Der Absturz der SPÖ ist mehr als die Krise einer einzelnen Partei

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DER ABSTURZ DER SPÖ IST MEHR ALS DIE KRISE
EINER EINZELNEN PARTEI
Die im heutigen Standard präsentierte Umfrage zur Einschätzung der
Regierungsparteien (n=500/CATI-Umfrage/market) zeigt die tiefgehende Krise
der SPÖ auf. Und nicht nur das. Die SPÖ ist in gewisser Weise das Symbol für
die strukturellen und kulturellen Defizite der österreichischen Politik
generell. Sie spürt wohl erst jetzt – durch kurzfristige Wahlerfolge und
regionale Stärkefelder wie Wien aufgeschoben – Versäumnisse aus Vergangenheit
und Gegenwart.
Ehrlich gesagt verfolge ich zwar Umfragen mit einem
derart geringen Sample mit gewisser Skepsis, dennoch
sind die Daten so signifikant, dass Rückschlüsse
möglich sind. Im Gegensatz zum Titel der StandardGeschichte („Umfrage: ÖVP besser organisiert als die
SPÖ“) sehe ich die eigentlich bemerkswerten Daten
woanders, denn die Organisationsfähigkeit einer
Partei kann abgesehen von einem Eindruck durch die
Wählerschaft nur bedingt eingeschätzt werden.
Während die ÖVP in den meisten Eigenschaften eigentlich sehr positive Werte
bei der eigenen Wählerschaft hat (im Gegensatz zur Gesamtheit), sind bei der
SPÖ sogar bei den eigenen Wählern die Daten extrem schlecht (click to
enlarge). Im folgenden jene Punkte, die aus meiner Sicht relevant sind, und
ehrlicherweise zeigen, dass die Krise der SPÖ kurzfristig nicht bewältigbar
ist. Aller Voraussicht wird nach der Oberösterreich-Wahl am 27.9. eine
gröbere Neuaufstellung zu erwarten sein.
Nur 55 % der SP-Wähler meinen, dass die Wählerschaft genau wisse, wofür die
Partei stehe (ÖVP 84%). Ebenso 55% halten die Partei für glaubwürdig (ÖVP
85%). Bitte, dieser Wert ist eine Katastrophe. Wenn das de facto nur jeder
zweite SP-Wähler behauptet, gibt es entweder ein massives
Politikvermittlungsproblem oder noch schlimmer: es gibt ein tiefgehendes
Identitätsproblem. Ich behaupte zweiteres.
35% meinen, dass in der Partei jederzeit jemand bereit sei, die Führung zu
übernehmen. Es wird also nicht nur der Führung selbst unterstellt, ein
Problem zu haben, sondern man sieht auch niemanden, der das übernehmen könnte
(zum Vergleich: ÖVP 75%).
Nur 43% meinen, dass die Partei in keine Skandale verwickelt sei. Angesichts
dessen, dass dies bei der ÖVP 80% sind, ist das ein Indiz für massives
Misstrauen. Das ist insbesondere in Zeiten des Vertrauensverlustes in
politische Institutionen mehr als problematisch. Und wenn man sich die
Skandale des Landes ansieht, ist eigentlich keine überproportionale SPLastigkeit im Vergleich zur ÖVP erkennbar. Hier hätte ich in der medialen
Rezeption beide gleichauf gesehen. (Möglicherweise wirkt die BAWAG noch
nach?)
Ebenso problematisch ist, dass nur 34% sehen, dass es ausreichend gute
Nachwuchskräfte gäbe (ÖVP 68%). Offenbar greift es nicht, wenn junge
Funktionäre wie Laura Rudas entsprechende Präsenz und Bedeutung haben; das
Nachwuchsproblem erstreckt sich über weite Teile der Organisation.
Das Problem dabei ist, dass nicht nur die Mobilisierungsfähigkeit einer
Partei mit derartigen Werten stark eingeschränkt ist, sondern dass die Krise
tief geht und damit auch das generelle Demokratiedefizit erreicht. Parteien
haben in der Vermittlung von Politik immer noch die zentralste Rolle. Leider,
muss man sagen, aber es ist so. Zugleich sind Parteien, Medien und auch
Politikberatung häufig nahezu ausschließlich am kurzfristigen Wahlerfolg als
relevanteste Messgröße orientiert. Das ist verständlich, aber falsch. Oder
wie Peter Filzmaier zuletzt in den OÖ-Nachrichten geschrieben hat (via Martin
Blumenaus Post: Der Experte und die De-Nationalisierung): “Im Sommerloch gibt
es keine Wahlen. Das bedeutet insofern eine demokratiepolitische Flaute, weil
Österreich die Qualität seiner Demokratie gerne anhand von Wahlergebnissen
definiert.” oder auch “Rechte und Linke beschäftigen sich unabhängig vom
Wahlkampfgegröle ständig nur mit dem Tagesgeschäft.” Blumenau spricht von
Resultats-Fetischismus.
Auch mein gestriges Posting zu Martin Grafs Südtirol-Vorschlag sollte zeigen,
dass nahezu alle Akteure im politischen Geschäft eine extrem kurzfristige
Perspektive in ihrer Kommunikationsstrategie haben. Immer mehr Menschen
entkoppeln sich aber von dieser Art der Politik. Im Freibad diskutiert
niemand die Südtirol-Frage, um es etwas banal auszudrücken.
Was die SPÖ aber mit den oben genannten Werten offenbart, ist nicht mit dem
Tagesgeschäft zu lösen. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier auf
Guensblog versucht, das strategische Dilemma der SPÖ zu beschreiben.
Aufgerieben zwischen sehr unterschiedlichen Milieus, inhaltlichen Polen und
Zielgruppen reicht ein Day-to-Day Vorhanteln nicht. Es hat sich seit damals
nichts verbessert, sondern im Gegenteil: Die Sozialdemokratie hat mehr denn
je ein grundlegendes Strategiedefizit und eigentlich eine substantielle
Identitätskrise. In Zeiten der Wirtschaftskrise und steigender sozialer
Spannungen ist das ein Problem. Nicht nur für die SPÖ.
Sie kann kurzfristig nicht gerettet werden, sondern braucht ein
längerfristiges Szenario, das zumindest folgende Fragen beantworten müsste:
Was sind die 2-3 Leitprojekte und Kernanliegen, die in der Regierung
umgesetzt werden? (Die sich abzeichnende Niederlage bei der Mindestsicherung
zeigt, wie wenig geht derzeit.)
Was sind längerfristige Leitprojekte, die die SPÖ als Zukunftsansage
lanciert? (Wahlen gewinnt man nie mit Bilanzen, sondern nur mit dem Blick
nach vorne.)
Was ist die Identität 2010 und was sind die Werte der SPÖ, hinter die sich
nahezu alle ihre Wähler stellen können? Derzeit vermittelt die SPÖ den
Eindruck einer wertfreien Politzone.
Welche Personen vertreten diese Werte glaubwürdig an der Spitze aber auch in
der zweiten Reihe am besten? (Faymanns Performance ist einer der Hauptgründe
für die Profillosigkeit der Partei.)
Bridging the Gaps: Wie erreicht man die verloren gegangenen, aber noch nicht
verlorenen Milieus, um sie für Politik und die SPÖ zu interessieren?
Insbesondere das Abdriften junger Menschen an die Rechte ist nicht mit netten
Aktiönchen zu bewältigen. Der gesamte Apparat muss dafür auf Vordermann
gebracht werden.
Wie schon an anderer Stelle erwähnt, hier geht es nicht um Politik-PR und
schöne Kampagnen; hier geht es um politische Kommunikation und
Politikkompetenz. Idealerweise geht es sogar um Politik!
Die Liste ist natürlich noch erweiterbar. Aber in diesen Fragen steckt auch
viel mehr als lediglich die aktuelle Orientierungslosigkeit einer einzigen
Partei.
Titelbild von Ralph Aichinger lizenziert unter CC BY 2.0.
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