Die referientielle Funktion der Musik in Benjamin Brittens Oper The

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Katarzyna Szczerbowska-Prusevicius*
Die referientielle Funktion
der Musik in Benjamin Brittens Oper
The Turn of the Screw
DOI: http://dx.doi.org/10.12775/LC.2017.007
Zusammenfassung: Die referentielle Funktion der Musik beruht darauf, dass mit musikalischen
Mitteln auf außermusikalische Phänomene hingewiesen wird. In Brittens Oper kommt sie in vier
Kategorien zum Vorschein: in der Instrumentation, als klassische Tonmalerei, im tonalen Plan und
im Bereich der thematisch-motivischen Arbeit. Der vorliegende Aufsatz ist vor allem den zwei letztgenannten Elementen gewidmet, die auf besondere Weise die narrativen Strukturen der literarischen
Vorlage nachahmen, wichtige Momente der Handlung unterstreichen, die auf der Wortebene transportierten Inhalte ergänzen oder revidieren und dazu dienen, die Figurencharakteristik zu vertiefen.
83
Streszczenie: Referencyjna funkcja muzyki, która polega na przekazywaniu za pomocą dźwięków
zjawisk pozamuzycznych, przejawia się w operze Benjamina Brittena w czterech kategoriach: instrumentacji, klasycznego malarstwa dźwiękowego, planu tonalnego oraz pracy tematyczno-motywicznej. Prezentowany artykuł poświęcony jest głównie dwóm ostatnim elementom, które w szczególny
*
Dr. phil. studierte Instrumentalmusik und Germanistik. Seit 2006 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Lehrstuhl für Germanistik der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń. Zu ihren Forschungsschwerpunkten
gehören Untersuchungen zu den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Musik. E-Mail: Katarzyna.
[email protected].
ISSNp 1899-315X
ss. 83–98
Referencyjna funkcja muzyki w operze Benjamina Brittena
Obrót śróby
LITTERARIA COPERNICANA 1(21) 2017
Schlüsselworte: Benjamin Britten, Henry James, The Turn of the Screw, Literaturoper, referentielle
Funktion der Musik
sposób naśladują struktury narracyjne tekstu, podkreślają ważne momenty akcji, uzupełniają lub
korygują treści przekazane słowem oraz służą pogłębieniu charakterystyki postaci.
Słowa kluczowe: Benjamin Britten, Henry James, Obrót śruby, adaptacja operowa dzieła literackiego, referencyjna funkcja muzyki
“I
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n me secrets, half-formed desires meet”1, erklärt Peter Quint in Benjamin Brittens
The Turn of the Screw. Der Geist des ehemaligen Dieners aus Bly ist eine konkrete
Bühnengestalt wie jede andere. Er spricht und stellt sich selbst als Verkörperung heimlicher Wünsche vor, er lockt, indem er auf verdrängte oder nicht bewusste Bedürfnisse der
anderen antwortet. Brittens Musik verleiht Quint verführerische Schönheit.2 Dieser Quint
unterscheidet sich von der entsprechenden Gestalt in James’ gleichnamigem Roman, die
keine individuellen Merkmale besitzt und nur über die Angst der Gouvernante definiert
wird.
Die Entscheidung, die Geister Quint und Miss Jessel sprechen (singen) zu lassen, ist die
wohl markanteste Veränderung, für die sich Benjamin Britten und Myfanwy Piper entschieden haben. Bereits dieser Entschluss bewirkt aber, dass sich die Oper von der literarischen
Vorlage entfernt. Die Umsetzung in ein anderes Medium bedeutet auch in diesem Fall, dass
nicht eine treue Kopie des Originals entsteht, sondern ein neues Werk geschaffen wird,3
in dem manche Aspekte hervorgehoben oder hinzugefügt, manche nicht berücksichtigt
werden. Die Aufgabe, die Britten und Piper auf sich genommen haben, war keine einfache.
Der komplexe Text von Henry James konnte nicht in voller Länge ins Libretto aufgenommen werden, es war nicht möglich alles auf der Bühne zu zeigen, was der Schriftsteller in seinem Roman dargestellt hatte. Auslassungen von Szenen, Kürzungen und Verdichtungen
waren nicht zu vermeiden.4
B. Britten, The Turn of the Screw, Opus 54. An Opera in a Prologue and Two Acts Libretto by Myfanwy Piper after
the Story by Henry James Deutsche Übertragung von L. Landgraf London 1966, S. 140.
2
Vgl. dazu auch D. Clippinger, The Hidden Life: Benjamin Britten’s Homoerotic Reading of Henry James’s The Turn
of The Screw, [in:] Literature and Musical Adaptation, hrsg. von M. J. Meyer, Amsterdam, New York 2002, S. 138–
139.
3
Dennis Tredy, der sich zwar nicht mit Brittens Oper, sondern mit Filmadaptionen von The Turn of the Screw beschäftigt, stellt fest, dass jede Umsetzung des Romans eine individuelle Lesart der literarischen Vorlage darstellt.
In den visuellen Versionen sieht er Beispiele für “criticism, interpretation and reception” der Originalerzählung.
Vgl. D. Tredy, Shadows of Shadows: Techniques of Ambiguity in Three Film Adaptations of “The Turn of the Screw”:
Jack Clayton’s The Innocents (1961, Dan Curtis’s The Turn of the Screw (1974), and Antonio Aloy’s Presence of Mind
(1999), [in:] Henry James’s Afterlife: Opera, Film, RPG, American Studies Vol. 22, hrsg. von M. Buchholtz, Warsaw
2005, S. 81. Diese Bemerkungen treffen natürlich auch auf die Oper-Adaption zu. Dennis Tredys Aufsatz ist auch
in polnischer Sprache erschienen, [in:] Filmowe gry z twórczością Henry’ego Jamesa. Transpozycje, komentarze,
analogie, hrsg. von M. Buchholtz, Toruń 2005, S. 37–72.
4
Zu den Problemen bei der Adaption literarischer Texte für die Oper äußert sich z.B. Michael Halliwell. Er
beschäftigt sich auch in diesem Kontext mit der Eigenart von James’ Prosa. Halliwell macht darauf aufmerksam,
dass die Texte von Henry James besonders gern vertont werden. Laut ihm wurde, abgesehen von Walter Scott,
kein anderer englischsprachiger Autor so oft für die Oper in Anspruch genommen. Vgl. M. Halliwell, The Voice
of the “Master”: Henry James and Opera, [in:] Henry James’s Afterlife: Opera, Film, RPG, American Studies Vol. 22,
hrsg. von M. Buchholtz, Warsaw 2005, S. 11–12.
1
B. Britten, op. cit., S. 2.
David Clippinger vertritt die Ansicht, dass Britten und Piper das Dilemma, ob die Geister in der erzählten Welt existieren, geklärt haben. In der Oper wird seines Erachtens eine andere Frage in den Vordergrund
gerückt – die Frage danach, was sich zwischen den Geistern und den Kindern ereignet hat. Vgl. D. Clippinger,
op. cit., S. 137. Michael Halliwell vertritt dagegen die von mir unterstützte Meinung, dass in Brittens The Turn
of the Screw die Ambiguität des Originals durch das geschickt verfasste Libretto und die Feinheiten auf der musikalischen Ebene beibehalten wurde. Vgl. M. Halliwell, op. cit., S. 21–22.
7
S. Lahn, Zuverlässigkeit des Erzählers, [in:] Idem/J. Ch. Meister, Einführung in die Erzähltextanalyse, Stuttgart
2013, S. 185–186.
5
6
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Ein Beispiel dafür ist die Reduktion der Erzählebenen in der Oper im Vergleich zu
dem Roman, der ein dreistufiges Inklusionsschema aufweist. Der extradiegetische (primäre) Erzähler ist ein Ich-Erzähler, der davon berichtet, dass Douglas zu Weihnachten
eine Geschichte aus dem Manuskript einer Gouvernante vorgelesen hat und der behauptet, in seiner Erzählung das Manuskript nach einer von ihm (dem Ich-Erzähler) angefertigten Abschrift wiederzugeben. Der intradiegetische (sekundäre) Erzähler ist der vorlesende Douglas, die metadiegetische (tertiäre) Erzählerin ist die Gouvernante, aus deren
Hand das Original-Manuskript stammt. Der Roman macht dadurch auf die Distanz einer
Erzählung von der Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht, und die mögliche (unvermeidliche?) Unzuverlässigkeit des Erzählens aufmerksam. In der Oper tritt im Prolog ein IchErzähler auf, der Douglas aus dem Roman entspricht, und die Gouvernante als die vermeintliche Ich-Erzählerin der Binnengeschichte. Die Binnengeschichte wird aber in der Oper
auf der Bühne dargestellt, was verursacht, dass der im Prolog angedeutete Akt des Erzählens
(“I have it written in faded ink – woman’s hand”5) hinter den gezeigten Ereignissen verborgen wird. Was im Roman als eine subjektive Wahrnehmung der Gouvernante dargestellt wird, die der Gefahr der Verunstaltung durch Nacherzählen und Abschreiben ausgesetzt ist, wird auf der Bühne zumindest scheinbar objektiviert. Dazu kommt noch der
bereits erwähnte Umstand, dass den Geistern in der Oper die Stimme verliehen wird. Auf
diese Weise wird die Ambiguität (die Frage, ob die Geister wirklich sind oder nicht), aus
der sich James’ Text speist, in der Oper zumindest entschärft.6 Es wäre aber falsch, diese
Veränderungen als einen Mangel, als Verlust der Komplexität zu deuten.
Erstens kann der aufmerksame Zuschauer das Geschehen auf der Bühne immer noch
als Bericht der Gouvernante wahrnehmen, wenn er der Täuschung der Visualisierung nicht
erliegt. Wenn man beachtet, dass die Gouvernante eine homodiegetische Erzählerin ist,
ist die Frage, wie glaubwürdig uns die Darstellung der Ereignisse durch die Gouvernante
erscheint, immer noch offen. Wenn die Geister nur Vorstellungen der Gouvernante sind,
können sie in ihrer Phantasie sowohl stumm sein als auch sprechen. Wenn sie aufgrund
ihres nervösen Charakters an Wahnvorstellungen leidet, ändert sich das nicht dadurch, dass
die Geister zu sprechen anfangen. Sowohl im Roman als auch in der Oper haben wir es also
mit einer faszinierenden nicht aufgelösten Unzuverlässigkeit zu tun: “Der Leser hat zwar
ausgesprochen gute Gründe, sie [die Gouvernante] als eine überspannte Person anzusehen, da sie an Geister glaubt und diese für den Handlungsverlauf verantwortlich macht. Es
besteht aber auch die Möglichkeit, die Existenz solcher Erscheinungen als Tatsache in der
erzählten Welt zu interpretieren.”7
Bube Dame König. Acryl auf Leinwand, 100cm x 120cm. © Jakob Steiger
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Zweitens werden die im Wortbereich vorgenommenen Vereinfachungen und
Kürzungen auf der Musikebene kompensiert. Das Jonglieren mit dezenten Hinweisen,
das James’ Text so eigenartig macht, übernimmt in der Oper die Musik. Sie trägt genauso Bedeutung wie das Libretto und setzt eigene Akzente. Die Fähigkeit der Töne, auf
außermusikalische Phänomene zu verweisen, bezeichnet Leonard Meyer als ihre referentielle Funktion.8 Michael Halliwell betrachtet das Orchester in einem Opernstück zu
Recht als einen Erzähler, der dem fiktionalen Erzähler vergleichbar ist, da er zwischen
dem Publikum und den Gestalten vermittelt. Die Musik in der Oper kann man seiner
Ansicht nach als das subverbale Element betrachten, dass das verbale, bewusste Element
kommentiert, erläutert oder in Frage stellt.9 Im Folgenden soll die referentielle Funktion
der Musik in Brittens The Turn of the Screw untersucht werden, mit Berücksichtigung der
Interpretationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben. Dabei ist allerdings zu bedenken,
dass der Musik Bedeutung nur sekundär – über den Text – zugeschrieben werden kann.10
Brittens Musik verweist auf außermusikalische Inhalte auf verschiedene Weise. Zu
den Mitteln, die der Komponist zu diesem Zweck einsetzt, gehört die Instrumentierung.
Einerseits benutzt sie Britten zur musikalischen Abbildung der Erzählebenen. Das Klavier
begleitet den Prolog des Erzählers, das Orchester signalisiert den Übergang in die Welt der
Binnenerzählung. Britten stellt auch eine Verbindung zwischen Instrumenten und Gestalten
her: die Celeste ist Quint zugeordnet, der Gong Miss Jessel. Die Verbindung von Quint und
Vgl. L. B. Meyer, Music, the Arts, and Ideas: Patterns and Predictions in Twentieth-Century Culture, Chicago
1967, S. 42–43.
9
Vgl. M. Halliwell, op. cit., S. 13.
10
Vgl. S. Corse, From Narrative to Music: Benjamin Britten’s The Turn of the Screw, “University of Toronto
Quarterly”, 1981/2, Vol. 51, Nr. 2, S. 163.
8
Celeste wird dadurch deutlich, dass das Klavier und die Celeste abwechselnd spielen und
in derselben Akkolade notiert sind. Quints Erscheinen wird in der Partitur mit “change to
celesta” (z. B. in der Szene The Window11) markiert, Quints Abgang fällt mit der Anmerkung
“change to the piano” zusammen (z. B. in der Szene The Tower12). Als Mrs. Grose Miss Jessel
zum ersten Mal erwähnt, erklingt, noch bevor sie ihren Namen ausspricht, der Gong und
die Pauke spielen einen Triller auf dem Ton “fis”, der ein anderes Erkennungszeichen der
verstorbenen Vorgängerin der Gouvernante ist.13 In der Szene The Lake, in der Miss Jessel
erscheint, werden der Gong und das tiefe “fis” im Klavier durch einen von den Bläsern und
Streichern sukzessiv aufgebauten Akkord ergänzt.14 Diese drei Merkmale kommen auch an
anderen mit Miss Jessel verbundenen Stellen in der Oper vor.
In der Oper findet man außerdem klassische Beispiele der Klangmalerei – gelegentlich
werden außermusikalische Phänomene durch die Musik nicht nur angedeutet, sondern
auch nachgeahmt. Als sich Quint in der Szene At Night mit einem reiterlosen Pferd vergleicht, imitieren Flöte, Oboe, Harfe und Holzblock den Gang und das Schnauben eines
Pferdes. Als Quint Miles mit Gold lockt, spielen die Bläser ein Tremolo, das man mit dem
Schimmern des Goldes assoziieren kann. Das später auftretende Staccato verweist auf die
leichte und schnelle Bewegung des von Quint erwähnten Mercurius.15
Besondere Bedeutung kommt in der Oper dem tonalen Schema und der motivischthematischen Arbeit zu, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
Zur Bedeutung des tonalen Plans der Oper
Akt I
Thema und Szene 1 The Journey (Die Reise) a-Moll
Variation 1 und Szene 2 The Welcome (Der Empfang) H-Dur
Variation 2 und Szene 3 The Letter (Der Brief) C-Dur
Variation 3 und Szene 4 The Tower (Der Turm) D-Dur
Variation 4 und Szene 5 The Window (Das Fenster) E-Dur
Variation 5 und Szene 6 The Lesson (Der Unterricht) F-Dur
13
14
15
11
12
Vgl. B. Britten, op.cit., S. 68.
Vgl. ibidem, S. 54.
Vgl. ibidem, S. 83.
Vgl. ibidem, S. 125.
Vgl. ibidem, S. 135–138.
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Die für sechs Sänger und dreizehn Instrumentalisten bestimmte Kammeroper ist in formaler Hinsicht als ein Thema mit Variationen angelegt. Sie besteht aus einem Prolog, einem
Satz, in dem das Thema präsentiert wird, und sechzehn Szenen, zwischen denen fünfzehn
Interludien erklingen. Das Thema, das auf eine Zwölftonreihe zurückgeführt werden kann,
wird in den Zwischenspielen variiert. Es wird auch in den Szenen an wichtigen narrativen
Momenten verwendet. Obwohl es aus einer Reihe gebildet wurde, wird es nicht seriell,
sondern tonal eingesetzt. Die Reihe erklingt mindestens einmal in jeder Variation und wird
in die Tonart dieser Variation und der darauf folgenden Szene transponiert.
Das tonale Schema der Oper sieht folgendermaßen aus:
Variation 6 und Szene 7 The Lake (Der See) G-Dur
Variation 7 und Szene 8 At Night (Bei Nacht) As-Dur
Akt II
Variation 8 und Szene 1 Colloquy and Soliloquy (Zwiegespräch und Selbstgespräch) As-Dur
Variation 9 und Szene 2 The Bells (Die Glocken) Fis-Dur
Variation 10 und Szene 3 Miss Jessel F-Dur
Variation 11 und Szene 4 The Bedroom (Das Schlafzimmer) es-Moll
Variation 12 und Szene 5 Quint E-Dur
Variation 13 und Szene 6 The Piano (Das Klavier) C-Dur
Variation 14 und Szene 7 Flora B-Dur
Variation 15 und Szene 8 Miles A-Dur
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Aus der Anordnung der Tonarten ergibt sich in Akt I eine stufenweise aufsteigende
melodische Linie, in Akt II eine (fast stufenweise) absteigende. Die Tonarten-Klimax entspricht der dramatischen Entwicklung – das Leben in Bly wird im Verlauf des ersten Aktes
durch die Präsenz der Geister immer mehr beeinflusst. Die Wiedergänger-Gestalten werden immer deutlicher: sie treten zunächst einzeln auf und werden nur gesehen, schließlich
erscheinen sie zu zweit und singen. Sie werden also nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar.
Dieser Höhepunkt wird in den zwei As-Dur- Szenen erreicht: At Night16 am Ende des ersten
und Colloquy and Soliloquy zu Beginn des zweiten Aktes. Die absteigende Anordnung im
zweiten Akt entspricht in dramatischer Hinsicht dem Zusteuern auf die Katastrophe. Mit der
Tonart A-Dur in der letzten Szene der Oper kehrt die tonale Bewegung zum Anfangspunkt,
dem Grundton “a”, zurück und der Tonarten-Kreis schließt sich. Die Vorstellung einer
Kreisbewegung erlaubt es, das tonale Schema der Oper als eine Anspielung auf den Titel
aufzufassen. Der Tonartenwechsel kann mit dem Drehen einer Schraube assoziiert werden,
in der letzten Szene ist die Drehung vollzogen.
Die in der Oper verwendeten Tonarten haben noch eine andere symbolische
Bedeutung. Auffallend ist, dass die ersten sieben Szenen des ersten Aktes in Tonarten komponiert wurden, deren Grundtöne auf einer weißen Klaviertaste liegen. Die Tonart As-Dur,
die von Britten für die oben erwähnten von den Geistern dominierten Szenen At Night and
Colloquy and Soliloquy gewählt wurde, würde auf dem Klavier mit einer schwarzen Taste beginnen. Eric Walter White hat daraus zutreffend gefolgert, dass die “weißen” Tonarten den
Bereich des Natürlichen repräsentieren, die “schwarzen” Tonarten dem Übernatürlichen
zugeordnet sind.17 Dies ist auch für einzelne Töne feststellbar: Quints Lieblingston ist das
“es”, Miss Jessels Erscheinen wird mit dem “fis” markiert.
Die Aufteilung der Tonarten in diejenigen, die dem Bereich des Natürlichen und diejenigen, die dem Bereich des Übernatürlichen entsprechen, ist bereits im Prolog angedeutet.
Wenn der Erzähler über die Gouvernante spricht, bewegt sich die Melodie zwischen a-Moll
und A-Dur, wenn er über die Situation in Bly spricht, erfolgt die Modulation nach Es-Dur.
Den Tonartwechsel markiert das Klavier-Arpeggio vor den Worten: “There has been a governess, but she had gone”, bei “had gone” stiehlt sich das Es-Dur auch in die Singstimme
Es ist die einzige Szene in der Oper, in der alle an der Handlung beteiligten Personen zusammen auftreten.
Vgl. E. W. White, Benjamin Britten, His Life and Operas, hrsg. von J. Evans, Berkeley and Los Angeles 1983,
S. 209.
16
17
und wird während der Erwähnung der Kinder (sogar mit einem kurzen Abstecher nach AsDur)18 beibehalten. Das Es-Dur verweist somit auf die mysteriösen Umstände, unter denen
Miss Jessel Bly verließ, und suggeriert darüber hinaus, dass die Kinder auf irgendeine Weise
in das Ereignis involviert waren.
Die Forderungen des Vormunds werden auf dem Ton “cis” (A-Dur-Bezug) aufgezählt, der nach zwei Takten als “des” (As-Dur-Bezug) notiert wird. Die enharmonische
Verwechslung, bei der die Tonhöhe erhalten bleibt, aber das harmonische Umfeld des
Tons und seine Funktion darin radikal verändert werden, teilt die Forderungen in die üblichen Gouvernantenpflichten (“she was to do everything, be resposible for everything”)
und diejenigen ein, die bereits zu Beginn der Handlung merkwürdig scheinen und sich im
Kontext der späteren Ereignisse als verhängnisvoll erweisen (“not to worry him at all, no,
not to write, but to be silent”19). Die Zweifel der Gouvernante werden durch Bitonalität
versinnbildlicht. Die Singstimme entfaltet sich in A-Dur, die Klavierbegleitung spaltet sich
in zwei gleichzeitig erklingende Akkorde, bei denen jeweils die Terz fehlt, was ihre tonale
Zuordnung erschwert. Der obere Akkord könnte zu A-Dur oder As-Dur gehören, der untere
ist in A-Dur ein eindeutiger Fremdkörper, die Quinte b-f könnte als Subdominantparallele
oder Doppeldominante in As-Dur gedacht werden. Die Entscheidung selbst: ‘I will,’ she
said”20 erfolgt bereits in dem als Thema bezeichneten Teil, der durch das Orchester realisiert
wird. Der Einsatz des Orchesters signalisiert den Übergang in die Welt der Binnenerzählung
mit der Gouvernante als Ich-Erzählerin – die Schraube beginnt sich zu drehen.
Die referentielle Funktion der Reihe
Beispiel 1:
Beispiel
1:Die
DieReihe
Reihe
Vgl. B. Britten, op. cit., S. 2.
Vgl. ibidem, S. 3. Die seltsame Forderung des Vormunds erklärt Max Duperray mit traditionellen
Vorstellungen von Geschlechterrollen. In James’ Roman werden seiner Ansicht nach das weiblich konnotierte
Lesen und männlich konnotierte Schreiben thematisiert. Die Gouvernante liest in alten Romanen und erweckt
Gestalten daraus zum Leben. Das Schreiben bleibt ihr als Frau aber verwehrt.
Sie verfasst trotzdem einen Brief
22
2: Das
Schraubenthema
an den Arbeitgeber, ihr Verstoß gegen Beispiel
das Verbot
erweist
sich jedoch als sinnlos, denn der Brief kommt nicht an.
Vgl. In
M. Duperray,
‘Déjà vu’ in “The
Turn of the
[in:] Henry
James’s
Europe. Heritage andElement,
Transfer, hrsg.
von D.sie
musikalischer
Hinsicht
ist Screw”,
die Reihe
ein
einheitsstiftendes
denn
Tredy, A. Duperray, A. Harding, Cambridge 2011, S. 148–150.
20
B. Britten,
op. cit., S. 4. zu einem Zyklus. Sie erfüllt darüber hinaus eine narrative Funktion.
verbindet
die Variationen
21
Vgl. dazu z. B. J. Evans, The sketches: chronology and analysis, [in:] Benjamin Britten. The Turn of the Screw, hrsg.
von P. Howard, Cambridge
1985, S. 66.
Reihen-Segmente,
die ganze
Reihe oder die aus der Reihe entwickelten Motive, markieren
18
19
wichtige Momente der Handlung. In der Oper entsteht ein dichtes Netz von musikalischen
Kommentaren, Andeutungen und Assoziationen. Die Verwendung von musikalischen
Strukturen
zur
Charakterisierung
von
Gestalten,
Erinnerung,
Vorausnahme
oder
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Die Reihe, auf der das Thema der Oper basiert, ist aus aufsteigenden Quarten (oder
Die Reihe,Quinten)
auf der das
der Operkleinen
basiert,Terzen
ist aus (oder
aufsteigenden
Quarten
(oderSexten)
absabsteigenden
undThema
absteigenden
aufsteigenden
großen
teigenden Quinten) und absteigenden kleinen Terzen (oder aufsteigenden großen Sexten)
konstruiert.
Das Das
auf auf
demdem
TonTon
“a” “a”
beginnende,
vom
Klavier
konstruiert.
beginnende,
vom
Klaviervorgetragene
vorgetrageneThema
Themaim
imdoppeltdoppelt-punktierten
Rhythmus
wird aufgrund
seiner
Werk konstitutiven
punktierten
Rhythmus
wird aufgrund
seiner
für für
dasdasWerk
konstitutiven Rolle
Rolledasdas
Schraubenthema (“Screw theme”21) genannt.
Schraubenthema (“Screw theme”21) genannt.
Schraubenthema (“Screw theme”21) genannt.
Beispiel 1: Die Reihe
Beispiel 2: Das Schraubenthema22
Beispiel 2: Das Schraubenthema22
In musikalischer Hinsicht ist die Reihe ein einheitsstiftendes Element, denn sie
verbindet
die Variationen
zu einem
Zyklus.
Sieein
erfüllt
darüber hinausElement,
eine narrative
In musikalischer
Hinsicht
ist die
Reihe
einheitsstiftendes
dennFunktion.
sie ver-
bindet die Variationen
zu einem
Zyklus.
darüber
eine narrative
Reihen-Segmente,
die ganze
Reihe
oder Sie
dieerfüllt
aus der
Reihe hinaus
entwickelten
Motive,Funktion.
markieren
Reihen-Segmente,
ReiheInoder
die aus
der Reihe
entwickelten
Motive,
markiewichtige
Momente die
der ganze
Handlung.
der Oper
entsteht
ein dichtes
Netz von
musikalischen
ren wichtige Momente der Handlung. In der Oper entsteht ein dichtes Netz von musikalischen Kommentaren, Andeutungen und Assoziationen. Die Verwendung von musikaStrukturen
zur Charakterisierung
von von
Gestalten,
Vorausnahme oder
oder
lischen Strukturen
zur Charakterisierung
Gestalten,Erinnerung,
Erinnerung, Vorausnahme
Akzentuierungdes
desGeschehens
Geschehenshat
hatWagners
WagnersLeitmotiv-Technik
Leitmotiv-Technikzum
zumVorbild.
Vorbild.
Akzentuierung
Einzelne Reihenabschnitte und die ganze Reihe bilden auf der musikalischen Ebene
Einzelne Reihenabschnitte und die ganze Reihe bilden auf der musikalischen Ebene
den Vorgang des Schraubendrehens ab. Reihenelemente kommen bereits im Prolog
den
des die
Schraubendrehens
ab.präsentiert
Reihenelemente
kommen
bereits im Prolog
vor,dem
noch
vor, Vorgang
noch bevor
Reihe als Thema
wurde,
und kennzeichnen
die von
bevor
dieaufgezählten
Reihe als Thema
präsentiert
wurde, und Arbeitgebers
kennzeichnen der
die Gouvernante.
von dem Erzähler
Erzähler
Forderungen
des zukünftigen
Die
für
den
Prolog
sonst
typischen,
vorwiegend
arpeggierten
oder
auch
simultan
erklingenden
aufgezählten Forderungen des zukünftigen Arbeitgebers der Gouvernante. Die für den Prolog
Akkorde werden an dieser Stelle durch aufsteigende Quart-Motive im doppelt-punktierten
sonst typischen, vorwiegend arpeggierten oder auch simultan
erklingenden Akkorde werden
Rhythmus ersetzt, die das Schraubenthema antizipieren.23
an dieser
Stelle
durch aufsteigende
Quart-Motive im
doppelt-punktierten
Rhythmus
ersetzt,
Als die
Gouvernante
den beunruhigenden
Brief
von der Schulleitung
bekommt,
23
wirddas
sieSchraubenthema
von Mrs. Groseantizipieren.
gefragt, was sie in dieser Situation zu unternehmen beabsichtigt.
die
Die Gouvernante
antwortet
mit beunruhigenden
der Quarte a-d, dass
in Miles
Fall nichtsbekommt,
tun wird und
Als die Gouvernante den
Briefsie
von
der Schulleitung
wird
nicht vorhat, den Vormund zu benachrichtigen. Es sind dieselben Töne, mit denen das
sie
von den
Mrs.Vormund
Grose
gefragt,
was
sie in dieser
zu unternehmen
vorhat,
zu der
benachrichtigen.
EsSituation
sindobwohl
dieselben
Töne,
mit Rhythmus
denen Die
das
Schraubenthema
beginnt,
punktierte
Rhythmus,
er nicht
mit beabsichtigt.
dem
Gouvernante
antwortet
mit
der
Quarte
dass sieobwohl
in Miles
nichts
tun
und dass
nicht
des Themas identisch
ist,
indiziert
einena-d,
Zusammenhang.
Und
es ist
nicht
zu wird
leugnen,
Schraubenthema
beginnt,
der
punktierte
Rhythmus,
er Fall
nicht
mit
dem
Rhythmus
des
die
Entscheidung
der
Gouvernante,
Schweigen
zu
wahren,
die
Drehung
der
Schraube
voThemas identisch ist, indiziert einen Zusammenhang. Und es ist nicht zu leugnen, dass die
21
rantreibt.
Vgl. dazu z. B. J. Evans, The sketches: chronology and analysis, [in:] Benjamin Britten. The Turn of the
Kommentaren, Andeutungen und Assoziationen. Die Verwendung von musikalischen
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90
Entscheidung
Gouvernante,
Schweigen
zu wahren, die Drehung der Schraube vorantreibt.
Screw, hrsg. vonder
P. Howard,
Cambridge
1985, S. 66.
22
23
Vgl. B. Britten, op. cit., S. 4–5.
Vgl. ibidem, S. 3.
24
24
Beispiel
Dieerste
erste Quarte
Quarte derder
Reihe
Beispiel
3: 3:Die
Reihe
Ein etwas längeres Reihen-Segment wird in der Szene The Tower versteckt und hat wohl die
Funktion,
die lauernde
anzudeuten,
zuin der
einem
Zeitpunkt,
alsversteckt
die Gouvernante
ihre
Ein etwas
längeres Gefahr
Reihen-Segment
wird
Szene
The Tower
und hat wohl
die Funktion,
die lauernde hat
Gefahr
einem
Zeitpunkt,
als diebeeindruckt
Gouvernante
ersten
Zweifel abgeschüttelt
und anzudeuten,
von der Ruhezuund
Schönheit
der Natur
ist.
ihre ersten Zweifel abgeschüttelt hat und von der Ruhe und Schönheit der Natur beeindruckt ist. Die drei ersten Quarten der Reihe werden in die Tonart der Szene, D-dur, trans-
Die drei ersten Quarten der Reihe werden in die Tonart der Szene, D-dur, transponiert und
beherrschen die den Vogelgesang imitierende Partie der Flöte und die begeisterten Worte der
Gouvernante: “How beautiful it is.”25
Vgl. B. Britten, op. cit., S. 4–5.
Vgl. ibidem, S. 3.
24
Ibidem, S. 42.
22
23
Beispiel 4: Die zwei ersten Quarten aus der transponierten Reihe
EinEin
etwas
längeres
Reihen-Segment
wird
in in
der Szene
The
Tower
versteckt
und
hathat
wohl
diedie
etwas
längeres
Reihen-Segment
wird
The
Tower
versteckt
und
wohl
Die drei ersten
Quarten
der
Reihe werden
in der
dieSzene
Tonart
der
Szene,
D-dur,
transponiert
und
Funktion,
diedie
lauernde
Gefahr
anzudeuten,
Funktion,
lauernde
Gefahr
anzudeuten,zuzueinem
einemZeitpunkt,
Zeitpunkt,alsalsdiedieGouvernante
Gouvernanteihre
ihre
beherrschen
die den Vogelgesang imitierende Partie der Flöte und die begeisterten Worte der
ersten Zweifel abgeschüttelt hat und von der Ruhe und Schönheit der Natur beeindruckt ist.
ersten Zweifel abgeschüttelt hat und von der Ruhe und Schönheit der Natur beeindruckt ist.
25
Gouvernante:
“How
beautiful
is.”
DieDie
drei
ersten
Quarten
derit
Reihe
werden
in in
diedie
Tonart
derder
Szene,
D-dur,
transponiert
drei
ersten
Quarten
der
Reihe
werden
Tonart
Szene,
D-dur,
transponiertund
und
beherrschen
denden
Vogelgesang
Partie
derder
Flöte
und
diedie
begeisterten
derder
beherrschen
die
Vogelgesang
imitierende
Partie
Flöte
und
begeisterten
Worte
poniert
unddie
beherrschen
die denimitierende
Vogelgesang
imitierende
Partie
der
Flöte undWorte
die
be25 25
25
geisterten
Worte
derbeautiful
Gouvernante:
Gouvernante:
“How
it is.”
Gouvernante:
“How
beautiful
it is.”“How beautiful it is.”
Beispiel 4: Die zwei ersten Quarten aus der transponierten Reihe
BeispielBeispiel
4:Beispiel
Die4:zwei
ersten
Quarten
aus
der
transponierten
Reihe
Die
zwei
ersten
Quarten
ausaus
der
transponierten
Reihe
4: Die
zwei
ersten
Quarten
der
transponierten
Reihe
Beispiel
5: 5:
DieDie
zweite
und
dritte
Quarte
Beispiel
zweite
und
dritte
Quarteaus
ausder
dertransponierten
transponiertenReihe
Reihe
Beispiel
5: Die
zweite
undund
dritte
Quarte
ausaus
derder
transponierten
Reihe
Beispiel
5: Die
zweite
dritte
Quarte
transponierten
Reihe
Beispiel
6: Die
zwei
ersten
Quarten
ausaus
derder
transponierten
Reihe
in der
Partie
derder
Gouvernante
Beispiel
6: Die
zwei
ersten
Quarten
transponierten
Reihe
in der
Partie
Gouvernante
Beispiel
6: Die
zwei
ersten
Quarten
ausaus
derder
transponierten
Beispiel
6: Die
zwei
ersten
Quarten
transponiertenReihe
Reihein der
in derPartie
Partieder
derGouvernante
Gouvernante
DieDie
ganze
Reihe
wird
in indendenSzenen
ganze
Reihe
wird
Szenenseltener
seltenerverwendet,
verwendet,ihrihrVorkommen
Vorkommenististmitmiteinem
einem
Die ganze Reihe wird in den Szenen seltener verwendet, ihr Vorkommen ist mit einem
besonderen
Gewicht
verknüpft.
In
ersten
Szene
desdes
zweiten
Aktes
singen
besonderen
dramatischen
Gewicht
verknüpft.
der
ersten
Szene
zweiten
Aktes
Die ganze
Reihe dramatischen
wird
in den
Szenen
seltener
verwendet,
ihr
Vorkommen
istsingen
mit einem
besonderen
dramatischen
Gewicht
verknüpft.
InInder
der
ersten
Szene
des
zweiten
Aktes
singen
26 26
26
An
dieser
diedie
Geister
unisono
über
tägliches
Einbrechen
in das
Leben
der
Menschen.
die
Geister
unisono
über
ihrihr
Einbrechen
in in
dasdas
Leben
derder
Menschen.
AnAn
dieser
Geister
unisono
über
tägliches
Einbrechen
Leben
Menschen.
dieser singen
besonderen
dramatischen
Gewicht
verknüpft.
In der
ersten
Szene
des zweiten
Aktes
Stelle
wird
das
Schraubenthema
in melodischer
Hinsicht
fast
vollständig
eingeführt,
in der
Stelle
wird
dasdas
Schraubenthema
in in
melodischer
Hinsicht
fast
vollständig
derder
Stelle
wird
Schraubenthema
melodischer
Hinsicht
fast
vollständigeingeführt,
eingeführt,in in
26
Abfolge
von langen
Notenwerten
kann man
dagegen
eineder
Anspielung
auf den An dieser
die Geister
unisono
überund
ihrkurzen
tägliches
Einbrechen
in das
Leben
Menschen.
doppelt-punktierten Rhythmus des Themas erkennen. In der letzten Szene des zweiten
24 24 das Schraubenthema in melodischer Hinsicht fast vollständig eingeführt, in der
Stelle wird
Ibidem,
S. 42.
Ibidem,
S. 42.ist die Reihe ab Nr. 121 als Passacaglia-Bass präsent. Zunächst werden die
Aktes
(Miles)
25
25
Ibidem,
S. 48.
Ibidem, S. 48.
Ibidem, S. 48.
Vgl. Nr. 20 in der Partitur, ibidem, S. 179–180.
27
Eine eindrucksvolle Nachbildung der bedrohlichen Schraubenbewegung gibt es auch in der Szene
The Bedroom, wo die bei jeder Wiederholung länger werdende Reihe noch dazu simultan von zwei Instrumenten
(Altflöte, Klarinette) vorgetragen wird. Vgl. ibidem, S. 241–244.
28
Ibidem, S. 311.
25
26
91
LITTERARIA COPERNICANA 1(21) 2017
zwei
ersten
(a-d,
h-e)S. verwendet,
Vgl.Vgl.
Nr.Nr.
20 20
inQuarten
der
Partitur,
ibidem,
179–180.
in der
Partitur,
ibidem,
S. 179–180. allmählich kommen weitere Elemente hinzu,
bei
Nr.
131
erklingt
die
Reihe
in vollständiger
Gestalt und im punktierten Rhythmus. Das
24
Ibidem, S. 42.
Länger-Werden
der
Reihe
kann
man
mit
einer
fortschreitenden Drehung der Schraube as25
Ibidem, S. 48. 27
26
Über dem
Passacaglia-Bass
Vgl. Nr.soziieren.
20 in der Partitur,
ibidem,
S. 179–180. ereignet sich in den Singstimmen das letzte Duell
zwischen Quint und der Gouvernante um Miles’ Seele. Nach dem letzten Einsatz der
Reihe erfolgt die Auflösung: Miles wendet sich von Quint ab und stirbt in den Armen der
Gouvernante.28
26 26
Passacaglia-Bass ereignet sich in den Singstimmen das letzte Duell zwischen Quint und der
Gouvernante um Miles’ Seele. Nach dem letzten Einsatz der Reihe erfolgt die Auflösung:
Miles wendet sich von Quint ab und stirbt in den Armen der Gouvernante.28
Quints Motiv
Quints Motiv
Aus der Kombination von einer Quarte und einer kleinen Terz, die in der Reihe eine
Rolle spielen,
ist Quarte
das kurze,
zwei
Vorschlagsnoten
und Reihe
einem eine
lang konAuskonstitutive
der Kombination
von einer
undaus
einer
kleinen
Terz, die in der
stitutive
Rolle spielen,
das kurze,
aus zwei Vorschlagsnoten
einem
angehalteangehaltenen
Ton “es”ist
bestehende
Quint-Motiv
gebildet, das auch und
in Form
eineslang
Akkordes
nenvorkommen
Ton “es” bestehende
Quint-Motiv gebildet, das auch in Form eines Akkordes vorkomkann:
men kann:
Beispiel 7: Quints Motiv29
Beispiel 7: Quints Motiv29
Das Motiv ist dank Verwendung der Quint zugewiesenen Celeste sehr gut vom Hören
LITTERARIA COPERNICANA 1(21) 2017
92
Das Motiv ist dank Verwendung der Quint zugewiesenen Celeste sehr gut vom Hören
erkennbar. Ein besonderer Reiz dieses Motivs besteht darin, dass es nicht nur mit Quints
erkennbar.
Ein besonderer Reiz dieses Motivs besteht darin, dass es nicht nur mit Quints
Erscheinen
Zusammenhang steht,
erklingt,
wenn
die die
in der
OperOper
Erscheinen imimZusammenhang
steht, sondern
sondernauch
auchdann
dann
erklingt,
wenn
in der
auftretenden
Gestalten
an
Quint
denken
oder
einen
Umstand
erwähnen,
der
mit
Quint
auftretenden Gestalten an Quint denken oder einen Umstand erwähnen, der mit inQuint
Verbindung gebracht
kann.
EinEin
gutes
Beispiel
dafürdafür
ist die
The Letter.
Zu Zu
in Verbindung
gebrachtwerden
werden
kann.
gutes
Beispiel
ist Szene
die Szene
The Letter.
diesem
Zeitpunkt weiß
weiß die
nocht
nichtnicht
von Quints
Existenz,Existenz,
sie wird den
diesem
Zeitpunkt
dieGouvernante
Gouvernante
nocht
von Quints
sie Geist
wird den
Geist
ja erst
der nächsten
Szene
The Tower erblicken.
bevor die Mrs.
Gourvernante
ja erst
in derin nächsten
Szene The
Tower
erblicken.
Noch bevorNoch
die Gourvernante
Grose
dem
Quint-Motiv.
Während
die dass
Gouvernante
die
“He’s
dismissed his
school”
Mrs.dieGrose
die Nachricht
mitteilt,
Miles
vonverwiesen
derWorte
Schule
verwiesen
erklingt
Nachricht
mitteilt, dass
Miles von
der
Schule
wurde,
erklingt wurde,
die Celeste
mit die
ausspricht,
der Ton “es”
– Quintsdie
Ton
– die musikalische
Ebene:
wird von der
Celeste mitdominiert
dem Quint-Motiv.
Während
Gouvernante
die Worte
“He’serdismissed
his
27
school”
ausspricht,
dominiert
der
Ton
“es” –
Quints
Ton –
die
musikalische
Ebene:
er
wird
Eine
eindrucksvolle
Nachbildung
der
bedrohlichen
Schraubenbewegung
gibt
es
auch
in
der
Szene
The
Viola zweieinhalb Takte lang gehalten, auf dem Ton “es” erklingt der meiste Teil der Aussage
wo die
bei jeder Wiederholung
länger
werdende Reihe
noch dazu
von zweider
Instrumenten
vonBedroom,
der Viola
zweieinhalb
Takte
lang
gehalten,
auf dem
Tonsimultan
“es” erklingt
meiste Teil
30
Klarinette) vorgetragen
wird. Vgl.
ibidem, S.der
241–244.
Im
weiteren
Verlauf
Oper
wird
klar,
dass
Quint
durch seinen
der (Altflöte,
Gouvernante.
30
28
Ibidem, S. der
311. Gouvernante. Im weiteren Verlauf der Oper wird klar, dass Quint durch
der29Aussage
Ibidem, S. 37.
verderblichen
Einfluss auf den Jungen für seine Entlassung aus der Schule verantwortlich ist.
seinen
verderblichen
Einfluss auf den Jungen für seine Entlassung aus der Schule verantDie
Celesta
und Celesta
das ausund
dreidas
Tönen
bestehende
Motiv sagen
das,sagen
nochdas,
bevor
es bevor
den am
wortlich
ist. Die
aus drei
Tönen bestehende
Motiv
noch
es
den am Geschehen
Beteiligten
und den Zuschauern
Geschehen
Beteiligten
und den Zuschauern
bewusst ist.bewusst ist.
AlsAls
Quint
in der
Szene
The Tower
zum
Mal sichtbar
wird, beherrscht
das dreitöQuint in der Szene The Tower ersten
zum ersten
Mal sichtbar
wird, beherrscht
das
nige Motiv die obere Celeste-Stimme:
dreitönige Motiv die obere Celeste-Stimme:
31 31
Beispiel8:8:Quints
Quints Motiv
Beispiel
Motiv
In der Szene The Window, als die Gouvernante Quint bemerkt, spielt die Celeste eine
melodische
und harmonische
Kombination
aus den Tönen
Quints spielt
Motiv,die
dieCeleste
dieses eine
Mal
In der Szene
The Window,
als die Gouvernante
Quintvon
bemerkt,
melodische
und
harmonische
aus den
Tönen
von Quints
Motiv,
die dieses
in
einer zu der
Tonart
der Szene,Kombination
H-Dur, passenden
Weise
enharmonisch
getarnt
sind.
Mal in einer zu der Tonart der Szene, H-Dur, passenden Weise enharmonisch getarnt sind.
Ibidem, S. 37.
Ibidem, S. 37.
31
Ibidem, S. 53–54.
29
30
Beispiel 9: Quints Motiv (H-Dur)32
Die enharmonisch getarnte Abwandlung von Quints-Motiv ist auch zu hören, als Mrs. Grose
Beispiel 8: Quints Motiv31
In der Szene The Window, als die Gouvernante Quint bemerkt, spielt die Celeste eine
melodische und harmonische Kombination aus den Tönen von Quints Motiv, die dieses Mal
in einer zu der Tonart der Szene, H-Dur, passenden Weise enharmonisch getarnt sind.
32
Beispiel 9: Quints Motiv (H-Dur)
32
Beispiel 9: Quints Motiv (H-Dur)
Die enharmonisch getarnte Abwandlung von Quints-Motiv ist auch zu hören, als Mrs. Grose
enharmonisch
getarnte Abwandlung
von d.h.
Quints-Motiv
hören,
als
in derDie
Beschreibung
der Gouvernante
Quint erkennt,
zum ersten ist
Malauch
wirdzu
Quint
als der
Mrs. Grose in der Beschreibung der Gouvernante Quint erkennt, d.h. zum ersten Mal wird
Quint als der Wiedergänger identifiziert.33
Wiedergänger identifiziert.33
Miles-Ruf
Miles-Ruf
Ein anderes mit Quint verbundenes Motiv ist der Ruf “Miles”, mit dem Quint den Jungen zu
verführen versucht. Auch dieses Motiv ist aus der Reihe entstanden, denn es beruht auf einer
Ein anderes mit Quint verbundenes Motiv ist der Ruf “Miles”, mit dem Quint den Jungen
zuIbidem,
verführen
versucht. Auch dieses Motiv ist aus der Reihe entstanden, denn es beruht
S. 37.
31
Quarte,
die
diesmal
mit
Sekundenschritten
ausgefülltwurde.
wurde.
Noch
bevor
Quint
persönlich
Ibidem,
S.Quarte,
53–54.
auf
einer
die
diesmal
mit Sekundenschritten
ausgefüllt
wurde.
Noch
bevor
Quint
Quarte,
die
diesmal
mit
Sekundenschritten
ausgefüllt
Noch
bevor
Quint
persönlich
32
Ibidem, S. 72.
persönlich
seinen
Ruf
anstimmt,
ist das
Motiv
demEsEs
Hörer
bekannt.
Es
erklingtinin der
33
seinen
Rufanstimmt,
anstimmt,
dasMotiv
Motivdem
dem
Hörer
bekannt.
erklingt
derViolapartie
Violapartie
inder
seinen
ististdas
Hörer
bekannt.
erklingt
ininder
Vgl.Ruf
ibidem,
S. 78.
Violapartie
in der
oben
erwähnten
Szene
The Letter.
oben erwähnten Szene The Letter.
30
oben erwähnten Szene The Letter.
34
34 34
Beispiel
10:
Der
Miles-Ruf
(Viola)
Beispiel
Der
Miles-Ruf
(Viola)
Beispiel
10:10:
Der
Miles-Ruf
(Viola)
93
Inder
der
Variation7,7,
die
ein
Präludium
zu
der
Szene
AtAt
Night
darstellt,
in der
die
Geister
zum ersten
Variation
7,die
dieein
einPräludium
Präludium
der
Szene
AtNight
Night
darstellt,
der
dieGeister
Geister
zum
InInder
Variation
zuzu
der
Szene
darstellt,
inin
der
die
zum
Mal hörbar werden, trägt die Celeste den Ruf “Miles” in As-Dur und Ges-Dur vor:
35
Beispiel
11:
Der
Miles-Ruf
(Celeste)
35 35
Beispiel
Der
Miles-Ruf
(Celeste)
Beispiel
11:11:
Der
Miles-Ruf
(Celeste)
Alsder
derRuf
Rufininder
derSzene
SzeneAtAtNight
Nightzum
zumersten
erstenMal
Malmit
mitdem
demNamen
Namen“Miles”
“Miles”erklingt,
erklingt,ististseine
seine
Als
TonartEs-Dur:
Es-Dur:
Tonart
34
35
32
33
Ibidem, S. 72.
36 36
Beispiel
Der
Miles-Ruf
Vgl. ibidem, S. 78.
Beispiel
12:12:
Der
Miles-Ruf
Ibidem,
S. 37.
DieWahl
Wahlvon
vonEs-Dur,
Es-Dur,As-Dur
As-Duroder
oderGes-Dur
Ges-Durfür
fürQuints
QuintsRuf
Rufstimmt
stimmtmit
mitder
dertonalen
tonalen
Die
Ibidem, S. 132.
Symbolikder
derOper
Operüberein.
überein.EsEsfällt
fälltaber
aberauf,
auf,dass
dassQuints
QuintsRuf
Rufininder
derletzten
letztenSzene
Szeneder
derOper
Operinin
Symbolik
E-Durerklingt,
erklingt,der
derDominant-Tonart
Dominant-TonartzuzuA-Dur,
A-Dur,das
dasmit
mitdem
demGrundton
Grundtonauf
aufeiner
einerweißen
weißen
E-Dur
Klaviertasteden
denBereich
Bereichdes
desNatürlichen
Natürlichenvertritt
vertrittund
unddas
dasoftoftder
derGouvernante
Gouvernantezugeordnet
zugeordnetist.
ist.
Klaviertaste
DerTonartwechsel
Tonartwechselwird
wirdmit
miteinem
einemszenischen
szenischenMittel
Mittelverknüpft
verknüpft– –der
derPositionierung
PositionierungQuints
Quints
Der
LITTERARIA COPERNICANA 1(21) 2017
erstenMal
Malhörbar
hörbarwerden,
werden,trägt
trägtdie
dieCeleste
Celesteden
denRuf
Ruf“Miles”
“Miles”ininAs-Dur
As-Durund
undGes-Dur
Ges-Durvor:
vor:
ersten
35
11: Der Miles-Ruf (Celeste)
Als der Ruf in der Szene At NightBeispiel
zum ersten
Mal mit dem Namen “Miles” erklingt, ist seine
Als
der
Ruf
in
der
Szene
At
Night
zum
ersten Mal mit dem Namen “Miles” erklingt, ist seine
Tonart Es-Dur:
Tonart Es-Dur:
36 36
Beispiel
Miles-Ruf
Beispiel12:
12:Der
Der Miles-Ruf
Die Wahl von Es-Dur, As-Dur oder Ges-Dur für Quints Ruf stimmt mit der tonalen
LITTERARIA COPERNICANA 1(21) 2017
94
Die Wahl
von überein.
Es-Dur, Es
As-Dur
oderauf,
Ges-Dur
für Quints
stimmtSzene
mit der
Symbolik
der Oper
fällt aber
dass Quints
Ruf in Ruf
der letzten
der tonalen
Oper in
Symbolik
der
Oper
überein.
Es
fällt
aber
auf,
dass
Quints
Ruf
in der
letzten
Szene
der
Oper
E-Dur erklingt, der Dominant-Tonart zu A-Dur, das mit dem Grundton auf einer weißen
in E-Dur erklingt, der Dominant-Tonart zu A-Dur, das mit dem Grundton auf einer weißen
Klaviertaste den Bereich des Natürlichen vertritt und das oft der Gouvernante zugeordnet ist.
Klaviertaste den Bereich des Natürlichen vertritt und das oft der Gouvernante zugeordnet
DerDer
Tonartwechsel
wirdwird
mit einem
szenischen
MittelMittel
verknüpft
– der Positionierung
Quints
ist.
Tonartwechsel
mit einem
szenischen
verknüpft –
der Positionierung
hinter der
Bühne.
entfernt
man sich,
kann man
ihn zwar
hören,noch
aber hören,
nicht mehr
Quints
hinter
derQuint
Bühne.
Quintsich,
entfernt
kannnoch
ihn zwar
abersehen.
nicht
mehr
sehen.E-Dur,
Die Tonart
E-Dur,
dieaus
dasdem
Es-Dur
dem Ruf
verdrängt
hat, zeigt an,
womöglich
Die Tonart
die das
Es-Dur
Rufaus
verdrängt
hat,
zeigt womöglich
dass das
an, dass das Natürliche über das Übernatürliche gesiegt hat. Der sich über die ganze letzte
Natürliche über das Übernatürliche gesiegt hat. Der sich über die ganze letzte Szene ziehende
SzeneMiles
ziehende
As-Dur,sich
derdessen
Tonartbewusst
des Geistes,
und A-Dur,inder
Tonart
denn
stirbtKampf
und als zwischen
die Gouvernante
wird, erscheinen
ihrer
Partie
Kampf zwischen As-Dur, der Tonart des Geistes, 37und A-Dur, der Tonart der Gouvernante
der Gouvernante scheint nun entschieden zu sein. Nichtsdestoweniger ist der Schluss der
viele erniedrigte Töne. Quint hat 37
also den Bereich des Irdischen verlassen, er kann aber Miles
scheintzweideutig,
nun entschieden
zu sein.
ist der sich
Schluss
der bewusst
Oper zweideutig,
Oper
denn Miles
stirbtNichtsdestoweniger
und als die Gouvernante
dessen
wird, ermitgenommen
haben.
scheinen in ihrer Partie viele erniedrigte Töne. Quint hat also den Bereich des Irdischen
Quints
Ruf aber
wurde
nochmitgenommen
an vielen anderen
Stellen in der Oper versteckt. Man findet ihn
verlassen,
er kann
Miles
haben.
34
Ibidem, S. 37.
35
Quints
Ruf
wurde
noch
an
vielen
anderen
Oper Vers
versteckt.
Man findetof
Ibidem,
S. 132.
z.
B. in dem
von dem ehemaligen Diener und MissStellen
Jessel in der
gesungenen
“The ceremony
36
Ibidem,
S.
133. von dem ehemaligen Diener und Miss Jessel gesungenen Vers “The cereihn
z.
B.
in dem
37
Vgl. E. W.is
White,
op. cit.,aus
S. 213.
innocence
drowned”
dem Gedicht von William Butler Yeats. In diesem Fall ergänzt die
mony of innocence is drowned” aus dem Gedicht von William Butler Yeats. In diesem Fall
Musik
indem
sie den
Verlust
sich auf der
derder
Worte
auf
ergänztdas
dieGesagte,
Musik das
Gesagte,
indem
sie der
denUnschuld,
Verlust derderUnschuld,
derEbene
sich auf
Ebene
der Worte
auf keine
bezieht,
mit Milesbringt:
in Verbindung bringt:
keine
konkrete
Personkonkrete
bezieht, Person
mit Miles
in Verbindung
Beispiel 13: Der Miles-Ruf in dem Vers “The ceremony…”38
Beispiel 13: Der Miles-Ruf in dem Vers “The ceremony…”38
Verflechtung der Motive als Mittel der Figurencharakteristik
Quints verführerischer Ruf schleicht sich aber auch dahin, wo man ihn zunächst nicht
vermuten würde – in die Partie der Gouvernante. So ist es z. B. in der ersten Szene The
Journey, in der die junge Frau ihre Zweifel darüber ausdrückt, ob es richtig war, die Stelle in
Bly anzunehmen. Sie ist unsicher und empfindet eine unbestimmte Angst. Schließlich
versucht sie sich selbst zu beruhigen, da es ja keinen Grund gebe, sich zu fürchten. Die
36
Melodie,
die diese Äußerung gesungen wird, enthält die aus Quints Ruf stammende
Ibidem,auf
S. 133.
Vgl. E. W. White, op. cit., S. 213.
Notengruppe:
38
B. Britten, op. cit., S. 176.
37
Beispiel 13: Der Miles-Ruf in dem Vers “The ceremony…”38
Verflechtung der Motive als Mittel der Figurencharakteristik
Verflechtung der Motive als Mittel
Quints verführerischer Ruf schleicht sich aber auch dahin, wo man ihn zunächst nicht
der Figurencharakteristik
vermuten würde – in die Partie der Gouvernante. So ist es z. B. in der ersten Szene The
Journey,
in der die jungeRuf
Frauschleicht
ihre Zweifel
darüber
ausdrückt,
es richtig
war, dienicht
Stelleverin
Quints verführerischer
sich aber
auch
dahin, woobman
ihn zunächst
muten
würde – in die
der Gouvernante.
So ist es
z. B.unbestimmte
in der erstenAngst.
Szene The Journey,
Bly
anzunehmen.
Sie Partie
ist unsicher
und empfindet
eine
Schließlich
in der die
Zweifel darüber
ob es richtig
war, zu
diefürchten.
Stelle in Bly
versucht
siejunge
sich Frau
selbstihre
zu beruhigen,
da es ausdrückt,
ja keinen Grund
gebe, sich
Die
anzunehmen. Sie ist unsicher und empfindet eine unbestimmte Angst. Schließlich versucht
sie sich selbst zu beruhigen, da es ja keinen Grund gebe, sich zu fürchten. Die Melodie, auf
Notengruppe:
die diese Äußerung gesungen wird, enthält die aus Quints Ruf stammende Notengruppe:
Melodie, auf die diese Äußerung gesungen wird, enthält die aus Quints Ruf stammende
39
Beispiel 14: Der Miles-Ruf in der Partie der Gouvernante
39
Beispiel 14: Der Miles-Ruf in der Partie der Gouvernante
An dieser Stelle scheint die Musik die Bedeutung der Worte zu subvertieren, sie deutet Quints
An dieser Stelle scheint die Musik die Bedeutung der Worte zu subvertieren, sie deutet
Quints Anwesenheit und somit die künftigen Sorgen der Gouvernante an.
DieVerwandtschaft
Verwandtschaftder
dervon
vonder
derGouvernante
Gouvernante gesungenen
gesungenen Phrase
Phrase mit
mit Quints
Quints Ruf
ist
Die
Ruf ist
auch offensichtlich, alsalssiesie
in der
Szene des
erstendes
Aktes
(The Lake)
Vergeblichkeit
auch
insiebten
der siebten
Szene
ersten
Aktes die
(The
Lake) die
ihrer Anstrengungen konstatiert:
Anwesenheit und somit die künftigen Sorgen der Gouvernante an.
Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen konstatiert:
38
39
B. Britten, op. cit., S. 176.
Ibidem, S. 13.
Beispiel 15: Der Miles-Ruf in der Partie der Gouvernante40
41
41
Beispiel
16: “The
ceremony…”
Partie
Gouvernante
Beispiel
16: “The
ceremony…” in der
in der Partie
derder
Gouvernante
Beispiel 16: “The ceremony…” in der Partie der Gouvernante41
Dieselbe melodische Wendung wurde in der Partie der Gouvernante bereits in der ersten
Dieselbe melodische Wendung wurde in der Partie der Gouvernante bereits in der ersten
Szene The Journey für die Frage: “Why did I come?” verwendet:
39
Szene
The Journey
für die Frage: “Why did I come?” verwendet:
Ibidem,
S. 13.
Ibidem, S. 129.
Ibidem, S. 93.
40
41
Beispiel 17: “The ceremony…” in der Partie der Gouvernante42
Beispiel 17: “The ceremony…” in der Partie der Gouvernante42
Das Einfließen von Quints Phrasen in die Melodien der Gourvernante ist zweideutig.
Das Einfließen von Quints Phrasen in die Melodien der Gourvernante ist zweideutig.
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Beispiel
15: Der
Miles-Ruf
Partiederder
Gouvernante
Beispiel
15: Der
Miles-Rufin der
in der Partie
Gouvernante
Besonders auffallend ist der Moment in der Szene The Window, als die Gouvernante ihre
Besonders auffallend ist der Moment in der Szene The Window, als die Gouvernante ihre
Bereitschaft
erklärt,
die Lastist
desder
Wissens
über
das Böse
sich zu nehmen,
die anderen
Besonders
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Moment
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als dieumGouvernante
Bereitschaft erklärt, die Last des Wissens über das Böse auf sich zu nehmen, um die anderen
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nicht nur
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bedient
sich
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Gouvernante
bedient
sich
hier
nicht
nur
charakteristischen, aber kurzen Notengruppe aus dem Miles-Ruf, sondern einer längeren
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Notengruppe aus
Miles-Ruf, sondern
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charakteristischen, aber
aber kurzen
kurzen Notengruppe
aus dem Miles-Ruf,
Phrase, die später als Vertonung des Verses “The ceremony of innocence is drowned” benutzt
Phrase,
die
später
als
Vertonung
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Verses
“The
ceremony
of innocence
is
drowned”
bePhrase, die später als Vertonung des Verses “The ceremony of innocence is drowned” benutzt
wird:
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Beispiel 16: “The ceremony…” in der Partie der Gouvernante41
Dieselbe
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Partie
der der
Gouvernante
bereits
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Partie
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bereits
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fürFrage:
die Frage:
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verwendet:
Szene
The Journey
für die
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did I did
come?”
verwendet:
42
42
Beispiel
17: “The
ceremony…” in der
in der Partie
derder
Gouvernante
Beispiel
17: “The
ceremony…”
Partie
Gouvernante
Das Einfließen von Quints Phrasen in die Melodien der Gourvernante ist zweideutig.
Das Einfließen
vonauf
Quints
der Gourvernante
ist zweideutig.
Einerseits
verweist das
QuintPhrasen
als diein die
böse Melodien
Kraft, gegen
die die Gouvernante
kämpft.
Einerseits verweist das auf Quint als die böse Kraft, gegen die die Gouvernante kämpft.
Andererseits kann das auf eine versteckte Verwandtschaft zwischen der Gouvernante und
Quint
– auf
erotische Wünsche
der Gouvernante,
Gouvernante, die
möglicherweise ihr
ihr selbst
selbst
Quintverweisen
verweisen –
auf erotische
Wünsche der
die möglicherweise
nicht
mitmit
Miles
beeinflussen.
nichtbewusst
bewusstsind,
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dieaber
aberihre
ihreRelation
Relation
Miles
beeinflussen.
Die
Antwort
auf
die
Frage
“Why
did
I
come?”
Die Antwort auf die Frage “Why did I come?”ist
istsowohl
sowohldem
dem Leser
Leser des
des Romans
Romans als
als
auch dem Zuschauer der Oper bekannt: die Gouvernante ist von dem jungen, gut ausseauch dem Zuschauer der Oper bekannt: die Gouvernante ist von dem jungen, gut aussehenden
henden Vormund der Kinder fasziniert und es scheint wahrscheinlich, dass der Faszination
Vormund
der Kinder
fasziniert zugrunde
und es scheint
wahrscheinlich,
dass
eine erotische
Anziehungskraft
liegt. Quints
Erscheinen
aufder
demFaszination
Turm gehteine
der
Wunsch Anziehungskraft
der Gouvernantezugrunde
voraus, ihren
zu sehen.
kann
erotische
liegt.Arbeitgeber
Quints Erscheinen
aufDer
demGeist
Turm
gehtalso
derin dieser
Wunsch
Situation
als
eine
Antwort
auf
die
Träume
der
jungen
Frau
gedeutet
werden.
Die
seltsame
der Gouvernante voraus, ihren Arbeitgeber zu sehen. Der Geist kann also in dieser Situation
Bemerkung der Gouvernante: “but it was as if I had been looking at him for years and had
als eine Antwort auf 43die Träume der jungen Frau gedeutet werden. Die seltsame Bemerkung
known him always” lässt in diesem Kontext an Aktivierung der jedem Menschen angeborenen erotischen Anlage denken.
40
James’
Roman lässt auch die Vermutung zu, dass das Verhältnis zwischen Miles und
Ibidem,
S. 129.
41
Ibidem,
S. 93.
der
Gouvernante
ein Hauch von Erotik umgibt. Von der Intimität ihrer Beziehung zeugt die
42
Ibidem, S. 12.
Szene
im Schlafzimmer, über die die Gouvernante in folgenden Worten berichtet: “it made
me let myself go. I threw myself upon him and in the tenderness of my pity I embraced
him. […] My face was close to his, and he let me kiss him […].”44 Wenn man die Erklärung
“in the tenderness of my pity” auslässt, bleiben nur erotische Signale übrig. An einer anderen Stelle vergleicht die Gouvernante sich und Miles mit einem Brautpaar, das sich
in Anwesenheit anderer Personen befangen fühlt: “We continued silent while the maid
was with us – as silent, it whimsically occurred to me, as some young couple who, on their
wedding-journey, at the inn, feel shy in the presence of the waiter. He turned round only
when the waiter had left us.”45 Die Rivalität zwischen der Gouvernante und Quint würde
in diesem Licht nicht die Opposition zwischen Moralität und verderblicher Sexualität, zwischen Anstand und Kindesmissbrauch, sondern diejenige zwischen kulturell anerkannter
Hetero- und verpönter Homosexualität symbolisieren.46
Andererseits kann das auf eine versteckte Verwandtschaft zwischen der Gouvernante und
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96
Ibidem, S. 12.
H. James, The Turn of the Screw, [in:] idem, Collected Stories, Vol. 2, hrsg. von J. Bayley, S. 365.
44
Ibidem, S. 419.
45
Ibidem, S. 440. Vgl. dazu E. W. White, op. cit., S. 203–204.
46
In diesem Sinne interpretiert den Schluss der Oper David Clippinger. Der Horror in Bly beruht für ihn auf
“the marginalized and criminal status of homosexuality” (D. Clippinger, op. cit., S. 138). Eine interessante Deutung
des Wettkampfes zwischen der Gouvernante und den Geistern legte Mark Jones vor, der darin den Aspekt der
kindlichen Sexualität hervorhebt. In der überspannten Reaktion der Gouvernante auf die Anwesenheit der
Geister sieht er die Angst der Erwachsenen vor der sexuellen Erkenntnis der Kinder. Die Panik der Gouvernante
verursacht bei Miles solche Schuldgefühle, dass er zusammenbricht. Sein Tod kann verstanden werden als das
42
43
Die dezenten Signale, die im Roman den möglichen erotischen Hintergrund der
Relation zwischen der Gouvernante und Miles implizieren, fehlen fast auf der Textebene
der Oper. Das motivische Netz in der Musik gleicht diesen Mangel aus. Die Einmischung
von Quints Melodien in die Motive der Gouvernante sorgt auf der musikalischen Ebene
für versteckte erotische Signale und betont auf meisterhafte Weise die Ambiguität dieser
Gestalt, die auch im Roman präsent ist: “when the governess expresses her intention to protect [Hervorhebung im Original] the children in notes almost identical to those Quint uses
to corrupt them, then the purely musical structure of the opera can be shown to play a part
in sustaining and deepening the intrinsic ambiguities of the plot.”47
Schlussreflexion
Die im vorliegenden Aufsatz genannten Beispiele machen nur einen kleinen Teil von den
durch Brittens Musik getragenen narrativen und referentiellen Strukturen aus, sie sind
nur ein Vorgeschmack dessen, was ein aufmerksamer Rezipient in dem Werk wahrnehmen kann. Die immer bedrückender werdende Atmosphäre der Angst und Unklarheit,
die Mehrdeutigkeit von Figuren, Aussagen und Situationen sowie das symbolische
Durchdrehen der Schraube werden hier mit musikalischen Mitteln nicht minder eindrucksvoll erzählt als dies der Roman tut. “I must confess that I have a sneaking, horrid feeling that
the original H. J. title describes the musical plan of the work exactly!!”48, so äußert sich
Britten selbst über seine musikalische Bearbeitung von The Turn of the Screw. Angesichts
des in der Musikschicht der Oper enthaltenen Ideenreichtums ist Brittens Zufriedenheit
vollkommen berechtigt.
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Britten, Benjamin. The Turn of the Screw, Opus 54. An Opera in a Prologue and Two Acts. Libretto
by Myfanwy Piper after the Story by Henry James. Deutsche Übertragung von Ludwig
Landgraf. London: Boosey & Hawkes, 1966.
Clippinger, David. “The Hidden Life: Benjamin Britten’s Homoerotic Reading of Henry James’s
The Turn of The Screw”. In: Michael J. Meyer, Hrsg., Literature and Musical Adaptation.
Amsterdam–New York: Rodopi, 2002.
Corse, Sandra. “From Narrative to Music: Benjamin Britten’s The Turn of the Screw”. University
of Toronto Quarterly Vol. 51, No. 2 (1981/1982).
Duperray, Max. “‘Déjà vu’ in “The Turn of the Screw”. In: Dennis Tredy, Annick Duperray und Adrian
Harding, Hrsg., Henry James’s Europe. Heritage and Transfer. Cambridge: Open Book
Publishers, 2011.
Übergehen von den kindlichen Vorstellungen von Sexualität in die Anschauungswelt der Erwachsenen, in der
Sexualität mit Schuld assoziiert wird. Vgl. dazu M. Jones, The Turn of the Screw: Is child protection the issue?, “The
Journal of Forensic Psychiatry” 1999, Vol. 10, Nr. 1, S. 1–4.
47
P. Howard, Structures: an overall view, [in:] op. cit., hrsg. von idem, S. 72–73.
48
Ch. Headington, Britten, London 1973, S. 111.
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Literaturverzeichnis
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The Turn of the Screw. Cambridge: Cambridge University Press, 1985.
Halliwell, Michael. “The Voice of the ‘Master’: Henry James and Opera”. In: Mirosława Buchholtz,
Hrsg., Henry James’s Afterlife: Opera, Film, RPG, American Studies Vol. 22. Warsaw: American
Studies Center, 2005.
Howard, Patricia. “Structures: An Overall View”. In: Patricia Howard, Hrsg., Benjamin Britten.
The Turn of the Screw. Cambridge: Cambridge University Press, 1985.
Jones, Mark. “The Turn of the Screw: Is Child Protection the Issue?” The Journal of Forensic Psychiatry
Vol. 10, No. 1 (1999).
Lahn, Silke. “Zuverlässigkeit des Erzählers”. In: Silke Lahn and Jan Christoph Meister, Hrsg.,
Einführung in die Erzähltextanalyse. Stuttgart-Weimar: J. B. Metzler, 2013.
Meyer, Leonard B. Music, the Arts, and Ideas: Patterns and Predictions in Twentieth-Century Culture.
Chicago: University of Chicago Press, 1967.
Tredy, Dennis. “Cienie cieni – techniki wieloznaczności w trzech adaptacjach filmowych W kleszczach lęku: Niewiniątka Jacka Claytona (1961), W kleszczach lęku Dana Curtisa (1974)
oraz Przytomność umysłu Antonio Aloya (1999)”, übers. von Monika Linke. In: Mirosława
Buchholtz, Hrsg., Filmowe gry z twórczością Henry’ego Jamesa. Transpozycje, komentarze,
analogie. Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika, 2005.
—. “Shadows of Shadows: Techniques of Ambiguity in Three Film Adaptations of The Turn of the
Screw: Jack Clayton’s The Innocents (1961, Dan Curtis’s The Turn of the Screw (1974), and
Antonio Aloy’s Presence of Mind (1999)”. In: Mirosława Buchholtz, Hrsg., Henry James’s
Afterlife: Opera, Film, RPG, American Studies Vol. 22. Warsaw: American Studies Center,
2005.
White, Eric Walter. Benjamin Britten, His Life and Operas, hrsg von John Evans. Berkeley–Los
Angeles: University of California Press, 1983.
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