Dr. Markus Marterbauer, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) EINFÜHRUNG IN DIE MAKROÖKONOMIE UND DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK MÄRZ 2005 – 2 – Inhaltsverzeichnis: 1. Fragestellungen der Makroökonomie 2. Ziele des Wirtschaftens und der Wirtschaftspolitik 3. Einführung in die Paradigmen der Volkswirtschaft 4. Neoklassische Makroökonomie 5. Keynesianische Makroökonomie 6. Neoklassik und Keynesianismus – ein Vergleich 7. Wirtschaftswachstum und Konjunktur 8. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 9. Öffentlicher Haushalt und Budgetdefizite 10. Demographische Entwicklung und Finanzierbarkeit des Pensionssystems 11. Inflation, Wechselkurs und Zahlungsbilanz 12. Einkommensverteilung Ziele der Lehrveranstaltung: Erarbeiten von theoretischem und empirischem Grundwissen für die Beurteilung aktueller wirtschaftlicher Entwicklungen und wirtschaftspolitischer Fragen; Unterscheidung zwischen neoklassischer und keynesianischer Sichtweise der Determinanten der Wirtschaftsentwicklung und der Aufgaben der Wirtschaftspolitik; Diskussion der Bestimmungsgründe von und der Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum, Budget, Arbeitslosigkeit, Inflation und Einkommensverteilung. Zusatzliteratur: Peter Bofinger, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Pearson Studium, 2003, vor allem die Kapitel 14-23. WIFO, Monatsberichte. – 3 – 1. Fragestellungen der Makroökonomie Die Makroökonomie analysiert die Bestimmungsgründe für Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Inflation, Leistungsbilanz, Budget, Einkommensverteilung. Die Analyseebenen bilden die Gesamtwirtschaft und ihre Sektoren. Wichtige Aggregate der Analyse sind die privaten Haushalte, die Unternehmen, der Staat und das Ausland. Zentrale Größe der Makroökonomie ist das (reale) Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das BIP ist definiert als die Summe der erzeugten Güter und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft in einem Jahr, bereinigt um Preisveränderungen. Das reale BIP betrug in Österreich im Jahr 2004 220,01 Mrd. . Es stellt die Summe der erzeugten Güter und Dienstleistungen, gleichzeitig die Summe der entstehenden Einkommen und die Summe der Nachfrage der wirtschaftlichen Akteure dar. Das BIP wird mithilfe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ermittelt. Dabei gibt es drei Berechnungsmethoden. Entstehungsrechnung: Hier wird das BIP/Volkseinkommen als die Summe der Nettowertschöpfungen der einzelnen Branchen berechnet. Die Bewertung der Wertschöpfung erfolgt durch den Markt bzw. dort wo kein Markt existiert (staatliche Leistungen) durch die Kosten, die für die Produktion der Leistungen notwendig sind. Verteilungsrechnung: Hier ergibt sich das BIP/Volkseinkommen als Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit plus Einkommen aus Besitz und Unternehmung (Gewinne, Zinsen, Dividenden, Mieten, Pachten u.a.). Verwendungsrechnung: Hier wird das BIP/Volkseinkommen als die Summe der Ausgaben der wirtschaftlichen Akteure (Konsum der privaten Haushalte, Investitionen der Unternehmen, Staatsausgaben, Nettoexporte) ermittelt. Das österreichische BIP von 220 Mrd. pro Jahr entspricht etwa 0,4% des BIP der Welt und 2,3% des BIP der EU-15. – 4 – 2. Ziele des Wirtschaftens und der Wirtschaftspolitik Das grundsätzliche Ziel des Wirtschaftens ist die Steigerung des Wohlstandes. Ist das BIP ein geeigneter Maßstab für den Wohlstand? Ein höheres Volkseinkommen ist im allgemeinen mit einem Anstieg des Wohlstandes verbunden. Mehr Produktion bedeutet mehr Einkommen und damit können die Wirtschaftsakteure mehr Güter und Dienstleistungen nachfragen. Allerdings sind einige Einschränkungen in Bezug auf das BIP als Wohlstandsmaß notwendig: Erstens wäre es unsinnig zu sagen, der Wohlstand sei in den USA, wo das BIP pro Jahr (umgerechnet) 11.250 Mrd. beträgt, 50 Mal so hoch wie in Österreich, wo das BIP bei 220 Mrd. liegt. Für den internationalen Vergleich besser geeignet ist das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf oder pro Erwerbstätigem zu Kaufkraftparitäten. In Österreich beträgt das BIP pro Kopf etwa 25.000 pro Jahr, das BIP pro Erwerbstätigem etwa 50.000 . Für internationale Vergleiche muss das BIP pro Kopf um Unterschiede in der Kaufkraft (d.h. Unterschiede im Preisniveau) bereinigt werden. Zweitens würden wir es sicherlich als Wohlstandsgewinn ansehen, ein gutes Buch zu lesen. Dies findet sich aber nicht im BIP wieder, weil dort nur jene Werte enthalten sind, die auf Märkten gekauft werden. Das heißt im BIP ist das Buch, aber nicht das Lesen. Drittens beinhaltet das BIP jede Produktion. Werden zum Beispiel Umweltschäden, die vorher bei der Produktion von Gütern entstanden sind, repariert, so geht die Reparatur ins BIP ein und wir messen das als Wohlstandserhöhung. Viertens berücksichtigen weder das BIP, noch das BIP pro Kopf die Arbeitszeit, die zur Erstellung verwendet wird. Das BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten lag im Jahr 2001 in den USA pro Kopf mit 35.000 $ deutlich höher las in Österreich (28.200 $). Allerdings liegt die durchschnittliche Arbeitszeit in den USA mit etwa 1.900 Stunden pro Jahr deutlich über jener in Österreich (ca. 1.600 Stunden). Fünftens berücksichtigt das BIP nicht die Verteilung des Wohlstandes. Bekommt im einen Land das gesamte Volkseinkommen eine einzige Person, während im anderen Land das Volkseinkommen gleichmäßig verteilt ist, so würden wir die zweite Situation als gerechter empfinden. Im BIP spiegelt sich diese Verteilungsgerechtigkeit nicht. Das BIP ist also ein nur eingeschränkt geeignetes Wohlstandsmaß. Alternative Indikatoren haben große Berechtigung. Dazu zählen etwa der Human Development Index, der von der – 5 – UNO errechnet wird und neben dem Pro-Kopf-Einkommen auch die Lebenserwartung und die Teilnahme am Bildungssystem beinhaltet. Was ist unter einer Wohlstandsverbesserung zu verstehen? Viele Ökonomen betrachten ausschließlich Situationen, in denen Wohlstandssteigerungen durch Effizienzverbesserung möglich sind. Dies bezeichnet man als "Pareto-Verbesserungen". Sie sind so lange möglich, bis das "Pareto-Optimum", das ist eine Wirtschaftssituation, in der die Wohlfahrt eines Akteurs durch Tausch nicht mehr verbessert werden kann, erreicht ist. Wirtschaftliche Fragen wären unter diesem Gesichtspunkt rein technokratische Themen der Effizienzverbesserung, die dem Urteil von Experten überlassen werden könnten. Die meisten Fragen der Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik sind aber keine rein technokratischen, sondern es geht immer um Abwägungen: Zum Beispiel kann eine wirtschaftspolitische Maßnahme (expansive Budgetpolitik durch Erhöhung der öffentlichen Investitionen) gleichzeitig zu weniger Arbeitslosigkeit und zu mehr Inflation führen. Manche Personengruppen (Arbeitslose) wären davon positiv, andere Personengruppen (Geldvermögensbesitzer) negativ betroffen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen haben Verteilungswirkungen, sie begünstigen eine Gruppe und belasten eine andere Gruppe. Sie sind deshalb politische Entscheidungen und keine rein technokratischen. Mit dem "ParetoKriterium" können diese Fragen nicht geklärt werden. Interessensunterschieden, Entscheidungsprozesse, ökonomische und politische Macht sind in der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik von elementarer Bedeutung. Bei der Erreichung des grundsätzlichen Ziels der Wohlstandssteigerung können verschiedene Zwischenziele der Wirtschaftspolitik festgelegt werden. Diese Zwischenziele bezeichnet man als „Magisches Vieleck“: - Wirtschaftswachstum (Wachstum des BIP) - Vollbeschäftigung (niedrige Arbeitslosenquote, hohe Erwerbsquoten) - Preisstabilität (niedrige Inflationsrate) - außenwirtschaftliches Gleichgewicht (ausgeglichene Leistungsbilanz) - „gerechte“ Einkommensverteilung (zwischen Arbeit und Kapital, zwischen Personen) - Nachhaltigkeit in der Finanzierbarkeit der öffentlichen Haushalte (ausgeglichener Staatshaushalt über den Konjunkturzyklus) - Nachhaltigkeit in Bezug auf die Umweltsituation (Ressourcenverbrauch, Kyoto-Ziele) – 6 – Die Ziele des Magischen Vielecks bedingen einander zum Teil, so führt eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums zu einem Anstieg der Beschäftigung. Manche Ziele können sie gegeneinander gerichtet sein, so kann Vollbeschäftigung Inflation auslösen (der negative Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Inflation wird in der "Phillips-Kurve" dargestellt). Die Ziele der Wirtschaftspolitik werden in den beiden grundlegenden ökonomischen Theorien unterschiedlich gewichtet: Die Wirtschaftspolitik der Neoklassik betont die Bedeutung von Preisstabilität und ausgeglichenen öffentlichen Haushalten. Die Wirtschaftspolitik des Keynesianismus betont die Ziele Wachstum, Beschäftigung und Verteilung. Die Europäische Union hat in Artikel 2 des Unionsvertrages die Ziele der Gemeinschaft definiert: „... durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion ... eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein beständiges, nicht inflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern.“ In späteren Artikeln und im zentralen wirtschaftspolitischen Dokument, den „Grundzügen der Wirtschaftspolitik“, erfolgt eine Präzisierung der konkreten Ziele und der Instrumente der Wirtschaftspolitik, die eingesetzt werden. Im Mittelpunkt stehen „price stability and sound public finance“. Die wichtigsten Instrumente und Institutionen zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele in der EU sind: der gemeinsame Markt der EU (Binnenmarkt für Güter, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit) das Europäische System der Zentralbanken (gemeinsame Geldpolitik der EZB), der „Pakt für Stabilität Mitgliedsstaaten). und Wachstum“ (Koordination der Budgetpolitik der – 7 – Abbildung 1: Gesamtwirtschaftliche Indikatoren in der EU15 1970-2003 16 Inflation in % 14 Arbeitslosenquote in % der Erwerbspersonen 12 10 8 6 Wirtschaftswachstum in % 4 2 0 -2 -4 -6 Finanzierungssaldo des Staates(Maastricht-Definition) in % des BIP -8 70 72 74 76 Quelle:Eurostat,OECD. 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 – 8 – 3. Einführung in die Paradigmen der Volkswirtschaft Die Wirtschaftswissenschaft verwendet zur Erklärung der Realität Modelle. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit der Vereinfachung („Modelle können keine Landkarten im Maßstab 1:1 sein“). Die Vereinfachung bringt aber Werturteile mit sich, deshalb müssen die Annahmen, von denen die Modelle ausgehen, offengelegt werden. Zur Erklärung der wirtschaftlichen Realität existieren zwei zentrale Paradigmen (theoretische Schulen): Neoklassik: Sie geht von der Funktionsfähigkeit einer unregulierten Marktwirtschaft aus. Die Marktwirtschaft strebt bei flexiblen Preisen und Mengen von sich aus zu einem allgemeinen Gleichgewicht, in dem der höchstmögliche Wohlstand erreicht wird. Die realwirtschaftliche Sphäre (Produktion, Beschäftigung u.a.) wird von der monetären Sphäre (Preise, Zinsen u.a.) getrennt. Das gesamtwirtschaftliche Angebot (die Produktion) bestimmt die Höhe des BIP/Volkseinkommens, die Nachfrageseite bestimmt die Inflation. Keynesianismus: Ausgangspunkt ist das Marktversagen auf mikroökonomischer und vor allem makroökonomischer Ebene. Das Versagen der unregulierten Marktwirtschaft äußert sich in Form von Rezessionen und Arbeitslosigkeit. Monetäre Entwicklungen (Vorgänge auf den Finanzmärkten, Zinsentscheidungen der Notenbank) haben entscheidende Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage bestimmt das BIP/Volkseinkommen, die Angebotsseite (Kostenseite) bestimmt die Inflation. Was sind die Beweggründe für die Unterschiede zwischen den beiden Theorien und in der Wirtschaftspolitik? *Interessenunterschiede zwischen den Akteuren: Arbeitnehmer haben andere Interessen als Unternehmer, Finanzvermögensbesitzer andere als Arbeitnehmer und Unternehmer. * Unterschiedliche wirtschaftliche Probleme und Fragestellungen: Leidet die Volkswirtschaft unter mangelndem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit oder unter Überhitzung und hoher Inflation? * Notwendigkeit der Vereinfachung in der Analyse komplexer sozialer Systeme. * Differenzen über die Kausalitäten ökonomischer Entwicklung: Bestimmt die Höhe des Sparens jene des Investierens oder ist es genau umgekehrt? – 9 – Abbildung 2: „Marshallsches Kreuz“ – gesamtwirtschaftliche Angebotsfunktion, gesamtwirtschaftliche Nachfragefunktion Preisniveau N1 A Potential Output N2 Y2 Y1 Produktion, Beschäftigung Das „Marshallsche Kreuz“ zeigt den Zusammenhang zwischen gesamtwirtschaftlichem Angebot (der Summe der Produktion von Gütern und Dienstleistungen) und der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage (Summe der inländischen und ausländischen Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen). Der „Potential Output“ zeigt jenes Produktionsniveau, das bei voller Kapazitätsauslastung und bei Vollbeschäftigung erreicht werden kann. „Neoklassischer Fall“: Liegt die Nachfragefunktion bei N1, so würde jede Nachfrageerhöhung primär zu einem Anstieg der Preise führen. Ein höheres BIP/Volkseinkommen/Produktion kann nur durch eine Erhöhung (Rechtsverschiebung) der Angebotsfunktion erreicht werden. Dies kann durch Investitionen, die die Produktionskapazitäten erhöhen, technischen Fortschritt, zusätzliches Arbeitskräfteangebot, zusätzliches Kapitalangebot (Sparen) erfolgen. „Keynesianischer Fall“: Liegt die Nachfragefunktion bei N2, so würde jede Nachfrageerhöhung zu einem Anstieg der Produktion und der Beschäftigung, somit des BIP führen. Eine Ausweitung der Nachfrage kann durch höheren Konsum, höhere Investitionen, höhere Staatsausgaben oder höhere Exporte erfolgen. Neoklassik und Keynesianismus beschreiben zwei unterschiedliche makroökonomische Situationen. Die Neoklassik betont die Probleme des Staatsversagens, wie ungleicher – 10 – Zugang zu öffentlichen Leistungen, Verbürokratisierung, mangelndes Kostenbewusstsein, Ineffizienz. Der Keynesianismus sieht die Probleme des Marktversagens im Vordergund. Von mikroökonomischem Marktversagen spricht man beim Vorliegen von öffentlichen Gütern, externen Effekten, asymmetrischen Informationen, Monopolen. Makroökonomisches Marktversagen tritt in Form von Instabilitäten der Wirtschaftsentwicklung, Arbeitslosigkeit, ungerechter Einkommensverteilung, fehlender sozialer Sicherheit auf. Plädoyer für einen eklektischen Ansatz in der Ökonomie, methodologischer Pluralismus, wirtschaftspolitischer Pragmatismus, gesamtwirtschaftliche Orientierung in einer Welt mit Interessenunterschieden. – 11 – 4. Neoklassische Makroökonomie Annahmen: * „Mikrofundierung“ – Ausgangspunkt der Analyse ist das Maximierungsverhalten von individuellen Haushalten und Unternehmen. * Akteure verhalten sich rational - Haushalte versuchen, bei gegebener Budgetbeschränkung ihren Nutzen zu maximieren, Unternehmen maximieren bei gegebener Faktorausstattung Produktion und Profit, die Akteure verfügen über vollkommene Information und stabile Erwartungen. * Unregulierte Marktwirtschaft weisen in langfristiger Perspektive Stabilität auf, Märkte, die nicht durch staatliche Regulierungen behindert werden, führen zu wirtschaftlichem Optimum (Marktgleichgewicht). * „Barter-Ökonomie“ – Modell der Tauschwirtschaft, Geld ist nur ein Instrument zur Erleichterung des Gütertausches, von ihm selbst gehen keine realen Effekte aus („Neutralität des Geldes“). * Gleichgewichtskonzept: bei effizientem Einsatz aller Ressourcen und voller Wirksamkeit des Preismechanismus kommt es zu einem wirtschaftlichen Optimum („allgemeines Gleichgewicht“). Gesamtwirtschaftliche Produktionsfunktion („Cobb-Douglas“-Produktionsfunktion) Y = A . F (K, L) Y... BIP, A... Konstante, K... Kapital, L... Arbeit Die Unternehmen kombinieren die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit (abhängig vom relativen Preis des Produktionsfaktors), um Güter zu erzeugen. Die Knappheit von Arbeit und Kapital beschränkt das Güterangebot (den „Potential Output“). Wie wird das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt erreicht? Die Unternehmen bieten Güter und Dienstleistungen in Abhängigkeit von den technischen Produktionsmöglichkeiten, den Kosten der Produktionsfaktoren und den erzielbaren Produktpreisen an. Die Haushalte fragen gemäß ihren Konsumpräferenzen und Budgetbeschränkungen Produkte nach. Im – 12 – Schnittpunkt zwischen Angebot und (Gleichgewichtsmenge, Gleichgewichtspreis). Nachfrage ist das Gleichgewicht „Saysches Gesetz“ – „Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage“: Bei der Produktion von Waren entsteht Einkommen. Wird dieses Einkommen vollständig wieder ausgegeben, dann ist die Nachfrage notwendigerweise gleich groß wie die Produktion. Daraus folgt, dass die Wirtschaft nicht durch einen Mangel an Nachfrage behindert sein kann. Die unregulierte Marktwirtschaft produziert immer beim „Potential Output“. Erreichen des Gleichgewichts auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitskräftenachfrage der Unternehmen wird bestimmt vom Output des Arbeitskräfteeinsatzes („Produktivität“) und den Kosten der Arbeit (Löhne). Die Haushalte bieten Arbeit in Abhängigkeit von ihrer Wertschätzung der Freizeit und dem Arbeitseinkommen ab. Im Gleichgewicht (Gleichgewichtslohn) zwischen Angebot und Nachfrage herrscht Vollbeschäftigung, es gibt nur freiwillige oder „natürliche“ Arbeitslosigkeit. Erreichen des Gleichgewichts auf dem Kapitalmarkt: S(i) = I(i) S... Sparen, I... Investieren, i... Zinssatz Das Angebot an Kapital ergibt sich aus den Ersparnissen der privaten Haushalte (und der Unternehmen), das Ausmaß der Ersparnisse ist positiv abhängig vom Zinssatz. Nachfrage nach Kapital entsteht, wenn Unternehmen investieren, das Ausmaß der Investitionen wird durch die Kosten für Kapital, d.h. den Zinssatz bestimmt. Quantitätstheorie des Geldes: M . V = P . Y, „Neutralität“ des Geldes M... Geldmenge, V... Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, P... Preisniveau, Y... Produktion/BIP/Volkseinkommen. Monetarismus: Bei gegebenem BIP Y (bestimmt durch die Angebotsseite der Wirtschaft) und gegebener Umlaufgeschwindigkeit der Geldmenge V bestimmt die Geldmenge das Preisniveau. In der neoklassischen Theorie werden das BIP und das Wirtschaftswachstum („Potential Output“) von der Angebotsseite der Wirtschaft bestimmt, d.h. vom vorhandenen Arbeitskräfteangebot, Kapitalangebot und von der Produktivität (Technologie). Das Preisniveau wird von der Geldpolitik durch Steuerung der Geldmenge bestimmt. Welche Schlußfolgerungen leitet die neoklassische Theorie für die Wirtschaftspolitik ab? – 13 – Marktwirtschaften sind grundsätzlich stabil und effizient. Es ist kein Eingriff der Wirtschaftspolitik (außer bei eng definierten Fällen von mikroökonomischem Marktversagen) notwendig. Geldpolitik: Die Zentralbank soll mittels Steuerung des exogenen (d.h. von ihr bestimmbaren) Geldangebots für eine stabile Entwicklung des Preisniveaus sorgen (Monetarismus). Liegt der Zinssatz, der sich durch eine zu starke Ausweitung der Geldmenge durch die Zentralbank ergibt, unter dem „natürlichen Zins“, dann entsteht Inflation, wird die Geldmenge zu wenig stark ausgeweitet, entsteht Deflation. Lohnpolitik: Der Preis für Arbeit soll auf Vollbeschäftigungsniveau gehalten werden („Gleichgewichtslohn“). Sind die Kosten der Arbeit zu hoch, so entsteht Arbeitslosigkeit. Budgetpolitik: Der Staat soll nur die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens sicherstellen, er kann durch aktive Eingriffe das BIP und den Wohlstand nicht erhöhen. Öffentliche Nachfrage (höhere Staatsausgaben) verdrängt die private Nachfrage ohne Auswirkungen auf die Höhe des BIP („Crowding out“). Die Wirtschaftspolitik soll durch feste Regel gebunden werden: Die Geldmenge soll genau in jenem Ausmaß ausgeweitet werden, das mit Preisstabilität vereinbar ist. Der Budgetsaldo öffentlicher Haushalte soll ausgeglichen sein. Angebotspolitik: Gleichgewicht durch Flexibilität des Systems relativer Preise Flexibilisierung, Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung Rückzug des Staates, Vervollkommnung der Marktwirtschaft Tugend des Sparens (höheres Sparen senkt den Zins und erhöht die Investitionen) Wichtige Vertreter: Klassische Ökonomie: Smith, Ricardo, Say Neoklassische Ökonomie: Jevons, Menger, Walras, Marshall Monetarismus: Friedman Österreichische Schule: Hayek – 14 – 5. Keynesianische Makroökonomie Annahmen: * Marktversagen tritt auch auf makroökonomischer Ebene in Form von Konjunkturschwankungen, Arbeitslosigkeit, Inflation auf und führt zu Wohlfahrtsverlusten. * Instabilitäten in den Erwartungen der Investoren in Real- und Finanzkapital sind die zentralen Ursachen für Rezessionen und Arbeitslosigkeit. * Die Investitionen der Unternehmen bilden die Schlüsselgröße für die wirtschaftliche Dynamik. 5.1. Die Rolle der Nachfrage In der keynesianischen Theorie bestimmt die Höhe der effektiven Nachfrage das BIP und die Beschäftigung. Unter effektiver Nachfrage versteht man die tatsächlich getätigten Ausgaben der wirtschaftlichen Akteure („ex post“ – im nachhinein - betrachtet). Demgegenüber spiegelt die Nachfragefunktion nur die Nachfragepläne der wirtschaftlichen Akteure („ex ante“ – im vorhinein). Bei Unterauslastung (N2 im Marshallschen Kreuz) schafft sich die Nachfrage das Angebot: Höhere Ausgaben der Wirtschaftsakteure führen zu mehr Produktion und Beschäftigung. Die Keynesianer betonen die Kreislaufzusammenhänge in einer Volkswirtschaft: Die Ausgaben eines Sektors entsprechen immer den Einnahmen der anderen Sektoren. 5.2. Determinanten der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Die aggregierte gesamtwirtschaftliche Nachfrage lässt sich darstellen: Y = C + I + G + NX Das Volkseinkommen oder BIP (Y) ergibt sich als Summe der Konsumnachfrage der privaten Haushalte (C), der Investitionen der Unternehmen (I), der Staatsausgaben (G), und der Nettoexporte (Export-Import) (NX). – 15 – 5.2.1 Wovon hängt die Höhe des Konsums ab? Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte hängt vom verfügbaren Einkommen und der Konsumneigung, sowie einem einkommensunabhängigen Bestandteil ab. Sparen ist ein Residuum, d.h. es ergibt sich nachdem der Konsum getätigt wurde. Makoökonomische Konsumfunktion: C = Caut + c . Yv Y = C + S, S = -Caut + s . Yv Yv = Y – T + Tr C... Konsumnachfrage, Caut ... autonomer (vom Volkseinkommen unabhängiger) Konsum, c... marginale Konsumneigung, S... Sparen, s... marginale Sparneigung, Yv... verfügbares Einkommen, Y... Volkseinkommen, T... Steuern, Tr... Transfers Zusätzliche Determinanten des Konsums können Einkommenserwartungen, das Vermögen und der Zinssatz sein. die mittelfristigen 5.2.2 Wovon hängt die Höhe der Investitionen ab? Investitionen sind für die keynesianische gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Theorie die Schlüsselgröße der Das Investitionsvolumen hängt von den Erwartungen der Unternehmen über die künftige Entwicklung der Nachfrage nach ihren Produkten, über die Produktion und die Gewinne, sowie von den Kosten der Finanzierung ab. Makroökonomische Investitionsfunktion: I = I (Absatzerwartungen, Zinssatz) Akzeleratorprinzip: Höhere Investitionen lösen einen Anstieg des Volkseinkommens, damit höhere Nachfrage und in der Folge wieder höhere Investitionen aus. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Investitionen der Unternehmen und Ersparnissen der privaten Haushalte? Die Investitionen bestimmen die Ersparnisse und nicht umgekehrt. Denn höhere Investitionen führen zu einem Anstieg des BIP und infolge der höheren Einkommen steigen die Ersparnisse: I (E, i) = S (Y). Wir treffen für die weitere Vorgangsweise eine vereinfachende Annahme: I = Iaut Die Investitionen werden als unabhängig vom Volkseinkommen angenommen. – 16 – 5.2.3 Wovon hängt die Höhe der Staatsausgaben ab? Die Höhe der Staatsausgaben wird durch Entscheidungen der Politik (Investitionen, Personalkosten, Sozialleistungen), die Entwicklung des BIP (Ausgaben für Arbeitslosengelder), die Geldpolitik und internationale Entwicklungen (Zinszahlungen) bestimmt. Wir treffen eine vereinfachende Annahme: G = Gaut. Die Staatsausgaben sind unabhängig vom Volkseinkommen. 5.2.4 Wovon hängt die Höhe der Nettoexporte ab? Die Höhe der Nettoexporte wird durch die wirtschaftliche Lage und damit Höhe der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Ausland (heimischer Export), die wirtschaftliche Lage und damit Höhe der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Inland (heimischer Import), die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Produkte auf den internationalen Märkten (abhängig vom Wechselkurs der Währung, von den relativen Produktionskosten), und die qualitative Wettbewerbsfähigkeit bestimmt. Wir treffen eine vereinfachende Annahme: NX = NXaut Realistischer ist folgende Darstellung: NX = Xaut – M(Y) bzw. NX = Xaut – mY Xaut ... die autonomen Exporte sind nicht vom Einkommen im Inland abhängig, M... die Importe sind hingegen abhängig vom Volkseinkommen, wobei die Importneigung m angibt, wie hoch der Importanteil am Volkseinkommen ist. 5.3. Sektorale Finanzierungssalden Die vier großen wirtschaftlichen Akteure (private Haushalte, Unternehmen, Staat, Ausland) haben Einnahmen und tätigen Ausgaben. Daraus entsteht eine Finanzierungsposition (Einnahmenüberschuss oder Ausgabenüberschuss). Die Summe der Finanzierungspositionen in einer Volkswirtschaft muss null ergeben. Wenn sich ein Sektor verschuldet, dann muss gleichzeitig ein anderer Sektor einen Überschuß aufweisen. Die privaten Haushalte konsumieren im Aggregat weniger als sie einnehmen, sie sparen. Die Unternehmer geben mehr aus als sie einnehmen, sie finanzieren ihre Investitionen über Kredite. Der Staat gibt mehr für Investitionen aus als er einnimmt, er verschuldet sich. Das Ausland exportiert etwa gleich viele Güter und Dienstleistungen nach Österreich wie es von uns einführt – Österreich weist eine ausgeglichene Leistungsbilanz auf. – 17 – Abbildung 3: Gesamtwirtschaftliche Finanzierungssalden in Österreich 1980-2002 In % des BIP 10 ESVG79 ESVG95 8 6 Private Haushalte 4 2 Ausland 0 -2 -4 Staat -6 Unternehmen -8 -10 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 2000 2002 Quelle: Statistik Austria, WIFO. S = I + BS + LBS bzw. (G - T) = (Sh - H) + (Sb - I) + (M - X) wobei S... gesamtwirtschaftliches Sparen, Sh... Sparen der privaten Haushalte, Sb... Sparen der Unternehmen, I... Investitionen der Unternehmen, H... Investitionen der Haushalte (Wohnungen), BS... Budgetsaldo, G... Staatsausgaben, T... Steuern, LBS... Leistungsbilanzsaldo, M... Importe, X... Exporte Determinanten: * des Sparüberschusses der privaten Haushalte: Y, Erwartungen, Einkommensverteilung * des Kreditüberschusses des Unternehmenssektors: i, Erwartungen * des Budgetsaldos des öffentlichen Sektors: Y, diskretionäre Politik * des Leistungsbilanzsaldos (Finanzierungssaldo des Auslandes): Y, Wettbewerbsfähigkeit – 18 – 5.4. Der Multiplikator Wir stellen uns die Frage, in welchem Ausmaß eine Erhöhung der Investitionen das BIP verändert. Dies kann mithilfe des Einkommensmultiplikators beantwortet werden. Einkommensmultiplikator: ∆Y = 1/(1-c) . ∆I Eine Erhöhung der Investitionsausgaben der Unternehmen (∆I) löst eine Erhöhung des BIP (∆Y) um ein Vielfaches aus. Eine Investition (Kauf einer Maschine) von 1 Mrd. Euro erhöht das Einkommen der Maschinenhersteller (Arbeitnehmer und Unternehmer) um 1 Mrd. Euro. Aus dem höheren Einkommen wird ein Teil gespart und ein Teil konsumiert. Nehmen wir an, die marginale Konsumneigung (c), d.h. die Zunahme der Konsumausgaben, wenn sich das verfügbare Einkommen um eine Einheit erhöht, beträgt 0,9. Dann steigen die Konsumausgaben der Maschinenhersteller infolge der Erhöhung des Einkommens um 900 Mill. Euro. Im gleichen Ausmaß erhöht sich das Einkommen bei den Konsumgüterherstellern. Aus dem zusätzlichen Einkommen der Konsumgüterhersteller wird wieder ein Teil gespart (0,1 x 900 Mill. Euro) und ein Teil konsumiert (0,9 x 900). Dieser Prozess setzt sich in vielen Stufen fort. Die Auswirkung der ursprünglichen Erhöhung der Investitionen um 1 Mrd. Euro auf das BIP ergibt sich aus der Summe der Gesamtnachfrage, d.h. aller getätigten Ausgaben (1 Mrd. + c x 1 Mrd. + c x c x 1 Mrd. usw.). Die Höhe der marginalen Konsumneigung bestimmt die Höhe des Multiplikators. Je mehr von einem Zusatzeinkommen wieder ausgegeben wird, desto höher ist der Multiplikator, d.h. desto stärker wirkt sich eine Erhöhung der Investitionen auf das BIP aus. Das BIP ergibt sich im einfachsten Fall aus der Summe von Konsumausgaben und Investitionsausgaben. Y = Caut + Iaut + cY, S = -Caut + sY Y – c.Y = Caut + Iaut Y = 1/(1-c) (Caut + Iaut) Nehmen wir folgende Werte für unsere Variablen an: Caut = 50, Iaut = 100, c = 0.9. Dann ergibt sich für das Volkseinkommen: Y = Caut + Iaut + cY Y = 1.500 – 19 – Steigen die Investitionen ∆I = 100, so beträgt das Y nun 2.500, ∆Y = 1.000, der Multiplikator beträgt 10. Beziehen wir den Staat (mit den Staatsausgaben G, den Steuern T und den Transfers Tr) ein, so ergibt sich: Y* = 1/(1-c) . (Iaut + Caut + G – cT + cTr) Was passiert, wenn der Staat seine Einnahmen oder Ausgaben erhöht? Eine Erhöhung der Staatsausgaben führt zu einem höheren BIP im Ausmaß des Einkommensmultiplikators. Erhöht der Staat die Transfers an die privaten Haushalte, so steigt das BIP, allerdings weniger stark als bei einer Erhöhung des Staatsverbrauchs. Eine Erhöhung der Steuern führt zu einem Rückgang des BIP. ∆Y = 1/(1-c).∆G Staatsausgabenmultiplikator: Transfermultiplikator: ∆Y = c/(1-c).∆Tr Steuermultiplikator: ∆Y = – c/(1-c).∆T (wobei T...Kopfsteuer) Was passiert, wenn der Staat gleichzeitig und im selben Ausmaß seine Ausgaben G und seine Einnahmen T erhöht? Haavelmo-Theorem: ∆Y = 1/(1-c).∆G – c/(1-c).∆T ∆Y = ∆G (Multiplikator = 1) Erhöht der Staat seine Ausgaben und finanziert er das durch eine Erhöhung der Steuern, so dass sich der Budgetsaldo nicht verändert, so steigt dadurch das BIP. Der expansive Effekt einer vollständig durch Steuern finanzierten Erhöhung der Staatsausgaben ergibt sich daraus, dass die Steuerzahler auch sparen. Das heißt die Steuererhöhung führt nicht in vollem Ausmaß zu einer Dämpfung der Nachfrage, ein Teil der Steuererhöhung führt auch zu einem Rückgang des Sparens. Hingegen gibt der Staat alle Einnahmen wieder nachfragewirksam aus. Treffen wir nun die realistischere Annahme, dass die Steuern proportional vom Volkseinkommen abhängen (T = t.Y, wobei t... Steuersatz ). Was ergibt sich daraus für die Höhe des Multiplikators in einer geschlossenen Volkswirtschaft? Y* = Caut + c.Y – c.t.Y +c.Tr+ Iaut+ Gaut Y – c.Y +c.t.Y = Caut + Iaut+ Gaut + c.Tr – 20 – Y* = 1/(1-c(1-t)).(Iaut+Caut+G+c.Tr) Die Höhe des Multiplikators wird durch die Konsumneigung c und den Steuersatz t bestimmt. Je höher die Konsumneigung, desto größer ist der Multiplikator. Je höher der Steuersatz, desto kleiner der Multiplikator. Automatische Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte: Die Steuereinnahmen sind abhängig von der Höhe des BIP. Die Staatsausgaben sind zum überwiegenden Teil unabhängig von der Höhe des BIP (Ausnahmen: Arbeitslosengelder u.a.). Wenn im Konjunkturaufschwung das BIP steigt, steigen die Steuereinnahmen an. Höhere Einkommen und mehr Beschäftigung führen zu höherem Aufkommen an Lohn- und Einkommensteuer und an Sozialversicherungsbeiträgen, höhere Konsumausgaben führen zu höherem Aufkommen an Mehrwertsteuer und sonstigen Verbrauchssteuern. Die Staatsausgaben für Arbeitslosigkeit sinken. Der öffentliche Sektor verbessert somit automatisch seinen Finanzierungssaldo (geringeres Budgetdefizit). Gleichzeitig entzieht der Staat mit den höheren Steuereinnahmen gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die Konjunktur wird gebremst, eine Überhitzung wird verhindert. Automatisch (d.h. ohne dass Gesetze verändert werden) stabilisiert der Staat somit die Konjunktur. In der Rezession sinken BIP, Einkommen und Beschäftigung. Damit gehen auch die Einnahmen des Staates zurück, während die Ausgaben für Arbeitslosigkeit steigen. Der Finanzierungssaldo des Staates verschlechtert sich. Damit werden dem privaten Sektor höhere verfügbare Einkommen überlassen. Das Defizit des öffentlichen Sektors stabilisiert die Konjunktur und verhindert einen tiefen Einbruch in der Rezession. Budgetsaldo: BS = T – G – Tr BS = t.Y – G - Tr Erweitern wir unsere Analyse auf eine offene Volkswirtschaft mit Staat, so ergibt sich für die Ableitung des Multiplikators: Y* = Caut + c.Y – c.t.Y +c.Tr+ Iaut+ Gaut+ Xaut - m.Y Y* = 1/(1-c(1-t)+m).( Iaut + Caut + Gaut + Xaut + c.Tr) c... Konsumneigung, t... Steuersatz, m... Importneigung Der Einkommensmultiplikator in einer offenen Volkswirtschaft mit Staat lautet: ∆Y = 1/(1-c(1-t)+m) . ∆I – 21 – Beispiel Österreich: c=0,92, t=0,40, m=0,55 ∆Y = 1/(1-0,92(1-0,40)+0,55) . ∆I ∆Y = 1,0 . ∆I Der Multiplikator einer Erhöhung autonomer Ausgaben (Investitionen, Staatsausgaben, Exporte) beträgt in Österreich im Durchschnitt etwa 1, d.h. eine Erhöhung der autonomen Ausgaben um 1 Mrd Euro führt zu einem Anstieg des BIP um 1 Mrd. Euro. Beispiel EU: c=0,92, t=0,40, m=0,10 ∆Y = 1/(1-0,92(1-0,4)+0,1) . ∆I ∆Y = 1,8 . ∆I Der Multiplikator einer Erhöhung autonomer Ausgaben beträgt in der EU knapp 2. Er ist v.a. deshalb höher als in Österreich, weil die Importneigung viel geringer ist. Der Binnenmarkt ist eine geschlossene Volkswirtschaft, in der fast 90% aller erzeugten Güter und Dienstleistungen auch im Binnenmarkt verbraucht werden und nur etwa 10% der verbrauchten Güter und Dienstleistungen aus dem Ausland importiert werden. Der Multiplikator ist umso höher: * je höher die Konsumneigung * je niedriger der Abgabensatz * je niedriger die Importneigung. Die Konsumneigung unterscheidet sich nach Einkommensgruppen. Die Konsumneigung beträgt in Österreich im unteren Einkommensdrittel kurzfristig 0,8 und mittelfristig 1,2, im mittleren Einkommensdrittel kurzfristig 0,5 und mittelfristig 1 und im oberen Einkommensdrittel kurzfristig 0,4 und mittelfristig 0,8. Eine Umverteilung vom oberen zum unteren Einkommensdrittel hat deshalb expansive Effekte auf den Multiplikator und das BIP. kurzfristigen Multiplikatoren expansiver Budgetpolitik in Österreich (laut WIFO): Investitionen in Verkehrsinfrastruktur: Multiplikator 1,2 – 1,8 (geringe Importneigung). Inv. in Informations- und Kommunikationstechn.: 0,9 - 1,1 (hohe Importneigung). Lohnsteuersenkung für das untere Einkommensdrittel: 0,9 (hohe Konsumneigung). – 22 – Lohnsteuersenkung für das mittlere und obere Einkommensdrittel: 0,5. 5.5. Grundzüge keynesianischer Wirtschaftspolitik Die keynesianische Theorie betont die Bedeutung von Institutionen und aktiver Wirtschaftspolitik: Reduzierung von Unsicherheit, Verhinderung destabilisierender Schwankungen der Erwartungen von Unternehmen und Finanzanlegern durch Politik niedriger Zinsen, antizyklische Budgetpolitik, stabile reale Lohnstückkosten. Geldpolitik: Die Keynesianer gehen davon aus, dass die Zentralbank die kurzfristigen Zinsen kontrollieren kann, die Geldmenge verändert sich automatisch (endogen) im Konjunkturverlauf. Das Ziel der Geldpolitik soll die Stimulierung realwirtschaftlicher Investitionen sein. Lohnpolitik: Löhne haben eine Doppelrolle als Kosten- und Nachfragefaktor. Die Löhne sollen so steigen, dass ausreichend Konsumnachfrage entsteht, ohne Inflation zu erzeugen. Fiskalpolitik: Budgetpolitik hat "reale" Effekte auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Instrumente der Budgetpolitik: automatische Stabilisatoren, diskretionäre Budgetpolitik (Steuern, Staatsausgaben, Transfers). Instrumente, um aus einer Rezession mit hoher Arbeitslosigkeit herauszufinden: höhere öffentliche Investitionen, Erhöhung von Transfers, Senkung von Steuern, gleichere Einkommensverteilung, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Zinssenkung, Lohnerhöhung. Wichtige Vertreter: John Maynard Keynes, Michal Kalecki – 23 – 6. Neoklassik und Keynesianismus – ein Vergleich 6.1. Wirkung höherer Staatsausgaben (expansive Budgetpolitik) Der Keynesianismus geht von Unterauslastung der Produktionskapazitäten und Arbeitslosigkeit aus. Eine Erhöhung der Staatsausgaben bedeutet eine Verschiebung der Nachfrage und führt zu höherem BIP (Multiplikator!), höherer Beschäftigung und geringerer Arbeitslosigkeit. Die Erhöhung der Staatsausgaben finanziert sich z.T. selbst, weil mit höherem BIP auch das Steueraufkommen steigt (Wirkung der automatischen Stabilisatoren). Die Neoklassik geht vom Potential Output aus. Eine Erhöhung der Staatsausgaben kann das BIP nicht erhöhen, sondern verdrängt nur private Nachfrage. Das Ergebnis ist der Nachfrageerhöhung sind Inflation und höheres Zinsniveau. 6.2. Erhöhung der Löhne Im Keynesianismus steigern höhere Löhne die verfügbaren Einkommen und führen damit zu einem Anstieg des Konsums, des BIP und der Beschäftigung (Kaufkraftthese). Geht der Lohnanstieg über den Anstieg der Produktivität hinaus, so führt dies zu steigenden Lohnstückkosten (Lohnkosten pro erzeugter Einheit), die die Unternehmen in die Preise fortzuwälzen versuchen, und somit zu Inflation. In einer offenen Volkswirtschaft ist damit ein Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und somit eine Dämpfung von Export und BIP verbunden. In der Neoklassik führen höhere Löhne zu einer Verschiebung der relativen Preise von Arbeit und Kapital. Die Unternehmen werden kapitalintensiver produzieren, die Beschäftigung wird sinken (Substitutionsthese). Höhere Löhne bedeuten auch weniger Gewinne und damit weniger Investitionen (Gewinnthese). 6.3. Zinssenkung Im Keynesianismus sind die Investitionen von den Erwartungen der Unternehmer und den Finanzierungskosten abhängig. Sinken die Zinsen bei gegebenen Erwartungen, so werden mehr Investitionsprojekte gewinnbringend. Die Investitionen und damit das BIP werden steigen. In der Rezession wird bei Bestehen von pessimistischen Erwartungen eine Zinssenkung nicht notwendigerweise zu einem Anstieg der Investitionen führen („Investitionsfalle“). – 24 – In der Neoklassik führen niedrigere Zinsen, die mit einer Ausweitung der Geldmenge einhergehen, zu Inflation. Niedrigere Zinsen können auch das Sparen der privaten Haushalte verringern und so zu einem Ausfall von Kapital für Investitionen führen. 6.4. Anstieg der Ersparnisse Steigt die Sparneigung (s) der privaten Haushalte, so führt dies in einer keynesianischen Situation zu rückläufigen Konsumausgaben, damit zu einem Rückgang des BIP. Als Folge des Rückgangs des Volkseinkommens kann es sogar zu einem Rückgang in der absoluten Höhe des Sparens kommen („Sparparadoxon“). In der neoklassischen Theorie bewirkt ein Anstieg der Ersparnisse einen Rückgang des Zinsniveaus und einen Anstieg von Investitionen und BIP. 6.5. Verlängerung der Arbeitszeit Wird die gesetzliche oder kollektivvertraglich vereinbarte Arbeitszeit pro Beschäftigtem ohne Lohnausgleich erhöht, so würde laut keynesianischer Meinung das BIP nicht steigen. Allfällige Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit durch einen Rückgang der Lohnstückkosten und damit höhere Exporte werden durch einen Rückgang der Konsumausgaben kompensiert. Allerdings würde das Arbeitsvolumen auf weniger Beschäftigte aufgeteilt und somit würde die Beschäftigung sinken und die Arbeitslosigkeit steigen. In der neoklassischen Theorie bringt eine Ausweitung der Arbeitszeit pro Beschäftigtem ein höheres Arbeitskräfteangebot mit sich, damit steigt der Potential Output und somit auch das BIP. – 25 – 7. Wirtschaftswachstum und Konjunktur Wirtschaftswachstum und Konjunktur – Trend und Zyklus: Die Analyse des Wirtschaftswachstums konzentriert sich auf längerfristige Entwicklung und Faktoren, die Analyse der Konjunktur auf kurzfristige Schwankungen von Volkseinkommen und Produktion. Beide Analysen sind nicht voneinander zu trennen, Veränderungen in der Konjunktur können Auswirkungen auf das längerfristige Wirtschaftswachstum haben. Tabelle 1: Veränderung des BIP real in % p.a. 60-70 70-80 80-90 90-00 00-04 Österreich 4,5 3,6 2,4 2,4 1,2 EU-15 4,8 3,0 2,3 2,1 1,4 USA 4,2 3,2 3,3 3,3 2,5 Japan 10,1 4,4 3,9 1,5 1,0 Quelle: OECD, WIFO Das Wirtschaftswachstum in Österreich verläuft meist parallel zu jenem der EU. Österreichs Wirtschaft ist aber in den siebziger Jahren und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre rascher gewachsen. In Österreich war in der Vergangenheit der Konjunkturzyklus stabiler als in der EU, die Rezessionen waren weniger tief. Die Wirtschaft der EU ist in den achtziger Jahren deutlich langsamer als in Japan, in den neunziger Jahren deutlich langsamer als in den USA gewachsen. Bestimmungsgründe des Wirtschaftswachstums: (1) Nachfrageseitige („keynesianische“) Bestimmung des Wirtschaftswachstums: Das Wirtschaftswachstum ergibt sich aus der Veränderung der Konsumausgaben, der Investitionen, der Nettoexporte und der Staatsausgaben. Politikinstrumente zur Belebung des Wachstums: expansive Zins- und Budgetpolitik, gerechtere Einkommensverteilung, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, Stabilisierung der Erwartungen. – 26 – Abbildung 4: BIP pro Kopf (zu Preisen und Kaufkraftparitäten 2000), Österreich EU 15=100 120 115 110 105 100 95 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 Quelle: OECD. (2) Angebotsseitige („neoklassische“) Bestimmung des Wirtschaftswachstums: Das Wirtschaftswachstum ist abhängig von Arbeitskräfteangebot, Kapitalangebot und technologischem Fortschritt. Politikinstrumente zur Belebung des Wachstums: Bildungs- und Qualifizierungspolitik, Forschung und Entwicklung, Arbeitszeit, Erwerbsbeteiligung, Migration, Investitions- und Sparförderung. – 27 – 8. Beschäftigung und Arbeitslosigkeit In Österreich waren im Jahr 2004 3,077.700 Personen aktiv beschäftigt (+20.000 gegenüber dem Vorjahr). Die Beschäftigungsquote (aktiv Erwerbstätige in % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre)) betrug 62,9%. 243.600 Personen (+3.500 gegenüber dem Vorjahr) waren im Jahresdurchschnitt arbeitslos, die Arbeitslosenquote betrug 2003 4,5% der Erwerbspersonen laut Eurostat bzw. 7,1% der unselbständig Erwerbstätigen laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger. In den EU15 betrug die Arbeitslosenquote 8,1% (EU-25: 9,1%). Ursachen von Arbeitslosigkeit: Neoklassik: Arbeitslosigkeit ist durch „Rigiditäten“ auf dem Arbeitsmarkt bzw. durch zu hohe Löhne bestimmt. Keynesianismus: Arbeitslosigkeit entsteht aufgrund zu geringen Wirtschaftswachstums. Strukturelle versus konjunkturelle Arbeitslosigkeit: Konjunkturelle Arbeitslosigkeit kann durch höheres Wirtschaftswachstum zum Verschwinden gebracht werden, strukturelle Arbeitslosigkeit basiert auf Strukturfaktoren (Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage, zu hohe Löhne etc.), NAIRU („Non accelerating inflation rate of unemployment“). Abbildung 5: Arbeitslosigkeit in Österreich, 1970-2004, Arbeitslose in Personen 300.000 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 0 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 Quelle: Statistik Austria, WIFO. – 28 – Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit: Zwischen dem Wachstum der Produktion von Gütern und Dienstleistungen einerseits und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt andererseits besteht ein enger Zusammenhang. Höheres Wirtschaftswachstum führt zu einem Anstieg der Beschäftigung und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Das Wirtschaftswachstum, ab dem die Beschäftigung zu steigen beginnt, beträgt im Durchschnitt etwa 1¾% („Beschäftigungsschwelle“). Das Wirtschaftswachstum, ab dem die Arbeitslosigkeit zu sinken beginnt, beträgt im Durchschnitt etwa 2¼% („Arbeitslosigkeitsschwelle“). Daumenregel „Okunsches Gesetz“ – die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums um 3% führt zu Rückgang der Arbeitslosigkeit um 1 Prozentpunkt oder Wohlstandsgewinn eines Rückgangs der Arbeitslosenquote um 1 Prozentpunkt beträgt 3%. Wirtschaftspolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Neoklassik: Arbeitsmarktflexibilisierung – Senkung der Löhne führt über relative Verbilligung des Faktors Arbeit gegenüber dem Faktor Kapital zu beschäftigungsintensiverer Produktion („Substitutionsthese“) und über Erhöhung der Gewinne zu höheren Investitionen und Wirtschaftswachstum („Gewinnthese“), Abbau von Kündigungsschutzvorschriften und anderen „Rigiditäten“ auf dem Arbeitsmarkt, Senkung von Arbeitslosengeldern in Relation zu Löhnen, Arbeitszeitverlängerung zur Senkung der Lohnkosten pro erzeugtem Stück. Keynesianismus: Beschleunigung des Wirtschaftswachstums zur Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskräften. Eine Ausweitung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen führt zu höherer Nachfrage nach Arbeitskräften. Arbeitszeitverkürzung erhöht die Zahl der Beschäftigten und verringert die Zahl der Arbeitslosen. – 29 – 9. Öffentlicher Haushalt und Budgetdefizite Die Staatseinnahmen betrugen in Österreich im Jahr 2004 49,1% des BIP (EU-15: 45,3%), die Staatsausgaben 50,5% des BIP (48,0%), daraus ergibt sich ein Finanzierungssaldo des öffentlichen Sektors („Net lending“) von -1,3% des BIP (-2,7%). Die Bruttoverschuldung des öffentlichen Sektors betrug 64,0% des BIP (64,4%). Ursachen von Budgetdefiziten: – strukturelle Faktoren (steigender Aufwand für Zinszahlungen, Arbeitslosigkeit, Pensionsleistungen) - konjunkturelle Faktoren (Wirksamkeit der „automatischen Stabilisatoren“ der öffentlichen Haushalte in der Rezession) "Stabilitäts- und Wachstumspakt" in der EU: Der SWP koordiniert die Budgetpolitik der der Mitgliedsstaaten der EU. Er schreibt mittelfristig einen ausgeglichenen Staatshaushalt vor ("close to balance or in surplus"). Steigt das Budgetdefizit über 3% des BIP, so werden Sanktionen in Form von Strafzahlungen verhängt. Die Mitgliedsstaaten erstellen jährlich eine mittelfristige Budgetvorschau ("Stabilitätsprogramm"), die von Rat und Kommission genehmigt wird. Begründungen für die Notwendigkeit einer Koordinierung nationalstaatlicher Budgetpolitik in einer Währungsunion: neoklassische Sichtweise: Übermäßige Budgetdefizite in einem Mitgliedsland führen zu einem Anstieg von Inflation und Zinsniveau in allen Mitgliedsländern, Koordinierung verhindert diese negativen externen Effekte. keynesianische Sichtweise: In einer Rezession führen höhere Staatsausgaben in einem Mitgliedsland zu einem Anstieg des BIP und der Beschäftigung in allen Mitgliedsländern. Diese positiven externen Effekte treten ohne Koordinierung der Budgetpolitik aber nicht auf, weil ein Land die Kosten zu tragen hätte, während die anderen Länder die Erträge lukrieren. – 30 – Abbildung 6: Wirtschaftswachstum und Neuverschuldung in Österreich, 1970-2004 8 6 W irtschaftswachstum 4 in % 2 0 -2 -4 Finanzierungssaldo des S t aates -6 in % des BIP -8 (Maast richt) 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 Quelle: BMF, Statistik Austria, WIFO. Wie kann die Budgetpolitik Wachstum fördern und Arbeitslosigkeit bekämpfen? * automatische Stabilisatoren der öffentlichen Haushalte: Im Konjunkturabschwung entsteht automatisch ein Budgetdefizit des öffentlichen Sektors, dadurch wird die Konjunktur stabilisiert, die Arbeitslosigkeit stiegt weniger stark an, als in einer wirtschaft ohne Staat. * aktive Fiskalpolitik: Der Staat erhöht die Staatsausgaben und senkt die Steuern, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu erhöhen, dadurch steigen BIP und Beschäftigung. Öffentliche Investitionen haben eine stärkere Wirkung als Steuersenkungen. * Umstrukturierung von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben: Reform der Abgaben zugunsten besserer Wachstums- und Beschäftigungseffekte (Entlastung der unteren und Belastung der oberen Einkommensschichten, Förderung von Investitionen), Reform der Staatsausgaben (Förderung von Bildung, Innovation; Verbesserungen der Verteilungswirkungen im Sozialstaat; Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen) – 31 – 10. Demographische Entwicklung und Finanzierbarkeit des Pensionssystems Die "Alterung der Gesellschaft" wird in den kommenden Jahrzehnten erhebliche Auswirkungen auf alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche haben. Die Bevölkerungsprognose von Statistik Austria ("mittlere Variante") erwartet bis zum Jahr 2050 folgende Veränderungen: Die Zahl der Personen im Alter von 65 und höher verdoppelt sich von 1,2 Millionen auf 2,4 Millionen; die Bevölkerung im Erwerbsalter (20-64 Jahre) sinkt von 4,9 Millionen auf 4,4 Millionen; die Zahl der Jugendlichen bis zum 20. Lebensjahr sinkt von 1,85 auf 1,35 Millionen. Die Verschiebung in der Relation von Bevölkerung im Erwerbsalter zu Bevölkerung im Ruhestand hat Konsequenzen für die Finanzierbarkeit des öffentlichen, umlagefinanzierten Pensionssystems. Auf eine Person im Ruhestand kommen dann nicht mehr 2,8, sondern nur noch 1,3 Personen im Erwerbsalter. Abbildung 7: Bevölkerung Österreichs nach Altersklassen, 1970-2075 0-19 6.000 20-64 65 und älter 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 1970 Q: Statistik Austria. 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2075 – 32 – Die Finanzierbarkeit des Pensionssystems hängt allerdings primär von folgenden Einflussfaktoren ab: - Der Höhe des Volkseinkommens, denn die Pensionisten müssen aus dem Volkseinkommen erhalten werden. Entscheidend für die Finanzierbarkeit ist somit das Wirtschaftswachstum bis ins Jahr 2050; beträgt es nur 1% pro Jahr, so erreicht das BIP im Jahr 2050 real das 1,6 fache des Ausgangswerts von 2003 (gut 300 Mrd. Euro), beläuft es sich auf 2% pro Jahr, so steigt das BIP auf das 2 1/2 fache (gut 500 Mrd. Euro), erhöht sich das Wirtschaftswachstum auf 3% pro Jahr, so beträgt das BIP im Jahr 2050 das Vierfache des Ausgangswerts (gut 800 Mrd. Euro). Je höher das Wirtschaftswachstum, desto höher das Volkseinkommen und desto leichter die Finanzierbarkeit der Pensionen. - Der Erwerbsquote: Der Rückgang der Zahl der im Erwerbsalter befindlichen Personen kann durch einen Anstieg der Erwerbsquoten ausgeglichen werden. Potential besteht in Österreich vor allem in einem Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit. - Der Reform der Struktur der öffentlichen Haushalte: Der Rückgang der Zahl der Jugendlichen bringt erhebliche Einsparungsmöglichkeiten für das Budget im Bereich der Familienförderung, der Ausgaben für Schulen etc. Diese Mittel können zur Finanzierung des Pensionssystems umgeschichtet werden. - Reformen innerhalb des Pensionssystems: Ansatzpunkte für die Reform des Pensionssystems i.e.S. bieten das Pensionsantrittsalter, die Höhe der Pensionen, die Beiträge zur Pensionsversicherung. – 33 – 11. Inflation, Wechselkurs und Zahlungsbilanz Der Anstieg der Verbraucherpreise betrug gemäss HVPI („Harmonised index of consumer prices“) im Jahr 2004 in Österreich 1,9% (EU 15: 2,0%). Determinanten der Inflation: Keynesianische Bestimmungsgründe: kostenseitig bedingte Preissteigerungen (Lohnstückkosten, Rohstoffpreise, Wechselkurse, indirekte Steuern, Zinskosten) Neoklassische Bestimmungsgründe: nachfrageseitig (Ausweitung der Geldmenge, Überschussnachfrage) bedingte Preissteigerungen Kosten von Inflation: 1. erwartete Inflation – geringe Kosten, da Einkommenssteigerungen (Löhne, Zinsen) in Bezug auf Preissteigerung ausgehandelt wurden; stabile Inflationsraten beeinträchtigen die Wirtschaftsentwicklung kaum. 2. unerwartete Inflation – Realeinkommensverluste. Inflation wird aus technischen Gründen meist überschätzt, Volkswirtschaften mit Wirtschaftsentwicklung und raschem Strukturwandel weisen meist etwas Inflationsraten auf ("Inflation als Schmiermittel"). Preisstabilität wird meist als Inflationsrate definiert (EZB: Inflation unter aber nahe bei 2%; Bank of Inflationsrate 1%-3%). positiver höhere positive England Kosten der Deflation (allgemeiner Rückgang der Preise): Die Haushalte verschieben Konsumausgaben, daraus folgt ein Rückgang der Nachfrage, Wirtschaft gerät in eine Rezession, Arbeitslosigkeit steigt. Die großen Wirtschaftskrisen der Vergangenheit waren Deflationskrisen, keine Inflationskrisen. Bekämpfung von Inflation: Neoklassik/Monetarismus: Inflation ist eines der zentralen Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung. Zentralbank soll Geldmenge und Zinssatz so steuern, dass Preisstabilität gewahrt bleibt. Keynesianismus: Lohnstückkosten sollen sich so entwickeln, dass kein Preisdruck entsteht, Rohstofflager zur Stabilisierung der Rohstoffpreise. – 34 – Auf EU-Ebene wurde die Europäische Zentralbank (EZB) geschaffen. Ihre zentrale Aufgabe ist die Wahrung der Preisstabilität, definiert als Anstieg des HVPI (nahe aber unter 2% p.a.). Die EZB ist unabhängig gegenüber politischen Entscheidungsträgern. Ihre Zinsentscheidungen basieren auf einer „Zwei-Säulen-Strategie“ (Wachstum der Geldmenge, andere Determinanten der Preissteigerungen). Der Dollar-Euro-Wechselkurs betrug zuletzt im Durchschnitt des Jahres 2004 1,24 $ je . Der Euro hat gegenüber dem Dollar im Vergleich zu 2001 um etwa ein Drittel aufgewertet. Determinanten der Wechselkursentwicklung: - Kaufkraftparität - Zinsparität - Devisenmarktspekulation Auswirkungen der Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar: Dämpfung des EUExports, der Investitionen und des Wirtschaftswachstums, Dämpfung des (Import-) Preisauftriebs. Die Zahlungsbilanz misst die realen und monetären Ströme zwischen In- und Ausland. Sie umfasst die Leistungsbilanz und die Kapitalbilanz (die beiden Größen müssen sich bereinigt um die Veränderung der Währungsreserven ausgleichen). Die Leistungsbilanz umfasst die Handelsbilanz (Außenhandel mit Waren), Dienstleistungsbilanz (Reiseverkehr u.a.), Einkommensbilanz und Transferbilanz. Die Leistungsbilanz wies in Österreich im Jahr 2004 ein Defizit auf. Tabelle: Leistungsbilanz (in Mrd. ) 2001 2002 2003 2004 Leistungsbilanz -4,13 +0,75 -1,11 -2,38 Waren -4,44 +0,30 -2,09 -0,51 Reiseverkehr +1,42 +1,96 +2,04 +2,16 sonst. Dienstleistungen +3,82 +3,74 +4,02 +3,80 Einkommen -3,44 -1,69 -1,62 -1,78 Transfers -1,35 -1,95 -2,07 -2,82 – 35 – Determinanten der Entwicklung der Leistungsbilanz: 1. Wachstumsdifferenz zwischen Inund Ausland: Beschleunigung des Wirtschaftswachstums bei den Handelspartnern führt zu einem Anstieg der heimischen Exporte, höheres Wirtschaftswachstum im Inland erhöht die heimischen Importe. 2. preisliche Wettbewerbsfähigkeit: Verringerung der Lohnstückkosten gegenüber den Handelspartnern, Abwertung der Währung etc. führen zu einer Erhöhung des Exports. 3. qualitative Wettbewerbsfähigkeit: Verbesserung der Produktqualität führt zu höheren Expdorten. – 36 – 12. Einkommensverteilung Funktionelle Einkommensverteilung: Einkommen aus Besitz und Unternehmung, Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit – Lohnquote (Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen) Personelle Einkommensverteilung: Verteilung nach Haushalten oder Haushaltsgruppen Primäre Einkommensverteilung: Ergebnis des Marktprozesses Sekundäre Einkommensverteilung: Nach Umverteilung durch Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Sektors Die Lohnquote betrug in Österreich im Jahr 2002 unbereinigt gut 70% des Volkseinkommens, bereinigt um Verschiebungen in der Struktur der Erwerbstätigen lag sie bei etwa 60%. Die wichtigsten Determinanten des Lohnanteils am Volkseinkommen sind die Arbeitslosigkeit (Verhandlungsmacht der Gewerkschaften), die Konjunktur (antizyklische Entwicklung der Lohnquote) und die Inflation (Lohnpolitik). Abbildung8: Lohnquote in Österreich, 1970-2003 In % des Volkseinkommens 80 75 70 65 unbereinigt 60 bereinigt 55 70 72 Quelle: WIFO. 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 – 37 – Das Durchschnittseinkommen der unselbständig Erwerbstätigen betrug im Jahr 2002 1.901 ). Es ist im Dienstleistungssektor (Handel 1.677 , Tourismus 1.312 , öffentliche Verwaltung 1.887 ) deutlich niedriger als in der Sachgütererzeugung (Metallerzeugung und –bearbeitung 2.312 , Maschinenbau 2.458 , Textil- und Bekleidung 1.626 ). Das Durchschnittseinkommen der Frauen beträgt 67% jenes der Männer. Das untere Einkommensdrittel bezog im Jahr 1991 (letztes Jahr einer umfassenden Untersuchung der primären und sekundären Einkommensverteilung) 12% aller Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit, das mittlere Einkommensdrittel 28% und das obere Einkommensdrittel 60%. Die Umverteilungswirkung des öffentlichen Sektors: Staatseinnahmen: proportionale Verteilungswirkungen (positiv: Lohnund Einkommensteuer, Kapitalertragssteuer, negativ: indirekte Steuern, Sozialversicherungsbeiträge). Von den Abgaben zahlte im Jahr 1991 das untere Einkommensdrittel 9%, das mittlere 27% und das obere 64%. Staatsausgaben – merklich umverteilend, v.a. durch Sozialtransfers und öffentliche Infrastruktur (Bildung, Gesundheit etc.). Von den gesamten Staatsausgaben kamen 1991 dem unteren Einkommensdrittel 29%, dem mittleren 31% und dem oberen 40% zugute. Die Sozialausgaben gingen zu 47% ins untere, zu 27% ins mittlere und zu 26% ins obere Einkommensdrittel.