Kapitel 10 Die Bewegung starrer Körper 10.1 Der starre Körper Obwohl die Materie nach den Wahrnehmungen unserer Sinnesorgane eine kontinuierliche Struktur zu haben scheint, setzt sie sich in Wirklichkeit aus Einheiten zusammen, welche sich zu regelmässigen Anordnungen gruppieren, wie die Ziegel in einer Mauer. Wir werden makroskopische Körper betrachten, als ob sie eine kontinuierliche Masseverteilung besitzen würden (Siehe Kap. 7.4.2). 471 Ein starrer Körper wird definiert als ein Körper, bei dem die Änderung der Abstände zwischen allen seinen Massenelementen bei Anwendung einer Kraft oder eines Drehmoments vernachlässigt wird. Ein starrer Körper behält seine Gestalt, wenn er sich bewegt. Wir unterscheiden zwischen zwei Arten von Bewegungen: Physik 472 Die Bewegung starrer Körper 1. 2. Translationsbewegung: alle Teilchen (Atome oder Moleküle) des Körpers beschreiben parallele Bahnen; Drehbewegung: alle Teilchen beschreiben kreisförmige Bahnen um eine Gerade, die man als Drehachse (oder Rotationsachse) bezeichnet. Die Achse kann fixiert sein oder ihre Richtung während der Bewegung relativ zum Körper verändern. Die allgemeine Bewegung eines starren Körpers kann immer als Kombination einer Translations- und einer Rotationsbewegung betrachtet werden. 10.2 Vektorielle Beschreibung der Drehbewegung 10.2.1 Drehung eines Körpers Die kinematischen Grössen der Translationsbewegung (d.h. Verschiebung, Geschwindigkeit und Beschleunigung) wurden als Vektoren eingeführt. Sie konnten bei der eindimensionalen Bewegung als skalare Grössen betrachtet werden. Können zur Beschreibung der Drehbewegung in ähnlicher Weise Vektoren verwendet werden? Wir wollen den allgemeinen Fall betrachten, bei dem sich z.B. die Richtung der Drehachse zeitlich ändert. Wir wollen einen starren Körper betrachten, der sich um die D-Achse dreht. Die Rotation des Körpers um diese Drehachse kann mit Hilfe eines Drehwinkels q beschrieben werden. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Vektorielle Beschreibung der Drehbewegung Der Drehwinkel q entspricht der Winkelverschiebung des rotierenden Körpers, die der Körper bei der Rotation um die Drehache überstreicht. Könnte man einen solchen Drehwinkel als eine vektorielle Grösse definieren? D.h., r r r r q = q x ex + q y ey + q z ez ? Die Antwort ist nein! Die Drehwinkel addieren sich nicht vektoriell. Man sieht z.B., dass wenn man zwei Drehungen in verschiedener Reihenfolge durchführt, so sind die resultierenden Drehungen nicht identisch: r r r r q x ex + q y ey π q y ey + q x ex Wir können dieses Ergebnis beweisen, wenn wir die Rotation z.B. zweier Bücher anschauen. Wir nehmen an, dass beide Bücher in der vertikalen xz-Ebene liegen und definieren die Koordinatenachsen wie in Abb. 1 gezeigt ist. 473 Eines der Bücher wird 90 Grad um die y-Achse und das andere wird 90 Grad um die z-Achse gedreht. Anschliessend wird das erste noch 90 Grad um die z-Achse und das andere 90 Grad um die y-Achse gedreht. Die resultierende Orientierung der Bücher ist nicht identisch. Physik 474 Zwei Bücher mit derselber Raumorientierung. Die Bewegung starrer Körper Figur 1. Das Buch rechts wurde 90 Grad um die y-Achse und das Buch links 90 Grad um die z-Achse gedreht. Figur 2. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Vektorielle Beschreibung der Drehbewegung Das Buch rechts wurde noch 90 Grad um die z-Achse und das Buch links noch 90 Grad um die y-Achse gedreht. Figur 3. Eine erste Rotation mit Drehwinkel a um die z-Achse ändert den Ortsvektor folgendermassen (der Vektor bleibt in der xy-Ebene): r r r ra = r cosaex + r sin aey r r r = rex Man kann das Ergebnis auch beweisen, wenn wir endliche Rotationen eines Vektors um eine Achse betrachten. Wir nehmen den folgenden Anfangsvektor an: 1. 2. ab 475 Eine zweite Rotation mit Drehwinkel b um die y-Achse ändert den resultierenden Vektor so (die y-Komponente ist unverändert): r r r r r = r cosa (cos bex - sin bez ) + r sin aey r r r = r cosa cos bex + r sin aey - r cosa sin bez Physik 476 Die Bewegung starrer Körper In ähnlicher Weise ergibt die Rotation mit vertauschter Reihenfolge: r r r r rba = r cosa cos bex + r sin a cos bey - r sin bez Tatsächlich bemerken wir, dass die resultierenden Vektoren nicht identisch sind: die y und z-Komponenten sind verschieden. z Da Da << 1, Db << 1 y x r rDb z Db y Nun betrachten wir den Fall, bei dem die Winkel infinitesimal sind, d.h. wir betrachten infinitesimale Drehungen. Wir ersetzen aÆDa und bÆDb (Da ist die infinitesimale Drehung um die z-Achse und Db ist die infinitesimale Drehung um die y-Achse) und nehmen an: rDa r Mit dieser Näherung erhalten wir sinDaªDa und cosDbª1: r r r r r rab ª rex + rDaey - rDbez ª rba x In erster Ordnung sind infinitesimale Drehungen kommutativ! Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Vektorielle Beschreibung der Drehbewegung In diesem Fall kann ein infinitesimaler Drehvektor definiert werden: r r r Dq ∫ Dbey + Daez wobei die infinitesimalen Drehungen um die z-Achse als z-Komponente und die infinitesimalen Drehungen um die y-Achse als y-Komponente des Drehwinkelvektors eingesetzt wurden. Wohin zeigt der Drehvektor? Wenn z.B. Db=0, erhalten wir: r r Dq = Daez und der Vektor ist senkrecht zur Drehebene: Im Allgemeinen zeigt der Drehvektor in eine Richtung senkrecht zur Ebene der infinitesimalen Drehung. 10.2.2 Der Winkelgeschwindigkeitsvektor Der momentane Winkelgeschwindigkeitsvektor wird als die zeitliche Ableitung der Winkelverschiebung definiert r r D q w∫ Dt Die momentane Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden, deren Richtung parallel zur Drehachse und senkrecht zur Ebene der Rotation ist. MKS-Einheit: s–1 oder Radian pro Sekunde 477 Die Richtung des Vektors ist gegeben, wie in Abb. 4 gezeigt ist. Seine Richtung entlang der Drehachse wird durch die Rechte-Hand-Regel gegeben. Für eine Drehung wie in Abb. 4 links zeigt er nach oben. Physik 478 Die Bewegung starrer Körper Wäre die Drehung umgekehrt (wie in Abb. 4 rechts), würde er nach unten zeigen. Die Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden. Ihre Richtung ist zur Drehachse parallel und durch die Rechte-Hand-Regel gegeben. Figur 4. Beispiel: wenn r r r Dq ∫ Dbey + Daez Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Vektorielle Beschreibung der Drehbewegung gilt r r r r Dq Dbey + Daez Db r Da r e + e w∫ = = Dt Dt Dt y Dt z r r dq db r da r e e + Æw = = dt dt y dt z 10.2.3 Der Winkelbeschleunigungsvektor Die zeitliche Änderung des momentanen Winkelgeschwindigkeitsvektors heisst die momentane Winkelbeschleunigung: r r dw a∫ dt MKS-Einheit: s–2 oder Radian pro Sekunde im Quadrat 10.2.4 Beziehung zwischen Winkelgeschwindigkeit und Geschwindigkeit 479 Wir betrachten wieder die folgende infinitesimale Drehung um die yund z-Achse: r r r Dq ∫ Dbey + Daez Da << 1, Db << 1 Die resultierende Verschiebung des Ortsvektors ist gleich: r r r Dr = rab - rex r r = rDaey - rDbez Physik 480 Die Bewegung starrer Körper ( ) ( ) Wir betrachten das Kreuzprodukt: r r r r r Dq ¥ r = Dq y rz - Dq z ry ex + ( Dq z rx - Dq x rz )ey + Dq x ry - Dq y rx ez r r = ( Dar)ey + (- Dbr)ez Damit bemerken wir, dass die Verschiebung des Ortsvektors als das Kreuzprodukt des Drehwinkels und des Ortsvektors geschrieben werden kann: r r r Dr = Dq ¥ r Wenn die Verschiebung während eines Zeitintervalls Dt geschieht, ist die entsprechende Geschwindigkeit gleich r r r dr Dr v= = lim dt Dt Æ 0 Dt r r Dq ¥ r = lim Dt Æ 0 Dt r r =w¥r wobei wir die Definition der Winkelgeschwindigkeit verwendet haben. Wir diskutieren diese letzte Beziehung im nächsten Abschnitt weiter. 10.3 Winkelgeschwindigkeit eines starren Körpers Ein starrer Körper dreht sich mit der Winkelgeschwindigkeit w, d.h. mit einem Winkelgeschwindigkeitsvektor w (Siehe Abb. 5), um eine Drehachse. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Winkelgeschwindigkeit eines starren Körpers Wir stellen uns vor, dass der Körper viele Teilchen enthält. Wir wollen die Geschwindigkeit jedes seiner Teilchen bestimmen. Wir bemerken, dass sie nur vom Abstand zur Drehachse abhängt! Sie ist gleich v i = rD,iw wobei rD,i der Abstand des Teilchens von der Drehachse ist. Diese Gleichung gilt für die Beträge. Wir wollen nun eine vektorielle Beziehung herleiten. Wir bemerken, dass r r r fi v i = w ri sin g v i = rD,iw 1 424 3 Beziehung für die Beträge wobei wir den Betrag des Ortsvektors ri verwendet haben. Siehe Abb. 5. Die Gleichung enthält die Sinus-Funktion. Wir schliessen daraus, dass die Geschwindigkeit mit Hilfe des Kreuzproduktes des Ortsvektors und des Winkelgeschwindigkeitsvektors berechnet werden kann. Tatsächlich gilt: r r r v i = w ¥ ri 481 Mit der Rechte-Hand-Regel kann man verifizieren, dass die Richtung der Geschwindigkeit die richtige ist, wenn wir das Kreuzprodukt in dieser Ordnung, d.h. Winkelgeschwindigkeit “kreuz” Ortsvektor, definieren. Diese Beziehung ist natürlich dieselbe, wie wir im letzten Abschnitt für eine infinitesimale Drehung hergeleitet haben. Physik 482 Die Bewegung starrer Körper v i = ω × ri ω γ r i ∆ vi O (Ursprung) Figur 5. Beziehung zwischen dem Winkelgeschwindigkeitsvektor und der (linearen) Geschwindigkeit der Teilchen (Atome oder Moleküle) i des rotierenden Körpers. 10.4 Energie des starren Körpers Nun werden wir uns mit der Translation und Rotation eines starren Körpers beschäftigen. Wir betrachten den starren Körper als ein Teil- Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Energie des starren Körpers Ortsvektor des Schwerpunkts mi Ortsvektor des Teilchens i bezüglich des Schwerpunkts ri,SP SP chensystem mit einer diskreten Anzahl von Teilchen. Der Ortsvektor des Teilchens i des starren Körpers wird geschrieben als r r r ri = r{ + ri,SP SP { ri r SP Der Ortsvektor ri, SP des Teilchens i bezüglich des Schwerpunkts. Siehe Abb. 6. Figur 6. 483 Wenn der starre Körper sich bewegt, wird seine Bewegung in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt aufgeteilt. Siehe Abb. 7. Physik 484 SP Rotation um den Schwerpunkt Die Bewegung starrer Körper Bahnkurve des Schwerpunkts mi ri,SP SP SP Figur 7. Die Bewegung des starren Körpers wird in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt aufgeteilt. Wir verwenden nun die allgemeinen Resultate über Teilchensysteme, die wir in Kap. 7 hergeleitet haben. In Kap. 7.12 haben wir gesehen, dass die gesamte kinetische Energie eines Teilchensystems die Summe von zwei Termen ist: die kinetische Energie des Schwerpunkts und die kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt. Wir haben dieses Ergebnis so ausgedrückt: E kin kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt r r 2 1 r 1 =  miv i2 =  mi (v SP + v i,SP ) 2 i =1, N 2 i =1, N r 2 r 2 1 1 = M (v SP ) +  m (v ) 2 4243 2 =1,N i i,SP 1 1i 4 42443 kinetische Energie des Schwerpunkts Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Energie des starren Körpers bezüglich SP wobei die Geschwindigkeit eines Teilchens als die Summe der Schwerpunktsgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Teilchens relativ zum Schwerpunkt ausgedrückt wurde r r r v i = v SP + v i,SP { Nun werden wir die Rotation um die Drehachse betrachten. Die Rotation entspricht der Bewegung bezüglich des Schwerpunkts, weil die Gestalt des starren Körpers sich nicht ändert. r r r fi v i = w ri sin g = wrD,i Als Folge geht die entsprechende Drehachse der Rotation um den Schwerpunkt durch den Schwerpunkt des starren Körpers. Weil r r r v i = w ¥ ri 1 i r r i  2 m (w ¥ r ) 1 I w2 2 D i =1, N 2 = i D, i 1  2 m (wr ) i =1, N ˆ 2 1Ê = Á  mi rD,i 2 ˜ w 2 2 Ë i =1,N ¯ wobei rD,i der Abstand des Teilchens i von der Drehachse ist, folgt, dass die kinetische Energie bezüglich des Schwerpunkts (d.h. die Rotationsenergie) gleich Rot E kin = ∫ ist. Damit folgt die Definition: ID ∫ i D, i Âmr i =1, N 2 485 Das Trägheitsmoment des Körpers I relativ zur Rotationsachse D ist definiert als Physik 486 Die Bewegung starrer Körper I D = Ú r 2 dm Für eine kontinuierliche Masseverteilung ist es gleich: MKS-Einheit: kg m2 Für die gesamte kinetische Energie des starren Körpers gilt deshalb E kin Energie der Rotation um den Schwerpunkt r 2 1 r 2 1 = M (v SP ) +  mi (v i,SP ) 2 2 i =1,N r 2 1 1 I ,SPw 2 = M (v SP ) + 2 4243 24D2 1 1 4 3 kinetische Energie des Schwerpunkts Die Gesamtenergie ist die Summe der kinetischen und potentiellen Energien (Siehe Kap. 7.13) E = E kin + E pot Energie der Rotation um den Schwerpunkt wie wenn die Gesamtmasse im SP konzentriert wäre r 2 1 1 = M (v SP ) + I D,SPw 2 + E pot ,externe + E pot, interne 2 2 r 2 1 1 = M (v SP ) + I ,SPw 2 + E pot ,externe 14 24 3 2 4243 24D2 1 1 4 3 Potentielle Energie kinetische Energie des Schwerpunkts wobei wir mögliche Änderungen der internen potentiellen Energie in der letzten Zeile vernachlässigt haben. Wir erinnern uns daran, dass die externe potentielle Energie die gleiche ist, wie wenn die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. In dieser Gleichung müssen wir deshalb zwei Bewegungen unterscheiden: Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Energie des starren Körpers 1. 2. Die Bewegung des Schwerpunkts mit Geschwindigkeit vSP unter der Wirkung der äusseren potentiellen Energie. Die äussere potentielle Energie hängt nur von der Lage des Schwerpunkts ab und wird berechnet, wie wenn die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. Die Rotation des Körpers um seinen Schwerpunkt. Die Drehachse geht durch den Schwerpunkt. Die Richtung der Drehachse kann sich trotzdem mit der Zeit ändern. 10.4.1 Anwendung: Bewegung des Rotors Wir betrachten einen Rotor mit zwei gleichen Massen m. Was ist die Gesamtenergie des Systems? Demonstrationsexperiment:Gewicht auf Rotor 487 Der Rotor besteht aus einer Achse und zwei Massen. Der Abstand r zwischen den Massen und der Drehachse kann geändert werden. Ein Ende einer masselosen Schnur wird um die Achse des Rotors aufgewickelt, und am anderen Ende der Schnur wird eine Masse M angehängt (Siehe Abb. 8). Physik 488 Rotor mit Massen und einem aufgehängten Gewicht. Die Bewegung starrer Körper Figur 8. Rotationsenergie der Massen m 1 I Dw 2 22 1 3 Die gesamte Energie des Systems ist gleich Energie der Masse M 1 E = Mv 2 + Mgh + 2 4 1 4244 3 wobei w die Winkelgeschwindigkeit des Rotors ist (d.h. die Winkelgeschwindigkeit der Massen m um die Rotorachse), und v und h sind die Geschwindigkeit und die Höhe der aufgehängten Masse. Wenn die Masse M losgelassen wird (Anfangsbedingung: v=0, d.h. w=0), wird ihre potentielle Energie Mgh in kinetische Energie der Masse M und Rotationsenergie des Rotors umgewandelt. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Berechnung des Trägheitsmoments eines starren Körpers i =1, N i D, i Âmr 2 = mr 2 + mr 2 = 2 mr 2 Das Trägheitsmoment des Rotors (d.h. der beiden Massen m) ist gleich ID ∫ Es nimmt mit dem Quadrat des Abstandes r zu. Wenn sich beide Massen mit einer bestimmten Winkelgeschwindigkeit w um die Rotorachse drehen, dann ist umso mehr Rotationsenergie im Rotor gespeichert, je grösser der Abstand r von der Achse ist. Es folgt, dass weniger Energie für die Translationsbewegung der Masse M vorhanden ist. Die Masse M wird desto langsamer fallen, je grösser der Abstand r zwischen beiden Massen und der Rotorachse ist. 10.5 Berechnung des Trägheitsmoments eines starren Körpers Ein starrer Körper besteht aus einer sehr grossen Zahl dicht gepackter Teilchen. Für eine solche kontinuierliche Masseverteilung wird das Trägheitsmoment mit dem Integral gewonnen I D = Ú r 2 dm 489 wobei r der Abstand des Massenelements dm von der Drehachse ist. Physik 490 Die Bewegung starrer Körper 10.5.1 Trägheitsmoment eines homogenen Ringes Wir betrachten die Drehbeweung eines homogenen Ringes um eine Achse, die durch seinen Mittelpunkt geht und senkrecht zur Ringebene liegt. Beim Ring mit Radius R befindet sich die gesamte Masse beim konstanten Abstand R. Das Integral ist dann I D ( Ring) = Ú r 2 dm = R 2 Ú dm = MR 2 wobei M die gesamte Masse des Ringes ist. 10.5.2 Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders Wir betrachten das Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders mit Gesamtmasse M und Radius r bezüglich der Zylinderachse. dr Berechnung des Trägheitsmoments eines homogenen Zylinders. R r Wir unterteilen den Zylinder in eine Serie von konzentrischen dünnwandigen Hohlzylindern mit Radius r und Dicke dr. Siehe Abb. 9. Figur 9. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Berechnung des Trägheitsmoments eines starren Körpers 2prdr 2 Mr 3 dr = R2 pR 2 Das Trägheitsmoment dI des dünnwandigen Hohlzylinders mit Radius r ist gleich dI = r 2 dm = r 2 M Das Trägheitsmoment des Zylinders ist die Summe der Trägheitsmomente der einzelnen Hohlzylinder mit Radius r: 3 r=R r = R r dr I D ( Zylinder) = Ú dI = 2 M Ú = r=0 r=0 R2 2 M r=R 3 2 M R4 1 r dr = 2 = MR 2 R 4 2 R 2 Úr = 0 = Das Trägheitsmoment des Zylinders mit einem Radius r ist kleiner als das eines Hohlzylinders mit demselben Radius, weil im Fall des Zylinders sich auch Teilchen bei Radien r<R befinden, und diese Teilchen tragen weniger zur Rotationsenergie bei, als wenn sie sich beim Radius r=R befinden würden. 10.5.3 Trägheitsmoment einiger einfacher Körper 491 Für homogene Körper kann das Trägheitsmoment ausschliesslich aus ihrer Geometrie abgeleitet werden. Wir fassen hier die Trägheitsmomente einiger einfacher Körper zusammen. Die Gesamtmasse des Körpers ist M. Wir betrachten nur Rotationsachsen, die durch den Schwerpunkt gehen. Physik 492 Zylinder: Radius R Achse I= Achse b c Achse Länge l MR 2 Ml 2 + 4 12 Radius R I= Ê a2 + b2 ˆ I = MÁ ˜ Ë 12 ¯ Ein Quader (Parallelepiped mit rechten Winkeln): MR 2 2 Die Bewegung starrer Körper 1. 2. a Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) a a Dünner Stab: Achse l Achse b b Achse Rechteckige Platte: Berechnung des Trägheitsmoments eines starren Körpers 3. 4. Länge l Physik Ê a2 + b2 ˆ I = MÁ ˜ Ë 12 ¯ Ê b2 ˆ I = MÁ ˜ Ë 12 ¯ Ê l2 ˆ I = MÁ ˜ Ë 12 ¯ 493 494 Hohlzylinder: Achse Radius R Achse I= I= MR 2 2 M ( R12 + R22 ) 2 I = MR 2 Dünnwandiger Hohlzylinder (alias ein Ring): Radius R Kreisscheibe: Die Bewegung starrer Körper 5. 6. 7. innerer Radius R1 äusserer Radius R2 Achse Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Kugel: Achse Berechnung des Trägheitsmoments eines starren Körpers 8. Radius R 10.5.4 Der Satz von Steiner Vollkugel: 2 MR 2 I= 5 Dünnwandige Hohlkugel: 2 MR 2 I= 3 Die Trägheitsmomente bezüglich parallelen Achsen sind über eine einfache Gleichung miteinander verbunden. Die Achse D sei eine willkürliche Achse und DSP eine parallele Achse dazu, die durch den Schwerpunkt des Körpers geht. Satz von Steiner: Wenn a der Abstand zwischen den beiden parallelen Achsen ist, gilt die folgende Beziehung: I = I SP + Ma 2 wobei I und ISP die Trägheitsmomente des Körpers relativ zu D und DSP sind und M die Masse des Körpers darstellt. 495 Der Beweis: Das Koordinatensystem xSP,ySP,zSP hat seinen Ursprung im Schwerpunkt des Körpers. Wir wählen die Koordinatenachsen so, dass y und ySP zusammenfallen und die z-Achse parallel zur Rotati- Physik 496 Die Bewegung starrer Körper onsachse D ist. Damit ist der Abstand eines beliebigen Punkts P des Körpers bezüglich der Achse D: r 2 = x 2 + ( y + a) 2 2 ) wobei x und y die Komponenten des Punkts bezüglich des Schwerpunkts sind. Das Trägheitsmoment bezüglich der Achse D ist gleich: ( I =  mR 2 =  m x 2 + ( a + y ) =  m( x 2 + a 2 + 2 ya + y 2 ) =  m( x 2 + y 2 ) + a 2  m + 2 a  my Der erste Term ist das Trägheitsmoment bezüglich der Achse, die durch den Schwerpunkt geht. Der letzte Term verschwindet wegen der Definition des Schwerpunkts. Schliesslich, I =  m( x 2 + y 2 ) + a 2  m = I SP + Ma 2 10.6 Rollender Körper 10.6.1 Die Rollbedingung Ein rollender Körper rotiert um eine feste Achse, bewegt sich aber gleichzeitig noch vorwärts. Es ist aber auch möglich, die Bewegung eines rollenden Körpers als reine Drehbewegung zu behandeln (Siehe Kap. 10.6.3). Wir diskutieren zuerst die erste Möglichkeit. Wir betrachten die Bewegung eines Zylinders, der auf einer Fläche rollt. Wenn der Zylinder rollt ohne zu gleiten, kann die Winkelge- Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Rollender Körper schwindigkeit des Körpers einfach in Beziehung zur Geschwindigkeit seines Schwerpunkts gesetzt werden (Rollbedingung). = Rw ¸ Ô v SP ˝ R ˛Ô für einen rollenden Körper (ohne zu gleiten) Rollbedingung: Wenn der Körper sich ohne zu gleiten bewegt, gilt v SP w= Siehe Abb. 10. 497 Figur 10. Die Beziehung zwischen der linearen Geschwindigkeit des Schwerpunkts und der Winkelgeschwindigkeit um den Schwerpunkt, wenn der Körper sich ohne zu gleiten bewegt. Physik 498 Die Bewegung starrer Körper 10.6.2 Beschleunigung auf der schiefen Ebene Demonstrationsexperiment: Schiefe Ebene. Verschiedene Zylinder der gleichen Masse M, aber mit verschiedenen radialen Masseverteilungen (d.h. verschiedenen Trägheitsmomenten) werden auf einer schiefen Ebene losgelassen. Wir beobachten die Ankunftszeiten der Zylinder. Die Zylinder werden losgelassen. Wenn die Zylinder auf der schiefen Ebene rollen, erreichen sie nicht zur selben Zeit den Boden , d.h. die Zylinder werden nicht gleich beschleunigt. Figur 11. Schiefe Ebene: Verschiedene Zylinder der gleichen Masse aber mit verschiedenen radialen Masseverteilungen werden losgelassen. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Rollender Körper Figur 12. Masseverteilung der drei Zylinder: (a) Masse hauptsächlich im Zentrum (b) homogene radiale Verteilung (c) Hohlzylinder (Ring). Wir betrachten nun die Bewegung eines Zylinders, der auf einer schiefen Ebene rollt. Siehe Abb. 13. Wir berechnen die Beschleunigung des Zylinders als Funktion seines Trägheitsmoments 1 1 2 Mv SP + I D,SPw 2 + Mgh 2 2 Die gesamte Energie eines Zylinders ist gleich E= 499 wobei vSP die (lineare) Geschwindigkeit seines Schwerpunkts und w seine Winkelgeschwindigkeit ist. Physik 500 Die Bewegung starrer Körper . Figur 13. Schiefe Ebene mit Neigungswinkel a. Die vom Zylinder zurückgelegte Strecke wird als x(t) bezeichnet. Auf der schiefen Ebene wird die potentielle Energie der Zylinder in kinetische Energie der Translation und der Rotation umgewandelt. Die Beschleunigung hängt vom Trägheitsmoment des Zylinders ab. Je grösser das Trägheitsmoment des Zylinders ist, desto kleiner ist die Beschleunigung. I ˆ 2 1 1 1Ê 2 Mv SP + I D,SPw 2 = Á M + D,SP ˜v 2 2 2Ë R 2 ¯ SP Wir betrachten einen Körper, der sich auf einer schiefen Ebene befindet und der ohne zu gleiten rollt. Die gesamte kinetische (Translations- und Rotations-) Energie ist in diesem Fall gleich E kin = Die gesamte Energie des Körpers ist damit gleich I ˆ 2 1Ê E = E kin + Mgh = Á M + D,SP ˜ v + Mgh 2Ë R 2 ¯ SP Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Rollender Körper Die Bewegung starrer Körper Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) r v SP Die Geschwindigkeit jedes Punktes des Zylinders ist senkrecht zu der direkten Verbindungslinie zwischen diesem Punkt und der momenta- Der rollende Körper rotiert zu jedem Zeitpunkt um eine auf der Zeichenebene senkrechten Drehachse durch den Berührungspunkt P. Man kann sich eine Gerade vorstellen, die bei P senkrecht aus der Zeichenebene herauskommt. Diese Gerade, d.h. die Berührungslinie des rollenden Körpers, kann als eine momentane Drehachse betrachtet werden. P Wir betrachten noch einmal einen Zylinder, der auf einer Ebene ohne zu gleiten, rollt. Der Zylinder berührt die Ebene ständig beim Punkt P. 10.6.3 Die momentane Drehachse eines rollenden Körpers 502 Wenn wir diese Gleichung als Funktion der Zeit betrachten, erhalten wir für eine schiefe Ebene (Siehe Abb. 13) I ˆ 2 1Ê E = Á M + D,SP ˜ v ( t) + Mg( H - x ( t)sin a ) = Konst. 2Ë R 2 ¯ SP Wenn die gesamte Energie konstant ist, wird die zeitliche Ableitung der gesamten Energie verschwinden: I ˆ d 2 d dE 1 Ê = Á M + D,SP ˜ (v ( t)) - Mg sin a x ( t) dt dt 2 Ë R 2 ¯ dt SP I ˆ dv 1Ê = Á M + D,SP ˜ 2v ( t) SP - Mg sin av SP ( t) = 0 dt R 2 ¯ SP 2Ë I ˆ Ê fi Á M + D,SP ˜ a - Mg sin a = 0 Ë R 2 ¯ SP Es folgt, dass die Beschleunigung des Schwerpunkts des rollenden Körpers gleich Mg sin a < g sin a aSP = I D,SP ˆ Ê ÁM + 2 ˜ Ë R ¯ ist. Wie erwartet nimmt die Beschleunigung des Körpers mit seinem Trägheitsmoment ab und sie ist kleiner als gsina. 501 Der Wert gsina ist das Ergebnis, wenn wir die Rotationsenergie des Körpers vernachlässigen. Physik Rollender Körper nen Drehachse gerichtet und der Betrag ist proportional zum Abstand: P Diese Beschreibung entspricht genau der Darstellung, dass sich der Zylinder zu diesem Zeitpunkt um eine feste Achse durch P mit der Winkelgeschwindigkeit w dreht. Man kann deshalb sagen, dass der Zylinder zu jedem gegebenen Zeitpunkt nur eine Drehbewegung ausführt. 1 I w2 2 P Was ist die kinetische Energie des Zylinders, wenn wir nur die Drehung betrachten? Diese entspricht nur einer Drehbewegung und ist daher: E kin = I P = I SP + mR 2 503 wobei IP das Trägheitsmoment des Zylinders bezüglich P ist. Mit dem Satz von Steiner können wir dieses Trägheitsmoment durch das Trägheitsmoment des Zylinders bezüglich einer parallelen Achse durch den Schwerpunkt ausdrücken: Physik 504 Die Bewegung starrer Körper Damit ist die kinetische Energie des Zylinders gleich: E kin 1 1 = I w 2 = ( I + mR 2 )w 2 2 P 2 SP 1 1 I w 2 + mR 2w 2 2 SP 2 = Wir bemerken, dass der Ausdruck wR genau die Geschwindigkeit des Schwerpunkts ist! D.h., E kin 1 1 2 = I SPw 2 + m(wR) 2 2 1 1 2 I w 2 + mv SP 2 SP 2 = Der erste Teil ergibt die Energie des Zylinders, als ob er nur eine Rotation um seinen Schwerpunkt ausführen würde. Der zweite Teil ist die Energie des Zylinders, wenn er nur eine Translationsbewegung ausführen würde. Wir können diese Gleichung, die wir aus einer reinen Drehbewegung hergeleitet haben, so interpretieren: 1. 2. Es folgt, dass wir uns die Bewegung des Zylinders in zwei unterschiedlichen Weisen vorstellen können. Das Ergebnis ist natürlich von dieser Annahme unabhängig. Beide Darstellungen können verwendet werden. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehimpuls eines starren Körpers und Erhaltungsgesetz des Drehimpulses 10.7 Drehimpuls eines starren Körpers und Erhaltungsgesetz des Drehimpulses i =1, N Um den Gesamtdrehimpuls eines Teilchensystems bezüglich eines Drehpunkts zu berechnen, muss man die Einzeldrehimpulse aller Teilchen vektoriell addieren: r r r r r L = L1 + L2 + L3 + ... =  Li i =1, N i ÂL r Der Drehimpuls eines starren Körpers ist gleich dem Gesamtdrehimpuls der Teilchen des Körpers r L= Erhaltungsgesetz: wie im Fall des einzelnen Teilchens (Siehe Kap. 9.3), erwarten wir, dass das Drehmoment für die zeitliche Änderung des Drehimpulses verantwortlich ist: r r dL =M dt Wenn der starre Körper isoliert ist, oder wenn das resultierende Drehmoment verschwindet, bleibt der gesamte Drehimpuls des Körpers konstant r r M = 0 ¤ L = Konst. 505 Wir werden dieses Gesetz im nächsten Abschnitt experimentell überprüfen, und werden es in mehr Einzelheiten im Kap. 10.8 diskutieren. Physik 506 Die Bewegung starrer Körper 10.7.1 Drehimpuls eines Velorads Wir beginnen mit der Berechnung des gesamten Drehimpulses eines Velorads. Wir stellen uns vor, dass das Velorad aus einer Ansammlung von Teilchen der Masse m besteht, die mit masselosen Stäben verbunden sind. Das Velorad wird deshalb als ein homogener Ring betrachtet. Das Velorad wird als ein homogener Ring betrachtet. Siehe Abb. 14. Figur 14. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehimpuls eines starren Körpers und Erhaltungsgesetz des Drehimpulses Der Drehimpuls der einzelnen Teilchen der Masse m ist gleich r Li = mRv i = mR( Rw ) = ( mR 2 )w weil jedes Teilchen dieselbe Geschwindigkeit Rw und denselben Radius R besitzt. Die Bewegung starrer Körper Es folgt, dass der gesamte Drehimpuls einfach gefunden wird. Der Betrag des gesamten Drehimpulses ist gleich der Summe der Beträge der Drehimpulse der einzelnen Teilchen. Im Velorad ist die Richtung des Drehimpulses zur Winkelgeschwindigkeit parallel. Der Drehimpuls kann schliesslich so ausgedrückt werden:: r r r r r L =  Li =  ( mR 2 )w = ( MR 2 )w = I Dw i =1, N i =1, N Wir erkennen einen Teil, der dem Trägheitsmoment des Velorads (des Ringes) entspricht. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) w Die Richtung des Drehimpulsvektors wird mit Hilfe der RechteHand-Regel gefunden. Wir bemerken, dass die Drehimpulsvektoren der Teilchen parallel zueinander sind, weil r r r r r r Li = mri ¥ v i = mri ¥ (w ¥ ri ) 508 Demonstrationsexperiment: Drehimpulssatz mit Velorad 507 Siehe Abb. 15. Figur 15. Der gesamte Drehimpuls des Velorads (des Ringes) ist zur Winkelgeschwindigkeit parallel, weil die Drehimpulse der einzelnen Teilchen parallel zueinander und zur Winkelgeschwindigkeit sind. Physik Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Wir bemerken, dass gilt: r r r r r r r L = L1 + L2 = r1 ¥ p1 + r2 ¥ p2 r r r r = r1 ¥ p1 + (- r1 ) ¥ (- p1 ) r r = 2 r1 ¥ p1 Jede der beiden Massen der Hantel besitzt einen Drehimpuls. Der Gesamtdrehimpuls ist gleich der vektoriellen Summe der beiden Drehimpulse. Wir betrachten nun ein einfaches Beispiel für einen rotierenden Körper, der nicht symmetrisch zur Rotationsachse aufgebaut ist. Wir nehmen eine langgestreckte Hantel, deren (masseloser) Verbindungsstab unter einem Winkel a zur Rotationsachse liegt. Im Fall des Velorads war die Masse symmetrisch um die Achse verteilt. Wenn das Velorad um seine Achse dreht, ist sein Drehimpuls zur Achse parallel. 10.7.2 Drehimpuls einer Hantel Die Person wird sich mit dem Drehimpuls 2LVelorad “nach rechts” drehen. Weil der gesamte Drehimpuls erhalten werden muss, folgt r r r r r r r Lnach = LPerson - LVelorad = Lvor = LVelorad fi LPerson = 2 LVelorad Die Bewegung starrer Körper 2L Drehimpuls eines starren Körpers und Erhaltungsgesetz des Drehimpulses L Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r Lnach = LPerson - LVelorad L Erhaltung des Drehimpulses. 510 Wir betrachten die Anordnung der Abb. 16 (links). Eine Person hält ein Velorad. Figur 16. =0 Am Anfang dreht sich das Velorad um seine Achse “nach rechts” (Siehe Abb. 16), so dass sein Drehimpuls nach oben zeigt. Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r r Lvor = LPerson + LVelorad = LVelorad 123 r r LVelorad Æ - LVelorad 509 Die Person wird jetzt die Achse der Rotation des Velorads so ändern, dass der Drehimpuls des Velorads nach unten zeigt, d.h. das Velorad dreht sich “nach links”. Der Drehimpuls des Velorads hat sich so verändert Physik r r2 r r1 r p1 feste Drehachse z r w a O w r r r1 = r2 = l Halbe Länge des Stabs: l Drehimpuls eines starren Körpers und Erhaltungsgesetz des Drehimpulses r L r p2 Figur 17. Eine langgestreckte Hantel. Der Drehimpuls und der Winkelgeschwindigkeitsvektor sind nicht parallel zueinander. Der Betrag der Impulse der Massen ist gleich: r r p1 = p2 = mv = m( rw ) = mlw sin a 511 Der Ortsvektor und der Impuls der einzelnen Massen sind senkrecht zueinander. Der Betrag des Drehimpulses ist deshalb gleich: r L = 2( l)( mlw sin a ) = 2 ml 2w sin a Physik 512 Die Bewegung starrer Körper w Wie im Fall des konischen Pendels (Siehe Kap. 9.5), dreht der Drehimpuls um die Drehachse: r feste Drehachse w r L a O Bei der rotierenden Hantel sind der Drehimpuls und der Winkelgeschwindigkeitsvektor nicht parallel. Im Allgemeinen sind Drehimpuls und der Winkelgeschwindigkeitsvektor von nicht-symmetrischen Körpern nicht parallel. 10.8 Allgemeine Dynamik der starren Körper Die Bewegungsgleichung des Schwerpunkts eines Teilchensystems, die natürlich auch für einen starren Körper gilt, haben wir schon erwähnt (Siehe Kap. 7.9): Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Allgemeine Dynamik der starren Körper r r r dv MaSP = M SP = Fext dt wobei Fext die resultierende äussere Kraft ist. Die Bewegung des Schwerpunkts entspricht der Translationsbewegung des starren Körpers. Wir betrachten nun den gesamten Drehimpuls. Wenn wir den starren Körper als Teilchensystem betrachten, gilt r r r r r dL dL =  i =  M =  r ¥ Fi dt i =1,N dt i =1,N i i =1,N i wobei Mi das auf das Teilchen i wirkende Drehmoment ist. i =1, N i i,int ( ) ) i =1, N i =1, N Als wir im Kap. 7.9 von der Dynamik des Schwerpunkts eines Teilchensystems gesprochen haben, haben wir die resultierende Kraft, die auf ein Teilchen wirkt, in interne und externe Kräfte unterteilt: r r r Fi = Fi,int + Fi,ext i Es folgt, dass das resultierende Drehmoment, das auf das Teilchen i wirkt, so geschrieben werden kann r r r r r r r r r + Fi,ext =  ri ¥Fi,int +  ri ¥Fi,ext i  r ¥ F =  r ¥(F i =1, N 513 Wegen dem Aktion-Reaktion Gesetz nehmen wir an, dass die internen Kräfte zwischen Paaren von Teilchen wirken (Siehe Kap. 7.5). Die Drehmomente solcher Paare kompensieren einander. Siehe Abb. 18. Physik 514 Teilchen i Die Bewegung starrer Körper ri r1 1 r F12 interne r2 2 F21 interne Figur 18. Das resultierende Drehmoment. Die durch innere Kräfte ausgeübten Drehmomente von Paaren kompensieren einander. Es folgt der Drehimpulssatz r r r r dL =  r ¥F = M ext dt i =1,N i i,ext wobei Mext das resultierende Drehmoment ist. wobei Fext die resultierende äussere Kraft ist. Translation des Schwerpunkts: r r r dp = MaSP = Fext dt Zusammenfassend kann die Dynamik des starren Körpers durch zwei Gleichungen bestimmt werden: 1. 2. Rotation um eine Drehachse: r r dL = M ext dt Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse nur für Hauptachsen Wir bemerken, dass die Form der zwei Gleichungen nicht identisch ist. Bei der Translationsbewegung finden wir die Beschleunigung des Schwerpunkts. Im Fall der Rotation haben wir gesehen, dass die Beziehung zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit nicht immer trivial ist. Im nächsten Abschnitt werden wir die Spezialfälle betrachten, bei denen die Form beider Gleichungen identisch ist, nämlich: r r r Ï dp = MaSP = Fext ÔÔ dt Ì r r r Ô dL ÔÓ dt = I Da = M ext 10.9 Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse Im Kap. 10.7 haben wir das folgende Resultat illustriert: Im Allgemeinen sind der Drehimpuls und der Winkelgeschwindigkeitsvektor nicht parallel zueinander. Es gibt Fälle, bei denen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit parallel zueinander sind (z.B. wenn wir die Drehung eines Velorads um seine Achse betrachten). i =1, N 515 Man kann den allgemeinen Fall untersuchen, wenn man den Drehimpuls als die vektorielle Summe der einzelnen Drehimpulse betrachtet: r r r r r L = L1 + L2 + L3 + ... =  Li Physik 516 Die Bewegung starrer Körper Wir haben gesehen, dass der einzelne Drehimpuls als Funktion der Winkelgeschwindigkeit so ausgedrückt werden kann: r r r r r r Li = mi ri ¥ v i = mi ri ¥ (w ¥ ri ) i =1, N Damit ist der Gesamtdrehimpuls gleich: r r r r L =  mi ri ¥ (w ¥ ri ) Wir verwenden ein kartesisches Koordinatensystem und schreiben: r r r r r r r r w = w x ex + w y ey + w zez und ri = x iex + y iey + ziez Wir fügen nun diese Komponenten im Kreuzprodukt ein und erhalten: ( ) ( ) r r r r r w ¥ ri = w y zi - w z y i ex + (w z x i - w x zi )ey + w x y i - w y x i ez und damit: i i i z i i y i x ) i z ) ) ( ( ) ) ) ) i i x i y r r r r r r r r r r r r r r ¥ (w ¥ r ) = ((w ¥ r ) y - (w ¥ r ) z )e - ((w ¥ r ) x - (w ¥ r ) z )e ( ) (( (( ( r r r r r + (w ¥ ri ) y x i - (w ¥ ri ) x y i ez r = w x y i - w y x i y i - (w z x i - w x zi ) zi ex r - w x y i - w y x i x i - w y z i - w z y i z i ey r + (w z x i - w x zi ) x i - w y zi - w z y i y i ez Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse (( (( ( ( ( ( ) ) ( ( ) ) ) ) )) )) Wir vereinfachen den Ausdruck: r r r r ri ¥ (w ¥ ri ) = w x y i y i - w y x i y i - (w z x i zi - w x zi zi ) ex r - w x x i y i - w y x i x i - w y z i z i - w z z i y i ey r + w x x - w x z - w y z - w y i y i ez ( ) z i i x i i y i i z r = w x y i2 - w y x i y i - w z x i zi + w x zi2 ex r + -w x x i y i + w y x i2 + w y zi2 - w z zi y i ey r + w z x i2 - w x x i zi - w y y i zi + w z y i2 ez ( ( ( i y x 2 i i ) ) ) 2 i i x y i i i i z i i z y x r + z ) - w x y - w x z )e r + z ) - w x y - w z y )e ) i i Schliesslich können die Terme so gesammelt werden: r r r r ri ¥ (w ¥ ri ) = w x ( y i2 + zi2 ) - w y x i y i - w z x i zi ex r + w y ( x i2 + zi2 ) - w x x i y i - w z zi y i ey r + w z ( x i2 + y i2 ) - w x x i zi - w y y i zi ez i =1, N i =1, N N i =1,N r +  mi w z ( x i2 + y i2 ) - w x x i zi - w y y i zi ez i L =  m (w ( y +  m (w ( x ( Der Gesamtdrehimpuls ist deshalb gleich: r 2 2 Physik 517 518 Die Bewegung starrer Körper oder r i =1, N i =1, N i i x x 2 i i i 2 i y y 2 i i i 2 i z i i z i i x y r L =  m (w ( y + z ) - w x y - w x z )e r +  m (-w x y + w ( x + z ) - w z y )e ( ) i =1,N r +  mi -w x x i zi - w y y i zi + w z ( x i2 + y i2 ) ez ( ( ( i  m (y i =1, N 2 i + zi2 ) ) ) ) Der Gesamtdrehimpuls kann deshalb so geschreiben werden: r r L = I xxw x + I xyw y + I xzw z ex r + I yxw x + I yyw y + I yzw z ey r + I zxw x + I zyw y + I zzw z ez wobei I xx = i =1, N I xy = -  mi x i y i i =1, N I xz = -  mi x i zi Die anderen Terme können durch den Austausch xÆy, yÆz und zÆx hergeleitet werden. Die Beziehung zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit kann in Matrixform ausgedrückt werden: r r L = Iˆw Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) I xy I yy I zy I xz ˆ I yz ˜˜ I zz ¯˜ i i =1, N i i i 2 i -  mi y i zi i =1, N i =1, N 2 i i =1, N i =1, N i i =1, N i i i 2 i 2 i i i i ˆ - mx y - mxz ˜ ˜  m (x + z ) -  m y z ˜ ˜  m ( x + y )¯˜ Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse wobei Ê I xx Iˆ = ÁÁ I yx Á Ë I zx Ê 2 2 Á  mi ( y i + zi ) Á i =1,N = Á -  mi x i y i Á i =1,N Á -  mi x i y i Ë i =1,N eine symmetrische Matrix ist, die als Trägheitstensor bezeichnet wird. Die Beziehung zwischen Winkelgeschwindigkeit und Drehimpuls ist nicht trivial. Wir werden uns nicht mit den allgemeinen Fällen beschäftigen und immer nur Drehungen um spezielle Achsen der starren Körper, die sogenannten Hauptachsen, betrachten. Wir beginnen mit der folgenden Bemerkung: 519 Wenn das Koordinatensystem so gewählt wird, dass die Masseverteilung um eine Achse symmetrisch ist, werden die nichtdiagonalen Terme verschwinden. Physik 520 Die Bewegung starrer Körper Ê I xx Iˆ = Á I yx Á Á Ë I zx m m I xy I yy I zy i i i y I xz ˆ Ê I xx I yz ˜ = Á 0 ˜ Á I zz ¯˜ ËÁ 0 0 I 0 yy i =1, N 0ˆ 0˜ ˜ I zz ¯˜ i i i ) i =1, N i i i Âmxy = Âmxz = Âmyz i =1, N =0 Betrachte z.B. eine solche Situation: die nicht-diagonalen Elemente des Trägheitstensors verschwinden: z x In diesem Fall und ( r r r r L = ( I xxw x )ex + I yyw y ey + ( I zzw z )ez w x π 0 und w y = w z = 0 Die Winkelgeschwindigkeit zeigt in die Richtung einer der Achsen. Z.B. Wir unterscheiden zwei Fälle: 1. Es folgt: r r r r L = ( I xxw x )ex = I xx (w x ex ) ∫ I Dw Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) und die Winkelgeschwindigkeit und der Drehimpuls sind parallel zueinander. Die diagonalen Elemente des Trägheitstensors sind gleich: Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse 2. I xx = I yy = I zz ∫ I ( ) In diesem Fall r r r r r L = I (w x ex ) + I w y ey + I (w zez ) = Iw wieder sind die Winkelgeschwindigkeit und der Drehimpuls parallel zueinander. In der Mathematik kann man beweisen, dass durch eine Basistransformation eine beliebige symmetrische Matrix in eine diagonale Matrix transformiert werden kann. Es folgt: Für einen beliebigen Körper gibt es immer mindestens ein Koordinatensystem (d.h. drei zueinander senkrechte Achsen), relativ zu welchen der Trägheitstensor diagonal ist. Wir wenden diese Eigenschaft an und folgern: Für jeden Körper gibt es mindestens drei zueinander senkrechte Richtungen, für die der gesamte Drehimpuls parallel zur Winkelgeschwindigkeit ist, falls die Rotation um eine dieser Achsen erfolgt. 521 Diese Achsen heissen die Hauptträgheitsachsen (oder Hauptachsen). Für die Rotation um eine Hauptachse gilt r r L = I Dw Rotation um Hauptachsen Physik 522 Die Bewegung starrer Körper wobei ID das Trägheitsmoment bezüglich der betrachteten Hauptachse, L der gesamte Drehimpuls des Körpers und w die Winkelgeschwindigkeit um die Achse ist. In diesem Fall (Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit parallel) kann der Drehimpulssatz so geschrieben werden r r r r r dw dL d = I Da = M ext = (I w ) = ID dt dt dt D wobei a die Winkelbeschleunigung ist. Zusammenfassend haben wir die zweite Newtonsche Gleichung der Drehbewegung gefunden: r r r dL = I Da = M ext dt Die Beziehung gilt nur, wenn die Vektoren L und w parallel zueinander sind! Diese Formel kann mit dem zweiten Newtonschen Gesetz verglichen werden: r r r dp = ma = Fext dt wobei wir beobachten, dass das Trägheitsmoment die Rolle der (trägen) Masse spielt, der Drehimpuls die des linearen Impulses und das Drehmoment die der Kraft. Das fundamentale Newtonsche Gesetz wurde umformuliert! 10.9.1 Anwendung: Rotation eines Yoyos Wir betrachten ein Garn, das um die Achse eines Yoyos aufgewickelt ist. Das Yoyo besteht aus zwei identischen Zylindern und einem koaxial dazwischen geklebten kleineren Zylinder. Wir wollen bewei- Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse sen, dass das Drehmoment und nicht nur die Kraft für die Drehung verantwortlich ist. Demonstrationsexperiment: Garnrolle Wir ziehen an der Schnur mit einer konstanten Kraft. Der Winkel der Schnur bezüglich des horizontalen Tischs wird geändert. Wir beobachten die Drehung des Yoyos. Dass die Drehbewegung mit dem Drehmoment verknüpft ist, kann man in der folgenden Weise demonstrieren: (Siehe Abb. 19). 1. 2. 3. 523 Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse in die Zeichenebene hinein geht. Das Yoyo dreht sich nach rechts und das Garn wird um das Yoyo aufgewickelt. Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse aus der Zeichenebene heraus geht. Das Yoyo dreht sich nach links und das Garn wird sich abwickeln. Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse verschwindet. Das Yoyo gleitet auf dem Tisch ohne zu rotieren. Physik 524 Die Bewegung starrer Körper r F F Drehmoment verschwindet r Drehmoment geht Yoyo dreht nicht Drehachse in Blattebene hinein F r Drehmoment geht aus Blattebene heraus Yoyo dreht nach links Das Drehmoment ist für die Drehbewegung verantwortlich. Yoyo dreht nach rechts Figur 19. 10.9.2 Atwoodsche Maschine mit massiver Rolle Eine homogene Scheibe mit Radius R und Masse M kann frei um eine fixierte horizontale Achse rotieren, die durch ihren Mittelpunkt geht. Eine Masse m wurde an einem Seil aufgehängt. Das Seil wird auf den Umfang der Scheibe gewickelt. Siehe Abb. 20. Die Kraft im Seil wird als F bezeichnet. mg - F = ma Die Bewegungsgleichung der Masse m ist: Die Bewegungsgleichung der Scheibe ist: Ia = M ext = FR Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse I= r mg MR 2 2 Atwoodsche Maschine mit massiver Rolle. r F r -F Das Trägheitsmoment der Scheibe ist: Figur 20. a = Ra Drehachse Ia MR 2a MRa Ma = = = R 2R 2 2 525 Wenn das Seil immer gespannt ist, gilt die folgende Beziehung zwischen Winkelbeschleunigung und linearer Beschleunigung: F= Schliesslich erhalten wir: Physik 526 Die Bewegung starrer Körper mg - F = ma fi Die Beschleunigung ist damit: oder mg - Ma = ma 2 mg fi a = <g Mˆ Ê Ám + ˜ Ë 2¯ Die erhaltene Beschleunigung a ist kleiner als die, die ein frei fallender Körper (d.h. a=g) spüren würde. Die Trägheit der Scheibe bremst die Masse m. 10.9.3 Fallende massive Scheibe Wir bestimmen die Winkelbeschleunigung und die Abwärtsbeschleunigung des Schwerpunkts der folgenden aufgehängten Scheibe mit Radius R und Masse M. Siehe Abb. 21. Gleichung der Drehbewegung: Die Drehachse ist eine Hauptachse: Mg - F = MaSP Gleichung der Translationsbewegung (die positive Richtung wird nach unten gewählt): Wir betrachten die Translation des Schwerpunkts der Scheibe und die Drehung um eine Drehachse, die durch den SP geht. 1. 2. I SPa = M ext wobei das resultierende Drehmoment bezüglich der Drehachse berechnet werden muss. Wir finden: M ext = FR - ( Mg)(0) = FR Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) aSP = Ra SP r Mg Fallende massive Scheibe. r F Drehachse 527 wobei wir bemerken, dass die Gravitationskraft kein Drehmoment auf die Scheibe bewirkt bezüglich der Drehachse durch den SP. Rollbedingung: Wenn der Faden nicht auf der Scheibe gleitet, gilt: Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse 3. Figur 21. Ï Mg - F = MRa Ì ÓI SPa = FR Wir setzen diese Gleichungen zusammen und erhalten: Physik 528 Die Bewegung starrer Körper 1 MR 2 2 1 1 MRa = MaSP 2 2 I SP = Das Trägheitsmoment der Scheibe ist: d.h. F= Mg - und a = 1 MRa = MRa 2 2 g< g 3 2 g 3R Wenn wir die Kraft F aus dem vorigen Gleichungssystem eliminieren, erhalten wir: oder a= Die Beschleunigung ist kleiner als die beim freien Fall. Die Drehung der Scheibe bremst den Fall. Die Beschleunigung ist unabhängig von der Grösse und Masse der Scheibe. Die Unabhängigkeit von der Masse kann man verstehen, wenn man bemerkt, dass das resultierende Drehmoment und das Trägheitsmoment zur Masse proportional sind. Je massiver die Scheibe ist, desto grösser ist das Drehmoment, aber desto grösser ist auch der Effekt der Trägheit der Scheibe. Die Unabhängigkeit vom Radius der Scheibe wird so erklärt. Das Trägheitsmoment nimmt mit dem Quadrat des Radiuses zu. Das Drehmoment nimmt proportional zum Radius zu. Als Folge nimmt die Winkelbeschleunigung mit dem inversen Radius ab. Aus geometrischen Gründen ist die Beschleunigung des Schwerpunkts gleich Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse der Winkelbeschleunigung mal den Radius, d.h. die Beschleunigung des Schwerpunkts ist vom Radius unabhängig. 10.9.4 Das physikalische Pendel Das physikalische Pendel ist ein wichtiges Beispiel für die Bewegung eines starren Körpers. Man versteht darunter jeden starren Körper, der unter der Wirkung der Gravitationskraft frei um eine feste horizontale Achse schwingen kann. b Schwerpunkt Drehachse Wir betrachten die folgende Anordnung, wobei SP der Schwerpunkt des Körpers ist. Der Abstand des Schwerpunkts von der Schwingungsdrehachse wird als b bezeichnet. q r mg 529 Das Trägheitsmoment bezüglich der Schwingungsdrehachse wird als I bezeichnet. Physik 530 Die Bewegung starrer Körper Das Drehmoment bezüglich der Drehachse kann so ausgedrückt werden, wobei der Winkel q in der Abb. definiert wurde: d 2q dt 2 M = - mgb sin q a= Die Winkelbeschleunigung ist: r r M || w r w d M =I dt d 2q = - mgb sin q dt 2 d .h . Mit dem zweiten Newtonschen Gesetz für die Drehbewegung erhalten wir: oder M = Ia = I Für kleine Schwingungen kann die übliche Näherung durchgeführt werden (Siehe Kap. 5.5): d 2q mgb ªq dt 2 I Das Trägheitsmoment muss zur Masse proportional sein. Wir schreiben: I ∫ mK 2 wobei K als Trägheitsradius des Körpers bezeichnet wird. Damit: d 2q gb + q=0 dt 2 K 2 Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse gb K2 fi T = 2p Drehachse K2 gb Die Lösung ist eine harmonische Schwingung mit der Periode: w2 = Beispiel: ein aufgehängter Ring mit Radius R. R Schwerpunkt I SP = mR 2 Sein Trägheitsmoment bezüglich des Zentrums des Rings ist: Mit dem Satz von Steiner: I = I SP + mR 2 = 2 mR 2 K 2 = 2R 2 d.h. das Quadrat des Trägheitsradiuses ist gleich: Physik 531 532 Die Bewegung starrer Körper 2R 2 2R = 2p gR g Wir erhalten damit die Periode T: T = 2p 10.9.5 Schiefe Ebene (Lösung mit Kräften) Wir betrachten nun die Bewegung eines Zylinders, der auf einer schiefen Ebene rollt ohne zu gleiten. Siehe Abb. 13. Was ist die Beschleunigung des Zylinders als Funktion seines Trägheitsmoments? b r Mg SP r N r FR Im Kap. 10.6.2 wurde das Problem mit dem Energiesatz gelöst. Hier wollen wir das Konzept des Drehmoments verwenden. Wir zeichnen die Kräfte, die auf den Zylinder wirken: 1. 2. 3. Die Gravitationskraft des Zylinders Die von der Ebene ausgeübte Normalkraft Die Reibungskraft zwischen dem Zylinder und der Ebene. Ohne diese Kraft würde der Zylinder nicht rollen, er würde auf der schiefen Ebene gleiten. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Drehung des starren Körpers um eine Hauptachse RFR = I SPa Wir bemerken, dass die Gravitationskraft kein Drehmoment bezüglich der Drehachse durch den SP bewirkt. Rollbedingung: Der Zylinder rollt ohne zu gleiten: 533 Gleichung der Drehbewegung: Die Drehachse ist eine Hauptachse, die durch den Schwerpunkt geht: Mg sin b - FR = MaSP Gleichung der Translationsbewegung entlang der Ebene (die positive Richtung wird abwärts gewählt): Wir schreiben nun die Bewegungsgleichungen: 1. 2. 3. aSP = Ra I SP aSP = MaSP R2 g sin b Mg sin b aSP = = I I Ê ˆ Ê ˆ Á1 + SP 2 ˜ Á M + SP2 ˜ Ë MR ¯ Ë R ¯ Mg sin b - Ï Mg sin b - FR = MaSP I SPa ÔÔ ÌFR = R Ô ÓÔaSP = Ra Das Gleichungssystem ist damit: Wir erhalten: oder Physik 534 Die Bewegung starrer Körper ¤ Im Fall des Zylinders gilt: I SP MR 2 = 2 Mg sin b 2 a = = g sin b SP Ê MR 2 ˆ 3 ˜ ÁM + 2R 2 ¯ Ë I SP aSP R2 Der Betrag der Reibungskraft ist gleich: FR = MR 2 2 g sin b sin b Mg 2 3 = 3 R2 Im Fall des Zylinders erhalten wir: FR = r Mg r N momentane Drehachse r FR Zweite Methode: wenn wir die Reibungskraft nicht berechnen wollen, können wir einen anderen Drehpunkt verwenden. Wir haben im Kap. 10.6.3 gesehen, dass man als momentane Drehachse den Berührungspunkt annehmen kann: b Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung Bezüglich der momentanen Drehachse verschwinden die Drehmomente der Normalkraft und der Reibungskraft. Das Drehmoment der Gravitationskraft ist gleich: M ext = RMg sin b I P aSP R Die Beziehung zwischen Winkelbeschleunigung und Drehmoment liefert: RMg sin b = I Pa = Das Trägheitsmoment bezüglich des momentanen Drehpunkts kann mit Hilfe des Satzes von Steiner (Siehe Kap. 10.5.4) als Funktion des Trägheitsmoments bezüglich des SPs ausgedrückt werden: a a SP = ( I SP + MR 2 ) SP R R + MR ) RMg sin b = I P oder, wie erwartet SP R 2 Mg sin b Mg sin b aSP = = 2 I Ê ˆ Á SP + M ˜ ¯ Ë R2 (I 10.10 Die Kreiselbewegung 535 Der Drehimpulssatz impliziert, dass der Drehimpuls eines Körpers in Abwesenheit eines äusseren Drehmoments konstant bleibt. Wenn der Körper um eine Hauptachse rotiert, so dass r r L = I Dw Physik 536 Die Bewegung starrer Körper dreht er sich immer weiter mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um diese Achse. Diese Tatsache wird am besten durch den Kreisel illustriert. Der Kreisel besteht aus einem sich drehenden Rad, dessen Achse unbehindert sich ändern kann. Wenn das Drehmoment auf den Kreisel nicht verschwindet, erfährt der Drehimpuls in der Zeit Dt eine Veränderung, die durch r r DL = MDt gegeben ist, wobei M der Drehmomentvektor ist. Genauso wie die Impulsänderung eines Teilchens immer in Richtung der Kraft ist, ist die Änderung des Drehimpulses immer in Richtung des Drehmoments. Wenn das Drehmoment senkrecht zum Drehimpuls ist, ist die Änderung auch senkrecht zum Drehimpuls, und der Drehimpuls ändert seine Richtung, nicht aber seinen Betrag. D.h., die Rotationsachse ändert ihre Richtung, aber der Betrag des Drehimpulses bleibt konstant: Die Bewegung der Drehachse um eine feste Achse als Folge eines äusseren Drehmoments wird als Präzession bezeichnet. 10.10.1 Horizontale Präzession des Velorads Wir betrachten einen langen Stab, der sich frei bewegen kann. Ein Kreisel wird mit Hilfe eines Velorads gebaugt. Das Velorad ist an einem Ende des langen Stabs (Achse des Velorads) so befestigt, dass es um diese Achse rotieren kann. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung Demonstrationsexperiment: Präzession des Velorads Das Velorad wird beschleunigt. Die Achse liegt in der horizontalen Ebene. Ein Gewicht wurde aufgehängt. Wir beobachten die Präzession der Achse des Velorads. l Wir beobachten, dass die Präzession mit konstanter Geschwindigkeit erfolgt. Wir definieren: 537 Die Winkelgeschwindigkeit der Präzession W wird definiert als die Winkeländerung pro Zeiteinheit mit der die Achse rotiert. Physik 538 w Die Bewegung starrer Körper r L r mg fi l r M W DL Dq =L = LW Dt Dt Der Drehimpuls des Velorads zeigt immer in die horizontale Richtung. Wenn das Velorad seine Präzession durchführt, dreht sich der Drehimpuls gleichzeitig um die vertikale Achse. Die Änderung des Drehimpulses kann so ausgedrückt werden: r r DL = L Dq fi DL = LDq oder r r DL = L Dq Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung W Dq r L ( t + Dt) r L ( t) r L ( t + Dt) r L ( t) r DL Um die Ursache der Präzession zu diskutieren, müssen wir nun das Drehmoment der Gravitationskraft analysieren. Es liegt in der Ebene der Präzession und wie erwartet, ist es für die zeitliche Änderung des Drehimpulses verantwortlich: r r dL = M fi LW = lmg dt lmg lmg = L Iw Der Drehimpuls des Velorads kann mit Hilfe seines Trägheitsmoments dargestellt werden und wir erhalten: W= 539 Wir bemerken, dass diese Beziehung voraussagt, dass die Präzessionsgeschwindigkeit mit der inversen Winkelgeschwindigkeit des Velorads abnimmt. Wegen der Reibung wird das Velorad gebremst, und wir werden deshalb beobachten, dass die Präzession beschleunigt wird. Die Präzessionsgeschwindigkeit kann natürlich nicht nach unendlich gehen. Allmählich wird das Velorad nicht mehr eine Prä- Physik 540 Die Bewegung starrer Körper zession durchführen, sondern eine komplizierte und nicht-stabile Bewegung erfahren. 10.10.2 Allgemeine Präzession W Wir haben im letzten Abschnitt den Fall betrachtet, bei dem das Velorad in der Ebene der Präzession bleibt. Im Allgemeinen kann das Velorad einen Winkel mit der vertikalen Richtung besitzen: f Länge des Stabes: l Wegen des Drehmoments der Gravitationskraft wird der Kreisel eine Präzession durchführen. Die vertikale Komponente des Drehimpulses wird erhalten. Die radiale Komponente des Drehimpulses wird sich drehen. Wir erhalten deshalb: r dL = L sin fW dt Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung r M = mgl sin f r r dL = M = L sin fW = mgl sin f dt Das Drehmoment ist gleich: Damit: oder mgl mgl W= = L Iw d.h. die Präzessionsgeschwindigkeit ist unabhängig vom Neigungswinkel f. 10.10.3 Präzession “ohne Drehimpuls”1 Wir haben gesehen, dass die Präzession eine einfache Folgerung des Drehimpulssatzes ist. Mit Hilfe des Konzeptes des Drehmoments und des Drehimpulses kann die Präzession erklärt werden. Trotzdem ist die Bewegung des Kreisels oft nicht einfach intituiv zu verstehen2. Wir erinnern uns daran, dass der Drehimpulssatz eine Umformulierung des Newtonschen Gesetzes für den Fall der Drehbewegung ist: diese Umformulierung entspricht keiner neuen Physik. Deshalb soll die Bewegung des Kreisels ebenso mit Hilfe des zweiten Newtonschen Gesetzes beschrieben werden. 541 1. Wurde in der Vorlesung nicht behandelt, und nach der Vorlesung als Folge der Fragen der Studenten eingefügt. 2. Den Studenten ist das Newtonsche Gesetz dp/dt=F=ma oft viel eher intituiv zugänglich, als der Satz dL/dt=M=Ia, obwohl beide ähnliche Physik enthalten! Physik 542 Die Bewegung starrer Körper Wir betrachten einen vereinfachten Kreisel, nämlich einen starren Körper mit zwei identischen Massen, die sich um eine Achse drehen (Siehe Abb. 22). Die zwei Massen sind durch einen (masselosen) starren Stab der Länge 2l verbunden. r F r L w l r v r M Wir nehmen nun an, dass ein Drehmoment, wie in der Abb. gezeigt wird, auf das System wirkt und zeigen, dass als Folge davon der Drehimpuls sich in Richtung des Drehmoments ändern wird. r v l r F Figur 22. Vereinfachter Kreisel: die Kreisbewegung zweier identischer Massen um eine Achse. Ein Drehmoment in der Ebene entspricht den zwei Kräften, die gezeigt sind: eine nach oben, und eine nach unten. Die Massen bewegen sich mit konstanter Geschwindigkeit v auf einem Kreis. Der Effekt des Drehmoments kann durch Kräfte, die auf die Massen wirken, interpretiert werden. Wenn das Drehmoment in die Richtung wie in der Abb. zeigt, sind diese Kräfte in entgegengesetzter Richtung gerichtet: eine Kraft wirkt nach oben, die andere nach unten. Die vektorielle Summe der Kräfte verschwindet, d.h. die Rotationsachse wird sich drehen, aber der Schwerpunkt des Systems wird nicht beschleunigt. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung Wir nehmen an, dass das Drehmoment während eines Zeitintervalls Dt wirkt. Während dieses Zeitintervalls ist die Änderung der Geschwindigkeit jeder Masse gleich: r m Dv = Dp = FDt r F Df ª Df Dv FDt = v mv w r DL r L r M r Dv 543 Die Änderungen der Geschwindigkeiten der Massen zeigen in entgegengesetzte Richtungen. Weil die Änderungen senkrecht zu den Geschwindigkeiten sind, werden nur die Richtungen und nicht die Beträge der Geschwindigkeitsvektoren geändert. Als Folge der Geschwindigkeitsänderung wird die Drehachse um einen Winkel Df abgelenkt (Siehe Abb. 23). Es gilt: r Dv r F Figur 23. Die Ebene der Bewegung dreht sich, und die Änderung des Drehimpulses zeigt in die Richtung des Drehmoments. Physik 544 Die Bewegung starrer Körper r FDt 2 lFDt M Dt = = r mv 2 lmv L Das Drehmoment und der Drehimpuls sind gleich: r r M = 2 lF und L = 2 lmv Damit: Df = Die Präzessionsrate ist deshalb gleich: r Df M = r Dt L W= Dieses Ergebnis ist natürlich dasselbe, wie das im vorherigen Abschnitt gefundene. In diesem Beispiel haben wir gezeigt, dass die Änderung des Drehimpulses senkrecht zu den Kräften zeigt. Diese Beobachtung erklärt, warum Drehmoment und Drehimpuls mit Hilfe des Kreuzproduktes definiert werden. 10.10.4 Der Kreiselkompass In einem Kreiselkompass wird der Kreisel so angeordnet, dass seine Achse sich frei im Raum drehen kann. Der Kreisel wurde auf eine hohe Winkelgeschwindigkeit beschleunigt. Wir sind an der Bewegung der Achse interessiert, wenn wir den Kreisel zu verdrehen versuchen. Demonstrationsexperiment: Kreiselkompass Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Die Kreiselbewegung Nachdem der Kreisel einmal beschleunigt wurde, liegt seine Orientierung fest, seine Achse zeigt in eine bestimmte Richtung. Langsam üben wir eine Kraft auf einen der vertikalen schwarzen Stäbe des Kreisels aus, um das System zu rotieren (Siehe Abb. 24). Wir beobachten: Wenn man den Kreisel in der horizontalen Ebene dreht, wird die Achse des Kreisels zur Senkrechten hin gedreht; der Kreisel versucht seine Achse parallel zum Vektor der aufgezwungenen Rotation auszurichten. 545 Figur 24. Kreiselkompass: wenn man den Kreisel in der horizontalen Ebene rotiert, wird die Achse des Kreisels zur Senkrechten hin gedreht. Der Kreisel versucht seine Achse parallel zu der aufgezwungenen Rotation auszurichten. Physik 546 Die Bewegung starrer Körper r M r F Drehmoment r L r DL Diese Beobachtung kann leicht mit Hilfe des Konzeptes des Drehmoments erklärt werden: wenn man den Kreisel in der Ebene im Gegenuhrzeigersinn rotiert, zeigt das resultierende Drehmoment nach oben. Der Drehimpuls wird daher nach oben gedreht (Siehe Abb. 25) r F Figur 25. Kreiselkompass: wenn man den Kreisel in der horizontalen Ebene im Gegenuhrzeigersinn rotiert, zeigt das resultierende Drehmoment nach oben. Der Drehimpuls wird nach oben gedreht. 10.11 Gleichgewicht der starren Körper (Statik) Ein starrer Körper befindet sich im mechanischen Gleichgewicht, wenn er weder eine beschleunigte translatorische Bewegung noch Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Gleichgewicht der starren Körper (Statik) eine Rotationsbewegung ausführt. Das bedeutet, dass sowohl die lineare Beschleunigung des Schwerpunkts des Körpers als auch die Winkelbeschleunigung um eine beliebige feste Achse verschwinden müssen. i und j ÂM j =0 Wenn wir ein System von Massen betrachten und die Kräfte analysieren, die auf diese Massen wirken, können wir die Bedingung des Gleichgewichts als Funktion der resultierenden Kraft und des resultierenden Drehmoments bezüglich einer festen Drehachse so ausdrücken: r r i ÂF = 0 10.11.1 Mann auf einer Leiter Eine lange Leiter der Länge l mit einer Masse M wird an eine Wand gelehnt, so dass das obere Ende der Leiter eine Höhe h über dem Boden hat. Der Schwerpunkt der Leiter befindet sich auf einem Drittel dieser Höhe h. Ein Mann der Masse m steht in halber Höhe auf der Leiter. Die Wand ist reibungsfrei. Der Boden ist nicht reibungsfrei. Welche Kräfte übt das System (Mann und Leiter) auf die Wand und auf den Boden aus? Siehe Abb. 26. Wir betrachten die Kräfte, die im System wirken: 1. 2. 547 Die Wand ist reibungsfrei, d.h. das obere Ende der Leiter kann nur eine zur Wand senkrechte Kraft spüren. Der Boden ist nicht reibungsfrei, d.h. es können von der Leiter Kraftkomponenten in vertikaler und horizontaler Richtung ausgeübt werden. Physik 548 Mann auf einer Leiter. Die Bewegung starrer Körper Figur 26. Länge l Höhe h Die Kraft F1, die der Boden auf die Leiter ausübt. Wir bemerken, dass diese Kraft nicht entlang der Leiter wirken muss! Die Gravitationskraft der Leiter. Sie greift am Schwerpunkt der Leiter an. Die Gravitationskraft des Manns. Die Kraft F2, die die Wand auf die Leiter ausübt. Wir zeichnen nun die Kräfte, die auf das System wirken: 1. 2. 3. 4. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) r mg Gleichgewicht der starren Körper (Statik) r F1 r Mg d r F2 h Wir wählen das Koordinatensystem so, dass die y-Achse längs der Wand nach oben zeigt. Der Ursprung des Koordinatensystems liegt in der Ecke zwischen Wand und Boden. ÏF1x + F2 x = 0 ¤ Ì ÓF1y + 0 - ( M + m) g = 0 Die Gleichgewichtsbedingung für die Kräfte sieht in vektorieller Form und in Komponenten so aus: r r r r F1 + F2 + Mg + mg = 0 549 Für die Bestimmung der Drehmomente müssen wir eine Drehachse wählen. Wir nehmen eine Drehachse, die durch den Auflagepunkt der Leiter auf dem Boden geht. Eine positive Drehung ist im Uhrzeiger- Physik 550 Die Bewegung starrer Körper sinn gewählt. Mit dieser Wahl verschwindet das Drehmoment der erhalten: Kraft F1. Wir d d (F2x )(h) - ( Mg)ËÁÊ 3¯˜ˆ - (mg)ËÁÊ 2 ¯˜ˆ = 0 Wir haben ein Gleichungssystem mit drei Gleichungen und drei Unbekannten: Ï ÔF + F = 0 1x 2x ÔÔ ÌF1y = ( M + m) g Ô ÔF h - ÁÊ Md + md ˜ˆ g = 0 2x Ë 3 2 ¯ ÓÔ Wie erwartet, muss die vertikale Komponente der Kraft, die der Boden auf die Leiter ausübt, die Gravitationskraft des Systems MannLeiter kompensieren. Diese Bedingung gilt, weil wir die Wand als reibungsfrei angenommen haben: F1y = ( M + m) g Die zweite Bedingung für das Gleichgewicht ist: Ê dˆ Ê M mˆ F2 x = - F1x = Á ˜ Á + ˜ g Ë h¯ Ë 3 2 ¯ d.h. die horizontale Kraft, die der Boden auf die Leiter ausübt, muss proportional zum Abstand d sein, und nimmt mit der inversen Höhe ab. Die Kraft, die die Wand auf die Leiter ausübt, ist identisch aber wirkt in entgegengestetzer Richtung. Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Gleichgewicht der starren Körper (Statik) Nach dem dritten Newtonschen Gesetz treten an der Berührungsstelle zweier Körper immer zwei Kräfte auf. Die von der Wand und vom Boden auf die Leiter übertragenen Kräfte sind deshalb genau so gross wie die von der Leiter auf die Wand und auf den Boden ausgeübten Kräfte, aber in entgegengesetzter Richtung. 10.11.2 Balken mit Drehgelenk Ein Balken wird mit einem Drehgelenk an einer Wand befestigt und mit Hilfe eines Seils am anderen Ende so gespannt, dass er unter einem Gewicht m, das an diesem Ende angehängt wird, einen Winkel a zur Horizontalen bildet (Siehe Abb. 27). Der Balken hat eine Länge l und eine Masse M. Der Abstand zwischen dem Lagerpunkt des Balkens und dem Befestigungspunkt des Seils an der Wand wird als h bezeichnet. Was sind die Spannung des Seils und die Kraft, die das Drehgelenk auf den Balken ausübt? Wir zeichnen zuerst die Kräfte, die auf das System wirken: 1. 2. 3. 4. 551 Die Gravitationskraft des aufgehängten Gewichts m Die Gravitationskraft des Balkens. Sie greift am Schwerpunkt des Balkens an. Die Spannung im Seil S Die Kraft, die das Drehgelenk auf den Balken ausübt, ist F. Wir bemerken, dass diese Kraft nicht entlang des Balkens wirken muss! Physik 552 r F a Balken mit Drehgelenk. h Die Bewegung starrer Körper Figur 27. l r Mg q tan q = r S r mg h - l sin a l cosa m Wir wählen das Koordinatensystem so, dass die y-Achse längs der Wand nach oben zeigt. Der Ursprung des Koordinatensystems liegt im Drehgelenk. ¤ ÏFx + Sx = 0 Ì ÓFy + Sy - ( M + m) g = 0 Die Gleichgewichtsbedingung für die Kräfte sieht in vektorieller Form und in Komponenten so aus: r r r r F + S + Mg + mg = 0 Für die Bestimmung der Drehmomente müssen wir eine Drehachse wählen. Wir nehmen eine Drehachse, die im Endpunkt des Balkens liegt, wo das Gewicht m angehängt ist. Eine positive Drehung ist im Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) Gleichgewicht der starren Körper (Statik) Uhrzeigersinn gewählt. Mit dieser Wahl verschwinden die Drehmomente der Spannung und des Gewichts m. Fy): r Fy r F a r Mg + Drehachse m 553 Wir müssen die Drehmomente der Gravitationskraft des Balkens und der Kraft F berechnen. Wir können die zwei Komponenten der Kraft F als “Vektoren” betrachten (d.h. wir unterteilen die Kraft F in zwei und Vektoren Fx h r Fx ( ) Ê lˆ Á ˜ ( Mg) cosa + ( l)( Fx ) sin a - ( l) Fy cosa = 0 Ë 2¯ Wir erhalten (beachte das Vorzeichen!): Physik 554 Die Bewegung starrer Körper Zusammenfassend haben wir drei Gleichungen gefunden mit vier Unbekannten Sx, Sy, Fx, Fy: ( ) Ï ÔF + S = 0 x x ÔÔ ÌFy + Sy - ( M + m) g = 0 Ô ÔÁÊ l ˜ˆ ( Mg) cosa + ( l)( F ) sin a - ( l) F cosa = 0 x y ÔÓË 2 ¯ h - l sin a l cosa Geometrisch haben wir die zusätzliche Bedingung: Sy = Sx tan q = Sx ( ) ÏFx + Sx = 0 Ô ÔFy + Sy - ( M + m) g = 0 Ô l ÌÁÊ ˜ˆ ( Mg) cosa + ( l)( Fx ) sin a - ( l) Fy cosa = 0 ÔË 2 ¯ Ô h - l sin a Ô S = Sx l cosa Ó y Das Gleichungssystem kann nun eindeutig gelöst werden: Es folgt: ÏFx = - Sx Ô ÔFy = - Sy + ( M + m) g Ô Ì 1 Mg + Fx sin a - Fy = 0 cosa Ô2 Ô h - l sin a Ô S = Sx Ó y l cosa Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich) h - l sin a Ï ÔÔFy = Fx l cosa + ( M + m) g Ì sin a Ô1 ÔÓ 2 Mg + Fx cosa - Fy = 0 Gleichgewicht der starren Körper (Statik) oder Schliesslich, Ê l cosa ˆ Ê M ˆ Fx = Á ˜ Á + m˜ g Ë 2 l sin a - h ¯ Ë 2 ¯ Die anderen Grössen können damit einfach berechnet werden. Physik 555 556 Die Bewegung starrer Körper Physik I&II, WS 02/03-SS03, Prof. A. Rubbia (ETH/Zürich)