Neue Politische Ökonomie: Die politischen Akteure II - Politiker in Regierung und Parlament Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2007 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen (SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München Pol. Ökonomie 1 Die politischen Akteure II Politiker in Regierung und Parlament Aufbau der Vorlesung • Arbeitsteilung und endogene Kandidatenwahl • Prinzipal-Agenten-Probleme • ‚Career Concerns‘ und Effizienzlöhne • Ideologie • Logrolling • Zusammenfassung Pol. Ökonomie 2 Arbeitsteilung und endogene Kandidatenwahl I • Arbeitsteilung – Politiker sind Personen, die ein größeres politisches Geschick besitzen. – Politisches Können. – Komparativer Vorteil in der Politik. – Der Berufspolitiker. – Der Staatsmann. – Wie sich Bürger als Investoren einem Anlageberater zur Investition am Kapitalmarkt anvertrauen, so vertrauen sie Politikern politische Entscheidungen an. Pol. Ökonomie 3 Arbeitsteilung und endogene Kandidatenwahl II • Endogene Kandidatenwahl – Besley und Coate (1997) – Sequentielles Spiel – Jeder Bürger kann sich als Kandidat für Parlament oder Regierung bewerben. – Kosten der Bewerbung – In einer Wahl wählen alle Stimmberechtigten aus diesem Bewerberpool aus (instrumentelles Wählen). – Der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt. – Umsetzung seiner Politik danach. Pol. Ökonomie 4 Arbeitsteilung und endogene Kandidatenwahl III • Endogene Kandidatenwahl – In Wahlen mit zwei Parteien oder zwei Kandidaten resultiert daraus ein Medianwählerresultat unter wesentlich schwächeren Annahmen als bei Downs. – Bei mehr als zwei Kandidaten oder Parteien wählen die Wähler strategisch, d.h. sie machen ihre Entscheidung von derjenigen der anderen abhängig. – Ein potentieller Kandidat antizipiert dieses Resultat, wenn er zu kandidieren erwägt. – Er wird nur kandidieren, wenn er daraus einen Nettonutzen erzielt, gegeben die Entscheidung der anderen Bürger. Pol. Ökonomie 5 Arbeitsteilung und endogene Kandidatenwahl IV • Endogene Kandidatenwahl – Diese Vorstellung ist auf eine Situation mit mehr als zwei Kandidaten erweiterbar. – Zwischen den tatsächlichen Wahlzeitpunkten haben die Kandidaten aber die Möglichkeit, ihren eigenen Präferenzen zu folgen. – Prinzipal-Agenten-Problematik Pol. Ökonomie 6 Prinzipal-Agenten-Probleme I • Delegationskosten: – Abgeordnete und die Regierung führen den Wählerwillen nicht notwendigerweise aus. – Sie versuchen sich private Vorteile zu verschaffen. – Nicht notwendigerweise Korruption, sondern einfach ein angenehmeres Leben (Dienstwagen, Sekretärin, wissenschaftliche Mitarbeiter, Reisebudget usw.) – Gleiches Problem wie die Beziehung zwischen Manager und Shareholder. – Agency costs: Monitoring and constraining. Pol. Ökonomie 7 Prinzipal-Agenten-Probleme II • Delegationskosten: – Bei vollständigem politischem Wettbewerb werden diese Renten für Politiker vollständig aufgerieben. – Der Wettbewerb ist nicht vollständig, wenn Kandidaten oder Parteien keine perfekte Substitute sind. – Die ideologische Ausrichtung der Wähler kann eine Rolle dafür spielen. – Rolle der Ideologie beim Paradox des Wählens. – Die Zunahme der Wechselwähler in OECD-Ländern deutet somit auf eine Intensivierung des Wettbewerbs hin. Pol. Ökonomie 8 Prinzipal-Agenten-Probleme III • Lösung durch Durchsetzbarkeit, Verifizierbarkeit und Beobachtbarkeit (Gersbach): – Die Kosten der Bereitstellung öffentlicher Güter sind nicht beobachtbar durch die Bürger, während die Politiker sie kennen. – Zustandsabhängige Politikvorschläge sind nicht beobachtbar, verifizierbar oder durchsetzbar. – Unabhängige und benevolente Gerichtsbarkeit könnte im Wahlkampf abgegebene Versprechen durchsetzen gegeben die Durchsetzbarkeit und Verifizierbarkeit der Versprechen. Pol. Ökonomie 9 Prinzipal-Agenten-Probleme IV • Lösung durch Durchsetzbarkeit, Verifizierbarkeit und Beobachtbarkeit: – Jeder Kandidat kann einen vollständigen Vertrag anbieten. – Ist das Versprechen nicht verifizierbar, sind solche Verträge nicht möglich. – Dann haben Politiker einen Anreiz, nach der Wahl zu betrügen. – Rent-Seeking wird wahrscheinlicher. – Reputationsmechanismen müssten wirken. Pol. Ökonomie 10 ‚Career Concerns‘und Effizienzlöhne I • Reputation – In einem typischen wiederholten Spiel mit hoher Unsicherheit über den Endzeitpunkt können Reputationseffekte zu einer Disziplinierung der Politiker führen, müssen aber nicht (Folk Theorem). • ‚Career Concerns‘ – Wahlen können aber helfen, wie oben angedeutet, den kompetentesten Kandidaten zu selektieren. – Amtsinhaber werden dann keinem Rent-Seeking nachgeben, weil sie zur Wiederwahl kompetent erscheinen wollen. Pol. Ökonomie 11 ‚Career Concerns‘und Effizienzlöhne II • ‚Career Concerns‘ – Die Leistungen von Amtsinhabern in der Vergangenheit signalisieren ihre Kompetenz. – Ratio für retrospektives Wählen. – Diese Signale werden verstärkt vor den Wahlen gesendet. – Direkt nach den Wahlen werden die Politiker leichter der Versuchung erliegen, Renten abzuschöpfen. – Über den Wahlzyklus folgen die Politiker einem trade-off: eine höhere Wiederwahlwahrscheinlichkeit gegen eine Reduktion politischer Renten. Pol. Ökonomie 12 ‚Career Concerns‘und Effizienzlöhne III • Effizienzlöhne – Um adverse Selektion zu verhindern bzw. um moral hazard zu unterbinden, können auch Effizienzlöhne an Politiker gezahlt werden. – Höhere Diäten selektieren die kompetenteren Kandidaten in die Politik. – Höhere Diäten reduzieren die Wahrscheinlichkeit der Rentenabschöpfung, da ohne Wiederwahl relativ höhere Opportunitätskosten entstehen. – Diese können auch in Form von Sondervorteilen gezahlt werden. Pol. Ökonomie 13 ‚Career Concerns‘und Effizienzlöhne IV Jahr Mittelwert StandardMinimum Maximum abweichung 1992 22'850.87 12'494.38 7125.00 (Maine) 52'500.00 (Kalifornien) 1994 23'497.52 12'642.08 7125.00 (Maine) 52'500.00 (Kalifornien) 1996 25'647.07 15'248.75 7200.00 (Texas) 72'000.00 (Kalifornien) Tabelle 1: Diäten amerikanischer Parlamentarier in U.S.-Dollar, U.S. Bundesstaaten, 1992 - 1996 Pol. Ökonomie 14 ‚Career Concerns‘und Effizienzlöhne V • Effizienzlöhne – Bestimmen die Parlamente selbst über die Diäten, fallen diese ceteris paribus höher aus. – Positive und signifikante Beziehung zwischen Veränderungen des Volkseinkommens eines Bundesstaates bzw. seiner Bevölkerung und den Diäten von Abgeordneten. – Höhere Diäten und Wirtschaftswachstum sind korreliert. – Alternativ: Index ökonomischer Freiheiten zeigt höhere Freiheit an, wenn höhere Diäten gezahlt werden. Pol. Ökonomie 15 Ideologie I • Die ideologische Ausrichtung der Wähler kann politischen Wettbewerb reduzieren. • Zwischen den Wahlen können die Regierungen ihrer ideologischen Ausrichtung folgen. • Ideologie ist bereits bedeutsam zur Lösung des Paradox des Wählens (Kleinkostenentscheidungen). • Auf der anderen Seite: Wahlkampfausgaben. Pol. Ökonomie 16 Ideologie II • Aber auch: Wahlkampfausgaben aus dem Wahlkreis eines Abgeordneten. • Spielt Ideologie in der Politik eine Rolle? • Folgen Politiker ihrer eigenen Ideologie oder derjenigen ihrer Wähler im Wahlkreis? • Schumpeter (1950), Capitalism, Socialism and Democracy. – Ideologie dominiert ökonomische Fragestellungen und wird letztlich zu einem Niedergang des Kapitalismus führen. Pol. Ökonomie 17 Ideologie III • Spielt Ideologie in der Politik eine Rolle? – Ideologie erklärt das Abstimmungsverhalten individueller Kongressabgeordneter in einem erheblichen Maße. – Bei Wahlkampfausgaben findet sich eine bedeutsame ideologische Komponente. – Ideologie spielt in politischen Konjunkturzyklen eine Rolle. – Poole und Rosenthal (1997): ‚Voting is along ideological lines when positions are predictable along a wide set of issues‘ (p. 4). Pol. Ökonomie 18 Ideologie IV • Spielt Ideologie in der Politik eine Rolle? – Analyse namentlicher Abstimmungen im amerikanischen Kongress von 1789 bis 1985. – Im amerikanischen Kongress wird fast immer namentlich abgestimmt. – Auswertung von 11‘473 Abgeordneten, 70‘234 Abstimmungen und 10‘428‘617 Entscheidungen insgesamt. – Ein eindimensionales Modell auf der Links-RechtsSkala (Liberal-Conservative) erklärt 80 Prozent des Abstimmungsverhaltens. Pol. Ökonomie 19 Ideologie V • Folgen Politiker ihrer eigenen Ideologie oder derjenigen ihrer Wähler im Wahlkreis? – Gemischte Evidenz. – Kalt und Zupan (1984, 1990): Politiker folgen ihrer eigenen Ideologie. – Lott und andere: Ideologie als Investition in ‚brand name capital‘, als Signal der Verlässlichkeit. – Wähler bestrafen Abweichungen von ihrer eigenen ideologischen Position, indem sie Politiker nicht wiederwählen. Pol. Ökonomie 20 Ideologie VI • Folgen Politiker ihrer eigenen Ideologie oder derjenigen ihrer Wähler im Wahlkreis? – Abweichungen von 1.27 Prozent führen dazu, dass ein Abgeordneter nicht wiedergewählt wird. – Aber: Poole und Rosenthal weisen die Möglichkeit von Logrolling zwischen Abgeordneten nach. – Überlegungen gelten stärker für das amerikanische oder das englische System als für europäische Koalitionsregierungen. – Koalitionszwang verpflichtet zu unangenehmen Entscheidungen. Pol. Ökonomie 21 Ideologie VII • Folgen Politiker ihrer eigenen Ideologie oder derjenigen ihrer Wähler im Wahlkreis? – Koalitionszwang führt aber auch dazu, dass Politiker sich herausreden können. – Diese Gemengelage kann zu politischen Instabilitäten führen, je nachdem, wie breit die Koalitionen und durch welche Institutionen sie gestützt sind. – Tabelle 2: Effektive Zahl von Koalitionären Ns, durchschnittliche Dauer der Koalition, durchschnittliche Dauer zwischen Regimewechseln (dominante Partei in der Regierung) Pol. Ökonomie 22 Ideologie VIII System Land Bipolar Links Unipolar Zentrum Unipolar M ultipolar Deutschland Schweden Anzahl Koalitionäre 2.9 Durchsch. Durchsch. Dauer Dauer bis zum Regimewechsel 37 74 3.2 28 55 Luxemburg 3.5 45 57 Niederlande Italien 4.5 27 48 3.5 13 25 Tabelle 2: Durchschnittliche Dauer von Koalitionen in Monaten Pol. Ökonomie 23 Ideologie IX • Koalitionen – Selbst Länder mit häufigen Regierungswechseln sind häufig von einer stabilen Konstellation regiert. – Die dominante Partei ist häufig Regierungsmitglied und sucht sich dann ihre passenden Koalitionäre. – Italien: Im alten Regime war die Democrazia Cristiana an fast allen Koalitionen beteiligt. – Dennoch bieten sich mannigfache Möglichkeiten auf Basis des Koalitionszwangs, ein Sündenbockargument vorzubringen. Pol. Ökonomie 24 Logrolling I • Logrolling oder Stimmentausch hat ähnliche Eigenschaften wie eine Koalition • In den USA werden Kandidaten nach dem Mehrheitswahlrecht in einem Wahlkreis gewählt. • Um dem Wahlkreis bestimmte geldwerte Vorteile zukommen zu lassen, tauscht ein Abgeordneten mit den anderen Abgeordneten Stimmen aus. Pol. Ökonomie 25 Logrolling II • Der Tausch läuft nach der Devise ‚You‘ll scratch my back, I‘ll scratch yours.‘ • In traditioneller politikwissenschaftlicher Sicht ist dies eher negativ zu beurteilen. • Buchanan und Tullock (1962) betonen als erste die positiven Effekte des Stimmentauschs. • Heute besteht kein Konsens darüber, ob Stimmentausch eher positiv oder negativ ist. Pol. Ökonomie 26 Logrolling III Wähler Politik A Politik B 1 5 –1 2 –1 5 3 –1 –1 Tabelle 3: Ein Beispiel des Stimmentauschs Pol. Ökonomie 27 Logrolling IV • Beispiel in Tabelle 3 – Wähler 1, 2 und 3 entscheiden über die Politiken A und B mit einfacher Mehrheit. – Die Auszahlungen für Politik A sind 5, -1, -1, diejenigen für Politik B sind -1, 5, -1. – Bei einfacher Mehrheit wird keine der beiden Politiken angenommen. – Die Wähler 1 und 2 haben jedoch einen Anreiz zum Stimmentausch. – Wähler 1 stimmt zu, für B zu stimmen, wenn Wähler 2 zusagt, für A zu stimmen. Pol. Ökonomie 28 Logrolling V • Beispiel in Tabelle 3 – In diesem Beispiel steigt der Gesamtnutzen der Gemeinschaft der drei Wähler um 3 für jede Politik. – Wenn man die -1 in Tabelle 3 durch -3 ersetzt, entsteht jedoch ein Nettoverlust für die Gemeinschaft der drei in Höhe von -1. • Stimmentausch offenbart Präferenzintensitäten • Empirisch trägt Stimmentausch zur Stabilität von politischen Entscheidungen bei. Pol. Ökonomie 29 Logrolling VI • Negative Seiten des Logrolling – Externalisierung der Kosten öffentlicher Maßnahmen auf Dritte, die nicht zum LogrollingArrangement dazu gehören. – Stabile Logrolling Arrangements als Kollusion von Abgeordneten. – Kartellbildung zur Ausschaltung unliebsamen Wettbewerbs häufig unter Einbezug der Regierung. – Evidenz zum Logrolling von Stratmann (1992, 1995) • 71 Abgeordnete tauschten Stimmen zugunsten der Landwirtschaft, 135 Abgeordnete zugunsten anderer Subv., 58 Abgeordnete zugunsten der Arbeitsmarktregulierung. Pol. Ökonomie 30 Logrolling VII • Zitat von Senator Al Gore (1992) – „As a member of the Southern ‚farm block‘ in Congress, I have followed the general rule that I will vote for the established farm programs of others in farm states ... in return for their votes on behalf of the ones important to my state.“ • Logrolling ist ubiquitär und ermöglicht es Abgeordneten von den politischen Wünschen und Vorstellungen ihrer Wähler abzuweichen. Pol. Ökonomie 31 Zusammenfassung • Politiker kommen zum Zuge aufgrund eines komparativen Vorteils in der Politik. • Prinzipal-Agenten-Problem zwischen Wahlen • Milderung durch Reputation, Career Concerns und Effizienzlöhne • Die Rolle von Ideologie, Koalitionen und Stimmentausch • Das Politiker den Wünschen ihrer Wähler folgen ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen Pol. Ökonomie 32 Literatur – – – – – – – – Besley, T. und Coate, S. (1997), “An Economic Model of Represen-tative Democracy,“ Quarterly Journal of Economics 112 (1), pp. 85-114 Buchanan, J. M. and Tullock, G. (1962), The Calculus of Consent, Ann Arbor: University of Michigan Press. Kalt, J. H. and Zupan, M. A. (1984), “Capture and Ideology in the Economic Theory of Politics,“ American Economic Review 74, pp. 279-300. Kalt, J. H. and Zupan, M. A. (1990), “The Apparent Ideological Behavior of Legislators: Testing for Principal-Agent Slack in Political Institu-tions,“Journal of Law and Economics 33 (1), pp. 103-31. Poole, K. T. and Rosenthal, H. (1997), Congress: A Political-economic History of Roll Call Voting, New York and Oxford: Oxford University Press. Schumpeter, J. A. (1950), Capitalism, Socialism and Democracy, 3rd. ed., New York: Harper and Row. Stratmann, T. (1992), The Effects of Logrolling in Congressional Voting, American Economic Review 82 (5), pp. 1162-76. Stratmann, T. (1995), Logrolling in the U.S. Congress, Economic Inquiry 33 (3), pp. 441-56. Literatur 33