Entwicklung, in der die demokratische Gesellschaft über den selbstregulierenden Markt
obsiegt und damit das Ende der „Marktgesellschaft“, aber nicht der „wettbewerbsfähigen
Märkte“ eingeleitet wird (ebd.: 333).
Bei der heutigen Transformation handelt es sich aus dieser Perspektive m. E. um die „Zweite
Große Transformation“ der Neuzeit (Reißig 2006, 2009). Das betrifft zum einen die Tiefe und
Dynamik des Wandels. Denn mit dieser heutigen Gesellschafts-Transformation ist der am
tiefsten greifende Struktur-, Wirtschafts-, Kultur- und Gesellschaftswandel seit Beginn des
Industriezeitalters verbunden. Es handelt sich um den grundlegendsten Wandel und
Umbauprozess in der Geschichte der Moderne, der Zivilisation überhaupt. Auch im jüngsten
Bericht des Club of Rome 2052 nimmt Jorgen Randers eine solche historische Einordnung der
Transformation vor, wenn er feststellt: „Ich spreche von einem Paradigmenwechsel, der
vielleicht noch umfassender sein wird als der Aufstieg der Neuzeit aus dem Mittelalter … Die
Alternative muss sich entwickeln, ihre Überlegenheit demonstrieren und allmählich in
Führung gehen“ (Randers 2012: 363).
Zum anderen betrifft es die Richtung des Wandels. Nach der radikalen „Entbettung“ des
Marktes geht es mit dieser neuen Transformation – wie es Karl Polanyi schon zu seiner Zeit
begründete – um die soziale „Wieder-Einbettung“ der kapitalistischen Wirtschaft und mehr
noch um eine „Neue Demokratie“ und gesellschaftliche „Bürgermacht“ als eine grundlegende
Voraussetzung für einen neuen Typ sozialökologischer und solidarischer Entwicklungsweise,
national und global.
6. Die neue Rolle des Faktors Zeit in der heutigen Gesellschafts-Transformation
Transformationen verliefen und verlaufen in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Der
Faktor Zeit gewinnt in der heutigen Transformation eine neue Bedeutung.
Die neolithische Revolution entfaltete sich über mindestens dreitausend Jahre. Die industrielle
Revolution und erste große Transformation der Neuzeit vollzog sich weltgeschichtlich über
einen Zeitraum von ca. dreihundert Jahren. In einzelnen Ländern – etwa England – dauerte
der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft etwa achtzig Jahre. „Die evolutionäre
Gelassenheit früherer Transformationen ist dahin, die Zeit wird zu einem zentralen politischen
Streitpunkt.“ (Osterhammel 2011: 628 f.). Das Tempo wirtschaftlicher und sozialer
Entwicklung hat sich seitdem beschleunigt, und das Erfordernis einer Umkehr zu einer
anderen Entwicklung hat ebenso eine neue Dimension erlangt.
Auch wenn niemand die zeitliche Dimension der gegenwärtigen Transformation genau zu
bestimmen vermag, besteht doch unter Sozial- und Transformationsforschern
Übereinstimmung darin, dass die Zuspitzung gerade der ökologischen Krise schnelleres
Handeln und raschere Weichenstellung als in früheren Transformationen erforderlich machen,
um einen möglichen Kollaps zu verhindern (u. a. WGBU 2012). Auch der Bericht des Club of
Rome verweist auf diese neue Zeitdimension, will aber daraus kein unmittelbares
Katastrophenszenario ableiten. Und selbst für die in verschiedenen Ländern angestrebte
18
Umstellung auf erneuerbare Energien werden heute kürzere Zeiträume veranschlagt als sie
beim Übergang zur Industrialisierung erforderlich waren. Selbst wenn der Gesamtprozess
dieser neuen Transformation längere Zeit in Anspruch nehmen wird, hängt ihr weiteres
Schicksal jedoch von Entwicklungen und Entscheidungen ab, die in den nächsten Jahrzehnten
sich vollziehen bzw. gefällt werden.
7. Evolutionäre Wandlungen und transformative Gestaltungen – neu gewichtet
Transformationsperioden gehen – wie die Geschichte zeigt - immer evolutionäre,
eigendynamische Entwicklungsprozesse voraus. Das Neue entsteht bereits im oder neben dem
Alten. Ohne diese Evolutionsprozesse und vielgestaltigen, kontroversen Suchprozesse ist
Transformation unmöglich oder verwandelt sich in einen Akt von autoritärem Handeln, von
Willkür und Dirigismus. Diese evolutionären Wandlungen und Suchprozesse gewinnen im
heutigen Transformationsgeschehen eine bedeutend größere Relevanz.
Gesellschafts-Transformation – verstanden als Übergang zu einem neuen Typ sozialer
Ordnung und sozioökonomischer und soziokultureller Entwicklung – ist jedoch stets und vor
allem auch an intendiertes, insbesondere kooperatives und solidarisches Handeln
gesellschaftlicher Akteure gebunden. Theorien gesellschaftlichen Wandels (u. a. Mayntz
2009, Ostrom 2010) verweisen darauf, dass komplexe gesellschaftliche Transformationen
nicht nur durch evolutionäre Wandlungen und unüberschaubare Eigendynamiken
selbstgesteuerter Prozesse zustande kommen, sondern zugleich durch identifizierbare
Akteurskonstellationen beeinflusst, gebündelt und gestaltet werden. Akteurskonstellationen,
die über ausreichend Macht, Ressourcen, Wandlungsbereitschaft und -fähigkeit verfügen, um
die sich nicht von allein realisierenden „Gemeingutziele“ zu verwirklichen und die etablierten
strukturkonservativen Blockadekräfte zu isolieren.
Diese für Transformationen typische Wechselwirkung von evolutionärer, eigendynamischer
Entwicklung und eingreifenden Handeln konnte ansatzweise selbst beim Übergang zum New
Deal in den USA (Krugmann 2008) und zum fordistischen Entwicklungsmodell in den
kapitalistischen Ländern nach dem 2. Weltkrieg sowie dann beim Übergang zum marktradikalen Entwicklungsmodell seit Ende der 1970er Jahre beobachtet werden. Heute vertiefen
sich diese Wechselwirkungen auf neue Art und Weise. Zugleich erhalten jedoch intendiertes
Handeln und gesellschaftliche Steuerung (vgl. auch Wiesenthal 2006) – angesichts der Tiefe
des Wandels, des Umbaus von Wirtschaft, Arbeit und Lebensweise und angesichts der
komplexen, hochgradig vernetzten Gesellschaftsstruktur – für den Ausgang der neuen
Transformation ein größeres Gewicht. Das stellt die Frage nach spezifischen,
transformationsfähigen Akteuren.
8. Gesellschafts-Transformation als spezifische Akteurskonstellation
Transformationen waren und sind stets auf das engste mit spezifischen Akteuren und deren
Fähigkeiten zum transformativen Handeln verknüpft. Im historischen Vergleich zeigt sich,
dass neue Transformationsperioden weniger durch neue Technologien und Leitsektoren der
Wirtschaft geprägt waren, vielmehr aber durch aufstrebende soziale Klassen, Schichten, die
den Wandel von Institutionen und Mentalitäten vorantrieben (vgl. auch Leggewie/Welzer
2009: 148).
Die erste große Transformation der Neuzeit wurde vor allem durch eine aufstrebende, alle
tradierten gesellschaftlichen Verhältnisse umwerfende Klasse – die Bourgeoisie und ihre
verschiedenen Fraktionen – getragen und vorangetrieben. Die alte feudale Klasse hatte dem
trotz ihrer verbliebenen wirtschaftlichen und politischen Machtressourcen am Ende nichts
19
entgegen zu setzen. Die staatssozialistischen Transformationen im 20. Jahrhundert waren
zuvorderst das Werk avantgardistischer kommunistischer Parteien, die mittels ihrer politischer
Herrschaft und System stabilisierender Strategien lange Zeit die Machtfrage zu ihren Gunsten
entscheiden und die Transformation zumindest längere Zeit von oben diktieren und gestalten
konnten. In den postsozialistischen Transformationen spielten verschiedene neue Eliten – aus
oppositionellen wie unterschiedlichen systemkritischen Kreisen – eine maßgebliche Rolle; im
Falle der DDR-Transformation dann jedoch bald nur noch die alten institutionellen
westdeutschen Eliten.
Wie stellt sich nun die Frage nach den spezifischen Subjekten, Akteuren der neuen
Gesellschafts-Transformation heute. Und dies, nachdem sich die „menschheitsbefreiende
Mission des Proletariats“ nicht erfüllte und die „avantgardistischen Ersatzlösungen“ in den
staatssozialistischen Transformationen sich in ihr Gegenteil verkehrten, und die neuen Eliten
der postsozialistischen Transformation zum großen Teil integriert sind und sich zudem die
sozialen Strukturen und Milieus in den modernen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften
weiter ausdifferenziert haben.
Ob der Tiefe des Wandels und ob der Komplexität der modernen bürgerlichen Gesellschaften,
ob vielfältiger Unübersichtlichkeiten, damit verbundener Unsicherheiten bei gleichzeitiger
dominanter Macht des Finanzkapitals als „Zweitem Souverän“ (Beckert/Streeck 2012: 10)
und dem Fehlen eines eindeutigen Subjekts der Transformation und der gesellschaftlichen
Steuerung ist das Handeln transformationsfähiger Akteure wichtiger und zugleich schwieriger
denn je. Dieses charakteristische Paradoxon der neuen Transformation aufzulösen, gehört zu
den großen Herausforderungen dieser heutigen Transformation.
Die subjektiven Voraussetzungen gesellschaftlicher Transformationsprozesse erwachsen
heute nicht – wie oft angenommen wird – aus theoretischen Konzepten, für die hinreichende
Argumente und Wahlmehrheiten gefunden werden, sondern vor allem aus den Kämpfen und
Arrangements der großen gesellschaftlichen Interessengruppen und aus günstigen
internationalen Bedingungen (Esping-Andersen 1998, Vester 2011). Auch dies lässt sich
übrigens sowohl am Beispiel des New Deal in den USA und der Herausbildung des
fordistischen Pfades in den kapitalistischen Industrieländern nach dem 2. Weltkrieg
aufzeigen, wie in spezifischer Form auch am Aufstieg des neoliberalen Pfadmodells seit Mitte
der 1970er Jahre.
Transformation als spezifisches Akteurshandeln ist heute zunächst ein Prozess, der in
Wandlungen in den Tiefen der Gesellschaft und in der Selbstermächtigung der Bürgerinnen
und Bürger begründet liegt. Will man über mögliche Transformationsprozesse im Kontext
akteursbestimmten Handelns Auskunft erlangen, sollte der Blick zuerst dorthin gerichtet
werden. Und da weist die Milieu- und Sozialstrukturforschung nach, dass sich die
demokratisch-partizipativen Potenziale in verschiedenen Milieus (untere, mittlere und auch
obere Segmente) verstärkt haben (Vester 2011). Und repräsentative Bevölkerungsumfragen
zeigen, dass sich inzwischen Mehrheiten gegen Neoliberalismus und Marktfundamentalismus
und eher für öko-soziale und solidarische Entwicklungen aussprechen. Wachstums- und
kapitalismuskritische Ansichten haben zugenommen (vgl. u. a. Umfrage des Emnid-Instituts
2010 im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach
2013). Genau genommen kann von einem Wandel der Werte gesprochen werden, der Wege
hin zu einer sozialökologischen und solidarischen Transformation zu öffnen vermag (u. a.
Inglehart 2008, Eurobarometer 2007, Vester 2011: 27-49). Entscheidend für praktische
Schritte zur Entfaltung der Transformation ist jedoch, ob sich diese Potenziale tatsächlich
auch gesellschaftlich zu einem Faktor von Einfluss, Hegemonie und Macht mit
entsprechenden Gestaltungschancen entfalten. Das ist heute noch eher selten der Fall.
20
Dennoch: Die neuen sozialen und politischen Spannungen, Konfliktstrukturen, ökonomischen
und ökologischen Krisen führen heute – widersprüchlich zwar – zu neuen Protest- und
Beteiligungsformen (APuZ H. 25-26 2012), zu neuen Interessenkonstellationen und
gesellschaftlichen Arrangements. Dies zeigt sich z. B. in vielfältigen Suchprozessen von
gesellschaftlichen Bewegungskräften, von kommunalen Bewegungen, von regionalen und
überregionalen Bürgerinitiativen, von Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen, aber
auch von kritischen Intellektuellen und Journalisten, Teilen des Unternehmertums und selbst
von aufgeschlossenen Kreisen im politisch-administrativen System nach Auswegen aus der
akuten Krisensituation und nach machbaren sozialen und ökologischen Alternativen. Und
gerade auf unteren Ebenen bilden sich Nischen und „Pioniere des Wandels“ heraus. „Pioniere
des Wandels“, die die Grenzen des etablierten Gesellschafts- und Entwicklungsmodells
aufzeigen, sie mittels praktischer Projekte überschreiten und eine Beispielfunktion für
mögliche konkrete ökologische, soziale, demokratische Transformationsprozesse ausüben.
Verschiedene Transformationsforschungen zeigen heute schon, wie diese Pioniere des
Wandels zuerst einmal als einzelne Individuen oder als kleine Gruppen in Nischen beginnen,
wo sie zunächst kleinräumig und oft noch nicht besonders sichtbar agieren. Sie gewinnen
dann durch Vernetzungen, wachsende Kompetenzen, gezieltere Kommunikationen mit der
Politik und Öffentlichkeit an Bedeutung und können transformatorische Dynamiken auslösen
(vgl. u. a. WGBU 2012, Leggewie/Welzer 2009).
Die Frage aber bleibt, wie diese vielfältigen, aber noch fragmentierten Akteurskreise auf den
verschiedenen unteren, mittleren und selbst oberen Ebenen zu neuen, pluralen, längerfristig
wirksamen Diskursallianzen und Transformationskoalitionen zusammengeführt werden
können. Das ist z. B. dann möglich, wenn wichtige Transformationsfelder, bei denen es
zwischen den potentiellen Transformationsakteuren größere Interessenübereinstimmungen
gibt, in den Mittelpunkt des gemeinsamen Agierens gerückt werden. Das betrifft heute vor
allem die „Energiewende“, d. h. das Ringen um ihre soziale, dezentrale und partizipative
Ausrichtung; die „Rekommunalisierung und Demokratisierung der Öffentlichen Güter“
(Wasser, Energie, Verkehr, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Betreuung, Pflege) sowie die
„Nachhaltige Urbanisierung und Stadtentwicklung“ (klimaverträgliche Stadtentwicklung,
ökologische Mobilität, kurze Wege zwischen Arbeit-Wohnen-Freizeit, eigene
Stromversorgung, Teilhabe an und gemeinsame Nutzung der öffentlichen Güter,
sozialstrukturelle Durchmischung). Über solch gemeinsames Agieren auf zentralen, aber
zugleich die Bedürfnisse und Interessen großer Teile der Bevölkerung zum Ausdruck
bringenden Transformationsfeldern können sich dann auch gesamtgesellschaftliche
Transformationsallianzen herausbilden.
Die Erfahrungen bisheriger Transformation belegen: Transformationen hatten in der
Geschichte immer nur dann eine Chance, wenn sich der wirtschaftliche, soziale, kulturelle
Wandel mit den Bedürfnissen und Interessen von Individuen, von großen Gruppen der
Bevölkerung verknüpfte. Transformationsakteure haben deshalb zu bedenken, dass
Transformation, soll sie Zustimmung in der Bevölkerung finden, als praktisches und
überzeugendes Beispiel schon heute und morgen sichtbar, erlebbar werden muss. Hier
entscheidet sich ganz wesentlich die Zukunft der Transformation.
Das führt zu einem weiteren Merkmal und Kennzeichen von Gesellschafts-Transformation.
9. Große Transformationen als „Zusammenspiel“ vielfältiger kleiner Transformationen
„Große Transformation“ und „Kleine Transformation“ sind keine verschiedenartigen
Transformationsbegriffe und reflektieren keine unterschiedlichen Typen von sozialem
Wandel. Transformation bleibt Transformation – in meinem Verständnis – als Übergang zu
einem neuen Typ sozialer und kultureller Ordnung, zu einem neuen Typ sozioökonomischer
21
sowie soziokultureller Entwicklungsweise. „Groß“ und „Klein“ charakterisieren lediglich
unterschiedliche Dimensionen, Ebenen dieses Wandels, dieses Bruchs, dieses Übergangs,
dieser
gesellschaftlichen Neukonstitution
–
„groß“ im
Sinne
eher von
gesamtgesellschaftlicher Dimension oder „klein“ im Sinne eher von partiell
gesellschaftsverändernden Handelns zunächst auf regionaler, lokaler Ebene.
Ein Blick auf die Geschichte der unterschiedlichen Transformationsfälle zeigt, dass ein
solches
Zusammenspiel
kleiner
Transformationen
alle
bisherigen
großen
Transformationsverläufe kennzeichnete. So war auch die erste große Transformation kein
plötzlich einsetzender, linearer Prozess. Ihr gingen vielmehr zahlreiche partielle, molekulare
wirtschaftliche, soziale, kulturelle Veränderungen voraus. Und sie war begleitet von Spiralen
der Aufwärtsentwicklung wie von Phasen der Stagnation und der Rückschläge.
Was als „Große Transformation“ bezeichnet wird, ist tatsächlich ein „Zusammenspiel von
zahlreichen kleinen Veränderungen“ (Osterhammel 2011: 626).
Diese Erkenntnis gilt auch für die heutige Gesellschafts-Transformation. Mehr noch: Die neue
Gesellschafts-Transformation hat kein eindeutiges Zentrum und ist gegenwärtig nicht zuerst
durch große Transformationsprojekte, sondern durch konkrete transformatorische Schritte,
Alternativen, Projekte charakterisiert. Angesichts institutioneller Pfadabhängigkeit, angesichts
der gesellschaftlichen Macht des wirtschaftsliberalen und konservativen Blocks und
angesichts der vielfältigen, auch geistig-kulturellen Blockaden in der Gesellschaft kann und
muss diese Transformation schrittweise, über vielfältige Vermittlungen und vor allem auch
„unten“ beginnen. Transformation setzt heute insbesondere eine Vielzahl von progressiven
Veränderungen auf lokaler, regionaler, globaler Ebene voraus. So z. B. heute in Gestalt
dezentraler, ökologischer Energie-Dörfer und -Regionen, von Formen Solidarischer
Ökonomie, von unterschiedlichen Genossenschaften, von neuen sozialen Teilhabe- und
demokratische Beteiligungs- und Lebensweiseformen. Ob es sich letztlich um Keime des
Neuen handelt, kann nur daran gemessen werden, ob sie die Logik und Struktur des alten
Wachstums- und Entwicklungsmodells (wenn auch zunächst partiell) praktisch überwinden
und
Keime
einer
neuen
sozialökologischen
und
solidarisch-demokratischen
Entwicklungsrichtung verkörpern und befördern.
Im Ringen um solche konkreten Veränderungen, Alternativen, Projekte, Netzwerke kommt es
– wie auch entsprechende empirische Studien belegen – bereits heute zu sozialen und
demokratischen Wandlungen, zu Veränderungen von Eigentums- und Bündnisstrukturen
zunächst auf lokaler und regionaler Ebene. Hier entsteht dann auch ein gewisses „WirGefühl“, ein Wandel von Einstellungen (Ja, Veränderungen sind möglich), von Lebensstilen,
kulturellen Identitäten. Transformation ist in diesem Sinne also auch heute nicht mehr nur
Idee, Vision, sondern hat in Nischen und Nahtstellen schon begonnen (vgl. auch Thomas
2012). In der Regel handelt es sich dabei um Insellösungen, die für sich genommen in den
alten und bis heute dominierenden Entwicklungspfad wieder integriert werden können. Zu
verhindern ist dies nicht durch Verzicht auf kleine, transformatorische Wandlungen, sondern
am ehesten dadurch, dass es den Transformationsakteuren gelingt, den demokratischemanzipativen Charakter dieser Wandlungen zu stärken und sie in neue institutionelle Formen
zu „gießen“. Vor allem die Etablierung neuer Regeln, Institutionen, Verfahren im
Transformationsprozess und ihre verfassungsmäßige Verankerung gehören zu den wichtigen,
zugleich aber schwierig zu bewerkstelligenden Aufgaben dieses Wandlungsprozesses. Doch
gerade dieses Feld zwischen der institutionellen Stabilität der alten Ordnung und dem Bruch
sowie der Herausbildung der neuen demokratischen Gesellschaftsverfassung ist von größtem
praktischem und theoretischem Interesse. Vollziehen sich doch hier die wichtigen
Wandlungsprozesse, die über den weiteren Verlauf der Transformation entscheiden (vgl. auch
Dolata 2012: 131/132).
22
Ob freilich aus diesen heutigen „kleinen Transformationen“ morgen einmal die neue „Große
Transformation“ erwächst, kann nicht vorhergesagt werden. Das hängt auch von den sozialen
Kämpfen und Bewegungen wie davon ab, ob die eine oder andere transformatorische
Umwandlung in einem gesellschaftlichen Schwebezustand zum „Kipppunkt“ des weiteren
Transformationsverlaufs wird und zum „Durchbruch“ führt. Nur was m. E. vorausgesagt
werden kann, ist: Ohne eine Vielzahl kleiner Transformationen, ohne ökologische, soziale,
demokratische Veränderungen, Alternativen und Projekte wird es die erforderliche Große
Gesellschafts-Transformation nicht geben. Auch weil der herrschende Block durch
systemimmanente Anpassungspraktiken den grundlegenden Wandel zu kompensieren
versucht. Dabei sind kleinere Transformationen, die als erste Schritte, als partikulare
Veränderungen sich langsam und über längere Zeiträume vollziehen, letztendlich radikale
Prozesse hinsichtlich ihrer Auswirkungen und ihrer Reichweite (vgl. auch WGBU 2011: 90).
Möglicherweise gibt es auch in dieser neuen großen Transformation – vergleichbar mit der
ersten – Arenen der Transformation, die im Zusammenspiel zahlreicher kleiner
Veränderungen eine besondere Wandlungsdynamik auslösen und grundlegendere
gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben können. In der ersten großen Transformation
waren das die weitreichenden Veränderungsprozesse in Bezug auf die Energiebasis von
Wirtschaft und Gesellschaft, die neue Bedeutung von Zeit, Kommunikation und Wissen sowie
die politische Machttransformation (WGBU: 92).
In der zweiten großen Transformation könnten das der Übergang zu einer erneuerten
Energiestruktur und der Abschied vom fossilen Zeitalter und damit die Herausbildung einer
grundlegend veränderten Wirtschaftsstruktur sein, der Ausbau der öffentlichen Investitionen,
die Überführung der öffentlichen Güter und Dienste („sozialwirtschaftliche Dienste“/Müller
2012) in öffentliche Hand und vor allem die Herausbildung einer „Neuen Demokratie“ als
Einheit von repräsentativer und partizipativer Demokratie und einer wirkungsmächtigen
Bürgergesellschaft.
Die Zukunft der Transformation entscheidet sich in diesem Sinne in der Gegenwart, nicht
zuletzt im Prozess der „Selbstermächtigung“ der Bürgerinnen und Bürger, in den vielfältigen
Kämpfen und Bewegungen um Erneuerung der Demokratie, um Stärkung von Gleichheit und
Solidarität, um Erweiterung der Freiheitsrechte. Oder anders formuliert: die Zukunft der
Transformation hängt vor allem von der „Erhöhung der Transformationsfähigkeit der
Gesellschaften“ (Brie 2011: 75) ab.
10. Gesellschafts-Transformation – Kontingenzen und Offenheit
Transformationen waren in der Vergangenheit und werden wohl in der Zukunft mehr denn je
voller Paradoxien in Gestalt von Kontingenzen, Zufällen, Unwägbarkeiten, Risiken und von
Steuerungen und politischen Entscheidungen ohne festem Gerüst sein (vgl. auch Holzinger
2011:19 ff.). Wie die Geschichte zeigt, können schon spezielle Momente und Ereignisse zu
rascheren Kursänderungen, Schocks, lang anhaltenden Krisen oder auch zur Öffnung von
Gelegenheitsfenstern für Veränderungen führen. All das kann transformatorischen Wandel so
oder so unmittelbar beeinflussen. Gesellschaftliche Transformationen sind mithin keine
linearen Prozesse oder Ergebnis allein inspirierenden Handelns mächtiger Akteure, sondern
Folge von ineinander greifenden Dynamiken evolutionärer Prozesse und intendierten
Handelns, die sich auf unterschiedlichen Zeitlinien in eine bestimmte Richtung des Wandels
verdichten.
Gesellschafts-Transformationen sind jedoch nicht nur voller Kontingenzen, sondern letztlich
auch ergebnisoffen. Transformationen als offene Entwicklungsprozesse machen deshalb eine
gehaltvolle Prognose ihres Verlaufs nicht möglich.
23
Gerade mit dieser heute auf der historischen Agenda stehenden Gesellschafts-Transformation
soll im Grunde etwas entstehen, was eigentlich nicht entstehen kann, oder anders formuliert:
„Transformation ist eine mögliche Unmöglichkeit“ (Brie 2011: 71). Transformation muss
deshalb ihre eigenen Voraussetzungen schaffen, damit eine reale mögliche Möglichkeit
entsteht. Dies ist umso dringlicher, da diese sozialökologische und solidarische
Transformation auf enorme objektive und subjektive Blockaden und Hürden stößt. Sie ist
konfrontiert mit der institutionell weit verzweigten Verfestigung des alten
Entwicklungspfades, mit den systemimmanenten Lebensweisen und Lebensstilen in fast allen
Milieus der Gesellschaft; auch bei denen, die diesen Wandel eigentlich befürworten. Sie ist
konfrontiert mit der Machtfülle und der Anpassungsfähigkeit des heute herrschenden Blocks
und den Schwierigkeiten bei der Herausbildung neuer, hegemonialer Akteurskoalitionen und
deren Fähigkeiten zu gesellschaftlicher Steuerung. Auch deshalb dominiert das
finanzmarktgesteuerte Akkumulations- und Regulationsmodell noch immer die Struktur und
Funktionslogik kapitalistischer Entwicklung.
Die der Transformation entgegenstehenden Macht-, Eigentums- und Ideologieverhältnisse
sind die eine Seite der inneren Struktur der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Doch
Möglichkeiten eines transformativen Wandels ergeben sich selbst schon aus dem hybriden
Charakter dieser inneren Struktur der modernen bürgerlichen Gesellschaft (Wright 2010): aus
den Verflechtungen von Macht- und Vergesellschaftungspotenzialen (Demokratie,
Öffentlichkeit, Märkte, Zivilgesellschaft), von Kapital- und Soziallogik. Und vor allem
ergeben sie sich auch aus dem der Transformation immanenten „Doppelcharakter“ (Polanyi),
wo die „Entbettung“ des Marktes immer wieder gesellschaftliche Versuche und Bemühungen
seiner „Einbettung“ hervorbringt.
Viel wird davon abhängen, ob und wie sich die evolutionären, progressiven
Wandlungsprozesse auf lokaler, regionaler, europäischer und globaler Entwicklung vollziehen
und wie sich die Suchprozesse und Kämpfe um Umformungen des kapitalistischen
Verwertungsprozesses und für eine neue Art und Weise der Vergesellschaftung gestalten.
Oder anders formuliert: wie sich transformatorische Umgestaltungen verdichten und neue
Dynamiken und Schubwirkungen für weitergehende Entwicklungen auslösen.
Gegründet auf einer Gesamtanalyse und -sicht lässt sich m. E. feststellen, diese
Transformation ist nicht nur notwendig, sondern trotz aller Widerstände, Kontingenzen und
Paradoxien auch machbar – und sie hat in einigen Bereichen, Nischen, Sektoren bereits
begonnen. Als erfolgreiche Transformation ist sie – so können wir resümieren – an
evolutionäre, sich dynamisierende gesellschaftliche Wandlungen, an handlungs- und
strategiefähige Akteure, an die Bevölkerung inspirierende konkrete Transformationsprojekte
und an ein gesellschaftliches Narrativ, das breite öffentliche Resonanz findet, gebunden.
Doch unabhängig vom weiteren und zukünftigen Ausgang dieser Transformation sind die
progressiven Transformationskräfte gehalten, ausgehend von den realen Prozessen der
Veränderung im kapitalistischen Akkumulationsmodell und der bürgerlichen Gesellschaft,
aktuelle und zukünftige Entwicklungstrends sowie entsprechende soziale, ökologische,
demokratische
Alternativen
aufzuzeigen
und
vor
allem
ein
kohärentes,
gesellschaftspolitisches Projekt für diese Gesellschafts-Transformation zu entwickeln: Zum
einen als Voraussetzung für konstruktive Intervention in die ständig stattfindenden
gesellschaftlichen
Entwicklungsund
Auseinandersetzungsprozesse
in
Zeiten
gesellschaftlichen Umbruchs. Zum anderen als Voraussetzung für eine überzeugende Kritik
der noch immer weit verbreiteten (neoliberalen) kulturellen Denk- und Verhaltensmuster in
der bürgerlichen Gesellschaft, werden doch nur über kulturell-geistige Wandlungen
gesellschaftliche möglich. Und schließlich als Voraussetzung für die Herausbildung neuer
gesellschaftlicher und (partei-)politischer Koalitionen, die ohne ein gemeinsames
24
gesellschaftliches Wandlungs- und Umbauprojekt nicht entstehen bzw. nicht hegemonie- und
damit transformationsfähig werden können.
Viertens: Neues Konzept (Paradigma) der Transformation
Gesellschafts-Transformation ist, wie wir gezeigt haben, ein spezifischer Typ sozialen
Wandels mit eigenen Merkmalen und Besonderheiten. Es spricht schon heute viel dafür, dass
Gesellschafts-Transformation – in vielfältigen Formen und mit unterschiedlichen Resultaten –
zu einer bestimmenden Entwicklungstendenz im 21. Jahrhundert werden wird. Dies erfordert
von der Transformationsforschung einerseits gehaltvolle zeitgeschichtliche Analysen dieser
Prozesse der Gesellschaftstransformation als spezifischer Typ sozialen Wandels und
andererseits die theoretische Konzeptualisierung von Transformation als neuem Paradigma.
Dazu bedarf es m. E. keiner neuen Großtheorie, aber zunächst erst einmal der Rekonstruktion
der unterschiedlichen basalen Transformations-Konzepte und vor allem ihrer kritischen
Weiterentwicklung. Dabei kann die heutige Transformationsforschung auf ein reichhaltiges
und differenziertes „Angebot“ theoretischer und methodischer Konzepte und
Erklärungsansätze zurück greifen: auf Systemtheorien, Strukturtheorien, Kulturtheorien sowie
Klassen-, Handlungs- und Akteurstheorien (vgl. auch Reißig 2009: 45-66; und Merkel 2010).
Gesellschaftskritische Sozialwissenschaftler
beziehen sich in ihren heutigen
Transformationsanalysen vor allem auf Marx, Gramsci, Polanyi, während dem
modernisierungstheoretischen Paradigma nahestehende Sozialwissenschaftler sich eher auf
Durkheim, Weber, Schumpeter, Parsons beziehen. Spielen bei den ersten vor allem soziale
Verhältnisse, Prozess- und Eigentumsstrukturen, Macht (-ressourcen), gesellschaftliche
Kräfteverhältnisse, Hegemonie, Zivilgesellschaft – und damit entscheidende Bezugspunkte
für kritische Transformationsanalysen – eine entscheidende Rolle, so bei den zweiten eher
Systeme und deren funktionale Differenzierung, Modernisierung und Evolutionsprozesse,
aber auch Handlungs-, Kultur-, Entwicklungskonzepte (u. a. in Bezug auf Weber). In Zeiten
wie den unsrigen, die durch vielfältige Ambivalenzen und Übergänge und wenig geltende
Gewissheiten gekennzeichnet sind, kann das Neben- und auch Miteinander verschiedener und
konkurrierender Ansätze und Konzepte nicht überraschen. Ein diskursiver Dialog- und
Lernprozess, bei dem zugleich auf Ansätze von Bourdieu, Elias, Eisenstadt, North
zurückgegriffen wird, sollte schon deshalb zu einer Selbstverständlichkeit in der heutigen und
künftigen Transformationsforschung werden.
Doch auch in ihrer Summe verkörpern die bislang vorliegenden unterschiedlichen
theoretischen Konzepte und Ansätze kein neues Paradigma der Transformation. Dies
interdisziplinär zu erarbeiten, bleibt eine Herausforderung unserer Zeit. Schon die Analysen
und theoretischen Verallgemeinerungen des postsozialistischen Falls der Transformation
haben das Erfordernis neuer theoretischer Konzepte und Modelle der Transformation
verdeutlicht (vgl. u. a. Reißig 1998, 2009, 2011). Dennoch gab es nicht wenige
Transformationsforscher, die eine solche kritische Revision und Weiterentwicklung ablehnten
und im postsozialistischen Transformationsfall allein eine Bestätigung des klassischen
Theoriefundus der System-, Modernisierungs- und Evolutionstheorie sahen (s. dazu u. a. die
unterschiedlichen Beiträge in Bönker/Wielgohs 2008, Wiesenthal 2009 und Zapf 1994).
Die heutigen und künftigen neuen gesellschaftlichen Transformationen drängen nun m. E.
mehr denn je auf eine Neuorientierung der Transformationsforschung und auf zeitgemäße
Wandlungstheorien und -konzepte sowie entsprechendes methodologisches Gerüst.
Das erfordert, Prozess und Handeln, Macht, Struktur, Kultur und Akteur in ihrem
wechselseitigen Zusammenhang zu betrachten, zu analysieren und zu einem neuen Paradigma
zu verdichten. Ob am Ende daraus auch eine neue Transformationstheorie entsteht, ist heute
25
nicht eindeutig zu beantworten. Dies wird auch davon abhängen, wie viel Neues in den
gesellschaftlichen Praktiken, Wandlungsprozessen und -verläufen selbst noch entsteht. Dabei
könnte es sich bei einer solchen Transformationstheorie – angesichts der Komplexität,
Beweglichkeit und Differenziertheit des Gegenstandes (Gesellschaft, GesellschaftsTransformation) – selbstverständlich nur um allgemeine, typische Prämissen, Aussagen und
die Benennung einiger Variablen handeln (vgl. auch Wiesenthal 2009). Was aber feststeht ist
das Erfordernis, ein zeitgemäßes Modell/Konzept/Paradigma der Transformation zu
entwickeln. Erste Versuche, Transformation als ein solch neues Paradigma zu entwickeln,
wurden an anderer Stelle zur Diskussion gestellt (vgl. Reißig 2009: 26 ff, 195 ff.).
Auf jeden Fall sollte „Transformation“ und besonders „Gesellschafts-Transformation“ sowohl
als Gegenstand zeitgeschichtlicher Analysen wie auch theoretischer Konzeptualisierung in
Zukunft eine größere Aufmerksamkeit erlangen. Denn Transformation und Zukunft rücken
angesichts einer Gesellschaft im Umbruch stärker ins Zentrum neuer Diskurse sowie
kontroverser strategisch-politischer Entscheidungen und Auseinandersetzungen. Eine
kritische Sozialwissenschaft auf der Höhe ihrer Zeit ist aufgefordert, dafür gesellschaftlich
relevante Beiträge zu leisten.
Transformation
- ein spezifischer Typ sozialen Wandels
Wesensgehalt
Historisch-logische Typen

Spezifischer Typ sozialen Wandels; komplexer,
mehrdimensionaler Wandel/Wechsel der bestimmenden
Prozessstrukturen, Regelsysteme, Entwicklungs- und
Kulturmuster;
Wandel von

Übergang und Neukonstitution von Typen sozialer und
kultureller Ordnung, von Typen sozioökonomischer und
soziokultureller Entwicklung;

Wechselwirkungen und intentionalen und zweckgebundenen
Handeln sowie evolutionären, eigendynamischen und
nichtsteuerbaren Prozessen;

Such-, Lern- und Experimentierprozess kollektiver und
individueller Akteure mit bestimmten gemeinsamen
Zielorientierungen/Leitideen/Zukunftsannahmen

Zivilisationstypen,

Sozialen Formationstypen,

Gesellschaftstypen, sozioökonomischen und soziokulturellen
Entwicklungsmodellen,

Politisch-institutionellen Regimetypen
Ursachen
Ebenen, Bereiche, Orte

Gesellschaftliche und globale Übergangs- und
Umbruchssituation;
Ebenen

Endogene systemimmanente Konflikte, Spannungslinien,
Krisen;

Neue gesellschaftliche Herausforderungen im Widerspruch zu
tradierten Strukturen und Entwicklungsweisen;

Exogene Anstöße, Ereignisse

Gesamtgesellschaftliche Ebene, Makro- und Mikroebene,
System und Lebenswelt
Räume

Nationale, Regionale, Weltgesellschaft
Bereiche

Komplexität; politische, wirtschaftliche, soziale, geistigkulturelle
Akteure
Formen und Muster


Vielfalt von Formen, die oft in Kombination auftreten;

Gesteuerter Wandel und selbstgesteuerter Prozess; allmählich
und eruptiv;

Ablösungs- und Umwandlungsprozess von „Unten“ und
„Oben“;

Wandel und Konstanz, Bruch und Konvergenz,

Umbau bestehender und Aufbau neuer Institutionen,

Schwarm unterschiedlicher Akteure, die im spezifischen
Transformationsgeschehen verschiedene Diskurs-, Deutungsund Transformationskoalitionen mit unterschiedlichen
Führungspersonal bilden;
Große gesellschaftliche Interessengruppen, soziale
Bewegungen, kritische Intellektuelle und Eliten, Teile
aufgeklärter staatlich-politischer Akteure und des
Unternehmertums;
Transformation abhängig insbesondere von Akteurskonstellationen,
26
die über ausreichend Macht, Ressourcen, Wandlungsbereitschaft
und -fähigkeit verfügen
Regelsysteme, Strukturen;

Zusammenspiel „großer“ und „kleiner“ Transformationen;

Konflikthafte macht- und gesellschaftliche
Auseinandersetzungen und Suche nach breiten
demokratischen Konsens
Resultate

Kontingenter, offener Entwicklungsprozess mit intendierten und nichtintendierten Folgen;

Unterschiedliche Resultate: Gelingende Transformation = neuer, zukunftsfähiger Pfad sozioökonomischer und soziokultureller
Entwicklungsweise, Solidarische Teilhabegesellschaft; Kompromiss und Formen von gesellschaftlicher Hybridbildung; Stagnation,
Scheitern Regression

Indikatoren des Messens: Grad der Etablierung und Institutionalisierung einer neuen, sozialen, ökologischen, demokratischen und
solidarischen Entwicklungsweise; Grad von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und demokratischer Partizipation als Basis
individueller Entfaltungsmöglichkeiten und Lebensführung (-weise);

Neue, weiterführende Entwicklungsoptionen als Resultate gesellschaftlicher Evolution und Transformation
Neues Paradigma der Transformation

Notwendige Um- und Neuorientierung der (klassischen) Theorie sozialen Wandels, Übergang zu einem neuen
Modell/Konzept/Paradigma der Transformation als Basis für gehaltvolle und empirische überprüfbare Aussagen über das Was,
Warum, Wie sowie den Sinn und die Folgen gesellschaftlicher Wandlungs- und Umbruchprozesse in unserer Zeit;

Theorie der Transformation als interdisziplinärer Forschungs- und diskursiver Dialog- und Lernprozess der Sozial-, Kultur- und
Geschichtswissenschaften
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