Technische und soziale Innovationen in Balance bringen. Lessons learned aus Sicht eines freien Wohlfahrtsträgers Josef M. Huber Evangelische Heimstiftung GmbH Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 1 Gliederung Teil 1: Schlüsselbegriffe zur Problemlösung Probleme • Ziele • Ressourcen • Bedarfe • Ressourcenbilanz Teil 2: Erfolgsfaktoren für (technische) Innovationen Begriffe • Qualität • Ethik • Nachhaltigkeit Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 2 3 Probleme: Definition 2 1 Problem: ein angestrebtes Ziel kann nicht erreicht werden, weil notwendige Mittel fehlen oder nicht bekannt ist, wie das Ziel erreicht werden könnte. Kennzeichen (1) Erwünschter Endzustand (2) Barriere oder Lücke (Wahrnehmung + Kontext berücksichtigen!) (3) unerwünschter Anfangszustand (vgl. Duncker 1966: 1; Dörner 1987: 10; Lüer und Spada 1992: 256) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 4 Ziele: Geistige Vorwegnahmen des angestrebten Endzustands ? hoch ok Weniger klar (Dörner 1987: 14) gering klar Probleme können nach Klarheit der Zielkriterien (klar/weniger klar) und Bekanntheitsgrad der Mittel zur Lösung (hoch/niedrig) in vier Problemtypen unterschieden werden. Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 5 Bedarfe: Δ Ressourcen (notwendig – verfügbar) Ziele Bedarfe Benötigte Ressourcen Interne Ressourcen Verfügbare Ressourcen Externe Ressourcen (vgl. Hasseler und Görres 2010: 18–20; Gründger 1977: 60–62, 54–55) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 6 Ressourcenbilanz muss positiv sein: Gewonnene Ressourcen > investierte Ressourcen (vgl. Lindenberger et al. 2011: 11, 20–23) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 7 Bedarfserkundung und Nutzerintegration in ALADIEN 4 Charaktere, 3 Lebenslagen, 15 Technologien Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 9 Probleme nicht „im Reagenzglas“ isolieren Kontextsensitives Arbeiten: Instrumente und Verfahren, die einzeln oder nicht hinreichend abgestimmt angewandt werden, können durch Systemarchetypen wie z.B. Problemverschiebung, Mehrarbeit oder Konflikten führen. (Elsbernd 2013: 13–14; Senge 2011: 454, 457, 463) Problembewertung Relevanz: Folgen bei Nicht-Lösen Problemdimension: Tiefe und Dauer des Problems im Alltag Beeinflussbarkeit: (Potentielle) Einflussfaktoren Zusammenhängende Themen: Prozesse und Bereiche in die sich das Problem auswirkt (Elsbernd 2013: 19–20) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 12 Fallbeispiel: Risiko nächtlicher Sturz „Ich schlafe zu kurz!“ Analyse: Unerwünschter Anfangszustand: Erwachen aus dem Schlaf Angestrebtes Ziel: Einschlafen Barriere: (1) Gefüllte Blase (2) Dunkelheit (3) Angst vor einem Sturz Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 13 Symptomatische Lösung: Durchschlafhilfe? Licht Kraft und Geschwindigkeit Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 17 Innovationsprozess vs Alltagstransfer Symptom Ursachen „Ich schlafe zu kurz!“ Risiko: Sturz bei Dunkelheit Einflussfaktoren, Ressourcen Angst, Licht Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance Maßnahmenziel Kompensation bringen“ Maßnahmen Licht Seite 18 Innovationsprozess vs Alltagstransfer Symptom Ursachen „Ich schlafe zu kurz!“ Risiko: Sturz bei Dunkelheit Einflussfaktoren, Ressourcen Angst, Licht Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance Maßnahmenziel Kompensation bringen“ Maßnahmen Licht Seite 19 Zwischenfazit: State of the Art Ziele & Ressourcen: Innovation – ob technisch und/oder sozial – muss sich dort verorten, wo Probleme entstehen: zwischen individuellen Zielen und individuellen Ressourcen. Bedarfe: Bedarfe im (häuslichen) Kontext müssen gezielt erarbeitet werden, um Innovation gestalten zu können. Fokus: Der Fokus darf nicht nur auf der isolierten Problembewältigung, sondern muss im ganzheitlichen Kontext gedacht werden. Befangenheit/Rückwärtsblick: Technische oder soziale Lösungen oder Ideen vor Augen ist das Risiko groß, von der Orientierung an individuellen Zielen, Ressourcen und Bedarfen abzukommen. Innovation in der Pflege bedeutet auch, existierende Technologien nachhaltig zu implementieren und im „Reallabor“ zu evaluieren (Wissenstransfer) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 20 Begrifflichkeiten Sicherheit: Von subjektiven oder gesellschaftlichen Werten geprägt. Bedarf der Konkretisierung des Schützenswerten Guts, seines Bedrohungs- sowie Schutzniveaus. (Müller 2015: 130; Ziegleder, Kudlacek und Fischer 2011: 11–12; Daase und Deitelhoff 2013: 60). „Trügerische Sicherheit ist weit gefährlicher als wahr- und angenommene Unsicherheit!“ Pflügl 2015 Was ist sicher, smart, intelligent, effizient, …? Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 22 Fachliche Reflexion Instrumente bilden die Situation der Pflege vereinfacht und reduziert ab. Der Nutzen von Instrumenten hängt von deren Qualität wie auch den Kenntnissen und Fähigkeiten der Anwender_in ab. Instrumente sind entweder handlungsleitend oder überflüssig. (Bartholomeyczik 2009: 15–16). Kartenquelle: openstreetmap.org 2015 Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 23 Ethische Reflexion Ziele sind immer mit einer (subjektiven) Wertzuweisung verbunden (vgl. Müller 2015: 130; Ziegleder, Kudlacek und Fischer 2011: 11–12; Daase und Deitelhoff 2013: 60) Das „Abweichen von der Regel“ muss im begründeten Einzelfall gefördert werden, denn: (1) Das Pflegearrangement ist komplex (2) Die Reichweite jedes Instruments ist begrenzt (3) Menschen verhalten sich gehorsam. (vgl. Elsbernd 2013: 19–20; Bartholomeyczik 2009: 15–16; Lüttke 2003) Die Ethik-Kultur muss hierzu in Institutionen gefördert werden. Ethische Reflexion muss den gesamten Entwicklungsprozess, die Implementierung sowie die regelmäßige/dauerhafte Anwendung einer Innovation betreffen, wenn wertbezogene Barrieren frühzeitig erkannt werden sollen. Ethische Reflexion darf nicht mit moralischer Bewertung verwechselt werden. Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 24 Nachhaltigkeit – informiertes Einverständnis Wirkung und Aufwand einer Maßnahme bei gleicher Zielsetzung mit alternativen Maßnahmen vergleichen. Aufwände transparent beschreiben: Anschaffung, Implementierung, Administration, Wartung, Betrieb, Entsorgung Unerwünschte Effekte offen legen. Rebound-Effekte beachten objektiv gegebene Verbesserungen können zu faktischen Verschlechterungen führen. (Buhl und Acosta 2015: 274–275; Santarius 2012: 5–6; Pirgmaier und Gruber 2012: 34) Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 25 Zentrale Herausforderung: Bedarfs- und Alltagsnähe Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 26 Fazit: Soziale Teilhabe sichern. Danke! Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 27 Literatur 1/2 Bartholomeyczik S (2009). »Standardisierte Assessmentinstrumente: Verwendungsmöglichkeiten und Grenzen.« In: Bartholomeyczik S, Halek M (Ed.) Assessmentinstrumente in der Pflege. Möglichkeiten und Grenzen. 2. aktualisierte Auflage. Hannover: Schlüttersche Verlagsgesellschaft, p 12–26. Buhl J, Acosta J (2015). »Work less, do less? Working time reductions and rebound effects.« In: Sustainability Science 11:2, p 261–276. Daase Ch, Deitelhoff N (2013). Privatisierung der Sicherheit. Berlin: Forschungsforum Öffentliche Sicherheit. Dörner D (1987). Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart: Kohlhammer. Duncker K (1966). Zur Psychologie des produktiven Denkens. Reprint der Originalausgabe von 1935. Berlin: Springer. Elsbernd A (2013). »Konzepte für die Pflegepraxis: Theoretische Einführung in die Konzeptentwicklung pflegerischer Arbeit.« In: Einführung von ethischen Fallbesprechungen - Ein Konzept für die Pflegepraxis. Ethisch begründetes Handeln praktizieren. Bd. 3., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Jacobs, p 13–38. Gründger F (1977). Zum Problem der Bedarfsermittlung bei Investitionen im Bildungs- und Gesundheitswesen. Eine Vergleichende Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Schul und Krankenhaussektors. Volkswirtschaftliche Schriften Heft 255. Berlin: Duncker und Humbolt. Hasseler M, Görres S (2010). Was Pflegebedürftige wirklich brauchen... Zukünftige Herausforderugnen an eine bedarfsgerechte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung. Bd. 2. Auflage. Hannover: Schlütersche. Lindenberger U, Lövdén M, Schellenbach M, Li SC, Krüger A (2011). »Psychologische Kriterien für erfolgreiche Alterstechnologien aus Sicht der Lebensspannenkognition«. In: Lindenberger U, Nehmer J, Steinhagen-Thiessen E, Delius JAM Schellenbach M (Ed.) Altern in Deutschland. Bd. 104. 368. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, p 17–33. url: https://www.demografieportal.de/SharedDocs/Downloads/DE/Studien/AiD_Altern_Technik.pdf?__blob=publicationFile&v=2. Lüer G, Spada H (1992). »Denken und Problemlösen«. In: Hans Spada (Ed.) Lehrbuch Allgemeine Psychologie. 2., korrigierte Auflage. Bern: Hans Huber, p 189–280. Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 28 Literatur 2/2 Lüttke HB (2003). Gehorsam und Gewissen. Die moralische Handlungskompetenz des Menschen aus Sicht des Milgram-Experimentes. Frankfurt am Main: Verlag Peter Lang. Müller KR (2015). Handbuch Unternehmenssicherheit. Umfassendes Sicherheits-, Kontinuitäts- und Risikomanagement mit System. 3., akutalisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden: Springer. Pirgmaier E, Gruber J (2012). Zukunftsdossier Alternative Wirtschafts- und Gesellschaftskonzepte. Reihe »Zukunftsdossiers« N3. Wien: Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Lebensministerium). Pflügl T (2015) Wieviel Unsicherheit braucht der Mensch? Bergundsteigen Nr 91, Sommer 2015, p. 30–43. Senge PM (2011). Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. 11., völlig überarbeitete und aktualisierte Auflage. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Santarius T (2012). Der Rebound-Effekt. Über die unerwünschten Folgen der erwünschten Energieeffizienz. Impulse zur Wachstumswende. Wuppertal: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH. Ziegleder D, Kudlacek D, Fischer TA (2011). Zur Wahrnehmung und Definition von Sicherheit durch die Bevölkerung Erkenntnisse und Konsequenzen aus der kriminologisch-sozialwissenschaftlichen Forschung. Berlin: Forschungsforum Öffentliche Sicherheit. Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Evangelische Heimstiftung · „Technische und soziale Innovationen in Balance bringen“ Seite 29