Einführung in die Sprachwissenschaft Jan Eden Syntax 7

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Einführung in die Sprachwissenschaft
Jan Eden
Syntax 7: Kasustheorie
Das X-Schema macht keine Aussagen über die lineare Abfolge innerhalb einer Phrase. X-theoretisch
sind alle folgenden Phrasen wohlgeformt:
(1)
a. mit grünen Hosen der Tat Männer
b. Männer der Tat mit grünen Hosen
(2)
a. dem Bauern mit
b. mit dem Bauern
(3)
a. Ich glaube, dass er nicht enttäuschen wird dich.
b. Ich glaube, dass er dich nicht enttäuschen wird.
Tatsächlich sind nur die Abfolgen (ii), (iv) und (vi) grammatisch. Diese Restriktion lässt sich mit
Hilfe der Kasustheorie erklären, die als Wohlgeformtheitsbedingung für X-Strukturen dient.
Die Kasustheorie wirkt wie ein Filter für den Output der X-Theorie: Das X-Schema generiert
unendlich viele Phrasen. Von diesen Phrasen sind nur diejenigen wohlgeformt, die den Prinzipien
der Kasustheorie genügen.
Das zentrale Prinzip der Kasustheorie ist der sog. Kasusfilter:
(4) *NP, wenn NP keinen Kaus zugewiesen bekommt.
Kasuszuweisung erfolgt unter Rektion: Köpfe weisen ihren Argumenten morphosyntaktische Merkmale (u.a. Kasus) zu. Aus dem Kasusfilter folgt, dass alle NPs regiert werden müssen.
In einigen Beispielen unter ist der Kasusfilter verletzt, obwohl die NPs im Rektionsbereich eines
Kopfes liegen. Die Grammatikalitätsverteilung lässt darauf schließen, dass Köpfe Kasus nur in
eine Richtung zuweisen können. Die Richtung der Kasuszuweisung ist sowohl wortart- als auch
sprachspezifisch. Im Deutschen können – anders als etwa im Englischen – alle vier lexikalischen
Kategorien Kasus zuweisen:
Wortart
Verb
Richtung der Kasuszuweisung
links
Ich glaube, dass er dem Mann geholfen hat.
*Ich glaube, dass er geholfen hat dem Mann.
1
Adjektive
links
dem König treu
*treu dem König
Nomen
rechts
die Gründerin der Universität
*die der Universität Gründerin
Präposition rechts
von den Unterstützern
*den Unterstützern von
Tabelle 1: Richtung der Kasuszuweisung
Aus der festen Richtung der Kasuszuweisung folgt ein weiteres Prinzip des Phrasenaufbaus:
(5) Köpfe sind peripher, d.h. sie stehen am rechten oder am linken Rand ihrer Projektion.
Daraus ergeben sich für das Deutsche zwei Klassen von Phrasen: VPs und APs sind rechtsköpfig,
NPs und PPs linksköpfig.
Obwohl alle Wortarten Kasus zuweisen können, können nicht alle Kasus von jeder Wortart zugewiesen werden:
(6)
a.
b.
c.
d.
des Toten gedenken, dem Gärtner helfen, den Gral suchen, ein kluger Kopf sein
wegen ihrer Erkrankung, mit dem Ergebnis, für die Völker der Welt, *von der Hund
des Redens müde, dem König treu, *die Herzogin genehm
der Autor der „Schatzinsel“, *die Gilde den Werkzeugmachern, *das Haus den Fischer,
*die Freundin der Mann
Eine tabellarische Darstellung macht die Inklusionsbeziehung zwischen den Kasus sichtbar, die
eine Wortart prinzipiell zuzuweisen vermag:
Verb
Präposition
Adjektiv
Nomen
GEN
+ gedenken
+ wegen
+ müde
+ Autor
DAT
+ helfen
+ mit
+ treu
*
AKK
+ suchen
+ für
* (breit, lang)
*
NOM
+ sein, bleiben, werden
*
*
*
Tabelle 2: Inklusionsbeziehung bei der Kasuszuweisung
Es ergibt sich eine Hierarchie der regierten Kasus:
2
(7)
a. NOM > AKK > DAT > GEN
b. Wenn eine Wortart Mitglieder hat, die Kasus X zuweisen, dann hat sie auch Mitglieder, die Kasus Y zuweisen.
Umgekehrt gilt:
(8)
a. *DAT > *AKK > *NOM
b. Wenn eine Wortart kein Mitglied hat, das Kasus X zuweist, dann hat sie auch kein
Mitglied, das Kasus Y zuweist.
Der Genitiv ist der vielseitigste unter den lexikalisch regierten Kasus, da er von allen Wortarten
zugewiesen werden kann. Umgekehrt ist die lexikalische Rektion des Nominativs am stärksten
eingeschränkt: Nur drei Verben des Deutschen (sein, bleiben und werden) sind in der Lage, auch
in ihrer infiniten Form den Nominativ zu regieren. Diese Verben regieren zudem ausschließlich
den Nominativ, d.h. es gibt kein einziges deutsches Wort, das den Nominativ in Kombination
mit irgendeinem anderen Kasus zuweist.
Verben sind hinsichtlich der Kasusrektion die vielseitigste Wortart. Sie können alle Kasus des
Deutschen regieren und sind darüber hinaus in der Lage, zwei Kasus gleichzeitig zu regieren. Bei
bitransitiven Verben muss mindestens eines des beiden Objekte im Akkusativ realisiert werden
(Ausnahmen s.u.):
Akk & Dat
Akk & Gen
Akk & Präp
Dat & Präp
geben, schulden, schenken, widmen, verbitten, ...
beschuldigen, zeihen,...
beglückwünschen, verraten, hindern, bitten, ...
trachten, danken,...
Tabelle 3: Intransitive Verben
Auch die meisten transitiven Verben regieren den Akkusativ:
3
Akk
bekommen, verschlingen, segnen, besetzen, bedauern, beteuern,
reuen, fürchten, beklagen, erfreuen, entscheiden, unterwerfen, ärgern, entbehren, begnadigen, bekräftigen, bemalen, verbrennen, begleiten, krönen, schänden, entwöhnen, erziehen, lüften, verehren,
begrenzen, begründen, reinigen, säubern, verschmutzen, erzürnen,
knechten, wecken, schwängern, gefährden, aufbürden, befürchten,
schädigen, verköstigen, ängstigen, dauern, nötigen, zwingen, vergewaltigen, bändigen, beherzigen, fertigen, verursachen, vernichten,
bombadieren, ahnen, leeren, hören, vergessen, beerdigen, würdigen,
besänftigen, tätigen, genießen, wärmen, erledigen, erwähnen, einschläfern, einfangen, essen, singen, steuern, malen, stricken, backen,
verbrennen, schlachten, stören, probieren, kosten, pflügen, foltern,
zerbrechen, lackieren, predigen, schrubben, abschreiben
Dat
gefallen, gleichen, ähneln, frönen, vertrauen, begegnen, zürnen, genügen, huldigen, helfen, gehören, ...
Gen
gedenken, bedürfen, ermangeln, entraten, entsagen, ...
reflexiv
abmühen, auskennen, beeilen, verlieben, weigern, ...
finiter Satz
glauben, meinen, fragen, behaupten, wissen, ...
infiniter Satz
versuchen, versprechen, befehlen, sehen, scheinen, ...
Präpositionalobjekt achten, wohnen, dauern, entstehen, warten, ...
Tabelle 4: Transitive Verben
Der Akkusativ wird deshalb als struktureller Kasus von Verben bezeichnet. Damit wird ausgedrückt, dass verbale Komplemente in der Regel den Akkusativ tragen und dass die Akkusativzuweisung durch ein Verb nicht in seinem Lexikoneintrag vermerkt werden muss. Die übrigen
Kasus sind lexikalische oder oblique Kasus. Ihre Zuweisung durch einen verbalen Kopf muss im
Lexikon aufgeführt werden (z.B. gedenken: [NPGEN _], helfen: [NPDAT _]).
Auch bei Präpositionen läßt sich ein struktureller Kasus identifizieren, allerdings unter paradigmatischer Betrachtung: Viele Präpositionen können ebenfalls zwei Kasus zuweisen, wenn auch
niemals beide im gleichen Syntagma, also niemals beide zugleich. So schwankt etwa der von trotz
regierte Kasus, und es finden sich synchron Belege mit Genitiv, aber auch solche mit Dativ. Lokale
Präpositionen kommen zudem mit Akkusativ vor, wenn sie eine Richtung angeben, dagegen mit
Dativ, wenn sie einen Ort bedeuten. Der strukturelle Kasus wäre bei den Präpositionen somit der
Dativ, lexikalische Kasus Akkusativ und Genitiv.
Hausaufgaben:
1. Welche(n) Kasus können folgende Lexeme zuweisen?
• veräußern, Retter, mittels, Handwagen, lachhaft, verpflichten, angenehm, Haushaltsentwurf, betrinken, entledigen, Hans, spektakulär, treu, treudoof
2. Welche lexikalischen bzw. obliquen Kasus können Nomina zuweisen?
4
3. Welche Kasus kann die fiktive Kategorie L zuweisen, die keinen Dativ zuweisen kann?
Berücksichtigen Sie die Kasushierarchie im Deutschen.
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