Abitur 2003 Philosophie Gk Lehrer Seite 1 Hinweise für den Lehrer Die vorgelegte Prüfungsaufgabe besteht aus zwei Prüfungsarbeiten A und B. Der Prüfungsteilnehmer hat davon eine Prüfungsarbeit auszuwählen. Alle Prüfungsunterlagen sind geschlossen nach Ablauf der schriftlichen Prüfung einzusammeln. Die Prüfungsarbeit wird entsprechend dem nachfolgend ausgeführten Erwartungshorizont bewertet. Abitur 2003 Philosophie Gk Lehrer Seite 2 Erwartungshorizont -A1. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich I Berkeley ist ein sog. Sensualist, im Vergleich mit Locke und Hume bringt er den Empirismus in die konsequenteste Version, was letztlich zu einem dogmatischen Idealismus wird. Auch ohne eine philosophiegeschichtliche Einordnung, die, wenn sie geleistet wird, auf der Grundlage des jeweils erteilten Unterrichts gewertet werden kann, ist aus dem Text selbst zu erschließen: - Berkeley stellt mit Hilfe mehrerer Beispiele dar, wie uns unserer Sinne Gegenstände liefern. Erst nachträglich bezeichnen wir sie als einen bestimmten Gegenstand, dem wir die Empfindung zuordnen. Die Sinneswahrnehmung geschieht durch etwas, was wahrnimmt: das Ich Nur dieses Ich existiert, alle Dinge existieren lediglich in diesem wahrnehmenden Ich Sein ist Wahrgenommenwerden Berkeley gibt den Dingen also nur im denkenden und wahrnehmenden Ich eine Realität, er bestreitet die „Objektivität“ des Wahrgenommenen. Dass nichts außerhalb von mir existiert, ist ein prüfenswertes Gedankenspiel. Konsequenterweise ist alles weg, wenn ich nicht mehr da bin bzw. ist der Baum nur da, wenn ihn jemand sieht. Die Dinge existieren, weil wir sie wahrnehmen. 2. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich II. Berkeleys Prämisse ist die unbefragte Annahme eines „perzipierenden“ Geistes. Er sichert also die Dinge über den Umweg der Sicherheit der Wahrnehmungsmöglichkeit. B. ist konsequent, weil er nicht von einer außer uns liegenden Wirkursache ausgeht. Damit bereitet er Hume vor, der dann, weitergehend, argumentiert, dass der Zusammenhang von Ursache und Wirkung ja nicht Gegenstand der Wahrnehmung sein kann, sondern nur jeweils eine Interpretation ist. Es kann also auch schon nach Berkeley nicht behauptet werden, die Dinge seien die Ursache unserer Sinneswahrnehmung. Dies zu behaupten wäre in Berkeleys Ansatz eine metaphysische Setzung. Diese metaphysische Setzung nimmt er vor, wenn er Gott zur Sicherung der Realität des gerade nicht Wahrgenommenen „braucht“. Die ist für den Schüler, auch wenn der Text darauf nicht explizit eingeht, ein möglicher weiter führender Denkansatz: Wie ist abgesichert, dass die Dinge nicht verschwinden, die keinen Beobachter haben? Lücken und Widersprüche ergeben sich aus der Konstruktion des Ich, dessen Wahrnehmungsfähigkeit genauso eine Setzung ist. Kann ich von der Wahrnehmung auf ein Ich schließen, das wahrnimmt? Gilt für dieses Ich nicht das Gleiche: Sein ist wahrgenommen werden – also existiere ich nur, insofern ich wahrgenommen werde? Die Existenzgewissheit bleibt also auch metaphysisch angebunden, weil das „Selbst“ sich als „Gegenstand“ nicht wahrnehmen kann, es müsste sich seine Existenz beweisen durch Selbstwahrnehmung. Der Text erlaubt einige Gedankenspielereien. Deutlich sollte werden, dass Berkeley in einen Selbstwiderspruch gerät. Er kann das Programm des Empirismus nicht durchhalten, insofern er den Beweis für die Existenz des denkenden Ich schuldig bleibt. Abitur 2003 Philosophie Gk Lehrer Seite 3 Damit steht er noch in der cartesianischen Tradition. Descartes und seine Lösung kann zum Vergleich auch deshalb dienen, um aus der Nähe beider Positionen die Notwendigkeit des Skeptizismus abzuleiten. Diese Überlegung könnte wiederum z. B. zu Kants Konstruktionen führen, der den Skeptizismus dann positiv wendet, allerdings um den Preis der Aufgabe des „Ding an sich“. Auch ohne begriffliche Einordnung sollte aus dem Text in einer spezifisch philosophischen Analyse und Würdigung herausgearbeitet werden, dass das Realitätsproblem über den naiven Realismus hinaus unterschiedliche Denkwege provoziert. Wenn es nur Perzeptionen gibt, sind die Vorstellungswelten nicht kommunizierbar. Dargelegt werden könnte, welche Folgen es hätte, wenn wir uns nur auf Perzeptionen verlassen können (eine moderne Vorstellung, insofern immer der Subjektivismus als „Argument“ herhalten muss). Die Argumentation könnte sich auch um einen Erfahrungsbegriff ranken, der Humes Kritik (Gewohnheit als nützliche Praxis) einbezieht. Denkbar wären auch hermeneutische oder diskurstheoretische Argumente. Die Bewertung der Leistung hängt weniger von der Anzahl und dem Darstellungsumfang der Positionen ab als vielmehr davon, wie kenntnisreich diese referiert werden und wie treffend und überzeugend sie auf die Position von Berkeley bezogen werden. 3. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich III. In der Wissenschaft und bei ethischen Fragen werden erkenntnistheoretische Probleme in der Regel bewusst wahrgenommen und deutlich formuliert, in Alltagssituationen wird die Unterscheidung in „richtige“ und „falsche“ Erkenntnis als selbstverständliche Fähigkeit des Individuums mehr oder weniger unreflektiert vorausgesetzt. Mit Bezug auf den Text kann dies im Bereich der Selbstwahrnehmung überprüft werden bzw. die Frage z. B. nach den sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten gestellt werden. Rückbezüge zum zweiten Teil der Arbeit sollten die dort genannten Aspekte nicht lediglich wiederholen, sondern daraus entweder eigenständige alltagstaugliche Argumentationen entwickeln (vgl. Aufgabenstellung) oder auf der Seite eines bevorzugten Ansatzes vertiefend Möglichkeiten und Grenzen von Erkenntnis aufzeigen. Andere sinnvolle Ausführungen des Prüflings können Teile des Erwartungsbildes ersetzen. Abitur 2003 Philosophie Gk Lehrer Seite 4 Erwartungshorizont -B1. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich I. In den Ausführungen sollte der Prüfling deutlich die Gegensätzlichkeit der beiden Bestimmungen des Verhältnisses von Wirtschaft und Ethik zueinander herausstellen und die entscheidenden Argumente der jeweiligen Position darlegen, ohne die Texte dabei nur zu paraphrasieren. Für Nell-Breuning bilden Ethik und Wirtschaft zwei Sphären. Generell gilt, dass im Konfliktfall erstere („Gesamtethik“) als umfassendere Verpflichtung des Menschen auf jeden Fall Vorrang besitzt. Die Wirtschaft hat sich aufgrund ihrer nur partikularen Stellung und teilweise dienenden Funktion für das Leben des Menschen unterzuordnen. Das heißt für NellBreuning aber keineswegs, dass die ethische Sphäre von der wirtschaftlichen Sphäre gänzlich abgekoppelt, völlig unabhängig ist. Eine Entscheidung im Konfliktfall ist darum schwer zu treffen, weil dabei die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und ethischen Aspekten höchst komplex sind und erst die Aufklärung über diese Zusammenhänge unter Hinzuziehung entsprechender Fachwissenschaften ein Urteil darüber erlaubt, inwiefern ethische Überlegungen Vorrang besitzen. Für Sass hingegen gilt, dass beide Sphären sich gegenseitig bedingen bzw. ethische Überlegungen generell nur als Teil wirtschaftlicher Überlegungen gesehen werden können. Ethik wird tendenziell der Wirtschaft, dem Streben nach Profit untergeordnet, wenn „Moralkompetenz“ zusammen mit „Marktkompetenz“ die „optimale Managementkompetenz“ ergibt. Ebenso wie technische und betriebswirtschaftliche Überlegungen tragen auch ethische Überlegungen dazu bei, Marktstellung und Image und damit auch den Wert eines Unternehmens zu bestimmen. Technische und betriebswirtschaftliche Überlegungen sind für Sass wie ethische Überlegungen kontrollier- und kalkulierbare Faktoren. Verwiesen werden könnte in diesem Zusammenhang auf die von der Fachsprache eines Wirtschaftswissenschaftlers geprägten Formulierungen von Sass sowie auf das von ihm in Anlehnung an Kants Zitat zum Verhältnis von Anschauung und Begriff geprägte Diktum zum Verhältnis von Wirtschaft und Ethik. 2. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich II. Ausgehend von Nell-Breunings Position lassen sich ethische Überlegungen als Korrektiv rein wirtschaftlicher Überlegungen begreifen, als Maßstab für die ethische Bewertung wirtschaftlichen Handelns. Damit ist noch keine Entscheidung darüber gefallen, ob dabei Motive oder Folgen den Maßstab bilden. Eine solche Entscheidung wäre Aufgabe der „Gesamtethik“. Wird Wirtschaftsethik als Korrektiv rein ökonomischer Überlegungen und als Maßstab für die ethische Bewertung wirtschaftlichen Handelns begriffen, so ließe sich als mögliches Verfahren in diesem Rahmen auf das der Folgenabschätzung verweisen. Ebenso ließe sich aus dieser Position heraus das Prinzip der Nachhaltigkeit begründen. Insgesamt müsste in den Beispielen und Ausführungen zu 2) klar werden, dass mit Nell-Breuning wirtschaftliche Entscheidungen bzw. Handlungen aus einer umfassenderen, übergeordneten Perspektive in den Blick genommen und beurteilt werden und von daher zu Schlussfolgerungen führen können, die bestimmte ökonomische Entscheidungen bzw. Handlungen verbieten. Demgegenüber ist für Sass herauszuarbeiten, dass Wirtschaft nicht aus der Sicht der Ethik, sondern umgekehrt Ethik aus ökonomischer Perspektive betrachtet wird und dabei die Gefahr besteht, ethische Aspekte verkürzt zu sehen oder sie gar zu instrumentalisieren. Dies ließe sich etwa deutlich am Prinzip der Kosten- und Nutzenrechnung aufzeigen, wobei schon die Abitur 2003 Philosophie Gk Lehrer Seite 5 Frage, ob und inwiefern sich ethische Faktoren quantifizieren lassen wie andere ökonomische Faktoren, auf die Problematik der Position von Sass verweist. Ob in den Ausführungen volkswirtschaftliche Probleme (z. B. Arbeitslosigkeit, Subventionspolitik, Dritte-Welt-Problematik), historische Beispiele (z. B. Kolonialismus, Weltwirtschaftskrise) oder aktuelle, konkrete Einzelfälle (z. B. Fusionen und Übernahmen, Produktionsverlagerungen, arbeitsrechtliche Fallbeispiele) gewählt werden, ist ebenso wie die Anzahl von Beispielen weniger von Belang. Es kommt darauf an, die ethische Relevanz und Problematik dieser Beispiele klar herauszuarbeiten und sie auf die Positionen von NellBreuning und Sass zu beziehen. Ethische Bewertungen der Beispiele müssen dabei nicht vorgenommen werden. 3. Die Aufgabe entspricht im Wesentlichen dem EPA-Anforderungsbereich III. Der Prüfling kann sich für die Entwicklung einer eigenen Position auf eine große Bandbreite klassischer und moderner ethischer Konzepte beziehen. Als naheliegend könnten utilitaristische Konzepte gewählt werden aufgrund ihres spezifischen entstehungsgeschichtlichen und gedanklichen Zusammenhangs mit wirtschaftstheoretischen Überlegungen, aber auch deontologische und diskurs- und kommunikationstheoretische Ansätze bieten sich an. Entscheidend ist, ob es gelingt, eine eigenständige Position schlüssig und überzeugend zu entwickeln, ohne es bei einer Aufzählung und/oder Wiedergabe von ethischen Positionen zu belassen. Dabei ist auch deutlich zu machen, inwiefern die gewählten Konzepte für die Beantwortung des Verhältnisses von Wirtschaft und Ethik relevant sind. Die Positionen von Nell-Breuning und Sass können ebenfalls miteinbezogen werden, wobei dies nicht in Form einer bloßen Wiederholung der Ausführungen zu 1) und 2) erfolgen soll. Andere sinnvolle Ausführungen des Prüflings können Teile des Erwartungsbildes ersetzen.