Öffentliche Uraufführung des Dokumentarfilms und Podiumsgespräch Ein Tag zählt wie ein Jahr. Die Frauen von Hoheneck. 8. März 2011 19 Uhr in der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Kronenstr. 5, 10117 Berlin Seit einigen Jahren erinnert die Bundesstiftung Aufarbeitung anlässlich des Internationalen Tags für die Rechte der Frauen am 8. März an die politische Verfolgung von Frauen in der sowjetisch besetzten Zone und der späteren DDR. In diesem Jahr, dem 100. Internationalen Tag für die Rechte der Frauen, begrüßte die Geschäftsführerin Anna Kaminsky ein überfülltes Haus. Anna Kaminsky sprach einleitend darüber, dass auch Frauen in der Diktatur Opfer von Repression und Haft wurden. 1950 seien die ersten, aus politischen Gründen inhaftierten Frauen aus sowjetischen Speziallagern in das Gefängnis Burg Hoheneck in Stollberg bei Chemnitz überführt worden. Mit der Übergabe an die DDR-Justiz hofften viele von ihnen auf Haftentlassung, stattdessen verschlechterten sich ihre Haftbedingungen in Hoheneck noch. Dieser Teil der SED-Verbrechen wurde in Öffentlichkeit bislang wenig beachtet. Anna Kaminsky betonte, dass Hoheneck „das Symbol für politische Verfolgung von Frauen“ sei. Der Dokumentarfilm ‚Ein Tag zählt wie ein Jahr. Die Frauen von Hoheneck’ von Kristin Derfler und Dietmar Klein solle dem Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen. Er wurde von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. In ‚Ein Tag zählt wie ein Jahr’ erzählen ehemalige Inhaftierte von ihren Erfahrungen im Frauengefängnis Hoheneck. Die Frauen, die zwischen 1950 und 1989 in Hoheneck in Haft waren, wurden u.a. für den Versuch die DDR zu verlassen, systemkritischer politischer Aktionen oder ob des Vorwurfs der Spionage verurteilt. Daneben saßen in Hoheneck auch Frauen, die wegen Mordes oder Mittäterschaft an NS-Verbrechen verurteilt waren. Aufgrund der ideologischen Prägung der DDR-Justiz standen die politischen Häftlinge am unteren Ende der Gefängnishierarchie. Die Frauen, die Hoheneck in verschiedenen Jahrzehnten erlebt haben, berichten von katastrophalen Haftbedingungen, wie der Unterbringung in überfüllten Zellen und der Ernährung durch minderwertige Lebensmittel. Außerdem schildern sie Formen von Erniedrigungen, die sie erfahren haben. Sie waren besonders psychischem Druck ausgesetzt, der durch aggressiven Drill, verwehrter Privats- und Intimsphäre und der strikten Regulierung von persönlichen Kontakten ausgeübt wurde. Als besonders perfides wie häufiges Mittel der Repression wurde die Information und Nicht-Information über die Kinder der Gefangenen benutzt. Aber sie entwickelten auch Überlebensstrategien. So erzählt eine Frau vom Schlachtruf ‚Glaube, Liebe, Hoffnung!’, mit dem sie und ihre Mitgefangenen sich gegenseitig aufbauten; andere unterrichteten sich gegenseitig oder versuchten nicht aufzufallen. Allen gemeinsam scheint die stetige Erschütterung über das Geschehene zu sein, die sie immer wieder in die Sprachlosigkeit treibt. Trotzdem werden vor allem selbstbewusste Frauen gezeigt, die anklagen ohne sich dabei in einer Opferrolle zu verlieren. Im Anschluss an die Premiere moderierte die Publizistin Doris Liebermann ein Podiumsgespräch. Zu Ellen Thiemann und Uta Franke, die auch im Film auftraten, gesellte sich Ingeborg Linke, die zu den ersten Frauen gehörte, die 1950 in das Gefängnis Hoheneck verlegt wurde. Diese von Frau Linke repräsentierte Gruppe sei im Film unterrepräsentiert, konstatierte Liebermann. Ingeborg Linke wurde 1946 als Schülerin der elften Klasse in Frankfurt Oder verhaftet, weil sie, wie ihre Klassenkameraden, am 1. Mai statt roter Nelken gelbe Jasminblüten trug. Ihr wurde Spionage vorgeworfen, wofür sie zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Sie kam nach Bautzen, ins sowjetische Speziallager in Sachsenhausen und war 1950 unter jenen 1119 Frauen, die zusammen mit 30 Kindern in die Burg Hoheneck kamen. „Wir haben uns gefreut, als wir gehört haben, wir kommen zu den Deutschen“, berichtete Linke, doch ihre Hoffnungen seien schon mit der Begrüßung in Hoheneck zerschlagen worden. „Wenn es eine Gerechtigkeit gäbe, wären sie längst verreckt. Sie sind schlimmer als die schlimmsten Mörderinnen“, hörten sie dort. 1955 wurde Ingeborg Linke nach 8 Jahren Haft in den Westen entlassen und später rehabilitiert. Als Lehrerin für Deutsch und Geschichte sprach sie mit ihren Schülern über ihre Erlebnisse im DDR-Gefängnis. Uta Franke, die in Leipzig an politischen Diskussionsrunden teilgenommen und ein Flugblatt mit systemkritischen Inhalt gedruckt hatte, wurde 1979 wegen ‚staatsfeindlicher Hetze’ verurteilt und in Hoheneck inhaftiert. Auf dem Podium schilderte sie ihren Schock über die Verhältnisse in Hoheneck. Als Kind der DDR, wie sie sich selbst bezeichnet, war ihr Bild von ‚sozialistischen Haftbedingungen‘ ein humanes – ganz im Gegenteil zum ‚kapitalistischen Westen‘. Ihre Erfahrungen in Hoheneck revidierten dieses Bild. Als Strafe für ihre geringe Produktivität bei der Gefängnisarbeit wurde sie in eine Zelle mit Schwerverbrecherinnen verlegt, wobei die Wärterinnen einen Freikauf durch die Bundesrepublik Deutschland suggerierten. Franke hatte in Hoheneck einen Ausreiseantrag gestellt. „Jetzt kriegen sie dich doch so klein“ befürchtete sie in ihrer neuen Zelle. Doch statt aufzugeben begann sie die Frauen zu befragen – eine private soziologische Studie mit Menschen, denen sie außerhalb der Gefängnismauern nie begegnet wäre. So entwickelte sie ihre persönliche Überlebensstrategie. Auch Ellen Thiemanns Geschichte über ihre Verhaftung und Verurteilung wegen geplanter Republikflucht wurde im Film geschildert. Moderatorin Doris Liebermann befragte sie zu ihren Publikationen über die Zeit in Hoheneck. Nach ihrer zweijährigen Haft in den 1970er Jahren und ihrer späteren Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland arbeitete Thiemann als Journalistin und schrieb 1984 ihr erstes und vielbeachtetes Buch über die Verbrechen der SEDJustiz. 1990 kehrte sie im Rahmen einer Lesereise nach Stollberg zurück. Dort traf sie, 15 Jahre nach ihrer Haftentlassung, auf den ihr bekannten Gefängnisleiter. Trotz Morddrohungen las sie aus ihrem Buch und entdeckte im Publikum ehemalige Gefängniswärterinnen: „Da saß ’ne ganze Reihe Wachteln“. ‚Wachteln‘ ist die kollektive Bezeichnung der Hoheneckerinnen für Gefängniswärterinnen. Hoheneck wurde noch bis 2001 als JVA weitergeführt. 2002 wurde die Burg verkauft und sollte als Themenhotel ‚Knast’ Touristen anlocken, was durch ‚Den Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen’ verhindert werden konnte. Derzeit werden auf Absprache Führungen durch die ehemalige Gefängnisanlage angeboten. Der Dokumentarfilm ‚Ein Tag zählt wie ein Jahr’ wird im Frühsommer 2011 in gekürzter Fassung als DVD für den Unterricht erscheinen. Die gekürzte Fassung wird, neben einem Spielfilm über Hoheneck mit Ulrich Nöthen und Anja Kling, dessen Drehbuch ebenfalls von Kristin Derfler stammt, am 9. November 2011 im Rahmen eines Thementags in der ARD gezeigt. Julia Ely, Berlin