Kompetenzorientierter Geschichtsunterricht in der Kursstufe am Beispiel des deutschdeutschen Vergleichs Kompetenzerwerb: Fragekompetenz, Urteilskompetenz Bildungsplan 2004 Die politische und gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR Die Schülerinnen und Schüler können… Grundlinien und Herausforderungen der inneren Entwicklung der beiden deutschen Staaten darstellen die aus den unterschiedlichen politischen Systemen resultierenden Formen des gesellschaftlichen Lebens vergleichen und beurteilen, wie die Bundesrepublik und die DDR die Herausforderungen der modernen Industriegesellschaft bewältigt haben die Interdependenz von innenpolitischer Entwicklung und außenpolitischer Integration formulieren Der historische Vergleich unterstützt den Erwerb von Fragekompetenz wirft Fragen auf, die man ohne den Vergleich nicht stellen würde drängt zur Frage nach Zusammenhängen unterstützt den Erwerb von Urteilskompetenz Vorteile des vergleichenden Verfahrens im Unterricht Einstiegsphase: Konfrontation mit dem gleichen historischen Phänomen in zwei Staaten: weckt Interesse ermöglicht die selbstständige Entwicklung von Fragen durch Schülerinnen und Schüler (Fragekompetenz) Systemspezifische Lösungen für vergleichbare Probleme „Die Untersuchung vergleichbarer Problemlagen bei divergierenden systemspezifischen Lösungsmöglichkeiten lässt Rückschlüsse auf das Gesamtsystem zu.“ (Hartmut Zimmermann 1989) Historischer Vergleich an zwei Unterrichtsbeispielen Möglichkeiten historisch vergleichenden Lernens Die Schülerinnen und Schüler können… Grundlinien und Herausforderungen der inneren Entwicklung der beiden deutschen Staaten darstellen die aus den unterschiedlichen politischen Systemen resultierenden Formen des gesellschaftlichen Lebens vergleichen und beurteilen, wie die Bundesrepublik und die DDR die Herausforderungen der modernen Industriegesellschaft bewältigt haben Beispiel 1: Die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen in der Bundesrepublik und in der DDR im Vergleich Vergleichbare Problemlage in der Bundesrepublik und der DDR: „Herausforderung“ (BP, S. 231): Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen „Grundlinien“ (BP, S. 231): Systemspezifische Lösungen? „Innere Entwicklung“ (BP, S. 231): Rückschlüsse auf das Gesamtsystem? Textvergleich Jörg Roesler, DDR – Bundesrepublik: Der verweigerte Vergleich, in: UTOPIE kreativ, Heft 164 (Juni 2004), S. 485 – 493; Online-Version: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/U topie_kreativ/164/164_roesler.pdf) (Michael Schwartz, Staatsfeind „Umsiedler“, in: SPIEGEL spezial 2/2002, S. 114 – 118; OnlineVersion: http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d22937261.html Die Integration der Vertriebenen in der DDR Gruppe 1: Bodenreform Ansiedlung als Neubauern Integration durch Eigentumswechsel Die Integration der Vertriebenen in der DDR Gruppe 1: Bodenreform Ansiedlung als Neubauern Integration durch Eigentumswechsel Gruppe 2: Industrie Enteignung und Planwirtschaft „Brennpunkte des Neuaufbaus“: Schneller Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit Integration durch Arbeitsplätze Die Integration der Vertriebenen in der DDR Bodenreform: Ansiedlung als Neubauern Integration durch Eigentumswechsel Industrie: Enteignung und Planwirtschaft Schneller Abbau der Nachkriegsarbeitslosigkeit: „Brennpunkte des Neuaufbaus“ Integration durch Arbeitsplätze Elitenwechsel durch Entnazifizierung und Flucht (bis 1961): Öffentlicher Dienst (Lehrer, Verwaltungsbeamte) Integration durch Bildungsaufstieg Präsentation und Diskussion im Plenum I: Modell: Integration durch Eigentum, Arbeit und Bildung Grundlinie: Eigentumswechsel, Recht auf Arbeit, Bildungsexpansion, Antifaschismus Beurteilung? Folgen der Integrationsstrategie in der DDR Empirischer Test: Deutsch-deutsche Migration bis 1961 „Abstimmung mit den Füßen“ Rückgang des Anteils von Vertriebenen an den DDR-Flüchtlingen in den 50er Jahren 1960: Anteil Bevölkerungsanteil der Vertriebenen in der DDR Die DDR – eine moderne Leistungsgesellschaft? „Die frühe DDR-Gesellschaft war durch die Entmachtung bisheriger Eliten und bis 1961 durch massenhafte Westabwanderung gekennzeichnet und mithin in hohem Maße sozial mobil.“ (Schwartz 2002) Aufstiegschancen für Vertriebene = „Moderne Leistungsgesellschaft“ DDR? Moderne: Licht und Schatten Im Vergleich: Die Integration der Vertriebenen in der Bundesrepublik Gruppe 1: Wirtschaftsmodell und Eigentumsbegriff in der Bundesrepublik (Grundgesetz, Soziale Markwirtschaft, Wirtschaftswunder, Lastenausgleich, sozialer Wohnungsbau) Im Vergleich: Die Integration der Vertriebenen in der Bundesrepublik Gruppe 1: Wirtschaftsmodell und Eigentumsbegriff in der Bundesrepublik (Grundgesetz, Soziale Markwirtschaft, ) Gruppe 2: Politische Integration (Parteien, Verbände) Parteien und Massenorganisationen SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands CDU: Christlich-Demokratische Union LDP: Liberal-Demokratische Partei NDPD: National-Demokratische Partei Deutschlands DBD: Demokratische Bauernpartei Deutschlands FDGB: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ: Freie Deutsche Jugend DFD: Demokratischer Frauenbund Deutschlands VVN: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VdgB: Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Im Vergleich: Die Integration der Vertriebenen in der Bundesrepublik Gruppe 1: Wirtschaftsmodell und Eigentumsbegriff in der Bundesrepublik (Grundgesetz, Soziale Markwirtschaft, Wirtschaftswunder, Lastenausgleich, sozialer Wohnungsbau) Gruppe 2: Politische Integration (Parteien, Verbände) Gruppe 3: Mentalitäten im Umgang mit Vertriebenen (Beispiel: Spielfilm) Im Vergleich: Die Integration der Vertriebenen in der Bundesrepublik Hohe Arbeitslosenzahlen (bis Anfang der 50er Jahre) Integration durch Arbeit Lastenausgleich (Steuerüberschüsse durch „Wirtschaftswunder“) Sozialer Wohnungsbau ( Soziale Marktwirtschaft) Politische Integration, Konflikte in der politischen Kultur Präsentation und Diskussion im Plenum II: Modell: Soziale und politische Integration Grundlinie: Sozialbindung des Eigentums, Soziale Marktwirtschaft, „Wirtschaftswunder“, „Unfähigkeit zu trauern“, Konfliktgesellschaft Beurteilung? Bundesrepublik und DDR – wer war moderner? „Ob die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen über finanzielle Starthilfen und Wohnungsbau oder über Arbeitsangebote – die, sofern die neuen Produktionsstätten »auf der grünen Wiese« entstanden, auch ein Wohnungsangebot enthielten – die akzeptablere sei, mag dahingestellt bleiben. Aber keiner der beiden deutschen Staaten hätte die Integrationsstrategien des anderen wählen können. Insofern hatten sie beide ihre Berechtigung, ist jede für sich ernst zu nehmen.“ (Roesler 2004) Die DDR - „die erste moderne Gesellschaft auf deutschem Boden“ (Dahrendorf 1964)? Urteilskompetenz Bestimmung des politischen Standorts der beiden Historiker anhand ihrer impliziten Wertungen Plenum: Bewertung der beiden unterschiedlichen Integrationsstrategien in der Bundesrepublik und der DDR Beispiel 2: Der Korea-Krieg Die Schülerinnen und Schüler können die Interdependenz von innenpolitischer Entwicklung und außenpolitischer Integration formulieren Einstieg Arbeiten Sie aus dem Text heraus, welche Interdependenzen von innenpolitischer Entwicklung und außenpolitischer Integration behauptet werden. Entwerfen Sie Fragestellungen, denen nachgegangen werden müsste, wenn man die Thesen des Autors überprüfen will. Der Wirtschaftshistoriker Jörg Rösler (2004): Der Koreakrieg, der 1951/52 seinen Höhepunkt erreichte, führte für die DDR zu einer starken wirtschaftlichen Zusatzbelastung, weil die UdSSR der DDR ab Frühjahr 1952 enorme Rüstungseinkäufe abverlangte, die Sparprogramme im Konsumgüterbereich nach sich zogen. Die Anpassung der Einkommen an den schrumpfenden Verbrauch sollte u. a. durch Verweigerung von Lebensmittelkarten für die „Ausbeuterklasse“ und de facto Lohnkürzungen (u. a. über Normerhöhungen) für die Arbeiterklasse erfolgen. Der Aufstand vom 17. Juni 1953 war die Folge. Für die Bundesrepublik galten im Großen und Ganzen noch die Nachkriegsbeschränkungen der Waffenproduktion. Das wurde für sie zu einer wirtschaftlichen Chance. Denn als alle westlichen Industrieländer ihre Schwerindustrie auf Rüstungsgüter umstellten, war die westdeutsche die einzige westliche Schwerindustrie, deren Kapazitäten nicht durch Rüstungsaufträge belastet waren und die noch über eine Exportkapazität für zivile Ausrüstungen verfügte. Die „Außenhandelsmacht“ Bundesrepublik wurde in den Jahren des Koreakriegs geboren. Das „Wirtschaftswunder“ verstetigte sich seitdem. Roesler, Jörg, DDR – Bundesrepublik: Der verweigerte Vergleich, in: Utopie konkret 164 (Juni 2004), S. 485 – 493, hier: S. 488 Gruppe 1: Der Korea-Krieg und die DDR-Wirtschaft DDR: Enorme Rüstungseinkäufe (von UdSSR erzwungen) Einsparungen bei Konsumgütern Normerhöhungen ( Lohnkürzungen) für Arbeiter 17. Juni 1953 Arbeitsauftrag Überprüfen Sie anhand des Geschichtsbuchs und weiterer selbst recherchierter Quellen die Interpretation des Historikers. Mögliche andere Faktoren Tod Stalins 1953 Deutschlandpolitik Berijas: Neutralisierungsund Vereinigungskonzept, Preisgabe der DDR Kontroversen um den „Aufbau des Sozialismus“ Umstrittene Rolle Ulbrichts in Moskau Normerhöhungen als strategisch kalkulierte Provokation Ulbrichts zum Machterhalt 17. Juni 1953 als „gescheiterte Revolution“ Gruppe 2: Korea-Krieg und Bundesrepublik BRD: Nachkriegsbeschränkungen der Waffenproduktion Umstellung der westlichen Industrieländer auf Rüstungsgüter Steigerung der Exportkapazitäten für zivile Ausrüstungen in der BRD BRD als „Außenhandelsmacht“ Verstetigtes „Wirtschaftswunder“ Arbeitsauftrag Überprüfen Sie anhand des Geschichtsbuchs und weiterer selbst recherchierter Quellen die Interpretation des Historikers. Mögliche andere Faktoren Truman-Doktrin und Marshall-Plan Westintegration und Magnettheorie Soziale Marktwirtschaft Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften Arbeitsmotivation der Flüchtlinge und Vertriebenen Nachholende technologische Innovationen Plenum Präsentation der Gruppenergebnisse Diskussion und Beurteilung: Die Folgen des Korea-Kriegs für Bundesrepublik und DDR im Vergleich Weitere Beispiele für deutschdeutsche Wirtschaftsvergleiche Wiederaufbau der Wirtschaft bis Mitte der 50er Jahre Reformen in den 60er Jahren Folgen der Ölpreisschocks 1973/79 Folgen der „mikroelektronischen Revolution“ ab Mitte der 70er Jahre Integrierende Perspektiven zur deutsch-deutschen Geschichte Entnazifizierung Wiedergutmachung/Reparationen Sozialpolitik – zwei Sozialstaaten? Bildungssysteme Religion/Kirchen/Säkularisierung Ver-/Entbürgerlichung Krisen der Industriegesellschaft ab 1970 Umweltpolitik Individualisierung - Nischengesellschaft Weitere Beispiele für deutschdeutsche Vergleiche Partizipationsangebote Widerspruch, Opposition, Widerstand Geschlechterverhältnisse Reaktionsmuster in Krisen Eigen- und Fremdwahrnehmung Verhältnis zu Alliierten, Nachbarn Arbeit, Beschäftigung Materielle Versorgung