Vorlesung „Grundlagen der Entwicklungspsychologie“ Exkurs

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Vorlesung
„Grundlagen der Entwicklungspsychologie“
Exkurs: Allgemeines
Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft Universität Graz
HörerInnenzahlen im WS 2012/13:
1901 Studierende im Bachelorstudium Pädagogik
18 Studierende im Diplomstudium Pädagogik
591 Studierende in den Masterstudien
118 Studierende im Doktoratsstudium, Fach Pädagogik
2628 Studierende insgesamt (ohne Lehramtsstudierende)
Betreuungsrelationen (bei derzeitigem Personalstand):
5 UniversitätsprofessorInnen (Egger, Gasteiger, Heimgartner, Hopfner, Wustmann,) 1: 526
3 ao. UniversitätsprofessorInnen (Mikula, Rossmann, Sprung)
2 Lecturer (Friehs, Sorgo)
Zusammen 10 habilitierte UniversitätslehrerInnen 1 : 263
Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft: erziehungs-bildungswissenschaft.uni-graz.at/
Uni Graz: http://www.uni-graz.at
UNIGRAZonline: https://online.uni-graz.at
PRÜFUNGSSTOFF: Rossmann, P. (2012). Einführung in die Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters (2.,
überarb. Aufl.). Bern: Huber.
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Kapitel 1: Zweck und Gegenstand der Entwicklungspsychologie
Die wissenschaftliche Psychologie bezweckt die Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Beeinflussung
menschlichen Verhaltens und Erlebens. Entwicklungspsychologie ist ein Teilgebiet dieser Wissenschaft und
beschäftigt sich mit Verhalten und Erleben unter dem Aspekt ihrer Veränderung über die Zeit.
Ziele entwicklungspsychologischer Forschung:
• Orientierung über den menschlichen Lebenslauf
• Beschreibung der typischen Entwicklung und der typischen Probleme in bestimmten Lebensabschnitten
• Erstellung von Entwicklungsnormen
• Kennenlernen der Auswirkungen verschiedener Entwicklungsbedingungen
• Vorhersage ihrer Wirkungen
• Erkennen atypischer Entwicklungsverläufe
• Planung, Durchführung und Evaluation von Interventionen
Die psychische Entwicklung ist eng verknüpft mit der körperlichen Reife und gesellschaftlichen Bedingungen.
Entwicklungsprozesse
Sämtliche ontogenetischen Veränderungen, die relativ langfristig sind, eine irgendwie geartete Ordnung und einen
inneren Zusammenhang aufweisen und mit dem Lebensalter in einer mehr oder weniger engen Beziehung stehen.
(Trautner, 1992)
[Ontogenese: Entwicklung eines einzelnen Lebewesens
Phylogenese: stammesgeschichtliche Entwicklung einer ganzen biologischen Art]
Aspekte von Entwicklungsprozessen:
• Wachstum: Quantitative Aspekte des Entwicklungsgeschehens (in der Biologie: Volumenszunahme), zB des
Wortschatzes
• Reifung: Entfaltung von genetisch festgelegten Strukturen und Funktionen, zB Geschlechtsreifung
• Differenzierung: Prozesse der fortschreitenden Verfeinerung, Spezialisierung und Strukturierung von
Funktionen und Verhaltensweisen, zB Differenzierung von Emotionen im Säuglingsalter
• Lernen: Verhaltensänderungen oder Änderungen im Verhaltenspotenzial aufgrund von Erfahrung, Übung
oder Beobachtung, aber nicht aufgrund von Ermüdung oder Verletzung
• Prägung: Irreversible Spezialisierung eines Auslöseschemas für Instinkthandlungen innerhalb einer "kritischen
Phase" (sensiblen Periode), besondere Bereitschaft für bestimmte Lernerfahrungen, die zu einem späteren
Zeitpunkt nicht mehr nachgeholt werden können, zB Sprachentwicklung
• Sozialisation: Einfluss soziokultureller Faktoren auf die Entwicklung im Sinne des Hineinwachsens in eine
Gesellschaft.
[Ethologie: vergleichende Verhaltensforschung
Ethnologie: kulturvergleichende Völkerkunde]
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Kapitel 2: Historische Anfänge der Entwicklungspsychologie
Entwicklungspsychologie als empirische Wissenschaft
Empirische Wissenschaft (Erfahrungswissenschaft):
Erkenntnisgewinn orientiert sich an den folgenden Prinzipien: Wiederholbarkeit, Überprüfbarkeit, Intersubjektivität.
Wissenschaftstheorie: Wissenschaft von der wissenschaftlichen Erkenntnis, (Metatheorie) untersucht Begriffe,
Voraussetzungen und Methoden der Wissenschaft(en)
[Formalwissenschaften: Aussagen sind logisch wahr oder falsch
Empirische Wissenschaften: Aussagen sind faktisch wahr oder falsch]
Rationalismus (17. Jh.): Verstand und Vernunft
Erkenntnis beruht im Wesentlichen auf der Vernunft, nicht auf der Erfahrung. Es gibt ewige Grundwahrheiten, die
allein mit Hilfe der Vernunft mit Gewissheit erkannt werden können. Von diesen Grundwahrheiten kann die
gesetzmäßige Ordnung der Welt widerspruchsfrei abgeleitet und daher ebenfalls durch die Vernunft erkannt werden.
Dies ist möglich, weil der menschlichen Vernunft bereits die obersten Wahrheiten, Ideen und Begriffe angeboren sind,
zB die Vorstellung eines Gottes oder die Gesetze der Mathematik. Erkenntnis ist daher ein Wiedererkennen der in der
Seele schlummernden Vorstellungen. (Vertreter: René Descartes, Benedikt Spinoza, Gottfried W. von Leibniz)
bekannter Satz von Descartes: Cogito, ergo sum.
Empirismus (17. Jh.): Erfahrung und die auf der Erfahrung beruhende Erkenntnis
Erkenntnis kann nur aus der empirischen Erfahrung gewonnen werden. Eine absolute Gültigkeit von Gesetzen, Werten
und Normen wird abgelehnt, ebenso alles An- und Eingeborensein bestimmter Ideen, Grundsätze usw. im Menschen.
(Vertreter: John Locke, David Hume, John Stuart Mill, Francis Bacon)
bekannte Sätze von John Locke: Nihil est in intellectu quid non prius fuerit in sensu. (Nichts ist im Verstand, was nicht
vorher in den Sinnen war). Der menschliche Verstand ist bei der Geburt eine „tabula rasa“.
Millieupessimistischer Ansatz nach Rousseau (18. Jh.):
Die menschliche Entwicklung ist von der Natur weitgehend vorgegeben. Pädagogisches Handeln behindert die
Entfaltung der guten Anlagen. Erziehung sollte sich daher darauf beschränken, dem jeweiligen Reifestand
angemessene Lernangebote zu machen. Jeder Versuch der autoritären Durchsetzung von Erziehungszielen schadet
der Entfaltung der guten Anlagen des Menschen.
Darwin (19. Jh.):
Anpassung an den Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion. Die Entwicklung des Individuums
(Ontogenese) wiederholt die Entwicklung der ganzen Art (Phylogenese).
Darwins Erkenntnis führt zur Entstehung der erfahrungswissenschaftlich orientierten Entwicklungspsychologie, die
sich nun kinderpsychologischen Fragestellungen, der Tierpsychologie und völkerpsychologischen Studien zuwendet,
um Ablauf und Gesetzesmäßigkeiten der Phylogenese zu erforschen.
weitere Einflüsse:
Logischer Empirismus, Neopositivismus (20. Jh.): Es ist Aufgabe der Philosophie, eine "wissenschaftliche
Weltanschauung" zu entwerfen. Gültig ist dabei nur das positiv Erfahrbare und logisch Überprüfbare ("Wiener Kreis":
Rudolf Carnap, Moritz von Schlick, Otto Neurath u.a.). Empiristisches Sinnkriterium: Es wird nur solchen Aussagen ein
legitimer Anspruch auf Erkenntnis zugestanden, die im Prinzip von jedermann überprüfbar sind, vorausgesetzt er/sie
ist hinreichend intelligent und verfügt über die erforderliche Ausrüstung und Ausbildung. Alles andere ist
metaphysisch und empirisch sinnlos.
Kritischer Rationalismus (Popper): Eine Theorie kann aufgrund empirischer Überprüfungen niemals eindeutig und
endgültig als wahr oder falsch bezeichnet werden. Die "Wahrheit" ist mittels empirischer Untersuchungen nur
approximierbar (Bewährung einer Theorie).
Babybiographien wurden verfasst von Dietrich Tiedemann (18. Jh.), Wilhelm Preyer, Millicent Shinn (19. Jh.) sowie
Clara und William Stern (Anfang 20. Jh.).
Die Etablierung als eigenständige Wissenschaft erfolgt zu Beginn des 20. Jh.. Heutzutage scheinen einheitliche
Theorien nicht mehr haltbar, stattdessen geht es nun um Theorien mittlerer und kürzerer Reichweite.
Stanley Hall als amerikanischer Begründer der Entwicklungspsychologie entwickelte Fragebogenverfahren zur
Beurteilung von Kindern und schrieb ein monumentales Werk über das Jugendalter.
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Kapitel 3: Methoden der Entwicklungspsychologie
Theorien sind wissenschaftliche Aussagen und dienen zur ordnenden Beschreibung und Erklärung von Phänomenen.
Hypothesen sind (theoretisch) begründete Annahmen über einen Sachverhalt in der Realität.
Zur Hypothesenprüfung:
Theorie
Hypothesen
Experiment (Erhebung): Operationalisierung
Daten: Beobachtungen, Messwerte
[deduktiver Schluss: vom Allgemeinen aufs Besondere
induktiver Schluss: vom Besonderen aufs Allgemeine
Perzentile: Prozentkurven]
Social Learning Theory von Albert Bandura (1973):
Aggressives Verhalten wird erlernt: “The specific forms that aggressive behaviour takes, the frequency with which it is
displayed, and the specific targets selected for attack are largely determined by social learning factors.” “Bobo doll”
experiment (kindliche Aggression durch Einschlagen auf Plastikstehaufmännchen)
Unterscheidung der Methoden anhand von drei Aspekten:
Art der Datengewinnung:
Systematische Beobachtung: exakte Definition der Verhaltenskategorien dient der Vermeidung von
Datenverzerrungen durch Beobachtungsfehler; Methoden: repräsentativer Ausschnitt, Zeitstichprobe,
Ereignisstichprobe, Blindversuche, Doppelblindversuche
Interviews: strukturierte/standardisierte Interviewleitfäden erfassen nicht die tatsächliche soziale Interaktion,
sondern die Selbstbeurteilung, daher Problem der Selbstpräsentationstendenzen; empfohlen wird die Kombination
mit Fremdbeurteilungen und/oder Beobachtungsdaten
Fragebogen und Tests: maximale Standardisierung der Befragungssituation. Der Vergleich mit Normdaten ergibt die
relative Position (ausgedrückt in Prozentrangwerten). Selbstpräsentationstendenzen kann begegnet werden durch
Fremdbeurteilung: Peer-Nomination-Techniken („guess-who“-Technik)
Physiologische Variablen: physikalisch-technische Daten, zB Körpergröße, Blutdruck, ..
Kontrolle über Beobachtungssituation:
Fallberichte: Die Beobachtung von Einzelfällen führt zur Erstellung von Hypothesen über mögliche Zusammenhänge
und Gesetzmäßigkeiten.
Korrelative Studien, Erhebungen: Überprüfung von Hypothesen, repräsentative Stichproben von Personen,
Zusammenhänge zwischen Variablen, Korrelationskoeffizient, keine Information über die Richtung von kausalen
Beziehungen.
Experimente: Gezielte Variation einer UV, Messung einer AV, Prüfung von Hypothesen über kausale Beziehungen
zwischen diesen Variablen (Variation in der UV ist eine der Ursachen für die Variation in der AV), aber ethische
Probleme beim Experimentieren.
Vorgangsweise bei der Abbildung von Alterseffekten
Querschnittstudien: Personen aus verschiedenen Altersstufen zum gleichen Zeitpunkt beobachtet. Ökonomisch, aber
keine Information über intraindividuelle Veränderungen, Konfundierung von Alters- und Kohorteneffekten.
Längsschnittstudien: Beobachten einer Kohorte über längere Zeit. Sehr zeitaufwendig, Ausfall von ProbandInnen,
Probleme mit der Repräsentativität, Konfundierung von Alters- und Kohorteneffekten, prospektiv (UV einige Zeit vor
AV erfasst) (retrospektiv: UV soll rückblickend erfasst werden, Gefahr von Datenverzerrungen)
Sequenzielle Studien: Gleichzeitig mehrere zeitversetzt parallel laufende Längsschnittstudien, ermöglicht die
getrennte Beurteilung von Alters- und Kohorteneffekten, zB Freizeitverhalten bestimmter Altersgruppen. Sehr
aufwands- und zeitintensiv.
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Kapitel 4: Der Einfluss von Anlage und Umwelt
wurde lange Zeit diskutiert, heute ist davon auszugehen, dass die Wirkungsweisen miteinander verflochten sind.
ZB die Sehfähigkeit muss in der kritischen Phase bis zum 7. Lebensjahr ausgebildet und kann später nicht mehr
entwickelt werden (Versuche mit Katzen: 3 Monate / Affen: 1 Jahr). Anfänglich sind weit mehr Nervenzellen
vorhanden als notwendig, jene, die nicht gebraucht werden, sterben ab.
Die mendelschen Regeln beschreiben den Vererbungsvorgang bei Merkmalen, deren Ausprägung von nur einem Gen
bestimmt wird.
Es sind dies
die Uniformitätsregel: Kreuzt man zwei reine Rassen einer Art miteinander, so zeigen die direkten Nachkommen
das gleiche Aussehen.
die Spaltungsregel: Kreuzt man die Tochtergeneration untereinander, so spaltet sich die Enkelgeneration in einem
bestimmten Zahlenverhältnis auf. Dabei treten auch die Merkmale der Elterngeneration wieder auf.
und die Unabhängigkeitsregel: Kreuzt man zwei Rassen, die sich in mehreren Merkmalen unterscheiden, so
werden die einzelnen Erbanlagen unabhängig voneinander vererbt. Diese Erbanlagen können sich neu
kombinieren.
Im Kern jeder Körperzelle befinden sich 46 Chromosome in 23 Paaren (22 Autosomen, 1 Gonosom =
Geschlechtschromosom). Bei jeder Zellteilung spalten sich zuerst die Chromosomen und erzeugen einen vollständig
identischen Chromosomensatz. Nur Samen- und Eizellen enthalten nur einen einfachen Chromosomensatz und
werden erst durch die Verschmelzung miteinander vollständig (diploid).
Je zwei Chromosome enthalten in identischer Anordnung die gleichen Merkmale, die Gene, die Träger der
Erbinformation (menschliche Chromosome enthalten insgesamt etwa 20 – 40.000 Gene).
Die meisten Gene einer Spezies sind konstant, bei wenigen können an bestimmten Genorten auch verschiedene
Mutanten vorliegen. Diese werden Allele genannt. Sind die Allele an ihrer jeweiligen Position gleich, so spricht man
von einem homozygoten (reinerbigen) Merkmal. Sind sie unterschiedlich, so handelt es sich um ein heterozygotes
(mischerbiges) Merkmal. Allele können sich dominant, kodominant oder rezessiv verhalten.
[Monogenie: ein Gen ist zuständig für die Ausprägung eines Merkmals
Polyphänie: ein Gen ist zuständig für die Ausbildung mehrerer Merkmale
Polygenie: mehrere Gene sind zuständig für die Ausbildung eines Merkmals]
Eine ungünstige Kombination bei der Weitergabe der elterlichen Gene kann zu Anomalien (Erbkrankheiten) führen, zB
Lactoseintoleranz oder Bluterkrankheit, ebenso Zwischenfälle bei der Bildung von Ei- oder Samenzelle
(Chromosomenaberrationen). Jede fünfte Zygote (befruchtete Eizelle) weist zu viele oder zu wenige Chromosomen
auf. Häufige Trisomien: Down-Syndrom (Chromosom 21), Pätau-Syndrom (13), Edwards-Syndrom (18), KatzenschreiSyndrom (5), Wolf-Syndrom (4).
Veitstanz (Chorea Huntington) ist eine autosomal-dominant vererbte Krankheit, die um das 40. Lebensjahr auftritt und
innerhalb von 15 Jahren zum Tod führt.
Polygen vererbte Merkmale (mehrere Gene beteiligt) weisen eine erhöhte Beeinflussbarkeit durch Umwelteinflüsse
auf, zB Körpergröße.
Zusammenhang zwischen einem bestimmten Genotyp
und der Ausprägung psychologisch relevanter Merkmale eines Individuums (Phänotyp):
Rattenexperimente bezüglich Intelligenz belegen, dass beide Faktoren Einfluss haben: Tryon zeigt, dass es möglich ist,
kluge und dumme Ratten zu züchten; Cooper und Zubek weisen nach, dass die Umweltbedingungen (anregungsreich
oder –arm) auch sehr wichtig sind.
Studien mit Zwillings- und Adoptivkindern ergaben einen Erblichkeitsindex der Intelligenz von über .50.
Erblichkeit von Persönlichkeitsmerkmalen konnte jedoch kaum nachgewiesen werden (erschwert durch die
Kontrasteffekte in der Erziehung). Im Fall der Schizophrenie wird eine gewisse Vulnerabilität vererbt.
[Konkordanzrate: Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen dieselbe Störung aufweisen]
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Gliederung in Zeitabschnitte:
Pränatalperiode (prenatal period)
Säuglings- und Kleinkindalter (infancy and toddlerhood)
Vorschulalter (preschool period)
Schulkindalter (school age)
Jugendalter (adolescence)
Schwangerschaft
0 - 2½ Jahre 50 cm
2½ - 6 Jahre 90 cm
6 – 12 Jahre
13 – 18 Jahre
3 kg
14 kg
Kapitel 5: Die pränatale Entwicklung
[pränatal: vor der Geburt
perinatal: während der Geburt
postnatal: nach der Geburt]
Ei- und Samenzelle bringen jeweils einen haploiden Chromosomensatz mit. Die Nidation (Einnistung der Blastozyste in
die Gebärmutterschleimhaut) erfolgt ca. 1 Woche nach der Befruchtung und dauert bis zum Ende der zweiten
Entwicklungswoche. Durch Furchung und Zellteilung entsteht eine Zellkugel, dann eine dreiblättrige Keimschale. Das
Nervensystem entsteht aus dem Ektoderm, dem äußeren Keimblatt. Die Embryonalphase bezeichnet die Zeit von der
3. bis zur 8. Schwangerschaftswoche, in der alle Organanlagen gebildet werden. Nach 3 Monaten (1. Trimenon) sind
alle Körperteile und Organe ausgebildet. Im 2. Trimenon kann man Herzschläge hören und Bewegungen (räkeln,
strecken, gähnen) spüren. Nach 6 Monaten ist das Kind ca. 30 cm lang und 750 g schwer.
Das Gehirn umfasst etwa 100 Milliarden Neuronen. Die Verschaltung entwickelt sich in einem rapiden Wachstumsund Eliminationsprozess, bei dem die nicht benötigten und nicht benutzten Neuronen wieder absterben. Wesentliche
Funktionen sind bereits vor der Geburt ausgebildet, die Feinabstimmung erfolgt danach.
[Neuronen: langgestreckte Nervenzellen, die elektrische Impulse übertragen
Synapse: Kontaktstelle zur nächsten Nervenzelle]
Bei der Erregungsübertragung werden Transmittersubstanzen freigesetzt.
Afferente (sensorische) Bahnen verlaufen von der Peripherie zum Zentrum.
Efferente (motorische) Bahnen verlaufen vom Zentrum zur Peripherie.
3% der Kinder kommen mit angeborenen Missbildungen zur Welt (Spontanrate).
Exogene Faktoren
• physikalisch: Strahlenbelastung führt zu anormal kleinem Kopf und Gehirn
• chemisch: Antikörper (zB Rhesusfaktor: Frau RFnegativ + Mann RFpositiv falls Kind RFpositiv besteht die Gefahr,
dass die Mutter Antikörper bildet, v.a. für das nächste Kind), Medikamente (zB Chemotherapie, Epilepsie,
Blutverdünnung, Antibiotika, Contergan), Drogen, Gifte
• Infektionskrankheiten (Röteln, Masern, Syphilis, Toxoplasmose, HIV).
• Stress der Mutter während der Schwangerschaft: oft durch Zugehörigkeit zur Unterschicht und ledigen
Familienstand; erhöht die Wahrscheinlichkeit für Früh- und Leichtgeburten. Vielschichtig verflochtene
Problematik.
mögliche Untersuchungen: Ultraschall, Blut, Fruchtwasser
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Kapitel 6: Die Geburt
termingerechte Geburt: 38 Wochen post conceptionem (p.c.) / 40 Wochen post menstruationem (p.m.)
Frühgeburt: <37 Wochen p.m.
Übertragung: >42 Wochen p.m.
3 Phasen der Geburt:
• Eröffnungsperiode: Einsetzen der Wehen, Öffnung des Muttermunds, Aufspringen der Fruchtblase
• Austreibungsperiode: Kopf und Körper passieren den Geburtskanal
• Nachgeburtsperiode: Ausstoßen der Plazenta, Abnabelung
Die Geburt ist die gefährlichste Phase im Leben. Die Verwicklung der Nabelschnur oder die verfrühte Ablösung der
Plazenta können Sauerstoffmangel und Hirnblutungen auslösen und sind die häufigste Ursachen für perinatale
Schädigungen.
Mögliche Folgen: Hirnschäden, zerebrale Lähmungen, geistige Behinderung, Entwicklungsverzögerung.
Mögliche postnatale Schädigung: Netzhautschädigung durch zu hohe Sauerstoffzufuhr bei künstlicher Beatmung
Kindersterblichkeit:
Säuglingssterblichkeit: Sterbefälle von Geburt bis zum Ende des 1. Lebensjahres pro 1000 Lebendgeborene
Frühsterblichkeit / Spätsterblichkeit: erste 7 Tage / 8. Tag bis Ende 1. Lebensjahr
Neonatalsterblichkeit / Postneonatalsterblichkeit: erste 4 Wochen / 5. Woche bis Ende 1. Lebensjahr
Perinatalsterblichkeit: Totgeborene + bis zum 7.Tag Verstorbene pro 1000 Geburten
Die Perinatalsterblichkeit beträgt in Ö ca. 6 Promille, dank gesundheitlichem Standard und der Qualität der
medizinischen Versorgung. Frühgeborene und zu leichte Kinder, Buben, ältere Mütter und soziale Unterschichten sind
stärker gefährdet. Die Müttersterblichkeit beträgt etwa 7 pro 100.000 Geburten.
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Kapitel 7: Das Neugeborene
Größe und Gewicht von Neugeborenen
Körperlänge: im Schnitt ca. 50 cm, Gewicht: 3000 bis 3500 g
niedriges Geburtsgewicht (low birthweight, LBW): <2500 g, ca.6%
sehr niedriges Geburtsgewicht (very low birthweight, VLBW): <1500 g
extrem niedriges Geburtsgewicht (extremely low birthweight, ELBW): <1000 g
Mit intensivmedizinischer Betreuung ist das Überleben ab ca. 24 SSW und Gewicht unter 1000 g bereits möglich:
23. SSW: 10%, 24. SSW: 40%, 25. SSW: 60% Überlebenswahrscheinlichkeit, aber hohe Gefahr von Behinderung
APGAR-Index (Virginia Apgar, 1909 - 1974):
bewertet den Zustand des Neugeborenen bzw. seine Adaption an das extrauterine Leben 1, 5, und 10 Minuten nach
Geburt, wobei für Aussehen, Puls, Gesamttonus, Atmung und Reflexe jeweils 0 bis 2 Punkte vergeben werden
10 Punkte: optimaler Zustand, 4 bis 7 Punkte: erhöhtes Risiko der Perinatalsterblichkeit, darunter: starke Gefährdung
des Neugeborenen.
Einige empirische Studien zur Frühgeburtlichkeit
Breslau, Klein & Allen (1988): Längsschnittstudie über Kinder mit VLBW im Alter von 9 Jahren.
Hauptergebnisse: 73% der Kinder noch am Leben, davon 8% bleibende Behinderungen (zerebrale
Lähmungen, geistige Behinderung, Blindheit), in restlicher Gruppe im Schnitt niedrigerer IQ, mehr Probleme
bezüglich Aufmerksamkeit, Aggressivität und sozialer Kompetenz, aber soziale Schicht und Alter der
Kindsmutter könnten da ebenfalls eine Rolle spielen.
Goldberg, Lojkasek, Gartner & Corter (1989): Effekte der „caregiver responsiveness“
Defizite
gute Erziehung lindert
Stern & Hildebrandt (1986): Experiment zum Spielverhalten Erwachsener mit Frühgeborenen
der Erwachsenen um eine Frühgeburt beeinflusst ihr pädagogisches Verhalten negativ
das Wissen
Brooks-Gunn, Klebanov, Liaw & Spiker (1993) und Rauh, Achenbach, Nurcombe, Howell & Teti (1988):
Studien zu den Effekten von Trainingsprogrammen für Eltern von Frühgeborenen
Reflexe und motorisches Verhalten der Neugeborenen
[Gehirn: cortex cerebri: Großhirnrinde
kortikal: die Großhirnrinde betreffend
subkortikal: phylogenetisch ältere Hirnteile betreffend]
Das motorische Verhalten von Neugeborenen ist sehr stark von ihrem Konzeptionsalter (Alter seit der Zeugung)
abhängig. Umgekehrt kann das Konzeptionsalter durch die Beobachtung der Reflexe auf 2 Wochen genau bestimmt
werden. Die wichtigsten Reflexe:
•
Greifreflex (palmar / plantar: ab der 32. SSW p.c. bei allen Kinder feststellbar, verschwindet nach 9 Monaten /
1 Jahr wieder, sonst wären Greifen/ Stehen nicht möglich)
•
Rooting-Reflex (Brustsuchen, ab der 34. Woche)
•
Traktionsreflex (Hochziehen aus Rückenlage, ab der 37. Woche)
•
Asymmetrischer tonischer Nackenreflex (asymmetrische Muskelspannung bei Kopfdrehung)
•
Moro-Reflex (plötzlicher Gleichgewichtsverlust, ab der 32. / 40. Woche)
•
Schreitreflex (Gehbewegungen, wenn unter der Achsel hochgehalten)
•
Babinski-Reflex (Zehenspreizen bei Berührung der Fußsohle)
•
Magnetreflex, Glabellareflex, Pacing-Reaktion, Galant-Reaktion
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Sinnesleistungen von Neugeborenen:
Neugeborene können mit den Augen folgen, das Gesicht zu Grimassen verziehen und schreien. Sie reagieren auf
Lichtreize, Geräusche, Hunger, Kälte und Schmerzen und können zwischen süß, sauer, salzig und bitter unterscheiden.
Die akustische Reizschwelle liegt bei 40-55 Dezibel, vermutlich wegen Fruchtwasser im Mittelohr.
Meltzoff & Moore (1983) / Field et al. (1983): „protosoziale“ Verhaltensweisen (Babies imitieren
Gesichtsausdruck)
Fantz, 1958: Beobachtungsschachtel als Apparat zur Messung der visuellen Präferenz
interessanter als andere Babies können Unterschiede erkennen
manche Bilder sind
Maurer & Maurer (1988): Untersuchungen zur Sehschärfe Neugeborener mit der Methode der visuellen
Präferenz schwarzweiße Streifen sind interessanter als grau (Grenze der Sehfähigkeit liegt bei 2,5 mm
dicken Linien im Abstand von 30 cm) nach 8 Monaten ist die Sehfähigkeit komplett ausgebildet
Habituationstests (Habituationsparadigma):
Auf einen Umweltreiz folgen Orientierungsreaktionen (intensive Erhöhung der Aufmerksamkeit auf neuen
Umweltreiz) wie die Hinwendung zum Stimulus (Blickdauer), die Erweiterung der Pupillen, Verlangsamung von Puls
und Atmung, Erhöhung der Hautleitfähigkeit, Blockierung der Alpha-Wellen im EEG sowie eine Verringerung der
peripheren und eine Erhöhung der zentralen Durchblutung.
Solange eine Orientierungsreaktion auftritt, ist das Bild neu und interessant. Dann kommt es zu Habituation
(langsames Abflauen der OR), bei erneuten Reizen zu Dishabituation (Wiederauftreten der OR).
Habituationstests erlauben die Prüfung von Diskriminationsleistungen in allen Sinnesmodalitäten.
Mit Habituationstests sind Diskriminationsleistungen, aber auch Lernfähigkeit und Gedächtnis prüfbar.
Antell & Keating (1983): Wie weit können Babies „zählen“?
Neugeborene verbringen je 33% ihrer Zeit mit ruhigem bzw. aktivem Schlaf, 8% mit Dösen, 10% mit ruhigem
Wachsein, 11% mit unruhigem Wachsein und 5% mit Schreien und Weinen. Recht bald entwickelt das Kind
vorhersehbare Verhaltenszyklen (entsprechende Umgebung ist hilfreich). Manche sind „difficult children“ (ca. 10%)
ohne regelmäßige Schlaf- und Wachperioden und lassen nicht erkennen, ob sie wegen Nässe, Hunger, Trauer, Zorn
oder Müdigkeit schreien. Später oft psychopathologisch auffällig.
[Circulus vitiosus: Fehlschluss, bei dem die Voraussetzungen das zu Beweisende schon enthalten. Im Fall der difficult
children schaukeln sich anstrengendes Verhalten und Unsicherheit / Gereiztheit der Pflegeperson gegenseitig auf.]
protosoziale Verhaltensweisen:
Babies sind vollständig auf ihre Pflegepersonen angewiesen und starten sofort die soziale Interaktion (Verfolgen von
Gesichtern mit den Augen, Greifreflex, Weinen, Gesichtszüge nachahmen, …). Die Pflegeperson wird belohnt, die
soziale Zuwendung gesichert.
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Kapitel 8: Die ersten beiden Jahre
Säuglings- und Kleinkindalter (infancy and toddlerhood)
to toddle – watscheln, tapsen / toddler – “Tapsender” / toddlerhood – Kleinkindalter
Die körperliche Entwicklung kann in Wachstumskurven, Normkurven, Perzentilen (Prozenträngen) und
Relationsdiagrammen (Größe/Gewicht) angegeben werden.
Kinder wiegen bei Geburt ca. 3 kg, nach einem Jahr ca. 10 kg und nach 2 Jahren ca. 12 kg.
Sie sind zu dieser Zeit etwa 50 cm, 75 cm und 85 cm groß.
Nach einem Jahr verschwinden die Reflexe des Neugeborenen und werden durch willkürlich kontrollierte
Bewegungsmuster ersetzt. Die Entwicklung der Motorik erfolgt cephalo-caudal (vom Kopf zum Steiß) und proximodistal (vom Zentrum zur Peripherie), also zuerst der Kopf, dann Arme und Beine, dann Hände und Füße.
säkulare Akzeleration: beschleunigte motorische Entwicklung gegenüber früheren Generationen
Entwicklung der Fortbewegung
Säugling:
erste 5 Monate: Kopf heben und bewegen (Kopf, Nacken, Brust)
ca 6. bis 8. Monat: sitzen, rollen, umdrehen (gesamter Rumpf)
ca 8. bis 9. Monat: mit den Armen robben (Fortbewegung)
ca 10. Monat: krabbeln
Kleinkind:
ca 12. bis 15. Monat: aufrecht gehen
Dennis & Dennis (1940): Studie bei Hopi-Indianern: Entwicklung der Fortbewegung ist weitgehend
reifungsabhängig, lässt sich kaum beschleunigen oder verhindern
[phylogenetische skills: stammesgeschichtliche Entwicklung der Gesamtheit aller Lebewesen
ontogenetische skills: Entwicklung der einzelnen Individuen einer Art]
Zuerst entwickelt das Kind das palmare Greifen (alle Finger drücken gegen Handfläche), dann den Pinzettengriff (mit
ausgestrecktem Zeigefinger und Daumen) und schließlich den Zangengriff (gebeugter Zeigefinger und Daumen).
Sudden Infant Death Syndrome (SIDS)
häufigste Todesursache für Kinder zwischen 1 Monat und 1 Jahr (ca. 2 Promille der Lebendgeborenen)
aufgrund bis heute unerklärlichem Aussetzen der Atmung
Risikofaktoren: Geschwister von SIDS-Opfern, Frühgeburt, niedriges Geburtsgewicht, neonatale Erkrankungen,
Schlafen in Bauchlage (unbedingt vermeiden!), rauchende Mutter, verrauchte Luft und hohe Temperatur im
Schlafraum, Hitzestau durch zu warme Decken
Kognition: Sammelbezeichnung für alle Vorgänge und Strukturen, die mit dem Gewahrwerden und Erkennen
zusammenhängen. (Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung, Lernen, Denken, Problemlösen...)
kognitive Entwicklung: Entwicklung von Wahrnehmungsleistungen
Als Parallaxe bezeichnet man die scheinbare Änderung der Position eines Objektes, wenn der Beobachter seine eigene
Position verschiebt. Tiefensehen (stereoskopisches Sehen) wird möglich durch die Ausnutzung der parallaktischen
Verschiebung zwischen den beiden Augen.
Granrud, Yonas & Pettersen (1984): ab dem 5. Monat können Kinder Entfernungen unterscheiden
Gibson & Walk (1960): „visual cliff“ Ausnutzung der Bewegungsparallaxe; Tierversuche zeigen: Je wichtiger
optische Eindrücke für das Überleben sind, desto früher werden Abgründe erkannt Fähigkeit ist angeboren
und braucht nicht erlernt zu werden.
Bower (1966) und Day & McKenzie (1981) untersuchen Konstanzphänomene (von Helligkeit, Farben, Formen
und Größen): bereits frühzeitig können unterschiedliche Größen und Entfernungen erkannt werden
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Jean Piaget (1896-1980): Stufen der kognitiven Entwicklung
•
Sensumotorische Periode (1. und 2. Lebensjahr): legt die Wurzeln des Denkens
Repräsentation der Handlungen
Objektpermanenz, innere
•
Stufe des voroperatorischen anschaulichen Denkens (2. bis 7. Lebensjahr)
semiotische Funktion, Egozentrismus, mangelnde Reversibilität
•
Stufe der konkreten Operationen (7. bis 10. Lebensjahr)
Reversibilität, induktive Schlussfolgerungen
•
Stufe der formalen Operationen (ab ca. 11. Lebensjahr)
deduktive Schlussfolgerungen
Fähigkeit zu abstraktem Denken, induktive und
repräsentatives Denken,
Sensumotorische Periode:
•
1. Stadium (erster Monat): Übung angeborener Reflexe und erste Differenzierung von Handlungsschemata
(Saugen an Brust, Flasche und Daumen): Personen und Dinge werden wahrgenommen, aber noch nicht als
unabhängig begriffen
•
2. Stadium (1 bis 4 Monate): Primäre Kreisreaktionen (Wiederholung von angenehmen Handlungen, zB Greifen):
Erwartungshaltung, dass Dinge auch noch da sind, wenn man kurz wegschaut
•
3. Stadium (4 bis 8 Monate): Sekundäre Kreisreaktionen (Verknüpfung von Aktionen wird erkannt, zB Strampeln
und Glöckchen): herunterfallende Gegenstände werden mit den Augen verfolgt, solange sie sichtbar sind
•
4. Stadium (8 bis 12 Monate): Anwendung bekannter Schemata in neuen Situationen (verschiedene
Möglichkeiten zum Umgang mit einem Baustein): Kinder suchen versteckte Gegenstände, allerdings immer am
üblichen Ort; Unterscheidung zwischen bekannten und fremden Personen
•
5. Stadium (12 bis 18 Monate): Tertiäre Kreisreaktionen (aktives Experimentieren zur Entdeckung neuer
Schemata, zB Tischdecke herziehen, um Spielzeug zu erreichen): versteckte Gegenstände werden dort gesucht,
wo sie versteckt wurden
•
6. Stadium (18 bis 24 Monate): Übergang zum Handeln in der Vorstellung (Antizipation der Folgen möglicher
Handlungen): Objektpermanenz ist erreicht, über konkrete Ereignisse kann bereits in der Vorstellung
nachgedacht werden; „Erwachen der Intelligenz beim Kinde“
Objektpermanenz: ein Gegenstand existiert, auch wenn ich ihn nicht sehe
Stadium-4-Fehler: Gegenstand wird am üblichen Ort gesucht, auch wenn zugeschaut wurde, dass woanders versteckt
„repräsentationales“ Denken als Voraussetzung für den Spracherwerb (Denken vor Sprache): Maße, Symbole und
Zeichen werden in den Denkprozess einbezogen
semiotische Funktion: Die Fähigkeit, ein Objekt oder Phänomen durch ein anderes mental zu repräsentieren. zB
„Auto“: ein Objekt wird durch ein anderes, eine Vorstellung oder ein Symbol ersetzt
Exkurs: Verwendung von Gesten (Zusammenhänge zwischen Verwendung von Gesten und Spracherwerb)
vorsymbolische Gesten (z.B. etwas zeigen)
referentielle Gesten (z.B. auf etwas deuten)
konventionalisierte Gesten (z.B. winken, klatschen...)
Baillargeon, R. (1987): Untersuchung zur Entwicklung der Objektpermanenz bei 3½- und 4½ -Monate alten
Kindern: schon in Stufe 2 und 3 scheinen verschwundene Gegenstände zu irritieren
Spracherwerb:
Szagun, G. (1996): Sprachentwicklung beim Kind / (2007): Das Wunder des Spracherwerbs.
Nußbeck, S. (2007): Sprache – Entwicklung, Störungen und Intervention.
Lenneberg (1962): Bericht über Fall von Anarthrie bei 8-jährigem Buben (Unfähigkeit zur Artikulation):
Spracherwerb ist durch operantes Konditionieren (Lernen am Erfolg) und Imitationslernen allein nicht
erklärbar. Annahme: angeborenes genetisches Programm zur Ermöglichung des Spracherwerbs innerhalb
eines bestimmten Zeitfensters (kritische Phase)
Curtiss (1977): „Das Mädchen Genie“ (13jährige konnte Spracherwerb teilweise nachholen)
Der Spracherwerb folgt anscheinend einem angeborenen genetischen Programm, findet in allen Kulturen ähnlich
statt, benötigt weder besonderes Training noch Intelligenz noch Verständnis der sprachlichen Strukturen; ist also
reifungsabhängig und kann durch Umwelteinflüsse nur wenig beschleunigt oder verzögert werden.
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Zum Erwerb von Wortbedeutungen
Wortschatz im Kleinkindalter (große interindividuelle Unterschiede im Entwicklungstempo):
1. Geburtstag: „Mama“, „Dada“
16 Monate: ca 10 Worte
17 Monate: ca 20 Worte,
ab 18 Monaten: Stadium 6: Konzept der Objektpermanenz wurde begriffen Beschleunigung des Erwerbs neuer
Worte
24 Monate: ca 200 Worte; individuelle Zuwendung ist notwendig, sonst gewöhnt sich das Kind daran, in einer Welt
von Dingen zu leben, deren Namen es nicht kennt
6 Jahre: ca 2.500 Worte aktiv, ca 13.000 Worte passiv
sehr große individuelle Unterschiede, aber wenn erste Worte erst nach Vollendung des 2. Lebensjahres, handelt es
sich um einen verzögerten Sprachbeginn (häufige Ursachen: Hörschäden, Hirnschäden, Vernachlässigung)
[Intermittierende Verstärkung: Verstärkungslernen durch nicht regelmäßige Belohnung von erwünschtem Verhalten;
zB manchmal Schokolade für Helfen im Haushalt erwünschtes Verhalten tritt häufiger auf]
Lächeln – Fremdeln - Trennungsangst
in den ersten Lebenswochen: bisweilen „endogenes“ Lächeln, wenn schläfrig oder schlafend
etwa ab der sechsten Woche: Lächelreaktion, soziales Antwortlächeln:
Spitz & Wolf, 1946: „smiling response“
Ahrens (1954):
o 2. Monat: Zwei Punkte auf Pappattrappe reichen für smiling response
o 5. Monat: Attrappe mit Augen und Mund reicht, danach wird der Unterschied zu echtem Gesicht
erkannt
o 8. Monat: nur bekannte Gesichter werden angelacht; „Fremdeln“, „Achtmonatsangst“, Trennungsangst
Erwachende Objektpermanenz als Voraussetzung für die Unterscheidung zwischen „bekannt“ und „unbekannt“.
Sowohl Lächelreaktion wie auch Fremdeln sind vermutlich phylogenetische Erbschaften, die evolutionsbiologische
Selektionsvorteile brachten.
Soziale Bindung, emotionale Bindung, attachment
John Bowlby: Bindungsverhalten des Kindes und Pflegeverhalten der Mutter als biologische Prädisposition
Entwicklung des Attachment nach Bowlby (1969):
1. Kind anfangs allgemein sozial ansprechbar
2. Einschränkung auf vertraute Personen
3. Kritische Phase zwischen 6. Mo. und 3. Lj.: Grundlagen für emotionale Bindungsfähigkeit werden gelegt
4. nach 3. Lj. wieder größere Unabhängigkeit
anaklitische Depression durch längere Trennung (ab einer Woche) von Bezugsperson in der kritischen Phase
inner working model durch grundsätzliches Vertrauen in Verfügbarkeit und Hilfsbereitschaft der Bezugspersonen
Rutter, 1979: Studie zu „unattached children“: Ist überhaupt keine Bezugsperson verfügbar (Heime,
Krankenhäuser) kann kein attachment ausgebildet werden und es kommt zu Störungen des Sozialverhaltens
und Bindungsunfähigkeit: distanzloses Anhängen, Einfordern von Aufmerksamkeit, Rastlosigkeit
Mary Ainsworth (1977) untersucht Bindungsverhalten versus Erkundungsverhalten: erst wenn das
Sicherheitsbedürfnis des Kindes (secure base) erfüllt ist, zeigt es exploratives Verhalten schnellere Entwicklung der
motorischen Fähigkeiten.
„strange situation“ (fremde-Situations-Test): Mutter verlässt ihr Kind (12 Monate alt) für kurze Zeit;
besonders interessant ist die Reaktion des Kindes auf die Rückkehr der Mutter.
Drei Kategorien der Bindungsqualität werden unterschieden:
„sicher“: Mutter wird freudig begrüßt
„unsicher-vermeidend“: Mutter wird ignoriert
„unsicher-ambivalent“: Wechsel zwischen Umklammern und Zurückstoßen
später zusätzlich „unsicher-desorganisiert“: 10% der Kinder waren zunächst nicht einzuordnen; wirken
verstört, widersprüchlich, verängstigt und desorganisiert Hinweis auf Misshandlung, Missbrauch, schwere
Vernachlässigung oder psychische Störung der Bezugspersonen
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Kulturabhängigkeit der Ergebnisse des Fremde-Situations-Tests:
in den USA waren 70% sicher gebunden, 20% unsicher-vermeidend, 10% unsicher-ambivalent.
In Japan werden Kinder praktisch nie allein gelassen, daher waren mehr unsicher-ambivalent und gar keine unsichervermeidend. In Deutschland waren (möglicherweise aufgrund des distanzierteren Umgangs mit Kindern mit weniger
Körperkontakt) mehr unsicher-vermeidend.
Clarke-Stewart (1989): Untersuchung zu mütterliche Berufstätigkeit ergibt, dass deren Kinder weniger
Reaktion auf die Rückkehr der Mutter zeigten, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass sie es
gewohnt sind, kurz allein gelassen zu werden
Wichtig für die soziale, emotionale und motorische Entwicklung ist eine verfügbare Bezugsperson, die prompt,
angemessen und feinfühlig auf das Kind reagiert, sonst kommt es zu Aggressivität und Ängstlichkeit.
Sauberkeitstraining erfolgt kulturell sehr unterschiedlich
bis 1960 war es üblich, das Sauberkeitstraining mit 1 Jahr zu beginnen
vermutlich optimaler Zeitpunkt für Beginn des Sauberkeitstrainings: ca. 15. Lebensmonat
Freud: zu früher Zeitpunkt oder zu strenge Methode führen zu Fixierung auf der analen Stufe der psychosexuellen
Entwicklung („analer Charakter“) mit zwanghafter Impulskontrolle, Sauberkeit oder dem Gegenteil.
analog dazu gilt das auch fürs Abstillen (orale Fixierung), empirisch allerdings nicht bestätigt
[Einnässen: Enuresis / Einkoten: Enkopresis (behandlungsbedürftig erst ab dem 4./5. Lj.)]
Link 1 zum „windelfreien Baby“
Link 2 zum „windelfreien Baby“
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VO 9: Vorschulalter
Mit 2½ Jahren ist bereits mehr als die halbe Körpergröße erreicht (Wert x 1,94). Der Rumpf streckt sich, der Bauch wird
flacher, die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt ab. Kinder erlernen durchschnittlich bis zu 2 Wörter pro Tag. Sie essen
weniger, sind ständig in Bewegung, lernen auf Zehenspitzen zu gehen, Stiegen zu steigen, auf einem Bein zu springen,
einen Ball zu fangen, sich selbst anzuziehen und Rad zu fahren. Reaktionszeit und Genauigkeit verbessern sich.
Dies wird möglich durch die Kontrolle über die Körperteile, eine korrekte Vorstellung des eigenen Körpers und die
bilaterale Kombination. Präoperationales anschauliches Denken ermöglicht den Gebrauch der Sprache, die wiederum
die Entwicklung des kognitiven Systems unterstützt.
Merkmale:
• Egozentrismus (Wechsel der Perspektive fällt noch sehr schwer)
• mangelnde Reversibilität (noch keine Vorstellung von der Umkehrbarkeit von Handlungen)
Umschüttaufgabe demonstriert fehlenden Erhaltungsbegriff (der Zahl, der Länge, der Menge, des Gewichts,
des Volumens): erst ab 8 Jahren erkennen Kinder, dass sich die Menge des Wassers durch Umschütten in ein
größeres Gefäß nicht verändert
Beim Studium der Sprachentwicklung:
• semantischer Aspekt: Wortbedeutung
• grammatischer (syntaktischer) Aspekt: Sprachregeln (verwandter Begriff Syntax: Regelsystem einer Sprache)
• pragmatischer Aspekt: Beziehungen zwischen Sprachzeichen und SprachbenutzerInnen
Wortschatz:
2 Jahre: Zweiwortsätze; 200 Wörter
2½ Jahre: Dreiwortsätze
5 Jahre: Wünsche, Vorschläge, Fragen, Begründungen; 2.500 Wörter aktiv, 13.000 Wörter passiv
Das Lernen von Worten erfolgt möglicherweise über bestimmte Hypothesen die Bedeutung betreffend und vorläufige
Benutzung des Wortes.
Beispiele für Beschränkungen („constraints“):
• entweder Objekt oder Handlung
• eher Ganzheitsannahme als Bezug auf einzelne Teile
• Prinzip des Kontrasts (nicht etwas bereits Bekanntes)
Carey & Bartlett (1978): „Das verchromte Tablett“
verchromt = nicht rot
Unterscheidung zwischen Ober- und Unterbegriffen wird erlernt.
[Überextension: Bedeutungsüberdehnung, Übergeneralisierung
jeder Mann heißt Papa
Unterextension: Bedeutungseinengung, Überdiskriminierung Hund heißt nur der eigene Hund]
Beginn der Grammatikentwicklung gegen Ende der sensumotorischen Periode
Pivot-Strukturen: offenes Wort + „Pivot“, zB: Wauwau da, da Brille, weg Teddy, Auto weg, mehr Milch, mehr singen
Häufige Bedeutung von Pivot-Strukturen: 1. Vorhandensein 2. Verschwinden 3. Wieder-Vorhandensein
[Phoneme: Grundlaute einer Sprache
Morpheme: kleinste bedeutungstragende Einheiten
freie Morpheme: kurze Hauptwörter im 1. Fall; gebundene Morpheme (Anhängsel, Endung, …)]
Brown (1973): “Mean Length of Utterance” MLU: durchschnittliche Anzahl von Morphemen pro Äußerung
des Kindes als Indikator für die sprachliche Entwicklung
cat 1 Morphem / a cat 2 Morpheme / two cats 3 Morpheme / two cats sitting 5 Morpheme
Grammatikentwicklung im Vorschulalter verläuft bei allen Kindern sehr ähnlich
„Grammatische“ Morpheme Im Englischen: Verlaufsform -ing, Präposition in, Präposition on, Plural –s.
“Wug”-Test (Berko, 1958) zur Pluralbildung
Psycholinguistischer Entwicklungstest (Angermeier, 1977)
Heidelberger Sprachentwicklungstest (Grimm & Schöler, 1991)
Entwicklungstests
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Zur „Verortung“ von Sprache im Gehirn:
Erforschung erfolgt nach "Ausschaltungsexperimenten" (Unfälle, Schlaganfälle), durch Reizexperimente (Stromstöße
am freigelegten Hirn) und über die Ableitung der elektrischen Nerventätigkeit (EEG).
sensorisches Sprachzentrum (Wernicke) im linken Temporallappen (Schläfenlappen):
Sprachverständnis sensorische Aphasie: Ausfall des Sprachverständnisses
motorisches Sprachzentrum (Broca) im linken Frontallappen (Stirnlappen):
Sprachproduktion motorische Aphasie: Ausfall des Sprechvermögens
Lesezentrum : Lesevermögen
Alexie (Wortblindheit): Ausfall des Lesevermögens
Lateralisierung: Bei den meisten Menschen (97%) steuert die linke Gehirnhälfte die Bewegungen der rechten Seite
(Haupthand), das Sprachzentrum und die logische Analyse. Die rechte Hälfte ist für Raumvorstellung, Melodien,
Emotionen und das ganzheitliche Denken sowie das Erkennen von Mustern zuständig.
10% der Menschen sind Linkshänder, überdurchschnittlich oft musisch oder mathematisch begabt (möglicherweise
durch weniger starke Lateralisierung); 20% wenn ein Elternteil Linkshänder ist, 40% wenn beide Elternteile.
Hunde sind zu 50% Linkshänder.
Geistig Behinderte sind oft Linkshänder, wahrscheinlich weil Hirnschäden in der linken Hemisphäre auch die rechte
Hand beeinträchtigen.
Plastizität: Verletzungen bis Totalzerstörung einer Hemisphäre im Kindesalter können von der anderen Hemisphäre
übernommen werden, teilweise ist das sogar bei Erwachsenen möglich. Areale der Großhirnrinde
Lenneberg (1972)
Hahn (1987): bereits Neugeborene weisen eine Tendenz zur Lateralisierung auf
Literaturempfehlung zur Hemisphärenasymmetrie:
Springer, S. P. & Deutsch, G. (1998). Linkes Gehirn, rechtes Gehirn (4. Aufl.). Heidelberg: Spektrum.
Die Entdeckung der eigenen Person:
Lewis & Brooks (1978): Reaktion auf Spiegelbild
o 0 – 6 Monate: interessierte Beobachtung
o 6 – 12 Monate: Experimente
o 18 – 24 Monate: Selbsterkennen
Gallup (1979): Vergleich mit Schimpansen
Die Entdeckung des Geschlechts (Freud, 1905):
orale Phase (1. Lj.)
anale Phase (2.-3.Lj.)
phallische Phase (3.-5. Lj.)
Latenzzeit (6.-12. Lj.)
genitale Phase (13.-18. Lj.)
Geschlechtsidentität (ab ca. 2. Lj.): Wissen um eigenes Geschlecht
Geschlechtsstabilität (ab ca. 4. Lj.): Geschlechter werden als relativ konstant angenommen
Geschlechtskonstanz (ab ca. 6. Lj.): bis dahin glauben die meisten Kinder, dass das Geschlecht in erster Linie mit Mode
und Haartracht zu tun hat und eventuell gewechselt werden kann
Bem (1989): „Gaw“ & „Kwan“: Bilder von nackten und “falsch” bekleideten Kindern
Boy-Girl-Identity-Task (Emmerich, Goldman, Kirsh & Sharabany, 1977) und Gender-Constancy-Interview
(Slaby & Frey, 1975): standardisierte Fragen, was das Geschlecht ausmacht und woran es erkannt wird
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Geschlechtsrollen & Geschlechtsrollenstereotypen
Ge|schlechts|rol|le, Geschlechterrolle, die (Soziol.): Verhaltensweisen, Einstellungen und andere psychologische
Charakteristika, die in einem bestimmten Kulturkreis für Personen des weiblichen bzw. männlichen Geschlechts
gesellschaftlich als angemessen betrachtet, von ihnen erwartet oder ihnen vorgeschrieben werden;
ste|re|o|typ <Adj.> [frz. stéréotype, eigtl. = mit gegossenen fest stehenden Typen gedruckt]: 1. (bildungssprachlich)
(meist von menschlichen Aussage-, Verhaltensweisen o. Ä.) immer wieder in der gleichen Form auftretend, in derselben
Weise ständig, formelhaft, klischeehaft wiederkehrend.
Williams & Best (1990)
Maccoby, E. E. (1998). The two sexes: Growing up apart, coming together. London: Harvard University Press.
Vorschulkinder sind sehr bemüht, sich den Regeln entsprechend zu verhalten, auch im Bezug auf Geschlechtsrollen.
Identifikation erfolgt über den entsprechenden Elternteil oder andere Bezugspersonen, wobei meist mehr Frauen als
Männer vorhanden sind (in Familie, Kindergarten, Schule, Heim, …), was dazu führt, dass die Männerrolle von Kindern
enger und stereotyper definiert wird. Gleichzeitig akzeptieren auch Erwachsene wilde Mädchen („tomboy“) eher als
mädchenhafte Buben.
Weiderer (1993), Scheutz (2002): Besonders stereotyp sind Geschlechterrollen im Fernsehen dargestellt.
Perry, White & Perry (1984): Davon unabhängig scheinen schon 2jährige Buben Bubenspielzeug zu
bevorzugen sowie körperlicher und aggressiver zu spielen.
Ansätze zur Erklärung der Vorgänge bei der Geschlechtsrollenübernahme:
• Theorie der psychosexuellen Identifikation (Freud)
• Theorie des sozialen Lernens (Bandura)
• Kognitive Theorien (Kohlberg)
• Biologische Einflüsse (Money & Ehrhardt)
Geschlechtsidentifikation, geschlechtstypisches Verhalten und sexuelle Orientierung hängen von mehreren
miteinander in Beziehung stehenden Faktoren ab, die wichtigsten davon sind das chromosomale Geschlecht, das
äußere Geschlechtsbild und das zugewiesene Geschlecht.
Money & Ehrhardt (1975) untersuchen die Effekte pränataler hormoneller Einflüsse [gestageninduzierter
Hermaphroditismus / adrenogenitales Syndrom (AGS)]: Mädchen mit pränatal zugeführten männlichen
Hormonen entwickeln vermehrt knabenhaftes Spielverhalten (Spielzeugwahl und höhere körperliche
Aktivität)
Pomerantz, Roy & Goy (1988), Thompson (1992): analoge Beobachtungen bei Affen
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10. Schulkindalter (school age)
Das Schulalter bezeichnet die Zeit vom 6. bis zum 12. Lebensjahr, ein Alter, in dem die Kinder auch in früheren Zeiten
und anderen Kulturen zum Arbeiten (Haushalt, Schafe hüten, …) herangezogen werden, und in dem heute die
Schulzeit beginnt.
1774: Einführung der Schulpflicht
1884: Verbot von Kinderarbeit unter 12 Jahren
körperliche Entwicklung:
Gestaltwandel: Verlängerung der Gliedmaßen, mehr Taille, weniger Bauch; Zahnlücken; Wachstumsgeschwindigkeit
nimmt weiter ab, motorische Leistung und Körperkraft steigen linear (Buben sind – teilweise sehr deutlich –
athletischer, vor allem bei Schlagballwerfen, Mädchen nur bei visuomotorischer Koordination, Balancegefühl und
Hüpfen, möglicherweise als Folge des unterschiedlichen Spielverhaltens und der körperlichen Unterschiede, und:
Mädchen sind im Wettkampf gegen Buben gehemmt)
Schulreife (körperlich) versus Schulbereitschaft (psychisch): schwer zu beantworten,
heute wird empfohlen, körperlich unreife Kinder um ein Jahr zurückzustellen
Historische Entwicklung des Umgangs mit Kindern mit Behinderungen im Schulwesen:
Exklusion
Segregation
Soziale Integration
Inklusion („inclusive education“ – „Inklusive Pädagogik“)
Denken auf der Stufe der konkreten Operationen (Piaget)
Kinder erkennen erstmals
Reversibilität (Umschüttaufgabe) und
Invarianz (Erhaltungsbegriff) der Zahl, der Länge, der Menge, des Gewichts, des Volumens
Damit wird folgendes möglich:
• Erlernen der Grundrechnungsarten
• Inklusion / Exklusion von Klassen (Denken in Ober- und Unterbegriffen)
• Hierarchische Klassifikation (Mosher & Hornsby, 1966: Übung durch Begriffsratespiele)
• Induktives Schlussfolgern (Annahmen allgemeiner Gesetzmäßigkeiten anhand einzelner Beobachtungen);
aber Probleme beim Verständnis von deduktiven Schlussfiguren (Wenn alle blauen Menschen in roten
Häusern wohnen, sind dann alle Menschen in roten Häusern blau?)
Das Denken ist geprägt von Animismus („der rollende Ball ist lebendig“) und Anthropomorphismus (Zuschreibung
menschlicher Eigenschaften zu Dingen, Pflanzen und Tieren: „der Ball springt, weil er fröhlich ist“).
Mit ca. 7 Jahren kann zwischen Lebendigem und Unbelebtem unterschieden werden, Verstehen des Todes als
unumkehrbares Ereignis und Verstehen von Zeitdauer („welche Puppe hat länger geschlafen?“)
Während Sprache eine universelle menschliche Fertigkeit ist, ist Lesen eine Kulturtechnik, die erworben werden kann.
Etwa 5% der Kinder leiden an Leseschwäche (Buben häufiger), erkennbar an Schwierigkeiten bei der phonologischen
Sprachverarbeitung und am besten zu behandeln mit intensivem Training.
metakognitive Fähigkeiten (Wissen über das eigene Denken)
verbale Mediation: geplante Tätigkeit in Worte fassen
Einprägen durch Wiederholen
Kategorisierung (König + Krone) und Elaboration (Tänzerin + Kamm): sinnvolle Einordnung erleichtert das
Auswendiglernen (Test: verschiedene Figuren werden in verschieden markierten Häusern versteckt)
soziale Kognition (Verständnis des menschlichen Denkens und Fühlens und sozialen Verhaltens)
Schon Vorschulkinder imitieren im Rollenspiel verschiedene Gesichtsausdrücke, im Schulalter gelingt es schon gut,
Gefühle vorzutäuschen, etwas später auch, vorhandene Gefühle zu verbergen (zB Enttäuschung über fades Geschenk).
Zur Beschreibung von Personen werden auch persönliche Eigenschaften genannt (aber ein Arzt kann kein Dieb sein).
Ab einem halben Jahr interessieren sich Babies für andere Kinder, ab drei Jahren spielen sie gerne miteinander, ab der
Schulzeit am liebsten mit gleichgeschlechtlichen Gleichaltrigen. Kinder definieren sich über gemeinsame Aktivitäten,
Jugendliche über Einstellungen und Werte.
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Beliebtheit und Unbeliebtheit
Soziometrische Methoden ermöglichen die Feststellung des sozialen Status einer Person
unter dem Gesichtspunkt der Beliebtheit bzw. Unbeliebtheit.
Zweidimensionale soziometrische Modelle (z.B. Coie, Dodge & Coppotelli, 1982) messen
“social impact score“ - soziale Wirkung (positive plus negative Nennungen)
“social preference score“ - soziale Präferenz (positive minus negative Nennungen)
und unterscheiden folgende soziometrische Statusgruppen
mit zugehörigen Charakteristika (nach Newcomb, Bukowski & Pattee, 1993), die recht genaue Prognosen bzgl. Risiko
für Verhaltensprobleme und emotionale Störungen als Erwachsene erlauben (zB Kupersmidt & Coie, 1990):
popular (beliebt): hohe Präferenzscores gute kognitive und soziale Fertigkeiten
rejected (abgelehnt): niedrige Präferenzscores
aggressives, verschlossenes Verhalten
neglected (nichtbeachtet): niedrige soziale Wirkung Defizite im Hinblick auf die soziale Interaktion
controversial (kontroversiell): hohe soziale Wirkung gute soziale Fertigkeiten, aber aggressives Verhalten
average (durchschnittlich): mittlere Präferenzscores und durchschnittliche soziale Wirkung Vergleichsgruppe
Studien zur weiteren Entwicklung aggressiver Kinder (z.B. Eron & Huesman, 1990)
Ablehnung durch die Peers im Schulkindalter ist ein Prädiktor für atypische Entwicklungsverläufe,
insbesondere für das spätere Auftreten externalisierender Verhaltensprobleme. Abgelehnte, aggressive
Kinder mit 8 Jahren zeigen dieses Verhalten auch mit 30 Jahren (Kriminalstatistik, Verkehrsdelikte, Gewalt).
mögliche Ursachen: suchen sich Gleichgesinnte, weil dort am ehesten akzeptiert
kognitive Prozesse: Diese Kinder tendieren dazu, ihre Umgebung als feindselig wahrzunehmen, die
sich tatsächlich auch immer öfter sozial abweisend verhält.
Einflussfaktoren:
o biologische: männliches Geschlecht / Testosteron
o soziale: gesellschaftliche Stereotype erwarten männliche Gewaltbereitschaft
o konstitutionelle: „Temperament“ eines Kindes (möglicherweise angeboren oder sozial
erlernt): zeitlich stabile Neigung des Kindes zu ängstlichem, hyperaktivem, reizbarem
Verhalten
kindliche Aggression ist die direkte Reaktion auf die unmittelbare soziale Umwelt durch
Lernen vom Rollenmodell (Vater / Mutter)
gefördert durch irritierendes und problematisches Erziehungsverhalten (distanziert, unfreundlich,
problemverleugnend, Zuwendung nur nach aggressivem Verhalten, Versagen beim Registrieren und
angemessenen Bestrafen von Regelverletzungen) meist aufgrund chronischer Partnerkonflikte der Eltern
Übernahme von Aggressionsmodellen aus peer group, Massenmedien, Gesellschaft und Schule
Präventions- und Interventionsansätze: Markie-Dadds, Turner & Sanders (2009)
Hilfreich ist kognitives Problemlösungstraining und familienorientierte Verhaltenstherapie mit Förderung der
sozialen Kompetenz, konsequenter Belohnung und Bestrafung für erwünschtes / unerwünschtes Verhalten
und Änderung des elterlichen Verhaltens.
Positive Parenting Program “Triple P”
zweiter Link
Achenbach et al.: faktorenanalytische Studien zu Auffälligkeiten des Verhaltens und Erlebens im Kindesalter
o „internalizing“ – „internalisierend“: Probleme im Zusammenhang mit starker Verhaltenshemmung,
Überkontrolliertheit (Ängste, Zwänge, Depression...)
o „externalizing“ – „externalisierend“: Probleme im Zusammenhang mit mangelnder
Verhaltenshemmung, Unterkontrolliertheit (Hyperaktivität, Aggression, Delinquenz...)
Einige Erklärungsansätze der Zusammenhänge zwischen Ablehnung und atypischer Entwicklung
Ablehnung wirkt als Stressor per se.
durch schlechte soziale Einbettung kann Stress aus anderen Quellen nicht „abgepuffert“ werden.
psychologischer „Marker“ (Markierungsvariable).
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Zur Entwicklung des moralischen Urteils
Emile Durkheim (1925): Moral entsteht durch Anpassung an gesellschaftliche Normen
Jean Piaget (1932): diese heteronome Zwangsmoral (Autoritäten entscheiden und sanktionieren) ist der Anfangspunkt
der moralischen Entwicklung die etwa am Ende der Schulkindzeit von einer reiferen Form, der autonomen
Moral (Kind entscheidet nach eigenen Maßstäben), abgelöst wird
verfeinertes Stufenmodell der Moralentwicklung nach Lawrence Kohlberg (1980)
Präkonventionelle Ebene
Unterstufe 1: Gehorsam zur Vermeidung von Bestrafung
(Einsicht in die überlegene Macht von Autoritäten)
Unterstufe 2: Verfolgen eigener Interessen und Suche nach dem eigenen Vorteil
Konventionelle Ebene
Unterstufe 3: zwischenmenschliche Erwartungen: Kind möchte ein guter Mensch sein
Unterstufe 4: soziales System und Gewissen: Gesetze sind einzuhalten, weil wichtig für die Gesellschaft
Postkonventionelle Ebene
Unterstufe 5: Gesellschaftsvertrag: Regeln sind relativ und kulturabhängig, aber trotzdem zu
befolgen, solange in Einklang mit absoluten Werten
Unterstufe 6: universelle ethische Prinzipien: direkte persönliche Verpflichtung gegenüber ethischen
Grundwerten ist wichtiger als spezifische Gesetze
Kritik an der Theorie von Kohlberg:
„Ethnozentrismus“ (Verabsolutierung einer Sichtweise aus dem Blickwinkel einer bestimmten Gesellschaft)
durch ungerechtfertigte Generalisierung des in westlichen Industriegesellschaften vorherrschenden
Denkstils (bei Eskimos und unter der türkischen Landbevölkerung gibt es die postkonventionelle Ebene
nicht)
Vorwurf des Sexismus (Gilligan, 1984): weibliche Moralentwicklung wird nicht hinreichend berücksichtigt;
die männliche Moral (Gerechtigkeit / „morality of justice”) wird der weiblichen Moral (Fürsorge /
„morality of caring”) gegenüber bevorzugt; allerdings unterscheiden sich in diesen Untersuchungen
zwar Stadt- und Landbevölkerung sowie soziale Schichten, aber nicht die Geschlechter
Hartshorne & May (1928-1930): ehrliches Verhalten (zB Linienübertretung bei Korbballwerfen) hängt eher
von der Situation (Leistungsdruck und Überwachung) als von der Person ab.
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11. Jugendalter
Das Jugendalter bezeichnet die Zeit vom 12. bis zum 20. Lebensjahr (juristisch meist 14. – 18. Lebensjahr),
aus pädagogischer Sicht eher nach biologischen Kriterien (erste Monatsblutung / Samenerguss bis Berufstätigkeit).
Dieser Abschnitt ist kulturabhängig, existiert bei Naturvölkern gar nicht, entstand bei uns durch die gesellschaftliche
Notwendigkeit einer langen Ausbildung und die Möglichkeit der Finanzierung (bis vor kurzem noch männliches,
adeliges Privileg). Derzeit steigen das Ausbildungsalter und die Dauer der finanziellen Abhängigkeit von den Eltern, der
Wissensvorsprung der älteren Generation schrumpft, und Erwachsene wollen jugendlich sein.
erste Phase: Pubertät mit verunsichernden Veränderungen im physischen und psychischen Bereich
zweite Phase: Reorganisation: Identitätsfindung; Kontakt mit Gleichaltrigen schafft Orientierung; Auseinandersetzung
mit den Strukturen der Gesellschaft
körperliche Entwicklung:
Wachstumsschub setzt bei Mädchen mit 12 Jahren ein, bei Buben erst mit 14 Jahren, aber stärker
mit starken individuellen Unterschieden (plus / minus 1 Jahr); zuerst wachsen Hände und Füße, dann Arme und
Beine, zuletzt der Rumpf; weibliche und männliche Sexualhormone nehmen geschlechtsspezifisch stark zu
Frisch & Revelle (1970): Das Erreichen eines bestimmten Körpergewichts (47 kg) löst die Menarche aus.
(verbesserte Ernährung frühere Menstruation)
[Endokrine Drüsen geben ihr Sekret (Hormone) direkt in die Blutbahn ab.
Exogene Drüsen geben ihr Sekret (Schweiß, Tränen, Verdauungssäfte) auf der Körperoberfläche oder in einer
Körperhöhle ab.
Östrogene sind weibliche Sexualhormone und werden v.a. in den Eierstöcken gebildet (von Männern in kleinen
Mengen in den Hoden).
Gestagene sind die zweitwichtigsten weiblichen Sexualhormone und werden in den Eierstöcken gebildet.
Androgene (darunter Testosteron) sind männliche Sexualhormone und werden in den Hoden und in der
Nebennierenrinde gebildet (bei Frauen in den Eierstöcken und in der Nebennierenrinde)
Gonadotropine sind Sexualhormone, welche die Keimdrüsen stimulieren.
Die Hypophyse (pituary gland) ist eine Hormondrüse, mit der das Gehirn das Hormonsystem im Körper und damit
Vorgänge wie Wachstum, Fortpflanzung und Stoffwechsel regelt.]
Bei Männern hat der Testosteronspiegel große Auswirkung auf ihr sexuelles Interesse, bei Frauen konnte dieser
Zusammenhang nicht bestätigt werden, hier sind soziale Bedingungen wichtiger. Ein ungewohnt veränderter
Hormonspiegel beeinflusst die Stimmung negativ.
Psychologisch ist es für Jugendliche schwierig, wenn die sexuelle Reife zu früh (Mädchen) oder zu spät (Buben)
einsetzt. Früh entwickelte Buben werden öfter für Führungsqualitäten ausgesucht, bekommen mehr
Verantwortung und weniger Einschränkungen, sie sind athletischer, bringen bessere sportliche Leistungen,
haben dadurch mehr Selbstwertgefühl und eine höhere soziometrische Position. Diese Vorteile halten sich lange,
bergen aber die Gefahr, ein sehr rigides, stereotypes Rollenbild zu entwickeln, während Spätentwickler
kompensatorisch andere Fähigkeiten wie Sensibilität oder Kommunikation ausbilden. Früh entwickelte Mädchen
haben es eher schwer.
kognitive Entwicklung: Stadium der formalen Operationen
Die Fähigkeit zu abstraktem Denken (davor ist das Denken weitgehend auf unmittelbare Erfahrungen angewiesen)
ermöglicht auch deduktive Schlussfolgerungen. Erkannt wird, dass das tatsächlich Vorhandene lediglich eine
Teilmenge des Möglichen und Denkbaren ist.
kombinatorische Operationen (mögliche Pärchen farbiger Jetons)
Verständnis für Proportionen
Koordination zweier Bezugssysteme
mechanisches Gleichgewicht (Balkenwaage)
Wahrscheinlichkeitsbegriff
Korrelation
multiplikative Kompensation (zB Erhaltung des Volumens bei gleichzeitiger Variation von Masse und
Temperatur; Pendelaufgabe)
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Etwas mehr als die Hälfte der Menschen in modernen Industrieländern erreicht dieses Stadium (vor allem jene in
städtischer, technisierter Umgebung), anscheinend ist es nicht unbedingt notwendig.
[Entwicklungsaufgabe: Aufgabe in einer bestimmten Lebensperiode des Individuums, deren Bewältigung glücklich
bzw. unglücklich macht]
Entwicklungsaufgaben im Jugendalter (Havighurst, 1972)
Akzeptieren des eigenen Körpers
Erwerb der Geschlechtsrolle
soziale Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts
emotionale Unabhängigkeit zu den Eltern
Vorbereitung auf Beruf
Vorbereitung auf Familienleben
Übernahme sozialer Verantwortung
Aufbau eines Wertesystems
zusätzliche Aufgaben (Dreher & Dreher, 1985):
Identität: Entwicklung eines Selbstbilds, Übereinstimmung mit Wahrnehmung anderer,
Auseinandersetzung mit Schwächen, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe mit Werten und Idealen
Sexualität: intime Beziehung zu Partner
Lebensplan: Zukunftsperspektive
[Identität: Definition einer Person als einmalig und unverwechselbar]
Entwicklung der Identität (Erik Erikson, 1974)
1. Lebensjahr: erste Bezugsperson
Urvertrauen / Misstrauen {Freud: orale Phase}
2. - 3. Lebensjahr: Sauberkeitstraining
{Freud: anale Phase}
Entwicklung persönlicher Autonomie / Scham und Zweifel
4. - 5. Lebensjahr: ödipale Auseinandersetzung
phallische Phase}
6. – 12. Lebensjahr: Schule
Gefühl erfolgreicher Initiative / Schuldgefühle {Freud:
Erfahrung als kompetent / minderwertig {Freud: Latenzzeit}
13. – 18. Lebensjahr: Adoleszenz: Identitätsfindung Geschlechtsreife, Berufswahl (umso leichter, je
erfolgreicher die vorangegangenen Abschnitte bewältigt wurden) {Freud: genitale Phase}
19. – 25. Lebensjahr: Erfahrung von Bindung und Intimität durch Partnerwahl / Isolation
26. – 40. Lebensjahr: Teilnahme an aktiver Entwicklung der Gesellschaft / Stagnation
ab dem 40. Lebensjahr: zufriedener oder verzweifelter Lebensabschluss und Rückblick
Gegen Ende der Adoleszenz (18. Lebensjahr) hatten 73% der Jugendlichen bereits Geschlechtsverkehr.
90% der Buben und 60% der Mädchen masturbieren.
Peerkontake
Subkultur mit ähnlichen Interessen und Werten
konkrete Clique, der man angehört oder angehören möchte
persönliche Freundschaften mit Bindungserfahrungen
mit Oberflächenstruktur: Merkmale wie Kleidung, Haarstil, Umgangsformen zur demonstrativen Abgrenzung von der
Erwachsenenwelt
und Tiefenstruktur: symmetrische Beziehungsebene mit Gleichaltrigen schafft ein Experimentierfeld für
Sozialverhalten: Ausbildung von Kontakt- und Kooperationsfähigkeit, Einübung von sozialen Regeln,
Moralentwicklung, Aggressionskontrolle, sexuelles Wissen, Sprachentwicklung, Bindung und Unterstützung nicht
zuletzt für die Loslösung von den Eltern
Peer-nominations-Techniken werden eingesetzt zur Vermeidung von Einseitigkeit (Selbstbeschreibung) durch
Beurteilung durch Mitschüler oder Lehrer (guess-who-Technik).
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Sexualität
Spannungsfeld von Selbstbild, (fantastisierten) gesellschaftlichen Erwartungen und realen Erfahrungen, die stärken,
aber auch extrem verunsichern können
biologisch: Reifung der Geschlechtsorgane; Zeugungsfähigkeit; Sexualtrieb
psychologisch: Übernahme von Erwachsenenrolle; Lebensziele; Werte und Normen
sozial: kulturell stark unterschiedliche Bedingungen (abhängig von Geschlecht, Religion, Bildung, …)
Heute findet die Geschlechtsreife früher statt, die Heirat später, Empfängnisverhütung ist allgemein verbreitet,
dadurch kommt es zu einer Entkopplung von Sexualität, Heirat und Schwangerschaft.
Sexuelle Authentizität bedeutet das Aushandeln sexueller Wünsche und Grenzen.
Etwa ¾ der Jugendlichen hatte mit 19 Jahren bereits Sex, Lehrlinge und Städter früher als Schüler und Landkinder.
Masturbation wurde früher für schädlich gehalten, heute ist es das Verbot. Männer tun es weit häufiger als Frauen.
Homosexuelle Erfahrungen sind recht häufig, etwa 20-30% der Jugendlichen denken daran, Buben tun es auch,
Mädchen weit weniger.
Für Mädchen stehen Liebe und Partnerschaft im Vordergrund, für Buben das unmittelbare Vergnügen.
Feministische Positionen (von Sydow, 1993) erklären das mit dem Unterschied in der sexuellen Selbstkenntnis: Der
Penis erigiert schon bei Kleinkindern und verleitet viel mehr als die Klitoris zur Entdeckung angenehmer
Erfahrungen, daher Konzentration auf Penis bei Buben vs. unspezifische romantische Gefühle bei Mädchen.
Selbst Sexualkunde ignoriert die Klitoris und konzentriert sich auf den Mann. Dazu kommt die männliche
Definitionsgewalt (Männer sind früher und stärker sexuell interessiert) und das höhere Risiko für Frauen (bzgl.
Schwangerschaft, Vergewaltigung, Krankheiten).
Sexual Strategies Theory: Evolutionäre Selektionsprozesse belohnen erfolgreiche Fortpflanzungsstrategien. Für den
Mann bedeutet das eine möglichst große Zahl an jungen, gesunden Partnerinnen und eventuell die Sorge um den
eigenen Nachwuchs. Für die Frau bedeutet das die erfolgreiche Sorge um den Nachwuchs. Daraus erklärt sich,
warum Männer mehr kurzfristige Kontakte suchen und Frauen andauernde Partnerschaften, warum Männer
mehr Wert auf körperliche Attraktivität legen und Frauen auf den Sozialstatus des Mannes, warum Männer älter
sind als ihre Partnerinnen und durch Nacktheit leichter erregbar.
12. „Emerging Adulthood“
In entwickelten Industrieländern heute deutlich abgrenzbarer Lebensabschnitt junger Menschen im dritten
Lebensjahrzehnt (vgl. Arnett, 2000)
• in demographischer Hinsicht,
• in Bezug auf subjektives Erleben,
• in Bezug auf die Identitätsbildung.
zeichnet sich aus durch hohe Variabilität und Instabilität
• der Wohnverhältnisse (Elternhaus, Heim, WG, Paar, allein) und Wohnorte (häufige Umzüge),
• der Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnisse (div. Ausbildungen, Studium, Jobs, Berufseinstieg,
„Generation Praktikum“, „Jugendarbeitslosigkeit“).
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