CASELLA »Elegia eroica« BARTÓK 3. Klavierkonzert MENDELSSOHN 4. Symphonie »Italienische« NOSEDA, Dirigent PIEMONTESI, Klavier Mittwoch 01_06_2016 20 Uhr Donnerstag 02_06_2016 20 Uhr Immer eine brillante Geschenkidee... Echt brillante Fridrich Geschenk-Idee: Zum Beispiel: * EKA, das elastische FOPE-Armband in 750/– Gelb-, Weiß- oder Roségold, mit brillantbesetzter Ronde ab € 4.430,– TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO.KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE ALFREDO CASELLA »Elegia eroica« für großes Orchester op. 29 BÉLA BARTÓK Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 1. Allegretto 2. Adagio religioso 3. Allegro vivace FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90 »Italienische« 1. Allegro vivace 2. Andante con moto 3. Menuetto: Con moto moderato 4. Saltarello: Presto GIANANDREA NOSEDA Dirigent FRANCESCO PIEMONTESI Klavier 118. Spielzeit seit der Gründung 1893 VALERY GERGIEV, Chefdirigent PAUL MÜLLER, Intendant 2 Patriotisches ­ rauer-Triptychon T MICHAEL KUBE WIDMUNG ALFREDO CASELLA (1883– 1947) »Elegia eroica« für großes Orchester op. 29 LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 25. Juli 1883 in Turin; gestor­ ben am 5. März 1947 in Rom. ENTSTEHUNG Casella komponierte im Sommer 1916 die »Elegia eroica« als unmittelbaren Reflex auf die auch in Italien spürbaren Schrecken des Ersten Weltkriegs. Die ausdrücklich mit »für großes Orchester« überschriebene, tatsächlich ungewöhnlich umfangreich be­ setzte Partitur (u. a. mit 4 Flöten, 6 Hörnern sowie zahlreichem Schlagwerk) erschien 1922 als op. 29 bei der Universal Edition in Wien in einer kleinen nummerierten Auflage. Sowohl mit dem Titel des Werkes als auch mit der gedruckten Widmung »Alla memo­ ria di un soldato morto in guerra« (Zum Gedächtnis an einen im Krieg gefallenen Soldaten) spielt Casella über den zeitaktu­ ellen Bezug hinaus wohl auch auf Beet­ hovens Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 und ihre Titelgebung an: »Sinfonia eroica, com­ posta per festeggiare il sovvenire di un grand’uomo« (Heroische Symphonie, kom­ poniert, um die Erinnerung an einen großen Mann zu feiern). Ob Casella auch von der zunächst (London 1809) veröffentlichten Widmung dieses Werkes wusste – »com­ posta per celebrare la morte d’un Eroe« (komponiert, um den Tod eines Heroen zu feiern) – muss offen blieben. URAUFFÜHRUNG Am 21. Januar 1917 in Rom im Konzertsaal »Augusteo« (Orchestra dell’Augusteo un­ ter Leitung des französischen Dirigenten René-Emmanuel Bâton, der den Künstler­ namen »Rhené-Bâton« führte). Alfredo Casella: »Elegia eroica« 3 Alfredo Casella im Atelier von Georg Fayer in Wien (1924) Alfredo Casella: »Elegia eroica« 4 CASELLA UND DIE »GENERAZIONE DELL’80« In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum mehr dem Namen nach bekannt, hat in den letzten Jahren das umfangreiche, stilistisch aber keineswegs einheitlich ge­ formte schöpferische Œuvre von Alfredo Casella dank verschiedener Einspielungen wieder deutlich mehr Aufmerksamkeit ge­ funden. Zu entdecken ist dabei ein Kompo­ nist der so genannten »Generazione dell’80«, jener Generation der um 1880 geborenen italienischen Komponisten, die sich neben der Oper auch wieder verstärkt der südlich der Alpen für weit mehr als ein Jahrhundert vernachlässigten reinen Instrumentalmusik zuwandten – sowohl im Bereich der Sym­ phonik wie auch der Kammer- und Klavier­ musik. Neben Ottorino Respighi (1879–1936), der eine originelle Synthese aus hochroman­ tischem Gestus und impressionistischer Farbenpracht verfolgte, waren es neben Alfredo Casella vor allem Gian Francesco Malipiero (1882–1973) und Ildebrando Piz­ zetti (1880–1968), die in den 1920er Jah­ ren über den puren Neoklassizismus hinaus neue, eigene Wege beschritten. Nur allzu leicht geraten heute ihre älteren Parti­ turen aus dem Blickfeld, die freilich über­ haupt erst die Grundlage für jede weitere Entwicklung bildeten oder einem experi­ mentellen, suchenden Nebenweg entstam­ men – wie etwa Casellas »Elegia eroica«. EIN LEBEN ZWISCHEN TASTE UND TINTE Bereits im Elternhaus kam Alfredo Casella früh und selbstverständlich mit Musik in Berührung: Sowohl der Großvater als auch der Vater spielten Violoncello; von der uni­ versell gebildeten, mehrsprachigen Mutter erhielt er in allen Schulfächern sowie am Klavier eine exzellente Unterweisung. Mit gerade mal 11 Jahren war Casella imstan­ de, sowohl das »Wohltemperierte Klavier« als auch Werke von Beethoven und Chopin auswendig vorzutragen. 1896 wurde er schließlich nach Paris geschickt, um am dortigen Conservatoire seine spieltechni­ schen Fertigkeiten zu vervollkommnen. Bereits zwei Jahre später gewann Casella zahlreiche Wettbewerbe, doch füllte ihn die pianistische Laufbahn schon in dieser Zeit nicht vollständig aus. Ab 1900 nahm er bei Gabriel Fauré Unterricht in Komposition, 1901 erschien eine »Pavane« für Klavier als erstes seiner Werke im Druck. Von der Entscheidung einer Jury ent­ täuscht, wechselte Casella schließlich das Instrument und wirkte zwischen 1906 und 1909 als Cembalist in der »Société des ­instruments anciens«. Mehrere Konzert­ reisen führten das Ensemble durch ganz Europa; neue künstlerische Impulse erhielt Casella dabei in Russland. 1909 war er Gründungsmitglied der von Maurice Ravel initiierten »Société musicale indépendan­ te« und stand ihr über mehrere Jahre als Generalsekretär vor. Durch Vermittlung von Gustav Mahler, dessen Symphonien Casel­ la in Frankreich zur Aufführung brachte, wurden die Rhapsodie »Italia« (1909) wie auch eine Orchestersuite (1909/10) von der Wiener Universal Edition zum Druck ange­ nommen; auch beabsichtigte Mahler zu­ letzt noch, ihn als seinen Assistenten an die Wiener Hofoper zu verpflichten. Ab 1914 wandte sich Casella wieder dem Klavier zu. Eine erfolgreiche Tournee durch Italien bestärkte ihn darin, nach fast 20 Jahren seine Wahlheimat Paris zu verlas­ sen. Nur wenig später wurde er bei der Alfredo Casella: »Elegia eroica« 5 »A Benito Mussolini, Fondatore dell’Impero«: Von der Heroisierung der italienischen Kriegshelden in der »Elegia eroica« (1916) zur Verherrlichung der faschistischen Eroberungspolitik in der Oper »Il deserto tentato« (1937) Alfredo Casella: »Elegia eroica« 6 Ernennung zum Professor für Klavier am römischen Liceo musicale di Santa Cecilia sogar Ferruccio Busoni vorgezogen. Ange­ sichts seiner anhaltenden Erfolge als Kom­ ponist gab Casella diese überaus renom­ mierte Position jedoch 1922 wieder auf. Die von ihm beförderte Gründung verschie­ dener, rasch an Bedeutung gewinnender Institutionen – wie der »Società nazionale di musica« oder der »Corporazione delle nuove musiche« – sowie der Vorsitz des Programmkomitees für das Musikfest der »Internationalen Gesellschaft für Neue Musik« in Venedig (1925) sicherten Casel­ la zwischen den beiden Weltkriegen eine nahezu unangefochtene Position im italieni­ schen Musikleben. Schließlich nahm Casella auch an den politischen Wirren der 30er und 40er Jahre teil: Aus nationaler Überzeugung entstand 1937 die Oper »Il deserto tenta­ to«, die Mussolinis mörderischen Feldzug in Äthiopien verherrlichte. Andererseits schrieb Casella 1944 – bereits von schwerer Krankheit gezeichnet – eine »Missa solem­ nis pro pace«. VON STRAUSS UND MAHLER ZU ALBÉNIZ UND STRAWINSKIJ Trotz seiner Jahre in Paris blieb Casella vom musikalischen Impressionismus eines De­ bussy oder Ravel weitgehend unbeeinflusst. Vielmehr orientierte er sich – aus französi­ scher Perspektive zu jener Zeit nahezu un­ denkbar – an der Tonsprache und Instru­ mentationskunst von Richard Strauss und – mehr noch – von Gustav Mahler, wie dies auch seine beiden frühen Symphonien in h-Moll op. 5 (1905/06) und in c-Moll op. 12 (1908/09) auf eindrucksvolle Weise bele­ gen. Casella selbst gestand 1910: »Die Bekanntschaft mit den Symphonien Mah­ lers war das wichtigste Ereignis meiner künstlerischen Bildung.« Bald wurden diese Bezugspunkte aller­ dings durch die von spanischer Folklore durchzogenen Klavierstücke eines Isaac Albéniz und den exotisch-radikalen Klängen eines Igor Strawinskij abgelöst – Casellas mehr als anderthalb Jahrzehnte dauernde »peregrinazione stilistica« (stilistische Pilgerfahrt) hatte begonnen. Bereits die Orchesterlieder »Notte di Maggio« op. 20 (1913) sorgten für einen Skandal, der sich nur wenige Jahre später bei der Urauffüh­ rung der »Elegia eroica« wiederholen sollte. Auf der Suche nach einem verbindlichen Per­ sonalstil experimentierte Casella schließ­ lich mit der ihm schon von früher her ge­ läufigen Musik des 17. und 18. Jahrhun­ derts: Sowohl seine »Scarlattiana« op. 44 für Klavier und kleines Orchester als auch ein in Wien veröffentlichter polemischer Artikel entfachten in der Folge eine grund­ sätzliche Diskussion über die Bedeutung der Tonalität in der Gegenwartsmusik. Von der deutschen Musikkritik als »kon­ servativ« verworfen, wurde Casellas Ton­ sprache in Italien jedoch als »modernis­ tisch« empfunden. In ihr vereine sich Sach­ lichkeit, Optimismus, aber auch Spiel- und Bewegungsfreude, und sie wirke gar als sogenannter »casellismo« auf die jüngere Generation. Diese außergewöhnliche Ent­ wicklung von Alfredo Casellas künstleri­ scher Biographie hat schon 1941 Edward Joseph Dent (1876–1957), langjähriger sensibler wie einflussreicher Präsident der »Internationalen Gesellschaft für Neue Musik«, trefflich diagnostiziert: »Casella ist derjenige Musiker Italiens, der seinen jungen Landsleuten in höchstem Maße ge­ holfen hat, ihren Stil zu finden, der aber andererseits sich auch in höchstem Maße abmühen musste, zu seinem eigenen zu gelangen.« Alfredo Casella: »Elegia eroica« 7 »LASST UNS DIE REIHEN SCHLIESSEN, WIR SIND BEREIT ZUM TOD !« Während in den Jahren nach 1918 eine ganze Generation junger Komponisten aufgrund der im Feld gesammelten Erfahrungen einen radikalen ästhetischen Wechsel vollzogen, gehört Casellas 1916 entstandene »Elegia eroica« zu jenen Partituren, die die mörde­ rische Gewalt und das menschliche Elend des Ersten Weltkriegs noch im Stil der mo­ numentalen Moderne zu verarbeiten such­ ten. Inspiriert wurde das Werk vermutlich durch die blutigen Schlachten im Flusstal des Isonzo im heutigen Slowenien, nachdem Italien am 23. Mai 1915 überraschend die Fronten gewechselt und Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatte. Wie in Verdun an der französischen Westfront handelte es sich auch in diesem Falle um einen fest­ gefahrenen Angriff, der in einen erbittert geführten Stellungskrieg überging – nach insgesamt zwölf Schlachten zählte man am Ende allein auf italienischer Seite mehr als 100.000 Gefallene. Diese historischen Umstände bilden den Hintergrund für eine Komposition, die nicht nur durch ihren massiven pathetischen Im­ petus, sondern auch durch ihren naturalis­ tisch anmutenden, für die »Heimatfront« keineswegs geeigneten Tonfall in doppelter Weise verstört – auch wenn sich dies in Casellas Autobiographie aus dem Jahre 1939 anders darstellt: »Im Sommer 1916 hatte ich eine ›Trauer‹-Tondichtung ent­ worfen, die ich dem Gedenken an die Söhne Italiens widmen wollte, die für seinen Ruhm gefallen sind. Diese Tondichtung, deren Komposition ich im Spätherbst desselben Jahres beendete, heißt ›Elegia eroica‹ und hat die Form eines großen Triptychons, mit einem echten Trauermarsch heroischen Charakters als Einleitung, einem intimeren und vom Ausdruck her zutiefst schmerz­ erfüllten Mittelteil und schließlich einem Schlussteil, in dem einem aufs Orchester niederprasselnden Granathagel ein zartes Wiegenlied folgt, in dem die Heimat Italien als Mutter erscheint, die ihre toten Söhne wiegt.« Tatsächlich scheint sich jedoch schon im er­ öffnenden Marsch (Grave molto – Pesante – Funebre) mit der kantigen, vielfach wie­ derholten chromatischen Geste der Blech­ bläser das Jüngste Gericht anzukündigen – motivisch erinnert sie sicherlich nicht zufällig an die mittelalterliche Sequenz »Dies irae« (Tag des Zorns). Das ebenso Mahlers expressive Ausdrucksdichte wie Strawinskijs stampfende Rhythmen in sich aufnehmende Tutti geht alsbald in einen zweiten, einem Trio ähnlichen Abschnitt über (Dolcissimo – Misterioso). Doch können sich weder die Seufzer von Viola und Klari­ nette noch ein anhebender Klagegesang (Oboe) weiter entwickeln, so dass der Ver­ lauf wieder erstarrt. Noch einmal bricht der tosende Marsch herein (Allegro moltissimo moderato – Agitato – Stringendo), um am Ende einer totenbleich wiegenden Coda Platz zu machen (Andante dolcemente mosso – Tempo di berçeuse). Hier erklingt in den Bläsern, mit gedämpfter Trompete und wie aus der Ferne rufend, der Anfang der da­ mals auch als Kampflied beliebten Hymne »Fratelli d’Italia« (Brüder Italiens), deren Refrain »L’Italia chiamò !« (Italien hat ge­ rufen !) zuletzt bittere Wahrheit wurde: »Stringiamoci a coorte, siam pronti alla morte !« (Lasst uns die Reihen schließen, wir sind bereit zum Tod !) Alfredo Casella: »Elegia eroica« 8 »Apotheose der Natur« SUSANNE SCHMERDA ENTSTEHUNG BÉLA BARTÓK (1881–1945) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 1. Allegretto 2. Adagio religioso 3. Allegro vivace Sein drittes und letztes Klavierkonzert komponierte Bartók von Juni bis September 1945 in Saranac Lake im US-Bundesstaat New York. In New York City, wo er es be­ enden wollte, nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Bartóks Schüler Tibor Serly (1901–1978), der auch das (ebenfalls Frag­ ment gebliebene) Bratschenkonzert seines Lehrers vollendete, instrumentierte die letzten 17 Takte des Finales. WIDMUNG LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 25. März 1881 in Nagyszent­ miklós (heute: Sînnicolau Mare) im ungari­ schen Teil Siebenbürgens (heute: Rumäni­ en); gestorben am 26. September 1945 in New York. Bartók wollte das Werk seiner Schülerin und zweiten Ehefrau Ditta Pásztory (1903– 1982) zueignen; sein Tod verhinderte die schriftliche Fixierung der Widmung. URAUFFÜHRUNG Am 8. Februar 1946 in Philadelphia / USA (Philadelphia Orchestra unter Leitung von Eugene Ormandy; Solist: György Sándor). Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 9 Béla Bartók kurz nach seiner Flucht vor Faschismus und Diktatur in die USA (1939) Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 10 FAMILIENINTERNE ­AUFTRAGSARBEIT Wohl im Bewusstsein, dass ihm nur noch eine kurze Lebensspanne blieb, plante Béla Bartók sein drittes Klavierkonzert im Früh­ jahr 1945 für seine Frau, die Pianistin Ditta Pásztory, eine frühere Schülerin von ihm. Die exklusiven Aufführungsrechte sollten sie mit einem dringend benötigten Einkommen versehen. An seinen jüngsten Sohn Péter schrieb Bartók: »Ich möchte für Mutter ein Klavierkonzert schreiben, dieser Plan be­ schäftigt mich schon seit geraumer Zeit. Wenn sie es an 3–4 Orten spielen könnte, das würde soviel Geld einbringen wie eine der zurückgewiesenen Bestellungen...« Bartók, durch den Krieg aus Ungarn in die USA vertrieben, wo er sich verzweifelt nach seiner Heimat zurücksehnte, fristete im New Yorker Exil lange Zeit ein klägliches Dasein: an Leukämie erkrankt und verarmt, als Komponist vom amerikanischen Musik­ leben ignoriert, wurde er zudem von Depres­ sionen geplagt. Seine Laufbahn als Konzertpianist hatte er unmittelbar vor seiner Emigration mit einem gemeinsamen Abschiedskonzert zusammen mit seiner Frau am 8. Oktober 1940 in Buda­ pest beendet. Dennoch schlug ihm sein Ver­ leger Hawkes noch im selben Jahr die Kom­ position eines dritten Klavierkonzerts vor für die Zentenarfeier der New Yorker Phil­ harmoniker. Bartók aber sah sich wegen seines depressiven Zustands weder imstan­ de, dieses Werk zu schreiben noch den Solo­ part selbst zu spielen. Als ihn Anfang 1945 dann zwei Privatpersonen um die Komposi­ tion eines Klavierkonzerts ersuchten, eines davon sollte für zwei Klaviere sein, lehnte Bartók wiederum ab. Er verfolgte statt­ dessen den Plan eines Klavierkonzerts nicht für einen fremden Auftraggeber, sondern für seine Frau Ditta. Er begann es im Juni/ Juli 1945 während eines erneuten Sanato­ riumsaufenthalts in Saranac Lake, N.Y., um es im August/September 1945 in New York zu beenden. ABSCHIED VOM »STILE BARBARO« Anders als seine beiden früheren Klavier­ konzerte – das motorisch ausgerichtete »Erste« von 1926, uraufgeführt 1927 in Frankfurt unter Wilhelm Furtwängler, und das kraftvolle »Zweite«, 1933 ebenfalls in Frankfurt uraufgeführt unter Hans Ros­ baud – ist dieses Konzert von sanftem, lyrischem Charakter. Es besticht mit einer ergreifenden Mischung aus Erhabenheit und Leichtigkeit, Nostalgie und Gelassen­ heit, ist milde und pastoral und frei von scharfen Kontrasten. Der frühere »stile barbaro« ist überwunden zugunsten einer Schlichtheit der Faktur. Das Soloinstru­ ment wartet nicht mehr auf mit aggressi­ ven Schlagzeug-­Effekten, die hämmernde, dissonanzenreiche Akkordik ist weichen Legato-Linien und Klangtupfern gewichen. Der Klavierpart ist melodiöser, filigraner und lichter; selbst die komplexen, oft asym­ metrischen Taktarten und Rhythmen sind aufgegeben zugunsten klar strukturierter Bewegungsabläufe. »Auch hierin trat gegen das Lebensende Bartóks eine gewisse Vereinfachung ein«, kommentierte diesen Vorgang Bence Sza­ bolcsi, »als ob der immer mehr in den Vor­ dergrund tretende zusammenfassende und humane Wesenszug seiner Kunst auch hier nur die triumphierende Kraft zurückgelas­ sen hätte, ohne die aufwühlende, wilde Gewalt der orgiastischen Rhythmen.« Der Hang zur Vereinfachung betrifft auch die Harmonik, an die Stelle chromatischer Dichte sind eine harmonische Glättung und Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 11 Brief Bartóks vom Dezember 1944 mit ausführlicher Beschreibung seines kritischen ­Gesundheitszustands Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 12 klangliche Aufhellung getreten, und die irrealen, mitunter befremdenden »Klänge der Nacht«, die noch das Adagio-Intermezzo im 2. Klavierkonzert bestimmten, sind nun ersetzt durch die Morgenrufe real notier­ ter Vogelstimmen. Es ist die Stimme der Natur, die immer wieder in den luftigen Tonsatz hineinschallt und den Tonfall die­ ses dritten Klavierkonzerts ausmacht. Als »Apotheose der Natur« betrachtete der Bartók-Forscher Lajos Lesznai denn auch den Klavierpart. 1. SATZ: RÜCKBLICK AUF DEN FRÜHLING DES LEBENS Schon der Beginn des 1. Satzes erinnert mit summenden Streicherfiguren an die Klänge der Natur. Und das vom Klavier uni­ sono im Abstand von zwei Oktaven gespielte Kopfthema dagegen ähnelt in seiner orna­ mentalen Zeichnung dem Flattern eines Vogels. Das zweite Thema dagegen lässt mit seinen abschließenden Terzen an heitere Kinderlieder denken – die klangliche und satztechnische Schlichtheit dieser Exposi­ tion gipfelt schließlich in einem idyllischen Dialog des Klaviers im Einklang mit der Kla­ rinette. Denkbar reduziert ist die Harmonik der Durchführung, über elf Takte hinweg ist beispielsweise nur der As-Dur-Drei­ klang zu hören. Auch die Reprise unterstreicht die Einfach­ heit des Kolorits durch Zweiklänge, in de­ nen das erste Thema in beiden Händen wiederkehrt. Mit einer Flöten-Phrase, die an eine Hirtenflöte erinnert, verklingt das Allegretto im Pianissimo. Nicht nur ein Idyll aus Kindheitserinnerungen und Naturein­ drücken scheint der Komponist in diesem schwerelosen Satz beschworen zu haben, sondern auch die frühlingshafte, verklärte Stimmung einer früheren Komposition, des ebenfalls seiner Frau Ditta zugeeigneten Klavierzyklus »Im Freien«. 2. SATZ: PANTHEISTISCHES ­GLAUBENSBEKENNTNIS Für den langsamen Satz wählte der über­ zeugte Atheist Bartók eine in seinem Œuvre einzig dastehende Bezeichnung: Adagio »religioso«. Eine getragene Melodie in den Streichern, hymnisch und gebetsartig zu­ gleich, eröffnet den Satz, im Pianissimo anhebend und im dreifachen Piano wieder verlöschend. Mit einem akkordischen, vier­ stimmigen Choral beantwortet Bartók den ätherischen Streicherbeginn im Klavier. Auch den weiteren Satzverlauf bestreitet er als Dialog aus Streicher-Kantilene und Klavier-Choral. Damit entfaltet Bartók eine entrückte Tonsprache, die vielfach mit Beethovens »Heiligem Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit« aus seinem aMoll-Streichquartett op. 132 verglichen wurde. »Auch dort steht ein akkordischer Choral fließenden, kanonischen Streicher­ linien gegenüber«, bemerkte Dietmar Hol­ land, »und das Choral-Thema ist in archaisch wirkende Harmonik gekleidet, die abweisend und vertraut zugleich erscheint, wie eine Tonalität auf zweiter, unwirklicher Ebene«. In dem schnelleren Mittelteil dagegen er­ hebt sich wieder die Stimme der Natur: taghell erklingen, wie in einer abermaligen Vision des Frühlings, Vogelrufe, die Bartók bei einem Erholungsaufenthalt 1944 in ­Asheville gehört und aufgeschrieben hat. Der Naturlaut entfaltet sich hier in einer unvorstellbaren Vielzahl klanglicher Schat­ tierungen und fluktuierender Farben, die durchaus als pantheistisches Glaubens­ bekenntnis verstanden werden können. Durch eine spezifische Intervall-Mixtur entsteht in den Streichern ein harmonisch Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 13 Béla Bartók kurz vor seinem Leukämie-Tod in New York (1945) Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 14 neuartiger vibrierender Klangschleier, in den hinein immer wieder Rufe und abgeris­ sene Flatterfiguren der Holzbläser sowie hohe Staccato-Klänge des Klaviers und des Xylophons dringen. Auf diesen exotisch ge­ färbten Abschnitt folgt wieder der Satz­ beginn – doch ist jetzt vereint, was vorher sich dialogisch gegenüberstand: der Choral wird nun vom Orchester intoniert, das Kla­ vier begleitet nach Art einer zweistimmi­ gen Invention von Bach – friedvoll, geheim­ nisvoll und weltentrückt. »Werk des Abschieds« oder als finanzielle Überlebenshilfe für seine Frau gedacht, wurde allerdings von Ditta Pásztory auch nach ihrer Rückkehr nach Ungarn lange Zeit nicht gespielt. 3. SATZ: DES LEBENS LETZTER WIRBELNDER TANZ Der virtuose letzte Satz schlägt ein rasches Tanztempo an und besitzt Rondo-Form. Das rhythmisch profilierte, temperament­ volle Tanzthema trägt volkstümliche Züge und erscheint in verschiedensten harmoni­ schen Varianten im Klavier und Orchester. Einen denkbar großen Kontrast bildet dazu das Zwischenspiel – eine ätherische Fugen-­ Episode, in der Bartók mit Themenumkeh­ rungen und bravouröser Imitationstechnik ein letztes Mal sein großes kontrapunkti­ sches Können beweist. Das Konzert war das letzte Werk, das Bar­ tók vor seinem frühen Leukämie-Tod am 25. September 1945 vollenden konnte – mit Ausnahme der 17 Schlusstakte des 3. Satzes, deren Orchestrierung sein frühe­ rer Schüler Tibor Serly entsprechend er­ gänzte. Bis zum 21. September, dem Vor­ abend seiner Einlieferung ins West Side Hospital in New York, hatte Bartók an sei­ nem 3. Klavierkonzert noch gearbeitet. Die Uraufführung fand posthum am 8. Februar 1946 in Philadelphia statt; Eugene Orman­ dy dirigierte das Philadelphia Orchestra, Solist war der Ungar György Sandor. Das Konzert, ob von Bartók nun bewusst als Béla Bartók: 3. Klavierkonzert 15 »Ich fühle, dass ein Fortschritt darin ist...« NICOLE RESTLE FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY (1809–1847) Symphonie Nr. 4 A-Dur op. 90 »Italienische« 1. Allegro vivace 2. Andante con moto 3. Menuetto: Con moto moderato 4. Saltarello: Presto LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 3. Februar 1809 in Hamburg; gestorben am 4. November 1847 in Leipzig. ENTSTEHUNG Mendelssohns »Italienische« (die Bezeich­ nung stammt ausnahmsweise vom Kompo­ nisten) wurde in den Jahren 1830/31 wäh­ rend einer Italienreise in Rom und Neapel konzipiert; fertig gestellt hat sie Mendels­ sohn jedoch erst im März 1833 in Berlin, nachdem er im November 1832 von der Phil­ harmonic Society in London den ehrenvol­ len Auftrag erhalten hatte, »eine Sympho­ nie, eine Ouvertüre und eine vokale Kom­ position« für das damals fürstliche Salär von 100 Guineen zu schreiben. Bis zur Ur­ aufführung nahm Mendelssohn noch zahl­ reiche Änderungen vor; aber auch später berichtet er immer wieder von Umarbei­ tungsplänen. Fest steht, dass es mindes­ tens drei selbstständige Fassungen gibt, deren Authentizität gleichwohl umstritten ist. Partitur und Orchesterstimmen wur­ den 1851 als »Vierte Symphonie« op. 90 nach der Fassung der Londoner Urauffüh­ rung von 1833 gleichzeitig bei Breitkopf & Härtel in Leipzig und bei Ewer & Co. in Lon­ don veröffentlicht. URAUFFÜHRUNG Am 13. Mai 1833 in London (Orchester der »Philharmonic Society of London« unter Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy); Mendelssohns Fassung »letzter Hand« wur­ de posthum am 1. November 1849 in Leip­ zig uraufgeführt (Leipziger Gewandhaus­Orchester unter Leitung von Julius Rietz). Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 16 EIN KOMPONIST GEHT AUF REISEN Eigentlich war es Abraham Mendelssohn gar nicht recht, dass sein Sohn Felix die Laufbahn eines professionellen Musikers einschlagen wollte. Obwohl er dessen her­ ausragende musikalische Begabung früh erkannt und nach Kräften gefördert hatte, stellte sich der erfolgreiche Bankier einen anderen Beruf für seinen Stammhalter vor. Doch die triumphale Aufführung von Bachs »Matthäuspassion«, die Felix gegen große Widerstände 1829 durchgesetzt und mit der Sing-Akademie zu Berlin glanzvoll rea­ lisiert hatte, überzeugte ihn letztendlich von der Berufung seines Sohnes. Allerdings stellte Abraham Mendelssohn eine Bedingung: Felix müsse sich als Musi­ ker seinen Lebensunterhalt selbst verdie­ nen können. Da dachte er als Geschäfts­ mann ganz pragmatisch. Er schlug vor, dass Felix auf Reisen gehen sollte, um sich in der internationalen Musikwelt bekannt zu machen und ein nützliches Netzwerk von Kontakten zu knüpfen. Die erste Reise führte Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 nach England und Schottland, die zweite und größere, die von Mai 1830 bis Juli 1832 dauerte, unter anderem auch nach Italien. Beide Reisen haben den Komponis­ ten zu zwei Werken inspiriert, die zum In­ begriff der romantischen Symphonie wur­ den: Die »Schottische« und die »Italieni­ sche«. »ES WIRD DAS LUSTIGSTE, DAS ICH GEMACHT HABE... !« Während wir dank einer Briefstelle genau wissen, welches Erlebnis Mendelssohn zur »Schottischen Symphonie« angeregt hat, fehlen uns für die »Italienische« konkrete Hinweise auf ein außermusikalisches Pro­ gramm. Im Februar 1831 erwähnt Mendels­ sohn erstmals das Werk in einem Brief: »Die italienische Symphonie macht große Fort­ schritte; es wird das lustigste, das ich ge­ macht habe, namentlich das letzte Stück; für’s Adagio habe ich noch nichts bestimm­ tes und glaube, ich will es mir für Neapel aufsparen.« In seinem nächsten Schreiben betont er nochmals, dass »Neapel mitspie­ len muss«. Obwohl Mendelssohn in seiner Korrespondenz von der fortgesetzten Arbeit an der Symphonie berichtete, gelang es ihm nicht, das Werk während seiner Reise zu beenden. Als er im Juni 1832 nach Berlin zu seiner Familie zurückkehrte, hatte er zunächst andere Sorgen. Das für ihn missgünstige Klima der Stadt belastete ihn. Hinzu kam, dass seine Bewerbung um die durch den Tod seines Lehrers Carl Friedrich Zelter freigewordene Stelle des Direktors der Berliner Sing-Akademie scheiterte. Er ver­ fiel in eine schwere Depression, die eine Schaffenskrise auslöste. Neuen Auftrieb bekam er, als ihn die Londoner Philharmonic Society im November 1832 mit drei Kom­ positionen beauftragte, unter denen auch eine Symphonie sein sollte. Aus diesem An­ lass griff er die bislang vernachlässigten Symphonie-Entwürfe wieder auf. Er ent­ schloss sich jedoch nicht, die seiner mo­ mentanen Stimmungslage näherstehende, schwermütigere »Schottische« zu vollen­ den, sondern die heitere, leichte »Italieni­ sche«. An seinen in London lebenden Freund Karl Klingemann schrieb er: »Wie meine Sin­ fonie wird ? Ich weiß es selbst noch nicht und bin noch sehr im Zweifel drüber; aber auf jeden Fall sehr in a-dur und sehr lustig, und der letzte Satz ein etwas mildes a-mollStück; ich habe mir noch nie für ein Stück von mir so herzlich Gelingen gewünscht wie für dieses, und deshalb bin ich fast befan­ Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 17 Das Licht am Ende des Tunnels ? Felix Mendelssohn Bartholdy als Aquarellist in Italien (1831) Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 18 gen dabei und fürchte, es wird nicht so wie ich gerne möchte.« KLASSISCHES ­KUNSTIDEAL ­CONTRA ROMANTISCHER ­ZEITGEIST In der Literatur wird gerne darüber speku­ liert, was denn den »italienischen« Charak­ ter des Werkes ausmache. Ganz sicher spiegelt die scheinbar leichtfüßige, unkom­ plizierte Komposition die Sorglosigkeit und Lebensfreude der mediterranen Bevölke­ rung sowie die Lieblichkeit der südlichen Landschaft. Doch darüber hinaus ist für Mendelssohn, dem von Goethes Reisebe­ schreibungen geprägten Bildungsbürger, Italien das »klassische« Kulturland mit sei­ ner formvollendeten Architektur und seinen eindrucksvollen Plastiken und Gemälden. Diesem vollkommenen Kunstideal wollte der Komponist nacheifern. Denn die Symphonie entspricht in ihren Proportionen, ihrer Län­ ge und ihrer Anlage ganz den »klassischen« Formprinzipien. Hinsichtlich der Melodie­ bildung, der Themenverarbeitung, der Ton­ artendisposition und der Orches­trierung ist das Werk allerdings dem »romanti­ schen« Zeitgeist verpflichtet. 1. SATZ: MOTIVISCHE DICHTE UND FUGATO-TECHNIK Das Hauptthema des 1. Satzes mit seinem rufartigen Terzmotiv, seiner schwungvol­ len melodischen Gestik und seinen auf­ wärts strebenden Dreiklangsbrechungen bekennt sich eindeutig zur Grundtonart A-Dur. Hinzu kommen die repetierenden Bläserakkorde, die den von den Violinen vorgetragenen musikalischen Hauptgedan­ ken harmonisch einbetten und der Eröff­ nung dieser Symphonie ihre einzigartige, unverwechselbare Klangfarbe verleihen. Die pulsierenden Bläserstimmen sowie der tänzerische 6/8-Takt mit seinem vorwärts drängenden Impetus unterstreichen den emphatischen, mitreißenden Charakter des Hauptthemas. Demgegenüber wirkt das Seitenthema, das von den Klarinetten und Fagotten vorgestellt wird und in der Melo­ dik weniger ausgreifend ist, gesetzter und gravitätischer. Doch beiden Themen ge­ meinsam ist ihr rhythmischer Duktus und ihre kleingliedrige melodische Phrasenbil­ dung. Mendelssohn beginnt bereits in der Exposition das thematische Material stark umzuformen und zu verändern. So löst er aus dem Kopf des Hauptthemas den Terzruf heraus, den er in verschiedenen Varianten als Überleitungsfigur verwendet, und wan­ delt das Seitenthema so gravierend ab, dass es bei seiner Wiederholung den Eindruck er­ weckt, den Prozess der Durchführung be­ reits hinter sich zu haben. Aus diesem Grund muss Mendelssohn nun in der eigentlichen Durchführung zusätz­ lich Neues bieten. Dies erreicht er, indem er ein weiteres Thema einführt, zu dessen hervor stechenden Merkmalen eine in die Untersekunde drehende Achtelfigur gehört, die sich im weiteren Verlauf als eigenes Mo­ tiv verselbstständigt. Den neuen musika­ lischen Gedanken präsentiert Mendelssohn in Form eines Fugato – einer Satztechnik, der er sich auch in der c-Moll-Symphonie op. 11 und in der »Reformations-­Symphonie« bediente. Später schleicht sich über das Terzmotiv das Hauptthema wieder ein. Die Durchführung gipfelt in einem Orchester­ tutti, in dem die Anfänge von Haupt- und Durchführungsthema miteinander kombi­ niert werden. Anschließend reduziert sich der musikalische Satz auf ein Minimum; übrig bleibt nur der Terzruf, der zur Repri­ se überleitet. Diese ist gegenüber der Ex­ position stark verkürzt und mündet in eine Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 19 Theodor Hildebrandt: Felix Mendelssohn Bartholdy (1834) Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 20 Coda, die nochmals korrespondierend zur Durchführung das dritte Thema aufgreift. Aus dieser Coda kristallisieren sich zum Schluss die beiden wichtigsten Motive he­ raus, das Terzmotiv und die Drehfigur. Sie bilden sozusagen das mu­sikalische »Des­ tillat« des 1. Satzes, ehe er mit entschie­ denen Dominant-Tonika-­Akkorden zu Ende geht. 2. SATZ: NEAPEL-REMINISZENZEN ODER ZELTER-ZITAT ? Die Drehfigur spielt in ihrer melodischen Umkehrung und in etwas anderer rhythmi­ scher Form auch im folgenden 2. Satz eine wichtige Rolle. Sie bildet das Bindeglied zwischen zwei ansonsten konträren Sätzen, die allein schon durch ihre Tonarten von­ einander getrennt sind: heiteres, über­ schäumendes A-Dur auf der einen, verhal­ tenes, in sich gekehrtes d-Moll auf der anderen Seite. Die von den Holzbläsern und hohen Streichern zur Eröffnung des An­ dante im Unisono gespielte Drehfigur hat regelrecht den Charakter eines »Motto« und erfüllt in diesem langsamen Satz zwei­ erlei Funktionen: Zum einen markiert sie die formalen Eckpfeiler des Satzes, zwi­ schen denen sich das schlichte, volkslied­ artige Hauptthema, das in zwei Varianten auftritt, und das muntere, tändelnde Seiten­ thema ausbreiten; zum anderen entwickelt sich aus ihr ein musikalischer Zwischenge­ danke, der thematische Qualitäten besitzt. Von besonderem Rang ist die feinsinnige Instrumentation. Mendelssohn ordnet je­ dem Thema eine spezielle Instrumenten­ kombination zu: zunächst Oboe, Fagott und Violen, dann erste und zweite Violinen mit einer Gegenstimme in den Flöten für die Hauptmelodie, dann Klarinetten und Hörner für das Nebenthema. Jeder Wechsel der musikalischen Struktur wird durch die zu­ sätzliche Veränderung der instrumentalen Klangfarbe noch plastischer herausgear­ beitet. Die formale Anlage des Satzes ist zwei­ teilig: Im ersten Teil wird das melodische Material vorgestellt, im zweiten durchfüh­ rungsartig abgewandelt und formal neu zusammengestellt. Analog zum Anfang will die Drehfigur am Ende des Andante noch­ mals zum Einsatz des Hauptthemas animie­ ren. Doch dieses erscheint nur noch rudi­ mentär – sozusagen im Nichts verklingend. Ob Mendelssohn tatsächlich, wie ursprüng­ lich geplant, seine Eindrücke aus Neapel in diesem Satz verarbeitet hat, lässt sich aus musikhistorischer Sicht nicht eindeutig klären. Wie wir aus seinen Briefen wissen, war der Komponist von der Stadt ziemlich enttäuscht. Die sich dem Müßiggang hin­ gebende Bevölkerung und die zahlreichen, aufdringlichen Bettler fand er für seine Arbeit wenig inspirierend. Hingegen wird in der Forschung immer wieder auf die Ver­ wandtschaft des Andante-Themas mit der Melodie von Carl Friedrich Zelters Verto­ nung des Goethe-Gedichts »Es war ein König von Thule« hingewiesen. Man vermu­ tet, dass Mendelssohn mit dieser Anspie­ lung seinem gerade verstorbenen Lehrer eine Art musikalisches Denkmal setzen wollte. 3. SATZ: ZWISCHEN GALANTERIE UND HEROISCHEM TONFALL Hat Mendelssohn mit dem Andante hin­ sichtlich der musikalischen Konzeption ein Unikat geschaffen, so greift er im 3. Satz auf die traditionelle Form des Menuetts zurück. Der Satz lebt aus der Spannung zwischen dem graziösen, galanten Thema des Menuetts und den markanten Hornfan­ faren des Trio-Teils, in die später auch noch Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 21 Der Übergang vom 2. zum 3. Satz in der Handschrift des Komponisten (2. Fassung, 1834) Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 22 Trompeten und Pauken einfallen. Dass so­ wohl der Kopf der Hauptmelodie als auch die Hornrufe erneut die charakteristische Dreh­ figur aus dem 1. Satz enthalten, sei nur am Rande erwähnt. Zum Schluss durchbricht Mendelssohn das klassische Formschema und führt in einer Art Coda die bislang ge­ trennten Ebenen von Menuett und Trio zu­ sammen: Indem er die Kopf­motive beider Themen einander gegenüberstellt, verdeut­ licht er noch einmal den Kerngedanken des Satzes – die Divergenz zwischen MenuettGalanterie und Fanfaren-­Thematik. 4. SATZ: »SALTARELLO« ­ MIT SPIEGELEFFEKTEN Die Bezeichnung »Saltarello« für den Schlusssatz der Symphonie ist die einzige offensichtliche Anspielung auf Italien. Unter Saltarello versteht man einen volkstüm­ lichen, schnellen Springtanz im Dreiertakt, der sich seit dem 14. Jahrhundert in Italien großer Beliebtheit erfreut. Die hüpfende Bewegung dieses Tanzes hat Mendelssohn in den Terzsprüngen, im Staccatovortrag und vor allem im kleingliedrigen, durch regel­mäßige Achtelpausen durchbroche­ nen Rhythmus des Hauptthemas kongenial eingefangen. Der Clou daran ist, dass der ­Finalsatz im geraden Takt steht und das für den Saltarello typische Dreiermetrum durch Triolenbildung erzeugt wird. Der charak­ teristische Rhythmus, den die Streicher­­ und Holzbläser bereits vor Einsatz des Tanzthemas vorgeben, bildet eine Ebene für sich, indem er über weite Strecken von den Streichern perkussionsartig auf einem Ton wiederholt wird. mit einem Terzsprung aufwärts, das des Saltarello mit dessen Umkehrung. Den pul­ sierenden B ­ läserakkorden des 1. Satzes stehen die Tonrepetitionen der Streicher im 4. Satz gegenüber. Auch die Tonarten­ disposition, A-Dur für den Eröffnungssatz und das nach »klassischen« Regeln unge­ wöhnliche a-Moll für das Finale, entspringt dem Gedanken der »Spiegelung«. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Gemeinsamkei­ ten: so besitzen beide Sätze ein fugiert verarbeitetes drittes Thema. Und nicht zu vergessen: die Drehfigur, die im Seiten­ thema des 4. Satzes erneut auftritt und deutlich macht, wie unauffällig und doch unüberhörbar Mendelssohn die vier Sätze dieser Symphonie strukturell mit­einander verbindet. SELBSTKRITIK UND ZWEIFEL Nach Vollendung der Komposition schreibt Mendelssohn im April 1833: »Meine Ar­ beit, an der ich in der vorigen Zeit manche Zweifel hatte, ist beendigt und hat mich wider Erwarten, jetzt, wo ich sie übersehe, selbst gefreut. Ich glaube, es ist ein gutes Stück geworden, und, sei es wie es wolle, so fühle ich, dass ein Fortschritt darin ist, und nur darauf kommt es an.« Doch diese Zufriedenheit hielt nicht lange an. Obwohl das Werk bei der Londoner Uraufführung am 13. Mai 1833 begeistert aufgenommen wurde, machte sich Mendelssohn im Jahr darauf an eine Revision. Innerhalb von acht Wochen überarbeitete er den 2., 3. und 4. Satz. An den 1. Satz wagte er sich nicht heran, »denn wenn ich da mal drüber kom­ me, so fürchte ich, muss ich vom 4ten Takt an das ganze Thema verändern !« So wenig es beim Hören auch auffallen mag: Das Finale greift Elemente des An­ fangssatzes in komplementärer Weise auf. So beginnt das Hauptthema des Allegro Felix Mendelssohn Bartholdy: 4. Symphonie »Italienische« 23 Gianandrea Noseda DIRIGENT oder beim NHK Symphony Orchestra in To­ kio. Unter Gianandrea Nosedas künstlerischer Leitung wurden am Teatro Regio in Turin zahlreiche Opernaufführungen realisiert, darunter »Salome«, »La traviata«, »Fide­ lio« und »Tosca«. Seit 2002 ist er außer­ dem regelmäßig an der Metropolitan Opera in New York zu Gast, wo er Produktionen wie Prokofjews »Krieg und Frieden« und Verdis »Un ballo in maschera« geleitet hat. Darü­ ber hinaus ist Noseda seit 2001 Künstleri­ scher Leiter des Stresa Festivals. Der in Mailand geborene Musiker ist Chef­ dirigent des Teatro Regio in Turin, Erster Gastdirigent des Israel Philharmonic Or­ chestra und Ehrendirigent des BBC Philhar­ monic Orchestra in Manchester. Auch dem Mariinskij-Orchester St. Petersburg, dem Rotterdam Philharmonic Orchestra und dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI ist Gianandrea Noseda als Erster Gastdirigent verbunden; darüber hinaus ist er gern ge­ sehener Gast beim Chicago Symphony Or­ chestra, beim London Symphony Orchestra Gianandrea Noseda beschäftigt sich inten­ siv mit den italienischen Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Ottorino Respighi, Alfredo Casella und Luigi Dallapiccola. Seine Aufnahme mit Werken des Deutschitalie­ ners Ermanno Wolf-Ferrari wurde mit dem bedeutendsten französischen Schallplat­ tenpreis, dem »Diapason d’or«, ausgezeich­ net. Da ihm die Förderung junger Musiker be­ sonders wichtig ist, leitet Gianandrea No­ seda auch Jugendorchester wie das Londo­ ner Orchestra of the Royal College of Music oder das National Youth Orchestra of Great Britain. Vom italienischen Staat wurde er zum »Cavaliere Ufficiale al Merito della Re­ pubblica Italiana« ernannt. Die Künstler 24 Francesco Piemontesi KLAVIER Sieg beim Concours Reine Elisabeth 2007 in Brüssel. Als Solist konzertierte Francesco Piemon­ tesi mit dem Cleveland Orchestra, dem Phil­ harmonia Orchestra London, dem BBC Sym­ phony und dem London Philharmonic Or­ chestra, dem Symphonieorchester des Bay­ erischen Rundfunks und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin; dabei spielte er unter Dirigenten wie Zubin Mehta, An­ drew Manze, Vasily Petrenko und Mikhail Pletnev. 1983 in Locarno in der italienischen Schweiz geboren, hat sich Francesco Piemontesi in den letzten Jahren zu einem vielverspre­ chenden Namen in der internationalen Kla­ vierszene entwickelt. Nach Studien bei Nora Doallo und Arie Vardi erhielt der Pia­ nist wichtige Impulse und weitere Förde­ rung durch Künstler wie Alfred Brendel, Cécile Ousset und Alexis Weissenberg. In­ ternationale Bekanntheit erlangte der mehrfache Preisträger internationaler Kla­ vierwettbewerbe vor allem durch seinen Gastauftritte Piemontesis bei Festspielen umfassen u. a. die BBC Proms in London, das Lucerne Festival, das Schleswig-Holstein Musik Festival, das City of London Festival sowie das Rheingau Musik Festival. Darüber hinaus spielte der Künstler Recitals in be­ deutenden Konzertsälen wie dem Concert­ gebouw Amsterdam, der Carnegie Hall in New York, der Berliner Philharmonie und dem Wiener Musikverein. Francesco Piemontesi war von 2009 bis 2011 New Generation Artist der BBC und wurde 2010 mit der Fellowship des Borletti-­ Buitoni Trust in London ausgezeichnet. 2012 erhielt er den Best Newcomer Award des BBC Music Magazine; im gleichen Jahr ernannte ihn das Settimane Musicali di As­ cona Festival zum Künstlerischen Leiter. Die Künstler 25 Max Reger und die Münchner Philharmoniker GABRIELE E. MEYER VORSPIEL Noch vor seinem ersten Auftritt als Dirigent bei den Münchner Philharmonikern am 15. Dezember 1905 (damals noch Kaim- bzw. Konzertvereins-Orchester) hatte sich Max Reger schon einen Namen als Komponist von Orgelwerken, Liedern und Kammermusik ge­ macht. In einem Brief vom 5. November 1900 bittet der selbstbewusste Komponist den mit ihm befreundeten Sänger Joseph Loritz, sich bei Franz Kaim für eine Dirigentenstelle ein­ zusetzen: »Wäre es für mich nicht möglich, beim Kaimorchester als – sollte es sein – letzter Dirigent unterzukommen ? Ich bin nun zwei Jahre hier [in Weiden] und der allzu­ lange Aufenthalt in der ›Wüste‹ taugt nichts !« Kaim aber zeigte sich an einem Musiker ohne einschlägige Erfahrung verständlicherweise nicht interessiert. Nach der Übersiedlung in die Haupt- und Residenzstadt Anfang Sep­ tember 1901 sah sich Reger zunächst hefti­ ger Ablehnung seitens der »Neudeutschen Schule« um Ludwig Thuille, Rudolph Louis, Max Schillings u. a. ausgesetzt. Doch gelang es ihm mit großer Beharrlichkeit, seine Mu­ sik als inzwischen anerkannter Liedbegleiter und Kammermusikpartner auch auf diesem Wege in München durchzusetzen, obwohl die öffentliche Meinung über den Komponisten weiterhin geteilt blieb. Gleichwohl schwärm­ ten Konzertbesucher wie Kritiker von Regers hochsensiblem und einfühlsamem Klavier­ spiel, mit dem er eigene und fremde Werke in einer »schlechthin vollendeten Weise« gestaltete. Zu Regers bevorzugten Mitstrei­ tern gehörten neben dem Bariton Loritz die Altistin Anna Erler-Schnaudt, der Geiger Henri Marteau, der Pianist August Schmid-­ Lindner und das Hösl-Quartett. Auch wenn in den Annalen der Philharmoniker nur zwei Auftritte Regers verzeichnet sind, so waren seine Werke ab 1909 bis zum Tod des Kom­ ponisten am 11. Mai 1916 sehr oft zu hören. REGERS DEBÜT ALS DIRIGENT 1905 bestimmte der »Porges’sche Chorver­ ein« Reger zum Nachfolger des im Februar des Jahres verstorbenen bisherigen Leiters Max Erdmannsdörfer. Auf dem Programm des Konzerts vom 15. Dezember 1905, das »in Verbindung mit dem Kaim-Orchester« im Odeonssaal stattfand, standen Chor- und Max Reger zum 100. Todestag 26 Orchesterwerke von Franz Liszt und Hugo Wolf. Regers dirigentische Leistung sah sich, man möchte fast sagen, zwangsläufig har­ scher Kritik vor allem von Seiten seines al­ ten Widersachers Rudolph Louis ausgesetzt, der auch für die »Münchner Neuesten Nach­ richten« tätig war. Dieser leitete seine Be­ sprechung mit der Binsenweisheit ein, dass man ein Musiker ersten Ranges sein kann, ohne zum Dirigenten besonders befähigt zu sein, demzufolge bei einem ersten Ver­ such auf einem »bislang fremden Gebiete der ausübenden Tonkunst« eine vollkomme­ ne Leistung gar nicht erwartet werden kön­ ne. »Alles, das Eckige, Ungelenke und Unge­ schickte der Bewegungen, die peinliche, von vornherein jede Freiheit in der Direktions­ füh­rung unmöglich machende Abhängigkeit von der Partitur, der Mangel an jeglichen An­zeichen für einen wahrhaft belebenden und an­feuernden Einfluß auf die Ausführen­ den, all’ das beweist doch wohl, daß Reger, dem sonst so phänomenal begabten Musi­ ker, das angeborene Dirigententalent so gut wie gänzlich mangelt. Das offen auszu­ sprechen, halte ich umsomehr für Pflicht, als es schade wäre, wenn eine solche Bega­ bung, der als Komponist, als Klavierspieler, als Lehrer die weitesten und fruchtbarsten Betätigungsgebiete offen stehen, ihre kost­ bare Zeit auf Bestrebungen verschwenden würde, die schwerlich zu einem nachhalti­ gen Erfolge führen können.« Man kann sich Regers Zorn auf seinen Intimfeind Louis trotz dessen ausdrücklicher Anerkennung für die sorgfältige Einstudierung der Chöre lebhaft vorstellen. Aber auch die anderen Stimmen beurteilten das Debüt eher skep­ tisch: »Das geborene Dirigiertalent, das sich als solches gleich beim ersten Erschei­ nen am Pulte unzweifelhaft kundgibt, ist Reger jedenfalls nicht.« ZWISCHENSPIEL Etwa zu derselben Zeit begann Reger ver­ mehrt für große Besetzungen zu schreiben. Fiel der erste Versuch, die »Sinfonietta« bei der Münchner Erstaufführung durch das Kgl. Hofopernorchester unter der Leitung von Felix Mottl noch durch – worauf sich Regers Schüler an Rudolph Louis mit einer nächt­ lichen Katzenmusik rächten, auf die der Kri­ tiker mit »einem öffentlichen Dank an jene Herren« reagierte, »welche ihm in so liebens­ würdiger Weise Bruchstücke aus dem neues­ ten Werk ihres Meisters« nahegebracht hät­ ten – , so wuchs das Interesse an den Werken Regers doch stetig. In Ferdinand Löwes Chef­ dirigentenzeit wurden gleich vier symphoni­ sche Werke erstmals vorgestellt: »Sympho­ nischer Prolog zu einer Tragödie« op. 108 (22. November 1909), »Eine Lustspiel­ ouvertüre« op. 120 (4. April 1911), das »Konzert im alten Stil« op. 123 (18. Dezem­ ber 1912) und, am 29. Dezember 1913, »Eine Ballett-Suite« op. 130. Außerdem erklan­ gen, ebenfalls als Münchner Erstaufführun­ gen, das Violinkonzert op. 101 unter der Leitung von Ossip Gabrilowitsch mit Alexan­ der Schmuller als Solisten (23. März 1912) und »Eine romantische Suite« nach Eichen­ dorff op. 125, die der Dirigent Franz von Hoesslin aus der Taufe hob (25. Oktober 1912). REGERS ZWEITER AUFTRITT Ende 1907 nahm »der wilde Oberpfälzer« – er hatte von den Münchner Querelen um seine Person nun endgültig genug – die Be­ rufung zum Konservatoriumslehrer und Uni­ versitätsmusikdirektor in Leipzig an. Die nachfolgenden Jahre seines Engagements als Dirigent der Meininger Hofkapelle von 1911 bis 1914 ließen ihn, wie nicht nur sein Schüler Alexander Berrsche feststellte, zu Max Reger zum 100. Todestag 27 Max Reger zum 100. Todestag 28 einem »Orchesterleiter ersten Ranges« so­ wohl in künstlerischer als auch in organisa­ torischer Hinsicht reifen. Regers zweiter und letzter Auftritt als Dirigent bei den Münch­ ner Philharmonikern fiel allerdings in eine Zeit, in der die Welt schon aus den Fugen geraten war. Doch trotz kriegsbedingter Schwierigkeiten konnte der Konzertbetrieb in der Spielzeit 1914/15 noch in vollem Um­ fang aufrechterhalten werden. Auf dem Pro­ gramm des von »Generalmusikdirektor Max Reger« geleiteten 8. Abonnementskonzerts am 1. Februar 1915 standen, neben Mozarts »Haffner-Symphonie«, »Eine vaterländische Ouvertüre« op. 140, »gewidmet dem deut­ schen Heere« und, ebenfalls als Münchner Erstaufführung, die 1914 entstandenen »Va­ riationen und Fuge über ein Thema von Mo­ zart« op. 132. Vor allem dieses Werk wurde mit großem Beifall bedacht. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« rühmten den »Reich­ tum an Polyphonie, wie er nur dem kontra­ punktischen Genie Regers zu Gebote steht. Daß dieses Werk trotz der außerordentlich kunstvollen thematischen Arbeit auch präch­ tig klingt, beweist vor allem die schöne ach­ te Variation. Es versteht sich bei Reger von selbst, daß die über ein reizvolles achttak­ tiges Thema gehende Fuge glänzend gebaut ist.« Fünf eigene Lieder, mit Reger am Kla­ vier, und drei orchestrierte Brahms-­Lieder, gesungen von Anna Erler-Schnaut, rundeten das Programm ab. Der Komponist Max Reger wurde ebenso gefeiert wie der Dirigent und Liedbegleiter. Selbst der damals amtierende Oberbürgermeister der Stadt München, Wil­ helm von Borscht, sprach Reger seinen auf­ richtigsten Dank aus: »Die grösste Anerken­ nung für Sie liegt in dem Erfolg, den Ihr Auftreten bei uns zeigte: der Besuch unse­ rer Abonnementskonzerte war mit Ausbruch des Krieges noch nie so stark, wie bei Ihrem Konzert, die Begeisterung des Publikums für Ihre bewundernswerten Leistungen war grösser und herzlicher denn je.« NACHSPIEL Die im Brief des Oberbürgermeisters aus­ gesprochene Erwartung, »Euer Hochwohl­ geboren auch noch bei anderen Gelegenhei­ ten in der Tonhalle begrüssen zu dürfen«, erfüllte sich nicht mehr. Max Reger starb mit nur 43 Jahren am 11. Mai 1916. Doch sein gesamtes Orchesterwerk bildete bis in die 40er Jahre einen festen Bestandteil in­ nerhalb der philharmonischen Programm­ gestaltung, wobei es nach Regers Tod noch zu weiteren Münchner Erstaufführungen kam. So stellte Komponisten-Kollege Hans Pfitzner die Orchesterfassung der 1904 ursprünglich für zwei Klaviere zu vier Hän­ den komponierten »Variationen und Fuge über ein Thema von Beet­hoven« op. 86 vor, der »Gesang der Verklärten« op. 71 erklang in einer Bearbeitung von Karl Hermann Pill­ ney, die von Florizel von Reuter zu Ende ge­ führte »Symphonische Rhapsodie für Violi­ ne und Orchester« op. 147 erlebte 1932 ihre Uraufführung, der erste Satz des un­ vollendet gebliebenen lateinischen »Requi­ ems« op. 145a seine philharmonische Erst­ aufführung. Nach 1945 aber standen zu­ nächst ganz andere Komponisten im Vor­ dergrund – Reger hatte ja bereits zu seiner Zeit das Schicksal ereilt, mit seinem Schaf­ fen zwischen alle Stühle geraten zu sein. Dennoch hatte er innerhalb der zwischen Schönberg, Strawinsky und der »Münchner Schule« angesiedelten musikalischen Ex­ trembereiche einen ganz eigenen Weg ge­ funden. Regers unruhig oszillierende Har­ monik und seine meisterliche Beherrschung der Polyphonie, auch seine bisweilen »klas­ sizistisch« anmutende Einfachheit lohnen eine Wiederbegegnung allemal. Max Reger zum 100. Todestag 29 Freitag 10_06_2016 20 Uhr c Samstag 11_06_2016 19 Uhr d Sonntag 12_06_2016 19 Uhr h4 ANTON WEBERN »Langsamer Satz« für Streichquartett (1905) Bearbeitung für Streichorchester von Gerard Schwarz ALBAN BERG »Sieben frühe Lieder« ANTON BRUCKNER Symphonie Nr. 6 A-Dur (Originalfassung 1881) PAAVO JÄRVI Dirigent OLGA PERETYATKO Sopran Dienstag 14_06_2016 19 Uhr KAMMERKONZERT DER ORCHESTERAKADEMIE Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz GEORG PHILIPP TELEMANN Sonata D-Dur für Trompete, Streichquartett und Basso continuo WOLFGANG AMADEUS MOZART Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello KV 465 »Dissonanzen-Quartett« HANS FRYBA Suite im alten Stil für Kontrabass solo GIUSEPPE TORELLI Concerto D-Dur für Trompete, Streichquartett und Basso continuo FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Quartett Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello Nr. 1 op. 12 PHILIPP LANG, Trompete ASAMI YAMADA, Violine CLÉMENT COURTIN, Violine KATHARINA SCHMID, Bratsche JOACHIM WOHLGEMUTH, Violoncello JOHANNES TREUTLEIN, Kontrabass MITGLIEDER UND AKADEMISTEN DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER Vorschau 30 Die Münchner Philharmoniker 1. VIOLINEN Sreten Krstič, Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister Julian Shevlin, Konzertmeister Odette Couch, stv. Konzertmeisterin Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin Claudia Sutil Philip Middleman Nenad Daleore Peter Becher Regina Matthes Wolfram Lohschütz Martin Manz Céline Vaudé Yusi Chen Iason Keramidis Florentine Lenz 2. VIOLINEN Simon Fordham, Stimmführer Alexander Möck, Stimmführer IIona Cudek, stv. Stimmführerin Matthias Löhlein, Vorspieler Katharina Reichstaller Nils Schad Clara Bergius-Bühl Esther Merz Katharina Schmitz Ana Vladanovic-Lebedinski Bernhard Metz Namiko Fuse Qi Zhou Clément Courtin Traudel Reich BRATSCHEN Jano Lisboa, Solo Burkhard Sigl, stv. Solo Max Spenger Herbert Stoiber Wolfgang Stingl Gunter Pretzel Wolfgang Berg Beate Springorum Konstantin Sellheim Julio López Valentin Eichler VIOLONCELLI Michael Hell, Konzertmeister Floris Mijnders, Solo Stephan Haack, stv. Solo Thomas Ruge, stv. Solo Herbert Heim Veit Wenk-Wolff Sissy Schmidhuber Elke Funk-Hoever Manuel von der Nahmer Isolde Hayer Sven Faulian David Hausdorf Joachim Wohlgemuth Das Orchester 31 KONTRABÄSSE Sławomir Grenda, Solo Fora Baltacigil, Solo Alexander Preuß, stv. Solo Holger Herrmann Stepan Kratochvil Shengni Guo Emilio Yepes Martinez Ulrich Zeller FLÖTEN Michael Martin Kofler, Solo Herman van Kogelenberg, Solo Burkhard Jäckle, stv. Solo Martin Belič Gabriele Krötz, Piccoloflöte OBOEN Alois Schlemer Hubert Pilstl Mia Aselmeyer TROMPETEN Guido Segers, Solo Bernhard Peschl, stv. Solo Franz Unterrainer Markus Rainer Florian Klingler POSAUNEN Dany Bonvin, Solo David Rejano Cantero, Solo Matthias Fischer, stv. Solo Quirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune Ulrich Becker, Solo Marie-Luise Modersohn, Solo Lisa Outred Bernhard Berwanger Kai Rapsch, Englischhorn PAUKEN KLARINETTEN Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger Jörg Hannabach Alexandra Gruber, Solo László Kuti, Solo Annette Maucher, stv. Solo Matthias Ambrosius Albert Osterhammer, Bassklarinette FAGOTTE Lyndon Watts, Solo Jürgen Popp Johannes Hofbauer Jörg Urbach, Kontrafagott HÖRNER Jörg Brückner, Solo Matias Piñeira, Solo Ulrich Haider, stv. Solo Maria Teiwes, stv. Solo Robert Ross Stefan Gagelmann, Solo Guido Rückel, Solo Walter Schwarz, stv. Solo SCHLAGZEUG HARFE Teresa Zimmermann, Solo CHEFDIRIGENT Valery Gergiev EHRENDIRIGENT Zubin Mehta INTENDANT Paul Müller ORCHESTERVORSTAND Stephan Haack Matthias Ambrosius Konstantin Sellheim Das Orchester 32 IMPRESSUM Herausgeber: Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4 81667 München Lektorat: Stephan Kohler Corporate Design: HEYE GmbH München Graphik: dm druckmedien gmbh München Druck: Gebr. Geiselberger GmbH Martin-Moser-Straße 23 84503 Altötting TEXTNACHWEISE Michael Kube, Susanne Schmerda, Nicole Restle und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die Programmhefte der Münch­ ner Philharmoniker. Ste­ phan Kohler redigierte bzw. verfasste die lexika­ lischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographien (No­ seda, Piemontesi): Nach Agenturvorlagen. Alle Rech­ te bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kos­ tenpflichtig. BILDNACHWEISE Abbildungen zu Alfredo Casella: Universal Edition, Wien; Sammlung Stephan Kohler, München. Abbil­ dungen Béla Bartók: Bence Szabolcsi (Hrsg.), Béla Bartók – Weg und Werk / Schriften und Brie­ fe, Budapest 1957. Abbil­ dungen zu Felix Mendels­ sohn Bartholdy: HansGünter Klein (Hrsg.), Felix Mendelssohn Bartholdy – Ein Almanach, Leipzig 2008. Abbildung zu Max Reger: Archiv der Münch­ ner Philharmoniker. Künst­ lerphotographien: AMC Artists Management (No­ seda); Julien Mignot (Pie­ montesi). TITELGESTALTUNG »Das Thema der Reise steht im Vordergrund mei­ ner Arbeiten: Menschen unterwegs, im Zug, in der Straßenbahn, in der Fähre oder im Taxi, in Über­ gangssituationen einer Reise, die Leben heißt. Mein Motiv zeigt einen überdimensionalen Ret­ tungsring auf einer Fähre nach Italien – das Land, das mit seiner Architektur und Kunstschätzen schon Impressum zu Mendelssohns Zeiten als ›klassisches‹ Kultur­ land galt. Der Rettungs­ ring hat eine immer gleichbleibende Form und ist Symbol für Reisen, das bereichernd und gefähr­ lich zugleich sein kann. Auch den jungen Felix Mendelssohn führte eine Bildungsreise von 1830 bis 1832 nach Italien, von dort brachte er die Parti­ turen für seine ›Italieni­ sche‹ Symphonie mit.« (Judith Bokodi, 2016) DIE KÜNSTLERIN Judith Bokodi, geboren 1969 in Budapest, über­ siedelte 1980 nach Mün­ chen. Nach einer Ausbil­ dung an der Deutschen Meisterschule für Mode arbeitete sie zunächst viele Jahre als Designerin für die Bekleidungsindus­ trie. Sie studierte später Kunstpädagogik und Kunstgeschichte an der LMU in München, wo sie als Malerin und Kunstpäd­ agogin lebt und arbeitet. www.judith-bokodi.com Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt In freundschaftlicher Zusammenarbeit mit VALERY GERGIEVS DAS FESTIVAL DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER — PROKOFJEW-MOZARTMARATHON GASTEIG Freitag 11_11_2016 ERÖFFNUNGSKONZERT VALERY GERGIEV Samstag 12_11_2016 PROKOFJEW–MARATHON ALLE KLAVIERSONATEN PETER UND DER WOLF TANZKONZERTE Sonntag 13_11_2016 PROKOFJEW SYMPHONIEN MOZART VIOLINKONZERTE KARTEN AB JUNI 2016 MPHIL.DE 3 FÜ MU TA R SI GE AL K LE ’15 ’16 DAS ORCHESTER DER STADT